I. Erwerbsbeteiligung
Die Erwerbstätigkeit der Frauen in Europa ist immer von Ungleichheiten gegenüber jener der Männer geprägt. Allerdings ist das Ausmaß dieser Ungleichheiten in Europa höchst unterschiedlich: Am geringsten fallen die Unterschiede in den skandinavischen Ländern aus; Deutschland gehört in keinem Bereich zur Spitzengruppe, aber in etlichen zu den Schlusslichtern.
Die Erwerbs- und Beschäftigungsquoten von Frauen sind in Europa sehr unterschiedlich. Der Grund hierfür sind national unterschiedliche Gesetze und Regelungen in verschiedenen Politikbereichen, wie beispielsweise der Arbeitsmarkt-, Sozial- und Steuerpolitik.
Die geringste Differenz zwischen Männern und Frauen zeigt die Erwerbsquote von Schweden mit nur 4,8 Prozent (Männer: 81,1 Prozent, Frauen: 76,3 Prozent), die größte Italien mit 28,5 Prozent (Männer: 73,1 Prozent, Frauen: 44,6 Prozent) auf. Deutschland liegt mit 17,7 Prozent (Männer: 79,9 Prozent, Frauen: 62,2 Prozent) im Mittelfeld. Jedoch sind Erwerbsquoten allein nur begrenzt aussagekräftig. Vergleicht man Beschäftigungsquoten (Anteil der Beschäftigten an der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter zwischen 15 und 65 Jahren), zeigt Schweden die geringste Divergenz mit 2,9 Prozent (Männer: 72,6 Prozent, Frauen: 69,7 Prozent), die größte weist Griechenland mit 30 Prozent (Männer: 71,3 Prozent, Frauen: 41,3 Prozent) auf. Deutschland liegt mit einer Differenz von 14,9 Prozent (Männer: 72,7 Prozent, Frauen: 57,8 Prozent) im Mittelfeld. Betrachtet man die Beschäftigungsquoten im Zeitvergleich, nimmt Deutschland einen Schlussplatz ein. In Griechenland, Italien und Spanien ist der Anteil der Haushalte mit einem männlichen Alleinverdiener besonders hoch. Eine Ausnahme bildet Portugal mit deutlich höheren weiblichen Erwerbsquoten. Das niedrige Lohnniveau und das geringe Angebot an Teilzeitstellen - auch als Folge einer unzureichenden Entwicklung des Dienstleistungssektors - führen dazu, dass viele portugiesische Haushalte zwei vollzeitbeschäftigte Personen aufweisen.
II. Arbeitsvolumina
Das Arbeitsvolumen, das sich aus den Komponenten "Arbeitszeit" und "Beschäftigte" zusammensetzt, reflektiert zusammen mit den Indikatoren Erwerbsbeteiligung und Beschäftigungsquoten die reale Entwicklung der Beschäftigungssituation. Die Differenz zwischen der Beschäftigungsquote einerseits und der Beschäftigungsquote in Vollzeitäquivalenz andererseits ist bei den Männern EU-weit sehr gering. Der Grund hierfür ist der hohe Anteil an männlichen Vollzeitbeschäftigten. Bei den Frauen ist diese Differenz jedoch z. T. sehr groß - in den Niederlanden beträgt sie 25 Prozent -, weil viele Frauen mit niedriger Stundenzahl teilzeitbeschäftigt sind.
Der Frauenanteil am Vollzeitarbeitsvolumen in Deutschland ist zwischen 1991 und 2000 mit 34 Prozent fast konstant geblieben. In den neunziger Jahren ist bei steigenden Beschäftigtenzahlen von Frauen eine Reduzierung ihrer Arbeitszeit zu verzeichnen. Sowohl die Anzahl der Arbeitnehmer als auch das Arbeitsvolumen von Männern war hingegen gleichermaßen rückläufig. Der starke Anstieg der Beschäftigtenzahl bei Frauen ist also allein auf die entsprechende Zunahme im Teilzeitbereich zurückzuführen. Insgesamt war auch bei den Frauen die Beschäftigungsentwicklung rückläufig.
Mit Blick auf die Chancengleichheit der Geschlechter bleibt die Beurteilung der Beschäftigung für Deutschland also ambivalent. Positiv zu vermerken ist, dass mehr Frauen an der Erwerbsarbeit teilnehmen. Jedoch ist unter dem Aspekt einer gleichmäßigen Beteiligung von Männern und Frauen am Arbeitsvolumen (auch an der Haus- und Familienarbeit) kaum ein Fortschritt zu erkennen.
III. Arbeitszeitstrukturen
Die Arbeitszeitstrukturen sind in allen EU-Ländern stark geschlechtsspezifisch geprägt, jedoch ist das Niveau sehr unterschiedlich. Deutschland gehört zu den Ländern mit starker geschlechtsspezifischer Segmentierung (auch) der Erwerbsarbeitszeiten (vgl. Abbildung; s. PDF-Version).
In den Ländern, in denen die Beschäftigungsquote von Frauen niedrig ist, sind auch die Unterschiede zwischen den Arbeitszeiten von Männern und Frauen gering (Belgien, Griechenland, Italien, Spanien, Luxemburg). Mit Ausnahme von Irland gibt es keine Beispiele für eine Kombination von niedrigen Beschäftigungsquoten von Frauen und großen Arbeitszeitunterschieden zwischen Männern und Frauen. In Dänemark, Finnland und Schweden sind die Arbeitszeitdifferenzen zwischen den Geschlechtern gering und die Beschäftigungsquoten der Frauen hoch.
Generell sind die Arbeitszeitunterschiede darauf zurückzuführen, dass Männer aufgrund ihrer größeren Verfügbarkeit auf dem Arbeitsmarkt (als Folge ihrer geringeren Belastung mit unbezahlter Reproduktionsarbeit) und ihrer Rolle als (Haupt-) Ernährer der Familie auch mehr Überstunden leisten als Frauen. In vielen Ländern ist Teilzeitarbeit eine Form des Arbeitsmarktzutritts von Frauen. Nur in den Ländern mit guten Möglichkeiten zur Vereinbarung von Beruf und Familienarbeit können kürzere Arbeitszeiten von Frauen als Beleg dafür dienen, dass Eltern über bessere Wahlmöglichkeiten verfügen.
IV. Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit und Familienarbeit
Eine entscheidende Determinante für die Arbeitsmarktposition von Frauen ist die Möglichkeit, Erwerbstätigkeit und Familienarbeit miteinander zu verbinden. Die unterschiedlichen staatlichen Wohlfahrtsmuster und die verschiedenen Rollenmodelle in den europäischen Staaten führen zu einer sehr unterschiedlichen Ausstattung mit Kinderbetreuungseinrichtungen.
Die skandinavischen Länder verfügen über ein ausgebautes System der Kinderbetreuung und über Freistellungsmöglichkeiten. In Belgien und Frankreich fördert insbesondere Ersteres die gleichberechtigte Erwerbstätigkeit von Männern und Frauen. Die stärkere geschlechtsspezifische Segmentierung des Arbeitsmarktes, z. B. durch hohe Lohnunterschiede, führt aber hier zu geringeren Erwerbsquoten und Arbeitszeiten der Frauen als in den skandinavischen Ländern. In Österreich, Deutschland, den Niederlanden, im Vereinigten Königreich, Irland und Luxemburg ist die öffentliche Kinderbetreuung gering entwickelt.
Die fehlende Betreuungsinfrastruktur für kleine Kinder verhindert die gleichberechtigte Teilhabe von Müttern am Arbeitsmarkt: In Deutschland waren bei 52,3 Prozent der Paare mit kleinen Kindern Frauen nicht berufstätig. Gewünscht wurde dies aber nur von 5,7 Prozent der Betroffenen.
V. Erwerbseinkommen
In Deutschland beträgt der Abstand der Einkommen von Männern und Frauen immer noch 25 Prozent, und er hat sich über die Jahre kaum verringert. Die Unterschiede können allerdings nicht ausschließlich auf eine reine Entgeltdiskriminierung zurückgeführt werden; sie sind auch durch unterschiedliche Ausbildungen, Arbeitsinhalte und -verantwortung zu erklären, die wiederum z. T. durchaus auf Ungleichbehandlungen zurückgeführt werden können. Rechnet man diese heraus, liegt die geschlechtsbedingte Ungleichbehandlung beim Einkommen im Angestelltenbereich bei 15 Prozent; im Arbeiterbereich bei 16 Prozent.
Die Erwerbseinkommen der Mehrheit der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in Deutschland sind durch Tarifverträge geregelt. Hier werden die ersten Weichenstellungen für mögliche systematische Differenzen zwischen Männer- und Fraueneinkommen vorgenommen. Dazu gehören markante Unterschiede in der absoluten Höhe der Tarifeinkommen in typischen Männer- und Frauenbranchen, aber auch strukturelle Wirkungen der Lohn- und Gehaltsdifferenzierung durch die Berücksichtigung von Berufs- und Tätigkeitsjahren, Qualifikation, Tätigkeitsanforderungen, Leistungsgrad, besondere Belastbarkeit usw. Die Einkommensdifferenzierung der Tarifvergütungen setzt sich bei den Effektiveinkommen fort. Mehr Männer als Frauen erhalten Zulagen, und diese Zulagen machen bei Männern einen größeren Teil des Einkommens aus.
Vergleicht man die Einkommensunterschiede auf der Ebene der OECD, so liegt Deutschland im Mittelfeld; in Europa sind die Differenzen in allen nordischen Staaten, aber auch in Frankreich, Belgien, Luxemburg, den Niederlanden und Italien geringer.
VI. Arbeitslosigkeit
In fast allen europäischen Ländern sind Frauen stärker von Arbeitslosigkeit betroffen als Männer. In Deutschland spiegelt sich die Spaltung des Arbeitsmarktes in einen Männer- und Frauenarbeitsmarkt, aber auch in einen West- und Ostarbeitsmarkt in den Arbeitslosenzahlen wider. Große Unterschiede gibt es auch bei der Langzeitarbeitslosigkeit. Deutschland schneidet hier schlechter ab als der europäische Durchschnitt und liegt im unteren Drittel der EU-Länder. Die Wiederbeschäftigungschancen sind in Deutschland für Männer deutlich besser als für Frauen. Um das Arbeitsplatzdefizit einschätzen zu können, sind neben den offiziell arbeitslos Gemeldeten diejenigen Personengruppen hinzuzurechnen, die unfreiwillig nicht erwerbstätig sind, die so genannte Stille Reserve. Hier sind Frauen stark vertreten, da sie - allerdings unter anderen Bedingungen, als sie sie heute auf dem Arbeitsmarkt, bezogen auf die Betreuungsinfrastruktur, und in der Steuerpolitik vorfinden - Erwerbsarbeit, auch mit flexibleren Arbeitszeiten, wünschen.
VII. Steuerpolitik
Die Mehrheit der europäischen Länder verfügt über individualisierte Steuersysteme. In Deutschland hingegen lastet aufgrund des Ehegattensplittings auf dem niedrigeren Einkommen der gleiche Grenzsteuersatz wie auf dem in die Ehe eingebrachten höheren Einkommen. Somit treibt das Splitting Eheleute in die traditionelle Arbeitsteilung: Da der Bruttostundenlohn der Ehefrau i. d. R. niedriger ist als der des Ehemannes, erscheint es sinnvoll, die Familienaufgaben zwischen den Eheleuten ungleich aufzuteilen. Auf diese Weise wachsen die Kenntnisse und Kompetenzen des beruflich engagierten Ehemannes, während das Humankapital der Haus-Ehe-Frau im Laufe der Jahre schrumpft. Die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern steigt, was sich dann umso gravierender bei einer Trennung auswirkt.
Das Beispiel Dänemark zeigt allerdings - ähnlich wie das Ostdeutschlands -, dass die Wirkung der Begünstigungsstruktur im Steuersystem nicht zwangsläufig auf die Erwerbsmuster durchschlagen muss. Trotz erheblicher Steuerermäßigungen für Alleinverdiener sind in Dänemark die Erwerbsmuster egalitär geprägt, d. h. die Mehrzahl der Paare arbeitet Vollzeit, mit vergleichsweise kurzen Wochenarbeitszeiten.
VIII. Schlussfolgerungen
Es bleibt noch eine Menge zu tun, wenn die Frauen in der Erwerbsarbeit endlich gleichgestellt sein sollen. Dabei ist Gleichstellungspolitik nicht nur für die Frauen unverzichtbar: Arbeitsmarktpolitik und in deren Kontext Wirtschafts- und Sozialpolitik können nur dann erfolgreich sein, wenn sie die Beschäftigungssituation von Frauen fördern. Anders formuliert: Volkswirtschaften, die sich verstärkt für die Chancengleichheit von Männern und Frauen auf dem Arbeitsmarkt einsetzen, haben eine bessere Arbeitsmarktperformance, eine erfolgreichere Wirtschafts- und eine besser entwickelte Sozialpolitik als Volkswirtschaften, deren Interesse hier nur marginal ist - wie es in Deutschland bisher der Fall war.
Ausmaß und Qualität der Frauenerwerbstätigkeit bilden jedoch nicht nur Indikatoren, sondern sind auch Voraussetzungen für eine erfolgreiche Beschäftigungspolitik. Die Länder, die eine hohe Erwerbsbeteiligung und Beschäftigungsquote von Frauen haben, weisen gleichzeitig eine überdurchschnittlich gute Arbeitsmarktperformance auf.
Das bedeutet: Jede Politik zum Abbau von Arbeitslosigkeit und Aufbau von Beschäftigung ist nur dann erfolgreich, wenn Frauenerwerbstätigkeit gefördert wird. Ohne einen Ausbau von Betreuungseinrichtungen für Kinder jeden Alters, die für alle Einkommensgruppen bezahlbar sind, gibt es keine signifikante Zunahme der Frauenerwerbstätigkeit. Ohne eine Zunahme der Frauenerwerbstätigkeit kommt es zu keiner ausreichenden Ausweitung des Dienstleistungssektors. Ohne eine Ausweitung des Dienstleistungssektors wird es keinen nachhaltigen Abbau der Arbeitslosigkeit geben. Wer heute Zukunftsinvestitionen in Betreuungsinfrastruktur wie Krippen, Kindergärten, Ganztagsschulen tätigt, leistet damit einen aktiven Beitrag zur Struktur- und Arbeitsmarktpolitik des Standortes. Wer sie unterlässt, wird bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit und bei der Schaffung von Beschäftigung nur unzureichende Erfolge erzielen oder gar scheitern. Wirtschafts-, Sozial- und Arbeitsmarktpolitik, die in einem interdependenten Verhältnis zueinander stehen, können nur dann erfolgreich sein, wenn das Augenmerk auf die Erwerbstätigkeit von Frauen gerichtet ist und hier Schwerpunkte gesetzt werden.
Folgende Maßnahmen sind Voraussetzung bzw. Instrument zur Erreichung dieses Ziels:
- ein hohes Beschäftigungsniveau sowohl für Männer als auch für Frauen, insbesondere in den personenbezogenen Dienstleistungen;
- der erfolgreiche Abbau der geschlechtsspezifischen Segmentation auf dem Arbeitsmarkt: Frauen müssen mit steigender Tendenz gleichermaßen in allen Sparten des Arbeitsmarktes und auf allen Hierarchiestufen von Unternehmen, Organisationen und in der Politik zu finden sein;
- die Aufhebung der geschlechtsspezifischen Segmentation der Lohn- und Gehaltsstruktur;
- ein gut ausgebautes Netz von Kinderbetreuungseinrichtungen, das allen Eltern offen steht und auch für Personen aus niedrigen Einkommensgruppen finanzierbar ist;
- die sozialpolitische Unterstützung von Familien; die Anerkennung von Kindererziehung als gesellschaftliche Aufgabe; die Förderung der Vereinbarkeit von Erwerbstätigkeit mit Erziehungs- und Sorgearbeit;
- eine Arbeitszeitgestaltung, die den individuellen, ggf. lebensphasenspezifischen Interessen und Bedürfnissen entspricht, ohne diese Arbeitszeitformen zu diskriminieren;
- die Bereitstellung von Steuer- und Versicherungssystemen, die eine ungleiche Verteilung der bezahlten Arbeit zwischen den Partnern verhindern.
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