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Traum oder Albtraum? | Black America | bpb.de

Black America Editorial "Was wäre, wenn … ?". Ein Gespräch über Sklaverei, Alltagsrassismus und Literatur Illusion einer postethnischen Gesellschaft Zur Geschichte von Black America Traum oder Albtraum? Das Erbe von Martin Luther King Jr. Von Black Power bis Ta-Nehisi Coates. Schwarze Identitätspolitik in den USA Der Geist von King Cotton. Afroamerikaner und das Vermächtnis der Sklaverei im Reich der Baumwolle White Supremacy. Geschichte und Politik des Weißseins in den USA Space is the Place. Kursorischer Trip durch den Afrofuturismus Rassenordnung als Machtordnung. Diskriminierung im Bildungs- und Rechtssystem der USA

Traum oder Albtraum? Das Erbe von Martin Luther King Jr.

Britta Waldschmidt-Nelson

/ 21 Minuten zu lesen

Am 4. April 1968 wurde Martin Luther King Jr. erschossen. Sein Traum von Gleichberechtigung lebte jedoch weiter. Hat sich 50 Jahre nach dem Attentat die Hoffnung bewahrheitet?

Am 28. August 1963 hielt Martin Luther King Jr. seine weltbekannte "I Have a Dream"-Rede vor dem Lincoln Memorial in Washington, D.C. Der damals 34-jährige Anführer der schwarzen Bürgerrechtsbewegung drückte hierin seine Hoffnung aus, dass die USA eines Tages ihren schwarzen Bürgerinnen und Bürgern die volle Gleichberechtigung erteilen und Menschen aller Rassen in den USA friedlich und respektvoll zusammenleben werden. Kings entschiedenes Eintreten für Rassengleichberechtigung, soziale Gerechtigkeit und Frieden brachte ihm weltweit viel Hochachtung ein. In den USA wurde er jedoch immer mehr zur Hassfigur der politischen Rechten und white supremacists. Ein weißer Rassist erschoss King schließlich vor 50 Jahren, am 4. April 1968, aus dem Hinterhalt. Doch Kings Traum lebte weiter und gilt bis heute vielen als Ansporn, sich für eine bessere, tolerantere und gerechtere Gesellschaft einzusetzen. Als 2008 Barack Obama zum ersten afroamerikanischen Präsidenten der USA gewählte wurde, glaubten viele, dies sei der Beginn einer neuen Ära, welche die baldige Erfüllung von Kings Traum ankündigte. Hat sich diese Hoffnung bewahrheitet?

Der Beitrag bietet einen Überblick über die Entwicklung seit den 1960er Jahren und diskutiert die wichtigsten Fortschritte und Defizite in Bezug auf die politische, soziale und wirtschaftliche Situation der Afroamerikaner bis zur Gegenwart. Um die Leistung Kings und der schwarzen Bürgerrechtsbewegung angemessen würdigen zu können, ist es sinnvoll, sich vorab an die Situation schwarzer US-Amerikaner in der Zeit vor dem Zweiten Weltkrieg zu erinnern.

Segregationsära

Nach dem Ende des Amerikanischen Bürgerkriegs (1861–1865) waren durch Verfassungszusätze in den gesamten USA die Sklaverei verboten und den befreiten Afroamerikanern die vollen Bürgerrechte sowie das Wahlrecht zugesprochen worden. Kaum jedoch hatten die letzten Nordstaatentruppen den Süden am Ende der reconstruction 1877 verlassen, begann die weiße Südstaatenelite, durch ein raffiniertes System von neuen Gesetzen ihre Herrschaft über die schwarze Bevölkerung wieder zu etablieren. Diese Gesetze wurden als Jim-Crow-Gesetze bezeichnet und zielten im Wesentlichen auf drei Dinge ab: erstens auf die politische Entmündigung der schwarzen Bevölkerung (zum Beispiel durch den gezielten Ausschluss von den Wählerlisten), zweitens auf die Kontrolle der schwarzen Arbeitskraft (beispielsweise durch Gesetze, die jede Berufstätigkeit außerhalb der Landwirtschaft oder dem Dienstbotenbereich untersagten) und drittens schließlich die Segregation, das heißt Rassentrennung, in allen Bereichen des öffentlichen Lebens.

Das Jim-Crow-System beruhte darauf, dass Afroamerikaner nicht als gleichwertige Bürger, sondern als Menschen zweiter Klasse angesehen wurden, die gebührenden Abstand von der weißen "Herrenrasse" zu halten hatten. Schwarze mussten im Bus hinten und im Zug in eigenen Abteilen sitzen; auch Restaurants, Kinos, Schwimmbäder, ja sogar Trinkbrunnen waren segregiert, gleiches galt für Krankenhäuser und Schulen. Die Einrichtungen für Weiße waren hierbei stets deutlich besser ausgestattet als die für Schwarze. Vom Besuch der staatlichen Hochschulen waren Afroamerikaner im Süden ganz ausgeschlossen, nicht nur, weil die meisten Weißen sie nicht für intelligent genug hielten, ein Hochschulstudium zu absolvieren, sondern vor allem, weil es im Interesse der weißen Machthaber lag, die schwarze Bevölkerung auf einem möglichst geringen Bildungsniveau zu halten.

Die Jim-Crow-Gesetze erwiesen sich fast ein Jahrhundert lang als ausgesprochen effektiv, zumal Widerstandsversuche der schwarzen Bevölkerung nicht nur strafrechtlich, sondern auch durch brutale Terrormaßnahmen des Ku-Klux-Klans und anderer rassistischer weißer Organisationen geahndet wurden. Zwischen 1877 und 1950 wurden im Süden der USA mehr als 3.900 Afroamerikaner von weißen Mobs gelyncht.

Zwar versuchten Afroamerikaner immer wieder gegen ihre Unterdrückung aufzubegehren, aber bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts nur mit relativ geringem Erfolg. Mit dem Zweiten Weltkrieg änderten sich dann allerdings einige wichtige Parameter: Erstens erhöhte sich durch die Teilnahme von über einer Million afroamerikanischer Soldaten im Krieg, die in Europa gegen den Nazi-Rassismus gekämpft und dort ein Leben ohne legale Rassentrennung kennengelernt hatten, deren Selbstwertgefühl und Widerwillen, sich weiterhin den Jim-Crow-Gesetzen zu beugen. Viele engagierten sich darum nach ihrer Heimkehr in der Bürgerrechtsbewegung. Zweitens wurde die legale Diskriminierung schwarzer Bürger im Süden der USA in der Zeit des Kalten Kriegs für die US-Regierung ein zunehmend peinliches, auch international bekanntes Problem. Drittens erklärte das Oberste Bundesgericht der USA im Mai 1954 die Rassentrennung an öffentlichen Schulen für verfassungswidrig. Daraufhin begann 1955 eine neue Ära des schwarzen Freiheitskampfes.

Durch den 382 Tage langen, erfolgreichen Busboykott von Montgomery, Alabama, wurde der junge, charismatische Baptistenpfarrer Martin Luther King Jr. an die Spitze der Bürgerrechtsbewegung katapultiert. Er und andere Aktivisten motivierten Hunderttausende zum Mitmachen bei Demonstrationen, Boykotten, Protestmärschen und vielen anderen Aktionen. Die hohen Ideale, die Opferbereitschaft, der Mut und die Standhaftigkeit dieser Bürgerrechtler, von denen Tausende von weißen Rassisten brutal misshandelt und eine ganze Reihe getötet wurden, bewegten die amerikanische Regierung schließlich zum Einlenken. So begann Mitte der 1960er Jahre endlich eine neue Ära der legalen Gleichstellung der afroamerikanischen Bevölkerung, die viele andere positive Veränderungen nach sich zog.

Gesetzliche Gleichstellung und politische Repräsentation

Als wichtigste gesetzliche Schritte für die Rassengleichberechtigung seien hier zuerst die beiden großen Bürgerrechtsgesetze der 1960er Jahre genannt: der Civil Rights Act (CRA) von 1964 und der Voting Rights Act (VRA) von 1965, deren Verabschiedung maßgeblich auf die von der Bürgerrechtsbewegung organisierten Proteste zurückzuführen ist.

Der CRA hob die bis dahin legale Rassentrennung auf und verbot die Diskriminierung von Schwarzen in allen Bereichen des öffentlichen Lebens, in Regierungsprogrammen und auf dem Arbeitsmarkt. Außerdem schuf der CRA die legale Grundlage für affirmative action, sprich für Regelungen und Vorschriften, die Afroamerikanern und anderen benachteiligten Gruppen gewisse Vorteile im Ausbildungs- und Berufswesen verschaffen, um frühere Diskriminierungen auszugleichen.

Der VRA verfügte darüber hinaus die sofortige Abschaffung aller Arten von Wahlsteuern, Tests und Sonderregelungen, die zur politischen Entmündigung der Schwarzen im Süden beigetragen hatten und ordnete an, dass Inspektoren der United States Commission on Civil Rights in den folgenden Jahren die Wahleinschreibungsprozesse im Süden genau überwachten. Dieses Gesetz, das zuletzt 2006 für weitere 25 Jahre verlängert wurde, war von ganz entscheidender Bedeutung für eine Öffnung des politischen Systems für Afroamerikaner. So konnte sich die Anzahl der registrierten schwarzen Wähler in den Südstaaten innerhalb von fünf Jahren verdoppeln, womit sich wiederum die Zahl der gewählten schwarzen Amtsinhaber in den Südstaaten seit 1965 von 72 auf über 5.000 erhöhte, und auch im gesamten Gebiet der USA stieg die Anzahl afroamerikanischer Politiker von weniger als 300 auf mittlerweile über 10.000. Die afroamerikanische Wahlbeteiligung liegt heute genauso hoch wie die der weißen Amerikaner, und in einigen Fällen waren die Stimmen schwarzer Wähler entscheidend für den Ausgang der Präsidentschaftswahlen. So trugen sie maßgeblich zum Wahlsieg von Jimmy Carter, Bill Clinton und Barack Obama bei.

Auch auf lokaler und einzelstaatlicher Ebene hat es signifikante Fortschritte in der politischen Repräsentation der schwarzen Minderheit gegeben. So wurden oder werden seit den 1970er Jahren zahlreiche bedeutende US-amerikanische Großstädte von afroamerikanischen Bürgermeistern regiert. Diese konnten natürlich nicht alle Probleme benachteiligter Minderheiten in ihren jeweiligen Städten lösen, aber es hat sich gezeigt, dass schwarze Bürgermeister sich in besonderem Maße für die Interessen dieser Gruppen einsetzten, unter anderem auch durch die Integration ihrer Stadtverwaltungen sowie der lokalen Polizei- und Feuerwehr.

Seit den 1990er Jahren gab es in drei amerikanischen Bundesstaaten afroamerikanische Gouverneure; auch gelang mittlerweile acht schwarzen US-Amerikanern der Einzug in den US-Senat. Mit Ausnahme von zwei Politikern sind alle Mitglieder der Demokratischen Partei, die aufgrund ihrer progressiveren sozialen Einstellung und ihres Eintretens für Rassengleichberechtigung seit den 1960er Jahren von über 90 Prozent der Afroamerikaner gegenüber der Republikanischen Partei präferiert wird.

Beeindruckend ist weiter der eminente Anstieg der Zahl von schwarzen Kongressabgeordneten: Von sieben im Jahr 1965 auf 51 heute. Damit verfügen Afroamerikaner, deren Bevölkerungsanteil 13 Prozent beträgt, über fast zehn Prozent der Sitze im US-Kongress. Sie üben somit auf den legislativen Entscheidungsprozess einen nicht zu vernachlässigenden Einfluss aus.

Mit Blick auf die Exekutive lassen sich weitere Fortschritte erkennen: 1966 ernannte Präsident Lyndon B. Johnson mit Robert Weaver als Minister für Hausbau und Stadtentwicklung das erste afroamerikanische Kabinettsmitglied. Präsident Bill Clinton war der erste Präsident, der mehr als einen schwarzen Minister hatte und berief insgesamt sieben Afroamerikaner in sein Kabinett; ein bis heute ungebrochener Rekord. George W. Bush hatte immerhin vier, darunter den ersten schwarzen Außenminister (Colin Powell) und die erste schwarze Außenministerin (Condoleezza Rice). In der Regierung Obamas gab es fünf afroamerikanische Kabinettsmitglieder, darunter der erste schwarze Justizminister. Erwähnenswert ist hier allerdings, dass Obama deutlich mehr schwarze Bundesrichter berief als alle seine Amtsvorgänger – fast 20 Prozent der von ihm ernannten Federal Judges waren Afroamerikaner.

In jedem Fall ist die Präsenz schwarzer Amtsinhaber auf höchster Regierungsebene seit den 1990er Jahren auf ein Level gestiegen, das zu Kings Lebzeiten kaum vorstellbar war. Dies ist ein beachtlicher Erfolg, und zwar nicht nur wegen der Symbolkraft und Vorbildfunktion, die ranghohe afroamerikanische Politiker haben, sondern vor allem wegen der Machtposition, die sie einnehmen.

Die große Mehrheit der schwarzen Politiker, die seit den 1960er Jahren in der Legislative oder Exekutive Ämter innehatten, stammten aus bescheidenen Familienverhältnissen. Sie sind in ihrem Leben oft mit Armut und mit Diskriminierung beziehungsweise Fällen von offenem Rassismus konfrontiert worden. Fast alle schwarzen Politiker sind durch diese Erfahrungen geprägt, und bei den meisten spiegelt sich dies in ihren politischen Überzeugungen und Handlungen wider. So nutzen afroamerikanische Amtsinhaber zahlreiche Möglichkeiten, um ihren politischen Einfluss für das Wohl traditionell benachteiligter Minderheiten einzusetzen, zum Beispiel durch die Förderung von Gesetzen beziehungsweise Programmen und Positionen, die benachteiligten Gruppen zugutekommen.

Inwieweit sich die positive Entwicklung der afroamerikanischen politischen Repräsentation auch auf die soziale und wirtschaftliche Lage von Afroamerikanern ausgewirkt hat, soll im Folgenden beleuchtet werden.

Fortschritte im sozialen und wirtschaftlichen Bereich

Ein bedeutender Fortschritt im Bildungsbereich ist, dass der Anteil von schwarzen und weißen Jugendlichen, die regelmäßig eine Schule besuchten, heute praktisch gleich hoch ist. Die Rate der schwarzen Schüler, die einen Highschool-Abschluss erwerben, stieg zudem seit 1964 von 25 auf 75 Prozent, und die Rate derjenigen Afroamerikaner, denen es gelang, ein Hochschulstudium abzuschließen, von fünf auf 22 Prozent.

Auch im Gesundheitssektor gibt es spürbare Verbesserungen: 2017 verfügten – unter anderem wegen der Gesundheitsreform von Obama – fast 75 Prozent der schwarzen Bevölkerung über eine Krankenversicherung. 1960 waren es weniger als ein Drittel. Und die Kindersterblichkeitsrate unter der schwarzen Bevölkerung ist seit 1960 um die Hälfte zurückgegangen. Während damals noch die Hälfte aller Afroamerikaner unterhalb der Armutsgrenze lebte, betrifft dies jetzt "nur" noch ein Viertel, und die Arbeitslosenrate ist mit knapp sieben Prozent auf dem niedrigsten Stand seit 50 Jahren. Nicht zuletzt aufgrund des erhöhten Bildungsniveaus gibt es inzwischen auch eine aufstrebende schwarze Mittelklasse, und während es vor 50 Jahren nur relativ wenig reiche Afroamerikaner gab, leben jetzt mehr als 35.000 schwarze Millionäre in den USA.

Im Bereich der Justiz beziehungsweise der Strafverfolgung hat es einige, wenn auch weniger beeindruckende Fortschritte gegeben. So ist man heute verstärkt darum bemüht, Diskriminierung bei Prozessen zu vermeiden, insbesondere bei der Auswahl der in den USA für Strafprozesse notwendigen Jurymitglieder. Außerdem hat sich die Anzahl der schwarzen Richter seit den 1960er Jahren stark erhöht, und bei der Polizei gibt es heute wesentlich mehr afroamerikanische Angestellte als früher, wodurch in einigen Städten ein spürbarer Rückgang von Polizeibrutalität gegenüber Minderheiten verzeichnet werden konnte.

Verbesserungen in Kultur und Sport

Die größten Fortschritte in Bezug auf den Aufstieg, die Gleichberechtigung und Anerkennung von Afroamerikanern hat es vermutlich in den Bereichen Sport und Kultur gegeben. Viele der schwarzen Medien- und Sport-Superstars haben nicht nur beachtlichen finanziellen Wohlstand erreicht, sondern erfreuen sich auch beim weißen Publikum größter Popularität. Hierzu zählen Schauspieler wie Denzel Washington, Halle Berry oder Will Smith, Sportlegenden wie Michael Jordan, die Williams-Schwestern oder Tiger Woods, klassische Musiker wie Wynton und Branford Marsalis oder Jessye Norman und Sänger wie Queen Latifah, Beyoncé, Jay-Z oder Kanye West. Außerdem hat sich die genuin afroamerikanische Kunstform des Rap nicht nur zu einem Milliardengeschäft entwickelt, sondern auch die Musikkultur der jüngeren Generation weltweit nachhaltig geprägt.

Darüber hinaus wird schwarzer Geschichte und Kultur deutlich mehr Interesse entgegengebracht und Respekt gezollt als noch vor wenigen Jahren. So gehört die Geschichte der Sklaverei und Segregation zum Curriculum im Geschichtsunterricht aller öffentlichen Schulen, und es gibt an fast allen Universitäten eigene African American Studies Departments. Seit den 1980er Jahren wird an jedem dritten Montag im Januar, dem Martin Luther King Jr. Day, King und der Bürgerrechtsbewegung gedacht. Schließlich ist auch die Tatsache, dass eine Mehrheit der US-Bürger 2008 und 2012 einen Afroamerikaner in das höchste Amt ihrer Nation wählte, ein nicht zu vernachlässigendes Indiz für eine Verbesserung in den US-amerikanischen Rassenbeziehungen.

Aufgrund der bislang genannten Fakten und Entwicklungen könnte man nun durchaus denken, dass sich der Traum von Martin Luther King Jr. bereits weitgehend erfüllt hätte. Aber diese positive Bilanz ist nur eine Seite der Medaille. Auf der Kehrseite gibt es nach wie vor eine Reihe von Defiziten und Problemen in nahezu allen der oben genannten Bereiche, die nicht unberücksichtigt bleiben dürfen.

Defizite im Bereich der politischen Repräsentation

Die Gesamtsumme von gut 10.000 afroamerikanischen gewählten Amtsinhabern macht weniger als zwei Prozent aller gewählten Amtsinhaber in den USA aus. Es gibt zurzeit keinen einzigen schwarzen Gouverneur, nur zwei schwarze US-Senatoren, und auch die Tatsache, dass US-Präsident Donald Trump nur ein einziges afroamerikanisches Kabinettsmitglied hat, den Minister für Hausbau und Stadtentwicklung Ben Carson, zeigt, dass die afroamerikanische Bevölkerung weit von einer Parität der politischen Repräsentation entfernt ist.

Dies hat zum Teil strukturelle Gründe; etwa das Mehrheitswahlrecht, das sich im Vergleich zum Verhältniswahlrecht eher nachteilig auf die Repräsentation von Minderheiten auswirkt. Dazu kommt die Präferenz vieler weißer Amerikaner, vor allem im Süden, nur für weiße Kandidaten zu stimmen. Außerdem gibt es immer noch Fälle von direkter Diskriminierung schwarzer Wähler: So wurden etwa bei der Präsidentschaftswahl in Florida 2000 mehr als 20.000 Afroamerikaner kurz vor der Wahl unrechtmäßig von den Wählerregistrationslisten gestrichen. Eine später als "bedauerlicher Fehler" bezeichnete Aktion, für die Floridas Gouverneur Jeb Bush jede Verantwortung von sich wies, die jedoch für den Wahlsieg seines Bruders George W. Bush von entscheidender Bedeutung war.

Neben Schwierigkeiten bei der Ausübung ihres Wahlrechts ist für viele schwarze Amerikaner frustrierend, dass trotz der genannten Fortschritte viele für sie wichtige Gesetzesvorlagen bis heute nicht verabschiedet wurden. Dazu zählen zum Beispiel eine bereits von King geforderte Economic Bill of Rights, die das Recht auf eine staatliche Grundversorgung eingerichtet hätte, oder der Racial Justice Act als Maßnahme gegen Rassendiskriminierung im Justizwesen. Nicht nur, aber auch wegen des Scheiterns dieser und anderer politischen Bemühungen zur Förderung sozialer Gerechtigkeit gibt es in vielen Lebensbereichen weiterhin eklatante Unterschiede in den Lebensbedingungen schwarzer und weißer Amerikaner.

Benachteiligung im sozialen und wirtschaftlichen Bereich

Im Bildungsbereich stellt vor allem die immer noch existierende Rassentrennung an Schulen ein gravierendes Problem dar: Zum einem liegt das an der de facto Segregation der Wohnbezirke, zum anderen am Nachlassen staatlicher Förderungsmaßnahmen zur Integration seit Ende der 1980er Jahre. So ist der Anteil schwarzer Schüler, die im Süden der USA integrierte Schulen besuchen, von 1964 bis 1990 zwar von drei auf 45 Prozent gestiegen, jedoch mittlerweile wieder auf unter 25 Prozent gesunken. Bundesweit besuchen heute rund 70 Prozent der afroamerikanischen Jugendlichen Bildungseinrichtungen, in denen es kaum weiße Mitschüler gibt. Da diese Schulen oft in einkommensschwachen Gebieten liegen und amerikanische Schulen aus lokalen Steuermitteln finanziert werden, sind sie meist chronisch unterfinanziert und die Bildungsmöglichkeiten entsprechend schlecht. Die Abbruchquote bei Schülern ist darum bei Afroamerikanern deutlich höher als bei ihren weißen Mitschülern, und die Rate schwarzer Hochschulabsolventen mit 22 Prozent liegt auch heute noch deutlich unter der Rate weißer Amerikaner (33 Prozent).

Ein Viertel aller Afroamerikaner lebt ohne jegliche Krankenversicherung, und viele weitere haben nur einen unvollständigen Versicherungsschutz. Dies trägt wiederum dazu bei, dass die Kindersterblichkeitsrate doppelt so hoch ist wie die weißer Kinder. Aufgrund von Bildungsmangel, Armut und ungesunder Ernährung leiden Afroamerikaner auch besonders häufig unter Krankheiten wie Übergewicht, Herzinsuffizienz oder Diabetes, außerdem sind 44 Prozent aller HIV-Infizierten Afroamerikaner. Nicht zuletzt deswegen liegt die durchschnittliche Lebenserwartung weißer Amerikaner um gut sechs Jahre über der von Afroamerikanern.

Zur Einkommenssituation ist anzumerken, dass trotz des derzeitigen Rekordtiefs der Arbeitslosenrate der schwarzen Bevölkerung sie von den 1950er Jahren bis heute konstant ungefähr doppelt so hoch gewesen ist wie die der weißen Amerikaner. Dies liegt zum Teil an der schlechteren Ausbildung schwarzer Jugendlicher, zum Teil aber auch daran, dass es bei vielen Firmen weiterhin belegbare Präferenzen für weiße Amerikaner bei Einstellungsverfahren gibt, insbesondere bei männlichen Bewerbern. Das Durchschnittseinkommen einer vierköpfigen schwarzen Familie betrug 2016 64 Prozent des Einkommens einer gleich großen weißen Familie. Der durchschnittliche Gesamtbesitz einer weißen Familie in den USA liegt fast zehnmal so hoch wie der einer afroamerikanischen Familie. Auch ist anzumerken, dass ein Viertel aller Afroamerikaner unterhalb der Armutsgrenze lebt, und die Armutsrate schwarzer Kinder mit 37 Prozent sogar mehr als dreimal so hoch ist wie die weißer Kinder.

Neben anderen Faktoren führen Arbeitslosigkeit und Armut oft zu Drogensucht und Kriminalität. So ist es eine traurige Tatsache, dass sich heute fast ein Viertel aller afroamerikanischen Männer zwischen 18 und 28 Jahren in einer Haftanstalt befindet oder eine Bewährungsstrafe verbüßt. Dies ist nicht nur auf die relativ hohe Kriminalitätsrate schwarzer Jugendlicher zurückzuführen, sondern auch darauf, dass straffällig gewordene Afroamerikaner sich selten gute Anwälte leisten können und in den USA auch nicht gewalttätige Drogendelikte oft mit langen Gefängnisstrafen geahndet werden. Die USA haben mit fünf Prozent der Bevölkerung zurzeit die höchste Inhaftierungsquote der Welt. Afroamerikaner werden doppelt so oft wegen Drogenvergehens verhaftetet, obwohl Studien nachweisen, dass sie weder häufiger illegale Drogen konsumieren noch häufiger mit diesen handeln als weiße Amerikaner. Außerdem wird der Besitz beziehungsweise Handel mit bestimmten Drogen, die bevorzugt in schwarzen Ghettos konsumiert werden (Crack Cocaine), härter bestraft als der von primär in der weißen Mittelschicht benutzten Rauschmitteln (Powder Cocaine).

Die Hautfarbe von Opfer und Täter spielt ebenfalls eine große Rolle bei der Verurteilung in Mordfällen, insbesondere im Süden der USA. So wurde nachgewiesen, dass in den USA schwarze Mörder mit einem weißen Opfer viermal so oft zum Tode verurteilt werden wie weiße Mörder mit schwarzen Opfern. Über 40 Prozent aller in den Todeszellen auf ihre Hinrichtung wartenden US-Amerikaner sind Schwarze (bei einem Bevölkerungsanteil von knapp 13 Prozent). So wundert es nicht, dass Bürgerrechtsorganisationen in den USA weiterhin für einen besseren Schutz vor Rassendiskriminierung im Justizsystem kämpfen.

Offensichtlich haben es seit dem Tod Kings viele Mitglieder der schwarzen Mittelklasse zwar geschafft, die sozioökonomische Situation ihrer Familien nachhaltig zu verbessern, aber auf die Mehrheit der schwarzen Bevölkerung trifft dies nicht zu. Seitdem die gesetzliche Gleichstellung der Schwarzen in den 1960er Jahren vollzogen wurde, ist es zunehmend schwieriger geworden, die Faktoren "Rasse" und "soziale Klasse" klar voneinander zu trennen. Das Problem der schwarzen Armut, insbesondere der sogenannten urban underclass, ist sehr komplex. Es hängt zum einen mit Globalisierungsprozessen und wirtschaftlichem Strukturwandel zusammen, zum anderen mit systeminhärenter oder persönlicher Rassendiskriminierung.

Ein noch schwerwiegenderes Problem im Kampf gegen die desolate Situation der schwarzen Unterschicht liegt darin, dass weitreichende, fundamentale Veränderungen in der wirtschaftlichen und sozialen Struktur der USA nötig wären, um in diesem Bereich wirklich nachhaltige Verbesserungen zu erzielen. Schon King hatte 1967 deshalb eine "Revolution der Werte", eine radikale Umkehr der gesellschaftlichen Prioritätensetzung, gefordert. Aber die meisten weißen Amerikaner, welche die Nutznießer des gegenwärtigen Systems sind, lehnen solche Veränderungen ab. Auch der durch Obama errungene Teilerfolg eines neuen nationalen Krankenversicherungssystems wird seit seiner Einrichtung von weißen Konservativen vehement kritisiert und bekämpft.

Probleme im Bereich der Rassenbeziehungen

Zwar gibt es große Fortschritte in den Bereichen Kultur und Sport, aber in den Rassenbeziehungen insgesamt herrscht heute fast genauso viel Misstrauen, Spannung und Aggression wie zu Lebzeiten Kings. Daran hat auch die Wahl des ersten afroamerikanischen Präsidenten nichts geändert. Es sei auch darauf hingewiesen, dass Barack Obama vermutlich von einer Mehrheit der weißen US-Amerikaner nicht gewählt worden wäre, wenn er keine weiße Mutter gehabt hätte und nicht von weißen Großeltern aufgezogen worden wäre. Es war gerade sein Status als biracial Amerikaner, der ihn für viele Wähler attraktiv machte, da sie hofften, er könne als Brückenbauer zwischen beiden Gruppen wirken und eine Verbesserung der Rassenbeziehungen herbeiführen. Trotz aller Bemühungen Obamas und seiner Familie hat sich diese Hoffnung leider kaum erfüllt.

Wie die immer dominanter werdende Opposition zu affirmative action und deren fast völlige Abschaffung zeigt, ist eine Mehrheit der weißen Amerikaner seit Ende des 20. Jahrhunderts der Meinung, dass Afroamerikaner heutzutage keinen Anspruch auf Bevorzugungen in der Ausbildung oder im Berufsleben mehr haben sollten. Sie glauben, dass 30 Jahre affirmative action ausreichend gewesen sind, um die Folgen von 300 Jahren Sklaverei und Segregation zu überwinden. Diese Ansicht wird allerdings von einer großen Mehrheit der schwarzen Amerikaner nicht geteilt. Laut aktuellen Umfragen halten rund 80 Prozent der Afroamerikaner Rassendiskriminierung in den USA für ein gravierendes Problem, und 61 Prozent schätzen die Rassenbeziehungen als "generell schlecht" ein. Dem stimmen nur 45 Prozent der Weißen zu, die außerdem der Ansicht sind, dass man dieser Frage zu viel öffentliche Aufmerksamkeit schenkt. Letzteres sehen 78 Prozent der Afroamerikaner genau andersherum. Die einzige mehrheitlich gemeinsame Überzeugung beider Seiten besteht darin, dass die Rassenbeziehungen in den USA sich in den vergangenen Jahren wieder verschlechtert haben.

Der Grund für diese unterschiedlichen Einschätzungen liegt darin, dass die meisten schwarzen und weißen US-Bürger in verschiedenen Welten leben. Trotz der Abschaffung der gesetzlichen Segregation wohnt die große Mehrheit beider Gruppen in separaten Wohngebieten und besucht verschiedene Bildungseinrichtungen. Die Integration im Berufsleben hat zwar Fortschritte gemacht, aber nach der Arbeit gehen schwarze und weiße Kollegen fast immer getrennte Wege. Mit Ausnahme der Bereiche Sport und Musik gibt es im täglichen Leben nur wenige Berührungspunkte zwischen beiden Gruppen. Dies wird auch daran deutlich, dass die Rate von schwarz-weißen Eheschließungen immer noch mit Abstand die kleinste aller Interracial-Lebensgemeinschaften ist – nur 0,4 Prozent der weißen Amerikaner haben einen afroamerikanischen Ehepartner.

Neben allgemeinen Vorurteilen gibt es zudem zahlreiche konkrete Konflikte in den Beziehungen zwischen schwarzen und weißen US-Amerikanern. Zwar ist die Anzahl der jährlich begangenen sogenannten hate crimes, das heißt der rassistisch motivierten Gewaltverbrechen, seit den 1960er Jahren zurückgegangen, aber Polizeibrutalität und die Tötung unbewaffneter junger schwarzer Männer durch weiße Polizisten oder selbsternannte "Ordnungshüter" ist ein nach wie vor gravierendes Problem. Während der Amtszeit von Obama häuften sich solche Fälle sogar. Dabei erregten besonders die Tötung des 17-jährigen Trayvon Martin in Sanford, Florida, 2012 und die des 18-jährigen Michael Brown in Ferguson, Missouri, 2014 große öffentliche Empörung, nicht nur in den USA, sondern auch weltweit, zumal beide Täter vom Gericht nicht schuldig gesprochen wurden. Die nationale Protestbewegung gegen den Freispruch des weißen Polizisten, der Brown von hinten in den Rücken geschossen hatte, mündete schließlich in der Bewegung Black Lives Matter (BLM), einer von Millionen von Schwarzen, aber auch vielen progressiven Weißen unterstützten Initiative gegen Rassismus und Polizeibrutalität. BLM hat ohne Zweifel die Aufmerksamkeit der Medien sowie das Problembewusstsein der Öffentlichkeit für Gewalt gegen Schwarze erhöht, aber ob dies langfristig zu einer Verbesserung der Situation führen wird, bleibt abzuwarten.

Außerdem scheint die Tatsache, dass mit Barack Obama ein Schwarzer die letzte bis dahin nur Weißen vorbehaltene Bastion der amerikanischen Macht – das Weiße Haus – einnahm sowie der öffentlichkeitswirksame Protest der BLM-Bewegung eine neue Welle des white backlash ausgelöst zu haben. So kam es in den vergangenen zwei Jahren wieder zu einem Anstieg von rassistischen Verbrechen, die ein schon lange nicht mehr gesehenes Maß von Hass und Brutalität aufwiesen. Im Juni 2015 betrat beispielsweise der damals 21-jährige white supremacist Dylann Roof die Emanuel African Methodist Episcopal Church, eine der ältesten afroamerikanischen Kirchen in Charleston, South Carolina, und tat so, als wolle er am Gottesdienst teilnehmen. Einige Minuten später zückte er eine Waffe und erschoss neun der schwarzen Betenden und verletzte drei weitere schwer. Seine Intention hierbei war laut eigener Aussage, einen "Rassenkrieg" zu provozieren.

Als unmittelbare Reaktion auf diese entsetzliche Tat beschloss das Parlament von South Carolina, die Konföderiertenflagge, die Fahne unter der die weißen Südstaatler während des Bürgerkriegs für den Erhalt der Sklaverei gekämpft hatten, von ihrem Ehrenplatz vor dem Kapitol entfernen zu lassen. Damit kamen sie einer schon lange von Bürgerrechtsorganisationen und der BLM-Bewegung erhobenen Forderung nach. Viele andere Städte und Staatsparlamente reagierten ähnlich, und neben der Entfernung der umstrittenen Konföderiertenflaggen wurden seit 2015 an vielen Orten der USA inzwischen Statuen und Monumente demontiert sowie Straßen, Gebäude und Plätze umbenannt, die Generäle der Südstaaten ehrten. Eine steigende Anzahl von US-Amerikanern lehnt mittlerweile ab, dass in ihrem Land öffentlich Personen geehrt werden, die sich vor 150 Jahren in einem Krieg gegen die Regierung der USA profilierten, weil sie Afroamerikaner für minderwertig hielten und die Sklaverei nicht aufgeben wollten.

Diese Entwicklung erzürnte weiße Rechtsradikale noch mehr: Im August 2017 organisierten Rechtsextreme in Charlottesville, Virginia, eine große Demonstration, bei der Neonazis, Ku-Klux-Klan-Mitglieder und ihre Sympathisanten gegen den ihrer Ansicht nach viel zu großen Einfluss von Afroamerikanern und anderen Minderheiten in den USA protestierten. Hierbei lieferten sie sich gewalttätige Auseinandersetzungen mit Gegendemonstranten, in deren Verlauf drei Menschen starben und mehr als 30 schwer verletzt wurden. Seither gab es zahlreiche weitere, wenn auch weniger blutige Demonstrationen beider Seiten. Eine wirklich nachhaltige Verbesserung der Rassenbeziehungen in den USA kann somit auch im Jahr 2018 nicht festgestellt werden.

Schluss

Es hat seit den 1960er Jahren viele beachtliche Fortschritte in der politischen, ökonomischen und sozialen Situation der afroamerikanischen Bevölkerung gegeben, und vor allem die Mitglieder der aufstrebenden schwarzen Mittelklasse genießen heutzutage nahezu den gleichen Zugang zu den Aufstiegschancen der amerikanischen Gesellschaft wie weiße US-Bürger. Aber für viele andere Afroamerikaner, insbesondere die Mitglieder der urban underclass, trifft dies nicht zu. Sie bleiben oft Zeit ihres Lebens in einem Teufelskreis von struktureller Benachteiligung, Arbeitslosigkeit, Drogensucht und Armut gefangen. Außerdem ist in gewissen Teilen der weißen Bevölkerung ein aggressiver, gewaltbereiter Rassismus immer noch tief verankert und stellt eine allgegenwärtige Bedrohung für alle Afroamerikaner dar.

Die Vereinigten Staaten von Amerika sind darum trotz vieler positiver Veränderungen auch 50 Jahre nach dem Tod von Martin Luther King Jr. immer noch weit von der Erfüllung seines Traums von Gleichberechtigung, sozialer Gerechtigkeit und einem respektvollen, friedlichen Zusammenleben aller Bevölkerungsgruppen entfernt. Aber das Vermächtnis Kings lebt weiter: als gesamtgesellschaftliche Herausforderung, Rassenhass, Diskriminierung, Armut und Gewalt zu überwinden, und als Aufgabe für jeden Einzelnen sich, allen Widerständen zum Trotz, für eine humane, gerechte Gesellschaft einzusetzen – und dies nicht nur in den USA.

ist Professorin für die Geschichte des Europäisch-Transatlantischen Kulturraums an der Philologisch-Historischen Fakultät Augsburg. Ihre Forschungsschwerpunkte sind transatlantische Beziehungen, afroamerikanische Geschichte und Religionsgeschichte. E-Mail Link: waldschmidt-nelson@philhist.uni-augsburg.de