I. Strukturelle und personelle Startbedingungen
Mit dem Machtwechsel vom September 1998 gelangte die Generation der Nachfolge-68er in die Leitungsinstitutionen der Bundesrepublik. Erstmals wurden mit SPD und Grünen zwei Parteien zusammen neu ins Amt gewählt, traten Spitzenpolitiker mit nur geringer internationaler Erfahrung an. "Aufbruch und Erneuerung" markierten die Programmatik, wobei sich rhetorische Kontinuität und praktischer Wandel außenpolitisch neu mischten: Ausbau der transatlantischen Partnerschaft und der Beziehungen nach Mittel- und Osteuropa - insbesondere mit Russland - sowie Vertiefung und Erweiterung der Europäischen Union (EU) verwiesen auf realpolitischen Anpassungsdruck. Andererseits justierte die Regierung unter Gerhard Schröder den außenpolitischen Kompass mit Blick auf die globalen Fragen wie Umweltpolitik und Entwicklungshilfe neu und betonte Multilateralismus, Zivilisierung und Verrechtlichung der internationalen Beziehungen. Vor allem rückte die Nord-Süd-Dimension ins Zentrum, verbunden mit der Akzentuierung von aktiver Menschenrechtspolitik, Rüstungskontrolle und restriktiver Rüstungsexportpolitik.
Vor diesem Hintergrund von modifizierter Kontinuität und selektivem Wandel ging es auch um eine Neugestaltung des außenpolitischen Handlungsspielraums: Außenminister Joschka Fischer betonte den traditionellen Gemeinschaftsgedanken, reduzierte aber das nationale Interessenspektrum weiter. Es ging also um das Was, aber auch um das Wie deutscher Außenpolitik. Wie ließ sich angesichts der neuen außenpolitischen Herausforderung und der wachsenden ökonomischen Schwäche deutsche Außenpolitik revitalisieren? Konnte die Regierung Schröder/Fischer eine der Ostpolitik von Brandt/Scheel vergleichbare außenpolitische Klammer, ein identitätsstiftendes Moment entwickeln?
Auch die drei Schlüsselfragen deutscher Außenpolitik haben seit 1998 an Dringlichkeit und Komplexität gewonnen: Was ist außenpolitisch möglich? Was findet innenpolitische Zustimmung? Und was ist koalitionspolitisch machbar? Gerhard Schröder sieht sich als Vertreter einer neuen Generation in Deutschland, die sich gegenüber den Vätern nicht mehr rechtfertigen muss, sondern deutsche Politik pragmatisch, zunehmend selbstbewusst, aber auch interessenorientiert formuliert. Die Schatten von gestern beunruhigen ihn weit weniger als Joschka Fischer. Schröders politischer Aufstieg beruht auf seinem Gespür für politische Strömungen, die er schnell erkennt und populistisch nutzt.
Schröder versteht sein Amt auch außenpolitisch als ausgleichende Instanz. Das scheint folgerichtig, denn es kommt der wachsenden Verästelung und Zersplitterung von außenpolitischen Kompetenzen und Verantwortlichkeiten im Regierungssystem entgegen.
Beim G-8-Gipfel in Köln im Juni 1999 stellte Schröder zum ersten Mal seine Fähigkeiten als Vermittler unter Beweis, als er die Regierungschefs der wichtigsten Industrienationen für den Balkan-Stabilitätspakt gewinnen konnte. Auf seiner Peking-Reise nach dem Ende des Kosovo-Krieges nahm er mutig und gefasst die Kritik an der Bombardierung der chinesischen Botschaft in Belgrad zur Kenntnis, die eigentlich allen NATO-Mitgliedern galt. Das hat man ihm im Westen nicht angemessen gedankt. Als nach dem 11. September 2001 Amerikas Bündnispartner in den Kampf gegen den Terror eintraten, zeigte Schröder schnell Entscheidungskraft. Es gehört vermutlich zu seinen schwersten Enttäuschungen, dass Präsident George W. Bush ihn von Anfang an nicht anerkannte, sondern durch sehr selbstbewusstes Auftreten brüskierte. Damit verlor er den Kanzler als engen Verbündeten.
Entstand bisweilen der Eindruck, als sei Joschka Fischer der außenpolitische Star dieser Bundesregierung, so ist inzwischen unbestritten, dass der Bundeskanzler auch außenpolitisch bald zum Chef im Ring avancierte. Langfristig hatte Schröder die Ökonomisierung von Innen- und Außenpolitik im Zeitalter von Globalisierung im Auge. Er war jedoch gezwungen, Deutschland an zwei Kriegen zu beteiligen - gegen Serbien und gegen den internationalen Terrorismus. Doch selbst in Zeiten von Krisen und Kriegen war die Außenpolitik von Rot-Grün erstaunlich geschlossen, weil Bundeskanzler und Außenminister sich grundsätzlich einig waren. Doch lief Fischer nicht Gefahr, wie sein Vorgänger Klaus Kinkel im Schatten des Bundeskanzlers zu verschwinden. Nach dem oft hölzern und linkisch erscheinenden Kinkel wirkte es befreiend, wie unkonventionell Fischer Deutschland in Europa und der Welt präsentierte, jedoch eingebettet in die außenpolitischen Traditionen von atlantischer Partnerschaft, Westbindung, europäischer Integration, deutsch-französischer Freundschaft und mit wachem Blick für die neuen Herausforderungen in Europa und der Welt.
Diese Prioritäten verweisen auf Kontinuität, auf Absage an Renationalisierung und Sonderwegstraditionen. Schröders und Fischers Plädoyer für europäische Integration und die Unterstützung Russlands sind ebenfalls konventionelle, wenngleich richtige Grundannahmen. Von 1998 bis 2002 konvertierte Fischer als Außenminister zum Realpolitiker, der allerdings Außenpolitik moralisierte wie keiner seiner Vorgänger im Amt. Als zweites stilistisches Novum fällt auf: Fischer und Schröder verknüpften Vorurteile gegenüber militärischer Sicherheitspolitik mit dem traditionellen Gemeinsamkeitsgedanken der deutschen Außenpolitik. Das Resultat war eine einseitige Betonung der moralisch-zivilisatorischen und völkerrechtlichen Mittel und Ziele in der deutschen und europäischen Außenpolitik, die immer weniger nationale Interessen berücksichtigte und die sicherheitspolitische Selbstbehauptung Deutschlands und Europas als gegeben annahm.
II. Europapolitik
Schröders bzw. Fischers außenpolitisches Herz schlägt für die Zivilmacht Europa. Beider Überlegungen zu Europa decken sich, doch strebte der Bundeskanzler im Unterschied zu seinem Außenminister zu Anfang nach größerem nationalen Handlungsspielraum für Deutschland und formulierte deutsche Interessen entsprechend unbefangen. Doch beim Europäischen Rat in Berlin im März 1999, als Schröder den Vorsitz führte und es um die Verteilung der EU-Gelder bis zum Jahre 2006 ging, steckte er nationale Interessen zurück.
Hatte Helmut Kohl Streit mit den Franzosen dadurch weitgehend vermieden, dass er in der Regel nachgab und die französische Dominanz in Europa - ebenso wie sein Vorgänger Helmut Schmidt - im Grundsatz akzeptierte, so wollte sich Schröder mit dieser Form von Verhandlungen nicht zufrieden geben. Er kritisierte die Absurditäten, die in Brüssel produziert werden, nicht nur im Agrarbereich, in dem oft Rücksicht auf französische Interessen genommen wird. Folglich kam es auf dem Gipfel von Nizza im Dezember 2000 zur Konfrontation zwischen Schröder und dem französischen Staatspräsidenten Jacques Chirac. Schröder musste mehr nachgeben, als ihm lieb war. Er erkannte allerdings, dass Deutschland im Zuge der EU-Erweiterung seine Rolle auch in Brüssel verbessern würde, weil eine erweiterte Union das Gewicht Berlins vergrößern und gleichzeitig die Bedeutung der deutsch-französischen Achse mindern würde.
Unter dem Eindruck zunehmender bürokratischer Erstarrung in Brüssel und angesichts der außen- und sicherheitspolitischen Schwäche Europas wie z. B. im Kosovo-Krieg erregte Außenminister Fischer mit seiner Rede in der Berliner Humboldt-Universität am 12. Mai 2000 europapolitische Aufmerksamkeit. Er schlug eine europäische Föderation mit einem gewählten Präsidenten und eine europäische Regierung vor, wobei das europäische Parlament volle parlamentarische Funktionen übernehmen und als Zwei-Kammer-Parlament organisiert werden sollte. Fischers Vorschlag von einem Gravitationszentrum oder einer Avantgarde von EU-Mitgliedsstaaten zur Schaffung einer europäischen Föderation baute auf Vorstellungen der CDU wie dem Kerneuropa-Konzept von Wolfgang Schäuble und Karl Lamers auf, das seinerzeit allerdings weder von Helmut Kohl noch von der CDU/CSU-Fraktion oder von Außenminister Kinkel aufgegriffen worden war. Nicht ohne Pikanterie ist es deshalb, dass diese Idee einer Avantgarde, also eines europäischen Integrationsprozesses mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten, erst von der rot-grünen Regierung aufgegriffen wurde. Fischer machte intelligente Vorschläge, doch der politische Wille zur Umsetzung fehlte in den Hauptstädten Europas. Zwar gibt es überall den Wunsch, die EU handlungsfähiger zu machen, doch beharren die Nationalstaaten auf ihren Souveränitäten. Fischers europäische Visionen scheiterten vor allem an Paris.
Dominierte der Außenminister in den ersten Jahren die Europapolitik, so entdeckte der Bundeskanzler seit Nizza Europa als medienwirksamen Handlungsrahmen. Dank seiner ausgeprägten Kompromissfähigkeit lenkte Schröder selbstbewusst den Europäischen Rat. Die Pläne für eine neue Europa-Abteilung im Bundeskanzleramt signalisieren auch institutionell, dass der Bundeskanzler die Europapolitik stärker selbst prägen möchte.
Unter rot-grüner Führung blieb Deutschland seiner integrationsfreundlichen Tradition treu und engagierte sich gleichermaßen für die Vertiefung und Erweiterung der EU. Doch die Bevölkerung wird zu wenig über die europapolitischen Probleme aufgeklärt, stattdessen wird die Lage der EU schöngefärbt. Dabei ist eine realistische Bestandsaufnahme der Versäumnisse überfällig. Zwar hat die Bundesregierung nach Nizza eine Verfassungsdebatte angestoßen, doch erscheint sie manchem verfrüht - auch weil sie von den harten Problemen ablenkt. Es bleibt abzuwarten, ob Außenminister Fischer im EU-Konvent realisierbare Initiativen wird durchsetzen können.
Während der Bundeskanzler Macht betont und die europapolitischen Positionen unter Berücksichtigung nationaler Interessen formuliert, brilliert sein Außenminister mit Gesamtkonzepten: "Rot-Grün hat die Struktur- und Prozessprobleme nicht lösen können, aber die Koalition hat den Zug der Europapolitik beharrlich angeschoben. Mit ihrem Einsatz für die Grundrechte-Charta und den Konvent hat rot-grüne Europapolitik den Kurs deutscher Integrationspolitik gehalten."
III. Ostpolitik
Es erstaunt, dass die Europapolitik der Regierung Schröder/Fischer westorientiert geblieben ist und geringes Engagement nach Osten zeigt. Während der Außenminister Mittel- und Osteuropa zu vernachlässigen scheint, konzentriert sich der Bundeskanzler auf Russland. Kein anderes Land zeigt so viel Verständnis für die Transformationsprobleme nach dem Zusammenbruch des Sowjetimperiums wie Deutschland - aus Dankbarkeit gegenüber Michail Gorbatschows Unterstützung im Vereinigungsprozess, aber auch mit Blick auf deutsche und europäische Stabilitätsinteressen, ohne eigene Wirtschaftsinteressen zu vernachlässigen. Zwar kritisierte es Russlands zweiten Tschetschenienkrieg, aber nur vorsichtig. Bundeskanzler und Außenminister zogen dabei nicht immer am gleichen Strang: Während Schröder gute Beziehungen zu Präsident Wladimir Putin entwickelte, machte Fischer die Menschenrechte zum Maßstab und scheute sich nicht vor Kritik am Krieg in Tschetschenien.
Durch die Mitarbeit Russlands in der Anti-Terror-Koalition wurden die deutsch-russischen Beziehungen nach dem 11. September 2001 weiter intensiviert. Sie könnten aber komplizierter werden, falls Russland den Krieg in Tschetschenien im Zeichen des Anti-Terror-Krieges fortsetzt oder ausweitet, was nach der Geiselnahme vom 25. Oktober 2002 in Moskau zu erwarten ist.
In der bilateralen Zusammenarbeit hat der von beiden Regierungen angestoßene Petersburger Dialog als Forum für gesellschaftspolitische Diskussion an Bedeutung gewonnen. Der positive Trend im bilateralen Handel hat sich 2001 fortgesetzt. Auch die deutsch-russischen Kulturbeziehungen wurden durch eine gemeinsame Erklärung der beiden Regierungen intensiviert, allerdings blieb die geplante Rückführung kriegsbedingt aus Deutschland verbrachter Kulturgüter ungelöst. Insgesamt haben sich die bilateralen Beziehungen unter Rot-Grün positiv entwickelt. Zwischen Putin und Schröder entstanden enge Arbeitsbeziehungen. Der russische Präsident betrachtet die Europäische Union als den wichtigsten Wirtschaftspartner und Deutschland als Tor nach und Machtkern in Europa;
IV. Sicherheitspolitik im Zeichen des Kosovo-Krieges
Deutschland ist in den Kosovo-Krieg nicht hineingeschlittert, aber diese rot-grüne Regierung übernahm eine kritische Erbmasse deutscher und europäischer Balkanpolitik, deren Charakter SPD und Grüne erheblich mitgeprägt hatten. Sie hatten sich jahrelang gegen militärische Interventionen auf dem Balkan gesträubt, als diese noch zu geringeren Kosten politischen Erfolg gebracht hätten als später beim Luftkrieg im März 1999.
Für die Friedenssuche im Kosovo wurde der Plan von Außenminister Fischer zur Grundlage westlicher Balkanpolitik. Er und Bundeskanzler Schröder entwickelten im Rahmen der Ratspräsidentschaft einen ambitiösen Stabilitätspakt, der noch auf Jahre die Kräfte der Europäer auf dem Balkan binden wird. Auch deshalb erklärte Bundeskanzler Schröder nach dem Ende des Krieges selbstbewusst: "Dies ist die Stunde Europas." Doch er vergaß, von der eigenen Friedensrhetorik beflügelt, dass die Europäer ohne die amerikanische Führung und Entschlossenheit erfolglos geblieben wären. Auch sparte die Bundesregierung kontroverse Fragen aus: Der Bruch des Völkerrechts, der Verzicht auf ein UN-Mandat, die Unverhältnismäßigkeit der Mittel, die Unklarheiten und Widersprüche der Militärstrategie, das Fehlen einer klaren politischen Zielsetzung des Krieges oder das Flüchtlingsproblem wurden kaum erörtert. Doch Außenminister Fischer gestand später ein, dass der Westen "viel zu spät und viel zu zaghaft gehandelt hat". Statt Krisenprävention wäre rechtzeitige und entschlossene Kriegsführung notwendig gewesen.
Dank Fischers Bemühungen konnte Russland in das Engagement auf dem Balkan bzw. im Kosovo eingebunden werden; doch bis heute ist es der europäischen Staatengemeinschaft nicht gelungen, die Lage im Kosovo zu stabilisieren. Es wird vorerst ein Protektorat bleiben, auch wenn es völkerrechtlich zur Bundesrepublik Jugoslawien gehört. Ein friedliches Zusammenleben zwischen Albanern und Serben bleibt vorerst schwer vorstellbar. In Mazedonien war der Westen erfolgreicher. Daran hat die EU, hat die rot-grüne Bundesregierung entscheidenden Anteil.
Das Urteil über die deutsche Sicherheitspolitik nach dem Kosovo-Krieg und dem Mazedonienkonflikt fällt also gemischt aus: Auch im Kosovo mussten die Europäer erkennen, dass sie allein, ohne Hilfe der Amerikaner, nicht zur Sicherung des Kontinents in der Lage sind. Deshalb drängte die Regierung Schröder/Fischer während der EU-Präsidentschaft auf eine effektivere Ausgestaltung der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik (ESVP), deren institutioneller Rahmen auf dem Europäischen Rat in Köln im Juni 1999 festgesteckt wurde. Zwar beschloss die EU auf dem Ratsgipfel in Helsinki im Dezember 1999 die "European Headline Goals". Doch der Aufbau der ESVP bleibt schleppend, eine Dynamisierung der Sicherheitspolitik unter der rot-grünen Regierungskoalition fiel dem Sparzwang, aber auch grundsätzlichen Bedenken zum Opfer. Die von Berlin mit Nachdruck proklamierte Europäische Sicherheits- und Verteidigungsunion mit dem Ziel integrierter, NATO-kompatibler Streitkräfte wurde stillschweigend zu Grabe getragen.
Damit schwächte die rot-grüne Regierung auch politisch den deutschen und europäischen Handlungsspielraum. Erneut unter Zugzwang geraten die europäischen NATO-Mitglieder, weil die USA durch eine neue Interventionstruppe (NRF, NATO-Response-Force) die NATO modernisieren bzw. auf den Kampf gegen den internationalen Terror einstimmen möchte. Vor allem ist Deutschland gefordert, dieses Signal aus Washington aufzugreifen. Von Berlin werden nicht mehr schöne Worte, sondern größere militärische Anstrengungen und eine Modernisierung der Bundeswehr verlangt.
V. Die Haltung der Bundesregierung beim Kampf gegen den Terrorismus
Der Terrorangriff vom 11. September 2001 veränderte die Weltpolitik, auch die deutsche Außenpolitik, auf dramatische Weise. Man kann ihn als das "Pearl Harbor der industriellen Zivilisation"
Im Zuge der uneingeschränkten Solidarität der Regierung Schröder/Fischer mit den USA übernahm die Bundesrepublik nach dem 11. September 2001 weitere internationale Verantwortung: Deutsche Soldaten stehen mittlerweile in Afghanistan, Kuwait, im Kosovo, in Usbekistan, Bosnien, Mazedonien und am Horn von Afrika - insgesamt sind mittlerweile fast 10 000 Soldaten in wechselndem Einsatz. Doch die Bundeswehr ist für diese Operationen auf Dauer noch nicht angelegt. Die Diskrepanz zwischen Anspruch und Wirklichkeit, zwischen verringerten Kapazitäten und erweiterter Aufgabenstellung bleibt trotz erster Reformansätze groß: Engpässe beim Material, unzureichende Transportmöglichkeiten sowie personelle und strukturelle Probleme machen der Truppe zu schaffen. Auch ist im Krisenfall eine Evakuierung aus Afghanistan kaum möglich, weil es der Bundeswehr an Transportfähigkeiten mangelt. Zudem fehlt dem militärischen Engagement Deutschlands eine übergeordnete politische Interessenorientierung. Die Regierung reagiert nur auf Anfragen, statt eine eigene planerische Perspektive zu entwickeln. Deutsche Sicherheitspolitik wird deshalb vor allem durch Minimalismus, Desinteresse und Sparzwang auf politischer Ebene geprägt, was durch Engagement und Improvisation auf militärischer Ebene nicht mehr ausgeglichen werden kann. Trotz der in den "Petersberger Aufgaben" festgesetzten Ziele bleibt die Bundesregierung bei der Kürzung des Wehretats.
Gleichwohl zeigte die Bundesregierung im KosovoÖ- und im Anti-Terror-Krieg in Afghanistan diplomatischen Einfallsreichtum: Auf ihre Initiative hin wurde bei der Afghanistan-Konferenz auf dem Petersberg bei Bonn im November/Dezember 2001 die Entsendung einer multinationalen Friedenstruppe durch die Vereinten Nationen beschlossen. Als am 5. Dezember 2001 das Petersberg-Abkommen für Afghanistan unterzeichnet wurde, war dies vielleicht der außenpolitische Höhepunkt der Regierung Schröder/Fischer. Sie repräsentierte die Zivilmacht Deutschland, die militärisch mitwirkte, aber vor allem diplomatisch-politisch die UNO stärkte und den Gemeinschaftsgedanken in der Anti-Terror-Politik betonte.
Jetzt wurde vom Kosovo über Mazedonien bis nach Afghanistan die Beteiligung deutscher Soldaten offensichtlich zur Normalität. Es war staatspolitisch zentral, dass dieser Prozess von einer rot-grünen Regierungskoalition befördert wurde. Hätten SPD und Grüne auf den Oppositionsbänken gesessen, hätten sie diese sicherheitspolitische Entwicklung auf das Äußerste bekämpft. Erst die Regierungsverantwortung zwang Rot-Grün - wenn auch zähneknirschend - zur zweimaligen Kriegführung, im Kosovo und in Afghanistan.
Doch legte, wie schon beim Krieg auf dem Balkan, die terroristische Bedrohung nach dem 11. September 2001 die tiefe Krise der internationalen Institutionen bloß: EU, WEU, ESVP, OSZE, ja selbst die NATO zeigen Ohnmacht. Die über Jahrzehnte eingespielte transatlantische Machtverteilung wird auf den Kopf gestellt. Die Dominanz der USA in der Anti-Terror-Koalition, im Afghanistanfeldzug und im Nahen Osten marginalisiert offensichtlich die Rolle der Europäer.
VI. Deutsche UNO-, Entwicklungs- und Umweltpolitik
Dem Prinzip des Multilateralismus in der Weltpolitik besonders verpflichtet, machten alle Bundesregierungen ihr Engagement für die UNO zum Herzstück ihrer Außenpolitik. Doch betont die rot-grüne Bundesregierung die Bedeutung der UN-Politik besonders, weil zu Beginn des 21. Jahrhunderts die globalen Herausforderungen mehr denn je gemeinschaftliche Lösungen verlangen. Auch hat sich die UN-Politik der USA mit dem Ende des Kalten Krieges gewandelt. Sie zeigen sich weder den neuen nichtmilitärischen globalen Fragen aufgeschlossen noch kommen sie ihrer Verantwortung als Mitbegründer und ständiges Mitglied des UN-Sicherheitsrates nach. Im Gegenteil, seit gut einem Jahrzehnt schwächen die USA die UNO, während sich die Europäer zum Anwalt der neuen globalen Fragen machen. Hierbei spielt die Regierung Schröder/Fischer eine bemerkenswerte Rolle: Sie wurde zur treibenden Kraft von Verrechtlichung und Multilateralisierung der internationalen Beziehungen, z. B. bei der Errichtung des Internationalen Strafgerichtshofes und bei der Afghanistan-Konferenz. Sie betont die Selbstverpflichtung für global governance auf der Basis gemeinsamer Grundwerte mit konkreten Maßnahmen für Frieden, Sicherheit und Abrüstung. Das Schlagwort von der global governance wurde für Rot-Grün bedeutsam, auch als Gebot "planetarischer Verantwortungsethik"
Stand in der Ära des Kalten Krieges die Vermeidung der Selbstvernichtung im Ost-West-Konflikt im Vordergrund, so zielen die Schlüsselfragen des 21. Jahrhunderts auf die Nord-Süd-Achse der Weltpolitik. Das hat die amtierende Bundesregierung erkannt, sucht dementsprechend zu handeln und Deutschland in der Weltpolitik neu zu positionieren. Zum Schlüsselbegriff wurde "Nachhaltigkeit", um Globalisierung sozial, ökologisch und menschlich "nachhaltig" zu gestalten. Auch entwicklungspolitisch wurde die Bundesregierung multilateral besonders initiativ, etwa bei der Ausarbeitung neuer Gesamtkonzepte wie z. B. bei den Verhandlungen über ein neues Partnerschaftsabkommen mit den AKP-Ländern, bei der Forderung nach besserem Marktzugang der Entwicklungsländer in den Industrieländern, bei der Bekämpfung der Wüstenbildung, beim Schutz der biologischen Vielfalt, beim Wasserressourcen-Management und nicht zuletzt bei der Bekämpfung von Aids. Ferner wurde der Umfang der bisherigen Unterstützung von 118 Kooperationsländern auf 70 eingeschränkt, um mehr Effizienz zu erreichen.
Der 11. September 2001 hat auch die Entwicklungspolitik verändert, denn im Zuge der neuen terroristischen Bedrohungen wird diese Teil von Krisen- und Konfliktprävention. Militärische Aktionen allein können den Terror nicht eindämmen. Nicht nur im Nahen Osten, sondern auch in der Dritten Welt kann der Sumpf für politischen und religiösen Fanatismus erst durch nachhaltige entwicklungspolitische Maßnahmen trockengelegt werden. Doch während die USA entwicklungspolitisch zurückhaltend agieren und den Kampf gegen Terror militärisch führen, betonen Deutsche und Europäer die Notwendigkeit ökonomischer und sozialpolitischer Strukturmaßnahmen. Dabei fällt die entwicklungspolitische Bilanz der rot-grünen Bundesregierung positiv aus: Sie hat die Entschuldung der ärmsten Entwicklungsländer vorangetrieben und damit Armutsbekämpfung, Entschuldung und Förderung der Zivilgesellschaft miteinander verkoppelt. Die Bundesregierung hat für alle Ministerien ein verbindliches Programm "Globale Armutsbekämpfung 2015" beschlossen und dem EU-Agrarprotektionismus, wenn auch zunächst sehr verhalten, den Kampf angesagt sowie die Beseitigung entwicklungspolitisch diskriminierender Regelungen z.B. in der Welthandelsorganisation (WTO) verlangt.
Unter Bundeskanzler Willy Brandt wurde die Bundesrepublik zum Schrittmacher der Ost-West-Beziehungen. Mit Wandel durch Annäherung, mit der Ostpolitik der siebziger Jahre wurde die Bundesrepublik zur europäischen Entspannungsvormacht.
Ähnliches gilt für die Umweltpolitik. Umweltminister Jürgen Trittin übernahm dabei ein respektables Erbe der Regierung Kohl, denn schon unter Umweltminister Klaus Töpfer wurde Deutschland zum umweltpolitischen Vorreiter auch in der Entwicklungspolitik. Die Regierung Schröder/Fischer setzte weitere umweltpolitische Maßstäbe: den Einstieg in eine ökologische Steuerreform, die Nachhaltigkeitsstrategie, das Umwelt-Gesetzbuch, vor allem den längerfristigen Ausstieg aus der Kernenergie und die Förderung anderer effizienter Energien. Wegen seiner sprunghaften und zum Teil unausgereiften Umweltpolitik sorgte Trittin jedoch für Irritationen und schien 1999 vor der Ablösung zu stehen. Seither ordnete er sich aber nicht nur dem Primat des Machterhalts der Koalition unter, sondern entwickelte auch innovative umweltpolitische Maßnahmen. Trittin sah Deutschland in der Umweltpolitik von Beginn an auch international als Vorreiter und scheute sich nicht, die umweltpolitischen Versäumnisse der USA deutlich zu kritisieren. Bei den internationalen Klimaverhandlungen in Bonn und Marrakesch drängten die Deutschen sichtbar auf Inkrafttreten des Kyoto-Protokolls und schufen neue umweltpolitische Handlungszwänge.
Trotz deutscher und europäischer Bemühungen blieb es auf der Johannesburger Mammutkonferenz im September 2002 aber nur bei unverbindlichen Regelungen. Doch Deutschland und Europa sind, wenn auch noch zaghaft, auf dem richtigen Weg. Gerade die rot-grüne Bundesregierung hebt sich von den meisten Ländern ab, weil sie die Probleme offen legt und sich couragiert für Umweltinteressen der Länder in der Dritten Welt einsetzt. Deutschland würde noch mehr Sympathie entgegengebracht werden, wenn es endlich den Entwicklungssatz von 0,7 Prozent seines Bruttosozialprodukts aufbringen würde.
VII. Fischers Nahost-Diplomatie und der "deutsche Weg" zur Lösung des Irak-Problems
Unter dem unmittelbaren Eindruck von Terror und Gewalt in Nahost griff Außenminister Fischer 2001 in den Nahost-Konflikt ein und suchte - letztlich erfolglos - zu vermitteln. Dass Fischer auch im Nahen Osten die europäische Rolle betonte, stärkte nicht nur das Ansehen Deutschlands in der Region, sondern das der EU insgesamt. Gleichzeitig suchte er auch die UNO als Hauptakteur im Nahen Osten wieder zu etablieren. Die besondere Verantwortung für Israel einerseits und das Fehlen kolonialer Vorbelastungen andererseits machen Deutschland zu einem vertrauensvollen und verlässlichen Partner auf allen Seiten. So könnte das alte Dilemma deutscher Nahost-Politik, das Schwanken zwischen israelischen und arabischen Interessen, verringert werden. Deutschland könnte als größter Geldgeber für die palästinensische Autonomiebehörde, als wichtigster europäischer Handelspartner Israels und als Anwalt eines kraftvollen Friedensprozesses im Rahmen der UNO an Profil gewinnen. Weil vor diesem Hintergrund keine deutschen Alleingänge zu befürchten sind, besteht auch die Chance der US-amerikanischen Unterstützung, vorausgesetzt, die rot-grüne Regierung tritt den USA nicht mehr vors Schienbein wie in der Irak-Politik.
Nach dem 11. September rückte auch in der Nahost-Politik die Bekämpfung des internationalen Terrorismus in den Vordergrund. Doch die Bundesregierung betont die Notwendigkeit einer Verbreiterung und Intensivierung der westlichen Nahost-Politik, um die Strukturprobleme anzugehen und dem fanatischen Terrorismus den Nährboden zu entziehen. Während aber die Europäer auf diese Fragen mit Sensibilität und Verständnis für die kulturellen Belange des Islam reagieren, betonen die USA Selbstbehauptungswillen, Antiterror-Maßnahmen und militärische Lösungsvorschläge. Die Amerikaner reagieren mit Kriegs-, die Europäer mit Friedensbereitschaft.
Die Gründe für das Auseinanderdriften zwischen Washington und Berlin liegen nicht nur in der gegensätzlichen Bewertung der Bedrohung durch den Irak. Die Differenzen kündigten sich schon in den neunziger Jahren an, doch erst die weltanschaulich-politische Machtverschiebung in Deutschland nach "links" und in den USA unter Bush nach "rechts" ließen diplomatische Kompromisse, wie sie noch zwischen Bill Clinton und Kohl oder Clinton und Schröder möglich waren, nicht mehr zu. Die US-Außenpolitik wurde - schon vor dem 11. September 2001 - zunehmend militarisiert, unilateral und hegemonial, während die Deutschen und die Europäer zivile, multilaterale, gleichberechtigte und völkerrechtliche Formen von Außenpolitik bevorzugen. Der Disput geriet im Sommer 2002 zum Eklat: Die Amerikaner zeigten sich als kühle, erfahrene und professionelle Realpolitiker, die Deutschen verspielten hingegen emotional, unerfahren und unprofessionell ihre guten Sachargumente. Bei einer anderen Vorgehensweise hätten sie für Deutschland und Europa einen glänzenden diplomatischen Erfolg erringen können, jenseits des "amerikanischen" und des "deutschen" Weges.
Bedenken gegenüber US-amerikanischen Präventivplänen sind von der Bundesregierung Schröder/Fischer beherzt artikuliert worden. Vor allem warnte die Bundesregierung vor einem Krieg gegen den Irak, solange die bestehenden Konfliktherde, wie in Afghanistan und Nahost, noch nicht befriedet sind. Auch bemängelte Berlin die amerikanische Konzeptionslosigkeit mit Blick auf eine "Nachkriegsordnung" für den Irak und den Nahen Osten insgesamt. Auch warnte die Bundesregierung vor den ökonomischen Kosten eines Irak-Krieges bis hin zu einer internationalen Wirtschaftskrise. Die Risiken eines Präventivschlages gegen den Irak wären, auch mit UN-Mandat, folgenschwer, allerdings wäre zumindest die Legitimationsgrundlage mit einem Mandat breiter.
Doch die deutschen Argumente wurden undiplomatisch formuliert. Weil die Regierung Bush als Kriegstreiber hinstellte, war Deutschland am Ende völlig isoliert und geschwächt. Die Bundesregierung hat den wichtigsten Freund und Partner beispiellos brüskiert und damit das zentrale außenpolitische Interesse Deutschlands - die transatlantische Bindung zu den USA - in einer Frage aufs Spiel gesetzt, die interessensmäßig für Deutschland nachgeordnet, für die USA jedoch von zentraler Bedeutung ist. Eine kalkulierte Interessenabwägung war offensichtlich in Berlin nicht möglich. Deshalb hat die Bundesregierung durch ihren "deutschen Weg" auch eine gemeinsame europäische Position erschwert und letztlich verhindert - im Irrglauben, den irakischen Diktator Saddam Hussein mit Beschwichtigungsdiplomatie beeindrucken zu können.
Mit der deutschen Beteiligung an den Kriegen im Kosovo und im Rahmen der Anti-Terror-Koalition, vor allem in Afghanistan, hatte die Regierung die Enttabuisierung des militärischen Instruments in den vergangenen drei Jahren selbst durchgesetzt. Doch in der Irak-Frage hat sie sich ins außenpolitische Abseits manövriert. Angetreten, um die UNO zu stärken, Multilateralismus zu praktizieren und das militärische Instrument zur Wahrung des Friedens stärker und couragierter einzusetzen sowie in der Hoffnung, das unilaterale Handeln der USA glaubwürdig zu kritisieren, ist sie selbst unglaubwürdig und unkalkulierbar geworden. Sie handelte aus wahltaktischem Kalkül rücksichtslos und lehnte es ab, auf andere Vorschläge einzugehen. Doch im Unterschied zu Washington ist Berlin zu schwach, um die USA und den Rest der Welt auf den "deutschen Weg" zu führen. Deshalb hätte Berlin gemeinsam mit London und Paris und dann mit Moskau und Peking an einem Ausweg mitwirken sollen. Ein UN-Mandat, verbunden mit einem Ultimatum, wäre der Königsweg gewesen, der die Rolle Deutschlands in dieser schwierigen Frage aufgewertet hätte und diplomatisch auch in Washington verstanden und gewürdigt worden wäre.
VIII. Zwischenbilanz und Perspektiven
Zu Beginn des 21. Jahrhunderts, angesichts der neuen globalen Fragen, der Dynamik der Globalisierung und der Bekämpfung von Terror weltweit treten die Ost-West- und Nord-Süd-Beziehungen der internationalen Politik in verstärkte Wechselwirkung: Immer mehr beeinflussen die neuen Probleme im Nord-Süd-Verhältnis die West-Ost- und zunehmend sogar die West-West-Beziehungen, insbesondere das transatlantische Verhältnis und die deutsch-amerikanischen Beziehungen. Die rot-grüne Bundesregierung hat offensichtlich noch Lernbedarf, die neuen cross over-Effekte zwischen Nord-Süd und West-West zu erkennen und diplomatisch und sicherheitspolitisch angemessen zu bewältigen. Auch stünde es ihr gut an, Außenpolitik ohne höheren Moralanspruch sachlich, interessenorientiert, kalkulierbar und unter stärkerer Berücksichtigung der militärischen Interessen zu betreiben.
So bleibt deutsche Außenpolitik in Widersprüchlichkeiten verfangen. Die geschmeidige Nahost-Politik wird durch die schroffe und undiplomatische Haltung in der Irak-Frage konterkariert. Der integrationspolitische Einfallsreichtum steht im Gegensatz zur gedankenarmen Mittel- und Osteuropa-Politik. Die vorbildlichen und innovativen Ansätze im Nord-Süd-Dialog und zur Lösung der neuen globalen Fragen unterscheiden sich von der unangemessenen Aversion gegenüber der Lösung der klassischen sicherheitspolitischen Aufgaben, sei es im nationalen, europäischen oder gar im transatlantischen Rahmen. Das rhetorisch vollmundige Bekenntnis zum Multilateralismus und zur Unterstützung der UNO wurde wertlos durch die schroffe Absage Berlins gegenüber einem UNO-Mandat zur Durchsetzung der Irak-Resolutionen und Völkerrechtsprinzipien mit notfalls militärischen Mitteln. Es fehlt der rot-grünen Außenpolitik eine Ratio, ein innerer Kompass, aber auch eine äußere Zielbestimmung.
Doch in der Entwicklungshilfe und Umweltpolitik entdeckte und nutzte die Bundesregierung neue Spielräume im Nord-Süd-Geflecht der Weltpolitik. Deutschland zeigt eine neue Verknüpfung von Ökonomie, Ökologie und sozialer Gerechtigkeit in seiner Außenpolitik, fordert dazu mehr Verrechtlichung und Zivilisierung der internationalen Beziehungen sowie eine Stärkung der Gemeinschaftsinstitutionen. In dem Maße, in dem sich die USA unfähig oder unwillig zeigen, die neuen globalen Fragen aufzugreifen und im multilateralen Rahmen zu lösen, vergrößert sich der Anti-Amerikanismus in der Welt, werden auch die transatlantischen Gegensätze größer. Denn die Europäer, allen voran die Deutschen, fordern vor allem, dass Washington sich zum Anwalt dieser Fragen macht und sie über den Horizont der Terrorismusbekämpfung hinaus gemeinsam mit anderen Staaten auch mit nichtmilitärischen Mitteln anpackt. Solange aber die Regierung Bush auf hegemonialen, unilateralen Positionen besteht und militärische Lösungen bevorzugt, werden die Gegensätze zwischen Deutschland bzw. Europa und den USA sich auf neuen Feldern fortsetzen. Es gibt keinen Grund, dass Bundeskanzler Schröder und Außenminister Fischer in Washington zu Kreuze kriechen, doch sollten sie sich von moralischem Provinzialismus verabschieden und stattdessen diplomatisch professioneller auftreten und sicherheitspolitische Lernfähigkeit zeigen. Zivilisatorisches Vorbild und Sinn für militärische Sicherheitspolitik schließen sich nicht aus, sondern bedingen sich gegenseitig im Primat der Selbstbehauptung. Wenn dies in Berlin begriffen wird, wird man in Washington auf deutsche Sachargumente hören.
In Europa vergrößerten Schröder und Fischer Deutschlands außenpolitischen Handlungsspielraum, weil sie ihn vorrangig multilateral interpretieren, die Ziele in den EU-Rahmen stellten und sich selbst dabei zum Schrittmacher von Demokratisierung, Integration und Erweiterung der EU machten. Dabei entsteht jedoch eine nicht unproblematische Wechselwirkung zwischen "europäischem Deutschland" und "deutschem Europa", denn die Weigerung des Außenministers, nationale Interessen für die Außenpolitik zu definieren, führt bei den Partnern auch zu Unbehagen. Für Fischer sind Interessen offensichtlich etwas Anstößiges, Minderwertiges. Glaubt er wirklich an eine interessenlose Welt, in der das vereinte Europa für mehr Menschenrechte, zivilisatorischen Fortschritt und Friedenswahrung eintreten kann, ohne dabei auf militärische Sicherheitsnotwendigkeiten und nationale Interessen achten zu müssen? Das wäre fatal. Dann würde er Gefahr laufen, die Fallen der Realpolitik zu übersehen, die Bedeutung der transatlantischen Bindungen auch für Europa zu mindern. Deutsche Bundesregierungen von Konrad Adenauer bis Helmut Kohl haben Kritik an den USA in der Regel diplomatisch geschickt formuliert und dabei auch Einfluss gewinnen können. Was dieser Bundesregierung fehlt, ist eine eigene außenpolitische Konzeption mit Interessenprioritäten, die Deutschlands Beziehungen zu den nachbarschaftlichen Ländern, Nationen und Regionen deutlich macht und darüber hinaus andeutet, wie und wo sich Deutschland gemeinsam oder alleine positionieren und engagieren will.
Außenpolitik beginnt zuallererst zu Hause. Diese Bundesregierung muss im Zeitalter der Globalisierung alles tun, um die zerrüttete wirtschaftspolitische Grundlage baldmöglichst wiederherzustellen. Die ungeheure Staatsverschuldung hat ein Korsett von Sach- und Gesetzeszwängen und anderen Hemmnissen mit sich gebracht, die deutschen Unternehmergeist und technischen Erfindungsreichtum verkümmern lassen. Dabei wird Phantasie und Gestaltungswille, auch außenpolitisch, gelähmt. Erst eine wirtschaftliche Dynamik der Bundesrepublik erbrachte in der Vergangenheit überdurchschnittliche Leistungen und machte damit über Jahrzehnte Fortschritte, auch in der Europäischen Gemeinschaft, möglich. Deutschland als Schlusslicht beim Wirtschaftswachstum gefährdet nicht nur den eigenen Fortschritt, seine Rolle in der Welt, sondern auch Europas Zukunft. Denn die kostenträchtigen Probleme der Regionalpolitik, des Agrarhaushalts und der Erweiterung lassen sich angesichts der schwindenden Wirtschaftskraft Deutschlands immer weniger regeln. Moralische Kraftmeierei hilft wenig angesichts leerer Haushaltskassen. Rot-Grün steht vor schweren außenpolitischen Problemen: Die harten Schlüsselfragen von Wirtschaft und militärischer Sicherheit sind angesichts der enormen wirtschaftspolitischen Probleme und sicherheitspolitischer Versäumnisse fast unlösbar geworden. Auch hier erscheint Deutschland als Vorbote von Europas Schicksal: im Niedergang begriffen, ohne den Willen zur wirtschaftlichen und sicherheitspolitischen Selbstbehauptung.
Zu Beginn der zweiten Amtszeit der Bundesregierung Schröder/Fischer gibt es Verstimmungen zwischen Deutschland und den USA. Erst jetzt wird die folgenschwere Tagweite des so genannten "deutschen Weges" deutlich. Als am 8. November 2002 der Sicherheitsrat ohne Gegenstimme und selbst mit Zustimmung Syriens für eine kraftvolle UNO-Resolution stimmte, die in der zweiten Phase auch militärische Maßnahmen gegen den Irak mit einschließen kann, wurde Deutschlands fatale Isolierung und Handlungsohnmacht schlaglichtartig deutlich. Es hätte dieser Regierung gut angestanden, zusammen mit den anderen Mächten diese UNO-Resolution zu entwickeln. Damit wäre die UNO gestärkt worden. Stattdessen hat Deutschland sich isoliert, die UNO geschwächt und Saddam Hussein in seinem gefährlichen Tun durch kraftlose Nachgiebigkeit bestärkt. Die politischen Folgekosten dieses Versagens werden die deutsche Außen- und Sicherheitspolitik noch länger belasten und Deutschlands Ansehen schwerer beeinträchtigen, als es sich die Regierenden heute in Berlin vorstellen.