I. Einleitung
Die unvermindert hohen Migrations- und Flüchtlingsströme stellen die Europäische Union (EU) zu Beginn des 21. Jahrhunderts vor große politische Herausforderungen. Obwohl die Hauptlast der globalen Wanderungen nach wie vor von den Entwicklungsländern getragen wird, zählt die EU zu den bevorzugten Einwanderungsregionen weltweit. De facto sind inzwischen alle EU-Länder zu Einwanderungsstaaten geworden, auch wenn dies nicht zwangsläufig immer in deren Selbstverständnis verankert und durch ein Zuwanderungsgesetz ausdrücklich institutionalisiert sein mag. Aus dieser Situation resultieren unterschiedliche politische Problemfelder, denen sich die Mitgliedstaaten der EU zukünftig stellen müssen. So scheint es vor allem notwendig, die faktische Einwanderung, die in den einzelnen Mitgliedsstaaten seit vielen Jahren stattfindet, auch als solche anzuerkennen, transparenter zu gestalten und integrationspolitisch zu begleiten. Mindestens ebenso wichtig wird es hierbei aber sein, eine klare Trennung der jeweiligen Zuwanderungsgründe vorzunehmen und zu verhindern, dass bestimmte Formen benötigter und somit eigeninteressierter Migration auf Kosten jener Aufnahmepolitik stattfindet, zu der die EU nicht zuletzt aufgrund ihres eigenen Wertefundaments verpflichtet ist.
Das schwierigste Problem dürfte jedoch im nunmehr anstehenden Prozess einer vollständigen Europäisierung der nationalen Zuwanderungspolitik liegen. Kern der europäischen Einigung war ursprünglich nur die Idee einer Wirtschaftsgemeinschaft - eines Gemeinsamen Marktes - und keineswegs die gemeinsame Gestaltung der Immigration. Trotzdem ist im Laufe der Integration die Notwendigkeit einer europäischen Kooperation in der Zuwanderungspolitik entstanden, wobei zwei Ursachen diese europäische Dimension besonders unterstreichen: erstens der fortlaufende Integrationsprozess selbst, in dessen Rahmen inzwischen eine umfassende interne Freizügigkeit verwirklicht wurde, und zweitens die zunehmende Unmöglichkeit einer rein nationalen Steuerung von Zuwanderung. Spätestens seit dem Vertrag von Amsterdam von 1997 gilt nunmehr die Vergemeinschaftung der Zuwanderungspolitik nicht mehr nur als bloße "Angelegenheit von gemeinsamem Interesse", sondern als grundlegendes Zukunftsprojekt der voranschreitenden europäischen Integration. Eine tatsächliche Europäisierung der Zuwanderungsregelungen impliziert jedoch auch den festen Willen zur Politik jenseits klassischer Nationalstaatlichkeit, und so war bislang weniger fehlende Kooperation, sondern vielmehr mangelnde Bereitschaft oder Fähigkeit zur Abgabe nationaler Souveränität das entscheidende Hindernis auf dem Weg zu einer gesamteuropäischen Zuwanderungspolitik. Im Sinne eines kleinsten gemeinsamen Nenners verfügen die 15 EU-Mitgliedstaaten heute aber dennoch über eine gemeinsame zuwanderungspolitische Praxis. Symbolisiert im Bild der "Festung Europa", erscheint diese Politik freilich mit dem Wertefundament der EU kaum mehr vereinbar.
Welches könnten jedoch die genauen Ursachen für die zunehmende Abschottung Europas sein, und welche Aussichten bestehen, um die angeführten Problemfelder künftig zu bewältigen? Ziel dieses Artikels ist eine Darstellung der gegenwärtigen europäischen Zuwanderungspolitik, auf deren Grundlage eine Beantwortung dieser Fragen möglich ist. Abschnitt II analysiert zunächst die faktischen Zuwanderungsbewegungen in die Europäische Union und gibt Auskunft über einige politische Kontroversen um Zuwanderung in den Mitgliedsstaaten. Darauf aufbauend wird in Abschnitt III die seit längerem bekannte Notwendigkeit einer unionsweiten Vereinheitlichung der Zuwanderungspolitik thematisiert. Abschnitt IV zeichnet den heutigen Stand der europäischen Zusammenarbeit nach, deren Resultat immerhin eine Konzentration der Harmonisierungsbemühungen auf zuwanderungspolitische Abwehrkonzepte gegenüber unerwünschter Zuwanderung vermuten lässt. Unter Berücksichtigung der aktuellen europapolitischen Entwicklung wird deshalb abschließend die Problematik der europäischen Einwanderungspolitik vertieft diskutiert.
II. Zuwanderung und Zuwanderungspolitik in den EU-Staaten
Während des 19. und der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts galt Europa noch ausschließlich als Auswanderungsregion. So verließen bis 1930 mehr als 50 Millionen Menschen den europäischen Kontinent, vorwiegend in die Vereinigten Staaten. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg und der anschließenden Phase des Wiederaufbaus entwickelten sich einige der europäischen Staaten - allen voran Frankreich, Großbritannien und die Bundesrepublik - auch zu einem Zielgebiet transnationaler Migrationen. Die heutige Europäische Union besteht nunmehr nur noch aus Staaten mit einer positiven Wanderungsbilanz. Allerdings sind die Mitglieder der EU je nach ökonomischer, geographischer oder historischer Ausgangslage durchaus in unterschiedlicher Weise von den Wanderungsbewegungen betroffen.
1. Ausmaß und Struktur der Immigration
Im Durchschnitt wandern derzeit etwa 700 000 Personen pro Jahr in die Europäische Union ein. Unter Berücksichtigung der Nettozuwanderungsrate - also die Anzahl der Einwanderer abzüglich der Anzahl der Auswanderer - gab es 1998 mit 0,94 Prozent in Luxemburg die höchste Zuwanderung, gefolgt von Irland (0,57 Prozent), den Niederlanden (0,28 Prozent) und Griechenland (0,21 Prozent). Am geringsten war die Nettozuwanderungsrate indessen in Österreich (0,06 Prozent), Deutschland (0,06 Prozent) und Frankreich (0,05 Prozent). Ein wenig anders stellt sich die Zuwanderungssituation jedoch dar, wenn man den prozentualen Ausländeranteil in den jeweiligen EU-Staaten betrachtet. Hier finden sich in Spanien (1,5 Prozent), Griechenland (1,5 Prozent) und Finnland (1,6 Prozent) die geringsten Ausländeranteile, Luxemburg liegt indessen mit 34,1 Prozent Ausländern unangefochten an der Spitze der EU-Einwanderungsstaaten, gefolgt von Österreich (9,1 Prozent) und Deutschland mit einem Anteil von 9 Prozent ausländischer Wohnbevölkerung
Die Gesamtzuwanderung in die Mitgliedstaaten ist allerdings durch sehr unterschiedliche Formen geprägt. In der Migrationsforschung werden daher mehrere Zuwanderungstypen voneinander unterschieden, die bereits die vielfältigen Ursachen und Motive für die Entscheidung eines Migranten, seinen Heimatort zu verlassen, erahnen lassen: Flucht vor Verfolgung, familiäre Gründe, aber auch die Suche nach einem geeigneten Arbeitsplatz. Einige dieser Zuwanderungsmöglichkeiten sind jedoch immer wieder Gegenstand heftiger politischer Kontroversen in den Aufnahmeländern; wohl vor allem deshalb, weil bestimmte Zuwanderungsmöglichkeiten ein gewisses Maß an rein ökonomisch bedingter "Wohlstandsimmigration" vermuten lassen, die alle EU-Mitgliedstaaten explizit vermeiden wollen. Die Immigration von Unionsbürgern, die innerhalb der Europäischen Union ohnehin Freizügigkeit genießen, findet in der öffentlichen Debatte indessen kaum Beachtung, und sie spielt auch quantitativ mit wenigen Ausnahmen nur eine geringe Rolle. Ebenso galt die Aufnahme ethnisch Zugehöriger in allen Staaten der Europäischen Union lange Zeit als bevorzugte oder zumindest privilegierte Immigration, u. a. angesichts der Vertreibungen und Repatriierungen nach dem Zweiten Weltkrieg. Da allerdings - wie etwa Dietrich Thränhardt betont - mit der Steigerung des Wohlstandes in den westlichen Industrienationen und der wachsenden ökonomischen Diskrepanz zu den Aufenthaltsstaaten die Zuwanderung für ethnisch anerkannte Gruppen immer attraktiver geworden sei, reagieren die europäischen Staaten seit nunmehr über zehn Jahren zunehmend mit Beschränkungen auf deren Immigrationswunsch
An Bedeutung zu gewinnen scheint demgegenüber aber die Familienzusammenführung. Denn schon heute spielt der Nachzug der Familienangehörigen von bereits legal in Europa ansässigen Drittstaatsangehörigen quantitativ die wichtigste Rolle. Beispielsweise beträgt ihr Anteil an der Gesamtzuwanderung in Schweden 80 Prozent, in Frankreich 75 Prozent und in Dänemark und Großbritannien jeweils etwa die Hälfte
Auch die Arbeitsmigration dürfte in absehbarer Zeit wieder eine zentrale Bedeutung erlangen. Zwar wurde gerade in Deutschland die gezielte Anwerbung ausländischer Arbeitnehmer 1973 offiziell eingestellt und seither durch gezielte Programme vor allem Rückkehrförderung betrieben. Inzwischen scheint sich jedoch auch in der Politik die Einsicht durchzusetzen, dass Europa aus demographischen und wirtschaftlichen Gründen auf die vermehrte Zuwanderung von Arbeitskräften angewiesen sein wird. Daher gelten in vielen Staaten bereits heute Ausnahmegenehmigungen, die den allgemeinen Zuzugsstopp zur Besetzung von Arbeitsplätzen de facto außer Kraft setzen. So gibt es etwa in der Bundesrepublik nicht nur seit längerem diverse Möglichkeiten zur Grenzgängerbeschäftigung, zur Saisonarbeit oder zur Werkvertragsarbeit, sondern seit Mitte des Jahres 2000 auch wieder eine gezielte Anwerbepolitik für Computerexperten im Rahmen der "Green-Card-Politik" der rot-grünen Bundesregierung.
Flüchtlinge und Asylbewerber stellen schließlich jene Zuwanderungsgruppe dar, deren Aufnahme ausdrücklich von humanitären Gesichtspunkten geleitet werden soll. Nach der Genfer Flüchtlingskonvention von 1951 - von allen EU-Staaten unterzeichnet - sind Flüchtlinge "Personen, die ihr Heimatland wegen Furcht vor Verfolgung, aus politischen, religiösen, ethnischen, nationalen Gründen oder der Zugehörigkeit zu einer sozialen Gruppe verlassen mussten"
Als ebenso problematisch erwies sich hierbei wohl aber auch die fehlende europäische Lastenteilung für humanitär bedingte Zuwanderung. Denn nicht nur in Deutschland wurde Anfang der neunziger Jahre die Immigration von Asylbewerbern durch gezielte Maßnahmen restringiert ("Asylkompromiss"). Vielmehr fand eine allgemeine Verschärfung nationaler Aufnahmeregelungen in nahezu allen EU-Staaten statt, wobei sich Westeuropa zugleich durch "seine koordinierte Visa-Politik von der ,Dritten Welt' abgeschottet und dadurch die meisten Flüchtlinge aus diesen Staaten daran gehindert [hat], überhaupt Asyl zu beantragen"
Ungeachtet der moralischen Bewertung einer derart defensiv orientierten Aufnahmepolitik muss allerdings bereits bezweifelt werden, ob bloße Abschreckung zum gewünschten Erfolg führen wird, gewinnt doch infolge der Restriktionsmaßnahmen die undokumentierte bzw. illegale Immigration zunehmend an Bedeutung. So wandern nach Schätzungen der International Organisation for Migration (IOM) im Jahr zwischen 300 000 und 500 000 Menschen heimlich in die Europäische Union ein
2. Immigration als politische Herausforderung
Betrachtet man Prognosen über die künftige Zuwanderung in die Europäische Union, so wird deutlich, dass der Umgang mit Immigration auch weiterhin eine zentrale Herausforderung der Politik in Europa sein wird. Nicht nur wird der Umfang der ausländischen Bevölkerung beständig wachsen, zugleich dürfte wohl auch eine Verstetigung des Aufenthaltes von Zuwanderern zu erwarten sein. Allerdings resultiert die Entwicklung der Zuwanderung aus einem Zusammenspiel gegenläufiger Trends: einerseits einem Rückgang der Asylbewerber, andererseits aber einer Zunahme des Familiennachzugs und bedarfsorientierter, temporär beabsichtigter Arbeitsmigration
Die wichtigste Herausforderung bei der Bewältigung der Einwanderung dürfte allerdings in der Vermittlung der Einsicht liegen, dass Europa in Zukunft sogar vermehrt auf Zuwanderung angewiesen sein wird. Obwohl der gegenwärtige Anteil der zugewanderten Bevölkerung im Vergleich zu anderen Einwanderungsregionen keineswegs besonders hoch ist, mangelt es bis heute an Sensibilität für diese bevölkerungspolitische Tatsache. Dabei ist Europa noch längst "kein Kontinent von Immigranten"
Erschwerend kommt jedoch hinzu, dass Zuwanderung in den einzelnen EU-Mitgliedsländern keineswegs als gesamteuropäische Herausforderung verstanden wird, sondern vorwiegend als nationale Problematik, die auch einer nationalen Lösung bedarf. In der Tat gilt die Kontrolle über das Territorium und der darauf lebenden Bevölkerung als klassischer Bestandteil nationalstaatlicher Souveränität. Auch die Gestaltung der Immigrationspolitik gehört damit zwangsläufig zum Kernbereich nationalstaatlicher Hoheitsrechte, zumal die Kopplung moderner Nationalstaaten mit wohlfahrtsstaatlichen Arrangements ein Interesse der Aufnahmebevölkerung an einer Kontrolle der Zuwanderung nahe legt. Gerade aus diesem Grund ist kaum vorstellbar, "dass Nationalstaaten auf migrationspolitische Handlungsautonomie verzichten"
Unter Berücksichtigung dieser Souveränitätsrelevanz von Zuwanderungspolitik scheint damit zwar erklärbar, weshalb Zuwanderungsfragen selbst in der EU bislang weitgehend isoliert und national beantwortet wurden, liegt doch das vordergründige Interesse und die faktische Verantwortung, Zuwanderung zu gestalten, bei den Regierungen der einzelnen Mitgliedsstaaten. Tragisches Resultat einer rein nationalstaatlichen Vorgehensweise ist jedoch eine Internationalisierung und Verstärkung einer grundsätzlichen Abwehrhaltung gegenüber jenen Immigranten, deren Zuwanderung gerade nicht im offensichtlichen Eigeninteresse der Aufnahmestaaten begründet liegt. Eine europäische Lastenteilung scheint für jene Staaten, die nur über eine geringe Flüchtlings- und Asylbewerberrate verfügen, insofern wenig attraktiv. Bereits 1994 warnten Rainer Bauböck und Erna Appelt deshalb zu Recht vor einer nahezu unausweichlichen Verfestigung von Defensivmaßnahmen in der EU, weil "jeder Staat befürchtet, dass die Beibehaltung einer relativ liberalen Flüchtlings- und Einwanderungspolitik ihn zum Anziehungspunkt für Migrantenströme machen würde, die sich sonst in Richtung anderer Ziele bewegt hätten"
III. Zur Notwendigkeit einer Europäisierung von Zuwanderungspolitik
Der europaweite Abschottungsprozess gegenüber humanitärer Zuwanderung kann also durchaus als - in letzter Konsequenz womöglich unbeabsichtigtes - Resultat einer kurzfristigen nationalstaatlichen Interessenverfolgung beschrieben werden. Ihm könnte durch eine gemeinsame europäische Vorgehensweise wirksam entgegengesteuert werden. Außerdem ist zu bezweifeln, dass die europäischen Nationalstaaten heute überhaupt noch die relevanten Instanzen zur Regulierung von Zuwanderungsprozessen sind. Folgt man nämlich migrationssoziologischen Untersuchungen, scheinen die aktuellen Wanderungen in weitaus geringerem Maße national steuerbar zu sein als früher.
1. Migration unter globalisierten Bedingungen
Unter globalisierten Bedingungen ist der Einfluss nationalstaatlicher Politik auf Wanderungsbewegungen im Vergleich etwa zur Wanderungssituation in den sechziger oder siebziger Jahren zunehmend geringer geworden. Die Ursachen hierfür sind vielfältig: erhöhte Mobilität, grenzenlose Telekommunikation, weltweite Vernetzungen und Verflechtungen in Politik, Wirtschaft und Wissenschaft sowie neue Formen internationaler Migration. All diese Faktoren lassen Wanderungsbewegungen letztlich als kaum noch steuerbare gesellschaftliche Prozesse erscheinen, bei denen sich sowohl die Akteure als auch die Ursachen oder die Dynamik des Prozesses unmittelbarem staatlichen Einfluss entziehen
2. Folgen der Binnenfreizügigkeit
Neben der Globalisierung weist freilich ein weiterer, ausdrücklich europäischer Grund auf die Dringlichkeit einer verstärkten Europäisierung der Zuwanderungspolitik hin. Intern ist die EU inzwischen nahezu grenzenlos geworden. Spätestens seit Herstellung des Gemeinsamen Marktes und dem Abbau der Binnengrenzen im Rahmen der Schengener Beschlüsse hat die Zuwanderungspolitik eines jeden Mitgliedstaates damit zwangsläufig gesamteuropäische Folgen. Bereits aus dem Ziel einer wirtschaftlichen Integration nach innen resultiert damit ein gemeinsames Auftreten nach außen und letztlich die "Europäisierung der Zuwanderungspolitik". Obgleich bei der Gründung der heutigen EU zuwanderungspolitische Fragen überhaupt keine Rolle spielten, zog der fortlaufende europäische Integrationsprozess nahezu automatisch tief greifende Konsequenzen für die nationale Zuwanderungspolitik nach sich.
Aufgrund dieses integrationspolitischen Erfordernisses steht die europäische Kooperation in Zuwanderungsfragen seit spätestens Mitte der siebziger Jahre fortwährend auf der europapolitischen Agenda. Insofern reagierten die Mitgliedstaaten durchaus auf vorhandene Zwänge. Angesichts der hohen Souveränitätsrelevanz nationaler Zuwanderungspolitik blieb jedoch lange Zeit ungeklärt, welcher Status und welches Gewicht dieser Kooperation letztlich zukommen sollte
IV. Zuwanderungspolitische Entwicklungen auf europäischer Ebene
Bei der Gründung der Europäischen Gemeinschaft war eine europäische Zuwanderungs- und Flüchtlingspolitik zunächst nicht beabsichtigt. Gleichwohl gelten die Römischen Verträge von 1957 als historische Grundlage der heutigen Zusammenarbeit in der Zuwanderungspolitik, sind sie doch die Wurzel der gesamten europäischen Integration. Zwar enthält der EWG-Vertrag keine Regelungen zur Gestaltung der Zuwanderungspolitik gegenüber Angehörigen von so genannten "Drittstaaten", immerhin aber die Absicht einer liberalisierten Binnenmigration. Ursprünglich bezog sich die Idee einer internen Freizügigkeit allerdings nur auf Erwerbstätige. Mitte der siebziger Jahre wurde dieses Ziel jedoch auf alle EG-Bürger ausgedehnt. Gleichzeitig wurde die zuwanderungspolitische Zusammenarbeit erstmals auch auf EG-Ausländer ausgeweitet. So wurde beispielsweise 1974 bei einem Gipfeltreffen in Paris eine Angleichung des Ausländerrechtes besprochen und 1976 die Koordinierung der Politik gegenüber Drittstaatsangehörigen auf die Europäische Kommission übertragen.
Eine vertiefte Kooperation in der europäischen Migrationspolitik entwickelte sich schließlich erst im Zuge der Realisierung des Binnenmarkts und der Schengener Abkommen. 1985 stellte die Europäische Kommission das "Weißbuch zur Vollendung des Binnenmarktes" vor, auf dessen Grundlage ein Jahr später die Einheitliche Europäische Akte (EEA) verabschiedet wurde. Eines ihrer Kernstücke war die gemeinsame Regelung der Einreise und des Aufenthaltes von Drittstaatsangehörigen, also die Kontrolle der Außengrenzen, wobei die Mitgliedstaaten gleichwohl deutlich machten, dass sie keinesfalls auf ihr Recht verzichten würden, die Einwanderung aus Drittstaaten zu kontrollieren
Der Maastrichter "Vertrag über die Europäische Union" stellte die europäische Idee 1992 auf eine neue institutionelle Basis. Unter dem Dach der neugeschaffenen Europäischen Union (EU) wurden alle europapolitisch relevanten Politikbereiche in einem "Drei-Säulen-Modell" zusammengefasst. Während die klassischen, bereits vergemeinschafteten EG-Bereiche Wirtschafts- und Währungspolitik zur ersten Säule zählen, umfasste die zweite Säule die Außen- und Sicherheitspolitik und die dritte Säule justiz- und innenpolitische Fragen, darunter auch die Zuwanderungspolitik. Da jedoch nur im Rahmen der ersten Säule supranationale Entscheidungsverfahren vorgesehen sind, blieb die Zuwanderungspolitik nach Maastricht vor allem Gegenstand zwischenstaatlicher Kooperation, wobei deren Umfang zudem den Mitgliedstaaten überlassen war
V. Perspektiven
Auch nach der jüngsten Regierungskonferenz von Nizza im Dezember 2000 ist zunächst kein europäischer Ausweg aus dem Dilemma stetiger Abschottung gegenüber unerwünschter Zuwanderung zu erwarten. Als Reformgipfel, Weichenstellung für die Osterweiterung und Abkehr von einer drohenden Blockadepolitik in der EU angekündigt, führte Nizza zu einem "Minimalkonsens der Formelkompromisse", der die Handlungsfähigkeit der Europäischen Union kaum stärken wird. Zuwanderungs- und asylpolitische Fragen wurden gar auf ausdrücklichen Wunsch der Bundesrepublik vom Prinzip der qualifizierten Mehrheit ausgenommen, um auf Basis der bis 2004 erhofften vereinheitlichten Aufnahmepolitik neu verhandelt zu werden. Allerdings steht zu befürchten, dass sich diese Vereinheitlichung auch weiterhin als Politik auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner erweisen wird, vornehmlich geprägt durch zwei inhaltliche Schwerpunkte: die Sicherung der Außengrenzen in der Absicht einer Verhinderung unerwünschter Zuwanderung und die Bekämpfung illegaler Immigration.
Zahlreiche Beobachter gehen deshalb davon aus, dass eine umfassend harmonisierte EU-Politik durchaus als Beleg für eine funktionierende europäische Integration gelten kann, aber keineswegs auch ein Vorteil für politisch Verfolgte sein muss. In der Tat bezeugen die meisten Rechtsakte zur migrationspolitischen Zusammenarbeit in Europa, dass die bisherige Europäisierung der Zuwanderungspolitik bereits zu einer weiteren Verschärfung der Aufnahme geführt hat
Der Vorschlag von EU-Justizkommissar Antonio Vitorino im Vorfeld von Nizza, die Prämissen der europäischen Zuwanderungspolitik im Zuge der nun anstehenden Harmonisierung deshalb neu zu formulieren, wird letzten Endes wohl kaum die Unterstützung aller Mitglieder finden, am wenigsten wohl die Zustimmung der deutschen Bundesregierung. So sieht das Konzept im Vergleich zu den deutschen Regelungen eine Reihe von liberaleren Richtlinien vor, wie eine erleichterte Familienzusammenführung oder eine schwächere "Drittstaatenregelung" für Asylbewerber
Vor dem aktuellen Hintergrund erscheint eine Europäisierung der Zuwanderungspolitik jenseits nationaler Abwehregoismen allerdings mehr als fraglich. Auch die feierliche Unterzeichnung einer - ohnehin unverbindlichen - europäischen Grundrechtscharta mit ihrem Recht auf Asyl ist demgegenüber kaum mehr als ein Lippenbekenntnis. Wahrscheinlicher ist, dass sich die Geschichte der "Festung Europa" gegen unerwünschte Zuwanderer fortschreiben wird. Zwar wird die Europäische Union ihre Grenzen vielleicht schon bald für Zuwanderung im Eigeninteresse noch stärker öffnen. Für jene Menschen, die aus den unterschiedlichsten Gründen aus ihrer Heimat fliehen müssen, werden sie aber größtenteils fortbestehen. Zu Recht klagt der Historiker Klaus J. Bade die gegenwärtige europäische Zuwanderungspolitik deshalb an, wenn er in seinem jüngst erschienenen Buch schreibt: "Solange das Pendant der Abwehr von Flüchtlingen aus der ,Dritten Welt', die Bekämpfung der Fluchtursachen, fehlt, bleibt diese Abwehr ein historischer Skandal, an dem künftige Generationen das Humanitätsverständnis Europas im späten 20. und frühen 21. Jahrhundert bemessen werden."
Internetverweise des Autors:
Europäisches Forum für Migrationsstudien (efms): www.uni-bamberg.de/~ba6ef3/home.html
Landeszentrum für Zuwanderer NRW (LzZ NRW): www.lzz-nrw.de
Institut für Migrationsforschung und Interkulturelle Studien (IMIS): www.imis.uni-osnabrueck.de
Lehrstuhl Bevölkerungswissenschaft HU Berlin: www.demographie.de