Einleitung
Der in vollem Gang befindliche demographische Umbruch führt auch zu einer rasch alternden Erwerbsbevölkerung. Von den absehbaren Problemen bei der Arbeitskräfteversorgung werden viele Unternehmen des Handwerks voraussichtlich überdurchschnittlich betroffen sein. Die zu erwartenden Schwierigkeiten haben ihre eigentlichen Ursachen dennoch nicht in erster Linie in der demographischen Entwicklung, sie trägt aber dazu bei, tiefer liegende, fast schon "traditionelle" Versäumnisse und Schwächen bei Rekrutierung, Personalplanung und -entwicklung sowie bei der Qualifizierung offen zu legen und verschärft wirksam werden zu lassen - umso mehr, als bisher praktizierte "Ausweichlösungen" bei knapper werdenden Nachwuchsjahrgängen immer weniger funktionieren. Das gilt für das verbreitete Ausbilden weit über den eigenen Bedarf (mit der Folge hoher Fluktuation und sehr niedrigem Durchschnittsalter in vielen Betrieben) und für den nicht selten beobachteten produktiven Einsatz von Lehrlingen über ein vom Ausbildungszweck gerechtfertigtes Ausmaß hinaus. Auf diesen Feldern liegt das eigentliche Manko vieler Handwerksbetriebe, das zu einer insgesamt schwachen Arbeitsmarktposition führt.
Die demographischen Engpässe sind daher ein Grund mehr, auf zukunftsfähige Strategien umzuschalten und unter Anknüpfung an die vorhandenen positiven Potenziale das Arbeiten im Handwerk zu einer langfristig attraktiven Perspektive zu entwickeln. Ansatzpunkte sind u. a. die alternsgerechte Gestaltung von Arbeitsplätzen, generationenübergreifender Erfahrungsaustausch und entsprechende Weiterbildung, vermehrte Beschäftigung von Frauen sowie Schaffung innerbetrieblicher Aufstiegsmöglichkeiten. Wenn es gelingt, dafür Inhaber und Beschäftigte zu mobilisieren, sind die Erfolgsaussichten günstig - insbesondere wenn es gelingt, die Beteiligung der Arbeitnehmerseite in den Selbstverwaltungsgremien, die Bestandteil der Handwerksordnung ist, dafür zu nutzen.
I. Die demographische Wende - was kommt auf uns zu?
Für die nächsten Jahrzehnte wird für die Bundesrepublik nicht nur ein erheblicher Rückgang der Bevölkerung, sondern vor allem auch eine massive Zunahme des Anteils Älterer erwartet. Bei den Erwerbspersonen soll der Anteil der 50- bis 64-Jährigen besonders stark ansteigen1.
Bei den folgenden Überlegungen zur Arbeitskräfteversorgung im Bereich des Handwerks wird die Perspektive auf die nächsten beiden Jahrzehnte beschränkt. In den Bevölkerungsprognosen werden zwar bereits Aussagen zu Zeiträumen bis 2050 getroffen. So weit es dabei aber z. B. um die zu erwartenden Eintritte ins Erwerbsleben geht, muss man sich klar machen, dass die ab ca. 2020 eintretenden Erwerbspersonen - im Unterschied zu denen, die in den beiden nächsten Jahrzehnten hinzukommen - heute noch nicht geboren sind. Ob sich die künftig zu erwartenden Geburtenziffern aber über Jahrzehnte hinweg solide prognostizieren lassen, kann füglich bezweifelt werden (solange jedenfalls dahinter noch einigermaßen autonome Entscheidungen der Beteiligten stehen). Beispielsweise kam es nach der "Wende" in den neuen Bundesländern zu einem rasanten Geburtenrückgang, den niemand vorhergesehen hatte. Ähnliches gilt im Übrigen für das übliche langfristige Fortschreiben einer Tendenz eines weiter steigenden Durchschnittsalters der Bevölkerung. Was gerne als "Lebenserwartung" der Betroffenen bezeichnet wird, ist nichts anderes als die Erwartung von Bevölkerungsforschern, die sie aufgrund keineswegs ausreichender Daten aus dem seit dem Ende des 19. Jahrhunderts zu verzeichnenden Trend "extrapolieren" - und das, obwohl es angesichts einer Fülle von bislang kaum abschätzbaren, geschweige denn gezielt steuerbaren Einflussfaktoren sehr wohl denkbar ist, dass sich der Trend auch wieder umkehren kann
Für die nähere Zukunft allerdings gilt, dass der bevölkerungspolitische Umbruch läuft und kurzfristig nicht gestoppt werden kann - auch wenn das vielfach noch nicht bemerkt wird. Wegen der demnächst ins Erwerbsleben eintretenden kleineren Jahrgänge sind ein rasch ansteigendes Durchschnittsalter der Belegschaften in den Betrieben und Engpässe bei der Versorgung mit Nachwuchs vorprogrammiert. Gleichzeitig ist aber die Personalpolitik der meisten Unternehmen immer noch ausgesprochen jugendzentriert. Nach wie vor werden alle Gelegenheiten genutzt, um Ältere möglichst früh in den Ruhestand zu schicken. Es ist aber absehbar, dass diese Rezepte nicht nur sehr bald nicht mehr funktionieren werden, sondern wir noch lange mit dadurch ausgelösten massiven "Spätfolgen" zu kämpfen haben werden - darauf wird noch zurückzukommen sein. Daher ist ein umfassendes Umdenken nicht nur bei Unternehmen, sondern z. B. auch bei den Interessenvertretungen der Arbeitnehmer, bei den Verbänden, den Sozialversicherungsträgern, den Berufsgenossenschaften, der Arbeitsverwaltung, bei Bildungsträgern und nicht zuletzt bei den politisch Verantwortlichen auf den verschiedenen Ebenen dringend geboten. Mit entscheidend wird es sein, das verbreitete Vorurteil zu bekämpfen, dass Unternehmen, wenn sie erfolgreich und innovatorisch tätig sein wollen, dies nur mit möglichst jungen Belegschaften schaffen können. Es gibt nämlich bereits eine Fülle von praktischen Erfahrungen sowie eine Reihe von Forschungsergebnissen, die untermauern, dass es durchaus möglich ist, auch mit älteren Belegschaften erfolgreich zu sein - selbst auf hochturbulenten modernen Märkten. Allerdings müssen dazu dann auch die erforderlichen Voraussetzungen wie anforderungsreiche Arbeitsplätze, konstruktives Betriebsklima und angemessene Weiterbildungsmöglichkeiten geschaffen werden
1. Die so genannte demographische Falle - in Wirklichkeit auch Resultat kurzsichtiger Personalpolitik?
Die Gesamtbevölkerung altert derzeit schnell. Schon heute steht damit ziemlich unverrückbar fest, dass die Erwerbsbevölkerung (dazu rechnet man die Menschen im Alter von 15 bis 64 Jahren) noch rascher altert. Wenn wir an dieser Situation heute etwas ändern würden (z. B. durch steigende Geburtenraten), wirkte sich das beim Arbeitsangebot frühestens in 15 bis 20 Jahren aus. Lediglich eine ausgeprägte Zuwanderung aus dem Ausland könnte kürzerfristig etwas bewirken. Erfolgt diese Zuwanderung aber ähnlich naturwüchsig, wie es in der Vergangenheit zu beobachten war, kommen möglicherweise zwar überproportional Jüngere, aber wahrscheinlich in der Regel zugleich auch solche mit geringeren Qualifikationen. Diese Arbeitskräftegruppe wird aber ohnedies auf dem Arbeitsmarkt immer weniger nachgefragt, mit der Folge weit überdurchschnittlicher Arbeitslosigkeit in diesem Bereich. Ob ein gezieltes "Einkaufen" von jüngeren hoch qualifizierten Kräften aus dem Ausland (s. die Greencard-Debatte) dagegen eine dauerhaft zukunftsfähige Lösung darstellt, kann aus guten Gründen bezweifelt werden. Das gilt insbesondere dann, wenn diese Lösung dazu genutzt werden soll, Versäumnisse von Unternehmen und Bildungssystem zu kaschieren und damit (über)fällige Umorientierungen zu vermeiden oder zu verschieben.
Davon abgesehen kann es auch in anderer Hinsicht problematisch sein, zu versuchen, eigene demographische Probleme einfach über andere Länder zu lösen. Es ist durchaus denkbar, dass die Entwicklungsperspektiven von Ländern, die mehr oder weniger freiwillig Arbeitskräfte exportieren, leiden können, wenn größere Teile der jungen, hoch qualifizierten Bevölkerung abwandern
Dass sich viele deutsche Unternehmen bislang noch kaum mit der Problematik des Alterns der Belegschaften befasst, geschweige denn entsprechende Vorkehrungen getroffen haben, hängt damit zusammen, dass es lange Zeit vielen möglich war, dem eigentlich schon laufenden Alterungsprozess der Belegschaften über Personalabbau zu "entgehen". Weil es (aus der betriebswirtschaftlichen und der individuellen Perspektive betrachtet) attraktive Lösungen gab, wurden weit überproportional Ältere "freigesetzt". Gleichzeitig lief ein durch die "Verjüngung durch Kappung der älteren Jahrgänge" mit begünstigter erheblicher Rationalisierungs- und Intensivierungsschub ab. Mit dem Abbau entfiel auch der Problemdruck, der durch die sonst stärker alternden Belegschaften vermutlich entstanden wäre. Die Älteren, die aufgrund ihrer körperlichen Vorbelastungen auf der einen und ihrer betrieblichen Erfahrungen auf der anderen Seite am ehesten genötigt bzw. in der Lage gewesen wären, übermäßig verschleißfördernde Maßnahmen wahrzunehmen und sich dann auch dagegen zur Wehr zu setzen sowie ihre Kolleginnen und Kollegen über die absehbaren Folgen aufzuklären, waren in den Betrieben kaum noch präsent.
Sehr prosaisch ausgedrückt stellt sich der Vorgang folgendermaßen dar: Wenn die personalpolitisch Verantwortlichen mit einer längeren Verbleibdauer Älterer im Unternehmen hätten rechnen müssen, wäre stärkerer Druck entstanden, die Arbeitsbedingungen entsprechend zu gestalten - zumal "ältere Arbeitnehmer" grundsätzlich durch gesetzliche und tarifvertragliche Regelungen vor Entlassungen eigentlich meist besser geschützt sind als ihre jüngeren Kolleginnen und Kollegen. Wenn dagegen die "Nutzungsdauer" der Arbeitskräfte - z. B. durch Vorzeitpensionierungsregelungen - verringert wird, sind auch höhere Beanspruchungen mit der Folge entsprechenden Verschleißes möglich. Das Gegenstück zu dieser Perspektive findet sich bei den sozialen Sicherungssystemen. Hier zeigt sich bereits jetzt (was u. a. von einer Reihe von Wissenschaftlern spätestens seit Ende der siebziger Jahre vorhergesagt wurde), dass die vermeintliche Problemlösung "Vorzeitverrentung" letztlich langfristig mehr Probleme schafft als sie löst
2. Altersteilzeit als Lösungsbeitrag beim demographischen Strukturbruch - eine vertane Chance?
An dieser Stelle ist auf eine ähnlich problematische, in unserem Zusammenhang bedeutende Konstellation und eine - zumindest bislang nicht genutzte - Chance einzugehen, auch wenn dies von vielen Unternehmens-, aber auch Arbeitnehmervertretern als provokant empfunden werden dürfte: Es geht um das Altersteilzeitgesetz (ATG), das eigentlich ein durchaus plausibles Instrument zur Verringerung der skizzierten Probleme sein könnte, und um die Praxis seiner Nutzung, die dem weitgehend widerspricht. In § 1 (1) des Gesetzes heißt es: "Durch Altersteilzeitarbeit soll älteren Arbeitnehmern ein gleitender Übergang vom Erwerbsleben in die Altersrente ermöglicht werden." Die vorgesehene Förderung durch das Arbeitsamt ist daran geknüpft, dass ein arbeitslos Gemeldeter eingestellt oder ein Auszubildender übernommen wird. Der "Normalfall" ist eindeutig: Beschäftigung in Teilzeit und sofortige Neueinstellung. In der Praxis aber dominiert (auch im hier besonders interessierenden Bereich des Handwerks, wo es relativ wenige Tarifverträge zur Altersteilzeit gibt) dagegen das so genannte Blockmodell, bei dem der/die Betroffene die erste Hälfte der Zeit (insgesamt werden höchstens fünf Jahre Altersteilzeit gefördert) voll (max. zweieinhalb Jahre) und dann überhaupt nicht mehr arbeitet - jeweils bei gleicher Bezahlung. Fast alle Betriebsvereinbarungen und tarifvertraglichen Vereinbarungen zum ATG privilegieren ebenfalls das Blockmodell. Die Neueinstellung erfolgt in diesem Fall erst nach der Hälfte der Laufzeit.
Nun ist es evident, dass bei zweieinhalbjähriger Vollzeitarbeit mit anschließendem faktischen Ausscheiden aus dem Betrieb weder von Altersteilzeit noch von einem "gleitenden Übergang" die Rede sein kann. Problematisch ist darüber hinaus, dass die Neueinstellungen erst nach zweieinhalb Jahren "Altersteilzeit" erfolgen. Gerade jetzt aber bestehen die gewaltigen Probleme an der "2. Schwelle", also nach Abschluss der Ausbildung im "dualen System" (s. dazu unten), die eine hohe Arbeitslosigkeit junger Menschen nach Abschluss der Lehre zur Folge haben
Letztlich läuft die heutige Praxis des Altersteilzeitgesetzes auf die modifizierte Fortsetzung der Vorzeitpensionierungspolitik mit all ihren Problemen und Spätfolgen hinaus. Damit werden wichtige Chancen, die im Altersteilzeitgesetz liegen und die gerade im Handwerk eine besondere Bedeutung haben könnten, vertan. Das gilt für die sofortige Schaffung von Beschäftigungsmöglichkeiten für Lehrabsolventen oder für die Intensivierung generationenübergreifender Zusammenarbeit mit der Chance des umfassenden Erfahrungstransfers von den Älteren zu den Jüngeren - auch hier bieten sich in Handwerksbetrieben besonders günstige Voraussetzungen. Die Bedeutung des Erfahrungswissens älterer Mitarbeiter für Unternehmen wird (bei weitem nicht nur im Handwerk) leider häufig erst erkannt, nachdem man sie entlassen oder in Rente geschickt hat.
Es ist allerdings unbestreitbar, dass nicht nur die Unternehmen (vor allem auch, weil es als organisatorisch leichter zu bewältigen gilt), sondern auch viele ältere Arbeitnehmer das Blockmodell vorziehen - Letztere vor allem, weil sie ihren Arbeitsbedingungen, oft wegen schon erlittener gesundheitlicher Beeinträchtigungen, möglichst rasch und endgültig "entkommen" wollen. Es geht dabei auch um die bereits angesprochenen langfristigen Folgen und insbesondere auch darum, ob nicht das Blockmodell dazu beitragen kann, die fatale Spirale von Intensivierung und schnellerem Verschleiß der Arbeitskraft fortzusetzen, während ein Teilzeitmodell Ansatzpunkte bieten könnte, diesen Trend zu verlangsamen oder zu stoppen. Ob ein Appell an die Tarifparteien alleine aber ausreicht, um hier eine Änderung herbeizuführen, oder ob es doch auch angezeigt wäre, die Regelungen des Altersteilzeitgesetzes so neu zu fassen, dass die der eigentlichen Intention entsprechende Nutzung zumindest (z. B. durch gestaffelte Förderung über die Arbeitsverwaltung) lukrativer wird, bleibt die Frage
II. Ist das Handwerk tatsächlich vom demographischen Strukturbruch besonders betroffen?
Wenn im Folgenden versucht wird, herauszuarbeiten, ob und wie das Handwerk von den skizzierten Entwicklungen betroffen sein wird, kann das an dieser Stelle nur in sehr grober Form geschehen
Schaut man sich die monierten Defizite bei der Arbeitskräfteversorgung im Handwerk näher an, so zeigt sich, dass sie zum einen in der quantitativen Dimension konstatiert werden: Die Zahl der für das Handwerk zu gewinnenden Arbeitskräfte reicht nicht aus - sei es, weil die Zahl der Auszubildenden überhaupt zu gering ist und/oder weil es zu Abwanderungen ausgelernter Gesellen kommt.
Darüber hinaus werden bei zahlenmäßig zu geringem Angebot, aber auch wenn es an sich genügend Arbeitskräfte gibt, Mängel in der qualitativen Dimension moniert: Oft gelingt es selbst bei einem Überangebot auf dem Arbeitsmarkt nicht, die gewünschten qualifizierten und motivierten Arbeitskräfte zu gewinnen. Falls man aber bis dahin erfolgreich war, scheitert anschließend häufig der Versuch, diese Beschäftigten dauerhaft ans Handwerk zu binden.
1. Warum besondere Schwierigkeiten bei der Arbeitskräfteversorgung im Handwerk?
Die erwähnten demographischen Umbrüche (weniger Junge, mehr Ältere) tragen zweifellos wesentlich und zunehmend dazu bei, die Probleme vieler Handwerksbetriebe bei der Arbeitskräfteversorgung zu verschärfen. Keineswegs sind sie aber der einzige, oft nicht einmal der entscheidende Grund. Es kann daher nicht eindringlich genug davor gewarnt werden, in einer offenbar vom einzelnen Handwerksbetrieb in keiner Weise zu beeinflussenden Entwicklung die Hauptursache der Rekrutierungs- und Personalbindungsprobleme suchen zu wollen.
Die Ursache der Schwierigkeiten sind nicht in erster Linie die sich voraussichtlich noch verschärfenden Verschiebungen im Altersaufbau der Erwerbsbevölkerung. Entscheidend ist vielmehr die vergleichsweise schlechte Position großer Teile des Handwerks auf dem Arbeitsmarkt. Wer die (vermeintlich oder tatsächlich) attraktivsten Arbeitsplätze anbietet, steht weit vorne in der Arbeitskräftenachfrageschlange und hat die besten Auswahlmöglichkeiten. Daher trifft auf der einen Seite auch ausgeprägte allgemeine Arbeitskräfteknappheit (quantitativer Arbeitskräftemangel) keineswegs alle Unternehmen in gleicher Weise. Auf der anderen Seite können aber auch, wenn bei Unterbeschäftigung mehr als genügend Arbeitskräfte (quantitatives Überangebot) zur Verfügung stehen, qualitative Engpässe auf dem Arbeitsmarkt auftreten (z. B. bei der Versorgung mit motivierten Auszubildenden mit höheren Schulabschlüssen oder mit Arbeitskräften mit modernen Abschlüssen). Davon sind dann wiederum Arbeitskraftnachfrager in schlechter Position weit überproportional betroffen
An dieser Stelle muss unterstrichen werden, dass es "das Handwerk" im Sinne eines einheitlichen Wirtschaftszweigs mit hochgradig homogener Struktur nicht gibt; auch wenn das einer verbreiteten Wahrnehmung, die nicht zuletzt auch von Vertretern des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks im Sinne der Lobbyarbeit in durchaus plausibler Weise gestützt wird, widerspricht. Vielmehr findet man hier ein schwer zu übertreffendes Ausmaß an Unterschiedlichkeit vor. Die Betriebe (ca. 600 000) agieren unter höchst divergenten Rahmenbedingungen und Voraussetzungen: Es gibt noch immer fast 100 verschiedene Gewerke (Vollhandwerke), dazu kommt eine ganze Reihe "handwerksähnlicher Gewerbe". Die jeweiligen Produktmärkte unterscheiden sich erheblich, ebenso die Qualifikationsanforderungen an die Beschäftigten, die Arbeitsbelastungen und die Verdienstmöglichkeiten. Die regionalen Diskrepanzen bei der Nachfrage, aber auch bei der Arbeitskräfteversorgung, sind enorm. Und schon die Tatsache, dass es im Handwerk Betriebsgrößen gibt, die von einem bis weit über 1 000 Beschäftigten reichen, sollte genügen, um deutlich zu machen, dass Aussagen über "das Handwerk", deren Gehalt über Gemeinplätze hinausgeht, kaum sinnvoll zu treffen sind.
Dennoch handelt es sich bei der Arbeitskräfteversorgung um einen Themenkomplex, bei dem man der Einfachheit halber noch am ehesten in verallgemeinernder Weise (wenn auch in Kenntnis des eben Ausgeführten) von Problemen "des Handwerks" sprechen kann.
2. Handwerkliche Ausbildungs- und Rekrutierungspolitik - wie war es bisher?
In den meisten Gewerken und Betrieben des Handwerks war für die Nachkriegsperiode eine gegenüber der Industrie und dem Dienstleistungssektor schwächere Arbeitsmarktposition charakteristisch. Wichtig in diesem Zusammenhang ist, dass der einzig wirklich bedeutende Weg der Rekrutierung im Handwerk die Ausbildung in den Gewerken darstellt: 84 Prozent der im Handwerk Beschäftigten wurden auch dort ausgebildet, in der Industrie sind es nur 54 Prozent und im öffentlichen Dienst 41 Prozent
Das Handwerk insgesamt betrachtet bildete stets weit über den eigenen Bedarf hinaus aus - Experten sprechen von etwa der zweifachen Zahl der eigentlich benötigten Kräfte. Es wurde für andere Wirtschaftszweige mit ausgebildet. Dabei gab es allerdings erhebliche Unterschiede sowohl bei den ausbildenden Gewerken als auch zwischen den "aufnehmenden Branchen" (vor allem Automobil- und Elektroindustrie, aber auch Chemie und öffentlicher Dienst). Im Ergebnis haben 29,4 Prozent der in der Industrie und 23 Prozent der im öffentlichen Dienst Tätigen ihre Ausbildung im Handwerk gemacht
Daraus ist zu schlussfolgern, dass Handwerksunternehmen ihre Position auf dem Arbeitsmarkt aktiv verbessern müssen. Als Ansatzpunkte bieten sich Bezahlung, Arbeitsbedingungen, Autonomiespielräume, Aufstiegschancen und Sicherheit der Beschäftigung an. Die Schaffung altersgerechter Arbeitsplätze und die stärkere Orientierung auf den Einsatz weiblicher Arbeitskräfte könnten die Ausgangsposition weiter verbessern. Trotz einiger Verbesserungen, die in letzter Zeit auf diesen Feldern zu verzeichnen sind, besteht noch erheblicher Nachholbedarf. Das gilt vor allem bezüglich der Schaffung von Qualifizierungs- und Aufstiegsmöglichkeiten. In diesem Zusammenhang ist die Diskussion um die Aufwertung des "großen Befähigungsnachweises", also der Meisterprüfung im Handwerk, nicht nur als "Lizenz zur Betriebsgründung", sondern auch als Ausweis hervorragender Qualifikation für innerbetriebliche Führungsaufgaben von einiger Bedeutung
III. Verbesserung der Arbeitsmarktposition als Ansatz
In Kenntnis dieser Lage ist es nur zu begrüßen, wenn in einigen Gewerken die Fachverbände, aber darüber hinaus auch einzelne weit blickendere Unternehmen, zu dem Schluss gekommen sind, dass eine zukunftsfähige Politik der Arbeitskräfteversorgung darin zu bestehen hat, die Ausbildung auch zahlenmäßig am tatsächlichen Bedarf auszurichten. Zugleich soll versucht werden, möglichst motivierte und qualifizierte Auszubildende zu gewinnen, denen man dann aber konsequenterweise auch entsprechende betriebliche (Personal-)Entwicklungsperspektiven bieten muss. Diese Schlussfolgerung scheint bislang aber eher die Ausnahme. Es ist auch noch nicht abzusehen, ob dort, wo entsprechende Aussagen neuerdings immerhin gemacht werden, auch tatsächlich die entsprechenden Taten folgen
1. Ausbildung über den eigentlichen Bedarf - eine zukunftsträchtige Lösung?
Noch immer gilt, dass große Teile des Handwerks ihr Ausbildungsvolumen keinesfalls ausschließlich oder vorrangig am "rechnerischen Bedarf", sondern auch an den erwarteten Kosten-/Ertragsrelationen der Ausbildung, den betrieblichen Möglichkeiten, Ausbildung durchzuführen, und vor allem an den skizzierten Erfahrungen mit Abwanderung und daraus resultierenden Engpässen ausrichten. Weiter spielen Appelle eine wichtige Rolle, bei Lehrstellenmangel zusätzliche Ausbildungsplätze bereitzustellen. Nachdem die Zahl derjenigen, die nach Abschluss einer Ausbildung im dualen System weder vom Ausbildungsbetrieb übernommen noch von einem anderen Unternehmen beschäftigt, sondern arbeitslos wurden, in den letzten Jahren auf über 26 Prozent stark angestiegen ist
Dieser Sachverhalt wirft einige Fragen auf: Wird der Mangel tatsächlich durchweg beklagt, weil man in Sorge ist, genügend Nachwuchs für die Zukunft bereitstellen zu können, oder legt die Tatsache, dass noch immer ausgebildete Fachkräfte in die Arbeitslosigkeit entlassen werden, obwohl schon wieder von Lehrlingsknappheit die Rede ist, eher die Schlussfolgerung nahe, dass für viele Handwerksbetriebe das Arbeiten mit Lehrlingen einfach günstiger ist als der Einsatz von tarifvertraglich zu entlohnenden Fachkräften? Selbstverständlich lassen sich diese Fragen hier und heute nicht detailliert beantworten
2. Für ein neues Rekrutierungs-, Qualifizierungs- und Personalentwicklungskonzept
Unbeschadet dessen, wie man ihre "Nebenwirkungen" bewertet, kann die "Strategie" der Überausbildung künftig aber weniger denn je dauerhaft zum Erfolg führen. Die absehbare Verknappung des Nachwuchses trifft nämlich - wie oben ausgeführt wurde - nicht alle Unternehmen gleich. Das heißt, dass marktmächtige und ertragsstarke Unternehmen, z. B. aus der Automobilindustrie, der Chemie oder dem Maschinenbau, ebenso wie etwa große Versicherungen oder Banken, die Verknappung kaum spüren werden. Das gilt erst recht für IT-Unternehmen oder Medienkonzerne, aber durchaus auch für kleinere Betriebe - z. B. aus der Softwarebranche. Für den Bedarf an Auszubildenden, den diese Unternehmen aufweisen, reicht auch der kleinste anstehende Altersjahrgang noch bequem aus. Sie können sich weiter die "Rosinen" aus dem Gesamtangebot herauspicken. Das gelingt umso eher, je leichter es ihnen diejenigen machen, mit denen sie im Wettbewerb um Personal stehen, wie z. B. Handwerksunternehmen, die so kurzsichtig agieren, wie oben dargestellt. Falls das Problem des Nachwuchsmangels für die erfolgreichen Unternehmen überhaupt spürbar wird, reduziert es sich auf die finanzielle Dimension: Wenn etwas knapper wird, wird es teurer. Wer genügend zahlen kann, muss bekanntlich keinen Mangel leiden
Damit ergibt sich aber eine in gesamtgesellschaftlicher Perspektive fatale Konstellation: Die Firmen, die eigentlich die besten Voraussetzungen hätten, die demographischen Herausforderungen tatsächlich zu bewältigen, können sich ihnen am leichtesten entziehen. Unternehmen dieses Typs haben am ehesten Erfahrungen mit der Einrichtung altersgerechter Arbeitsplätze, mit der Entwicklung entsprechender Qualifizierungsangebote usw. bzw. verfügen zumindest über die dafür erforderlichen personellen und finanziellen Ressourcen. Wenn es aber nicht gelingt, sie in eine Strategie zur gemeinsamen Bewältigung der Herausforderungen einer alternden Erwerbsbevölkerung einzubinden, können sie dem bislang verbreiteten "Jugendlichkeitskult" weiterhin frönen
Gleichzeitig geht die freiwillige Fluktuation aus dem Handwerk in andere Wirtschaftszweige wegen des dort rückläufigen Bedarfs, insbesondere an "Angelernten", bereits deutlich zurück, der Trend dürfte sich noch verstärken
3. Schaffung neuer Arbeitsplätze im Handwerk als Bestandteil einer erfolgsträchtigen Strategie
Angesichts noch immer viel zu hoher Arbeitslosigkeit, die durch demographische Veränderungen keineswegs automatisch verschwinden wird, bleibt nicht zuletzt auch für das Handwerk die Aufgabe, neben der entsprechenden Gestaltung der vorhandenen Beschäftigung zusätzliche zukunftsfähige Arbeitsplätze zu schaffen. An dieser Stelle kann darauf nur sehr knapp eingegangen werden, es sei aber auf Ansätze verwiesen, entsprechende Initiativen voranzubringen
Wichtig ist, im Auge zu behalten, dass dabei die so genannten Problemgruppen des Arbeitsmarkts selbstverständlich besondere Aufmerksamkeit verdient haben. Dessen unbeschadet gilt aber auch, dass jeder zusätzliche Arbeitsplatz, der geschaffen werden kann, auch wenn er von Jüngeren eingenommen wird, z. B. auch den Älteren hilft, wird doch dann an anderer Stelle prinzipiell ein Arbeitsplatz frei, auf den ein Älterer "nachrücken" kann. Die Verbesserung der Arbeitsmarktsituation durch zusätzliche Arbeitsplätze hilft letztlich allen. Daher wäre zweifellos die wirksamste Politik zur Verbesserung der Arbeitsmarktchancen der so genannten "Problemgruppen" die Wiederherstellung von Vollbeschäftigung. Neu zu schaffende Arbeitsplätze sollen und können aber darüber hinaus auch durchaus speziell an die Qualifikationen und besonderen Fähigkeiten Älterer anknüpfen. Die Schaffung zusätzlicher Arbeitsplätze im Handwerk ist möglich - Chancen gibt es gerade bei umweltorientierten Tätigkeitsfeldern
Durch die Verbindung einer zukunftsfähigen Aus- und Weiterbildungspolitik mit einer Gestaltung der Arbeitsbedingungen, die den Voraussetzungen alternder Belegschaften gerecht wird, und der Erschließung der erwähnten zusätzlichen Arbeitsplatzpotenziale eröffnen sich für Unternehmen des Handwerks viel versprechende Perspektiven. Zugleich können sie damit sowohl zur notwendigen nachhaltigen Entwicklung beitragen als auch die dringend benötigten Möglichkeiten schaffen, im Handwerk "in Ehren" (nämlich produktiv und qualifiziert tätig) alt zu werden.