I. Einleitung
Die neunziger Jahre waren das Jahrzehnt der "Parteienverdrossenheit". Die Debatte um die Probleme der deutschen Parteiendemokratie brachte die Organisationsschwächen offen ans Tageslicht. Die letzten zehn Jahre waren ebenso ein Jahrzehnt der Parteireform. Im Jahr 2000 bewirkte maßgeblich die CDU-Spendenaffäre eine erneute Intensivierung der Diskussion nicht nur über die Finanzierung der Parteien, sondern auch über die weitere Reform ihrer Binnenorganisation
Dabei sind bei fast allen Parteien - nur Bündnis90/Die Grünen führen die Reformdiskussion mit umgekehrten Vorzeichen - zwei generelle Trends zu beobachten: Zum einen bemühen sie sich um die Integration direkt-demokratischer Elemente, zum anderen ist ein Bestreben zur Öffnung und Flexibilisierung der Parteistrukturen zu erkennen. Darüber hinaus wird das Internet als modernes Mittel der innerparteilichen Kommunikation genutzt. Damit versuchen die Parteien, auf Entwicklungen in der politischen Kultur zu reagieren und den Einstellungswandel in der Bevölkerung aufzunehmen. Intention ist es, durch eine Erhöhung der Attraktivität die Organisation der Parteien als Mitgliederparteien trotz des stetigen Mitgliederrückgangs zu erhalten, dem gewandelten Partizipationsverhalten der Bürger zu entsprechen und die parteiinterne Partizipation zu stärken. Der Beitrag beschäftigt sich mit diesen Aspekten zur Parteireform der letzten zehn Jahre.
II. Partizipation und Parteien
1. Mitgliederprobleme der Parteien
Die Mitgliederprobleme der Parteien lassen sich in drei wesentlichen Punkten zusammenfassen: Erstens haben fast alle Parteien mit einem stetigen Mitgliederrückgang zu kämpfen, zweitens ist eine deutliche Überalterung der Mitgliedschaften festzustellen
Während bis Anfang der achtziger Jahre die Gesamtzahl der Parteimitglieder beständig anwuchs, ist seitdem eine rückläufige Tendenz eingetreten, die weiterhin anhält. Zwar bremste zunächst die Vereinigung des Parteiensystems der alten Bundesrepublik mit dem der ehemaligen DDR diese Entwicklung - zum einen, weil die PDS noch relativ viele Mitglieder aufweisen konnte, zum anderen aber vor allem, weil diejenigen Parteien profitierten, die sich mit ehemaligen Blockparteien zusammenschlossen (CDU und FDP). In den Folgejahren nahmen von diesem höheren Ausgangsniveau die Mitgliederzahlen weiter ab. Die SPD verlor im Jahrzehnt nach der Einheit 20,1 Prozent der Mitglieder, die CDU im selben Zeitraum 18 Prozent. Noch dramatischer ist das Minus bei der FDP. Seit der Vereinigung mit dem Bund Freier Demokraten (BFD, vormalige Blockpartei LDPD) im August 1990 mussten die Liberalen einen Rückgang um fast 64 Prozent hinnehmen, was insbesondere an der Marginalisierung der FDP im Osten liegt. Betrachtet man aufgrund der Sonderbedingungen in den neuen Ländern nur die Entwicklung im Westen, so ist der Verlust von 27,1 Prozent dennoch erheblich. In den ostdeutschen Landesverbänden (ohne Berlin) hatten die Liberalen Ende 1999 nur noch 12 409 Mitglieder gegenüber 106 966 im Dezember 1990. Dies weist schon darauf hin, dass die Mitgliederprobleme der Parteien in den neuen Ländern noch viel ausgeprägter sind als in den alten. Die CDU verlor hier seit der Einheit 54,5 Prozent der Mitglieder. Ähnliches gilt auch für die PDS, die jedoch immer noch die mitgliederstärkste Partei im Osten Deutschlands ist. Den westlichen Parteien, die keinen Partner mit einer ausgeprägten Organisationsstruktur in der damaligen DDR vorfanden, gelang es demgegenüber nicht, mitgliederstarke Verbände aufzubauen. So stagnieren die Sozialdemokraten seit Jahren im Osten bei unter 30 000 Mitglieder, was etwa der Mitgliederzahl des SPD-Bezirks Rheinland/Hessen-Nassau entspricht. Bündnis90/Die Grünen kommen nur schwer über die Marke von 3 000 Mitgliedern.
Ausnahmen von diesem generellen Rückgang der Parteimitgliedschaften sind nur Bündnis90/Die Grünen in den alten Bundesländern und die CSU in Bayern. Bündnis90/Die Grünen verloren zwar in den ersten beiden Jahren nach der deutschen Einheit ca. 5 000 Mitglieder, konnten sich aber von diesem Ausgangsniveau 1992 von 36 320 Mitgliedern auf 51 812 Mitglieder zum Jahresende 1998 steigern. Seit der Beteiligung an der Regierung ist allerdings auch bei den Grünen eine rückläufige Tendenz zu beobachten. Bei der CSU ist bis 1994 ein Mitgliederrückgang zu verzeichnen, der allerdings nicht so dramatisch war wie bei den anderen Parteien. Seitdem ist sogar eine leicht steigende Tendenz bei der CSU auszumachen. In den ersten vier Jahren nach der Vereinigung verlor die Partei etwa 10 000 Mitglieder, konnte seitdem aber wieder um 5 500 zulegen
2. Verändertes Partizipationsverhalten
Die Gründe für den Mitgliederschwund der Parteien liegen neben den zum Teil spezifischen Rahmenbedingungen in den neuen Bundesländern zum einen an veränderten politischen Partizipationswünschen der Bevölkerung, zum anderen an einer tendenziellen Verschlechterung der Rahmenbedingungen für politische Beteiligung. In den fünfziger Jahren wurde den Deutschen noch eine passive Politikorientierung nachgewiesen, die sich durch ein nur geringes politisches Interesse und eine lediglich schwach ausgeprägte Identifikation mit dem politischen System auszeichnete. Über das Wählen-Gehen hinaus gab es kaum aktive politische Partizipation
Spätestens seit Mitte der achtziger Jahre ging diese gesteigerte Partizipationsbereitschaft jedoch zu Lasten der traditionellen Beteiligungsformen: Parteimitgliedschaften nahmen genauso ab wie die Wahlbeteiligungen und die Identifikation mit Parteien. Dagegen wuchs die Attraktivität unkonventioneller Partizipationsformen. Forderungen nach mehr direkt-demokratischen Elementen auf allen politischen Organisationsstufen haben Hochkonjunktur. Mit der Einheit hat diese Entwicklung einen nochmaligen Schub erhalten
Mit dem Wertewandel, der als eine Gewichtsverlagerung von Pflicht- und Akzeptanzwerten hin zu Selbstentfaltungswerten
Mit Blick auf die Überalterung der Mitgliedschaften in den Parteien ist darauf hinzuweisen, dass die hier dargestellte politisch-kulturelle Situation für die jüngere Generation in dramatisierter Form gilt. Das politische Interesse der Jugendlichen und jungen Erwachsenen gilt allgemein als geringer als das der älteren Jahrgänge. Noch stärker als die Gesamtbevölkerung neigen sie zu direkten politischen Aktionsformen, die Mitarbeit in einer Partei ist nur für eine Minderheit eine denkbare Partizipationsform. Die große Distanz der jungen Menschen zu den Parteien kommt darüber hinaus in den geringen Institutionen-Vertrauenswerten zum Ausdruck.
3. Innerparteiliche Partizipation und Partizipationsbereitschaft
Selbst bei den Bürgern mit Parteibuch sind große Differenzen in der Intensität der tatsächlichen Partizipation an den herkömmlichen Formen der innerparteilichen Entscheidungsprozesse auszumachen. Grob werden drei Arten von Parteimitgliedern unterschieden
Es zeigt sich aber, dass bei den Parteimitgliedern auf der Einstellungsebene ein starkes Bedürfnis nach konkreter politischer Mitentscheidung vorhanden ist. Einer Mitgliederbefragung in der CDU aus den Jahren 1992 und 1993 zufolge ist "ein neuer Typ von Parteimitgliedern . . . auf dem Vormarsch, dem es weniger um die soziale Einbindung als zunehmend darum geht, die gemeinsamen Überzeugungen politisch mitzugestalten, der die Mitgliederrechte stärken und sich politisch aktiv beteiligen möchte"
In dieselbe Richtung weist die aktuelle SPD-Mitgliederbefragung vom Sommer 2000
III. Reformmaßnahmen und -pläne der Parteien
Die Notwendigkeit einer möglichst großen Zahl von Parteimitgliedern und der Stellenwert der innerparteilichen Beteiligung ist in der Forschung heftig umstritten
Der Abschied vom traditionellen Konzept der Mitgliederpartei mag zwar unter Effizienzgesichtspunkten durchaus Vorteile haben, doch scheint er derzeit noch immer den politisch-kulturellen Einstellungen in Deutschland zu widersprechen. Es ist weiterhin ein tief verwurzeltes Element in den Orientierungsmustern der Bundesbürger, dass eine Partei ohne genügend Mitglieder kaum demokratische Legitimität für die Ausübung ihres politischen Gestaltungsauftrages beanspruchen könnte. Eine Abkehr von der Mitgliederpartei würde daher eine Differenz zwischen politischer Kultur und politischer Struktur bedeuten, die für die Akzeptanz des Systems von Nachteil wäre. Deshalb streben alle Parteien danach, weiterhin Mitgliederpartei zu bleiben. Sie versuchen durch die Reform ihrer inneren Ordnungen, auf Veränderungen und Strömungen in der politischen Kultur zu reagieren, um wieder attraktiver für eine Mitarbeit der Bürger zu werden.
1. Integration direkt-demokratischer Elemente
Bei der Einführung direkt-demokratischer Instrumente in die innerparteiliche Willensbildung sind die Parteien durch institutionelle Rahmenbedingungen eingeschränkt. So ist nach dem Parteien- und dem Bundeswahlgesetz die Wahl des Vorstandes bzw. der Bundestagskandidaten außerhalb von Vertreter- bzw. Mitgliederversammlungen unzulässig. Eine beschlussfassende Entscheidung der Mitglieder außerhalb dieser Versammlungen ist in diesen Fällen nicht erlaubt
Eine Vorreiterfunktion bei den Ansätzen, das eingangs geschilderte Delegiertensystem durch Elemente direkter Demokratie aufzulockern, haben die Grünen eingenommen. Bereits bei ihrer Gründung als Bundespartei im Jahr 1980 führten sie einen Sachentscheid ein. Bis heute ermöglicht § 21 der Bundessatzung, dass "über alle Fragen der Politik von Bündnis90/Die Grünen, insbesondere auch der Programme, des Grundkonsenses und der Satzung, . . . urabgestimmt werden" kann. Damit ist ein beschlussfassender Mitgliederentscheid in Sachfragen normiert, der sowohl "von unten" als auch "von oben" fakultativ initiiert werden kann. Das Delegiertenprinzip ist bei den Grünen ferner durch die direkte Wahl der Vertreter in der Bundesversammlung durch die Kreisverbände durchbrochen (§ 11 der Satzung). Die Verankerung der Basisdemokratie war notwendige Voraussetzung für die Zustimmung der Bürgerinitiativen, aus denen die Grünen hervorgegangen waren, zum Parteiprojekt. Damit reagierten die Grünen direkt auf die politisch-kulturellen Orientierungen ihrer Anhänger, die noch stärker als der Bevölkerungsdurchschnitt direkt-demokratische Instrumente bevorzugen. Die basisdemokratischen Züge entsprachen aber auch der grünen Selbstdefinition als "Parteiorganisation neuen Typs"
Die SPD, bei der eine wachsende Spannung zwischen den direkt-demokratischen Tendenzen in ihrem politisch-kulturellen Umfeld und dem Fortbestand des Delegiertensystems festgestellt werden konnte
Eine zweite Phase der Parteireformdiskussion begann in der SPD mit den Vorschlägen von Generalsekretär Franz Müntefering am 2. April 2000. In einem "Werkstattgespräch" im Willy-Brandt-Haus stellte er seine Pläne für einen radikalen Umbau der Partei vor
Auch die CDU reagierte in den neunziger Jahren auf die starken direkt-demokratischen Wünsche ihrer Mitglieder und in der Öffentlichkeit. Allerdings ist bisher eine im Vergleich zur SPD zurückhaltendere Einstellung zu beobachten. Auf ihrem Karlsruher Parteitag 1995 führte die CDU eine konsultative Mitgliederbefragung in Personalangelegenheiten ein, die allerdings lediglich auf Beschluss des Bundesvorstandes durchgeführt werden kann (§ 6a Statut der CDU). Auf Länderebene ergibt sich bei der CDU ein differenzierteres Bild. Reformanstöße kamen vor allem aus den Landesverbänden
Im Jahr 2000 hat auch die CSU intensiv über die Erweiterung der Mitgliederrechte diskutiert. In den neunziger Jahren war sie noch die einzige Partei, die sich dem Trend zur Integration direkt-demokratischer Instrumente entzogen hat. Im Oktober schlug Parteichef Edmund Stoiber jedoch die Urwahl der Kandidaten für den Bundestag und den Bayerischen Landtag durch die Mitglieder vor und stieß damit auf heftigen Widerstand der Bundestagsabgeordneten der CSU-Landesgruppe in Berlin. Deshalb hält die bayerische Union weiter am Delegiertenprinzip fest, führt jedoch - wie auf dem Parteitag im November 2000 beschlossen - die Diskussion weiter. Insbesondere sollen in Kreisverbänden, wo es praktikabel erscheint, vermehrt Mitgliederversammlungen stattfinden. Sowohl Meyer als auch CSU-Generalsekretär Thomas Goppel lehnen aber offene Vorwahlen ab.
Wie die beiden Großparteien hat auch die FDP in den neunziger Jahren auf die direkt-demokratischen Tendenzen in der politischen Kultur reagiert. Aufgrund eines Beschlusses des Bundesvorstandes wurde am 14. Dezember 1995 ein in der Satzung damals noch nicht vorgesehener Mitgliederentscheid zum Thema "großer Lauschangriff" durchgeführt. Die Beteiligungsrate lag auch hier mit 43,1 Prozent deutlich über dem Durchschnitt der sonst aktiven Parteimitglieder. Auf dem Bundesparteitag der Liberalen im Mai 1997 folgten die Delegierten dem Antrag des Vorstandes, einen Mitgliederentscheid in die Satzung aufzunehmen. § 21 der FDP-Bundessatzung konstituiert einen dezisiven Entscheid über Sachfragen, der sowohl "von unten" als auch "von oben" initiiert werden kann. Ein zweites Mal kam dieses Instrument 1997 bei der Entscheidung über die Wehrpflicht zum Einsatz.
2. Öffnung und Flexibilisierung der Partei- organisation
Einen zweiten Ansatzpunkt für die Parteireform stellt die Öffnung der Organisationen gegenüber Nichtmitgliedern dar, die einhergeht mit einer Flexibilisierung der Strukturen. Damit soll der generellen Abkehr von Großorganisationen entgegengewirkt und der verminderten Bereitschaft, sich langfristig zu engagieren, entsprochen werden. Die Betroffenheitsorientierung des Partizipationsverhaltens verlangt nach neuen Formen der politischen Mitwirkung. Das Internet spielt dafür, aber auch für die Stärkung der Mitgliedschaft im Sinne privilegierter Informationsmöglichkeiten durch ein MitgliederNet, eine zunehmend wichtige Rolle.
Historisch betrachtet nahmen auch bei dieser Frage die Grünen mit der Verwirklichung weiterer Prinzipien der Basisdemokratie eine Vorreiterrolle ein. Dem Wunsch nach kleinen, überschaubaren Gruppen im politisch-kulturellen Umfeld der Grünen entsprach die Partei schon von Beginn an mit einem möglichst dezentralen Aufbau der Parteistruktur. Dieser sollte durch einen möglichst hohen Autonomiegrad und möglichst umfangreiche Entscheidungskompetenzen der unteren Organisationseinheiten gewährleistet werden
Alle anderen Parteien gehen den Weg der weiteren Öffnung ihrer Strukturen. Selbst die CSU, die in den neunziger Jahren die Ausnahme auch von dieser Entwicklung war, hat nun die Möglichkeit einer Gastmitgliedschaft geschaffen, die allerdings noch nicht in der Satzung verankert ist. Die Sozialdemokraten setzten eine erste zaghafte Öffnung bei ihrem Parteitag von 1993 um. Insgesamt hielt man jedoch strikt am Konzept der Mitgliederpartei fest. Neben Änderungen bei der Mitgliedschaft der Juso AG wurden lediglich die Vorstände der Partei ermächtigt, themenspezifische Projektgruppen einzurichten, in denen auch Nichtmitglieder mitarbeiten können. Diesen Gruppen steht nach § 10a des sozialdemokratischen Organisationsstatuts das Antrags- und Rederecht für den Parteitag auf der jeweiligen Ebene zu. Schließlich sollten auf kommunaler Ebene zwei der zehn aussichtsreichsten Plätze Seiteneinsteigern vorbehalten bleiben. Die Reformvorschläge von Franz Müntefering vom April 2000 gehen hier nun einen Schritt weiter, ohne allerdings - wie sein Plan zu offenen Vorwahlen - grundsätzlich die Organisation als Mitgliederpartei in Frage zu stellen. Unter dem Schlagwort "zehn von außen" sollen in der nächsten Bundestagsfraktion zehn Personen sitzen, die bisher nicht aktive Parteimitglieder waren. Außerdem soll die Rekrutierungskompetenz der Partei verbessert werden. Danach sollen auch nach der Bundestagswahl 2002 wieder 30 Abgeordnete unter 40 Jahren in der Bundestagsfraktion sein.
Auch innerhalb der CDU wird die Notwendigkeit des Aufbaus offener Strukturen anerkannt. Gerade in der jetzigen Oppositionsrolle bietet sich hier die Chance zur Erneuerung in der Nach-Kohl-Ära
Die FDP ist sehr flexible Wege zur Öffnung ihrer Strukturen in den neunziger Jahren gegangen und reagierte in ihrem Parteitagsbeschluss von 1996 explizit auf Veränderungen im Partizipationsverhalten der Bürger. Den Landesverbänden und ihren Untergliederungen ist es freigestellt, welche Formen der Mitwirkung von Nichtmitgliedern sie wählen. Mit Unterstützung durch die Bundespartei können dort "Liberale Initiativen" - zwanglose, informelle und weitgehend von den lokalen Parteistrukturen unabhängige Vereinigungen - angestoßen werden, denen das Rede- und Antragsrecht in den Orts- und Kreisverbänden zugestanden werden kann
IV. Probleme der Reformierbarkeit der Parteien
Einer umfassenden Implementation der Reformen stehen jedoch strukturelle Probleme entgegen. Zunächst ist grundsätzlich der Nutzen der Integration direkt-demokratischer Elemente für die Effektivität der Parteien sowie hinsichtlich ihrer Auswirkungen für das repräsentative Demokratiemodell umstritten. Die partizipationsorientierte Seite legt darauf mit großem Optimismus alle Hoffnung auf eine Erneuerung der Mitgliederpartei im Sinne einer Mitwirkungspartei. Die Modernisierung der britischen Parteien wird dabei als Vorbild angesehen, und es werden detaillierte mehrstufige - damit allerdings auch sehr komplizierte - Modelle vorgeschlagen, wie eine direkte Mitgliederbeteiligung ausgestaltet werden könnte
Vor dem Hintergrund der skizzierten Einstellungsveränderungen zielen die Reformansätze der Parteien aber durchaus in die richtige Richtung. Trotzdem hat sich die Organisationswirklichkeit kaum verändert. Direkt-demokratische Elemente sind zwar etabliert, werden jedoch fast immer nur dann angewendet, wenn sich die betreffende Partei in einer schwierigen Situation befindet, in der sich die Führungseliten der Entscheidung entziehen möchten. Auch die Öffnung gegenüber Nichtmitgliedern wird vorangetrieben, doch liegen keinerlei Zahlen und Statistiken über die Anzahl von Gastmitgliedern vor. Der liberale Internet-Landesverband scheint dagegen ein erfolgversprechender, zukunftsweisender Ansatz zu sein.
Praktische Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Reformmaßnahmen liegen zum einen in innerparteilichen Machtverhältnissen, zum anderen in den Erfordernissen der Außendarstellung begründet. Bisher sind alle Reformansätze von den Parteiführungen ausgegangen. Hauptverlierer der Integration direkt-demokratischer Elemente und der Öffnung der Parteistrukturen ist die mittlere und untere Funktionärselite. Eine Modernisierung der Organisationswirklichkeit der Parteien gegen diese Gruppen ist jedoch kaum möglich. Denn sie sind es, welche die Parteien in ihren Untergliederungen ausmachen. Die Reformen können also nicht einfach oktroyiert werden, sondern verlangen nach einer Diskussion in der gesamten Partei. Deshalb erscheint der Ansatz der Parteireformkommission der CDU, die genau diesen Weg gehen will, als erfolgversprechend. Die Einführung von offenen Vorwahlen greift sogar die Position der Mitglieder an. Dementsprechend zurückhaltend wurden die Vorschläge von Müntefering in der SPD aufgenommen. Die Mehrheit der Mitglieder (58 Prozent) und erst recht der Funktionäre (69 Prozent) sowie der Mandatsträger (67 Prozent) ist gegen eine Öffnung des Nominierungsprozesses für Nichtmitglieder. Außerdem stoßen offene Vorwahlen auch auf systemische Bedenken. Mit Blick auf die Außendarstellung geraten die Parteien zumindest auf der politischen Spitzenebene in ein Mediatisierungs-Partizipations-Dilemma. Die Geschlossenheit ist seit Jahrzehnten einer der wichtigsten Kriterien für die Bewertung einer Partei. Öffentliche innerparteiliche Diskussionen schmälern die Wahlchancen
Die Bedingungen der Mediendemokratie wirken aber auch in einer anderen Hinsicht auf die parteiinterne Willensbildung ein. Die Nominierung von Gerhard Schröder als Kanzlerkandidat illustriert das: Obwohl nach der Satzung auch eine Urwahl möglich gewesen wäre, war die Entscheidung für Schröder durch seinen Landtagswahlerfolg und sein Image als Medienstar schon vor der eigentlichen Nominierung gefallen. Ähnliches ist bei der Wahl von Angela Merkel als CDU-Vorsitzende zu beobachten gewesen. Durch eine enorme mediale Dynamik, ausgelöst von einer positiven Beurteilung ihres Krisenmanagements in der Spendenaffäre, lief es fast zwangsläufig auf die ehemalige Generalsekretärin zu, obwohl ihre Verankerung in der Partei noch keineswegs ausgeprägt war.
In der Zusammenschau von politisch-kultureller Entwicklung und den skizzierten strukturellen Problemen muss die Fragestellung, ob die Parteien in Richtung mehr Mitgliederpartizipation reformierbar sind, differenziert beantwortet werden. Einer vollständigen Amerikanisierung durch offene Vorwahlen stehen wesentliche innerparteiliche Interessen entgegen. Nur bei einem kompletten Machtverlust der Funktionäre und der Mitglieder ist deshalb eine so weitgehende Reform denkbar. Die tatsächliche umfassende Anwendung von direkten Mitgliederentscheiden in Sach- und Personalfragen auf der medienbeobachteten Spitzenebene in Bund und Ländern wird durch das Geschlossenheitserfordernis für den Wahlerfolg konterkariert. Hinzu kommt, dass vielmehr verstärkt Gesetzmäßigkeiten der Mediendemokratie gelten, die auch den innerparteilichen Willensbildungsprozess beeinflussen. Das bedeutet, dass sich hier die Organisationswirklichkeit auch nicht grundlegend in Richtung mehr Mitgliederpartizipation verändern wird.
Bei der Frage der Öffnung der Parteistrukturen wird der Dialog mit gesellschaftlich relevanten Gruppen und mit Selbstorganisationen der Bürgergesellschaft auf lokaler Ebene zum notwendigen Erfordernis für den Wahlerfolg. Auch die Integration von Seiteneinsteigern wird bis zu einem gewissen Grad ausgedehnt werden können. Besonders jedoch der Internet-Landesverband der FDP scheint ein Konzept zu sein, das sowohl mit politischkulturellen Entwicklungen als auch mit parteistrukturellen Bedingungen kompatibel ist. Dies könnte zum zukunftsadäquaten Modell auch für die anderen Parteien werden und eine echte Modernisierung der Organisationsformen bewirken.