Einleitung
Aufgrund der steigenden Lebenserwartung einerseits und des tendenziell gesunkenen Renteneintrittsalters andererseits hat die nachberufliche Lebensphase in der Vergangenheit sowohl für jeden Einzelnen als auch für die Gesellschaft insgesamt an Bedeutung gewonnen. Anfang des 20. Jahrhunderts kamen nur wenige Menschen in den Genuss einer - damals in keinem Fall die Existenz sichernden - Rente. Heute ist die nachberufliche Zeit eine eigenständige Lebensphase, die von vielen noch wenigstens 10 bis 20 Jahre aktiv gestaltet werden kann.
Während in früheren Beiträgen zum Thema bereits auf die verschiedenen Zeitverwendungsmuster Älterer hinsichtlich ihrer Freizeitaktivitäten, aber auch hinsichtlich produktiver Tätigkeiten eingegangen wurde
I. Entwicklungen im Rentenzugang
In der Vergangenheit wurde der Rückgang der Alterserwerbsbeteiligung in der Bundesrepublik Deutschland eine Vielzahl von (Früh-)Verrentungsmöglichkeiten gefördert, die aufgrund der angespannten Arbeitsmarktsituation sowohl von den Unternehmen als auch von Gewerkschaften und vom Staat begrüßt wurden. So wurde und wird z. T. bis heute in Deutschland der Übergang in den Ruhestand aufgrund von Vorruhestandsregelungen, einer erweiterten Erwerbsunfähigkeitsbetrachtung, des § 428 SGB III (Bezug von Arbeitslosengeld unter erleichterten Voraussetzungen), einer verlängerten Bezugsdauer von Arbeitslosengeld in Verbindung mit der "Rente wegen Arbeitslosigkeit" (ab einem Alter von 60 Jahren
Graphik 1 gibt die Entwicklung des Rentenzugangs wegen Arbeitslosigkeit in die gesetzliche Rentenversicherung in West- und Ostdeutschland wieder. Während 1960 nur etwa 1,6 Prozent aller Rentenzugänge in Westdeutschland "Altersrenten wegen Arbeitslosigkeit" waren, stieg deren Anteil im Jahr 1997 auf 16,1 Prozent an. Seitdem ist wieder - aufgrund der etwas besseren konjunkturellen Lage und der zusätzlich demographisch bedingten Abnahme der Arbeitslosigkeit - ein leicht fallender Trend zu beobachten (1999: 14,1 Prozent). In Ostdeutschland lag, sofern methodische Probleme wie die Änderung des Datensatzaufbaus oder die Einführung des Rentenreformgesetzes (RRG '92) in den Jahren 1993 und 1994 die tatsächlichen Entwicklungen nicht überlagerten, der Höhepunkt der "Altersrenten wegen Arbeitslosigkeit" mit einem Anteil von 40,5 Prozent an allen Rentenzugangsarten im Jahr 1995.
Darüber hinaus zeigen Daten des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger, dass nur etwa 10 Prozent der ostdeutschen Männer und 15 Prozent der ostdeutschen Frauen am 31. Dezember 1995 - ein Jahr vor ihrem Rentenzugang im Jahr 1996 - versicherungspflichtig beschäftigt waren, sich aber etwa 83 Prozent der Männer und 77 Prozent der Frauen im Vorruhestand bzw. in Arbeitslosigkeit befanden
Die Betrachtung der Versichertenrenten nach Jahrgangsgruppen (Kohorten) - hier für Westdeutschland - zeigt noch deutlicher, dass das Risiko, über eine Phase der Arbeitslosigkeit aus dem Arbeitsmarkt auszuscheiden, in der Vergangenheit drastisch zugenommen hat (vgl. Graphik 2). Während Angehörige der Alterskohorte der 1904 geborenen Frauen und Männer nur sehr selten (1,8 Prozent) Altersrenten wegen Arbeitslosigkeit bezogen, erhielten bereits 12,5 Prozent der Angehörigen des Geburtsjahrganges 1933 - jede bzw. jeder Achte - eine solche Rente.
Da auch für die Zukunft - trotz mittel- bis langfristig zu erwartender demographisch bedingter Abnahme der Erwerbsbevölkerung - eine Beschäftigungslücke bzw. eine Arbeitslosenquote zwischen 4,0 Prozent und 12,6 Prozent (je nach Szenario) im Jahr 2040 prognostiziert wird
Damit könnte es wichtig werden, neben dem Arbeitsmarkt einen weiteren Bereich zu haben, in dem Menschen gesellschaftliche Ausschlusserfahrungen überwinden können. Zwar gibt es eine Reihe von Modellen und Strategien zur Erhaltung der Beschäftigungsfähigkeit Älterer für den Arbeitsmarkt
II. Der Übergang in Rente und ehrenamtliches Engagement
Die Lebenssituation in der Phase nach dem Erwerbsleben wird durch die Erfahrungen geprägt, die die Menschen vor ihrem Austritt aus dem Arbeitsleben gemacht haben. So wird ehrenamtliches Engagement häufig schon weit vor dem Erreichen der Rente bzw. Pension aufgenommen (vgl. Graphik 3).
Das durchschnittliche Alter, das Menschen zu Beginn des Engagements nach Ehrenamtsbereichen haben, zeigt, dass ein ehrenamtliches Engagement in jungen Jahren vor allem bei der freiwilligen Feuerwehr (ca. 22 Jahre) oder in der außerschulischen Jugendarbeit (ca. 30 Jahre) aufgenommen wird. Im sozialen Bereich engagieren sich Menschen erst im Alter von durchschnittlich 42 Jahren, bürgerschaftliche Aktivitäten am Wohnort oder im Gesundheitsbereich werden im Alter von etwa 41 Jahren begonnen. Tatsächlich sind der "Soziale Bereich" (42 Prozent) und der "Gesundheitsbereich" (16 Prozent) vor allem auch die Bereiche, in denen ehrenamtlich Interessierte im Alter von 60 und mehr Jahren noch freiwillig Aufgaben übernehmen würden
Inwiefern die frühere Erwerbstätigkeit im Zusammenhang mit dem ehrenamtlichen Engagement steht, kann aus Graphik 4 entnommen werden. Man sieht, dass gerade bei den älteren freiwillig Engagierten doch eine gewisse Verbundenheit zu ihrer früheren Erwerbstätigkeit besteht.
Entscheidend für die Bereitschaft, sich ehrenamtlich zu engagieren, dürfte jedoch vor allem die individuelle Motivation der Beteiligten bzw. der an ehrenamtlichem Engagement Interessierten sein. Dabei stehen, wie Graphik 5 zeigt, weniger Gründe wie der berufliche Nutzen oder die soziale Anerkennung im Vordergrund, sondern vor allem der "Spaß" an der Tätigkeit oder die sozialen Kontakte.
Zwar sind die Hintergründe bzw. Motive zu ehrenamtlichem Engagement generell äußerst vielfältig
Von diesen scheint bezüglich der hier relevanten Problemstellung vor allem der Aspekt der Bewäl-tigung von Lebenskrisen bzw. von aktuellen Problemlagen
Gerade die "Brucherfahrungen" beim Übergang von der Erwerbstätigkeit in die Arbeitslosigkeit bzw. in den (Vor-) Ruhestand könnten damit ein wesentlicher Anlass für diese Personengruppe sein, sich ehrenamtlich zu engagieren: "Die aktuellen gesellschaftlichen Umbrüche bilden mithin eine brisante Mischung ,riskanter Chancen'."
III. Der Übergang aus Arbeitslosigkeit in Rente und ehrenamtliches Engagement
Allerdings ist der Übergang aus der Arbeitslosigkeit in ein ehrenamtliches Engagement insofern problematisch, als es in der Regel weniger die Arbeitslosen sind, die sich ehrenamtlich engagieren. Dies gilt auch für die älteren Arbeitslosen (vgl. Graphik 6), die - gefolgt von den Nichterwerbstätigen - in den vergangenen Jahren nach Auswertungen des Sozioökonomischen Panels (SOEP) fast immer die geringste ehrenamtliche Beteiligung aufwiesen.
Weitere Auswertungen des SOEP belegen ferner für den Untersuchungszeitraum zwischen 1994 bis 1998: Von den Personen, die 1994 50 Jahre alt und älter waren und die zu diesem Zeitpunkt einer Erwerbsarbeit nachgingen, waren 1998 noch 57 Prozent erwerbstätig, 15,2 Prozent waren in die Erwerbslosigkeit übergegangen, 27,8 Prozent zählten 1998 zu den Nichterwerbstätigen, d. h. Rentnern bzw. Pensionären. Von denen, die 1994 ehrenamtlich engagiert waren, waren 1998 insgesamt noch 73,3 Prozent engagiert
Auffällig bei der Untersuchung ist vor allem, dass Personen, die in den Jahren nach 1994 in die Erwerbslosigkeit übergingen, zu einem überdurchschnittlich hohen Prozentsatz ihr Engagement beibehielten. 1995 waren noch 87,5 Prozent und 1998 noch 81,8 Prozent von diesen ehrenamtlich engagiert. Dies bedeutet, dass ehrenamtliches Engagement durchaus eine Möglichkeit darstellt, Menschen eine Möglichkeit gesellschaftlicher Integration zu bieten. Allerdings funktioniert dies - wie die Erfahrung zeigt - nur dann gut, wenn das Engagement schon vor der Phase der Erwerbslosigkeit bestand. Denn die Gegenüberstellung mit der Personengruppe, die 1994 ebenfalls 50 Jahre und älter, aber schon zu diesem Zeitpunkt erwerbslos war, zeigt, dass einerseits der Zugang zum ehrenamtlichen Engagement wesentlich seltener gelingt, wenn die Person nicht in den Arbeitsmarkt integriert werden kann oder sie in die Nichterwerbstätigkeit ausscheidet, andererseits das bestehende ehrenamtliche Engagement umso stärker nachlässt, je länger die Erwerbslosigkeit andauert
Eine eigene qualitative Befragung in ausgewählten Arbeitseinrichtungen (wie Arbeitsloseninitiativen, Arbeitslosenzentren etc.) in Bayern im Jahr 2000 zeigt ferner
Da auf der anderen Seite in diesen Einrichtungen immer wieder die Erfahrung gemacht wurde, dass engagierte Personen, die in der Regel auch schon vor der Phase der Arbeitslosigkeit aktiv waren, schneller aus dieser Situation wieder herausfinden und in den Arbeitsmarkt integriert werden, wird von einigen Einrichtungen generell versucht, die von Arbeitslosigkeit betroffenen Menschen "in Bewegung" zu bringen bzw. zu aktivieren, indem die Arbeitslosen beispielsweise in die Aufgaben der Einrichtungen eingebunden werden oder indem spezielle Gelegenheiten geschaffen werden, bei denen die Einzelnen ihre "Talente" einbringen können. Dies lässt vermuten, dass die Arbeitslosen in einem Rahmen, in dem sie Hilfe erfahren, durchaus zur aktiven Mitarbeit bereit sind. Ein gegenseitiges Geben und Nehmen sowie das Eingebundensein in soziale Netze können somit als Voraussetzungen für Engagementbereitschaft gewertet werden. Allerdings gelangt man auch hier an Grenzen, wenn z. B. für einfache Tätigkeiten die Grundvoraussetzungen wie Pünktlichkeit oder Zuverlässigkeit bei den Arbeitslosen nicht vorhanden sind. So wurde neben der häufig fehlenden Bereitschaft zu ehrenamtlichem Engagement von den Leitern der Einrichtungen gerade bei Langzeitarbeitslosen auch die nicht vorhandene Qualifikation als Argument für die mangelnde Integrationsfähigkeit angeführt. Denn auch Ehrenamt setzt ein gewisses, oft hohes Maß an Qualifikation bzw. Qualifizierbarkeit voraus
Dies bedeutet letztlich, dass der Übergang in Rente durch den vorzeitigen (unfreiwilligen) Ausschluss aus dem Arbeitsmarkt nicht zur absoluten Bruchstelle im Lebenslauf der Gesellschaftsmitglieder werden darf. Mittel- bis langfristig müsste daher ein gesellschaftliches Umdenken einsetzen, so dass rechtzeitig geeignete Maßnahmen getroffen werden können, die eine echte Alternative zur fehlenden Arbeitsmarktintegration bieten bzw. die den negativen Effekten (z. B. "Tunneleffekt" bei Langzeitarbeitslosen etc.) langanhaltender Arbeitslosigkeit frühzeitig entgegenwirken. Denn die Lebenssituation der älteren Arbeitslosen ändert sich häufig gerade dann (man ist versucht zu sagen: glücklicherweise), wenn diese das Rentenalter erreichen und für sie damit - im Sinne einer neuen Statuspassage
IV. Maßnahmen zur Förderung des Ehrenamtes
Da neben der Erwerbsarbeit auch andere gesellschaftlich nützliche Tätigkeiten zu Identifikation, Sinnerfahrung und sozialer Integration der Individuen in die Gesellschaft wesentlich beitragen können, ist es wichtig, einen Weg zu finden, auf dem der Übergang - und insbesondere der vorzeitige Übergang - von der Erwerbstätigkeit in Rente sowohl aus Sicht der Betroffenen als auch im Sinne gesellschaftlicher Interessen (Erhalt von Human- bzw. Sozialkapital) als positiver Prozess gelingen kann. Denn die älteren Arbeitnehmer sind nur zum geringeren Teil auf die Ausgliederung vorbereitet und können die neuen "Freiheiten" oft nicht als Chance für neue Lebensinhalte bzw. -gestaltung nutzen - nicht zuletzt auch, weil ihnen die entsprechenden Grundlagen in dieser Situation fehlen
Allerdings ist bei Modellprojekten - wie der "Bürgerarbeit" in Bayern oder der "Aktion 55" in Sachsen - zur Stärkung ehrenamtlichen Engagements als "Ersatz" für immer weiter erodierende Arbeitsplätze zu beachten, dass die Aussicht auf einen Erfolg solcher Ansätze wohl nicht nur bereichsspezifisch unterschiedlich ist und von dem jeweiligen sozialen Umfeld, sondern auch von den Individuen selbst, ihrer Sozialisation und insbesondere auch von ihrer spezifischen Lebenslage und Lebensphase abhängt. Welche organisatorischen Formen bzw. Umfelder (auch nach Regionen bzw. in der Differenzierung nach Stadt/Land bzw. Wohngebieten), kurz: welche institutionellen Arrangements allerdings für eine soziale Integration Älterer eher förderlich oder eher hinderlich sind, ist aus dem gegenwärtigen Forschungsstand mit seinen teils faszinierenden, jedoch weitestgehend singulären Befunden bisher weder generell noch gar im Sinne von tragfähigen Handlungsanleitungen ableitbar. So existieren zahlreiche theoretische
Dennoch zeigt die Fülle von erfolgreichen Initiativen in diesem Bereich
V. Forschungsbedarf
Das bisher nur fragmentarisch vorhandene Wissen in der Ehrenamtsforschung (gerade in diesem Bereich) muss in Zukunft um wesentliche Aspekte ergänzt werden. So ist es etwa erforderlich, vorhandene Modelle und Projekte im Detail auf schicht-, milieu- oder aber auch "problemgruppenspezifische" Integrations- bzw. Exklusionsmechanismen zu prüfen. Vor allem aber auch die aktiv ehrenamtlich Engagierten müssten nach ihrem Integrationsempfinden, ihrer (Lebens-) Zufriedenheit, Lebensqualität oder der Beurteilung ihres sozialen Rückhalts im Alltag befragt werden. Denn auch ähnliche Lebensbedingungen führen - aufgrund unterschiedlicher subjektiver Lebenslagen bzw. Lebensphasen - nicht notwendigerweise zu gleichen Bewertungen, Interpretationen oder Verhaltensweisen, sondern werden durch die persönlichen und sozialen Ressourcen, personenbezogenen Eigenschaften, Einstellungen oder Erfahrungen geprägt. Gerade das Herausarbeiten von Elementen bzw. Faktoren, die es beispielsweise Arbeitslosen, Vorruheständlern etc. ermöglichen, soziale Exklusion außerhalb der Arbeitswelt zu vermeiden bzw. zu überwinden, kann einen Beitrag zu einer neuen - integrativen und sozial ausgewogeneren - Gesellschaft leisten.
Wichtig ist aber auch zu wissen, warum ehrenamtlich Engagierte ihre Teilhabe an spezifischen Engagementbereichen als persönlich wichtige Erfahrung einschätzen bzw. welche Verbessungsvorschläge bezüglich Konzept und Durchführung aufgenommen werden müssen, um ein höheres Maß an sozialer Integration, aber auch individueller Unterstützung hinsichtlich der Befähigung zur z. B. Selbstorganisation bzw. zum ehrenamtlichen Engagement zu erreichen. So fällt auf, dass sich beispielsweise Frauen viel häufiger unabhängig von ihrer Arbeitsmarktintegration für ehrenamtliches Engagement entscheiden. Die Weiterentwicklung von Projekten und Modellen sollte daher - insbesondere vor dem Hintergrund einer weiteren demographisch bedingten Zuspitzung der Situation auf dem Arbeitsmarkt für Ältere