Zu den häufigsten Vorwürfen gegenüber HipHop beziehungsweise seiner populärsten Ausdrucksform, dem Rap, zählen jene des Sexismus, der Misogynie und der Homophobie.
Diese Schilderungen treffen tatsächlich auf einen Teil von Rap zu. Den Zusammenhang von Rap und Geschlecht auf Sexismus, Misogynie oder Homophobie zu reduzieren, ist jedoch verkürzt und wird der Komplexität und Diversität der Rapszene im Hinblick auf Geschlecht nicht gerecht. Denn Ausschluss und Zugehörigkeit werden im Rap auch entlang weiterer sozialer Differenzlinien wie zum Beispiel Herkunft verhandelt, und zugleich überschneiden sich diese Kategorien. Bei einer Analyse von Geschlechterkonstruktionen im Rap ist dies zu berücksichtigen.
Eine solche intersektionale Perspektive ist jedoch nicht die einzige Verstehensdimension, die helfen kann, diskriminierende Diskurse im Bereich Rap umfassender nachzuvollziehen.
Rap als Textsorte
Die Begriffe "HipHop" und "Rap" werden oft synonym verwendet, meinen aber unterschiedliche Dinge. Während "HipHop" im Allgemeinen die Gesamtheit der Kultur fasst, die sich Anfang der 1970er Jahre nach und nach in der New Yorker South Bronx entwickelt hat, bezeichnet "Rap" lediglich eine ihrer Erscheinungsformen.
Als Ausdrucksform steht Rap in der Tradition afroamerikanischer Kultur- und Sprachpraktiken wie dem playing the dozens oder signifying. Diese bis auf die Zeiten der Sklaverei zurückreichenden Beleidigungs- und Schlagfertigkeitsrituale zeichnen sich durch ihr kompetitives Element (verbal duelling) aus, aber auch durch ihre Performativität und Fiktionalität. Raptypische Sprechhandlungen wie die eigene Selbstüberhöhung (boasting) oder die Beleidigung Dritter (dissing) müssen demnach entsprechend historisch kontextualisiert werden. Hier geht es weniger um Informationsaustausch als vielmehr darum, ein fiktives Gegenüber möglichst kreativ und gewitzt, dabei jedoch stets spielerisch auszustechen.
Sexismus ist zweifellos ein bedeutsamer Exklusionsmechanismus, dessen sich vorwiegend, aber nicht ausschließlich männliche Rapper bedienen, um andere Personen zu diskreditieren. So befremdlich das Aufrufen der Frau als "Bitch" oder "Nutte" oder die Herabsetzung von Müttern in Raptexten auf Außenstehende wirken mag, so sehr handelt es sich dabei auch um Spezifika der Textsorte. Ebenso zählen das subversive Moment des Brechens von Sprachnormen sowie die Rückeroberung diffamierender Bezeichnungen zu diesen Besonderheiten. Rap bietet damit als Textsorte selbstverständlich auch ein probates Mittel, um reale Vorbehalte gegenüber Frauen oder Homosexuellen auszudrücken und im Rahmen der Kunstfreiheit zu legitimieren.
Um die im Genre weit verbreitete und besonders effektive Diffamierungsstrategie der Beleidigung der gegnerischen Mutter oder Freundin sowie die diskursive Konstruktion untergeordneter Männlichkeiten als Exklusionsmechanismen zu erhellen, lohnt ein geschlechtertheoretisch informierter Blick auf den Komplex Rap und Männlichkeit.
Bedeutung von Männlichkeit im Rap
Mit welcher "Geschlechterbrille" man auf Rap blickt, hängt von der jeweiligen analytischen Haltung ab, die wiederum auf verschiedenen Theorietraditionen fußt. Für Theoretiker_innen, die sich im Poststrukturalismus verorten und sich dabei häufig auf die Philosophin Judith Butler berufen, sind geschlechtliche und sexuelle Identitäten performativ und damit auch veränderbar.
Vertreter_innen einer patriarchatstheoretischen Perspektive argumentieren hier anders. Unter Berufung auf den Soziologen Pierre Bourdieu gehen sie von einer "männlichen Herrschaft" im Rap aus.
Theoretiker_innen der Cultural Studies nehmen schließlich vor allem Aneignungsprozesse des Rap in den Blick. Ob einer männlichen Bilderwelt, deren Zeichen und Symbole als polysem, also als mehrdeutig angenommen werden, subversiv oder affirmativ begegnet wird, hängt aus dieser Perspektive von der lebensweltlichen Relevanz der Symbole für die geschlechtliche Identitätsarbeit der jeweiligen Rezipient_innen ab.
Unabhängig von der geschlechtertheoretischen Perspektive scheint festzustehen, dass Rap eine zahlenmäßig männlich dominierte Kulturpraxis ist. Mit Bushido, Sido, Casper, Cro, Haftbefehl oder Marteria lassen sich die kommerziell erfolgreichsten Rapkünstler_innen der vergangenen Jahre durchweg als männlich klassifizieren. Weiterhin können viele diskursmächtige Positionen der deutschsprachigen Rapszene als von Männern besetzt gelten, so etwa die Geschäftsführungen der einflussreichsten Labels oder die Chefredaktionen der wichtigsten Szenemedien.
Geht man von einer geschlechtsspezifischen, entlang des Gegensatzpaars Mann/Frau "vergesellschafteten" Sozialisation aus, im Zuge derer ein "weiblicher" oder "männlicher" Geschlechtshabitus erworben wird, so lässt sich argumentieren, dass dieser sich aufgrund der Überrepräsentation von Männern im Rap immer wieder (re)produziert. Selbst wenn man Männlichkeit als das allgemeine Ordnungsmuster des Rap annimmt und einen Großteil seiner Diskurse und Praktiken als männlich konnotiert begreift, so ist der Zusammenhang von Rap und Geschlecht damit jedoch noch nicht abschließend ausgeleuchtet. Denn zum einen gibt es die eine Männlichkeit oder Weiblichkeit nicht,
Geschlechtermodelle im Rap
Ob nun Casper, Haftbefehl, Samy Deluxe oder Max Herre, Sabrina Setlur, Melbeatz, Sookee oder SXTN – diese Künstler_innen bedien(t)en nicht nur unterschiedliche Genres, sondern verkörpern auch völlig verschiedene Geschlechtermodelle.
Als geschlechtlich binär und heteronormativ strukturiertes Feld findet die Ausbildung der Geschlechtsidentität im Rap in erster Linie entlang des Dualismus Mann/Frau statt.
So wirken restriktive Identitätsskripte, wie sie durch die Verweigerung oder Überdeterminierung Schwarzer Sexualität im Kontext der Sklaverei entstanden sind, bis heute nach. Viele hypersexualisierte Geschlechtermodelle US-amerikanischer Rapper_innen wie jenes der "Bitch", das etwa Lil’ Kim verkörpert, oder des "Gangsters" à la 50 Cent können deshalb auch als empowernde Reaktion gegenüber einer weißen Dominanzkultur interpretiert werden, da es dabei unter anderem um die Wiederaneignung Schwarzer Körper und Sexualitäten geht.
Um Geschlechtermodelle der hiesigen Szene zu verstehen, ist vorauszuschicken, dass Rap nicht nur als "Schwarze", sondern auch als "glokale" Kultur begriffen wird. Dabei wird davon ausgegangen, dass die Diskurse, Bilder und Narrative des Rap zwar global zirkulieren, im jeweiligen lokalen Kontext jedoch spezifisch angeeignet und dabei neu interpretiert werden. In Ermangelung einer vergleichbaren Kolonialgeschichte und Gesellschaftsstruktur funktioniert die Figur des "Schwarzen männlichen Rappers" in Deutschland daher unter veränderten Vorzeichen. Als Verständnishintergrund für die deutschsprachige Gangster-Männlichkeit kann so etwa der lokale Kontext der Migration gelten. Die Hypermaskulinität, wie sie seitens Bushido, Haftbefehl oder Massiv inszeniert wird, ist dann auch als empowernde Reaktion gegenüber restriktiven migrantisch-männlichen Identitätsskripten interpretierbar, wie sie von einer autochthonen Mehrheitsgesellschaft hervorgebracht werden.
Auch der Mechanismus der Rückeroberung stigmatisierender Zuschreibungen wird von deutschsprachigen Rapper_innen rekontextualisiert. In migrantisch dominierten Subgenres hat sich so die Selbstbezeichnung "Kanake" etabliert, und auch Begrifflichkeiten, die Weiblichkeit diffamieren, werden durch diese Strategien in ihrer diskreditierenden Wirkung zu schwächen versucht, etwa im Fall von "Bitch" bei Lady Bitch Ray oder "Fotze" bei SXTN.
Wie eingangs erwähnt, stellt Geschlecht also nicht die einzige machtvolle Kategorie dar, die über die soziale Positionierung in der Rapszene entscheidet. Vor allem ein Blick in die Text- und Bildwelten des Gangsta-Rap offenbart die Relevanz von Herkunft als einer weiteren sozialen Kategorie.
Gangsta-Rap: Männlichkeit, Herkunft, Identität
Durch die soziale Randständigkeit seines Entstehungsortes in der New Yorker South Bronx beziehungsweise seiner jungen Pionier_innen hat sich im HipHop eine Art "Ursprungsmythos" entwickelt, dessen Kern in der Berufung auf eine gemeinsam geteilte Erfahrung von Marginalisierung besteht. Wenn sich Rapper_innen weltweit also an diesem Topos abarbeiten – die Thematisierung des "Ghettos" oder der "Hood" zieht sich wie ein roter Faden durch deutschsprachige Raptexte, und kaum ein Musikvideo kommt ohne die Darstellung von Hochhäusern, Plattenbauten oder Skylines aus – so ist das auch als Konstruktion von Zugehörigkeit zu einer transnationalen HipHop-Gemeinschaft zu verstehen.
Das häufige Thematisieren der eigenen Herkunft hat auch mit der Bedeutung von Authentizität im HipHop beziehungsweise Rap zu tun. Kaum ein Diskursstrang zieht sich so nachhaltig durch Rap wie die Verhandlung dessen, was real, also glaubwürdig ist und was nicht. Zwar hat man sich in der Forschung weitestgehend auf die Kontextabhängigkeit von Authentizität geeinigt, eine eindeutige Definition dieses Rap-Schlüsselbegriffs wurde bislang jedoch nicht vorgelegt. Der Kommunikationswissenschaftler Kembrew McLeod hat mit Blick auf die US-amerikanische Szene sechs semantische Dimensionen von Authentizität im HipHop herausgearbeitet:
Gangsta-Rap, mehr Lebensgefühl als klar abgrenzbares Genre, wurde Anfang der 1980er Jahre an der US-amerikanischen Westküste populär und trat seinen Siegeszug in Deutschland etwa ab der Jahrtausendwende an. Dafür zeichneten vor allem Rapper aus dem Umfeld des Berliner Labels Aggro Berlin wie Bushido und Sido verantwortlich, jedoch sind auch Vertreter der darauffolgenden Generation wie Haftbefehl oder Farid Bang seither anhaltend wirtschaftlich erfolgreich.
Als Kernnarrativ des Subgenres kann erneut die Erzählung von Marginalisierung gelten. Um diese Rahmenhandlung gruppieren sich zahlreiche anschlussfähige Topoi, die von expliziter Kritik an sozialen Missständen über die detailgetreue Schilderung eines drogen- und partyaffinen Lebensstils bis hin zum alles überragenden Motiv vom sozialen Aufstieg reichen. Das Themenspektrum des Gangsta-Rap ist also breit gefächert; und doch ermöglicht die Aufrufung der Gangster-Narrative vor allem eines: die Konstruktion von Männlichkeit.
Kaum ein Bereich des Rap bietet so viele "vergeschlechtlichte" Motive an und macht die Identitätsarbeit entlang der Kategorie Männlichkeit so notwendig wie die maskulin konnotierten Spielarten des Gangsta- und Straßen-Rap. Weder ein Überleben im kriminalitätsbelasteten "Viertel", noch die Darstellung einer durchzechten Partynacht inklusive Drogenkonsum und Frauenbekanntschaften ist ohne die zumindest implizite Aufrufung männlich konnotierter Attribute wie Autorität, Härte oder Potenz möglich, geschweige denn glaubwürdig. Auch das Narrativ "from rags to riches" kann als vergeschlechtlicht betrachtet werden, gilt (Erwerbs-)Arbeit doch als zentraler Baustein männlicher Identitätsarbeit.
Die Gangster-Männlichkeit wird üblicherweise unter den Vorzeichen von Hypermaskulinität diskutiert. Weil sich diese auch über die Abgrenzung gegenüber Weiblichkeiten und anderen Männlichkeiten herausbildet und dies mitunter mittels expliziter Sprache und gezielter Tabubrüche erfolgt, wird die geschlechtliche Überinszenierung des Gangsters nicht selten aus einer defizitorientierten Perspektive in den Blick genommen. Weiterführender erscheint es hingegen, die Gangster-Männlichkeit als eine Art multifaktorielles Destillat verschiedenster Anforderungen und Entwicklungen zu begreifen. Neben Textsortenspezifika wie etwa das besonders autoritäre Sprechverhalten und Genrezwängen wie zum Beispiel street credibility und vergeschlechtlichte Narrative lässt sich an dieser Stelle die bereits angedeutete Identitätsarbeit im Kontext von Migration,
Geschlechtliche Modernisierungsprozesse im Rap
So eigenwillig vieles auf den ersten Blick erscheinen mag, was im Rap passiert: Die deutschsprachige Rapszene ist kein hermetisch abgeschlossener Mikrokosmos. Weder sind Diskriminierungsformen wie Sexismus, Homophobie oder Antisemitismus exklusiv im Bereich des Rap rekonstruierbar, noch ist die Szene immun gegenüber gesamtgesellschaftlichen Transformationsprozessen. Im Gegenteil: Gerade die gegenwärtige Verfassung des Rap zeigt anschaulich, wie durchlässig die Musikszene beispielsweise für Liberalisierungstendenzen hinsichtlich tradierter Geschlechternormen ist. Dabei bedingen sich viele verschiedene Entwicklungen wechselseitig, die den deutschsprachigen Rap in den vergangenen Jahren erfasst haben.
Im Zuge stetiger Ausdifferenzierung etwa haben sich Dutzende neue Spielarten, Subgenres oder "Bewegungen" entwickelt, darunter Emo-Rap, Cloud-Rap, Trap-Rap oder jüngst der sogenannte Afro-Trap.
Auch der technische Fortschritt und die damit verbundenen vereinfachten Produktionsbedingungen, wie sie im Zuge der Medialisierung durch Internet und Web 2.0 geschaffen wurden, erweitern die Möglichkeitsräume für Inszenierungen von Geschlecht. So müssen Rapszenegänger_innen im digitalen Raum zum Beispiel nicht zwangsläufig als Geschlechtswesen auftreten. Die Eintrittsschwelle zu einer Szene, deren soziale Exklusionsmechanismen entlang der Differenzlinien Geschlecht, Körper und Sexualität verlaufen, kann dadurch sinken. Schließlich öffnen sich durch soziale Medien und Online-Plattformen wie Youtube oder Soundcloud neue Chancen der Selbstvermarktung. Abseits der Verwertungslogik marktbeherrschender Major-Labels können auf diese Weise auch alternative geschlechtliche Rollenbilder breite Aufmerksamkeit erlangen.
Es sind aber auch die zunehmende Professionalisierung von Rapperinnen sowie allgemein feststellbare Liberalisierungstendenzen im Hinblick auf Geschlecht, die allmählich bis in die wertkonservative Rapszene durchsickern. So hat sich abseits des US-amerikanischen Mainstreams bereits seit dem Jahr 2000 eine "Homohop"-Szene herausgebildet. Queere Künstler_innen wie Deadlee oder Johnny Dangerous konterkarieren dabei die vorherrschenden heteronormativen Geschlechterimages des Rap und setzen ihnen Bilder schwulen Begehrens entgegen.
Als "crack in the foundation of HipHop" wird schließlich das Outing von Frank Ocean bezeichnet, einem Schwarzen US-amerikanischen HipHop- und R&B-Künstler, der sich 2012 zu seiner Bisexualität bekannte.
Im Zuge dieser Liberalisierung, aber auch vor dem Hintergrund der Ausdifferenzierung und Medialisierung, konnten sich alternative Geschlechtsmodelle sukzessive auch im Rapmainstream durchsetzen. Rapper wie Drake, Young Thug, Kendrick Lamar oder Lil B. propagieren nicht nur eine positive Lebensweise, sondern verhandeln auch Topoi, die die restriktiven Identitätsmodelle Schwarzer (Rap-)Männlichkeiten aufbrechen, zum Beispiel Depressionen, Einsamkeit, Schwäche, Mode oder Liebe.
Auch in Rap-Deutschland ist im Laufe der vergangenen Jahre eine geschlechtliche Vielfalt sichtbar geworden, in der Rapper_innen verschiedener Generationen und mit jeweils unterschiedlichen "Geschlechterbrillen" agieren, sich ausprobieren und immer häufiger auch kollaborieren. Die queere Rapperin Sookee – jahrelang für ihre Soziologievorlesungen ähnelnden Alben kritisiert – hat mittlerweile ihren festen Platz im Diskursuniversum des deutschsprachigen Rap inne, und auch das Label "Frauen-Rap", ein vormals gern genutzter sprachlicher Differenzmarker, um weibliches Rapschaffen als solches auszuweisen, verliert angesichts von Quantität und Qualität weiblicher MCs wie SXTN, Haiyti oder Eunique an Wirkmächtigkeit. Im Gegenteil werden Letztere von einschlägigen Szenemedien zu den vielversprechendsten Newcomer_innen gerechnet. So zierte mit der Hamburgerin Haiyti Anfang 2018 die erste deutschsprachige Rapperin das Cover des symbolträchtigen Szenemagazins "Juice".
Auch die Grenzen tradierter Männlichkeitsmodelle werden seitens einer neuen, geschlechtsliberal sozialisierten Rapgeneration neu ausgelotet. Etwa wenn Rapper Juicy Gay subversiv-unbedarft das Homosexualitätstabu des Rap parodiert, oder Rin und Young Hurn zugunsten von Mode, Liebe oder Kunst auf viele (wenngleich nicht auf alle) klassische Männlichkeitstopoi des Rap verzichten. Mit dem sogenannten Afro-Trap, einer aus Frankreich adaptierten tanzlastigen Rapspielart, zeigt sich aktuell sogar die letzte Bastion traditioneller Männlichkeit offen für geschlechtliche Modernisierungsprozesse: Selten konnte man so viele tanzende Gangsta- und Straßen-Rapper beobachten wie in den Rapmusikvideos der Jahre 2016/17.
Ein Schritt vor und zwei zurück?
Ist die deutschsprachige Rapszene nun also auch in puncto Geschlecht in der Postmoderne angekommen? Ist Sexismus im Rap ein Relikt vergangener Tage? Nicht ganz. Denn die nachgezeichneten Entwicklungen und Liberalisierungstendenzen haben auch ihre Schattenseiten. Die Anonymität und mangelnde Sanktionierbarkeit im Web 2.0 öffnet neuen alten Diskriminierungsformen Tür und Tor. So haben Body Shaming und sexistische Kommentare gegenüber weiblichen Rapmoderatorinnen 2017 eine neue Debatte über "Deutschraps Sexismusproblem" ausgelöst.
Und auch andernorts ist eine Art Backlash im Gender-Modernisierungsprozess des Rap zu beobachten. So tauchen in maskulin konnotierten Subgenres verstärkt Formen von Mehrfachdiskriminierung auf, etwa wenn zur Visualisierung kriminalisierter Handlungen vornehmlich Women of Color eingesetzt oder zunehmend Frauen osteuropäischer Herkunft verobjektiviert werden. So sind beispielsweise in den Crack-Küchen deutschsprachiger Rapvideos überdurchschnittlich viele leicht bekleidete Women of Color zu sehen, und auch als Trägerinnen von Waffen und Sturmmasken werden in Rapvideos häufig Schwarze Frauen eingesetzt, wodurch sich eine doppelte Diskriminierung in der Verschränkung von race und Gender ergibt.
Textzeilen wie "Zwei, drei Mädchen vom Balkan", "Ein, zwei ostdeutsche Groupies im Bett" oder "ficke circa sechs Rumäninnen" wecken nicht nur die Assoziation von osteuropäischen beziehungsweise ostdeutschen Frauen als promiskuitiv und sexuell verfügbar, sie aktivieren auch den Frame "Sexarbeit".
Auch die Überthematisierung und -visualisierung des männlichen Körpers, etwa durch Kampfsportelemente in Rapvideos, oder eine wiedererstarkte Bezugnahme auf die genuin männliche Crew sind als Formen von Re-Maskulinisierung im Sinne eines Backlash lesbar.
Zwar ließen sich diese Tendenzen auch mithilfe von Kontextwissen, Genre- und Textsortenspezifika dechiffrieren. Als gleichsam aufschlussreich erweist sich an dieser Stelle aber auch ein Blick in die Männlichkeitsforschung: Übermäßiger männlicher Körperkult oder der verstärkte Rückbezug auf die homosoziale Männergemeinschaft werden hier im Kontext fragil gewordener männlicher Hegemonie beziehungsweise als Ausdruck habitueller Verunsicherung interpretiert