Als im November 2008 Barack Obama zum 44. Präsident der Vereinigten Staaten gewählt wurde, glaubten viele, eine neue Zeit sei angebrochen. Von einer postethnischen und postrassischen Gesellschaft war die Rede.
Vertragsknechte, Kriegsgefangene und Sklaven
Alles begann in den 1610er Jahren in den englischen Plantagenkolonien rund um die Chesapeake Bay, den heutigen Bundesstaaten Maryland und Virginia. Da es in Nordamerika keine Gold- und Silbervorkommen gab, deren Ausbeutung sich gelohnt hätte, standen, neben dem ertragreichen Fellhandel, sogenannte cash crops ("Bargeld-Pflanzen") im Mittelpunkt der kolonialen Wirtschaft, die für den imperialen Markt des Mutterlandes hergestellt wurden.
Wegen des subtropischen Klimas und des Arbeitskräftemangels, aber auch, um die Produktionskosten möglichst niedrig zu halten, griffen die Pflanzer anfangs auf indianische Sklaven zurück. Ein Modell, das sich jedoch nicht bewährte: Die ortskundigen Indianer verschwanden fast ebenso schnell, wie sie eingefangen wurden. Deshalb griff man auf das System der indentured servitude (Vertragsknechtschaft) zurück.
Sklaven waren rechtloser und billiger als die Leibeigenen auf Zeit. Bald wurde der englisch-britische Sklavenhandel zu einem etablierten Bestandteil des Dreieckshandels zwischen Europa, Afrika und Amerika.
Obwohl die Diskussion über die ökonomische Effizienz von Sklavenhalterwirtschaften noch keineswegs beendet ist, muss man festhalten, dass im frühen 19. Jahrhundert die nordamerikanischen Sklavenhalter zu den reichsten Menschen der Welt zählten, da die von ihnen produzierte Baumwolle inzwischen den Weltmarkt beherrscht hatte.
One-drop rule
So umstritten zentrale Fragen zur Sklaverei auf dem nordamerikanischen Festland auch sein mögen, in zwei Problemkomplexen, die für das Verhältnis von schwarzen und weißen US-Amerikanern von bleibender Bedeutung sind, herrscht weitgehend Konsens: Erstens handelte es sich bei der Sklaverei in den britischen Kolonien und den USA um chattel slavery, also eine Form der Sklaverei, die sich von älteren Formen der Leibeigenschaft und Hörigkeit nicht nur durch die Adaption von globalisierten kapitalistischen Produktionsweisen und Marktverhältnissen auszeichnete, sondern die obendrein an der Rechtsfiktion festhielt, dass Sklaven keine humane Personalität besäßen, sondern reine Sachen wären.
Damit verband sich zweitens der strikt rassistische Charakter der Sklaverei im Süden der USA.
Im Laufe der 1840er und 1850er Jahre etablierte sich eine essenzialistische Zuschreibung fester Rassencharakteristika in den USA – im Norden und Süden. Schwarze, die zuvor wegen angeblicher kultureller Defizite als bloß rückständig und unzivilisiert gegolten hatten, wurden nun als minderwertige Menschen zweiter Klasse definiert. Selbst eine bessere Bildung, wie sie die Aufklärer des späten 18. Jahrhunderts für angebracht gehalten hatten, erschien mithin als vergebliche Liebesmüh. Einzig wenige evangelikale Sklavenhalter hielten es im Interesse des jenseitigen Seelenheils ihrer Sklaven für angebracht, ihnen gegen das Gesetz das Lesen der Bibel beizubringen, während sich im Gegensatz dazu viele südstaatliche evangelikale Pfarrer weigerten, schwarze Kinder zu taufen. Als biblische Begründung diente die Verfluchung Hams und Kanaans durch Noah in Genesis 9,25.
Ab den 1860er Jahren fiel dem Sozialdarwinismus die Begründungsfunktion für den weltanschaulichen Rassismus zu. Mit der Lehre von den unabänderlichen Rassecharakteristika setzte sich im Süden die Vorstellung vom naturhaft devoten "Sambo"
Aber selbst die Gegner der Sklaverei, viele Liberale, aufgeklärte Philanthropen, vor allem aber radikale nordstaatliche Evangelikale und Quäker (die ersten Abolitionisten überhaupt), blieben nicht frei von rassistischen Vorurteilen und Stereotypen. Sie strebten zwar aus religiösen, ethischen und wirtschaftlichen Gründen ein Ende der Sklaverei an, viele von ihnen aber hätten es nur zu gerne gesehen, wenn im Anschluss an die künftige Emanzipation alle Schwarzen nach Afrika "zurückgekehrt" wären. Die Gründung des liberianischen Freistaates an der Westküste Afrikas in den 1820er Jahren durch die American Colonization Society, der auch viele Sklavenhalter angehörten, verdankte sich dieser Hoffnung.
Black Community, Abolitionismus und Antiabolitionismus
Noch zu Zeiten der Sklaverei entstand ab dem ausgehenden 18. Jahrhundert die black community. Als Zentren dienten zum einen freie Schwarze, vor allem Pfarrer der evangelikalen black church, zum anderen Sklaven, die – wie etwa Kutscher oder Hausdiener – über ein gewisses Maß an Beweglichkeit verfügten und Nachrichten von Plantage zu Plantage verbreiten konnten. Auf Großplantagen organisierten die Sklaven außerdem nachts ein afrikanisch-synkretistisch geprägtes religiöses und kulturelles Eigenleben mit afrikanischer Musik, Gesängen und Zeremonien. Es gelang den Sklaven sogar, so etwas wie ein geregeltes Familienleben mit eigenen Hochzeitszeremonien aufrechtzuerhalten, das indes durch die zahllosen Vergewaltigungen schwarzer Frauen durch Sklavenhalter und Aufseher sowie durch den ungehemmten Verkauf schwarzer Familienmitglieder erheblich beeinträchtigt wurde.
Daneben formierte sich Widerstand: Aufstände, wie der von Denmark Vesey 1823 und Nat Turner 1831, waren selten. Dafür finden sich Belege von Sabotage, Brandstiftung, Giftanschlägen und Morden. Viele schwarze Mütter trieben ihren Nachwuchs ab, um ihm das Schicksal der Sklaverei zu ersparen.
Bereits in der Amerikanischen Revolution (1765–1783) hatte die Sklavenfrage zu Unstimmigkeiten und politischen Friktionen geführt. Nicht dass die Emanzipation der Sklaven für irgendeinen Revolutionär im Zentrum seiner Überlegungen gestanden hatte – im Gegenteil. Eines der ersten Opfer der Revolutionäre in South Carolina war ein freier Schwarzer gewesen, der Kaufmann Thomas Jeremiah.
Ab den 1820er Jahren intensivierte sich die daraus resultierende Krise, die schließlich in den 1830er Jahren definitiv seitens der Antiabolitionisten in Gewalt umschlug, als 1837 der erste Abolitionist im Mittelwesten gelyncht wurde. Um 1830 kam der radikale Abolitionismus auf, der eine sofortige und entschädigungslose Freilassung aller Sklaven forderte.
Lincoln hatte ursprünglich nur die Ausdehnung der Sklaverei in den Westen verhindern wollen, nahm dann aber die Sezession zum Anlass, am 1. Januar 1863 mit der Emanzipationsproklamation die Sklaverei in den abtrünnigen Gebieten aufzuheben. Dies befreite zwar faktisch erst einmal keinen einzigen Sklaven, führte aber alsbald zu einer Massenflucht von den Plantagen. Gerade diese Massenflucht erbitterte die Sklavenhalter, die sich stets als mildtätige, paternalistisch-wohlwollende Herren gesehen hatten. Hinzu kam bei Lincoln unter dem Eindruck des führenden schwarzen Intellektuellen seiner Zeit, Frederick Douglass, ein Meinungswandel, der nicht allein die Emanzipation, sondern auch die bürgerliche Gleichstellung der befreiten Schwarzen anstrebte. Nach dem Mord an Lincoln 1865 nahmen die radikalen Republikaner diese Position auf und garantierten den Schwarzen neben der Freiheit Bürgerrechte und Wahlrecht. Daraufhin koalierte die liberale weiße Frauenbewegung mit rassistischen Demokraten, um mit den Frauen ein Gegengewicht zu den Stimmen der Schwarzen zu bilden.
Reconstruction, Jim-Crow-Gesetze und Lynchjustiz
Die befreiten Schwarzen versuchten, ihre teilweise in alle Winde zerstreuten Familien zu sammeln und neu aufzubauen,
Die Weißen im Süden reagierten auf diese Partizipationsversuche der Schwarzen mit rechtlicher Ausgrenzung: den black codes, die zugleich die ökonomische Abhängigkeit von den weißen Großgrundbesitzern durch das System des sharecropping zementierten. Schwarze erhielten mehrheitlich keine Bewegungsfreiheit und mussten für dieselben Herren arbeiten wie zu Zeiten der Sklaverei. Da die liberalen Republikaner nicht bereit waren, die Eigentumsverhältnisse im Süden zu verändern, kehrten die Großgrundbesitzer rasch an die Macht zurück. Ihre nominell freien Arbeiter wurden schlecht bezahlt und in permanenter wirtschaftlicher Abhängigkeit gehalten. So waren sie verpflichtet, Güter des alltäglichen Bedarfs in den Warenhäusern der Grundbesitzer zu überteuerten Preisen einzukaufen und deswegen beständig neue Kredite aufzunehmen.
Begleitet wurden diese Maßnahmen von einer entsetzlichen Gewaltkultur. Allein 1868 brachten der Ku-Klux-Klan und verwandte Terrororganisationen im tiefen Süden weit über tausend Republikaner und freie Schwarze um. Diese Massaker zogen sich bis 1873 hin, ehe das militärische Eingreifen der Unionsgruppen die gewaltsame Opposition gegen die Reconstruction-Regimes beendete.
Der solid south mit seinem auf die Demokratische Partei gegründeten Einparteienregime entstand.
Dies war Ausdruck und Folge der weiterhin außerordentlichen Brutalität, mit der die Rassentrennung durchgesetzt wurde. Zwischen 1890 und 1920 wurden über 3.000 schwarze Männer, nicht selten wegen des imaginierten Vorwurfs der Vergewaltigung, rituell gelyncht. In aller Öffentlichkeit wurden sie gefoltert, getötet, zerstückelt, verbrannt und Körperteile verkauft. Man nahm sogar Eintrittspreise zu diesen keineswegs spontanen Ereignissen. Die Justiz des Südens akzeptierte diese Formen extralegaler Volksgewalt vorbehaltlos. Erst als ab den 1920er Jahren vermehrt Schwarze legal (und bis 1935 öffentlich) hingerichtet wurden, ging die Zahl der lynchings deutlich zurück, um dann im Kampf gegen die Bürgerrechtsbewegung der 1950er und 1960er Jahre wieder zuzunehmen.
Die Gewaltkultur des Südens vermochte es indes nicht, die Rassensegregation auf Dauer aufrechtzuerhalten. Insbesondere zwang die ökonomische Entwicklung zum Umdenken. Um 1916 begann, vor dem Hintergrund des sich abzeichnenden Eintritts der USA in den Ersten Weltkrieg und die damit verknüpften Rüstungsanstrengungen, die sogenannte Große Migration vieler Schwarzer in den industrialisierten Norden.
Schwarze Bürgerrechtsbewegung
Auf diese Weise entstanden die ersten Bürgerrechtsorganisationen, etwa 1909 die National Association for the Advancement of Colored People (NAACP), kurz darauf die sehr moderate National Urban League (NUL) sowie schwarze Gewerkschaften.
Dies war allerdings mit Spaltungen und Fraktionsbildungen verbunden: Unter dem Einfluss von Du Bois gründete Marcus Garvey die United Negro Improvement Association (UNIA), die in Abgrenzung zum liberalen, auf Integration bedachten Universalismus der NAACP einem schwarzen, panafrikanisch-äthiopistischen Nationalismus huldigte.
Mit den beiden Weltkriegen nahm die schwarze Bürgerrechtsbewegung Fahrt auf. Nach dem Ersten Weltkrieg waren viele schwarze Veteranen empört, dass sie von den Franzosen besser behandelt wurden als von ihren Vorgesetzten. Zudem kam es 1918 und 1919 wiederholt zu lynchings an schwarzen Veteranen, die im Süden in Uniform wählen gehen wollten. Der Zweite Weltkrieg war noch weitaus entscheidender. Außerhalb des Südens ließ sich der Öffentlichkeit nicht mehr erklären, warum man gegen den nationalsozialistischen Rassenwahn zu Felde zog, im eigenen Land die Schwarzen aber aus offen rassistischen Motiven unterdrückte. Hinzu kam ab 1947 der Kalte Krieg und in den 1950er Jahren die Dekolonisierung Afrikas. Die Sowjetunion zog aus der "Negerfrage"
Immerhin verfügte Präsident Harry S Truman 1948 die Desegregation der US-Armee, was jedoch im Vietnamkrieg der 1960er Jahre den Effekt hatte, dass nun nicht mehr schwarze Einheiten als erstes in feindliche Dörfer einrückten, um das feindliche Feuer auf sich zu ziehen, sondern die schwarzen Soldaten gemischter Einheiten. Außerdem erfreute sich nun plötzlich die lange aus der Öffentlichkeit verschwundene konföderierte Kriegsflagge der 1860er Jahre bei weißen Soldaten aus dem Süden größter Beliebtheit, die damit, unterstützt von ihren Politikern, gegen ihre schwarzen Kameraden demonstrierten.
1954 kam es zu einem folgenreichen Durchbruch, den so niemand, am allerwenigsten der moderat konservative Präsident Dwight D. Eisenhower, erwartet hatte: Der neu ernannte republikanische Vorsitzende des Obersten Gerichtshofs der Vereinigten Staaten, Earl Warren, erklärte am 17. Mai mit dem ersten Urteil im Fall "Brown v. Board of Education" den juristischen Grundsatz von "Plessy v. Ferguson" ("separate but equal") für verfassungswidrig. Die Südstaatensenatoren protestierten heftig, und die Bundesregierung tat erst einmal nichts, aber der Gerichtshof drängte nun auf Reformen, um die Rassensegregation zu beenden. Angesichts der Ineffizienz der Bundesregierung nahm die schwarze Bürgerrechtsbewegung im Süden den Kampf in die eigenen Hände: 1955 provozierte die NAACP-Sekretärin Rosa Parks ihre Verhaftung in einem Bus in Montgomery, Alabama, als sie sich weigerte, zugunsten eines Weißen aufzustehen. Die schwarze Bevölkerung reagierte mit einem massiven Boykott, an dessen Spitze sich der schwarze Klerus in der Southern Christian Leadership Conference stellte.
Eine Welle von lokalen Kämpfen gegen die Rassentrennung und die Jim-Crow-Gesetze sowie für ein integriertes Schulsystem überrollte den Süden. Schwarze und weiße Aktivisten aus dem Norden und Süden kämpften für das Wahlrecht der Schwarzen. Die weißen Südstaatler reagierten mit neuerlichen Gewaltexzessen gegen diese, wie sie es nannten, "second reconstruction". Die weiße Polizei setzte Tränengas und Hunde gegen Schulkinder ein. Immer wieder mussten Regierungstruppen oder die Nationalgarde die Ordnung wiederherstellen. Selbst das streng konservative FBI begann gegen Ende der Amtszeit von John F. Kennedy (1961–1963) auf Befehl des Justizministers Robert F. Kennedy, die Bürgerrechtsbewegung zu unterstützen. Am Ende war es Kennedys Nachfolger Lyndon B. Johnson, der als Südstaatler aus Texas 1964 den Civil Rights Act und 1965 den Voting Rights Act durchsetzte.
Noch 1965 begann die Abwanderung konservativer Südstaatendemokraten in die Republikanische Partei, wo sie in den 1990er Jahren dann die Mehrheit übernahmen. Der solide demokratische Süden wurde solide republikanisch, blieb aber konservativ. Dennoch zeitigten Bürgerrechtsbewegung und Bürgerrechtsgesetze im Süden die größten Erfolge. Der offene Rassismus der Segregationszeit brach zusammen. Problematischer war die Lage in den urbanen Zentren des Nordens, wo die Rassengrenzen fluider und verdeckter definiert waren und entsprechend die Frustration der Schwarzen groß war. Martin Luther Kings Gegenspieler Malcolm X symbolisierte diese Mischung aus Zorn und Frustration wie kein anderer. Er trat für den bewusst separatistischen Begriff "African-American" ein – anstelle des überkommenen, universalistisch-integrativ konnotierten Ausdrucks "American Negro". In den Städten kam es ab 1964 zu gewaltsamen Aufständen, die nach der Ermordung Martin Luther Kings und Robert F. Kennedys 1968 eskalierten. Anders als im Süden hatten hier nicht die liberalen Universalisten und die Kleriker der black church das Sagen, sondern schwarze Nationalisten und radikale Gruppen wie die Black Panther Party, die vom FBI mit gnadenloser Gewalt zerschlagen wurde.
Schluss
Trotz der unbestreitbaren Erfolge der Bürgerrechtsbewegung ab den 1930er Jahren blieb die color line für die amerikanische Gesellschaft konstitutiv. Gewiss, die schwarze Mittelklasse wurde breiter, entfernte sich aber auch geistig und materiell, zum Teil auch örtlich von der Masse der black community in den großstädtischen Slums oder den ländlichen Distrikten des Südens. Schwarze Politiker, Firmeninhaber, Akademiker, Polizisten und Kleriker teilen nicht mehr zwangsläufig die Lebenswelt der schwarzen Mehrheit, die wirtschaftlich, sozial, bildungspolitisch, am Arbeitsmarkt und gesundheitlich sowie im Lebensstandard hinter allen anderen amerikanischen Ethnien zurückbleibt, weil sie weiterhin strukturell durch offenen und verdeckten Rassismus sowie durch interne Fehlentwicklungen benachteiligt wird. Und so tragen die USA immer noch schwer am Erbe ihrer rassistischen Vergangenheit.