Einleitung
Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose.
Gertrude Stein
Eine Rose ist eine Dose ist eine Hose.
F. K. Waechter
In der internationalen Konferenzdiplomatie besteht seit langem die Neigung, gute Dinge miteinander zu verknüpfen. So kam in den siebziger Jahren die Kombination von Abrüstung und Entwicklung auf, in den achtziger Jahren die von Entwicklung und Umwelt und parallel dazu die Kombination von Umwelt und Sicherheit. Letztere erfolgte in Gestalt der ökologischen Sicherheit (environmental security). Diese Begriffsbildung hat die Sicherheitsdiskurse der frühen neunziger Jahre geprägt. Inzwischen hat sie einiges von ihrer früheren Faszination verloren. Ist die Zeit gekommen, von der ökologischen Sicherheit zum nachhaltigen Frieden überzugehen? Es ist verführerisch, die Schatten der Globalisierung mit lichten Begriffen aufhellen zu wollen in dem Vertrauen, dass die Welt besser werden kann, wenn ihr hierfür nur das richtige Vokabular zur Verfügung steht. Aber Wortakrobatik ist noch keine Begriffsbildung. Sie trägt insofern wenig zum Verständnis der anstehenden Probleme bei und kann auch konterproduktiv wirken wie hier in aller Kürze ausgeführt werden soll.
Die Zeit des Ost-West-Konflikts war eine Zeit im Schatten der nuklearen Bedrohung. Diese wurde von der offiziellen Politik in Ost und West als Sicherheitsproblem definiert, so als wäre die nukleare Konfrontation etwas der Politik Äußerliches, d. h. ein ihr vorgegebenes Datum, das sie selbst nicht zu verantworten hätte. Die Aufgabe bestand unter dieser Perspektive darin, die militärische Konfrontation so weit zu stabilisieren, dass sie aufrechterhalten werden konnte. Gegen diese Sicherheitspolitik regte sich Widerstand von verschiedenen Seiten. Die Entwicklungsländer gaben zu verstehen, dass für sie nicht die militärische Sicherheitsproblematik im Vordergrund stand, sondern das Problem der ökonomischen Sicherheit, das durch eine Neuordnung der Weltwirtschaft gelöst werden sollte. Die Friedensbewegung beklagte die Opportunitätskosten der Rüstung und rechnete vor, wie viele Schulen und Krankenstationen mit den Rüstungsgeldern hätten gebaut werden können. Und die sich damals formierende Umweltbewegung vertrat die Auffassung, dass der Raubbau an der Natur eine größere Gefährdung der menschlichen Gesellschaft mit sich brächte als die Rüstung.
Aus dieser Kritik entstand im Laufe der achtziger Jahre eine regelrechte Bewegung zur Erweiterung des Sicherheitsbegriffs. Schon bald war neben der militärischen, ökonomischen und ökologischen Sicherheit auch die politische, die kulturelle und die Gender-Sicherheit im Gespräch. Das Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) fasste dies alles unter dem Begriff der "menschlichen Sicherheit" zusammen. Mit dieser Erweiterung des Sicherheitsbegriffs verbanden sich zwei Ziele: Zum einen sollten bestimmte öffentliche Anliegen, die bisher eher dem Bereich der "low politics" zugerechnet wurden, durch ihre Definition als Sicherheitsprobleme politisch aufgewertet werden. Zum anderen sollte als zweites Ziel der Sicherheitsbegriff "entmilitarisiert" werden. Diese Zielsetzung war in sich widersprüchlich. Denn die "Entmilitarisierung" des Sicherheitsbegriffs bedeutete dessen politische Abwertung. Je mehr man sich davon entfernte, Sicherheit mit der nationalen militärischen Sicherheit zu identifizieren, desto weniger war die Definition der einschlägigen Anliegen als Sicherheitsprobleme geeignet, die Prioritätensetzung staatlicher Politik zu verändern. Diese Erfahrung hat auch UNDP gemacht. Jedenfalls hat die Einführung der Kategorie der "menschlichen Sicherheit" nicht verhindern können, dass die Aufwendungen der OECD-Länder für die Entwicklungszusammenarbeit - gemessen an ihrem Bruttosozialprodukt - immer weiter zurückgegangen sind.
Auf der anderen Seite hat die Proliferation von ausgewiesenen Sicherheitsrisiken im Zuge der Erweiterung des Sicherheitsbegriffs dazu geführt, dass nun auch die Hohe Politik sich gerne auf den erweiterten Sicherheitsbegriff bezieht - aber nicht in seiner entmilitarisierten Form, sondern in der Weise, dass die aus dem erweiterten Sicherheitsbegriff ableitbaren Konfliktpotentiale neue Aufgaben für militärisches Eingreifen mit sich bringen. Insofern hat die Erweiterung des Sicherheitsbegriffs mit dazu beigetragen, dass dem Militär nach dem Ende des Ost-West-Konflikts in verstärktem Maße Interventionsaufgaben jenseits klassischer Verteidigungsaufgaben zugewiesen worden sind. Auf diesem Gebiet scheint heute sogar eine Art Wettrüsten zwischen den USA und der EU stattzufinden, wie die gegenwärtige transatlantische Debatte über die geplante Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik und die dort geplante Schaffung einer eigenständigen Eingreifkapazität Europas zeigt.
Mit dem Begriff der ökologischen Sicherheit verband sich ebenfalls die Hoffnung, die Umwelt durch die Verknüpfung mit dem Sicherheitsbegriff politisch aufwerten zu können. Dabei wurden sehr allgemeine Annahmen über die Wechselwirkung von Umweltdegradation und Krieg (besonders mit Blick auf zukünftige Kriege um Süßwasser) in Umlauf gesetzt. Demgegenüber hat die in den neunziger Jahren durchgeführte empirische Forschung gezeigt, dass Umweltdegradation in der Regel nur ein verstärkender Faktor gewaltsam ausgetragener Konflikte ist und höchst selten als deren Ursache gelten kann. Mit Blick auf die eben erwähnte Dysfunktionalität der ,Versicherheitlichung' sozialer Sachverhalte sollte gerade im Umweltbereich die Herausforderung zur Kooperation stärker betont werden als die Gefahr von Kriegen. Angesichts dieser Sachlage stellt sich die Frage, ob die Kritiker einer sich selbst perpetuierenden Militärpolitik nicht besser daran täten, sich wieder verstärkt dem Frieden als ihrem eigentlichen Metier zuzuwenden, statt den Militärs den Sicherheitsbegriff streitig machen zu wollen.
In der zweiten Hälfte der achtziger Jahre wuchs die Zuversicht, dass es zu einer Entmilitarisierung der internationalen Beziehungen und zu einer Beendigung der zahlreichen, damals sogenannten Regionalkonflikte in der Welt kommen würde. Der Golf-Krieg sowie die Gewaltausbrüche auf dem Balkan und in Afrika haben diese Zuversicht zunächst nicht erschüttet, denn auf den Weltkonferenzen der frühen neunziger Jahre, bei der Diskussion über die Agenda für Frieden im Sicherheitsrat (1992) und in der Arbeit der Weltkommission für Global Governance, die 1995 ihren Bericht vorlegte, schien sich die Staatengesellschaft als eine Weltgemeinschaft zu konstituieren, die entschlossen war, die alten Spaltungen zu überwinden und gemeinsame Probleme auch gemeinsam zu lösen - sei es auf dem Gebiet des Umweltschutzes, der Menschenrechte und des Weltbevölkerungswachstums oder auf dem Gebiet des Siedlungswesens, der Nichtdiskriminierung oder des sozialen Ausgleichs.
Erst Mitte der neunziger Jahre kam die Ernüchterung. Die Aufbruchstimmung der Weltkonferenzen war vorüber und die Hoffnung auf eine substantielle UN-Reform zerschlug sich, während Krieg und Völkermord weitergingen und sich zum Teil sogar noch zuspitzten. Die Erweiterung des Sicherheitsbegriffs führte hier nicht weiter. Aber in den akademischen Friedensdiskursen zeigten sich z. T. dieselben Schwächen wie in der Sicherheitsdebatte. Statt Problemzusammenhänge zu analysieren, verlegte man sich darauf, den Friedensbegriff aufzufächern. Diese typologische Betrachtungsweise des Friedens begann mit Johan Galtungs Unterscheidung zwischen "negativem" und "positivem Frieden". Unter negativem Frieden wurde dabei die Abwesenheit von Gewalt, unter positivem Frieden die Überwindung der Diskrepanz zwischen möglicher und realer Selbstentfaltung des Menschen verstanden. Der negative Friede ließ sozusagen den Friedhofsfrieden assoziieren, der positive den "ewigen Frieden" allseitiger Wohlfahrt. Die Unterscheidung war in sich produktiv, weil sie erlaubte, Ansatzpunkte für eine Kritik der herrschenden Sicherheitspolitik zu bestimmen. Sie enthielt aber auch schon den Kern einer paradoxen Sprechweise vom Frieden, denn die Unterscheidung erlaubte es, die sich selbst so verstehenden nationalen Befreiungskriege als positive Friedenspolitik zu legitimieren und die (negative) Friedenspolitik der nuklearen Krisenmanager als (potentiellen) Krieg. Die Unterscheidung zwischen positivem und negativem Frieden bot insoweit einen neuen Ansatzpunkt zur Legitimation von Gewalt.
Das Problem der von Johan Galtung getroffenen Unterscheidung liegt darin, dass das "Negative" und das "Positive" des Friedens nicht als Einheit gesehen werden. Der Friedhofsfriede und der ewige Friede sind die zwei Seiten derselben Medaille, nämlich jenes von Kant erwähnten Wirtshausschildes, auf dem über der Abbildung eines Friedhofs die Worte "Zum ewigen Frieden" standen. Kant selbst dachte in Richtung auf einen Frieden ohne Friedhöfe. Aber er blieb sich der Borniertheit der Menschen in ihrer Neigung, sich zueinander zu gesellen und zugleich voneinander abzuschotten, bewusst. Mit Kant gesehen besteht die Aufgabe folglich darin, den Frieden zu denken, ohne damit gleich die Fährte zu neuen Kriegen zu legen. Diese Aufgabe versucht die UN-Charta dahingehend zu lösen, dass sie festlegt, was als legale und was als illegale Gewalt zu gelten hat. Legal sind die vom Sicherheitsrat beschlossenen kollektiven Maßnahmen zur Wahrung oder Wiederherstellung des Friedens; legal ist auch die Verteidigung gegen einen nicht provozierten bewaffneten Angriff (Art. 51). Illegal ist der Angriff selbst und jede Form der einseitigen, d. h. nicht durch den Sicherheitsrat autorisierten Gewaltanwendung. Die Charta lässt die Lehre vom "Gerechten Krieg" hinter sich, gerade um die Möglichkeiten der Legitimation von einseitiger Gewaltanwendung einzuschränken. Aber sie ist weit davon entfernt, die Kant'sche Aufgabe zu bewältigen. Auch der Gesichtspunkt der Nachhaltigkeit bietet hier keine Lösungsperspektive.
Mit dem Begriff nachhaltiger Friede könnte einerseits an die von Kant eröffnete Denktradition angeknüpft werden, die darauf gerichtet war und ist, den Frieden aus seiner historischen Fixierung auf die Zeit zwischen zwei Kriegen zu befreien. Zum andern könnte mit dem nachhaltigen Frieden ein zentraler Aspekt der Umweltdebatte aufgegriffen werden, nämlich das Gebot, Politik als Veranstaltung zu denken, die die eigenen Wirkungen in Generationen übergreifenden zeitlichen Bezügen reflektiert. Aber jedes Adjektiv, das dem Frieden angehängt wird, eröffnet neue Ansatzpunkte, ihn auszuhebeln. Wenn es gilt, einen nachhaltigen Frieden herzustellen, so müsste der nicht-nachhaltige notfalls gebrochen werden, um ihn in einen nachhaltigen zu überführen. Zur weiteren Veranschaulichung sei hier auch auf die "humanitäre Intervention" verwiesen. Interventionen sind laut UN-Charta verboten. Von der "humanitären Intervention" heißt es, sie sei inzwischen Gewohnheitsrecht und räume mit veralteten Vorstellungen von Souveränität auf, obwohl die intervenierenden Staaten selbst mehr als alle anderen ihre eigene Souveränität betonen. Auch der Verweis auf Quellen des Friedens jenseits einer aktiven Friedenspolitik hilft nicht aus dem Dilemma. "Der Friede wird die Frucht der Gerechtigkeit sein", heißt es in der Bibel. "Frieden ist Abrüstung ist Entwicklung", war das Motto der siebziger Jahre; "Frieden ist Nachhaltigkeit ist Anerkennung (von Differenz)", so erscheint es heute. Möglicherweise wäre uns mehr geholfen, wenn wir mit Gertrude Stein das Motto ausgäben: "Frieden ist Frieden ist Frieden", oder abgewandelt: Der Friede wird die Frucht von Friedensbestrebungen sein.
Es soll hier nicht behauptet werden, dass Gewalt stets zu vermeiden ist. Die Kritik der Gewalt richtet sich gegen den Mangel an kritischer Selbstreflexion, der die Gewaltanwendung auch auf Seiten derjenigen zu begleiten pflegt, die sich als Sachwalter des Rechts begreifen, dabei aber an den Rand der fundamentalistischen Unbelehrbarkeit rücken. Umgekehrt könnten schöne neue Friedensvokabeln wie die vom nachhaltigen Frieden über den Fortbestand der "ungeselligen Geselligkeit" des Menschen (Kant) hinwegtäuschen. Damit soll nicht eine unwandelbare Unfähigkeit des Menschen zum Frieden postuliert, wohl aber vor der Annahme gewarnt werden, es könnte je eine Gesellschaft für sich in Anspruch nehmen, eine nachhaltige Friedenspolitik zu betreiben. Zur Friedenspolitikerin oder zum Friedenspolitiker wird man erst, wenn man sich bewusst wird, dass der Friede eine unabdingbare und zugleich unerfüllbare Aufgabe ist.