Europäische Politiker geißeln gerne den "neuen" Protektionismus der USA. In der Tat ist die explizite Abkehr der amerikanischen Außenhandelspolitik von einem kooperativen Kurs für die Welt – und letztlich auch für die USA – mit hohen Kosten verbunden. Allerdings sollten zwei Dinge nicht übersehen werden: Erstens gab es schon unter Donald Trumps Vorgänger Barack Obama einen starken Anstieg protektionistischer Tendenzen. Und zweitens hat die EU keineswegs eine so reine Weste, wie viele ihrer Politiker uns weismachen wollen. Im Folgenden werden zunächst unterschiedliche protektionistische Maßnahmen erläutert, bevor die Handelspolitik der EU diskutiert wird. Zum Instrumentarium der EU-Außenhandelspolitik gehören neben Strafzöllen, Handelsbeschränkungen auch fiskal- und geldpolitische Aktionen, die protektionistische Auswirkungen haben.
Was ist Protektionismus?
Wikipedia bot im Dezember 2017 die folgende Definition: "Als Protektionismus (lat. protectio ‚Schutz‘) bezeichnet man in Bezug auf ökonomische Sachverhalte alle Maßnahmen in Form von Handelshemmnissen, mit denen ein Staat versucht, ausländische Anbieter auf dem Inlandsmarkt zu benachteiligen, um den inländischen Markt zu schützen. Mittel dafür ist die strategische Handelspolitik."
Dies trifft den Kern des Problems einerseits ganz gut: Es geht um die Diskriminierung von Ausländern, wobei eine Vielzahl verschiedener Maßnahmen zur Abschottung des heimischen Marktes infrage kommt. Neben Zöllen sind mengenmäßige Handelsbeschränkungen zu nennen, aber auch regulatorische Maßnahmen oder der Ausschluss ausländischer Anbieter bei heimischen staatlichen Beschaffungsvorgängen.
Anderseits ist die Definition zu eng gefasst: Protektionismus beschränkt sich nicht nur auf den Inlandsmarkt. Exportsubventionen etwa bevorteilen inländische Anbieter im Ausland. Außerdem geht Protektionismus über Handelshemmnisse hinaus. So kann eine Diskriminierung von Ausländern bei Direktinvestitionen letztlich auch für den Güterhandel und noch mehr für den Dienstleistungshandel restriktiv wirken, weil Exporte häufig eine wirtschaftliche Präsenz des Exporteurs im Zielland erfordern. Zum Protektionismus kann ebenso die Nichtanerkennung von Berufsqualifikationen gehören, da sie ausländischen Dienstleistungsanbietern im Inland die Chance nimmt, ihre Leistungen anzubieten.
Protektionismus – verstanden als diskriminierende Behandlung ausländischer Wirtschaftssubjekte – kann aus der isolierten Sicht eines einzelnen Landes durchaus positiv sein: Wenn etwa ein Zoll die Nachfrage nach einem ausländischen Gut reduziert, sinkt der gleichgewichtige Preis für dieses Gut auf dem Weltmarkt, und das Inland kann dieses günstiger erwerben. Dazu kommen Zolleinnahmen. Allerdings treten auch verzerrende Effekte durch die Reduktion des internationalen Handels auf.
In der volkswirtschaftlichen Theorie ist die Rede vom Optimalzoll, wenn mit ihm Wohlfahrtsgewinne erzeugt werden.
Dies gilt nicht nur für Zölle. Auch legitime Regulierungsvorhaben können protektionistisch missbraucht werden. So haben Regierungen den Anreiz, die Kosten von Regulierung ausländischen Anbietern aufzubürden anstatt einheimischen. Ein Beispiel dafür sind strenge US-amerikanische Abgasvorschriften für kleine Dieselmaschinen, die zum größten Teil importiert werden, während für große Maschinen, die auch im Inland hergestellt werden, laxere Standards gelten. Weil alle Regierungen solche Anreize haben, kann es zu einer Situation mit ineffizienter Regulierung kommen, in der die eigentlichen Ziele – zum Beispiel der Umweltschutz – nicht oder nur mit unnötig hohen Kosten erreicht werden.
Wenn jedes Land versucht, das andere zu übervorteilen, findet sich die Welt in einem nichtkooperativen Gleichgewicht wieder, denn kein Land hat den Anreiz, unilateral von der Nichtkooperation abzuweichen. Die Spieltheorie beschreibt dieses Problem als Gefangenendilemma: Alle Spieler kooperieren nicht und stellen sich damit schlechter. Um dieses Dilemma zu vermeiden, braucht man hinreichend Vertrauen darin, dass der jeweilige Partner wirklich kooperativ ist, wenn man selbst auf Kooperation setzt. Internationale Verhandlungen und Institutionen – allen voran die Welthandelsorganisation (WTO) – verdanken ihre Existenz dem Vorhaben, nichtkooperative Gleichgewichte zu vermeiden.
Die Prämisse der kooperativen Strategie im Außenhandel ist die Inländerbehandlung beziehungsweise die Nichtdiskriminierung. Ausländische Anbieter oder Investoren sollen so behandelt werden wie inländische, und das Inland soll unterschiedliche ausländische Anbieter gleich behandeln.
US-Präsident Donald Trump hat an vielen Stellen den Wert der internationalen Kooperation infrage gestellt. Seine Interpretation des für einen amerikanischen Präsidenten durchaus legitimen Slogans "America First" ist, dass ein konfrontativer Kurs für die USA besser sei als ein kooperativer – womit sich für Trump das Gefangenendilemma gar nicht erst stellt. Im Gegensatz zum US-Präsidenten gefallen sich europäische Politiker als Verteidiger des Freihandels. Und in der Tat erscheint die EU unter den großen handelspolitisch relevanten Staaten und Gruppen auf den ersten Blick als Schaf unter Wölfen. Bei näherem Hinsehen zeigt sich jedoch, dass der erste Eindruck nicht ganz stimmt.
Handelspolitik der EU
Zunächst zum schönen Schein: Die angewandten Importzölle der EU sind niedrig.
Die EU hat nach Angaben der WTO mit 64 Partnerländern Freihandelsabkommen abgeschlossen. Die USA kommen lediglich auf 20 Abkommen, China auf 24. In der Gruppe der 20 wichtigsten Industrie- und Schwellenländer (G20) ist die EU damit mit großem Abstand Spitzenreiter. Natürlich sind unter den EU-Abkommen viele mit außenwirtschaftlich relativ unbedeutenden Ländern, zum Beispiel Armenien, Georgien, Island oder San Marino. Aber unter den Partnern sind auch Schwergewichte wie Mexiko, Kanada, Türkei oder Südafrika, sodass ein Anteil von circa 8 Prozent des Weltbruttosozialprodukts von EU-Freihandelsabkommen erfasst ist. Außerdem hat die EU eine sehr ambitionierte Agenda: Aktuell verhandelt sie mit einer ganzen Reihe von Ländern, die – wenn das Transatlantische Freihandelsabkommen (TTIP) mitgezählt wird – 44 Prozent der Weltnachfrage abdecken.
Auch bei der Verwendung von Strafzöllen zur Ahndung von Dumping ist die EU relativ zurückhaltend:
Oberflächlich betrachtet, erscheint die EU also in der Tat als wahrer Musterschüler des Freihandels – und das, obwohl wichtige Mitglieder, allen voran Frankreich, traditionell nicht gerade Verfechter offener Märkte sind. Doch der schöne Schein trügt – vor allem mit Blick auf die von der EU erhobenen Strafzölle.
Donald Trump hat während seines Wahlkampfes immer wieder gedroht, auf chinesische und mexikanische Güter Strafzölle zu erheben, um vermeintlich unfaires Verhalten zu sanktionieren. Dabei blieb er typischerweise im Unklaren, wie er sich das genau vorstellt. Zölle gegen alle Importe Chinas oder Mexikos würden jedenfalls gegen WTO-Regeln verstoßen. Seine Aussage, dann müsse man eben aus dem multilateralen System austreten, war und ist wenig glaubwürdig. Schließlich schützt die WTO ebenso den Dienstleistungshandel, in dem die USA einen erheblichen Überschuss erzielen, aber auch geistiges Eigentum (wie die Marke "Trump") sowie amerikanische Auslandsinvestitionen.
In den ersten Monaten nach Trumps Amtsantritt offenbarte sich, dass er mit Strafzöllen die schon angesprochenen Handelsschutzinstrumente der WTO meinte. Diese können nicht ohne Weiteres auf die Exporte ganzer Länder erhoben werden, sondern beziehen sich auf einzelne Produkte einzelner Firmen. Darauf zielt Trump ab, wenn er etwa auf Stahlprodukte der Hütte Dillingen oder von Salzgitter Antidumpingzölle erhebt. Ende 2016 waren 3,6 Prozent der amerikanischen Importe von solchen Strafzöllen betroffen; Ende 2017 könnten es 7,4 Prozent sein.
Unter "Dumping" fällt, wenn ein Produzent auf seinem Heimatmarkt einen höheren Preis verlangt als auf dem Exportmarkt. Wenn dieser Umstand die wirtschaftlichen Interessen eines Produzenten im Exportmarkt negativ beeinflusst, kann er bei seiner Regierung eine Antidumpinguntersuchung anstrengen. Dafür muss ein kausaler Zusammenhang zwischen dem Dumping und den angeblichen wirtschaftlichen Einbußen nachgewiesen werden. Der Antidumpingzoll berechnet sich dann aus der Differenz zwischen dem Verkaufspreis auf dem Heimatmarkt und jenem auf dem Exportmarkt.
Antidumpingzölle sind im WTO-Recht vorgesehen, dennoch haben sie unter Ökonomen einen schlechten Ruf.
Wenn zwei Firmen in Abwesenheit von Handel in ihren jeweiligen Märkten Monopolisten sind, dann kann die Möglichkeit von Handel sogar zu reziprokem Dumping führen: Beide Unternehmen verkaufen ihr Produkt im jeweiligen Ausland zu niedrigeren Preisen als im Inland, weil sie im Export von Transportkosten belastet sind und einen Teil dieser Kosten selbst tragen.
Es gibt jede Menge politökonomische Evidenz dafür, dass die sogenannten Handelsschutzinstrumente aus klassischen protektionistischen Motiven heraus eingesetzt werden.
Auch die EU setzt diese Instrumente häufig ein, wenn auch seltener als die USA: Sie erhebt Antidumpingzölle auf Stahl- und Chemieprodukte aus China, Russland und Indien von bis zu 48 Prozent, Biodiesel aus Argentinien und Brasilien von bis zu 180 Euro pro Tonne, Bioethanol aus den USA (10 Prozent), Solarpanels aus China und anderen Ländern (bis zu 65 Prozent) sowie auf Fahrräder aus verschiedenen asiatischen und nordafrikanischen Staaten (48 Prozent). Die Liste lässt sich mühelos verlängern.
Die EU ist dabei typischerweise weniger aggressiv als die USA. Im Durchschnitt sind die europäischen Zölle niedriger, aber die europäischen Importe aus China brechen bei steigenden Preisen eher ein als die amerikanischen Importe, sodass sich die handelszerstörenden Wirkungen der europäischen und amerikanischen Zölle kaum voneinander unterscheiden.
Die EU hat kürzlich erst die Regeln zur Berechnung von Antidumpingzöllen verschärft. Ausgangspunkt war folgender: Beim Beitritt Chinas zur WTO im Dezember 2001 wurde ein auf 15 Jahre befristetes Beitrittsprotokoll verabschiedet, dass den WTO-Mitgliedern erlaubte, China als Nichtmarktwirtschaft einzustufen. Damit ist die Möglichkeit verbunden, die Exportpreise chinesischer Hersteller nicht mit den chinesischen Heimatpreisen vergleichen zu müssen, die wegen fehlender marktwirtschaftlicher Bedingungen verzerrt sind, sondern mit den Heimatpreisen vergleichbarer ("analoger") Länder wie Brasilien und Indien. Weil diese Länder oft weniger wettbewerbsfähig sind als China, ergeben sich höhere Antidumpingzölle.
Insgesamt setzt die EU Antidumpingverfahren immer häufiger wegen des Verdachtes auf Subventionierung von Exporteuren ein und nicht wegen unfairem strategischen Preissetzungsverhalten seitens einzelner Unternehmen. Für erstere Fälle sind Antidumpingzölle eigentlich nicht vorgesehen. Das WTO-Recht kennt hier das Instrument des Ausgleichszolls. Diese Maßnahme wird allerdings sehr selten eingesetzt, da der Tatbestand juristisch schwieriger darzustellen ist. Vielleicht will die EU aber auch einfach das Thema "Subventionen" nicht direkt ansprechen, weil sie diese selbst vielfach einsetzt und in diesem Zusammenhang regelmäßig Handelskonflikte austragen muss, zum Beispiel mit den USA im Airbus-Boeing Fall.
Benachteiligung der Entwicklungsländer
Viele Entwicklungsländer sind nach wie vor stark von Landwirtschaft und Rohstoffextraktion geprägt. Zwar haben verschiedene Reformen der Zollpolitik und der gemeinsamen europäischen Agrarpolitik geholfen, Benachteiligungen abzubauen. Es bleiben aber erhebliche Barrieren – allen voran die sogenannte Zolleskalation: Diese liegt vor, wenn der Einfuhrzoll auf Rohstoffe und Vorprodukte niedriger ist als auf verarbeitete Güter, sodass der Zollsatz mit zunehmendem Verarbeitungsrad steigt.
Dies ist besonders im Lebensmittelbereich relevant: So gibt es zum Beispiel in der EU keine Importzölle auf den Import von ungerösteten Kaffeebohnen. Geröstete Bohnen und Kaffeeprodukte unterliegen hingegen einem Importzoll von 7 bis 9 Prozent.
Nun lässt sich einwenden, dass die EU gegenüber vielen Entwicklungsländern Präferenzsysteme unterhält, die unter bestimmten Bedingungen zoll- und quotenfreie Lieferungen nach Europa erlauben.
Insgesamt soll hier jedoch nicht der Eindruck entstehen, die Rohstofflieferanten würden durch den Abbau der Zolleskalation automatisch zu führenden Standorten der verarbeitenden Industrie aufsteigen. Dazu gehört offensichtlich mehr als lediglich zollfreier Zugang.
Die Wirtschaftspartnerschaftsabkommen, die zwischen der EU und Entwicklungsländern geschlossen werden, verbessern zwar die Situation. Aber bilaterale Freihandelsabkommen, die lediglich bestimmten Partnern Zollfreiheit gewähren, verwässern die Vorteile der Präferenzsysteme. Insgesamt wird das Problem der Zolleskalation nur abgemildert, aber nicht gelöst, weil an die Stelle der Zölle immer strengere Qualitätsstandards treten, die faktisch ganz ähnliche Effekte auf die Entwicklungsländer haben. Manche Beobachter haben deshalb ihre Zweifel, ob die Freihandelsabkommen der EU wirklich dazu da sind, Protektionismus zu bekämpfen.
Auch hier sind die Ursprungsregeln bedeutsam: Sie sind Einfallstor für Partikularinteressen und schränken die Anwendung der Freihandelsabkommen und damit ihre liberalisierende Wirkung ein. Gewissermaßen wird mit der einen Hand eine Handelsbarriere abgebaut (zum Beispiel ein Zoll gesenkt oder die gegenseitige Anerkennung einer Produktzulassung vereinbart), während mit der anderen Hand neue Barrieren aufgebaut werden. In den allermeisten Fällen gibt es für Ursprungsregeln keine ökonomische Rechtfertigung, weil ein Unterlaufen des Zollschutzes gegenüber einem Drittstaat ohnehin nicht profitabel ist.
Bilaterale Freihandelsabkommen sind globalen Abkommen im Rahmen der WTO unterlegen, weil sie nur zwischen zwei Partnerländern Barrieren abbauen. Da im internationalen Handel relative Preise bestimmend sind, bedeutet ein Freihandelsabkommen immer auch eine relative Schlechterstellung von Exporteuren aus Drittstaaten. Zwar wird an der absoluten Höhe der Zölle gegenüber diesen Staaten nichts verändert – dies würde gegen die Richtlinien des Allgemeinen Zoll- und Handelsabkommens (GATT) verstoßen –, doch führt der Abschluss eines Freihandelsabkommens zu einer Handelsumlenkung, die die Unternehmen der Vertragsstaaten bevorzugt.
Gleiches gilt auch für nichttarifäre Handelsbarrieren. Werden diese – etwa durch gegenseitige Anerkennung von Produktstandards – zwischen zwei Partnern abgesenkt, und wird diese Anerkennung Unternehmen aus Drittstaaten verweigert, verändert sich auch die relative Wettbewerbsfähigkeit der Drittstaaten, und es wirkt indirekt protektionistisch. Die WTO hat darauf wiederholt hingewiesen.
Es lässt sich einwenden, dass die EU nur deshalb bilaterale Freihandelsabkommen verhandelt und abschließt, weil der multilaterale Weg über die WTO verschlossen ist. Das stimmt zwar, aber die EU trägt an diesem Umstand eine Teilschuld. So wurde 2001 in der katarischen Hauptstadt Doha mit Verhandlungen begonnen, deren erklärtes Ziel es war, besonders den Entwicklungsländern verbesserten Marktzugang in reichen Industriestaaten zu verschaffen. Angesichts des rapiden Aufholprozesses großer Schwellenländer wie China oder Indien ist es der EU bisher aber schwergefallen, eine weitere Absenkung von Barrieren zuzugestehen.
Die EU sieht sich nicht zuletzt auch wegen einzelnen fiskal- und geldpolitischen Maßnahmen dem Vorwurf des Protektionismus ausgesetzt.
Protektionismus durch Fiskal- und Geldpolitik
Auch Fiskal- und geldpolitische Maßnahmen können durchaus protektionistische Effekte aufweisen. Genau das befürchtet die Europäische Kommission mit Blick auf die Steuerreform der Trump-Administration.
Manche Beobachter werfen auch der Bundesrepublik vor, protektionistische oder sogar neomerkantilistische Strategien zu verfolgen.
Abschließend zur Geldpolitik: Die massive Ausweitung der Geldmengen in den USA, Europa und Japan zur Bekämpfung von Deflation haben immer auch auf eine Abwertung der Währungen gezielt. Diese erzeugt Preisdruck im Inland. Gleichzeitig werden Exporte im Ausland billiger, was die aggregierte Nachfrage stärken und Beschäftigung schaffen soll. In der Vergangenheit war dieses Instrument für die Geldpolitik entscheidend. Das Problem ist wie bei der Zollpolitik, dass Abwertungswettläufe alle Länder schlechter stellen und abgesehen von höherer Inflation wirkungslos sind. Zwar gab es zwischen den großen Notenbanken Absprachen und Kooperation, und das Ziel war – jedenfalls vordergründig – immer die Bekämpfung von Deflation. Doch es steht zu befürchten, dass die Hemmschwellen für eine geldpolitische Beggar-thy-neighbor-Politik ("seinen Nachbarn zum Bettler machen") gesunken sind. Dies könnte spätestens dann zum Vorschein treten, wenn die Konjunkturzyklen der G20-Länder wieder stärker divergieren.
Schluss
Die hier formulierte Klage über protektionistische Absichten der EU sollten nicht missverstanden werden: Die EU ist im Vergleich zu den USA unter Donald Trump sowie zu einem China, das sich in den vergangenen Jahren wieder von einer freiheitlichen Wirtschaftsverfassung wegbewegte, ein positives Beispiel. Selbst wenn die EU an der relativ schlechten Verfassung der WTO nicht unschuldig ist, so bringt sie sich weiterhin konstruktiv in die Debatten ein. Das haben die erfolgreichen WTO-Ministergipfel in Bali, Nairobi, aber auch der erfolglose Gipfel in Buenos Aires gezeigt. Die EU versucht, kooperative Ansätze zu verfolgen, beispielsweise beim Abbau der globalen Überkapazitäten im Stahlbereich. Und sie passt ihre Handelspolitik der Kritik aus der Wissenschaft und Zivilgesellschaft an. All das gilt für die USA und China derzeit nicht.
Trotzdem gibt es auch in Europa Tendenzen, auf die nichtkooperativen chinesischen und amerikanischen Ansätze abschottend zu reagieren. Das wäre eine falsche Politik: Wenn Europa freien Marktzugang im Ausland einfordert, sollte es diesen im Inland auch gewähren. Das Ziel sollte positive Reziprozität sein und nicht eine Politik, die sich am "Auge um Auge, Zahn um Zahn" des babylonischen Königs Hammurapi orientiert.