I. Einleitung
Der Begriff New Economy, "neue Wirtschaft", ist hoch aktuell und sehr populär. Er ist jedoch unscharf und wird in der Literatur nicht einheitlich verwendet. Er dient so dem Transport ganz unterschiedlicher Annahmen und Werte und eignet sich gerade deshalb zur Orientierung in einer Wirtschaft, deren Strukturen sich derzeit erheblich verändern. Die vielfältige Verwendung des Begriffes wird durch einen kurzen Überblick deutlich:
Netzwerke und immaterielle Ressourcen wie Ideen, Informationen, Wissen und Beziehungen sind für die neue Wirtschaft charakteristisch
Mit alter und neuer Wirtschaft werden Typen beschrieben, die in der Realität heterogen sind und Endpunkte eines Kontinuums von alter zu neuer Wirtschaft darstellen. Hält man beispielsweise neue Technologien und immaterielle Ressourcen für zentrale Elemente der Unternehmen der neuen Wirtschaft, dann heißt das nicht, dass alte Technologien und materielle Ressourcen vollständig verdrängt wären und keine ökonomische Bedeutung mehr hätten, und auch nicht dass Unternehmen der alten Wirtschaft nicht ebenso gut neue Technologien verwenden können. Allerdings findet sich häufig die eine oder andere Art der Verkürzung in der Diskussion über die neue Wirtschaft.
Im Mittelpunkt dieses Textes soll das deutsche Management der alten und der neuen Wirtschaft stehen
In einem ersten Zugang soll das Management der alten Wirtschaft Deutschlands, seine Position und Funktion erläutert werden. Daraufhin werden einige aktuelle Veränderungen in den Managementpraktiken identifiziert, die auf eine neue Wirtschaft schließen lassen.
II. Das deutsche Management in der alten Wirtschaft
Ein spezifischer Managertyp stellt ein zentrales Element der deutschen Form der Corporate Governance
Überschaubare Märkte, ein ungebrochenes Wirtschaftswachstum, eine Industrieproduktion, die sich auf die Produktion und Distribution von Massenkonsumartikeln versteht und dafür ebenso massenhaft abhängige Arbeitskräfte einsetzt, charakterisieren den wirtschaftlichen Rahmen, an dem sich das Management der alten Wirtschaft orientiert
Die Unternehmensführung pflegt ganz besondere Beziehungen zu Banken: Deren Rolle bei der Unternehmensfinanzierung, in den Aufsichtsräten und den Hauptversammlungen ist ein weiteres wichtiges Element der typisch deutschen Form der Corporate Governance
Banken vergeben aber nicht nur Kredite, sondern besitzen auch selber Aktien
Es sind aber nicht nur die direkten Kapitalbeteiligungen der Banken, die ihre Rolle einzigartig machen. Das im Aktiengesetz geregelte Depotstimmrecht ermöglicht es ihnen, Stimmrechte von Aktienbesitzern, die ihre Aktien in einem Depot einer Bank verwahren, auf Hauptversammlungen auszuüben. Die Stimmrechte der Banken bei Hauptversammlungen beruhen also im Wesentlichen auf Depotstimmrechten und weniger auf eigenem Aktienbesitz. Die Strategien des deutschen Managements werden von Banken somit nicht nur durch Kredite und Eigenkapital beeinflusst; Vertreter von Banken haben auch die Aufgabe und die Möglichkeit, die Strategien des Managements wie das Management selbst über den Aufsichtsrat und die Hauptversammlung zu kontrollieren.
Die Mitbestimmung ist ebenfalls ein wichtiges Element der deutschen Form der Corporate Governance
III. Das Management in der neuen Wirtschaft
Die traditionell deutsche Form der Corporate Governance, der Unternehmensleitung und -überwachung, wird in der letzten Zeit kontrovers diskutiert und auch kritisiert
Die Aufmerksamkeit, die der deutschen Corporate Governance geschenkt wird, ist Ausdruck dafür, dass das deutsche Management mit neuen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen konfrontiert wird und dass es neue Orientierungen und Bewertungen für seine Praktiken sucht und unter Umständen auch benötigt. Wieweit veränderte wirtschaftliche Rahmenbedingungen in die Managementpraktiken und -modelle Eingang finden und diese wiederum einen Strukturwandel der alten Wirtschaft bewirken, soll im Folgenden eingeschätzt werden. Ausgehend von neuen Bedingungen in Wertschöpfungsprozessen sollen die zunehmende Bedeutung des Aktienmarktes und veränderte Mitarbeiterbeziehungen als relevante Veränderungen beschrieben werden, die das Management und seine Praktiken beeinflussen.
Technologisch hochwertige Produkte werden in Deutschland noch immer hergestellt. Allerdings werden das Kundenmanagement und Informationen über Kunden noch wichtiger. Märkte sind nicht mehr so leicht voneinander abzugrenzen. Kunden und ihre Präferenzen ändern sich schnell. Marketing und Preisstrategien nehmen damit an Bedeutung zu und werden immer ausgefeilter
Das Internet nimmt auf traditionelle Wertschöpfungsprozesse von Unternehmen zunehmend Einfluss
Intern kann das Internet als Informationsplattform und Speichermedium sinnvoll eingesetzt werden. Das erfordert, dass die beteiligten Führungskräfte in Zusammenarbeit mit den Mitarbeitern ein Informationsmanagement entwickeln, dass dieses von beiden Seiten unterstützt und koordiniert wird. Vor allem die Informationsverarbeitung - also die Generierung, das Verdichten und Verteilen von Informationen und neuem Wissen in den Unternehmen - stellt eine elementare Anforderung für das Management dar
Mit Hilfe des Internets können Beziehungen zu Kunden, Zulieferern etc. aufgebaut und gestaltet werden
Seit etwa Mitte der neunziger Jahre ist in Deutschland die Beziehung zu den Aktionären in der Diskussion über den so genannten Shareholder Value mit Nachdruck thematisiert und diskutiert worden
Insgesamt verlangt das Shareholder-Value-Konzept von den Unternehmen, dass sie sich gegenüber dem Kapitalmarkt und seinen Akteuren öffnen und transparenter werden. So honorieren es beispielsweise Analysten, die für Banken und andere Investoren arbeiten, wenn die Unternehmen sich auf ihre Kernkompetenzen konzentrieren und die Geschäftsbereiche, die nicht zu diesen Kompetenzen gezählt werden können, verkaufen oder an die Börse bringen. Häufig wird dies damit begründet, dass die Unternehmen jene Geschäftsbereiche, die nicht erfolgreich sind, nicht weiter subventionieren und dass so besser eingeschätzt werden kann, wie das Unternehmen das Geld der Investoren einsetzt. Mit der Aufmerksamkeit gegenüber dem Wert des eigenen Unternehmens am Aktienmarkt hat sich zumindest für das Management der Unternehmen, die am Aktienmarkt notiert sind, einiges verändert.
Der Aktienmarkt wandelt sich in Deutschland ab Mitte der neunziger Jahre aus verschiedenen Gründen und gewinnt insgesamt an volkswirtschaftlicher Bedeutung. Die Deutsche Telekom hatte 1996 ihren großen, publikumswirksamen Börsengang. Ab Mitte der neunziger Jahre nimmt die Börsenkapitalisierung in Prozent des Bruttosozialprodukts in Deutschland enorm zu (von 23,9 % 1995 auf 51,2 % 1998). Sie ist allerdings im internationalen Vergleich noch immer sehr klein. Seit Mitte der neunziger Jahre steigt auch die Zahl der börsennotierten deutschen Aktiengesellschaften steil an (von 679 in 1995 auf 741 in 1998). 1997 wurde der Neue Markt eröffnet; er bot im November 2000 ca. 330 meist kleinen, jungen und innovativen Unternehmen die Chance, ihr Eigenkapital für innovative Geschäftsideen zu erhöhen. Unternehmen aus der Informations- und Kommunikationsbranche wurden bis März 2000 von der Börse sehr hoch - zu hoch - bewertet, sodass deren Marktwert oftmals den Wert klassischer Industrieunternehmen weit überstieg. Mittlerweile haben sich hier an der Börse erhebliche Korrekturen vollzogen.
Auch die Aktionärsstruktur hat sich in Deutschland verändert. Auffallend ist, dass auf der einen Seite Investmentfonds ihren Aktienbesitz ausgebaut haben, dass aber auf der anderen Seite der Aktienbesitz von Banken ebenfalls zugenommen hat. Der im Vergleich sehr hohe Aktienbesitz von Industrieunternehmen hat seit Mitte der neunziger Jahre deutlich abgenommen. Der Besitz von privaten Haushalten sinkt zwar im Vergleich zu den anderen Aktienbesitzern. Private Haushalte investieren aber aus ihrem gesamten Vermögen zunehmend mehr in Aktien; vor allem Fonds sind als Anlageform beliebt. Auch der enorme Zuwachs an Zeitschriften und Magazinen, die sich mit dem Aktienmarkt beschäftigen, steht sicherlich in Verbindung mit der zunehmenden Präferenz der privaten Haushalte, ihr Vermögen in Aktien zu investieren. Wie sich in Zukunft die Veränderungen am Aktienmarkt und im Aktienbesitz auf die so genannte "Deutschland AG" und damit auch auf das Management auswirken werden, kann zur Zeit nicht mit Sicherheit gesagt werden
Was man aber schon jetzt feststellen kann, ist, dass der Aktienmarkt mehr Transparenz von den Unternehmen fordert und dass das Management sich intensiver den Analysten und Portfoliomanagern großer Aktionäre widmen muss. Die Aktie wird von den Unternehmensleitungen zunehmend als Produkt erkannt, das auch Moden und Zyklen unterliegt. Mit dem Börsengang der Deutschen Telekom, der Zunahme der Neuemissionen seit Mitte der neunziger Jahre und der Eröffnung des Neuen Marktes ist in Deutschland eine Art Aktienkultur entstanden, die sicherlich dazu beiträgt, dass private Haushalte, Arbeitnehmer, Investoren und das Management zu höheren Investitionsrisiken bereit sind
Unternehmen des Neuen Marktes werden häufig mit der neuen Wirtschaft gleichgesetzt. Sie dienen oft als Beispiele für einen neuen, dem "Silicon Valley" ähnlichen Unternehmens- und Unternehmertypus in Deutschland. Damit ist ein Unternehmen gemeint, das im Wesentlichen durch Risikokapitalgeber finanziert und kontrolliert wird und eine radikale Innovationsstrategie realisiert. Allerdings entspricht dieses Bild nicht ganz der Realität. Die Unternehmen am Neuen Markt ähneln zu zwei Dritteln eher dem für Deutschland typischen Modell des Unternehmensgründers: Er leitet das Unternehmen selbst, besitzt die meisten Aktien, ernennt die leitenden Führungskräfte und verfolgt eine schrittweise Innovationsstrategie
Das deutsche Management in der neuen Wirtschaft muss einen neuen Typ Mitarbeiter führen. Die Informationsökonomie wirkt sich auf das Machtverhältnis zwischen Mitarbeitern und Unternehmen aus
Mitarbeiter müssen durch neue Anreiz- und Belohnungsstrukturen an das Unternehmen gebunden werden. Eine Form der Entlohnung, Aktienoptionsprogramme
Da viele Aktienoptionsprogramme jedoch nicht für alle Mitarbeiter vorgesehen sind, sondern nur für einen kleineren Kreis des Managements, stellt sich die Frage, wie sich das hiermit verbundene Ziel, sie zu einer Art Unternehmer zu machen, auf das Management selbst auswirkt. Wird dieses auch zu einer Art "Arbeitskraftunternehmer"? Und inwiefern unterscheidet es sich von den zu leitenden Mitarbeitern? Weiterhin ist die ganz grundlegende Frage offen, ob der Aktienbesitz - gerade bei sinkenden Aktienkursen - eine Alternative zum Lohn sein kann oder ob er nicht vielmehr für den Arbeitnehmer ein doppeltes Risiko darstellt
Die Mitarbeiter der 50 Unternehmen des so genannten Nemax 50
Die Aktienbeteiligung der Arbeitnehmer am Unternehmen stellt also auch die Gewerkschaften vor neue Herausforderungen. Aus der Perspektive der Gewerkschaften, die an der Mitbestimmung der Arbeitnehmer festhalten und gleichzeitig auch die materielle Beteiligung einfordern, stellen sich folgende zentrale Fragen: "1. Sollten die Gewerkschaften die ,Eigentümereigenschaft' von Arbeitnehmerbeteiligung aufgreifen - auch zur Durchsetzung von Arbeitnehmerinteressen und nicht nur von Aktionärsinteressen? 2. Welche Rolle können die Belegschaftsaktien im Falle einer geplanten ,feindlichen' Übernahme spielen (z. B. durch Ausübung einer Sperrminorität)? 3. Kann der Zusammenschluss von Arbeitnehmeraktionären in Belegschaftsaktionärsvereinen genutzt werden, um die gesetzliche Mitbestimmung zu unterstützen, wenn ja, unter welchen Bedingungen? 4. Wäre es hilfreich, wenn Arbeitnehmer, die über Aktien am Unternehmen verfügen, ihr Stimmrecht häufiger an derartige Initiativen oder Belegschaftsaktionärsvereine statt an eine Bank übertragen? 5. Wie kann ein Policy-Mix zwischen ,Beteiligung am Unternehmenserfolg', Sicherheit der Arbeitnehmerkapitalanlage und Sicherheit der Arbeitsplätze aussehen?"
Neben einer potentiell zunehmenden "Eigentümerschaft" von Arbeitnehmern an ihrem Unternehmen erfordert die fragmentierte Arbeitswelt, dass die Gewerkschaften ihre Strukturen und Arbeitsweisen ändern. Kollektive Regelungen bzw. großflächig wirksame Regelungen müssen zunehmend durch flexible, stärker den individuellen Bedürfnissen angepasste Dienstleistungen ergänzt oder gar ersetzt werden
Neue Wirtschaft - neues Management? Diese Frage kann und soll abschließend nicht mit ja oder nein beantwortet werden. Ziel dieses Aufsatzes war es vielmehr zu klären, ob sich neue Managementpraktiken identifizieren lassen, die auf eine neue Wirtschaft hindeuten. Ich denke, es ist deutlich geworden, dass sich die neue Wirtschaft durch eine Vielzahl von Faktoren auszeichnet. Diese Vielzahl spiegelt sich in verschiedenen Herausforderungen an das Management wider. Der Fokus auf die Unternehmensleitung ermöglicht es, die neue Wirtschaft nicht - wie dies allgemein geschieht - auf eine neue Technologie und deren Verbreitung zu reduzieren. Vielmehr geraten die für die neue Wirtschaft zentralen neuen Einflüsse und Erwartungen der Produkt- und der Kapitalmärkte ins Blickfeld, und entsprechende Konsequenzen für die Unternehmensführung können analysiert werden. Ferner wird so die wesentliche Rolle der Arbeitnehmer und ihres Wissens im Verhältnis zum Management betont. Die neue Wirtschaft ist in Deutschland teilweise schon Realität und damit vielleicht nicht mehr ganz so neu.