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Space is the Place | Black America | bpb.de

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Space is the Place Kursorischer Trip durch den Afrofuturismus

Christian Werthschulte

/ 13 Minuten zu lesen

Afrofuturismus imaginiert eine Zukunft, in der Afroamerikaner sich frei entfalten können. Spätestens mit dem Film "Black Panther" ist er im Zentrum der Popkultur angekommen.

Am 22. November 1968 flog das Raumschiff Enterprise schon zwei Jahre und über 60 Folgen durch die unendlichen Weiten des Weltraums und ihr Kapitän James T. Kirk hatte auf seiner Reise schon einige Frauen geküsst. An diesem Tag war jedoch ein Brückenmitglied der Enterprise das Ziel seines ungebrochenen Machotums: Leutnant Uhura, die aus Afrika stammende Kommunikationsoffizierin. Der Kuss von Kirk und Uhura gilt als der erste Kuss eines weißen Amerikaners und einer schwarzen Amerikanerin in einer US-amerikanischen Fernsehserie, und es war naheliegend, dass er im Weltall stattfinden musste. Die Episode spielt im Jahr 2268 – weit genug entfernt, um bei den Zuschauern des Senders NBC keine Assoziation mit den zeitgleich stattfindenden Bürgerrechtskämpfen in den USA hervorzurufen. Die Serienmacher präsentierten ein Figurenkabinett, das in den mittleren 1960er Jahren utopisch gewirkt haben mag: Auf der Enterprise leisten Besatzungsmitglieder aus Russland, den USA, China und Afrika gemeinsam Dienst.

Aber Nichelle Nichols, die Darstellerin von Uhura, war unglücklich mit ihrer Rolle. Sie fand, dass Uhura eine Alibifigur darstellte. Schließlich war sie als Kommunikationsoffizierin nicht nur das rangniedrigste Mitglied auf der Brücke der Enterprise, sondern wurde auch noch in eine typisch weibliche Rolle gedrängt: das intergalaktische Äquivalent zur Chefsekretärin. Sie wollte hinschmeißen. Schließlich war es Martin Luther King Jr. persönlich, der Nichols davon überzeugte, an Bord der Enterprise zu bleiben: "Du veränderst die Ansichten von Menschen auf der gesamten Welt. Durch dich sehen wir zum ersten Mal, wie wir selbst sind: was wir sein könnten, wofür wir kämpfen und wofür wir auf die Straße gehen."

Uhuras Anwesenheit auf der Enterprise erfüllte eine doppelte Funktion: Sie zeigte, dass der Rassismus der 1960er Jahre überwunden werden konnte, und sie repräsentierte einen alternativen Zukunftsentwurf. In der populären Science-Fiction, selbst in avancierten Romanen, gab es kaum afrikastämmige Figuren. Und in den populärwissenschaftlichen Zukunftsszenarien aus fliegenden Autos und vollautomatisierten Küchen waren Afroamerikaner ebenfalls abwesend. Uhura verkörperte dagegen eine neue Selbstverständlichkeit: In der Zukunft werden schwarze Menschen einen Platz in der Kommandozentrale haben. Uhura ist damit vielleicht eine der populärsten Vertreterinnen des Afrofuturismus, einer Strömung in Film, Literatur, Kunst und Popmusik, die eine Zukunft imaginiert, in der schwarze Menschen einen gleichberechtigten Platz haben.

Etwa zeitgleich zum Kuss von Kirk und Uhura besuchte der Anthropologe John Szwed das Konzert eines Jazz-Ensembles am Swarthmore College in Pennsylvania: "In der Mitte saß ein rundlicher, mittelalter Mann mit unbeteiligtem Gesichtsausdruck in einem Cockpit aus Elektronik. Auf seinem Kopf trug er einen Hut, der ein Modell unseres Sonnensystems war. Er fingerte auf den Keyboards, die rund um ihn aufgestellt waren, herum, schließlich hämmerte er mit seinen Fäusten und Unterarmen auf sie ein. (…) Sun Ra war im Haus und in seinem Universum."

Geboren wurde Sun Ra 1914 als Herman Poole Blount in Birmingham, Alabama. Nach dem Zweiten Weltkrieg transformierte er sich in Chicago in die Kunstfigur Sun Ra, ein Alien vom Saturn, das seinen Namen vom altägyptischen Sonnengott Ra entliehen hat. "Bei Sun Ra findet man eine Mythologie der Zukunft, die den Weltraum, elektronische Synthese, Ägyptologie, eine Form von Gemeinschaftlichkeit und eine queere Form des Zölibats vereint", fasst der britisch-ghanaische Kulturtheoretiker Kodwo Eshun zusammen.

Auch in der "Motor City" Detroit entfaltete Sun Ra seine Wirkung. George Clinton, Bandleader von Parliament Funkadelic, war ein großer Fan des Jazz-Musikers. Auch er begriff sich als Alien. Bei Live-Auftritten von Parliament wurde im Bühnenhintergrund ein UFO platziert. Auf dem Cover des Parliament-Albums "Mothership Connection" (1975) sieht man Clinton in der Eingangstür eines Raumschiffs – dabei bleibt unklar, ob er in das Raumschiff hineingezogen wird oder das Raumschiff wieder verlassen möchte.

Während Leutnant Uhura für eine Zukunft stand, in der schwarze Menschen die gleichen Rechte genießen können, stilisierten sich Sun Ra und George Clinton zum "Alien", was im Englischen sowohl der "Außerirdische" als auch der "Fremde" ist: ein Identitätsentwurf, der die Verschleppung seiner Vorfahren während der Sklaverei in den Mittelpunkt stellt. In dieser Vorstellung wird das Raumschiff zu einer Metapher für die Sklavenschiffe und zum Ort neuer Möglichkeiten: Denn wenn schwarze Menschen Aliens auf dem Planeten USA sind, kann kaum Assimilierung von ihnen erwartet werden. Afrofuturismus wird so zu einem Feld, in dem der Status quo von Afroamerikanern neu verhandelt werden kann.

Suche nach einer schwarzen Zukunft

Afrofuturismus umfasst neben Musik auch Literatur, bildende Kunst, Comics, Film und Video sowie Computerspiele. Diese Kunstformen stehen sowohl miteinander im Austausch als auch mit der Kulturtheorie. Als verknüpfte Felder wurden diese erstmals 1992 in einem Essay von Mark Dery sichtbar, der den Begriff des "Afrofuturismus" prägte: Dery fragte sich, warum in der Science-Fiction so wenige afroamerikanische Autoren und Autorinnen zu finden sind, obwohl das Genre samt seiner Entführungsgeschichten und Menschenexperimente sich gut dafür eigne, den "Science-Fiction-Albtraum" afroamerikanischer Menschen zu illustrieren. Fündig wurde er an den Rändern: in den Romanen des schwulen Autors Samuel Delaney, der sich in seinen Romanen sowohl mit der Intersektion von Ethnizität und Klasse als auch mit der AIDS-Krise beschäftigte; bei der Autorin Octavia Butler, die in ihren Werken antihierarchische, multiethnische Communities zum Thema machte, oder beim Rapper Rammellzee, der bei seinen Liveauftritten eine Art Roboter-Schutzanzug trug.

Rückblickend bezeichnet Dery seinen Essay als Versuch, "manche der ungehörten Stimmen zu verbreiten, und – was genau so wichtig war – zu fragen, warum die elitäre, weiße, mit den großen Firmen kuschelnde Technologiekultur keinen Raum für Frauen und people of color bereitstellt". Seine Arbeit hatte somit den Charakter einer Gegenerzählung.

Die kalifornischen Tech-Zentren sind bis heute kein Ort, an dem sich die Vielfalt der USA abbildet. Dennoch ist Derys Text ein Kind seiner Zeit. Sein Fokus auf Technologie spiegelte die treibende Kraft hinter Techno und Hip-Hop wider, den zwei wichtigsten Ausdruckformen afroamerikanischer Popkultur der späten 1980er und 1990er Jahre: das Sampling. Mithilfe eines Samplers können kurze musikalische Phrasen digitalisiert und beliebig wiederverwendet werden. Die meisten Hip-Hop-Stücke dieser Zeit samplten Klassiker der afroamerikanischen Popmusik, unterwarfen diese Samples aber der rigiden Quantisierung digitaler Sequencer und steigerten so die maschinelle, posthumane Anmutung der Musik. "Im Hip-Hop zeigt sich ein gesteigertes Bewusstsein der hergestellten, designten und posthumanen Existenz von Afroamerikanern, das durch Comics und Science-Fiction gefördert wird", schreibt Kodwo Eshun. "Afrikanische Aliens wurden von afrikanischen Sklavenhändlern entführt, (…) um als amerikanische Sklaven designet zu werden. (…) Wie der Roboter (…) wurde auch der Sklave nur hergestellt, um eine Funktion zu erfüllen: als Servomechanismus, als Transportsystem, als Möbelstück, als 3/5 eines Menschen, als ein bruchstückhaftes Subjekt. (…) Sklaven sind Aliens."

In seinem Buch "More Brilliant than the Sun" (1998) und als Mitwirkender in der Dokufiktion "The Last Angel of History" (1996) theoretisiert Eshun Afrofuturismus als transnationales, afrodiasporisches Phänomen des "Schwarzen Atlantik". Der Breakbeat wird zum Brückenschlag zwischen US-amerikanischem Funk und britischem Jungle. Er vereint Technoproduzenten in Detroit mit denjenigen, die in kleinen Heimstudios in London und Bristol Drum’n’Bass-Stücke programmieren. Zugleich bilden die konstitutiven Erzählungen afroamerikanischer Kultur die Grundlage für neue, afrofuturistische Science-Fiction: "The Last Angel of History" nimmt den Mythos auf, dass der Gitarrist und Sänger Robert Johnson zu Beginn des 20. Jahrhunderts an einer Kreuzung dem Teufel seine Seele verkaufte. Im Gegenzug stattete der Teufel ihn mit der Fähigkeit aus, den Blues zu erfinden. So übernimmt der "Datendieb" in "The Last Angel of History" die Aufgabe, die verschiedenen Stränge afrofuturistischer Musik im späten 20. Jahrhundert zusammenzuführen. Gelingt ihm dies, erhält auch er – analog zu Robert Johnsons Blues – eine "geheime schwarze Technologie".

Mythen und Maschinenwesen

In Detroit arbeiteten in den 1990er Jahren die Technoproduzenten Gerald Donald und James Stinson im Umfeld des Technokollektivs Underground Resistance an ihrer eigenen Version afroamerikanischer Mythen. Als Drexciya produzierten sie reduzierte, klare Electro-Tracks, die mehr mit der sterilen Maschinen-Ästhetik der Düsseldorfer Band Kraftwerk als mit den Collagen von Hip-Hop gemeinsam haben. Im Mythos Drexciyas wurden Tausende schwangere Sklavinnen während der Sklavenverschleppung über die middle passage – der Sklavenhandelsroute zwischen Afrika und Amerika – als Ballast über Bord geworfen. Weil die Nachkommen der Sklavinnen aber im Meer geboren wurden, lernten sie, mit flüssigem Sauerstoff zu überleben und unter Wasser zu atmen. Dort gründeten sie eine Zivilisation: Drexciya.

Donald und Stinson bedienten sich nicht nur bei Platons Atlantis-Mythos, den sie für die afrodiasporische Erfahrung umschrieben, sondern auch bei der afrikanischen Mythologie. Die Drexciyaner sind von der afrikanischen Wassergöttin Mami Wata inspiriert, die als "Mutter des Wassers" in der ägyptischen Mythologie die moralischen, sozialen und ökologischen Grundsätze der Gesellschaft festlegt. Mami Wata wird häufig als Frau mit langen Haaren dargestellt, deren Körper von Schlangen umflossen ist.

2001 findet Mami Wata Eingang in den Mainstream: Im Video zu "We Need a Resolution" präsentierte sich die R’n’B-Sängerin Aaliyah als von Schlangen umgebene Mami Wata. Die visuelle Referenz wird von den Beats des Produzenten Timbaland unterstützt. Timbaland arbeitet auch mit der Rapperin und Produzentin Missy Elliott zusammen. Missy Elliot bezieht sich in ihrem visuellen Image immer wieder auf afrofuturistische Künstlerinnen – etwa auf die Discosängerin Grace Jones, die in den 1980er Jahren bewusst gegen weibliche Zuschreibungen gearbeitet hat, indem sie sich zur roboterhaften Perfektionistin stilisierte. Im Gegensatz zu Aaliyah greift Missy Elliott jedoch nicht afrikanische Mythologien auf, sondern inszeniert sich im Video zu "Sock it 2 Me" (1997) als Cyborg-Superheldin im Stil des Videospiels "Mega Man".

Jenseits von Missy Elliott und Aaliyah blieb Afrofuturismus in den frühen Nullerjahren aber ein Nischenthema. Die Debatte um Afrofuturismus wurde vorwiegend auf dem Afrofuturismus-Listserv geführt, das von der Soziologin Alondra Nelson gegründet wurde. Diese Online-Community blieb jedoch von der größeren Öffentlichkeit unbeachtet. Dies änderte sich spätestens mit der R’n’B-Sängerin und Schauspielerin Janelle Monáe.

Afrofuturismus im Mainstream

2008 veröffentlichte Janelle Monáe das Video zu ihrer Grammy-nominierten Single "Many Moons". Sie präsentiert sich darin als "Cindi Mayweather" – Prototyp der Androiden-Reihe "Alpha Platinum 9000". Die Kulisse ist sowohl von Fritz Langs Film "Metropolis" (1927) als auch vom Interieur des Studio 54 inspiriert. Monáe muss auf einem Podium ihre Gesangs- und Tanzqualitäten zur Schau stellen, um das Publikum zum Kauf eines Exemplars der "Alpha Platinum 9000"-Reihe zu animieren – die Science-Fiction-Variante einer Sklavenauktion.

"Mittlerweile ist es viel stärker anerkannt, dass es eine Zukunft gibt, in der schwarze Menschen – in welcher Form auch immer – existieren werden", sagt Cornelius Harris, Labelmanager des Detroiter Technokollektivs Underground Resistance. "Das ist schon ein großer Schritt vorwärts, denn vorher haben wir dort nicht existiert." Selbst Star Wars, das größte Filmfranchise der Welt, hat seit "Episode VII – Das Erwachen der Macht" (2015), eine schwarze Hauptfigur: den ehemaligen Stormtrooper Finn, gespielt von John Boyega.

Aktuelle Ableger zweier anderer Franchises der amerikanischen Unterhaltungsindustrie verdeutlichen, dass Afrofuturismus endgültig im Mainstream angekommen ist: In "Star Trek: Discovery" ist die Hauptfigur Michael Burnham, eine schwarze Offizierin, die bei den Vulkaniern aufgewachsen ist und die nun auf dem Raumschiff Discovery ihren Dienst tut. "Star Trek: Discovery" vertritt nicht mehr den offensiven Utopismus der Originalserie sowie des Nachfolgers "Star Trek: Die nächste Generation", sondern zieht Parallelen zu gegenwärtigen politischen Fragen. Zwar stellt Michael Burnham aufgrund ihres Namens und ihrer Herkunft essenzialistische Vorstellungen von Geschlecht und Ethnizität infrage, gleichzeitig werden diese durch die Figurenkonstellation der Serie wieder affirmiert. Burnham ist vom Hass auf die Klingonen getrieben, die in der Serie die Erzfeinde der Discovery sind. Die Figur des Aliens, des Anderen ist bei "Star Trek: Discovery" also keine Metapher für afroamerikanische Subjekte, sondern wird im Kontrast zu diesen konstruiert.

Die zweite prominente Neuauflage ist die des Marvel-Comics "Black Panther". Geschrieben wurden die Comics von Ta-Nehisi Coates. Coates, der durch sein Buch "Zwischen mir und der Welt" (2015) zu einem wichtigen Autoren über Rassismus in den USA wurde, erzählt in den Comics die Geschichte von T’Challa, dem König von Wakanda. Das afrikanische Land Wakanda ist eines der wohlhabendsten der Welt, weil es den Rohstoff Vibranium entdeckt hat. In Coates’ Version wird es von einem Krieg mit den Nachbarstaaten sowie einer Rebellion im Inneren bedroht, woraufhin sich König T’Challa fragen muss, mit welchen Mitteln er die Einheit seines Königreichs bewahren will.

Wie in "Star Trek: Discovery" ist die Zukunft in "Black Panther" durch Realpolitik gekennzeichnet: "In Black Panther geht es nicht zuerst um Ethnizität, denn die Frage nach Ethnizität ist zuerst eine Frage nach der Macht", sagt Ta-Nehisi Coates über seinen Comic. "Es geht darum, wie sich Menschen um die Macht gruppieren, wie sie ausbeuten, wie sie die Macht benutzen. Das steht im Mittelpunkt des Comicbuchs." "Black Panther" zeichnet also eine Zukunft, in der sich Macht jenseits der Kategorien von Ethnizität abspielt. Afrikanische Mythologie wird in Coates‘ Wakanda selten aufgegriffen, es dominieren die Ideen des europäischen Liberalismus. Coates verhalf der Figur Black Panther, die erstmals 1966 in einem Marvel-Comic aufgetreten ist, über das Comicpublikum hinaus zu Glaubwürdigkeit. Davon profitiert auch der Film "Black Panther", der im Februar 2018 in die Kinos kam und in afroamerikanischen Communities begeistert gefeiert wird.

Afrofuturismus und Politik

Die neue Popularität afrofuturistischer Themen stößt jedoch auch auf Kritik: "Der Black-Panther-Film löst Glücksgefühle bei einer großen Masse an Menschen aus, die ansonsten einer konstanten Unterdrückung durch den Staat ausgesetzt sind," sagt Ingrid LaFleur, Künstlerin aus Detroit. "Das mag alles aufregend sein, aber die Debatte darf nicht mit dem Hype um den Film enden. Ich will sichergehen, dass wir Zukunftsentwürfe haben, in denen schwarze Körper sicher sind und Schwarze ihr eigenes Schicksal in die Hand nehmen können." 2017 kandidierte sie als Bürgermeisterkandidatin – mit einem afrofuturistischen Programm. LaFleur setzte sich etwa für ein bedingungsloses Grundeinkommen ein, mit dessen Hilfe sie die Folgen der Arbeitsplatzverluste eindämmen wollte. Finanziert werden sollte dies mit einer afroamerikanischen Kryptowährung. "Wir haben diese lange Ahnenreihe an Afrofuturisten in Detroit. Heute sehen wir, dass Menschen an Problemlösungen mithilfe von Technologie arbeiten, die sie gerade zur Hand haben, damit unsere Communities widerstandsfähiger werden und wir die Probleme lösen, die die Regierung nicht löst", meint LaFleur. Die Bevölkerung von Detroit ist zu fast 85 Prozent schwarz, rund ein Drittel lebt unterhalb der Armutsgrenze, es gibt Probleme bei der Versorgung mit Trinkwasser, aber auch mit Kommunikationstechnologien wie WLAN. Für LaFleur bedeutet Afrofuturismus daher zuerst eine Form von Community-Arbeit mit Technologie, so wie sie der Detroiter Musiker Onyx Ashanti betreibt. Er hat sich mit dem 3-D-Drucker eine Art Skelett gedruckt, das er über seine Arme und Hände streift, um damit seine Musiksoftware zu steuern. Ashanti gibt Workshops zum Thema 3-D-Drucken und wohnt im armen Norden Detroits in einem sozialen Wohnprojekt.

Ashanti und LaFleur verkörpern damit einen Teil der Forderungen, die die Künstlerin Martine Syms 2013 in ihrem "Mundane Afrofuturist Manifesto", dem Manifest des irdischen Afrofuturismus, aufstellte. Syms weist den Weltraum als Metapher für die afroamerikanische Existenz zurück: "Die Erde ist alles, was wir haben, was stellen wir damit an?", fragt sie und fordert einen neuen Fokus auf eine "schwarze Humanität", die Wissenschaft, Technologie, Politik, Kultur und Religion umfasst. Schauplatz ihrer Literatur ist der Alltag und seine Rituale und Widersprüche.

In Philadelphia hingegen, der letzten Wirkungsstätte von Sun Ra, verbinden afrofuturistische Künstler und Künstlerinnen derzeit politische Graswurzelinitiativen mit Science-Fiction: Der afrofuturistische Elektronikproduzent King Britt etwa betreut junge Musiker in einem schwarzen Community-Projekt in North Philadelphia. Unter seinem Pseudonym "Fhloston Paradigm" malt er sich die Zukunft in psychedelischen Texturen aus: "Mit Fhloston Paradigm will ich den rauen Straßen Philadelphias, auf denen ich aufgewachsen bin, eine Vision voller Liebe entgegensetzen", erklärt King Britt. "Das Mittel dazu sind analoge Synthesizer." Es ist elektronische Weltflucht für eine Zeit, in der die Dystopie real geworden ist und fast schon unüberwindbar wirkt. "Scheiße – wie die Polizeigewalt – ist Alltag für Schwarze in Amerika. Eine Reaktion darauf ist, sich zu fragen, was das für die Zukunft bedeutet", sagt er. "Und meine musikalische Antwort ist: Es wird kein Happy End geben, es wird einfach nur zu Ende gehen."

Rückkehr nach Afrika

In Afrika selbst machen afrofuturistische Künstler seit einigen Jahren vermehrt klassische afrikanische Mythen zum Thema: "Der Afrofuturismus fragt heute, wie eine afrikanische Zukunft aussehen könnte", erklärt Kodwo Eshun. "Hier zeigt sich ein Verlangen, das indigene, theoretische und politische Wissen Afrikas neu zu erfinden." Die nigerianisch-amerikanische Autorin Nnedi Okorafor ist exemplarisch für diese Strömung. Nach dem Ausscheiden von Ta-Nehisi Coates ist sie die neue Autorin der Comicreihe "Black Panther". In ihrem Roman "Lagoon" (2014) bedient sie sich jedoch eines klassischen Hollywood-Themas: dem Erstkontakt mit einer außerirdischen Spezies – wobei sie die Handlung nach Nigeria verlegt. In ihrer Novelle "Binti" verwandelt sie eine Coming-of-Age-Story in eine afrofuturistische Parabel.

Während Okorafor also hybride Erzählformen benutzt, um ihre nigerianisch-amerikanische Sozialisation auszudrücken, wird in anderen aus Afrika stammenden, afrofuturistischen Kunstwerken satirische Kritik an der angloamerikanischen Dominanz im Afrofuturismus geübt. Der Film "Crumbs" (2015) des spanischen Regisseurs Miguel Llansó ist der erste afrofuturistische Film, der in Äthiopien gedreht wurde und in dem Amharisch gesprochen wird. Er spielt in einem postapokalyptischen Afrika, in dem Santa Claus eine Art Gott ist und Artefakte der US-Kulturindustrie magische Kräfte zugesprochen bekommen: eine Figur der Ninja Turtles oder eine Kopie von Michael Jacksons Album "Dangerous". Die Figuren des Films sammeln diese, um sie gegen Bargeld einzutauschen, aber der Tausch bleibt ungleich: Der Tand aus den USA ist in Afrika wertlos.

Seit der Bürgerrechtsbewegung diente der Afrofuturismus dazu, die Zukunft für schwarze Menschen neu zu verhandeln. Mittlerweile ist seine Formensprache zwar in den großen Kinofranchises angekommen, gleichzeitig inspiriert sie jedoch weiterhin Community-Aktivisten und Underground-Künstler in den USA. In der Gegenwart, in der sich chinesische, europäische und amerikanische Technologiekonzerne daran machen, die Zukunft des afrikanischen Kontinents zu vermessen, werden afrofuturistische Motive in Afrika selbst zu einem Vehikel, um Identitäts- und Zukunftsentwürfe zu verhandeln. So kehrt die Zukunft schließlich über die Diaspora nach Afrika zurück.

Christian Werthschulte ist Kultur- und Politikwissenschaftler und arbeitet als Autor und Redakteur unter anderem für die Tageszeitung, Stadtrevue und den WDR. E-Mail Link: c.werthschulte@gmail.com