I. "Benchmarking Deutschland" - Zum Hintergrund
Im September 2001 wurde der Bericht "Benchmarking Deutschland: Arbeitsmarkt und Beschäftigung"
Inzwischen liegen neue Befunde vor, die teils auf aktuelleren Daten, teils auf vertiefenden Untersuchungen basieren. Das Grundprinzip des Benchmarking bleibt jedoch unverändert: der Vergleich Deutschlands mit 19 anderen entwickelten Industriestaaten. Dabei steht die Situation am Arbeitsmarkt im Mittelpunkt. Um sie zu verstehen, werden jene Politikfelder analysiert, die wesentlichen Einfluss auf die Entwicklung am Arbeitsmarkt haben. Dazu zählen nicht nur die Arbeitsmarktpolitik, die Gestaltung der Arbeitszeit, die Regulierung des Arbeitsmarktes oder die Strukturen des Steuer- und Transfersystems, sondern auch das Bildungs- und Forschungssystem sowie die Rahmenbedingungen für Unternehmensgründungen und die Privatwirtschaft überhaupt. Ebenso wie für den Arbeitsmarkt werden für diese Politikfelder zahlreiche vergleichende Indikatoren herangezogen, um eine möglichst vollständige und verlässliche Bewertung zu ermöglichen. So kann ein differenziertes Bild der Stärken und Schwächen Deutschlands gezeichnet werden. Zeigt sich, dass andere Länder in der einen oder anderen Dimension ein deutlich besseres Erfolgsprofil aufweisen, werden diese im Hinblick auf institutionelle Arrangements und Reformen abgeklopft, von denen angenommen werden kann, dass sie "bewährte Praktiken" darstellen, die - angepasst an den deutschen Kontext - als Reformansätze in die Diskussion in Deutschland eingebracht werden können.
II. Wo steht Deutschland?
1. Der deutsche Arbeitsmarkt 2000 und 2001
Im Benchmarking-Bericht vom Herbst 2001 war festgestellt worden, dass die Situation auf dem deutschen Arbeitsmarkt bezüglich des Niveaus und der Entwicklung sowohl der Beschäftigung als auch der Arbeitslosigkeit im internationalen Vergleich unbefriedigend sei. Dieser Befund kann anhand aktueller Daten für das abgelaufene Jahr 2002 aufrechterhalten werden. Abbildung 1 (s. PDF-Version) zeigt die Beschäftigungsquote, also den Anteil der Erwerbstätigen an der Bevölkerung im erwerbsfähigen Alter von 15 bis 64 Jahren, für das Jahr 2001 und die Veränderung gegenüber dem Vorjahr. Man sieht, dass Deutschland mit einer Beschäftigungsquote von knapp 66 Prozent nach wie vor im hinteren Feld der Vergleichsländer liegt und überdies gegenüber dem Jahr 2000 einen leichten Rückgang um 0,4 Prozentpunkte verzeichnen musste. Dieser Rückgang war im Wesentlichen konjunkturell bedingt. Ein deutlich höheres Beschäftigungsniveau von über 75 Prozent erreichen die Schweiz, Norwegen und Dänemark, während Spanien, die Niederlande, Schweden und Neuseeland auch im weltwirtschaftlich schwierigen Jahr 2001 noch Steigerungen der Beschäftigungsquote um mehr als einen Prozentpunkt verzeichnen konnten.
Eine Analyse der Struktur der Beschäftigung ergibt zweierlei: Einerseits ist Deutschland im Vergleich zu anderen Ländern nach wie vor eine Volkswirtschaft mit einem relativ hohen Beschäftigungsstand in der Industrie und einem recht kleinen Dienstleistungssektor. 21,4 Prozent der erwerbsfähigen Bevölkerung in Deutschland waren im Jahr 2000 in der verarbeitenden Industrie tätig, 36,9 Prozent im Dienstleistungssektor. Während die Beschäftigungsquote in der Industrie die höchste der Vergleichsländer ist, verfügt Deutschland über den fünftkleinsten Dienstleistungssektor; geringer ist die entsprechende Beschäftigungsquote nur in Südeuropa und Irland. Besonders niedrig ist dabei das Beschäftigungsniveau im Bereich der arbeitsintensiven privaten Dienstleistungen.
Allerdings zeigt sich, dass im jüngsten konjunkturellen Einbruch bei den Frauen noch ein Anstieg des Beschäftigungsniveaus um 0,9 Prozentpunkte auf 58,6 Prozent zu verzeichnen war, während die Beschäftigungsquote der Männer um 1,8 Prozentpunkte auf 73 Prozent zurückging. Von dieser Einbuße sind vor allem die 55 bis 64 Jahre alten Männer betroffen. 2001 ging das im Ländervergleich ohnehin niedrige Beschäftigungsniveau aller älteren Arbeitskräfte in Deutschland noch einmal um 1,8 Prozentpunkte auf 36,8 Prozent zurück (Abbildung 4; s. PDF-Version), wobei die Männer 2,8 Prozentpunkte verloren, die Frauen nur 1,4 Prozentpunkte. Hierin zeigt sich das langfristige und konjunkturell bedingt noch beschleunigte Schrumpfen des industriellen Sektors, das bislang noch nicht in ausreichendem Maße durch das Beschäftigungswachstum im Dienstleistungssektor aufgefangen werden konnte, von dem vor allem die Frauen profitieren.
Das relativ niedrige allgemeine Beschäftigungsniveau in Deutschland geht bereits seit mehreren Jahren mit einer sehr hohen offenen Arbeitslosigkeit einher (Abbildung 5; s. PDF-Version). 2001 betrug die standardisierte Arbeitslosenquote 7,9 Prozent der Erwerbspersonen. Sie wird von der OECD erhoben und ist allein für internationale Vergleiche geeignet, denn sie basiert auf Befragungen anhand einheitlicher Kriterien und nicht auf der registrierten Arbeitslosigkeit, wie sie von der Bundesanstalt für Arbeit monatlich ausgewiesen wird. Die so definierte Arbeitslosigkeit blieb gegenüber dem Vorjahr unverändert. Deutlich niedrigere Arbeitslosenquoten finden sich vor allem in Irland, Österreich, Norwegen und den Niederlanden mit jeweils weniger als vier Prozent.
Was die Struktur der Arbeitslosigkeit angeht, so weisen in Deutschland die Gruppen mit relativ niedrigem Beschäftigungsniveau, also Ältere, Frauen und Geringqualifizierte, auch überdurchschnittlich hohe Arbeitslosenquoten auf: 11,2 Prozent der Älteren, 8,2 Prozent der Frauen und 13,7 Prozent der Geringqualifizierten suchten eine Stelle.
2. Institutionelle Strukturen
Auch beim Blick auf die Politikbereiche, denen ein zentraler Einfluss für die Entwicklung am Arbeitsmarkt zukommt, zeigt Deutschland markante Stärken und Schwächen. Neben der traditionell niedrigen Jugendarbeitslosigkeit, die unmittelbar aus dem dualen Ausbildungssystem resultiert, liegt eine Stärke Deutschlands in der Wettbewerbsfähigkeit der verarbeitenden Industrie. Hohen Arbeitskosten steht eine hohe Arbeitsproduktivität gegenüber, die aus einer kapitalintensiven Produktionsweise und dem guten Ausbildungsstand der Belegschaften herrührt. Allerdings trugen steigende Lohnnebenkosten und zeitweise starke Lohnerhöhungen in den neunziger Jahren dazu bei, dass die Beschäftigung in diesem Sektor langfristig zurückgegangen ist. Diese "Entlassungsproduktivität" kann zusammen mit Wechselkursänderungen erklären, dass die Lohnstückkosten in gemeinsamer Währung, der zentrale kurzfristige Indikator für die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie, von 1995 bis 2001 um 9,7 Prozent zurückgegangen sind.
Einige der an die industrielle Produktion angepassten institutionellen Arrangements, die für Deutschlands traditionelle Stärken verantwortlich sind, erweisen sich jedoch als Hemmnisse beim Übergang zu einer dienstleistungszentrierten Volkswirtschaft.
1. die Fehlanreize im Steuer- und Transfersystem;
2. die Regulierungsintensität am Arbeitsmarkt und auf den Produktmärkten;
3. das ungenügende "Matching" auf dem Arbeitsmarkt;
4. die Defizite im Bildungswesen.
1. Die Fehlanreize im Steuer- und Transfersystem
Das in Deutschland etablierte Modell der Finanzierung sozialer Leistungen über Sozialversicherungsbeiträge, die auf den Faktor Arbeit bezogen werden, führt zu sehr hohen Lasten für die Beitragszahler - für Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Diese Belastung wuchs über längere Zeit bis zum Jahr 1998 an, was zu einem wesentlichen Teil mit systembedingten Kostenanstiegen, beispielsweise in der Krankenversicherung, mit demographischen Veränderungen und der Gewährung von Sozialtransfers zur Verminderung des Arbeitsangebots im Rahmen der Frühverrentungspraxis erklärt werden kann. Besonders problematisch ist die Belastung mit Lohnnebenkosten im Segment der arbeitsintensiven privaten Dienstleistungen. Im internationalen Vergleich kann gezeigt werden, dass Länder mit hoher Abgabenbelastung ein geringes Beschäftigungsniveau im privaten Dienstleistungssektor aufweisen, was unmittelbar auf die Erwerbstätigkeit von gering qualifizierten Personen durchschlägt, sofern diese nicht in öffentlicher oder staatlich bezuschusster Beschäftigung untergebracht werden.
Allerdings trägt nicht allein das System der Sozialversicherungsbeiträge zu dieser Problematik bei. Wichtige Stellschrauben sind auch die tarifliche Lohnstruktur im Dienstleistungsgewerbe und die Gestaltung der Lohnersatzleistungen, vor allem der Sozialhilfe, welche den impliziten Bezugspunkt für den Mindestlohn und damit den Angelpunkt des gesamten Gefüges darstellt.
2. Regulierungsintensität am Arbeitsmarkt und auf den Produktmärkten
Deutschland zählt darüber hinaus zu den Ländern mit überdurchschnittlich starker Regulierung des Arbeitsmarktes hinsichtlich des individuellen Kündigungsschutzes, der Beschränkung der Zeitarbeit und der befristeten Beschäftigung. Während in den vergangenen Jahren der Kündigungsschutz für kleinere Betriebe weiter ausgeweitet und die Möglichkeiten der befristeten Beschäftigung beschränkt wurden, ist die Zeitarbeit in mehreren Schritten liberalisiert worden.
3. Ungenügendes "Matching" auf dem Arbeitsmarkt
Die Zusammenführung von Arbeitsangebot und -nachfrage auf dem deutschen Arbeitsmarkt funktioniert weniger gut als in einer Reihe anderer Staaten. Auffälligstes Kennzeichen für das ungenügende "Matching" ist das gleichzeitige Auftreten von erheblichen Fachkräfteengpässen und hoher offener und verdeckter Arbeitslosigkeit, die sich teilweise in Langzeitarbeitslosigkeit verfestigt. Abbildung 7 (s. PDF-Version) zeigt anhand der so genannten Beveridge-Kurve, wie sich in Deutschland Arbeitslosigkeit und offene Stellen im Zeitablauf entwickelt haben.
Das "Matching" wird zwar von einer Reihe von Rahmenbedingungen beeinflusst, ist jedoch im Kern Aufgabe der Arbeitsmarktpolitik. Sie soll durch Beratung und Vermittlung, bedarfsgerechte Qualifizierung und die Gewährung von Anreizen zur Arbeitsaufnahme bzw. zur Einstellung von Arbeitslosen dazu beitragen, Angebot und Nachfrage auf dem Arbeitsmarkt in Ausgleich zu bringen. Bei jedem dieser Punkte besteht allerdings in Deutschland Nachholbedarf gegenüber Modellen, wie sie im Ausland bereits praktiziert werden.
4. Defizite im Bildungswesen
Das deutsche Bildungswesen ist in Teilen zu Recht in den vergangenen Monaten in die Kritik geraten. Eine Beurteilung im Rahmen des internationalen Vergleichs muss jedoch differenziert ausfallen. Zunächst ist festzuhalten, dass Deutschland ein Land ist, in dem 59 Prozent der Erwerbspersonen einen weiterführenden Schulabschluss oder eine Berufsausbildung besitzen; 14,4 Prozent sind gering qualifiziert, d. h. verlassen die Schule ohne weiterführenden Abschluss und besitzen auch keine berufliche Qualifikation; nur 26,5 Prozent haben ein Hochschulstudium abgeschlossen.
Schließlich wird in Deutschland seit Jahrzehnten die institutionelle Kinderbetreuung und der Übergang in die frühe Bildungsphase vernachlässigt. Deutschland weist einen markanten Rückstand bei der Betreuung von Kleinkindern im Krippenalter sowie bei der Ganztagsbetreuung und pädagogischen Förderung in Kindergärten, Vor- und Grundschulen auf. Dies ist nicht nur ein bildungspolitisches Defizit, sondern erschwert auch die Vereinbarkeit von Familie und Beruf, was die Nutzung des weiblichen Arbeitskräftepotenzials behindert.
III. Welche Reformen sind erforderlich?
Die Beschäftigungslage in Deutschland wird sich nur dann dauerhaft verbessern, wenn die Institutionen des Arbeitsmarktes und des Sozialstaats an die veränderten Anforderungen angepasst werden, die sich im Übergang zu einer dienstleistungszentrierten Volkswirtschaft ergeben. Um dies zu erreichen, ist eine kombinierte Strategie erforderlich, die sich nicht in einzelnen Teilreformen erschöpft, sondern alle vier zentralen Handlungsfelder gleichermaßen berücksichtigt:
1. Steuern, Abgaben und Sozialtransfers
Die Systeme der sozialen Sicherung müssen so reformiert werden, dass sie Beschäftigung im Bereich der Dienstleistungen - insbesondere auch in arbeitsintensiven Dienstleistungen mit geringerer Produktivität - nicht länger behindern, sondern ermöglichen. Dies setzt voraus, dass einerseits die Höhe der Lohn- und Lohnnebenkosten die Schaffung von Arbeitsplätzen in diesem Segment künftig nicht mehr verhindert und andererseits die Anreize für die Aufnahme von regulärer Erwerbsarbeit auch im Dienstleistungssektor gestärkt werden. Eine Entlastung der Arbeitgeber bei den Lohnnebenkosten könnte über die teilweise Verlagerung von Sozialversicherungsbeiträgen auf indirekte oder direkte Steuern gelingen. Die Einführung der Ökosteuer war ein erster, aber noch nicht ausreichender Schritt in diese Richtung. Ein mögliches Modell, das speziell die besonders kostensensible Beschäftigung mit geringer Produktivität begünstigen würde, wäre die Anwendung eines im unteren Bereich gestaffelten Tarifs bei den Beiträgen zur Sozialversicherung. Hinzu treten muss jedoch eine stärkere Spreizung der Lohnstruktur am unteren Ende der Tarifskala. Diese wiederum setzt eine Reform von Arbeitslosen- und Sozialhilfe sowie die Umwandlung der Mindestsicherung in eine Hilfe zur Arbeit voraus. Gering entlohnte Arbeit muss sich auch aus Sicht des Arbeitnehmers lohnen. Deshalb müssen niedrige Erwerbseinkommen durch geeignete Modelle der Kombination mit Sozialtransfers oder Steuergutschriften aufgestockt werden.
2. Regulierung von Arbeitsmarkt und Produktmärkten
Beschäftigung im Dienstleistungssektor wird mehr als in der Industrie von kleineren und neu gegründeten Unternehmen geschaffen. Diese sind stärker als andere auf einen durchlässigen externen Arbeitsmarkt und niedrige Hürden bei der Gründung angewiesen. Dementsprechend ist dafür zu sorgen, dass die Regulierungsintensität sowohl auf dem Arbeitsmarkt als auch bei der Unternehmensgründung gleichermaßen vermindert wird. Ein zentraler Punkt ist hierbei der individuelle Kündigungsschutz. Er könnte durch eine klare und einfach handhabbare Regelung über Abfindungen im Falle der Entlassung ersetzt werden. Wird der Kündigungsschutz in geeigneter Form reformiert, so wird die Durchlässigkeit des Arbeitsmarktes zunehmen; der Übergang aus Zeitarbeit und befristeter Beschäftigung in unbefristete Arbeitsverhältnisse wird erleichtert. Das Handwerksrecht, welches die zentrale Hürde bei der Gründung von Unternehmen im arbeitsintensiven Dienstleistungssektor darstellt, sollte so reformiert werden, dass die Gründung selbstständiger Unternehmen erleichtert wird, d. h. nicht dem Erfordernis der Meisterprüfung unterliegt, wie dies bereits heute EU-Ausländern mit entsprechender Berufserfahrung gestattet ist. Der Meisterbrief ist nicht in allen Fällen ein geeignetes Instrument zur Qualitätssicherung, sondern führt lediglich zu einer Beschränkung des Marktzugangs. Die Ich-AG, welche die Hartz-Kommission vorgeschlagen hat, greift hier zu kurz, da sie den dauerhaften Übergang in die Selbstständigkeit nicht ermöglicht.
3. "Matching" auf dem Arbeitsmarkt
Auch die Zusammenführung von Arbeitsangebot und -nachfrage muss in Deutschland deutlich verbessert werden. Erste Schritte zur Steigerung der Effektivität in der aktiven Arbeitsmarktpolitik sind mit dem JobAqtiv-Gesetz getan worden, das zu Beginn des Jahres in Kraft getreten ist. Es verfolgt zu Recht über die genauere Erfassung der Qualifikationen und Defizite der Stellensuchenden sowie den Abschluss von Arbeitssuchverträgen das Prinzip des "Förderns und Forderns". Weitere Anstöße zur Reform der Arbeitsmarktpolitik resultieren aus dem Sofortprogramm vom Frühjahr, welches das neuartige Instrument der Vermittlungsgutscheine geschaffen hat, und aus den Vorschlägen der Hartz-Kommission vom August 2002. Sowohl das JobAqtiv-Gesetz als auch die Vorschläge der Hartz-Kommission müssen sich jedoch noch in der Praxis effektiv bewähren. Es besteht die Gefahr, dass sich die Reformwellen gegenseitig überlagern und die administrative Handhabung zusätzlich verkompliziert wird. Das "Matching" wird zudem nicht allein durch die Arbeitsmarktpolitik beeinflusst. Auch die Flexibilität der Löhne kann einen Beitrag leisten. Um dies zu erreichen, müssen entsprechende Klauseln in die Tarifverträge Eingang finden, soweit dies noch nicht geschehen ist. Darüber hinaus sollten die bereits existierenden betrieblichen Spielräume für die Sicherung und Schaffung von Arbeitsplätzen genutzt werden. Die vermehrte Beteiligung der Arbeitnehmer an Gewinn und Kapital der Unternehmen kann hierbei von Nutzen sein.
4. Bildungspolitik
Neben der Reform des Steuer- und Transfersystems sowie der Arbeitsmarktpolitik steht die Bildungspolitik zu Recht im Mittelpunkt der gegenwärtigen Reformdiskussion in Deutschland. Hier sind mehrere Aspekte von Bedeutung. Einerseits muss die Betreuung von Kleinkindern in Krippen, Kindergärten und Vorschulen massiv ausgebaut und pädagogisch aufgewertet werden. Damit können nicht nur bildungspolitische Ziele erreicht werden. Ein Ausbau der Infrastruktur für Kinderbetreuung ist auch der zentrale Faktor, um die Vereinbarkeit von Familie und Beruf zu verbessern und das Beschäftigungspotenzial qualifizierter Mütter zu mobilisieren. Im Bereich der Schulen steht eine stärkere Förderung der zentralen Kompetenzen wie Textverständnis, Mathematik und Naturwissenschaften ebenso an wie eine Reform der Leistungskontrolle. Zentrale Standards bei den Prüfungen und gleichzeitig größere Autonomiespielräume einzelner Schulen könnten hier einen Weg weisen. Auch der flächendeckende Ausbau von Ganztagsschulen steht auf der Agenda.
Im Bereich der Universitäten ist in den vergangenen Jahren ein Veränderungsprozess eingeleitet worden, der insbesondere die Reform des Hochschuldienstrechts und die Einführung von Bachelor- und Masterstudiengängen nach angelsächsischem Vorbild umfasst. Unter dem Blickwinkel einer Mobilisierung von akademischen Fachkräften für den Arbeitsmarkt ist die Verbreitung von kürzeren und praxisnahen Bachelor-Abschlüssen ebenso zu befürworten wie die Aufwertung der Fachhochschulen. Nach wie vor aber besteht das Problem, dass das Hochschulwesen in Deutschland unterfinanziert ist und nur relativ wenige Angehörige eines Jahrgangs ein Studium aufnehmen. Ein Ausbau der staatlichen Studienförderung über Stipendien und Bildungskredite weit über den heutigen Umfang hinaus könnte hier hilfreich sein. Gleichzeitig könnte ein System der Studiengebühren aufgebaut werden, das dazu dient, die Nachfragemacht der Studierenden und den effizienten Umgang mit den Ressourcen zu stärken, ohne nach sozialer Herkunft zu diskriminieren.
Schließlich benötigt Deutschland eine systematische Stärkung der beruflichen Weiterbildung. Dies kann über eine "investive Arbeitszeitpolitik" gelingen, bei der über langfristige Arbeitszeitkonten ein Guthaben an Mehrarbeit für die Weiterbildung angespart werden kann, das, in Kombination mit Leistungen der Arbeitgeber und Unterstützung durch die Arbeitsämter, für die Erhaltung und Entwicklung beruflicher Kenntnisse verwendet werden sollte. Wird seitens der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber in die Beschäftigungsfähigkeit für den weiteren Verlauf des individuellen Erwerbslebens investiert, könnte der Beitrag zur Arbeitslosenversicherung entsprechend vermindert werden.
IV. Wie lässt sich Deutschland reformieren?
Wird Deutschland einem systematischen Benchmarking hinsichtlich der Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt sowie der Stärken und Schwächen in einzelnen Politikfeldern unterzogen, so ergibt sich in zentralen Feldern der Wirtschafts- und Sozialpolitik unmittelbarer Handlungsbedarf. Es fehlt in Deutschland weder an einer breiten gesellschaftlichen Diskussion über diesen Befund noch an Vorschlägen zum Abbau der Arbeitslosigkeit und zur Steigerung des Beschäftigungsniveaus im Übergang zur Dienstleistungsgesellschaft. Wie gezeigt wurde, sind hierzu institutionelle Pfadabhängigkeiten im deutschen Sozialmodell aufzubrechen. Einen im Prinzip richtigen Versuch, diesen "Reformstau" zu überwinden, stellte das "Bündnis für Arbeit, Ausbildung und Wettbewerbsfähigkeit" dar. Dieses entwickelte sich jedoch zu einer weiteren Reformblockade, weil zu viele zentrale Fragen nicht auf die Agenda gesetzt, sondern außerhalb des Bündnisses oder gar nicht behandelt wurden.
Soll die Spaltung des Arbeitsmarktes überwunden werden, so kann dies nur über ein strategisches Konzept seitens der Regierung angestrebt werden, das beiden Seiten - den Arbeitgebern wie auch den Gewerkschaften - Zugeständnisse abverlangt, wie dies in Ansätzen, aber nicht ausreichend, in der Hartz-Kommission gelang. Dies setzt voraus, dass die Regierung über ein Konzept verfügt und es zum Gegenstand einer Paketlösung macht. Ein Ansatz, der über Detailreformen und Modellprojekte hinausweist, scheint jedoch angesichts der Reformblockaden im deutschen Regierungssystem mit seinen zahlreichen Vetogelegenheiten nach wie vor in weiter Ferne.
Internetverweise des Autors:
- Externer Link: Bertelsmann Stiftung
- Externer Link: Benchmarking Deutschland
- Externer Link: Reformmonitor
- Externer Link: OECD
- Externer Link: Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung
- Externer Link: Forschungsinstitut zur Zukunft der Arbeit
- Externer Link: Max-Planck-Insitut für Gesellschaftsforschung
- Externer Link: Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung