Bereits an den Titeln wichtiger Alben wird deutlich: Ob Advanced Chemistry’s "Fremd im eigenen Land" (1992), B-Tight’s "Der Neger" (2002) oder Celo und Abdis "Diaspora" (2017) – Fremdheit und Migration sind ein zentraler Bezugspunkt deutscher Rapmusik. Der vorliegende Text nähert sich diesem Themenkomplex in drei Schritten: Zunächst wird die deutsche Einwanderungsgeschichte im Zusammenhang mit der Adaption von Rap als Kulturform aus den Vereinigten Staaten ab Anfang der 1980er Jahre rekonstruiert und herausgearbeitet, warum im Rap migrantische Identitäten eher sichtbar werden als in anderen Bereichen. Daraufhin wird der Krisendiskurs über gesellschaftliche Integration und dessen Wechselwirkungen mit den im Subgenre des Gangsta-Rap vorherrschenden Images diskutiert, bevor abschließend nach dem Potenzial von Rap für den Zusammenhalt der (Post-)Migrationsgesellschaft gefragt wird.
Historische Zusammenhänge von Rap und Migration
Um die Ursprünge von Rap in Deutschland zu verstehen, ist die Geschichte bis zu den Tagen des sogenannten Wirtschaftswunders zurückzuverfolgen. Die Restauration der westdeutschen Ökonomie nach dem Zweiten Weltkrieg erfolgte unter maßgeblicher Beteiligung ausländischer Arbeiter, die im Rahmen einer Reihe von Anwerbeabkommen mit Italien, Spanien, Griechenland, der Türkei, Portugal und Jugoslawien ins Land eingeladen wurden.
Das vor allem für die Periode der wohlstandsgesättigten Nachkriegsprosperität vorherrschende Bild einer egalitären Bundesrepublik überlagert in der Rückschau die Kultur- und Verteilungskonflikte, die die Einwanderung ausländischer Arbeitskräfte bereits in dieser Zeit auslöste. Die randständige soziale Position der sogenannten Gastarbeiter spiegelte sich nicht nur in ihrer Unterbringung abseits der bei Deutschen beliebten Wohngebiete wider. Gesellschaftliche Ausgrenzung brach sich immer wieder auch im Rahmen manifester Konflikte Bahn. Beispielsweise folgten auf eine Ausgabe der "Bild"-Zeitung 1966 mit dem Titel "Gastarbeiter fleißiger als deutsche Arbeiter?" Warnstreiks in zahlreichen Betrieben. Integration in den Arbeitsmarkt erfolgte – dies zeigte anschaulich Günter Wallraff in seiner bekannten Reportage, für die er in die Undercover-Rolle des türkischen Arbeiters "Ali" schlüpfte
Anfang der 1970er Jahre spitzte sich die Situation weiter zu: Im Kontext wirtschaftlicher Stagnation wurden "Gastarbeiter" in der öffentlichen Wahrnehmung zu "Ausländern", die weiterhin – teils kommunalpolitisch gesteuert, teils bedingt durch ein geringes Mietniveau – in speziellen Quartieren unterkamen und damit relativ isoliert vom Rest der Gesellschaft lebten. Den Beginn der 1980er Jahre markiert der Soziologe Rainer Geißler als Beginn einer "Abwehrphase" der deutschen Integrationspolitik.
Der Zeitpunkt, zu dem Rap seinen Weg aus den USA in die Bundesrepublik fand, fiel nicht zufällig in diese Phase der deutschen Einwanderungsgeschichte. Eine wichtige Erklärung liefern in diesem Zusammenhang die Soziologen Malte Friedrich und Gabriele Klein mit ihrer Untersuchung zu Rap als "glokaler Kulturform", in der sie die Verbreitung des Genres aus den Vereinigten Staaten in praktisch alle Teile der Welt rekonstruieren: Indem Jugendliche Rap hören oder sich selbst am Schreiben und Intonieren entsprechender Texte versuchen, beziehen sie sich auf einen Ursprungsmythos, der seinen Anfang in der New Yorker Bronx der 1970er Jahre findet.
Ein grundlegender Ausgangspunkt ergibt sich hier aus der gesellschaftlichen Randständigkeit schwarzer Jugendlicher, die aufgrund ihres sozialen Status nicht nur von vielen Aktivitäten ausgeschlossen waren, sondern auch über geringe wirtschaftliche Mittel verfügten. Unter diesen Bedingungen war die Beteiligung an der HipHop-Kultur nicht nur unter materiellen Aspekten wenig voraussetzungsreich – zum Rappen benötigt man schließlich weder Instrumente noch einen eigenen Probenraum. Sie stellte gleichzeitig einen Ort dar, an dem die Jugendlichen ihre Randständigkeitserfahrungen sowohl untereinander als auch gegenüber der Mehrheitsgesellschaft thematisieren konnten. Vor diesem Hintergrund bot die in den US-amerikanischen Rapsongs dargestellte soziale Wirklichkeit auch für jugendliche Migrantinnen und Migranten in Deutschland eine attraktive Identifikationsfläche. Es scheint bemerkenswert, dass die ersten deutschen Rapsongs keineswegs in deutscher, sondern gemäß der elterlichen Herkunft etwa in türkischer, jugoslawischer oder auch italienischer Sprache geschrieben wurden.
Eine weitere Wendung nahm die Geschichte des Genres in Deutschland Anfang der 1990er Jahre. Nachdem die "Ausländerpolitik"
Ich habe einen grünen Pass mit ’nem goldenen Adler drauf
Dies bedingt, dass ich mir oft die Haare rauf
Jetzt mal ohne Spaß: Ärger hab’ ich zuhauf
Obwohl ich langsam Auto fahre und niemals sauf
(All das Gerede von europäischem Zusammenschluss)
Fahr’ ich zur Grenze mit dem Zug oder einem Bus
Frag’ ich mich, warum ich der Einzige bin, der sich ausweisen muss
Identität beweisen muss!
Ist es so ungewöhnlich, wenn ein Afro-Deutscher seine Sprache spricht
Und nicht so blass ist im Gesicht?
Das Problem sind die Ideen im System
(Ein echter Deutscher muss auch richtig deutsch aussehen)
Blaue Augen, blondes Haar, keine Gefahr
Gab’s da nicht ’ne Zeit wo’s schon mal so war?
"Gehst du mal später zurück in deine Heimat?"
Wohin? nach Heidelberg? Wo ich ein Heim hab?
"Nein du weißt, was ich mein …"
Komm lass es sein, ich kenn diese Fragen, seitdem ich klein
Bin, in diesem Land vor zwei Jahrzehnten gebor’n
Doch frag’ ich mich manchmal: Was hab ich hier verlor’n?
Doch während die Bundesregierung 1992 das Asylrecht verschärfte und die öffentliche Diskussion schließlich im Totem eines "Scheiterns der multikulturellen Gesellschaft" mündete,
Dennoch ist die Auseinandersetzung mit der deutschen Einwanderungsgeschichte seitdem weiterhin ein zentraler Bestandteil deutscher Rapmusik. Einen neuen Höhepunkt erreichte die migrantische Präsenz in den Bildwelten des Rap mit dem Aufstieg von Gangsta-Rap als Subgenre deutscher HipHop-Kultur. Nachdem Künstler wie Moses Pelham oder Kool Savas dieser Entwicklung durch explizite (wenn auch stilistisch übertriebene) Texte bereits seit einigen Jahren Vorschub geleistet hatten, setzten nach der Jahrtausendwende Rapper wie der Frankfurter Azad oder der Durchbruch des Labels Aggro Berlin eine Entwicklung in Gang, im Zuge derer Gangsta-Rap heute als das wohl populärste Genre moderner deutscher Popmusik gelten kann.
Integrationsgeschichtlich verlief der Aufstieg des Gangsta-Rap erneut parallel zu einer Zuspitzung des öffentlichen Diskurses um Migration im Anschluss an die Terroranschläge des 11. September 2001. In der Diskussion über Ursachen und Konsequenzen des Anschlags sowie über ähnliche Ereignisse, wie den 2008 verhinderten Mordanschlag auf den dänischen Zeichner Kurt Vestergaard im Zuge des Streits um die Veröffentlichung von Mohammed-Karikaturen, kam es zu einer Verquickung von Einwanderungskritik und Islamophobie. Nach dieser Lesart nehmen vor allem arabische Migranten und deren Nachkommen nicht mehr nur Arbeitsplätze weg, sondern stellen darüber hinaus auch ein Risiko für die öffentliche Sicherheit dar. Vor diesem Hintergrund mehrte sich in der bereits zuvor vom damaligen Fraktionsvorsitzenden der CDU im Bundestag Friedrich Merz unter dem Begriff der "Leitkultur" initiierten Diskussion auch die Kritik an islamischen Kulturpraktiken wie dem Tragen eines Kopftuchs oder der Vollverschleierung.
Einen weiteren Höhepunkt erreichte diese Auseinandersetzung mit dem Beitrag Thilo Sarrazins, der 2010 in seinem Buch "Deutschland schafft sich ab" die Rolle muslimischer Einwanderer für Zusammenleben und Standortpolitik in Deutschland problematisierte. In einem Interview fasste Sarrazin seine integrationspolitische Linie zusammen und erklärte, er müsse niemanden "anerkennen, der vom Staat lebt, diesen Staat ablehnt, für die Ausbildung seiner Kinder nicht vernünftig sorgt und ständig neue kleine Kopftuchmädchen produziert".
Popkultur als Konfliktkultur
Der Zusammenhang dieser Entwicklungen lässt sich aus sozialwissenschaftlicher Sicht besonders gut aus dem Blickwinkel der Cultural Studies aufzeigen.
Dass popkulturelle Genres Auseinandersetzungen um die Darstellung sozialer Gegebenheiten darstellen, zeigt sich am Beispiel Rap besonders anschaulich im Subgenre des Gangsta-Rap. Ein wesentliches, wenn nicht sogar das wesentliche Bestimmungsmerkmal von Gangsta-Rap ergibt sich aus der mal kontemplativen, mal verherrlichenden, jedoch immer offenen Thematisierung von Gewalthandeln und Kriminalität.
Krisendiskurs um migrantische Männlichkeiten
Die besondere Rolle der Medien im Verhältnis von Migration und Gesellschaft wurde bereits in einer Vielzahl von Studien herausgearbeitet.
Vor allem seit der Jahrtausendwende intensiviert sich in deutschen Medien ein Krisendiskurs um die Delinquenz junger Männer mit oft türkischem oder arabischem Migrationshintergrund. Getrieben von mehrheitsdeutschem "Überfremdungsempfinden"
Einen Meilenstein dieser Entwicklung stellt die Anfang 2008 erschienene Ausgabe des "Spiegels" mit dem Titel "Migration der Gewalt. Junge Männer – Die gefährlichste Spezies der Welt" dar. Anlässlich eines brutalen Überfalls zweier Jugendlicher migrantischer Herkunft auf einen pensionierten Münchner Hauptschuldirektor wird in der Titelgeschichte adoleszente Gewalttätigkeit bei migrantischen Männern zum "Naturgesetz" stilisiert. "Wenn nicht schnell Rezepte gefunden werden", so heißt es dort weiter, "die Infektion der Zuwanderer und ihrer Familien mit der Gewaltseuche zu stoppen", drohe "eine Explosion".
Ein wesentlicher Bestandteil dieses Krisendiskurses ist weiterhin die Schilderung des Alltags in bestimmten Stadtteilen. "An anderen Orten", berichtet "Der Spiegel" 2010, "gibt es Gewinner und Verlierer – in Neukölln gibt es Leute, die Respekt verdienen, und es gibt Opfer."
Die Stigmatisierung männlicher Jugendlicher mit arabischem Migrationshintergrund ergibt sich demnach aus dem Zusammenwirken einer Fremdheits- und einer Risikozuschreibung. Demgegenüber erkennen einwanderungskritische Kommentatoren wie zuletzt auch Alice Schwarzer ein "Problem der falschen Toleranz", also eine "Haltung, die im Namen dieser falschen Toleranz die Probleme lieber vertuscht oder verharmlost, statt sie zu benennen und zu bekämpfen".
Diese tendenziöse Form der Berichterstattung ist nicht unreflektiert geblieben. "Der ‚Migrant‘", bemerkt der Soziologe Erol Yildiz, "taucht fast nur in Problemsituationen auf, wird mit bildungsfernen Milieus in Verbindung gebracht und zumeist als nicht anpassungsfähiges und therapiebedürftiges Objekt wahrgenommen."
Inszenierung von Gegenidentitäten im Gangsta-Rap
Ganz im Sinne des dargestellten Verständnisses von Popkultur als Konfliktkultur lässt sich im Bereich des Gangsta-Rap allerdings eine kreative Dynamik erkennen: Indem Gangsta-Rapper sich der Elemente dieses Krisendiskurses bedienen, gelingt es ihnen nicht nur, aufmerksamkeitsökonomische Erfolge zu erzielen. Sie gewinnen teilweise auch diejenige Deutungsmacht zurück, die die Bilder dieses Diskurses zumindest anfangs geprägt hat.
Dem Medienwissenschaftler Marcus Kleiner und dem Politologen Jörg-Uwe Nieland zufolge erzählen Gangsta-Rapper eine "Geschichte von Grenzerfahrungen und Grenzziehungen, der es nicht um Versöhnung und Dialog mit der Gesellschaft geht, von der sie marginalisiert und ausgeschlossen werden".
Besonders anschaulich bringt das Biopic des Berliner Rappers Bushido dieses Lebensgefühl auf den Punkt.
Dass Genrevertreter wie Bushido bei der Inszenierung solcher Gegenidentitäten symbolisch aus dem Vollen schöpfen können, ist zu wesentlichen Teilen dem skizzierten Krisendiskurs geschuldet. Die reißerischen Darstellungen migrantischer Delinquenz bieten daher den symbolischen Rohstoff für die kulturindustrielle Inszenierung von Gangsta-Rap-Images. Es ist zu vermuten, dass die heroisierte Darstellung von (vor allem migrantischen) Dominanz- und Delinquenzmotiven hierbei eine besondere Attraktivität auf das Publikum ausübt, weil sich darin latente eigene Fantasien verwirklichen lassen. Die Figur des migrantischen Fremden wirkt bedrohlich und verlockend zugleich und bietet durch die Distanz zum Selbst des Betrachters eine geeignete Projektionsfläche für verdeckte Wünsche und Sehnsüchte.
Ähnliche Konstruktionsmodi finden sich seit einigen Jahren auch in anderen kulturindustriellen Bereichen, etwa in Form von Buchveröffentlichungen mit Titeln wie "Türken Sam" oder "Der große Bruder von Neukölln", in denen Kriminellenbiografien von (Post-)Migranten in einseitiger und voreingenommener Weise wiedergegeben werden, oder der Serie "4 Blocks", die ebenfalls kriminelle Aktivitäten im Berliner Migrantenmilieu thematisiert.
Zum Potential von Rap im Umgang mit (Post-)Migration
Wie die Rekonstruktion des Skandaldiskurses um migrantische Männlichkeiten gezeigt hat, gelingt es den Gestaltern der deutschsprachigen Medienöffentlichkeit bislang nicht, einen insgesamt sachlichen Zugang zum Problemfeld der Integrationspolitik zu finden. Für die wissenschaftliche ebenso wie für die journalistische Beschäftigung mit dem Thema gilt es, das Postulat einer kritischen Migrationsforschung zu beachten, die der Sichtweise der zentralen Akteure auch eine entsprechend zentrale Stellung einräumt: "Der dominanten und von anderen Leuten ausgeheckten Erzählung haben sie alle ihre eigene Sicht der Dinge entgegenzusetzen."
Für eine vernünftige öffentliche Auseinandersetzung mit dem Thema stellt die offene Proklamation der eigenen Weltsicht durch die Betroffenen, wie sie etwa im Gangsta-Rap erfolgt, einen ersten Schritt dar. Solange dieser Sichtweise allerdings vor allem im Rahmen kulturindustrieller Inszenierungen öffentliche Aufmerksamkeit zuteilwird, die in erster Linie darauf ausgelegt sind, sich am Markt zu bewähren, erscheint eine seriöse Darbietung nur schwer oder gar nicht zu gewährleisten.