Auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos im Januar 2017 trat Chinas Staatspräsident Xi Jinping als vehementer Verteidiger der Globalisierung auf. Ohne den neu gewählten US-Präsidenten Donald Trump und seine Politik des "America First" direkt zu benennen, warnte er vor den Folgen eines zunehmenden Protektionismus und daraus resultierenden Handelskriegen. Sein Bekenntnis zur Globalisierung verband der chinesische Staatspräsident mit der Ankündigung weiterer außenwirtschaftlicher Liberalisierungsschritte und der Zusicherung, dass Chinas Türen für ausländische Unternehmen geöffnet bleiben.
Xi Jinpings Davos-Rede wurde international mit großem Interesse aufgenommen und als Signal für Chinas neue Führungsrolle in globalen Governance-Fragen interpretiert, nicht zuletzt deshalb, weil er auch dafür eintrat, die Herausforderungen des Klimawandels anzugehen. Mit dem Rückzug der US-Regierung aus dem Pariser Klimaabkommen und dem Transpazifischen Partnerschaftsabkommen (TPP) sowie der grundlegenden Kritik an multilateralen Handelsabkommen ist ein Führungsvakuum entstanden, das China nutzen kann. Ob China jedoch eine Führungsrolle übernehmen wird, hängt von der Bereitschaft und Fähigkeit des Landes zur Führung ab.
In der Vergangenheit war die Integration in die Weltwirtschaft ein wichtiger Wachstumsmotor der binnenwirtschaftlichen Entwicklung Chinas. Allerdings ist die exportorientierte Produktion stark auf Importe von Komponenten und Zwischenprodukten angewiesen. Als aktiver Teilnehmer an der internationalen Arbeitsteilung ist China deshalb von einer liberalen Welthandelsordnung abhängig. Mit dem beginnenden Wandel hin zu einer stärkeren Binnenmarktorientierung und dem technologischen Upgrading einheimischer Industrieunternehmen ist davon auszugehen, dass ein immer höherer Anteil der Wertschöpfung im Land verbleiben und die Außenwirtschaft weniger zum Wachstum beitragen wird als in der Vergangenheit. Mit dieser Entwicklung stellt sich die Frage, ob China weiterhin eine liberale Handelspolitik verfolgen, sich vielleicht sogar für eine stärkere Liberalisierung auf dem globalen Markt einsetzen oder den Schutz einheimischer Industrien bevorzugen wird.
Wir benutzen den Begriff "Freihandel" in diesem Beitrag mit einigen Vorbehalten, denn in der Praxis des internationalen Handels findet nie ein vollkommen ungehinderter Austausch von Waren und Dienstleistungen statt. Es geht in der politischen Diskussion über Freihandel ebenfalls nicht um einen Außenhandel, der völlig ohne Barrieren ist. Wir konzentrieren uns deshalb auf die Frage, ob China künftig die Liberalisierung des globalen Handels vorantreiben und eine Führungsrolle übernehmen wird. Dabei wird zunächst Chinas Integration in das globale Handelssystem auf multilateraler und regionaler Ebene analysiert. Anschließend widmen wir uns der Frage, ob China in Zeiten eines zunehmenden Protektionismus eine aktivere Rolle bei der Handelsliberalisierung übernehmen wird. Abschließend diskutieren wir die Chancen einer engeren Kooperation zwischen der EU und China, gemeinsam gegen Protektionismus aufzutreten.
Chinas Integration in das Welthandelssystem
Chinas außenwirtschaftliche Indikatoren machen deutlich, dass das Land die Chancen der ökonomischen Globalisierung genutzt hat. Durch eine Verbesserung der nationalen Standortbedingungen einerseits und der hohen Attraktivität des chinesischen Marktes andererseits gelang es den chinesischen Unternehmen rasch, sich in regionale und globale Produktionsnetzwerke zu integrieren. Die Verlagerung von Teilen der verarbeitenden Industrie aus den Industrieländern nach China begünstigte die Entwicklung des Landes zur "Werkbank der Welt". Die starke Verflechtung in der globalen Wertschöpfung und im weltweiten Handel spiegelt sich in Chinas Anteil am globalen Export wider (Tabelle). Da der chinesische Außenhandel deutlich rascher als der internationale Handel zunahm, gewann China gegenüber den traditionellen Handelsmächten wie dem Vereinigten Königreich und den USA sowie später Japan und Deutschland immer mehr Anteile am globalen Warenexport. Der größte Zuwachs des chinesischen Anteils fand vor allem nach dem Beitritt zur Welthandelsorganisation (WTO) Ende 2001 statt. Zwischen 2003 und 2016 stieg Chinas Exportanteil von 5,9 Prozent auf 13,6 Prozent.
Die Integration chinesischer Unternehmen in die globalen Wertschöpfungsketten wurde durch den schrittweisen Abbau von Investitionshemmnissen für die Ansiedlung ausländischer Unternehmen ermöglicht. Diese investierten in China vor allem in die verarbeitende Industrie, wo China im Rahmen seines WTO-Beitritts umfangreiche Zugeständnisse hinnehmen musste. Auch heute fließt noch ein hoher Anteil der ausländischen Direktinvestitionen in die verarbeitende Industrie. 2016 entfielen vom Zufluss ausländischer Direktinvestitionen in Höhe von 126 Milliarden US-Dollar rund 28 Prozent auf die verarbeitende Industrie. Mit einem Investitionsvolumen von mehr als 100 Milliarden US-Dollar pro Jahr zählt China zu den wichtigsten Standorten für ausländische Direktinvestitionen.
Charakteristisch für die chinesische Außenwirtschaft ist der Verarbeitungshandel, der auf dem Import von Zwischenprodukten und Komponenten für die Weiterverarbeitung und dem Export der Endprodukte basiert. 2016 lag der Anteil des Verarbeitungshandels an den gesamten Exporten nach chinesischen Statistiken bei 54 Prozent. Aufgrund der exportorientierten Produktion kann angenommen werden, dass sich China für offene Märkte und eine Stärkung der Institutionen des Welthandelssystems einsetzen wird. Dies trifft nicht auf Teilbereiche von Dienstleistungsbranchen zu, die ein relativ niedriges Niveau der Marktliberalisierung aufweisen. Hier liegt der Exportanteil Chinas auch im internationalen Vergleich zurück. So rangierte China 2016 bei den Dienstleistungsexporten weltweit auf dem vierten Platz (4,3 Prozent) hinter dem Vereinigten Königreich (6,7 Prozent) und Deutschland (5,6 Prozent). Die USA belegten mit einem Anteil von 15,2 Prozent den ersten Platz.
Obwohl die binnen- und außenwirtschaftliche Liberalisierung Wachstum und Wohlstand brachte, schwankte die chinesische Handelspolitik zwischen einem liberalen Kurs und einer merkantilistischen Handelspolitik, die durch eine staatliche Förderung des Handels geprägt ist. Beispiel hierfür ist die nur zögerlich verfolgte Liberalisierung des Systems fester Wechselkurse in der Währungspolitik. Auf die verschiedenen Gründe hierfür kann an dieser Stelle nicht eingegangen werden, aber wir nehmen an, dass die aktuelle Umsteuerung des Wachstumsmodells einen wichtigen Einfluss auf die zukünftige Ausrichtung der chinesischen Handelspolitik haben wird. Die Verlagerung der Wachstumstreiber von Investition und Export hin zur binnenwirtschaftlichen Orientierung auf Konsum und Dienstleistungen wird die Rolle der Außenwirtschaft verändern. So prognostiziert der Internationale Währungsfonds beispielsweise, dass Chinas Importvolumen in den nächsten fünf Jahren nur halb so schnell wie die Bruttoinlandsproduktion wachsen wird. Das bedeutet, dass Chinas Wirtschaft weniger Absatzmöglichkeiten für andere Länder bieten wird, als bisher erwartet wurde.
Die chinesische Regierung will zudem die heimische Industrie stärken. Mit der 2016 veröffentlichten "Made in China 2025"-Strategie verfolgt China das Ziel, den inländischen Anteil an wichtigen Komponenten und Werkstoffen auf 70 Prozent zu erhöhen. Bereits in der Vergangenheit war die Tendenz der zunehmenden einheimischen Wertschöpfung zu beobachten. Statistiken der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zufolge bestanden 1995 drei Viertel des Gesamtwertes der IT-Exporte Chinas aus Zulieferungen aus dem Ausland, bis 2011 sank diese Relation auf die Hälfte. Eine ähnliche Entwicklung fand auch bei anderen Hightech-Industrien wie elektrischen Maschinen und Transportausrüstungen statt. Die Frage über die Auswirkung des Strukturwandels auf den künftigen Kurs der chinesischen Handelspolitik bleibt somit spannend.
Chinas handelspolitische Strategien
Der Beitritt Chinas zur WTO als dem regulativen Rahmen für multilaterale Wirtschaftsbeziehungen hat den Aufstieg des Landes zur größten Handelsmacht ermöglicht, forderte jedoch auch große Veränderungen in der chinesischen Außenwirtschaftspolitik. Die Mitgliedschaft in der WTO verlangte eine Anerkennung des Freihandels als leitendes Prinzip und marktwirtschaftlicher anstelle bürokratischer Steuerungsmechanismen, den Abbau von Zöllen und nichttarifären Handelshemmnissen. Die Forderung einer offenen Wirtschaft als Voraussetzung für einen allen Beteiligten zugutekommenden Wohlstandsgewinn aus dem Freihandel wird stets mit den Theorien der ökonomischen Klassiker Adam Smith (1723–1790) und David Ricardo (1772–1823) begründet. Zum Zeitpunkt des Beitritts Chinas waren jedoch viele der ihren Modellen zugrunde liegenden sehr restriktiven Annahmen überholt. Auch die späteren neoklassischen Ökonomen gingen in ihren Theorien von Voraussetzungen aus, die durch die Entstehung globaler Wertschöpfungsketten zunehmend infrage gestellt wurden. Dagegen wiesen Ökonomen der heterodoxen Schule auf die Risiken der offenen Märkte vor allem für nicht wettbewerbsfähige Länder ohne erfolgreiche Strategien im globalen Standortwettbewerb hin.
In seiner außenwirtschaftlichen Konzeption übernahm China zwar die allgemeine Idee des Freihandels, orientierte sich aber gleichzeitig an westliche Ökonomen, die für seine wirtschaftliche Ausgangsposition eine angemessene Strategie boten. Dazu zählte beispielsweise der deutsche Ökonom Friedrich List (1789–1846), der mit seiner Forderung nach Schutzzöllen für die damals der englischen Konkurrenz unterlegene deutsche Industrie ein Vorbild für die eigene Politikgestaltung bot. Auch die erfolgreichen industriepolitischen Strategien anderer ostasiatischer Ökonomien wie Japan, Südkorea und Taiwan nutzte China als Vorbild. Ausgehend von einer aktiven staatlichen Förderung hatten diese zeitversetzt über lange Entwicklungsperioden hohe Wachstumsraten verzeichnen können, indem sie unter anderem ihre Wirtschaft nur selektiv gegenüber dem internationalen Wettbewerb öffneten. Bis heute hat China seine Wirtschaft nicht in dem Maße für den internationalen Austausch von Waren und Dienstleistungen liberalisiert, wie dies beim Beitritt zur WTO Ende 2001 von den damals führenden Handelsmächten USA, EU und Japan erwartet worden war.
Andererseits verzichtete China beim WTO-Beitritt auf eine Sonderstellung als Entwicklungsland und auf damit verbundene Vorteile und willigte unter anderem in zusätzliche Schutzrechte für andere Mitgliedsstaaten ein. Dies betrifft beispielsweise die Möglichkeit der Staaten, ihre Märkte bei einem sehr raschen Anstieg chinesischer Exporte durch Importbeschränkungen zu schützen. Überwiegend positiv wird Chinas aktive Beteiligung an den institutionellen Strukturen der WTO beurteilt. Über ihre freiwillige Teilnahme an vielen Konsultationsprozessen waren chinesische Vertreter in der Lage, sich umfassende praktische Kenntnisse im internationalen Handelsrecht und Streitschlichtungsverfahren anzueignen. Dies befähigte sie, auch ihre eigenen Rechte innerhalb der WTO besser zu vertreten und selbst den Streitschlichtungsausschuss einzuschalten. Positiv anzumerken ist auch, dass China in den meisten Fällen, in denen es als beschuldigte Partei in WTO-Streitfällen unterlag, das Ergebnis akzeptierte und die geforderten Anpassungen umsetzte.
Obwohl China vielen WTO-Verpflichtungen nachgekommen ist, haben die USA und die EU dem Land nicht wie erwartet Ende 2016 den Status "Marktwirtschaft" zugestanden. Dieser Status ist vor allem bei Antidumpingverfahren von Vorteil: So lassen sich etwa unter Herstellungskosten verkaufte Produkte aus einer Nichtmarktwirtschaft leichter mit Strafzöllen belegen. Der Status entscheidet nämlich, ob die Preis- und Kosteninformationen der Lieferanten direkt herangezogen oder Informationen von Vergleichsländern angefordert werden. Während die USA auch formal die Anerkennung Chinas als Marktwirtschaft mit der Begründung ablehnten, dass die im bilateralen Protokoll über den Beitritt zur WTO festgelegten Bedingungen von China nicht eingehalten wurden, hob die EU kurz vor Ablauf der Frist die grundsätzliche Unterscheidung von Handelspartnern in Marktwirtschaft und Nichtmarktwirtschaft auf. Auch bei künftigen Antidumpingverfahren wird nach dem alten Rechtsstand vorgegangen, also Drittländerpreise bei der Berechnung der Strafzölle zugrunde gelegt. Chinesische Exporteure müssen deshalb mit hohen Strafzöllen rechnen. Chinas Reaktion hierauf war absehbar: Das Land reichte eine Klage gegen die EU bei der WTO ein, die hierzu ein Streitschlichtungskomitee einrichtete.
Der wirtschaftliche Aufstieg Chinas und der anderer Schwellenländer wie Brasilien und Indien führte dazu, dass die Quad-Gruppe (EU, Japan, Kanada, USA) ihr Verhandlungsmonopol verlor. Die USA reagierten auf diesen Einflussverlust in der WTO mit einer Handelspolitik, die auf den Abschluss beziehungsweise auf Verhandlung bilateraler Abkommen mit einzelnen Ländern und Regionen setzte. Da sowohl im TPP-Abkommen als auch im Transatlantischen Freihandelsabkommen (TTIP) China nicht als Mitglied vorgesehen war, signalisierten diese Verhandlungen den Versuch der USA, die wichtigsten Partnerländer gegen China zusammenzuführen.
China antwortete darauf ebenfalls mit einer stärkeren Ausrichtung an regionalen und bilateralen Handelsabkommen. Als Gegengewicht zum TPP wandte sich China rasch dem vom Verband Südostasiatischer Nationen (ASEAN) vorgeschlagenen Abkommen zur Regional Comprehensive Economic Partnership (RCEP) zu. Gleichzeitig verhandelte China eine Reihe von bilateralen Freihandelsabkommen (FTA) mit den TPP-Kandidaten und setzte die Verhandlungen mit den USA über ein bilaterales Investitionsabkommen fort, um seine Integration in die Weltwirtschaft und die regionale Wirtschaft weiter voranzutreiben. FTA wurden bereits mit sieben TPP-Kandidaten (Singapur, Vietnam und Malaysia innerhalb der China-ASEAN Freihandelszone sowie mit Chile, Neuseeland, Peru und Australien) abgeschlossen. Weiterhin wird mit Japan und Kanada über bilaterale sowie mit Japan und Südkorea über trilaterale Abkommen verhandelt. Durch den Rückzug der USA aus der TPP bieten sich neue Chancen: Mit dem RCEP-Abkommen wirbt China um die Staaten in der Region und könnte damit seine Führungsrolle im asiatisch-pazifischen Raum festigen.
Chinas multilaterale Alternative zum Protektionismus
Das Scheitern der Doha-Verhandlungen, durch die weitere Liberalisierungsschritte bei Dienstleistungen und im Agrarsektor erreicht werden sollten, stärkte protektionistische Strömungen und führte zum Abschluss von bilateralen und regionalen Handelsabkommen. Diese schlossen die nicht beteiligten Länder von den Vorteilen aus. Die Zahl der regionalen und bilateralen Handelsabkommen stieg von 77 im Jahr 2000 auf 296 im Jahr 2016. In den Doha-Verhandlungsrunden war es nicht möglich gewesen, die unterschiedlichen Interessen auszugleichen, insbesondere zwischen Entwicklungsländern und Industriestaaten in der Agrarpolitik sowie bei der Umsetzung von Arbeits- und Umweltstandards.
Gleichzeitig nahmen populistische Antiglobalisierungstendenzen in verschiedenen westlichen Ländern zu und führten zum Sieg der Brexit-Befürworter im Vereinigten Königreich und zum Wahlsieg von Donald Trump zum Präsidenten der USA. In seinem Wahlkampf hatte Trump angekündigt, zukünftig die US-Interessen über die anderer Staaten zu stellen, die ins Ausland abgewanderten US-Unternehmen wieder zurückzuholen und vor allem gegen die als unfair bezeichneten multilateralen Handelsabkommen sowie gegen Länder vorzugehen, die einen hohen Handelsbilanzüberschuss mit den USA haben. Trump nannte dabei immer wieder China.
Das im März 2017 veröffentlichte handelspolitische Programm der neuen US-Regierung benannte China als Verursacher für den Einbruch der Produktion in der verarbeitenden Industrie der USA und den damit verbundenen Jobverlusten. Die "America First"-Politik zielt auf die Gestaltung "fairer" Handelsbeziehungen, die – so Trump – besser über bilaterale als multilaterale Abkommen herbeigeführt werden können. Dass es Trump mit der Umsetzung seiner Politik ernst meint, wurde bald deutlich: Bereits an seinem ersten Arbeitstag als US-Präsident unterzeichnete er ein Dekret zum Ausstieg der USA aus der TPP. Zugleich kündigte er an, dass es zukünftig nur noch bilaterale Vereinbarungen mit dem Ziel einer Verbesserung der US-Position geben wird.
Die auf multilaterale Wirtschaftsbeziehungen gegründete Handelspolitik Chinas erscheint dagegen als Kontrastprogramm. Die chinesische Regierung will nicht nur die WTO als regulativen Rahmen beibehalten und stärken, sondern hat auch ein eigenes Konzept der Förderung internationaler Wirtschaftsbeziehungen vorgestellt. Hierbei handelt es sich weniger um einen neuen regulativen Rahmen, sondern um die Verbesserung der materiellen Infrastruktur als Voraussetzung für eine Ausweitung von Handel und Investitionen. Das zunächst als "One Belt, One Road" bekannte Konzept wird heute als "Belt and Road Initiative" (BRI) bezeichnet und fokussiert auf die stärkere wirtschaftliche Integration der Regionen Asien und Europa, bezieht jedoch auch andere Regionen wie Afrika und Lateinamerika ein.
Ziele und Instrumente der BRI wurden im März 2015 von der Staatlichen Kommission für Entwicklung und Reform, dem Außenministerium sowie dem Handelsministerium der Volksrepublik China präsentiert. Im Mittelpunkt steht die Verbesserung der materiellen Infrastruktur durch den Bau von Transportkorridoren, Infrastruktur in den Bereichen Energie und Telekommunikation sowie einer immateriellen Infrastruktur in Form von Kommunikations- und Entscheidungsmechanismen, die gemeinsam mit den beteiligten Staaten entwickelt werden sollen.
Im Gegensatz zu westlichen Integrationsansätzen wie der EU oder dem Nordamerikanischen Freihandelsabkommen (NAFTA) geht es bei Chinas BRI nicht um ein formales Regelwerk multilateraler Verträge mit einer supranationalen Organisation, der Sanktionsrechte für die Einhaltung der Vereinbarungen übertragen werden. Das chinesische Modell der regionalen Integration setzt in erster Linie auf Konnektivität durch Transportnetze, Bereitstellung von Finanzierungsmöglichkeiten sowie den Abbau wirtschaftlicher Barrieren. In seiner Kritik an der BRI als einem chinazentrierten Integrationsmodell argumentiert der Politikwissenschaftler David Arase, Ziel sei es, den Strom wirtschaftlicher Aktivitäten von und nach China zu kanalisieren. Wie die Länder entlang der Seidenstraße von dieser sehr langfristig angelegten Vision profitieren werden, hängt ganz entscheidend von ihren Fähigkeiten ab, ihre eigenen wirtschaftlichen Interessen einzubringen. Gleichzeitig liefert die BRI neue Impulse für Chinas Partnerländer. Auf dem BRI-Forum im Mai 2017 wies der WTO-Direktor Roberto Azevêdo auf eine kürzlich von der WTO beauftragte Befragung der Mitgliedsländer hin, die in der mangelhaften Infrastruktur das Haupthindernis und den Hauptkostenfaktor bei der Ausweitung der Handelsbeziehungen sahen.
EU-China: Gemeinsam gegen Protektionismus?
Die Kooperation zwischen der EU und China erstreckt sich auf eine Vielzahl politischer und wirtschaftlicher Themen, bei denen teils gemeinsame, teils unterschiedliche Interessen bestehen. Im internationalen Handel vertreten beide Seiten ein offenes multilaterales System und stellen sich gegen Protektionismus. Auf der bilateralen Ebene gibt es die Forderung der EU an China, die WTO-Prinzipien der Reziprozität und Inländerbehandlung stärker umzusetzen und europäische Unternehmen nicht zu diskriminieren. Stellvertretend für diese Position steht die Rede des Präsidenten der Europäischen Kommission, Jean-Claude Juncker, auf dem EU-China Business Summit Anfang Juni 2017 in Brüssel. Hier betonte er die Gemeinsamkeiten, rief die chinesische Regierung aber auch dazu auf, ihre Vision politisch umzusetzen. Hintergrund für die Ermahnung Junckers ist die Kritik der Europäischen Handelskammer in China, die eine zunehmende Diskriminierung von EU-Unternehmen feststellte. Eine Kammerumfrage bei den Mitgliedern zeigte, dass sich mehr als die Hälfte gegenüber den chinesischen Unternehmen benachteiligt fühlt. Dass in den bilateralen Beziehungen Liberalisierungsschritte sehr schwer zu erreichen sind, zeigen die zähen Verhandlungen um das EU-China-Investitionsabkommen. Im Dezember 2017 gehen diese Verhandlungen in ihre 16. Runde – die Gespräche wurden im November 2013 aufgenommen. Vor diesem Hintergrund empfiehlt etwa der Asienexperte Hanns Günther Hilpert der EU, in ihrer außenwirtschaftlichen Kooperation mit China Multilateralismus und die WTO ins Zentrum zu stellen.
Der Rückzug der US-Regierung aus der TPP und dem TTIP bietet eine neue Chance für den Multilateralismus, da sich die Gegner einer protektionistischen Welthandelsordnung positionieren müssen. Da China nicht durch neue regionale Abkommen von der Mitgestaltung der zukünftigen außenwirtschaftlichen Spielregeln ausgeschlossen sein möchte, hat die chinesische Regierung nun die Möglichkeit, ihre Vorstellungen einer gerechten Handelsordnung stärker einzubringen. Die EU ist dabei ein wichtiger Partner, der allerdings im Detail – ebenso wie China – eigene Interessen hat, wobei einzelne EU-Mitgliedsländer unterschiedliche Positionen vertreten. Diese wurden auf dem von China veranstalteten zweitägigen "Gipfeltreffen" zur BRI-Kooperation im Mai 2017 deutlich, auf dem eine von allen Teilnehmern unterzeichnete Abschlusserklärung zur Dialogrunde über Handel nicht zustande kam. Deutschland und anderen EU-Mitgliedsländern ging diese Erklärung nicht weit genug, sie vermissten die Anliegen der europäischen Länder hinsichtlich des Marktzugangs, des Abbaus staatlicher Subventionen und der Überkapazitäten.
Gleichzeitig bietet die BRI einen neuen Ansatzpunkt für die EU-China-Kooperation. Nach einer anfänglichen Phase der Irritation, da China unter Umgehung der EU-Kommission Infrastrukturprojekte in Zentral- und Osteuropa plante und baute, wurde mit der Gründung der EU-China-Konnektivitätsplattform ein Forum für den Austausch von Informationen und für die Projektplanung geschaffen. Das Beispiel zeigt, dass der wirtschaftliche Aufstieg Chinas und daraus resultierende Expansionsbestrebungen gleichzeitig Chance und Herausforderung für die EU sein können. Die Antiglobalisierungshaltung und die Abkehr vom Multilateralismus der US-Regierung sind für die EU und für China jedoch eine Gefahr, da sie in ihren außenwirtschaftlichen Beziehungen von multilateralen Institutionen abhängig sind. Daraus könnte der Schluss gezogen werden, dass die EU und China gegen den neuen Protektionismus gemeinsam auftreten werden.
Zusammenfassend sehen wir ein starkes Interesse der chinesischen Regierung, Multilateralismus und die WTO als internationales Regelwerk zu bewahren. Bei der neuen Seidenstraßen-Initiative setzt China auf erprobte institutionelle Regelwerke, ergänzt sie jedoch um neue Kooperationsmechanismen, die sich noch bewähren müssen. Das Land hat als WTO-Mitglied wichtige Liberalisierungsschritte vollzogen, die sich positiv auf die wirtschaftliche Entwicklung und den Lebensstandard der chinesischen Bevölkerung ausgewirkt haben.
Vergleichbar mit anderen großen Wirtschaftsmächten verfolgt China seine eigenen strategischen Ziele und versucht, die inländische Wirtschaft nur schrittweise den Auswirkungen der Globalisierung auszusetzen. Auch zukünftig werden wir mit dieser Konstellation zu rechnen haben, aber vor allem mit einem größeren Einfluss Chinas auf die Gestaltung der globalen Handelsordnung. Aufgrund der dominanten Stellung Chinas im Welthandel einerseits und der Größe der chinesischen Volkswirtschaft andererseits fällt dem Land automatisch eine Führungsrolle zu. Da China weiterhin die Chancen der Globalisierung nutzen will, gehen wir davon aus, dass sich die chinesische Regierung auch zukünftig für ein liberales Handelssystem einsetzen wird. Der Rückzug der USA aus multilateralen Institutionen bietet China zusätzliche Freiräume, eigene Vorstellungen zur Welthandelsordnung umzusetzen.