I. Deutsche Präventionspolitik versus amerikanische Politik der Stärke
Die Bundesrepublik, die wie kein anderes Land seit ihrem Bestehen zu einer Politik der Kooperation, des Ausgleichs und des Abgleichs mit Dritten gezwungen war, verfolgt ihre Interessen nicht durch Machtprojektion und Druckausübung, sondern primär durch eine Politik des Interessenausgleichs, des Dialogs, der Herstellung von Vertrauen sowie der Verrechtlichung der internationalen Beziehungen. Diese Parameter prägen auch heute die deutsche Politik in den Vereinten Nationen und gehören zu den Stärken deutscher VN-Politik. Deutschlands Status als Nicht-Kolonialmacht begünstigt diese Fähigkeiten zusätzlich. Die Bundesrepublik hat insbesondere in den Phasen ihrer nichtständigen Mitgliedschaft im Sicherheitsrat
Den Anfang der neunziger Jahre in verschiedenen Politikbereichen verstärkt einsetzenden Prozess multilateraler Verhandlung in den Vereinten Nationen nutzt die deutsche Regierung, um eigene Ziele und Wertvorstellungen in die internationalen Verträge einfließen zu lassen. Dieses ordnungspolitische Engagement versteht Deutschland als einen wesentlichen Beitrag zur Konfliktprävention.
Mit dieser Ausrichtung liegt die deutsche Außenpolitik zwar auf der Linie der von VN-Generalsekretär Kofi Annan geforderten "Kultur der Prävention". Differenzen und Reibungspunkte ergeben sich aber mit Blick auf die von den USA verfolgte Politik der militärischen Stärke, die durch die in der im September 2002 verkündeten neuen Sicherheitsdoktrin verankerte Option militärischer Präventivschläge ("preemption doctrine") untermauert wird. Insbesondere seit der am 11. September 2001 traumatisch erlebten Verwundbarkeit gegenüber feindlichen Angriffen auf das eigene Territorium wird die US-amerikanische Politik mehr denn je durch ein klares Feind-Freund-Schema geprägt. Mit dem Feind wird nicht lange verhandelt, er wird vielmehr mit militärischen Mitteln in die Knie gezwungen. Die in den USA viel extremer als in Europa empfundene Bedrohung der nationalen Sicherheit erfordert aus Sicht der US-Regierung eine nahezu uneingeschränkte Handlungsfreiheit in der internationalen Politik, um ihr mit allen erforderlichen Mitteln zu begegnen. In den Augen der Amerikaner dürfen sie als die einzige globale Ordnungsmacht, die sich zum Wohle aller für Freiheit und Sicherheit einsetzt, bei der Wahrnehmung dieser Aufgabe nicht unnötig behindert werden. Damit läuft das Bestreben der deutschen Regierung, die in der internationalen Politik immer wieder auftretende Anarchie durch international bindende Verträge und freiwillige Selbstverpflichtungserklärungen eindämmen zu wollen, den US-amerikanischen Interessen zutiefst zuwider.
Grundsätzlich waren und sind die Vereinten Nationen für die US-Regierung nur dann von Interesse, wenn sie als Instrument im Sinne der amerikanischen Außenpolitik nützlich sind und der Durchsetzung nationaler Interessen dienen.
Diese grundlegende US-Haltung gegenüber den Vereinten Nationen kommt in allen im VN-Rahmen geführten Vertragsverhandlungen über Politikbereiche mit weit reichender Bedeutung sowie in den Auseinandersetzungen über die Anwendung geeigneter Mittel zur Friedenssicherung zum Ausdruck. Zu den prominentesten jüngsten Beispielen zählen die Verhandlungen zur Klimarahmenkonvention und zum Internationalen Strafgerichtshof sowie die Debatte über die Einhegung des militärischen Gefahrenpotenzials im Irak. In allen drei Fällen bestehen zum Teil fundamentale Divergenzen zwischen den USA und Deutschland bezüglich der Bedeutung der Thematiken und damit auch der zu ergreifenden Maßnahmen. Wichtig ist aber, dass die Position Deutschlands nie eine singuläre ist, sondern in der Regel von den meisten der europäischen Partner geteilt und gemeinsam vertreten wird. Insofern ist der Einsatz Deutschlands in den Vereinten Nationen meist auch ein Eintreten für eine europäische Position. Inwieweit Deutschland im Einzelfall den politischen Mut und das politische Geschick aufbringt, sich für deutsche und europäische Interessen in den Vereinten Nationen - insbesondere gegenüber den USA - einzusetzen, soll anhand der drei genannten Politikbereiche ebenso aufgezeigt werden wie die Auswirkungen auf das transatlantische Verhältnis.
II. Deutschland und die internationale Klimaschutzpolitik
Die Bundesrepublik Deutschland gehört zu den Staaten, die den Umweltschutz auf internationaler Ebene entscheidend vorangetrieben haben; sie gilt im internationalen Vergleich als führend in der Umweltpolitik.
Den auf der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung 1992 in Rio verfassten Textentwurf zur Klimarahmenkonvention erarbeitete ein aus 150 Staaten bestehendes internationales Arbeitsgremium. Innerhalb dieses von der Generalversammlung eingesetzten Gremiums traten die Staaten der Europäischen Gemeinschaft (EG) als geschlossene Einheit auf. Dessen ungeachtet beschloss die Bundesregierung in Form einer unverbindlichen Selbstverpflichtungserklärung am 13. Juni 1990, bis zum Jahr 2005 die energiebedingten CO2-Emissionen in den alten Bundesländern um 25 Prozent gegenüber dem Niveau von 1987 zu reduzieren.
Wichtig ist die gemeinsame Verpflichtung der EG/EU nicht nur deshalb, weil sie mit 16 Prozent an den globalen CO2-Emissionen beteiligt ist, sondern auch aufgrund ihres Gewichts in den Verhandlungen im VN-Rahmen. Zum einen bildet ein Kompromiss auf europäischer Ebene häufig die Verhandlungsgrundlage für einen internationalen Konsens, da viele Konflikte schon gelöst werden konnten und die gemeinsame Position damit auch für andere Industriestaaten akzeptabel ist.
Dieses engagierte Eintreten der deutschen Politik für eine internationale Klimaschutzpolitik hat sich auch in den darauf folgenden Verhandlungsrunden, insbesondere in Berlin (März/April 1995) und in Kyoto (Dezember 1997), fortgesetzt. Die auf der Konferenz in Berlin getroffene Entscheidung, das Sekretariat der Klimakonvention in Bonn anzusiedeln, kann als Anerkennung der aktiven deutschen Rolle gesehen werden. Für die Ratifizierung des Kyoto-Protokolls setzte sich die deutsche Regierung - zum Teil im Verbund mit den EU-Partnern, zum Teil aber auch alleine - gegenüber jenen Staaten ein, die Vorbehalte gegen die ihnen auferlegten Verpflichtungen zur Reduktion der Treibhausgasemissionen haben, allen voran die USA, Japan und Russland. Das Kyoto-Protokoll sieht vor, dass die 38 größten Industriestaaten bis zum Jahr 2012 die Emmission von Treibhausgasen im Vergleich zu 1990 um 5,2 Prozent verringern. Die an die amerikanische Adresse gerichteten Mahnungen haben an Schärfe zugenommen, seit Präsident George W. Bush am 13. März 2001 seine Ablehnung des Kyoto-Protokolls bekannt gegeben hat.
Auch wenn die Auseinandersetzungen über die Klimaschutzpolitik den transatlantischen Dialog zusätzlich belasten, so hat dies nicht zu tief greifenden Verstimmungen geführt. Denn selbst wenn das Kyoto-Protokoll in Kraft treten sollte, so erwüchse daraus für die USA keine Verpflichtung, die im Protokoll vorgeschriebene Reduktionsverpflichtung von sieben Prozent einzuhalten. Der internationale Druck ist zwar lästig, berührt die Sicherheitsinteressen der USA aber nicht. Mahnende Worte und auf internationaler Ebene geübte Kritik sind auch weiterhin angebracht, reichen aber alleine nicht aus. Vielmehr sollten vor allem die Europäer bei ihren Überzeugungsbemühungen dort ansetzen, wo die Entscheidungen maßgeblich getroffen werden: im US-Kongress. In der amerikanischen Politik gilt der Grundsatz: "Domestic politics drives international politics, not vice versa."
III. Deutschland und der Internationale Strafgerichtshof
Die wichtigste völkerrechtliche Entwicklung, an der die Bundesrepublik entscheidenden Anteil hat, ist die 1998 beschlossene Einrichtung eines ständigen Internationalen Strafgerichtshofes
Trotz amerikanischer Vorbehalte unterzeichnete Präsident Bill Clinton das Statut am letzten Tag seiner Amtszeit am 31. Dezember 2000 doch noch und sicherte damit den USA die Einflussnahme auf die von der Generalversammlung eingesetzte IStGH-Vorbereitungskommission, die Entwürfe für die Nebeninstrumente des Römischen Statuts erarbeiten sollte. Gleichzeitig empfahl Clinton seinem Nachfolger aber nicht, das Statut dem US-Senat zur Ratifizierung vorzulegen, denn im Vertragstext waren grundsätzliche amerikanische Änderungswünsche unberücksichtigt geblieben. Da der IStGH - anders als die internationalen Ad-hoc-Tribunale - vom VN-Sicherheitsrat unabhängig ist, versuchte die amerikanische Seite in den Verhandlungen, seinen Geltungsbereich einzuschränken und eine Strafverfolgung von der Zustimmung des betroffenen Staates abhängig zu machen. Die Zuständigkeit des IStGH für Drittstaatsangehörige hielten die USA von Anfang an für völkerrechtswidrig.
Da die USA sich in den Verhandlungen nicht durchsetzen konnten, griff Präsident Bush zu einer sehr ungewöhnlichen Maßnahme: Er zog die von seinem Vorgänger geleistete Unterschrift in einem Schreiben an VN-Generalsekretär Annan vom 27. April 2002 zurück, so dass die USA nicht mehr dem völkerrechtlichen Vereitelungsverbot unterlagen und damit offensiv gegen das Statut vorgehen konnten.
Die am 12. Juli 2002 durch Verabschiedung von Resolution 1422 im Sicherheitsrat herbeigeführte Kompromisslösung, welche die Immunität für Bürger von Staaten, die nicht Vertragspartei sind, zunächst für ein Jahr ermöglicht, wurde weder von Deutschland noch von der Mehrheit der VN-Staaten begrüßt. Ihr war vielmehr eine heftige zehntägige Auseinandersetzung im Sicherheitsrat vorausgegangen. Die deutsche Delegation hat sich dort entsprechend ihrer beschränkten Möglichkeiten als Nichtmitglied des Sicherheitsrats eingebracht. In der am 10. Juli 2002 in der offenen Debatte im VN-Sicherheitsrat abgegebenen deutschen Erklärung heißt es: "Kapitel VII der UN-Charta erfordert das Vorliegen einer Bedrohung des Friedens, eines Bruchs des Friedens oder einer Angriffshandlung - nichts von dem ist unseres Erachtens hier gegeben. Der Sicherheitsrat würde Gefahr laufen, seine Autorität und Glaubwürdigkeit zu unterlaufen. Es ist Deutschlands feste Überzeugung, dass sich der Sicherheitsrat - jenseits der Handlungsmöglichkeiten von Fall zu Fall, so wie sie in Art. 16 des IStGH-Statuts klar vorgesehen sind - einen schlechten Dienst erwiese, wenn er eine Resolution nach Kapitel VII der UN-Charta annähme, die der Sache nach einen wichtigen und von 76 Staaten ratifizierten Vertrag abänderte."
Damit hat die deutsche Seite zwar deutlich Position bezogen. Aber sie hatte nicht die erforderliche Durchsetzungskraft und den notwendigen Handlungsspielraum, eine Koalition - insbesondere unter Einbeziehung der EU-Partner - zu bilden, die diese Standpunkte in den Verhandlungen hätte einbringen können. Denn hätten sich die Europäer geschlossen gegen einen solchen Kompromiss gewandt, so hätten sie genügend andere Staaten für eine Ablehnung gewinnen und sich durchsetzen können.
Warum konnten oder wollten die Europäer, die doch zuvor so vehement für einen starken Strafgerichtshof eingetreten waren, diese Resolution nicht verhindern? Warum stimmte kein Staat im Sicherheitsrat gegen Resolution 1422 oder enthielt sich der Stimme? Nach Meinung von hochrangigen, an den Verhandlungen beteiligten Diplomaten
Angesichts der jahrelangen zähen Verhandlungen bedeutete das erreichte Ergebnis für die deutsche Politik eine herbe Niederlage, auch wenn dies in der offiziellen Stellungnahme von Außenminister Joschka Fischer nicht zum Ausdruck kommt. Er sprach davon, dass der im Sicherheitsrat ausgehandelte Kompromiss "den Bedenken nicht vollständig Rechnung"
Auf EU-Ebene setzte sich die Diskussion über die Akzeptanz der amerikanischen Politik bei der Suche nach einer gemeinsamen Position zu der von den USA eingeschlagenen Politik fort, bilaterale Abkommen zum Schutz der US-Bürger zu schließen. Ziel der US-Regierung ist es, mit möglichst vielen Staaten bilaterale Abkommen abzuschließen, in denen die Überstellung von US-Bürgern an den Strafgerichtshof durch den jeweiligen Vertragspartner ausgeschlossen wird.
Die Heftigkeit, mit der diese Auseinandersetzung geführt wurde, verdeutlicht auch hier die Differenzen zwischen den USA und anderen Staaten über die grundsätzliche Frage der Akzeptanz internationaler Verträge und Rechtsnormen. Einmal mehr kommt hier zum Ausdruck, dass die USA sich nicht einer internationalen Rechtsordnung unterwerfen wollen, wenn dies den eigenen Handlungsspielraum potenziell einengt. Aber auch die enge Gefolgschaft Großbritanniens in sicherheitspolitischen Fragen wird sichtbar. Hier kommt das Spannungsfeld zwischen verrechtlichter Weltgemeinschaftsidee und hegemonialem Anspruch der USA zum Ausdruck, das kennzeichnend ist für den gegenwärtigen Stand der internationalen Beziehungen. Der ordnungspolitische Dissens zwischen den USA und den EU-Staaten ist der eigentliche Grund für die gegenwärtige Verstimmung in den transatlantischen Beziehungen. Dabei nehmen die Briten aufgrund ihrer in diesem Fall vor allem aus Opportunitätsgründen gepflegten und gelebten "special relationship" zu den USA eine Sonderrolle ein.
IV. Die Debatte um einen militärischen Einsatz im Irak
Während die Zurückhaltung der deutschen Regierung im Kampf gegen den irakischen Diktator Saddam Hussein Anfang der neunziger Jahre von den USA noch toleriert wurde,
Entscheidend war aber nicht die ablehnende Haltung der deutschen Regierung gegenüber einer Beteiligung an sich, zu deren Manifestation zum damaligen Zeitpunkt kein Anlass bestanden hatte, sondern die Art und Weise, wie sie vorgetragen wurde. Statt eine gemeinsame Position mit anderen europäischen Staaten zu suchen, die ähnliche Standpunkte vertreten, wählte die deutsche Regierung den Alleingang und verband ihn auch noch mit einem offen und bewusst zur Schau getragenen Antiamerikanismus.
Folgende Vorwürfe wurden erhoben: Auf Deutschland als Partner und Verbündeten sei kein Verlass mehr; die Zusage der uneingeschränkten Solidarität habe ihre Gültigkeit verloren. Deutschland nehme die in den USA tief sitzende Furcht vor weiteren Anschlägen nicht ernst und schätze die vom internationalen Terrorismus ausgehende weltweite Gefahr falsch ein; Deutschland sei nicht bereit, sich für die Sicherung des Weltfriedens einzusetzen.
In Washington hieß es in diesem Zusammenhang, der deutsche Wunsch nach einem ständigen Sitz im Sicherheitsrat werde einstweilen unerfüllt bleiben müssen. Ganz unbestritten hat die Politik der Bundesregierung in der Irak-Frage das deutsch-amerikanische Verhältnis schwer beschädigt. Ohne diese Feststellung relativieren zu wollen, sei hier jedoch darauf hingewiesen, dass es sich im Grundsatz um ein weiteres Beispiel für die unterschiedliche Bedrohungsperzeption zwischen den USA und den Europäern handelt. Entsprechend zurückhaltender sind die Europäer - insbesondere die Deutschen - auch in ihrer Bereitschaft, militärische Mittel unverzüglich einzusetzen.
Wie sieht es aber mit der grundlegenden Bereitschaft Deutschlands zur Beteiligung an Friedensoperationen aus? Reicht sie aus, um dem immer wieder betonten Bekenntnis zu mehr Verantwortung Glaubwürdigkeit zu verleihen? Diese Bereitschaft ist in den vergangenen zehn Jahren zwar gestiegen und die Phase deutscher Vergangenheitsbewältigung und historischer Nabelschau ist abgeschlossen. An ihre Stelle ist aber noch kein umfassendes politisches Bewusstsein getreten, das die Probleme weltweit in gebührender Weise wahrnimmt und in die Ausrichtung der Politik einbezieht. Der sich anfänglich abzeichnende Trend zu einem verstärkten deutschen Engagement bei VN-Missionen (Namibia, Kambodscha, Somalia) hat sich nicht fortgesetzt. Deutschlands sicherheitspolitisches Engagement ist nach wie vor auf Europa - seit 1990 insbesondere auf den Balkan - konzentriert, wo die meisten der gegenwärtig ca. 10 000 Soldaten im Rahmen der europäischen Strukturen NATO, EU und OSZE im Einsatz sind. Die Zustimmung des Deutschen Bundestages im Dezember 2001 zur Beteiligung Deutschlands an dem VN-Einsatz in Afghanistan (ISAF) mit einem Truppenkontingent von bis zu 1 200 Soldaten konnte Bundeskanzler Schröder nur dadurch herbeiführen, dass er diese Frage im Parlament mit der Vertrauensfrage verband. Die wenig später an die Bundesregierung herangetragene Bitte zur Übernahme der "Lead Role" für ISAF lehnte sie mit dem Hinweis auf unzureichende Kapazitäten ab. Hier war ein klares Defizit zwischen dem Anspruch größerer weltpolitischer Verantwortung und der tatsächlichen Handlungsbereitschaft zu sehen. Diese Führungsfunktion für ISAF wird Deutschland gemeinsam mit den Niederlanden ab Frühjahr 2003 übernehmen.
Die Bundesregierung hat offensichtlich noch nicht hinreichend verinnerlicht, dass von dem vereinten, souveränen und wirtschaftlich nach wie vor stärksten Land in Europa nicht eine - durch Haushaltsengpässe begründete und durch Gesinnungsethik getragene - Politik der Zurückhaltung erwartet wird, sondern eine Politik, die eigene Sicherheitsinteressen definiert und vom VN-Sicherheitsrat legitimierte und von den westlichen Bündnispartnern getragene Friedensoperationen aktiv unterstützt.
V. Deutsche Politik im Sicherheitsrat: Ein Ausblick auf 2003/04
Die gerade in den Regierungsfraktionen immer noch weit verbreitete Abneigung gegen den Einsatz militärischer Mittel zur Friedenssicherung erschwert zwar die grundsätzliche Zusage solcher Mittel auf internationaler Ebene, doch gibt es in der Regel im Einzelfall einen gewissen Spielraum, den die Regierung - insbesondere während ihrer Mitgliedschaft im Sicherheitsrat - klug nutzen sollte. Die deutsche Regierung hat sich durch ihre konfrontative Politik gegenüber den USA in der Irak-Frage zwar die Startbedingungen für eine selbstbewusste Politik im Sicherheitsrat erschwert und ihren Handlungsspielraum durch das gegenwärtig als notwendig erachtete Wohlverhalten gegenüber den USA zumindest vorübergehend eingeengt.
Die Bundesregierung sollte die Mitgliedschaft dennoch nutzen, um ihre Bereitschaft und Fähigkeit zur Friedenssicherung und Konfliktprävention unter Beweis zu stellen. Sollte die Bundesregierung auf ihrer strikten Ablehnung eines wie auch immer gearteten Beitrags zu einem Einsatz im Irak beharren, wäre dies eine äußerst schwere Ausgangsbasis, um im Sicherheitsrat gehört und ernst genommen zu werden. In eine schwierige Zwickmühle könnte sie geraten, wenn sie im Februar 2003 die Präsidentschaft im Sicherheitsrat turnusgemäß übernimmt, denn genau in diesem Monat wird möglicherweise eine Entscheidung über das weitere Vorgehen gegenüber dem Irak herbeigeführt werden müssen. Die am 8. November 2002 verabschiedete SR-Resolution 1441 sieht vor, dass die Waffeninspekteure der Kontrollkommission (Unmovic) bis spätestens zum 21. Februar 2003 ihren Bericht über die neuen Inspektionen im Sicherheitsrat vorgelegt haben müssen. Sollte der Sicherheitsrat nicht schon zuvor festgestellt haben, dass der Irak sich der Verpflichtung zur Offenlegung seiner vorhandenen oder geplanten Massenvernichtungswaffen widersetzt und infolgedessen "ernsthafte Konsequenzen" getroffen haben, so wird spätestens auf der Grundlage des Berichts über möglicherweise zu ergreifende Maßnahmen zu entscheiden sein.
Denkbar ist daher, dass unter deutscher Verhandlungsführung über den Einsatz militärischer Mittel zu befinden sein wird. Hält der ab November 2002 amtierende VN-Botschafter Gunter Pleuger an dem Grundsatz des früheren Botschafters Tono Eitel fest, keine Vorschläge im Sicherheitsrat zu machen ohne die Bereitschaft, sie "gegebenenfalls auch in irgendeiner Form materiell von deutscher Seite zu unterfüttern"
Inwieweit Deutschland für seine Überzeugungen eintreten wird, auch wenn diese den Interessen der ständigen Mitglieder - insbesondere der USA - entgegenstehen, wird sich spätestens am 12. Juli nächsten Jahres zeigen. Dann muss über die Verlängerung von Resolution 1422 abgestimmt werden. Bleibt die deutsche Seite bei ihrer Verteidigung eines uneingeschränkten Geltungsbereichs des IStGH-Statuts, so wird sie sich massiv dafür einsetzen müssen, eine Verlängerung der Resolution zu verhindern. Dazu ist allerdings der ehrgeizige Einsatz für die Bildung einer großen Staatenkoalition erforderlich, der entsprechenden politischen Mut und Willen voraussetzt.
VI. Deutsches Eintreten für EU-Positionen
Ob ein Vorschlag oder eine Position im Sicherheitsrat im Ergebnis angenommen wird, hängt entscheidend davon ab, wie viele und welche Staaten eine entsprechende Resolution einbringen. Als ein vor allem der gemeinsamen europäischen Außen- und Sicherheitspolitik verpflichteter Staat sollte die Bundesrepublik ihre Mitarbeit im Sicherheitsrat so gestalten, dass nicht nur deutsche, sondern vor allem von den europäischen Partnern gemeinsam getragene Positionen eingebracht werden können. Eine solche europäische Position hätte unvergleichlich höheres politisches Gewicht. Dies setzt jedoch eine intensive und ständige Information jener EU-Staaten voraus, die nicht im Sicherheitsrat vertreten sind, sowie eine enge Abstimmung mit den im Sicherheitsrat vertretenen EU-Staaten.
Auf Initiative Deutschlands und Frankreichs haben sich die EU-Staaten bereits verbindlich auf konkrete Maßnahmen zur besseren Information und Abstimmung untereinander geeinigt: Einführung mandatorischer Briefings der EU-Partner nach den Sitzungen des Sicherheitsrates, regelmäßige Information der EU-Partner über die im Sicherheitsrat anstehenden Diskussionen und Konsultation sowie inhaltliche Abstimmung unter den im Sicherheitsrat vertretenen EU-Staaten.
Deutschland könnte mit seinem politischen Gewicht und seiner Stärke der Kooperation und des Interessenausgleichs entschieden darauf hinwirken, dass insbesondere die ständigen Ratsmitglieder Großbritannien und Frankreich zu einer europäisch abgestimmten und gemeinsam vertretenen Position im Sicherheitsrat gebracht werden. Unter Verweis auf die vereinbarten Vorgaben hätte Deutschland zusammen mit Frankreich und auch Spanien gegenüber dem zur Gefolgschaft gegenüber den USA neigenden Großbritannien eine bessere Handhabe, es für die europäische Position zu gewinnen. Gegenüber den USA erhielten die Europäer aber erst dann ein ernst zu nehmendes Gewicht, wenn sie ihre Position nicht nur geschlossen vertreten, sondern ihre Überzeugungen bei Bedarf auch mit militärischen Mitteln durchsetzen könnten. Hier ist der deutsche Beitrag immer noch unzureichend und eine Steigerung angesichts der angekündigten Einsparungen im Verteidigungshaushalt nur schwer vorstellbar. Gelänge den europäischen Staaten eine abgestimmte und durch militärische Stärke gestützte Politik im Bereich der UN-Sicherheitspolitik, so wäre damit ein großer Schritt auf dem Weg hin zu einer Gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik getan und der EU-Sitz im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen die notwendige Folge.
Solange dieser Zustand aber noch nicht erreicht ist, sollte Deutschland sich auch weiterhin für einen eigenen ständigen Sitz im Sicherheitsrat einsetzen. Eine deutsche ständige Mitgliedschaft hätte drei Vorteile: Deutschland könnte seine Stärken und Interessen im Bereich der Krisenprävention und friedlichen Konfliktlösung einbringen. Deutschland würde auch weiterhin die europäische Komponente im Sicherheitsrat stärken und Deutschlands erhöhte Verpflichtung zu weltpolitischem Engagement käme der UNO und damit der Völkergemeinschaft zugute.
Entscheidend für den Erfolg der deutschen Politik in den Vereinten Nationen wird auf jeden Fall sein, dass die Bundesregierung ihre Ziele geschlossen verfolgt und ihnen die entsprechende Priorität beimisst. Es wird nicht ausreichen, wenn das Auswärtige Amt und die deutsche Ständige Vertretung in New York deutsche Positionen und Interessen in den VN-Verhandlungen engagiert, sachkundig und geschickt vertreten, die anderen Ressorts und das Kanzleramt diese Politik aber nicht in ausreichender Weise unterstützen. Der bisher ausgebliebene Erfolg in den Bemühungen um eine ständige deutsche Mitgliedschaft im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen ist ein Beispiel für die mangelnde Kohärenz in der deutschen Außenpolitik.
Ist die deutsche Regierung wirklich gewillt, eine führende Rolle bei der Herbeiführung einer gemeinsamen europäischen Position auf dem Gebiet der Sicherheitspolitik in den Vereinten Nationen zu spielen, so muss sie nicht nur den politischen Mut zu konsequentem Handeln haben. Sie muss vor allem auch - und dies gilt insbesondere für den deutschen Regierungschef - die in der Vergangenheit so erfolgreich eingesetzten Instrumente des Interessenausgleichs, der Integration und der Kooperation wieder stärker zum Einsatz bringen. Der Pflege der deutsch-französischen Zusammenarbeit ist dabei oberste Priorität beizumessen. Die Stärkung der europäischen Position insbesondere gegenüber den USA ist hier nicht im Sinne einer konfrontativen Politik misszuverstehen, sondern soll dazu beitragen, den USA als ernst zu nehmenden Verhandlungspartner gegenüberzustehen. Nur durch eine Zusammenarbeit und Auseinandersetzung auf gleicher Augenhöhe kann die transatlantische Kooperation langfristig fortgesetzt werden.