I. Einleitung
"Eine Partei ohne Jugend ist eine Partei ohne Zukunft." So ist der jugendpolitische Beschluss des SPD-Parteitags in Münster aus dem Jahre 1988 betitelt. Wenn diese Aussage zutrifft, und davon ist wohl auszugehen, dann ist es um die Zukunft der Parteien nicht gut bestellt. Denn sie sind an chronischem Nachwuchsmangel erkrankt, ohne entfernt eine Vorstellung davon zu besitzen, wie an den verloren gegangenen Kontakt zur Jugend wieder angeknüpft werden könnte. Im Gegenteil treten sie hilflos auf der Stelle. Dabei ist die Jungmitgliederkrise schon so alt, dass bereits vor zehn Jahren alarmierende Hiobsbotschaften in die Welt gesetzt wurden
Die in immer kürzeren Zeitabständen abgehaltenen "Jugend"-Parteitage offenbaren nur, wie sehr sich die Parteien in "Jetzt machen wir mal wieder auf jugendlich"-Inszenierungen erschöpfen, ohne dass sich Jugendliche merklich davon angesprochen fühlten. Die Jugendorganisationen werden für solche "Events" als Staffage benutzt, ohne sich noch nach draußen glaubwürdig als Sprachrohr und nach drinnen als verlängerter Arm der Jugend darstellen zu können. Noch peinlicher und anbiederischer wirken die Parteien dann, wenn ihre Altvorderen vor Kameras in Internet-Cafes surfen oder sich auf einer Technoparty tanzend unter das Jungvolk mischen. Teure in den letzten Jahren durchgeführte Werbekampagnen der Parteien ließen die Jugendlichen ebenfalls kalt, so dass die überlebensnotwendige Frischblutzufuhr weiter ausbleibt.
Umso dringlicher ist es, das gegenwärtige Ausmaß der Krise aufzuzeigen und die Hintergründe auszuleuchten. Ob überhaupt und was gegen die Nachwuchskrise zu unternehmen wäre, bleibt nämlich solange ungewiss, wie nicht geklärt ist, welche Ursachen die verstockten Beziehungsprobleme zwischen Jugendlichen und Parteien haben könnten. Diese sind undurchsichtig genug und lassen sich sicherlich nicht auf ein paar wenige gleichgerichtete Wirkfaktoren zurückführen. Möglich ist ja immerhin, dass sich die Ursachen bei den Parteien selbst oder aber bei den Jugendlichen und ihrem gesellschaftlichen Umfeld auffinden lassen
II. Die Jungmitgliederentwicklung der Parteien
Die Jungmitgliederentwicklung über die letzten 25 Jahre liest sich wie die Geschichte eines Exodus von mehreren Jugendgenerationen, die mit den Parteien nichts mehr zu tun haben wollen. Dabei fing alles zunächst sehr viel versprechend an, als in den siebziger Jahren die damaligen Parteien überraschend von einer überschäumenden Eintrittswelle überschwemmt wurden. Zu jenen Zeiten des Überflusses wurde vor allem die Eintrittswelle in die SPD von Jugendlichen unter 30 getragen. Sie erlebte einen Neumitgliederansturm und hatte allein 1969 100 000 und 1972 150 000 entsprechende Eintritte zu verkraften. Zwischen 1969 und 1977, ihrem Bestjahr mit 1 022 191 Mitgliedern, stießen über 400 000 Neumitglieder im Juso-Alter zwischen 16 und 30 Jahren zu ihr, davon viele Gymnasiasten und Studenten. Lag deren Anteil 1959 unter den Neumitgliedern noch bei 27,7 %, stieg dieser zwischen 1968 und 1971/72 von knapp 40 auf über 50 %, um dann bis Ende der achtziger Jahre wieder auf rund 35 % zurückzufallen. Die CDU erlebte zwar - zeitverzögert - einen noch größeren Neumitgliederboom, wobei aber zwischen 1970 und 1980 der Anteil der 16- bis 29-Jährigen mit 11 % konstant blieb
Über die CDU liegt für die damalige Zeit kein weiteres Zahlenmaterial vor. Doch hatte sie zwischen 1980 und 1998 ebenfalls einen Beitrittsrückgang bei 16- bis 30-jährigen von 11 428 auf 4 154 Eingetretene zu erleiden. Weil der Zustrom an Jungmitgliedern ab Mitte der siebziger Jahre stark abebbte und dann nur noch Rinnsalgröße beibehielt, lassen sich die Folgen an der Entwicklung des Jungmitgliederanteils in den Parteien ablesen:
So betrug 1974 der Jungmitgliederanteil in der SPD noch 10,8 %, um schließlich Ende 1999 auf 2,8 % abzusacken. Die CDU kommt auf 2,5 %, während es 1983 noch 3,9 % waren. Insgesamt haben sich die Jungmitglieder (16 bis 24 Jahre) von SPD und CDU zusammen zwischen 1980 und Ende 1997 von 89 176 auf 31 087 reduziert und damit einen Schwund von fast zwei Dritteln zu verzeichnen. Im Bundestagswahljahr 1998 ist dagegen ein leichter Anstieg um 3 858 Youngster zu beobachten. Bei der FDP sind 1995 ganze 2 137 von 84 557 Mitgliedern (2,55 %) unter 25 Jahren.
Noch kräftiger muss bei den Großparteien die Gruppe der bis 29-Jährigen Federn lassen. So ist deren Zahl in SPD und CDU zwischen 1980 und 1998 von 229 619 auf 74 796 (minus 67 %) abgesunken. Ende 1999 ist diese Altersgruppe bei der SPD nur noch mit 6,3 und bei der CDU mit 5,5 % vertreten. Bei den Grünen sieht dieser Anteil für 1996 mit 12,5 % deutlich besser aus, doch ist er geschätzt und nicht einer zentralen Mitgliederdatei entnommen
Nicht nur den Parteien gehen die Jungmitglieder aus, sondern auch ihre Nachwuchsorganisationen plagen sich - mit Ausnahme des erst 1994 gegründeten Grünalternativen-Jugendbündnisses (GABJ) - mit Nachwuchssorgen. Die Julis der FDP erreichen gerade einmal 7 000 Mitglieder. Die Jusos haben dagegen einen langen Weg der dramatischen Auszehrung hinter sich gebracht. Waren sie als Altersgruppe der bis 35-Jährigen noch 1975 etwas mehr als 300 000 Mitglieder stark, sind sie bis Ende 1998 auf 88 000 und damit auf 29 % ihres alten Bestandes abgesunken. Schon 1992 kamen sie nur noch auf die Hälfte der Mitglieder, die sie noch Ende der Sechziger organisierten. Die Junge Union stieg zwar noch bis zu ihrem Gipfel 1983 auf rund 260 000 Mitglieder an, um dann aber den Jusos auf ihrem Weg nach unten zu folgen. 1999 ist sie bei 139 142 Mitgliedern angelangt, ein Verlust von 53 % gegenüber ihrem Bestjahr. Immer weniger ist sie Nachwuchs-reserve der Union, weil nur noch rund ein Drittel ihrer Mitglieder bei der Mutterpartei landen.
Wie wenig Jugendliche zwischen 16 und 24 Jahren in den letzten Jahren zur SPD und CDU/CSU gefunden haben, belegt auch die Entwicklung ihres Organisationsgrades. So lag die Mitgliedschaftsrate dieser Alterspopulation seit Beginn unseres rechnerisch möglichen Beobachtungszeitraums ab 1980 immer unter ein Prozent. Auf der Zeitachse zeigt sich auf diesem niedrigen Niveau ein linearer Abwärtstrend mit der Folge, dass sich der Organisationsgrad dieser Gruppe zwischen 1980 und Ende 1997 von 0,96 auf 0,38 % absenkt. Im Wahljahr 1998 ist ein leichter Anstieg auf 0,45 Prozentpunkte zu verzeichnen. Kam 1980 auf 104 Jugendliche ein Parteimitglied, müssen 1998 durchschnittlich 222 zusammenkommen, um darunter ein Parteimitglied vorzufinden.
Nun wird bei der Ermittlung des Organisationsgrads unterstellt, dass sich alle Jugendlichen einer bestimmten Altersklasse potentiell zu den Parteimitgliedern zählen ließen. Dies ist deshalb schon absurd, weil es immer nur eine kleine Teilgruppe unter den Jugendlichen (und Erwachsenen) ist, für die nach Umfragedaten überhaupt eine Parteimitgliedschaft denkbar ist, ohne sie tatsächlich dann auch vollziehen zu müssen. Parteiarbeit zieht wie jede organisationsgebundene politische Beteiligung seit eh und je nur eine kleine, überschaubare Zahl höher gebildeter, kognitiv ressourcenstarker Mittelschichtenangehörige an
Die Daten zeigen auf, in welch verschwindend geringem Ausmaß die Parteien seit den achtziger Jahren unter Jugendlichen noch Wurzeln schlagen. Gleichzeitig wird ein chronischer Jungmitgliederschwund indiziert, weil nach einer Schwemme die Jungmitgliederzufuhr abebbte, um schließlich in einem Rinnsal zu enden. Die Parteien verlieren schon in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre an Anziehungskraft, um noch genügend Jungmitglieder rekrutieren zu können. Spätestens ab den achtziger Jahren ist es so, dass Jugendliche Parteien, bis auf einen kleinen, unverwüstlichen Bodensatz, einfach meiden. Schon Mitte der Achtziger sind sie dann schon zu rekrutierungsschwach, um noch ihren Nachwuchsbedarf zu decken.
Die Parteien waren einmal jung, begannen aber dann kontinuierlich zu altern. Bedingt durch die Nachwuchskrise wird der Alterskegel der Parteimitglieder immer stärker verzerrt, so dass der Anteil der über 60-Jährigen in CDU und SPD zwischen 1980 und 1998 von 20 auf 35 Prozent ansteigt. Die CDU besitzt Anfang 2000 sechs Mal und die SPD etwas mehr als fünf Mal so viel Mitglieder über 70 als Jungmitglieder unter 25 Jahren. Bei der PDS haben gar schon zwei Drittel der Mitglieder die Altersgrenze von 60 Jahren überschritten mit der Folge, dass 7 000 Sterbefällen im Jahr nur 2 000 Neueintritte gegenüberstehen
Bei SPD und CDU blieb aus Nachwuchsmangel die Generation der damals Beigetretenen weitestgehend unter sich, um nun stark gealtert der Rente entgegenzusehen. Gleichzeitig fehlt eine ganze Anschlussgeneration, welche die ergraute Eintrittsgeneration aus den späten Sechzigern und frühen Siebzigern ablösen könnte. Nun rächt sich die verpatzte Regeneration, weil die Parteien in ihrem Innern wie leer gefegt wirken, um vereinzelt noch zu ihnen stoßenden Jugendlichen Ansprechpartner ihres Alters bieten zu können. Die Generationslücke ist mittlerweile so breit, dass eine ganze Elternschaft in den Parteien fehlt, die über familiäre Übertragungsprozesse ihre Parteizugehörigkeit an ihre bereits heranwachsenden Kinder weitergeben könnte. Und da es gleichzeitig an Jungmitgliedern fehlt, können diese auch nicht, wie es früher einmal üblich war, über ihre Freundeskreise und Kontaktnetzwerke Nachwuchs für die Parteien rekrutieren. Zudem wird Jugend in den kommenden Jahren aus demografischen Gründen ein rares Gut, so dass sich auch aus diesem Grund die Parteien auf eine noch stärker verschlechterte Nachwuchslage einzustellen haben. Verwundern kann es deshalb nicht, dass sie in ihrem Innern längst Vitalitätsverluste erlitten haben und zusehends an Atrophie leiden
III. Die Wahlmüdigkeit Jugendlicher
Dass die Abwendung der Jugendlichen von den Parteien tiefer als nur bis zur Organisationsunlust reicht, z eigt ein Blick auf die Entwicklung der Wahlabstinenz von jungen Erwachsenen. Zieht man die Daten der amtlichen repräsentativen Wahlstatistik für die Bundestags- und Landtagswahlen seit den achtziger Jahren heran, so zeigt sich in der tatsächlichen Wahlteilnahme von Jungwählern (18- bis 24-Jährige) ein dramatischer Abwärtstrend.
So sank die Teilnahme der Jungwähler bei Bundestagswahlen zwischen 1983 und 1990 von 84,5 auf 62,9 %, was einem Rückgang von 21,6 Prozentpunkten entspricht. Für die letzten beiden Bundestagswahlen fehlen entsprechende Daten. Bei den Landtagswahlen hat sich gar die Wahlteilnahme zwischen der Periode 1972-1976 und 1998-2000 von 70,6 auf 48,2 % abgesenkt, dies entspricht einem Rückgang von 22,4 Prozentpunkten. Die wachsende Wahlmüdigkeit ist sicherlich ein allgemeines, aber insbesondere ein jugendspezifisches Phänomen, weil sich die Schere zwischen dem Urnengang älterer Wähler und dem von Jungwählern in letzter Zeit deutlich öffnet.
Im Hinblick auf die Parteien bilden diese Befunde ein weiteres Indiz dafür, dass ihnen der Zugang zu wachsenden Teilen der Jugend entglitten ist. Für die Parteien bedeutet diese Entwicklung mehr als ein Warnsignal, wenn sich nicht einmal mehr jeder zweite Jungwähler noch an Wahlen beteiligt. Bei jungen Frauen ist die Entwicklung noch schlechter. Inzwischen ist die Wahlabstinenz unter Jungwählern fast doppelt so hoch, als etwa SPD oder CDU an Stimmen in dieser Altersgruppe erzielen könnten. Längst sind die Zeiten dahin, in denen sich irgendeine der Bundestagsparteien (unter Einschluss der Bündnisgrünen) seriöserweise als Jungwählerpartei bezeichnen konnte. Im Gegenteil bleibt sowohl der Jungmitglieder- als auch Jungwählernachwuchs aus. Als wäre die Rekrutierungskrise noch nicht genug, leiden die Parteien in wachsendem Maße auch noch unter einer Wählermobilisierungsschwäche gegenüber nachrückenden Erst- und Zweitwählern. Die - gemessen am Gesamtaufkommen von Jugendlichen - seit Jahren trübe Jungmitglieder- und Jungwählerbilanz spricht für ein wachsendes Auszehrungsproblem, in dem sich schon die Vorboten einer allgemeinen organisatorischen und elektoralen Reproduktionskrise der Parteien ankündigen.
Deutlich wurde, dass die Parteien als Orte des politischen Engagements schon in den späten siebziger Jahren (die Unionsparteien etwas später) den Anschluss an die Jugend verloren. Damals erlitten sie einen massiven Zulaufseinbruch, um danach nie wieder - bis auf eine verschwindend kleine Minderheit von unter einem Prozent - einen attraktiven Anlaufpunkt für deren politische Partizipationsvorlieben und -praktiken zu liefern. Klärungsbedürftig ist damit nicht die Organisationsmüdigkeit Jugendlicher gegenüber den Parteien schlechthin, sondern genauer, warum sie sich in einem eingrenzbaren Zeitabschnitt der zweiten Hälfte der siebziger Jahre von den Parteien abwandten und warum dann die nachfolgenden Alterskohorten in den achtziger und neunziger Jahren Parteien mieden. Es geht also um die Hintergründe einer mittlerweile chronischen Beziehungsdistanz gegenüber den Parteien, die von Jugend zu Jugend weitergegeben wurde, ohne dass die Fortdauer dieser Störung über die Länge der Zeit zwingend immer auf die gleichen Ursachen zurückzuführen wäre. Allerdings kann die Organisationsunlust Jugendlicher sicherlich nicht allein den Parteien oder anderen Großorganisationen wie Gewerkschaften in die Schuhe geschoben werden. Höchstwahrscheinlich wirken organisations- und umweltspezifische Faktoren wechselseitig aufeinander ein, ohne dass man ihren exakten Verursachungsanteil an der Nachwuchskrise der Parteien je genauer bestimmen kann.
IV. Anreizschwäche von Parteien
Nachvollziehbar ist es schon, wenn gesagt wird, dass Jugendliche Parteien deshalb meiden, weil ihnen diese in Versammlungsroutinen erstarrten Großorganisationen nicht jene Mitarbeitsanreize bieten, die ihren Beteiligungsbedürfnissen und -ansprüchen entsprechen würden. Dahinter steht die Überlegung, dass sich Beitritt und Mitmachen lohnen müssen. Jugendliche treten nur dann in Parteien ein, wenn dieser Schritt auch belohnt wird, sie also jene Wünsche befriedigen können, die sie mit ihrem Eintritt verbinden.
Solch ein Erklärungsansatz hat seinen Reiz, weil Parteien in der Tat schon seit Jahrzehnten überkommene Beteiligungsmöglichkeiten anbieten, die mit ihrer erstarrten Versammlungsroutine und Vereinsmeierei auf junge Leute abschreckend wirken. Dies umso mehr, weil sich die Partizipationsansprüche erhöht haben und Jugendliche verstärkt nach aktions- und erlebnisbetonten Beteiligungsgelegenheiten verlangen. Zudem hat man sich - was dem Individualisierungstrend zuwiderläuft - auch noch dauerhaft an eine Partei durch formalen Beitritt zu binden. Dann werden auch noch diejenigen frustriert, die Teilnahme mit dem Ziel der politischen Teilhabe verbinden und konkret etwas bewegen möchten.
Was gleichwohl ein wenig an dieser psychologisch durchaus nachvollziehbaren These stört, ist deren Rationalitätsüberschuss, wenn junge Menschen wie kühle Kosten-Nutzen-Rechner gesehen werden, die ihren Beitritt davon abhängig machen, dass ein persönlicher Vorteil für sie dabei herausspringt. Zugleich wird nicht erklärt, warum Jugendliche zu Beginn der siebziger Jahre zu Hunderttausenden in die etablierten Parteien hineinströmten und sich gerade jener Beteiligungspraktiken bemächtigten, die als anreizschwach am Pranger stehen. Schließlich lassen sich mit diesem Ansatz nicht so sehr die Organisationsunlust als vielmehr die Enttäuschungen und Rückzugsphänomene erklären, die bei Jugendlichen auftreten, wenn sie nach ihrem Beitritt als erwartungsvolles Neumitglied vielfach mit persönlichen Ohnmachtserfahrungen und der Erstarrung des Binnenlebens der Parteien konfrontiert werden.
V. Die Protestkultur und das Ende der Marktführerschaft der Parteien
Parteien besaßen einmal ein Monopol auf die privilegierte Ausrichtung des politischen Beteiligungsgeschehens. Das war jene Zeit, als Bürgerinnen und Bürger, die sich politisch dauerhafter über das Wählen hinaus engagieren wollten, nicht an einem Parteieintritt vorbeikamen. Dies änderte sich Ende der sechziger Jahre einschneidend, als Bürgerinitiativen entstanden und wachsender politischer Protest seinen Ausdruck über neue Formen des bürgerschaftlichen Aufbegehrens fand, was die Parteien unter Druck setzte. Über attraktive Neuanbieter von Beteiligungsmöglichkeiten entstand ein wettbewerbsintensiver Beteiligungsmarkt, der den Parteien heftig zusetzte. Die politisierte Aktivbürgerschaft fand Gefallen am antiinstitutionellen, aktionsbetonten und punktuellen Protestieren und Demonstrieren. Sie hatte nun die Wahl, sich mit ihren gewachsenen Partizipationsansprüchen und veränderten Partizipationsvorlieben entweder weiterhin Parteien anzuschließen oder aber sich den Neuanbietern zuzuwenden, um dort mitzumachen.
Die Protestkultur und der Aufstieg der neuen sozialen Bewegungen in den späten siebziger und achtziger Jahren würden vor diesem Hintergrund den Schwund an Neumitgliedern der Parteien erklären können, der zeitgleich um die Mitte der Siebziger einsetzte und ihnen dann später eine Nachwuchsebbe bescherte. Den Zeitumständen entsprechend, hat dieser Erklärungsansatz empirisch einige Aussagekraft, weil er mit der Mobilisierungskonjunktur der neuen sozialen Bewegungen korrespondiert
Zunächst aber waren es die Parteien selbst, die anfangs noch von den politischen Mobilisierungseffekten der partizipatorischen Revolution profitierten. Denn erstmals wurde in der Nachkriegsgeschichte eine Jugendgeneration unter den Nachwirkungen der antiautoritären Studentenbewegung mehrheitlich gesellschaftskritisch linkspolitisiert, die ernsthaft daran glaubte, Reformparteien wie die SPD und auch die FDP vor den Karren ihrer antikapitalistischen Systemveränderungsideen spannen zu können. Dies rief kulturkämpferische gesellschaftliche Polarisierungsprozesse hervor, die, gefördert durch die konfrontative Gegenmobilisierung der Unionsparteien, auch im bürgerlichen Lager eine interventionsbereite Politisierung auslösten. Der Dialektik von Mobilisierung und Gegenmobilisierung haben SPD und CSU/CDU ihre enormen Mitgliederschwemmen zu verdanken.
Diese eintrittsförderliche allgemeine Politisierung nahm allerdings schon nach der Ölpreiskrise Ende 1973 ab, und mit dem Antritt der Regierung Schmidt 1974 endete auch die Reformeuphorie, in deren Sog Hunderttausende junger Menschen zu den sozialliberalen Koalitionsparteien gefunden hatten. Durch den konfrontativen Oppositionskurs der Unionsparteien hielt zwar deren Mitgliederzulauf weiter an, ohne jedoch dabei erkennbar Jugendliche ansprechen zu können. Die organisatorischen "Mitnahmeeffekte" der Hochpolitisierung der Jugend waren so bereits Mitte der Siebziger erschöpft, was trotz ihrer anhaltenden kognitiven politischen Mobilisierung zu einer praktischen Auszeit führte.
Erst der Ökologie- und Anti-AKW-Bewegung gelang es erneut, das Beteiligungspotential unter den von der etablierten Politik enttäuschten kritischen Jugendlichen zu repolitisieren. Hierdurch entstand ein gegen die etablierten Parteien gerichteter und ihrer Kontrolle entzogener alternativer Beteiligungsmarkt, der nicht nur von seiner politischen Stoßrichtung, sondern auch wegen seiner protest- und aktionsbezogenen Mitwirkungsformen viele jüngere Menschen, aber auch älter gewordene Angehörige der 68er Protestgeneration aus den etablierten Parteien anzog. Das langjährige Monopol auf die organisierte politische Mitwirkung ging den Parteien jedenfalls deutlich verloren. Hinzu kam eine überlegene Konkurrenz durch den Aufstieg der neuen sozialen Bewegungen, die sie mit ihren hergebrachten Beteiligungsformen antiquiert aussehen ließen. Dies ließ mich davon sprechen, dass sich Parteien "zum Ladenhüter des gewandelten Beteiligungsmarktes der achtziger Jahre entwickelt"
In den Parteien selbst kam es deshalb nicht zum großen Exodus, weil sich die von Anfang an älteren Neumitglieder der Unionsparteien sowieso auf der Gegenseite des Protestlagers befanden. Dagegen standen große Teile der SPD-Neumitglieder den neuen sozialen Bewegungen nahe, deren Anliegen sie konfliktverschärfend in die Partei hineintrugen. Von Parteimitgliedern ist aus der Umfrageforschung zudem bekannt, dass sie nicht nur gegenüber unkonventionellen Partizipationsformen aufgeschlossen sind, sondern auch einschlägige Protest- und Demostrationserfahrungen besitzen
VI. Jugend im Partizipationsstau
Die achtziger Jahre sind insofern für die Nachwuchsprobleme der Parteien aufschlussreich, weil die von der Jugend der Siebziger getragene Protestkonjunktur nach dem Antritt der Regierung Kohl 1983 abflaute, ohne dass die erkennbar ermatteten Träger und Mitstreiter der neuen sozialen Bewegungen in einem etwas fortgeschrittenerem Lebensalter zu den Parteien gefunden hätten. Das Tischtuch zwischen ihnen und den am Ende obsiegenden Regierungsflügeln der politischen Parteien blieb zerschnitten. Schließlich betrieben die ab 1982 miteinander regierenden Union und FDP nun konsequent jene Politik weiter, gegen die unter Schmidt die Protestgeneration Sturm gelaufen war. Der Regierungsverlust bescherte dagegen der SPD ein lang anhaltendes Glaubwürdigkeitsproblem, weil die orientierungslose Partei zwischen Hinwendung zum alternativen Bewegungslager und Rückbesinnung auf das alte sozialdemokratische Kernmilieu hin und her lavierte. Die Grünen traten zwar mit Beginn der Achtziger das politische Erbe der immer mehr in die Mobilisierungsflaute geratenen neuen sozialen Bewegungen an, kümmerten sich aber nicht gezielt um das damals noch stark politisierte und vielleicht bindungsbereite Protestpotential für den Aufbau einer breiten Mitgliederbasis.
Die Jugend der achtziger Jahre wuchs unter diesen veränderten Rahmenbedingungen auf. Noch wurde sie zwar unter dem Einfluss des postmaterialistisch-grünalternativen Orientierungsbogens der neuen Politik politisch sozialisiert, sie wurde jedoch nicht - wie noch die Achtundsechziger oder die Aufbruch- und Protestgeneration der Siebziger - durch gemeinsame generationsprägende Schlüsselerlebnisse und -erfahrungen zusammengeschweißt. Vor einer eilfertigen Generationstypisierung sei gerade deshalb bei dieser losen Alterskohorte gewarnt
Wie schon unter Schmidt war diese Phase in den achtziger Jahren davon geprägt, unberührt von noch aufflackerndem Protest Regierungskurs zu halten und der eher linkspolitisierten unkonventionellen Beteiligungskultur den Wind aus den Segeln zu nehmen. Zudem verband sich der Regierungsstil von Helmut Kohl mit dem klaren Signal an die Aktivbürgerschaft, nach den abgelaufenen Zeiten der gesellschaftlichen Öffnung und Demokratisierung der Politik von unten nun wieder das politische Geschäft den Politikern zu überlassen und sich selbst wieder auf die Zuschauerränge der politischen Arena zurückzuziehen.
Während die Protestgeneration noch glaubhaft machen konnte, der eigenen Generation politisches Gewicht verliehen zu haben, blieben diese prägenden Erfolgserlebnisse für die Jugend der achtziger Jahre aus. Bei ihr setzten politisch vielmehr Entwöhnungseffekte ein, weil sie zur Kenntnis zu nehmen hatte, wie wirkungsohnmächtig jetzt noch politisches Intervenieren war und zu welcher Bedeutungslosigkeit sie als politische Kraft herabgestuft wurde. Schließlich bekamen sie die erfahrungsgesättigte Gewissheit mit, dass es sich gegenüber einer hermetischen Politiker-Politik nicht lohnt, diese noch einmischend oder gar protestierend zu hinterfragen. Insofern trug die Kohl-Ära und die davon nicht zu trennende Bewegungsflaute zur Demobilisierung der Jugend bei, die gleichwohl ihr Interesse an der Politik aufrechterhielt
So stand die Jugend der achtziger Jahre von der kognitiven Mobilisierungsseite aus betrachtet für politisches Engagement bereit, ohne dass sich das in Bereitschaft stehende Beteiligungspotential - in Ermangelung einer förderlichen Gelegenheitsstruktur - noch irgendwo entladen konnte. Zwar bekundeten die befragten Jugendlichen ihre ausgeprägte Vorliebe für legale Formen unkonventioneller Partizipation, doch tat sich dann eine gewaltige Schere auf, wenn die bekundete Partizipationsbereitschaft mit den tatsächlich gemachten Partizipationserfahrungen verglichen wurde.
Von einem Transfer politischen Interesses in tatsächliches politisches Handeln kann also für die damalige Situation nicht mehr gesprochen werden. Diese Jugend stand mit ihrem Partizipationsbegehren gewissermaßen im Stau, ohne sich von der Politik ganz abzukehren. Der Weg in den Protest war ihr entwöhnt und den Weg in die Institutionen und damit auch in die Parteien wollte sie nicht gehen. Demonstrierte doch die herrschende Politik ihre Interesselosigkeit, was unter den Jugendlichen politische Ohnmachtsgefühle und das Empfinden, ausgeschlossen und vernachlässigt zu sein, nur noch steigerte
VII. Vertrauensschwund als Eintrittshürde
Parteien sind normative Organisationen oder auch politische Tendenzbetriebe. Sie legitimieren sich dadurch, dass sie für bestimmte Richtungen, Ideen und Wertvorstellungen einstehen, die sie im Kampf um die Macht zu verwirklichen streben. Parteien bekommen allerdings dann ein Glaubwürdigkeitsproblem, wenn sich politisches Programm, Reden und Handeln ihrer Wortführer und Spitzenvertreter offenkundig nicht decken und Skandale anzeigen, dass Parteipolitiker schnöde Selbstsucht antreibt. Dies erzeugt nicht nur Vertrauens- und Integritätsverlust, sondern untergräbt auch das ideologische Bindungsmotiv, das gerade jüngere Menschen zum Parteieintritt bewegen könnte. Zahlreiche Umfragen belegen, dass Parteien über die letzten beiden Jahrzehnte große Teile ihres notwendigen Vertrauenskredits verspielt haben. Diese Diskreditierung geht nicht nur unter Jugendlichen um, sondern hat unter der ganzen Bevölkerung Platz gegriffen
Die Parteienverdrossenheitswelle der frühen Neunziger hat in der Einstellung gegenüber den Parteien tiefe Spuren hinterlassen, zumal sie seitdem als Objekte weitverbreiteten Argwohns und Misstrauens sowie des öffentlichen Unmuts und Ärgernisses angesehen werden müssen. Auch steht die von ihnen verantwortete Politik unter Generalverdacht, sich nicht um die Sorgen der Bürger, sondern um die eigenen Interessen zu kümmern. Abgerundet wird dieses düstere Bild noch durch den Integritätsverfall der politischen Klasse. Dabei ist es nicht so, dass Parteien grundsätzlich feindselige Ressentiments entgegenschlügen oder die Identifikation mit der demokratischen Ordnung in Frage stände. Am Pranger steht vielmehr die konkret erlebte Parteienwirklichkeit, an der sich das Missstandsempfinden entzündet. Bei Jugendlichen haben die Verhältnisse tief sitzende Vernachlässigungs- und Entfremdungsgefühle gegenüber den Parteien und Politikern ausgelöst, die sich über die letzten Jahre noch verstärkt haben
Parteien gehören mittlerweile zu einer den Jugendlichen gegenüber fremd gewordenen, abgehobenen, selbstbezogenen und moralisch diskreditierten Welt, auf die sie ihrerseits mit abweisender Distanz und Abwendung reagieren. Deshalb muss auf jeden Fall dieses massive Entfremdungsproblem als wichtiger Eklärungsfaktor für den anhaltenden Organisationsverdruss, aber auch für die wachsende Wahlabstinenz unter den Jungwählern herangezogen werden. Dies gilt auch für den Schwund von Abiturienten unter den Parteijungmitgliedern, der auf eine vergleichbare Beziehungsstörung hinweist
VIII. Jugendliche in den neunziger Jahren
Jugend zerfällt in den neunziger Jahren noch stärker als in den Achtzigern in differente Szenen und Lebensstilgruppen, denen ein gemeinsamer Nenner abgeht, um überhaupt noch von einer Generation sprechen zu können. Jedenfalls sind die Jugendlichen der Neunziger nicht mehr Kinder der partizipatorischen Revolution. Selbst die in den achtziger Jahren weitverbreitete These, dass bei Jugendlichen das "Bedürfnis nach politischer Partizipation . . . auf breiter Front seit dem Ende der siebziger Jahre bis heute gewachsen sei"
Die Partizipationsgeneration der siebziger und frühen achtziger Jahre ist in der Tat längst "verschlissen" und "ausgebrannt"
Anders als bei der Jugend der achtziger Jahre geht es heute auch nicht mehr um einen Prozess des widerwilligen Politikentzugs, sondern fraglich ist, ob sich Jugendliche überhaupt noch auf den Politikbetrieb einlassen. Es scheint so, als hätte sich die Begründung für politische Distanz vom Gesellschaftlichen weg hin zum Privaten vollzogen und damit hin zu einer Tendenz der politischen Einmischungsverarmung unter Jugendlichen. Sie scheinen einem "diffusen . . . antipolitischen Politikverständnis"
Zur Einschätzung des auch für Parteien wichtigen tatsächlichen Beteiligungspotentials heutiger Jugendlicher ist zunächst einmal die Tatsache aufschlussreich, dass politische Mitarbeit- und Teilnahmeerfahrungen selbst auf dem Felde unkonventioneller Partizipation auffallend rar sind. Schon dies sollte zur Vorsicht gemahnen, aus der "bekundeten Akzeptanz von verschiedenen Partizipationsformen . . . tatsächliche Partizipationspotentiale abzuleiten"
Anders noch kann man auch von einer Tendenz Jugendlicher in den neunziger Jahren weg von der investiven und interventiven hin zur konsumtiven politischen Partizipation sprechen. Politisches Engagement reduziert sich auf die Fortsetzung des Fast-Food-Konsums mit anderen Mitteln. Jugend will Politik zu ihren Bedingungen und die heißen "politics light" und Wohlfühlpartizipation. Das Paradoxe an dieser Entwicklung des anstrengungsvermeidenden Disengagements ist, dass wahrscheinlich noch keine Generation über so viel kognitive Kompetenz und politische Ressourcenausstattung wie die gegenwärtige verfügt hat, ohne davon gleichzeitig so wenig Gebrauch zu machen.
IX. Gesellschaftliche Marginalisierung von jugendlichen Parteimitgliedern
Parteimitgliedschaft bildet auf der einen Seite eine klassische Ausdrucksform für politisches Engagement. Nur wird auf der anderen Seite politisches Einflussstreben allein nicht ausschlaggebend für einen Parteibeitritt sein, sondern es sind daneben immer auch gesellschaftlich und zwischenmenschlich begünstigende Faktoren oder abhaltende Hindernisse einzubeziehen, die auf eine Bindungsentscheidung einwirken können. Anzunehmen ist, dass Jugendliche sich eher den Dingen in ihrer Alltags- und Freizeitwelt zuwenden bzw. anderen nacheifern werden, wenn das, worum es geht, Prestige verleiht und das Ansehen unter Altersgleichen steigert. Ließe sich dies auf Mitarbeit in Parteien übertragen, könnten sie ohne ihr besonderes Zutun mit vermehrtem Zuspruch unter Jugendlichen rechnen. Umgekehrt hält das Jugendliche aber von einer Bindung fern, wenn sie bei einem Eintritt mit Geltungs- oder Umgangsschwierigkeiten ihren altersgleichen Kontakt- und Bezugsgruppen gegenüber rechnen müssten. Damit ist vom Erklärungshintergrund etwas anderes gemeint, als wenn schlechter Leumund der Politiker und Skandalverwicklung politischer Parteien gerade moralisch sensibilisierte und idealistisch gesonnene Jugendliche von einem Mitmachen in Parteien abbringen.
Dieser bislang noch so gut wie gar nicht von der politischen Partizipationsforschung beachtete jugendgesellschaftliche Zusammenhang ist erstmalig im Herbst 2000 mit Hilfe eines Befragungstests mit Gymnasialschülerinnen und -schülern der 11. bis 13. Klassen eines Hamburger Gymnasiums untersucht worden. Den Probanden wurde zunächst eine Liste mit zufällig geordneten Eigenschaften vorgelegt, die mit folgender Aufgabenstellung verbunden war:
"Christian und Kathrin sind 18 Jahre alt und gehen noch zur Schule. Sie sind Mitglied einer politischen Partei und machen dort regelmäßig bei den Parteiveranstaltungen mit. Sie haben auch schon mal während des Wahlkampfs Plakate geklebt. Was, meinst Du, könnte Deiner Ansicht nach von den unten aufgelisteten Dingen auf die beiden zutreffen? Kreuze bitte an!"
Dabei konnten die Antwortvorgaben "stimmt voll und ganz", "stimmt eher", "stimmt eher nicht" und "stimmt überhaupt nicht" angekreuzt werden. Nach dem Ausfüllen dieses Eigenschaftstests war die gleiche Liste nochmals zu beantworten, nun aber mit folgendem Kopf versehen:
"Jennifer und Thomas sind beide 18 Jahre alt und gehen noch zur Schule. In ihrer Freizeit machen sie bei einer Bürgerinitiative mit, die sich für den Schutz der Umwelt einsetzt. Sie haben auch schon eine Unterschriftensammlung organisiert. Was, meinst Du, könnte Deiner Ansicht nach von den unten aufgelisteten Dingen auf die beiden zutreffen? Kreuze bitte an!"
Beide Testblätter endeten jeweils mit der Abschlussfrage: "Wie sieht es aus? Ich möchte die beiden gerne mal kennen lernen" und "die beiden interessieren mich nicht".
Zunächst einmal fällt auf, dass sich die Schülerinnen und Schüler über die Partei- und die Bürgerinitiativen-Mitglieder in ihren Reihen höchst differenziert äußern. Es zeigen sich zwei Eigenschaftsprofile, die sich in ihrer Ausprägung deutlich unterscheiden. Parteimitgliedern wird auf der einen Seite bescheinigt, viel Zeit zu opfern (95,7 %), gut informiert (86,8 %) und zielstrebig (81,2 %) zu sein. Zwei Drittel glauben, dass sie etwas Nützliches und etwas für die Gemeinschaft täten. Hiermit korrespondiert, dass sie nicht für egoistisch (15,4 %) gehalten werden. Mut und Intelligenz wird ihnen ebenfalls mehrheitlich zugerechnet. Sie haben zwar viel Spaß (61,5 %), aber auf der anderen Seite meinen gleichzeitig 54,1 bzw. 53,6 %, dass sie etwas Langweiliges täten und ihre Freizeit vergeudeten. Auch dass sie sich für etwas Tolles einsetzten, wird ihnen nur von 44,1 % abgenommen. Jeden Zweiten nerven sie mit ihrem Gequatsche. Doch dass sie karrieregeil, unbeliebt und angepasst oder gar "out" sein könnten, wird mit deutlicher Mehrheit zurückgewiesen. 83,8 bzw. 89,9 % glauben nicht, dass sie viel für Jugendliche erreichen oder viel Einfluss haben. Und schließlich meinen nur wenige, dass Parteimitglieder unter die Kategorie von interessanten (21,2 %), hoch angesehenen (14,9 %) oder gar coolen (4,6 %) Zeitgenossen fallen würden. Dies erklärt vielleicht auch, dass nur 13 von 69 Befragten die beiden gern mal kennen lernen würden, während 49 kein Interesse an den beiden haben.
Erkennbar an diesen Antworten ist, dass jugendliche Parteimitglieder für ihre Parteiarbeit keine Respektlosigkeit und Herablassung unter Altersgleichen ernten. Soziale Ausgrenzung haben sie nicht zu gewärtigen. Anerkannt wird dagegen, dass sie sich selbstlos und ohne unlautere Motive für etwas Gemeinschaftliches einsetzen. Dass sie dabei aber etwas erreichen könnten, wird ihnen nicht abgenommen. Sie rackern sich da für etwas ab, was der Mühe nicht wert ist und nicht einmal Ansehen einbringt. Es ist eben etwas, was nicht "cool" ist. Wertschätzung und Interesse haben Parteimitglieder unter diesen Umständen in ihrer Altersgruppe nur sehr begrenzt zu erwarten. Das "Uncoole" geht im Gegenteil so weit, dass Parteiarbeit sich aus dem Zentrum der Alltagsästhetik und des Lebensgefühls Jugendlicher ins Randständige verflüchtigt.
Parteimitglieder verkörpern damit eine irgendwie merkwürdige Spezies. Ihnen wird das Image des leicht Absonderlichen verpasst, das sie mit all denjenigen teilen, die sich noch in den jugendfernen öffentlichen Räumen der Gewerkschaftsarbeit, der Kirchenarbeit und eben der Parteiarbeit engagieren.
Im Vergleich hierzu ist schon bemerkenswert, dass Mitgliedern von Bürgerinitiativen weitaus einhelliger (89,6 %) bescheinigt wird, etwas Nützliches zu tun und weniger Freizeit zu vergeuden (46,2 %). Ein bisschen intelligenter sind sie auch, was sich aber mit mehr Wichtigtuerei und Mangel an Mut paart. Auch bekommen sie weniger als Parteimitglieder geboten, sind mehr "out" und werden deutlich als egoistischer eingeschätzt. Dafür sind sie einflussreicher und mit höherem Ansehen ausgestattet. In "Coolness" schlagen sie Parteimitglieder um 51,6 %-Punkte. Die 45 %, welche die beiden Mitglieder der Bürgerinitiative einmal kennen lernen möchten, halten sich fast die Waage mit den 49 %, die kein Interesse an ihnen haben.
Insofern besitzt Mitarbeit in Bürgerinitiativen unter Jugendlichen einen Prestigevorteil, ohne dass dieser so groß wäre, dass sich nun alle zu den Mitgliedern von Bürgerinitiativen hingezogen fühlen würden. Im Eigenschaftsprofil von Parteimitgliedern schlummert offenbar ein Imageproblem, zumal Jugendliche am Sinn zweifeln, warum man sich für etwas, was nichts einbringt, einsetzen sollte. Für Parteien ist das ein weiteres Indiz dafür, aus der Bezugs- und der Orientierungswelt von Jugendlichen verdrängt zu werden.
X. Fazit
Jugendliche bleiben den Parteien aus Gründen fern, die sich teils überlappen und teils im Wandel jugendlicher Beteiligungskultur zu suchen sind. Danach lässt sich das Beziehungsverhältnis Jugendlicher zu den Parteien über die letzten 25 Jahre als Dreischritt von Hinwendung, Abwendung und Loslösung beschreiben. Zunächst trug sie die politische Mobilisierung in die Parteien hinein, um sich dann bald von ihnen weg hin zu den neuen sozialen Bewegungen zu verlagern. Nach deren Flaute und gezielter Abschottung der Politik geriet das noch nicht demobilisierte Beteiligungspotential in einen Stau.
Die neunziger Jahre brachten eine Neubestimmung des Verhältnisses der Jugend zur Politik, die sie das tun lässt, was nicht mit Mit-Arbeit, Anstrengung und Beharrlichkeit verbunden ist. Diskreditierung der Parteien und Marginalisierung von Parteimitgliedern verstärken noch den Effekt, dass der ohnehin schon verschwindend kleine Kreis politisch interessierter und bindungsgeneigter Jugendlicher am Parteibeitritt gehindert wird. Bei der Masse der anderen verschwinden Parteien aus deren Lebenskreis. Jugend und Parteien haben sich wechselseitig voneinander gelöst, und aus dem Kontaktabriss resultieren Kommunikationsstörungen und Verständigungsblockaden.
Insofern sind die Parteien zu Beginn des 21. Jahrhunderts mit Entwicklungen konfrontiert, die sich allesamt problemverschärfend auf ihre prekäre Nachwuchslage auswirken. Vertrauen und Wohlwollen sind verspielt, was sie sich selbst zuzuschreiben haben. Abgeschnitten von der Jugend, geht ihnen in der Tat die Anschlussfähigkeit an den Gesellschaftswandel verloren. Nun umgibt sie eine politische Wellness- und Schongang-Generation, der sie durch Entertainisierung ihres Mitmachangebots entgegenkommen müssten. Doch hätte die Umwandlung von Mit-Arbeit in Events und Spaß ihren Preis, zumal die Parteien ohne ein Mindestmaß an dauerhaftem, stetigem und auch geregeltem jugendlichem Engagement ihre Existenzberechtigung als ernsthafte Ausrichter politischer Willensbildung untergraben würden. Wie gerne wünschten sie sich unter diesen Umständen die alten Zeiten zurück. Doch war der damalige Zustrom Hunderttausender von Jugendlichen wohl nur das Resultat einer einmaligen Ausnahmesituation, die sich als Episode nicht noch einmal wiederholen wird.