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Globalisierungs-Anforderungen an Institutionen deutscher Außen- und Entwicklungspolitik | Entwicklungspolitik - Dritte Welt | bpb.de

Entwicklungspolitik - Dritte Welt Editorial Der Zerfall der postkolonialen Staaten Halbierung der absoluten Armut: die entwicklungspolitische Nagelprobe Entwicklungspolitik am Scheideweg - politische Randerscheinung oder globale Strukturpolitik ? Globalisierungs-Anforderungen an Institutionen deutscher Außen- und Entwicklungspolitik Die Entwicklungspolitik der rot-grünen Bundesregierung

Globalisierungs-Anforderungen an Institutionen deutscher Außen- und Entwicklungspolitik

Dirk Messner

/ 24 Minuten zu lesen

Die Globalisierung erzwingt eine Überprüfung des institutionellen Designs der deutschen Außenbeziehungen. Darüber hinaus wirft sie Fragen auf, die über die klassischen Spannungen zwischen Außenministerium (AA) und Entwicklungsministerium weit hinausgehen.

Einleitung

Die Globalisierung schafft eine neue Welt, die durch immer stärkere Vernetzung, wechselseitige Verwundbarkeiten, Interdependenzen, grenzüberschreitende und globale Problemlagen sowie geteilte Souveränitäten charakterisiert ist. Nahezu jedes Politikfeld besitzt zu Beginn des 21. Jahrhunderts grenzüberschreitende oder globale Dimensionen. Die Reichweite nationaler Wirtschafts-, Sozial-, Umwelt-, Energie-, Technologie-, Forschungs-, Steuer-, Verbraucherschutz-, Finanzmarkt- oder Sicherheitspolitik wird in der Epoche des Globalismus immer kürzer. Die Grenzen zwischen Innen- und Außenpolitik werden fließend . Die Souveränität der Nationalstaaten erodiert, das Primat der Politik und politische Handlungsfähigkeit sind zukünftig immer stärker von grenzüberschreitender und globaler Kooperation sowie gemeinsamer Problemlösung abhängig.

Weltpolitik wird unter diesen Bedingungen neu definiert. Die Weltpolitik des 21. Jahrhunderts wird zwar auch klassische Sicherheitspolitik, ökonomisch basierte Interessenpolitik und stabilitätsschaffende Friedenspolitik sein - vor allem aber wird sie zur Gestaltung und institutionellen Einbettung der janusköpfigen Globalisierung beitragen müssen. In einer Welt, in der Ökonomie, Technologie, Kommunikation, Wissensproduktion und nicht zuletzt die natürliche Umwelt globale Dimensionen besitzen und eine zunehmende Zahl von Problemen grenzüberschreitend sind, wird Weltpolitik zu einer Art Weltinnenpolitik werden müssen . Die Herausbildung einer tragfähigen Global-Governance-Architektur wird zu einer wichtigen Herausforderung des neuen Jahrhunderts. Angesichts dieses tiefen Umbruchs von der Epoche der Nationalstaaten zur "Epoche des Globalismus" (Karl Kaiser) müssen auch die deutschen Beiträge zur Gestaltung von Globalisierung und Weltpolitik überprüft werden.

Die öffentliche Diskussion ist in diesem Kontext bisher im Wesentlichen auf das Auswärtige Amt (AA) sowie das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) konzentriert. Beide Ministerien haben das Globalisierungsthema aktiv aufgegriffen: Das BMZ versteht Entwicklungspolitik seit 1998 als "Globale Strukturpolitik" im Sinne globaler Zukunftssicherung. Das AA hat u. a. 1998 einen "Arbeitsstab Globale Fragen" eingerichtet, der innerhalb des Ministeriums dazu beitragen soll, die über diverse Arbeitseinheiten verteilten globalpolitischen Verantwortlichkeiten zu vernetzen. Zudem wurde 1999 das "Forum Globale Fragen" des AA gegründet, das eine dauerhafte Plattform zur Behandlung globaler Fragen darstellen soll und den Dialog mit Wirtschaft, Gesellschaft und Wissenschaft pflegt. Die Orientierung beider Ministerien auf "globale Fragen" hat die Diskussion über die Kohärenz und Wirksamkeit deutscher Außenpolitik erneut angestoßen. Immer wieder wird auch über die Sinnhaftigkeit einer Integration des BMZ in das AA nachgedacht. Dabei ist die Spannung zwischen dem personalstarken, durch den Vizekanzler der Republik geführten und einflussreichen Außenministerium und dem von vielen politischen Akteuren als für die Zukunft der Republik irrelevant angesehenen "Nischenministerium" BMZ (dem "kleinen Außenministerium") - das jedoch im Gegensatz zum AA über erhebliche operative Mittel verfügt - so alt wie das BMZ selbst, also etwa dreißig Jahre.

Doch über parteipolitische Streiterei hinaus erzwingt die Globalisierungsdiskussion eine ernsthafte Überprüfung des institutionellen Designs der deutschen Außenbeziehungen. Im Folgenden soll skizziert werden, dass der richtige Anspruch der deutschen Politik, die Globalisierung mit gestalten zu wollen, Fragen aufwirft, die über die bisherigen Zuständigkeitskonflikte zwischen BMZ und AA (z. B. über die Zuordnung der humanitären Hilfe) weit hinausreichen.

I. Ausdifferenzierung der Außenbeziehungen - Die Rolle des AA verändert sich

Das Politikfeld "Außenpolitik" schien lange Zeit sehr übersichtlich strukturiert zu sein. Im Zentrum der auswärtigen Beziehungen standen Friedens- und Sicherheitspolitik (inklusive Verteidigung), die Marktöffnung für eigene Exporte und die Gestaltung der Nord-Süd-Beziehungen im Rahmen der Entwicklungspolitik. Vor diesem Hintergrund lassen sich Innen- und Außenpolitik ziemlich trennscharf voneinander unterscheiden. Dies kommt auch in Theodore J. Lowis 1964 publiziertem paradigmatischem Artikel über die drei funktionalen Bereiche der öffentlichen Politik (regulative, distributive und redistributive Politik) zum Ausdruck, in dem er erläuterte, dass er die Außenpolitik nicht mit in seine Kategorisierung einbezogen hätte, weil "in many ways it is not part of the same universe" .

Diese Wahrnehmung von Außenpolitik als überschaubarem Feld, mit leicht zu umschreibenden Aufgabenbereichen und schnell zu verortenden Akteuren innerhalb der Ministerienlandschaft, dürfte grundlegend dafür sein, dass in Deutschland, wie ein Blick in die "Geschäftsordnung der Bundesregierung" verrät, das Auswärtige Amt für die Gesamtheit der deutschen Außenbeziehungen zuständig ist. Flankiert wird dessen Arbeit durch das Bundeskanzleramt, das aufgrund der Richtlinienkompetenz des Kanzlers auch in der Außenpolitik eine starke Stellung besitzt. Die umfassende Verantwortung des Auswärtigen Amtes für die Wahrnehmung "gesamtstaatlicher Interessen" drückt sich beispielsweise in der Geschäftsordnung (§ 11) aus. Darin ist festgelegt, dass Mitglieder und Vertreter auswärtiger Regierungen und zwischenstaatliche Einrichtungen nur nach vorheriger Abstimmung mit dem Auswärtigen Amt empfangen werden sollen und Verhandlungen mit dem Ausland oder im Ausland nur mit Zustimmung des Auswärtigen Amtes, auf Verlangen auch nur unter seiner Mitwirkung geführt werden dürfen. Diese Aufgabenbeschreibung für das AA als Spitze und Zentrum deutscher Außenbeziehungen entspricht nicht mehr den heutigen Gegebenheiten.

So zeigt eine Bestandsaufnahme der auswärtigen Beziehungen der Bundesministerien , dass alle Fachressorts in den vergangenen 10 bis 15 Jahren als Reflex auf Globalisierungsdynamiken ihre grenzüberschreitenden Aktivitäten stark ausgebaut haben. Dies drückt sich u. a. in der hohen und steigenden Zahl der Arbeitseinheiten aus, die sich mit internationalen Fragestellungen beschäftigen. Derzeit sind in den Bundesministerien 336 Referate mit internationalen Aufgaben befasst, davon 279 mit Problemstellungen, die auch über die "europäische Innenpolitik" hinausreichen. Zum Vergleich: Das AA verfügt über 74 Referate. Zudem ist zu beobachten, dass internationale Aufgaben in allen Ministerien zunehmend in höheren Hierarchieebenen (Abteilungen, Unterabteilungen) verankert werden. Die Fachministerien übernehmen vielfältige operative Aufgaben der internationalen Kooperation: Dazu gehören die Mitarbeit in internationalen Organisationen, Gremien und Regimen sowie die Teilnahme an internationalen Konferenzen und enge Beziehungen zu korrespondierenden Ressorts anderer Länder. Im Verlauf der Weltkonferenzen der neunziger Jahre lag die Delegationsleitung nur einmal beim AA (Menschenrechtskonferenz in Wien, 1993), in allen anderen Fällen bei den jeweiligen Fachressorts. Faktisch ist somit jedes Fachministerium zum "Außenministerium" des von ihm bearbeiteten Politikfeldes geworden .

Die zunehmende internationale Vernetzung der Fachressorts sagt noch nichts über deren Bedeutung für die Weltpolitik aus. Die Bestandsaufnahme der grenzüberschreitenden Beziehungen der Bundesministerien verdeutlicht jedoch nicht nur, dass die Außenbeziehungen der Fachressorts quantitativ wachsen, sondern auch, dass zentrale Zukunftsthemen der Weltpolitik entscheidend von Fachressorts und nur begleitend oder unterstützend von den klassischen außenorientierten Ministerien AA und BMZ gestaltet werden: Das Umweltministerium ist der zentrale deutsche Akteur in der globalen Umweltpolitik, federführendes Ressort in der "VN-Kommission für nachhaltige Entwicklung" (CDS), dem "VN-Umweltprogramm" (UNEP) und den globalen Klimaverhandlungen. Für die Weiterentwicklung der Weltwirtschaftsordnung, also die institutionelle Einbettung der globalen Marktwirtschaft, sind vor allem das Finanzministerium, das über die Federführung im Internationalen Währungsfonds verfügt und für eine Vielzahl internationaler Organisationen im Bereich der internationalen Finanz- und Währungspolitik (z. B. G 7, G 10, G 20, multilaterale Entwicklungsbanken, OECD) zuständig ist, sowie das Wirtschaftsministerium, das federführend in der Welthandelsorganisation, der OECD und dem Pariser Club ist, im Kern verantwortlich. Das Justizministerium verfügt seit Mitte der neunziger Jahre über eine Abteilung für Europa- und Völkerrecht, die angesichts des Trends zu mehr Verrechtlichung internationaler Beziehungen stark an Bedeutung gewinnt. Dieses Ministerium ist auch für das globale Zukunftsfeld "Internet" zuständig. Selbst das Innenministerium, das die Abgrenzung zur Außenpolitik in seinem Namen trägt, beschäftigt sich mit wichtigen Fragen der internationalen Politik, wie Migration, Kriegsflüchtlingen, internationaler Kriminalität sowie der Asylpolitik, und unterhält in diesen Feldern enge Arbeitskontakte mit korrespondierenden Bürokratien anderer Länder und internationalen Organisationen.

"Außenpolitik" unter den Bedingungen von Globalisierung reicht also weit über die klassischen außenpolitischen Felder der Friedens-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik hinaus. Sichtbar wird sowohl die Komplexität der institutionellen Strukturen der Außenbeziehungen in der international hochgradig verflochtenen Bundesrepublik als auch die immer weiter zunehmende Komplexität sich globalisierender Problemfelder und -konstellationen. Zudem gewinnen weltökonomische sowie -ökologische oder auch technologische Herausforderungen (vom Internet, über die Bio- und Gentechnologie bis zur Energiepolitik) gegenüber den klassischen Themen der internationalen Politik zunehmend an Bedeutung. Vor dem Hintergrund dieses Panoramas deutscher Beiträge zur Weltpolitik entstehen eine Vielzahl von Herausforderungen, von denen hier nur fünf angesprochen werden können:

Erstens stellt sich im Kontext des skizzierten Trends in Richtung einer immer stärkeren Ausdifferenzierung der grenzüberschreitenden Politiken die Frage nach dem zukünftigen Aufgabenzuschnitt des AA, seiner den neuen Strukturen angepassten Rolle und den Kernelementen des Selbstverständnisses des AA im Zusammenhang mit den vielschichtigen deutschen internationalen und globalen Politiken. Die Vorstellung, die "Gesamtheit der deutschen Außenbeziehungen" würde im Wesentlichen durch das AA gestaltet, hat sich de facto erübrigt. Eindeutig ist die Zuständigkeit des AA für das weiterhin bedeutende Problemfeld der Friedens- und Sicherheitspolitik. Als sicher kann zudem gelten, dass eine erneute Zentralisierung der Außenpolitik im Sinne der hierarchischen Steuerung der Außenbeziehungen durch das Außenministerium oder gar die (Rück-)Verlagerung wichtiger Bereiche der internationalen Zusammenarbeit (z. B. in den Feldern Weltwirtschaft oder Weltumweltpolitik) unmöglich ist. Wird das AA damit in der Tendenz zu einem Fachressort der Friedens- und Sicherheitspolitik, neben anderen Fachressorts, die andere Aspekte der Weltpolitik bearbeiten? Wie kann das AA zu einer Bündelung der komplexen Gesamtheit der auswärtigen Beziehungen und einem Minimum an Kohärenz zwischen den grenzüberschreitenden Politiken beitragen?

Zweitens ergeben sich auch für die Fachressorts aus der zunehmenden internationalen Vernetzung neue Herausforderungen. Die Diplomaten des AA werden zu Recht aufwendig auf ihre Aufgaben in der internationalen Politik vorbereitet: Das Rüstzeug besteht u. a. aus Fremdsprachenkompetenzen, einer Ausbildung in Verhandlungsführung, interkulturellem Know-how sowie profunden Kenntnissen über globale Politik und Völkerrecht. In den Fachressorts ist demgegenüber zwar sektorales Fachwissen vorhanden, über welches das AA nicht verfügt, es mangelt jedoch an einer systematischen Ausbildung für die an Gewicht gewinnenden internationalen Aufgaben.

Drittens wächst mit der Ausdifferenzierung der Außenbeziehungen die Bedeutung und zugleich die Unübersichtlichkeit interministerieller Kooperation und Koordination, um "außenpolitische Kohärenz" zumindest ansatzweise sicherzustellen. Ging es in der Vergangenheit im Kern um Abstimmungsprobleme zwischen AA und BMZ sowie am Rande um die Außenwirtschafts- sowie die Landwirtschaftspolitik, so müssen heute die grenzüberschreitenden Politiken aller Fachressorts berücksichtigt werden. An unterschiedlichsten, häufig zeitaufwendigen Formen des interministeriellen Austausches mangelt es nicht. Doch ein systematisches Schnittstellenmanagement oder ein Grundkonzept der Bündelung deutscher Beiträge zur internationalen Politik lässt sich im dichten Geflecht interministerieller Kommunikationsströme nicht entdecken. Ein Übermaß an Abstimmung im Detail scheint einherzugehen mit fehlender Kontextsteuerung sowie einem Mangel an strategischer Orientierung, Prioritätensetzung sowie gemeinsamer Problemlösungsorientierung zwischen den Ministerien. Die Ausdifferenzierung der Außenbeziehungen ist weitgehend ungesteuert vonstatten gegangen, nun müssen tragfähige Ordnungsstrukturen nachholend entwickelt werden. Das etablierte Instrumentarium von AA und Kanzleramt zur Sicherung der Kohärenz deutscher Außenpolitiken muss den neuen Realitäten angepasst werden.

Viertens sind die Ministerien, die zunehmend in internationale Kontexte hineinwachsen, herausgefordert, vier spannungsgeladene Interdependenzfelder zu managen:

- die bereits angesprochene interministerielle Kooperation sowohl zwischen den Fachressorts als auch zwischen diesen und dem Auswärtigen Amt (und gegebenenfalls dem Kanzleramt);

- die Vernetzungen mit inter- und transnationalen Akteuren in den jeweiligen Politikfeldern;

- die Verknüpfungen zwischen "Innen- und Außenpolitiken" in den Feldern (wie beispielsweise der Klimapolitik oder der Wettbewerbspolitik), in denen Mehrebenenpolitik - also Abstimmungen zwischen lokalen, nationalen, internationalen und globalen Aktivitäten - zunehmend an Bedeutung gewinnt;

- das wichtiger werdende Zusammenspiel zwischen Politik, Gesellschaft, Wirtschaft und Wissenschaft.

Es entstehen also für die Ministerien enorme Steuerungsanforderungen.

Fünftens muss eine der Kernkategorien der internationalen Politik - nämlich der Begriff des "nationalen Interesses" - mit neuem Inhalt gefüllt werden. Während die traditionelle Außen- und Sicherheitspolitik überzeugend argumentieren konnte, dass es ein "nationales Gesamtinteresse" an der Entwicklung friedlicher und partnerschaftlicher Beziehungen zu den Nachbarstaaten und der Sicherung des Friedens in Europa und der Welt gibt, fällt ein solches Ansinnen in anderen Politikfeldern schwer. Die Vorstellungen des deutschen Umweltministeriums zur globalen Klimapolitik unterscheiden sich, völlig unabhängig von der jeweiligen Regierungskonstellation, signifikant von denen des Wirtschaftsministeriums. Und während die einen ihre nationalen und internationalen Bündnispartner in der Community der Umweltforscher und -organisationen suchen, bilden die anderen Allianzen mit der global orientierten Wirtschaftswelt. Die Umweltverbände und -forscher, die sich mit dem Umweltministerium und der internationalen Versicherungswirtschaft zu einer informellen Allianz gegen die Klimaerwärmung zusammenschließen, müssen sich hauptsächlich mit der Phalanx der Energie- und Transportunternehmen und traditionellen Wirtschaftspolitikern auseinandersetzen. Die Vorstellung, dass pluralistische Gesellschaften im Inneren vielfältige Interessenkonflikte zu bewältigen hätten, jedoch in den Außenbeziehungen ein einheitliches "nationales Interesse" existiere, ist obsolet. In der auswärtigen Politik werden zukünftig komplexere Interessenbündel, Zielsysteme und Konfliktfelder zu managen sein als in der übersichtlichen Welt der Außen- und Sicherheitspolitik in den Zeiten des Kalten Krieges .

II. Globale Strukturpolitik - Das BMZ begibt sich auf neues Terrain

Auch die Entwicklungspolitik stellt sich mit ihrer Orientierung auf globale Strukturpolitik einer Herkulesaufgabe und begibt sich auf neues Terrain, jenseits der klassischen Entwicklungskooperation basierend auf der Durchführung von Projekten zur Stärkung der Entwicklungspotentiale in Entwicklungsländern. Die Entwicklungspolitik will nun explizit wirksame Beiträge zur Lösung von Weltproblemen und zur Gestaltung der Globalisierung leisten . Damit wird die tradierte Logik der Nord-Süd-Kooperation, als eines weitgehend von anderen Politikfeldern entkoppelten Bereichs, verlassen. Ähnlich wie das AA steht auch das BMZ vor Weichenstellungen und neuen Herausforderungen.

1. Neue Akteure der Entwicklungspolitik

Zunächst ist das BMZ, das lange eine Art Monopol im Feld der staatlichen Entwicklungszusammenarbeit besaß, mit dem Trend konfrontiert, dass zunehmend auch andere Akteure, wie die Bundesländer und Kommunen, wichtige Beiträge zur deutschen Entwicklungspolitik leisten. Die steigende Zahl von Akteuren in der Entwicklungskooperation bedeutet für das BMZ, zunehmende Koordinationaufgaben zu übernehmen. Neue Koordinationsanforderungen ergeben sich vor allem aus der skizzierten Differenzierungsdynamik in den Außenbeziehungen. Das BMZ beschreibt sein zentrales Aufgabenfeld als "die Mitgestaltung der Verhältnisse in anderen Ländern" (Entwicklungsländern) und grenzt diese Kernaufgabe von den internationalen Aufgaben der Fachressorts ab, die in der Entwicklung bi- und multilateraler fachlicher Normen- und Regelwerke gesehen werden . Doch die Fachressorts spielen in der bilateralen Entwicklungskooperation bereits eine beachtliche Rolle. So führt beispielsweise das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) allein im Mercosur (plus Chile) 220 Kooperationsvorhaben durch . Dieser Trend dürfte sich angesichts der zunehmenden internationalen Aktivitäten der Fachressorts eher verstärken. Und was spricht eigentlich dagegen, dass zukünftig das Fachwissen der Fachressorts in der Zusammenarbeit mit Entwicklungsländern (z. B. in den Bereichen Umwelt, Finanzmarktberatung, Standortpolitik) eine wichtigere Rolle spielt als in der Vergangenheit? Vieles spricht dafür, dass in der Entwicklungszusammenarbeit die Konzentration auf Kooperationsfelder, in denen die "Geber" über für Entwicklungsländer interessante Spezialisierungs- und Erfahrungsvorteile verfügen (z. B. Deutschland in der Umweltpolitik, in Fragen der Dezentralisierung/des Föderalismus; die Niederlande im Bereich von Arbeitsmarkt-, Beschäftigungs- und Qualifizierungspolitiken unter Bedingungen offener Ökonomien; die EU im Feld der Integrationspolitik), zunimmt. Diese Überlegungen sollen kein Plädoyer für eine weitere Zersplitterung der Entwicklungspolitik und noch mehr Einzelmaßnahmen sein. Vielmehr sollten ein engeres Zusammenwirken des BMZ mit anderen Akteuren und auch gemeinsame Initiativen von BMZ und anderen Ressorts zukünftig selbstverständlicher werden.

2. Globale Strukturpolitik erfordert vernetzte Ansätze

Wird das Konzept der Entwicklungspolitik als globaler Strukturpolitik weiterentwickelt und vertieft, so ergibt sich daraus die Notwendigkeit einer dichteren Vernetzung des BMZ mit anderen Ressorts als in Zeiten der klassischen Nord-Süd-Kooperation. Wirkungsvolle globale Strukturpolitik kann das BMZ im Alleingang nicht erfolgreich betreiben. Derzeit werden drei unterschiedliche (durchaus kombinierbare) Varianten globaler Strukturpolitik in der Entwicklungspolitik diskutiert, die alle eine enge Kooperation des BMZ mit anderen Ministerien erforderlich machen:

Globale Strukturpolitik als Mehrebenenpolitik: Die Leitidee ist hier, dass entwicklungspolitische Strategien oft nur dann wirkungsvoll sein können, wenn sie zugleich auf unterschiedlichen Handlungsebenen (lokal bis global) ansetzen. Beispiel: die Stärkung der Wettbewerbsfähigkeit von lokalen agrarindustriellen Klein- und Mittelindustrien (KMI). "Clusters" in Entwicklungsländern ergeben in vielen Fällen nur Sinn, wenn auf der nationalen Ebene zugleich Beiträge geleistet werden, um Strukturen zu verhindern, die KMI gegenüber Großunternehmen systematisch benachteiligen, und auf der Ebene des Welthandelssystems daran mitgewirkt wird, protektionistische Barrieren für agrarbasierte Produkte abzubauen. Entwicklungspolitik soll also nicht mehr nur auf die "Mitgestaltung der Verhältnisse in Ländern", sondern verstärkt auch auf die Mitgestaltung globaler Regelwerke und Organisationen ausgerichtet werden. Es liegt auf der Hand, dass das BMZ zur Beeinflussung internationaler Prozesse und Strukturen erstens entsprechende Kompetenzen innerhalb des Ministeriums entwickeln und zweitens seine Zusammenarbeit mit den Fachressorts systematisch ausbauen muss, die zur Herausbildung globaler Ordnungssysteme maßgeblich beitragen. Interministerielle Kooperation und gemeinsame Problemlösung ist der Schlüssel zum Erfolg globaler Strukturpolitik, denn deutsche Beiträge zur globalen Umweltordnungspolitik werden im Kern vom Umweltministerium (BMU) verantwortet, für die Weltfinanzarchitektur ist das Finanzministerium zuständig, und in Bezug auf die Welthandels- und Wettbewerbsordnung im Rahmen der WTO ist das Wirtschaftsministerium der zentrale Akteur.

Globale Strukturpolitik, verstanden als Mitgestaltung der Verhältnisse in Entwicklungsländern, um deren Fähigkeit, Globalisierungsfolgen zu verarbeiten und Globalisierung selbst mitgestalten zu können, muss gestärkt werden: Hinter diesem Ansatz stehen drei miteinander verzahnte Überlegungen:

- erstens die eher altruistische Idee der Stärkung der Handlungsmöglichkeiten von Entwicklungsländern unter den Bedingungen von Globalisierung;

- zweitens die Erfahrung, dass nationale Entwicklungskrisen und -pathologien (z. B. im südlichen Afrika) oft grenzüberschreitende destabilisierende Wirkungen haben und nationale Entscheidungen von Entwicklungsländern auch globale Probleme verschärfen können (z. B. die klimaschädlichen Energiepolitiken Indiens oder Chinas);

- drittens die Gewissheit, dass die Wirksamkeit deutscher Initiativen zur Lösung globaler Probleme auch davon abhängt, ob es gelingt, Entwicklungsländer in gemeinsame Allianzen auf internationaler Ebene einzubinden - wozu bilaterale Kooperationsprojekte zur Stärkung der Global-Governance-Kompetenz von Partnerregierungen durchaus beitragen können.

Dieser Typus von globaler Strukturpolitik zielt weniger als der Mehrebenenansatz auf die Beeinflussung internationaler und globaler Rahmenbedingungen ab und erfordert daher auf dieser Ebene ein geringeres Maß an interministerieller Abstimmung. Doch in der Logik des skizzierten zweiten und dritten Arguments, das dieser Strategie zugrunde liegt, müsste dieser Ansatz - neben der Kooperation mit leistungsschwachen Entwicklungsländern - vor allem auch auf die Zusammenarbeit mit Ländern ausgerichtet werden, die (durch ihre nationalen Entwicklungswege und/oder als Partner für deutsche Globalpolitik) wirkungsvolle Beiträge zur Lösung globaler Probleme leisten könnten. Dies wären nicht zuletzt die Schwellenländer, ohne deren Kooperationswillen nahezu kein Weltproblem gelöst werden kann. An diesem Punkt würde die interministerielle Kooperation erneut an Bedeutung gewinnen, denn es spricht vieles dafür, dass gerade in der Kooperation mit fortgeschrittenen Ländern die Einbeziehung des sektoralen Know-hows unterschiedlichster Fachressorts von großer Bedeutung wäre (z. B. in der energie-, wirtschafts- oder technologiepolitischen Zusammenarbeit) . Vor dem Hintergrund dieser Argumentation wird auch deutlich, dass z. B. die Auswahl der Schwerpunktländer deutscher Entwicklungspolitik Auswirkungen auf die Spielräume der Gesamtheit der deutschen Politiken zur Gestaltung der Globalisierung hat. Die kritische Frage, ob die Schwerpunktländer des BMZ in Lateinamerika (Bolivien, El Salvador, Honduras, Nicaragua, Peru) die strategischen Partner Deutschlands zur Lösung globaler Probleme sind, darf gestellt werden.

Globale Strukturpolitik, die vor allem Beiträge zur Lösung zentraler Weltprobleme leistet (Global Public Goods) : Aus dieser Perspektive sollte sich die Entwicklungspolitik auf die Bearbeitung zentraler globaler Probleme konzentrieren, welche die Entwicklungschancen von Entwicklungsländern massiv beeinflussen (z. B. Verschuldungsproblem, Instabilität internationaler Finanzmärkte, Agrarprotektionismus), bzw. auf globale Herausforderungen ausgerichtet werden, die nur durch Kooperation zwischen Industrie- und Entwicklungsländern gelöst werden können (z. B. Klimakrise, Biodiversitätsproblem, Stabilität der WTO). Auch dieser Ansatz globaler Strukturpolitik kann nur Wirkung zeigen, wenn er auf Verbundlösungen zwischen den Ministerien basiert. Welches die zentralen Weltprobleme sind, zu deren Lösung deutsche Politik beitragen will (und kann), sollte von der Gesamtheit der Bundesregierung beantwortet und vom AA international kommuniziert werden. Zudem kann die Bearbeitung spezifischer globaler Probleme nur wirkungsvoll sein, wenn sich die Politiken unterschiedlicher Ressorts ergänzen: In der Verschuldungsproblematik und Fragen der internationalen Finanzarchitektur lässt sich ohne das Finanzministerium wenig bewegen; für den Bereich der Klimapolitik geht es um Bündnisse mit dem Umwelt-, aber auch dem Bildungs- und Forschungsministerium usw.

Unabhängig von den jeweiligen Schwerpunktsetzungen in den drei skizzierten Ansätzen globaler Strukturpolitik wird deutlich, dass der Anspruch der Entwicklungspolitik, zur Lösung globaler Probleme und zur Gestaltung der Globalisierung beitragen zu wollen, das BMZ aus seiner Nische der Projektarbeit in einer Vielzahl von Ländern, fernab der Interessen der anderen Ressorts, herausholt. Die Zusammenarbeit mit den Fachministerien, dem AA und dem Kanzleramt rückt in das Zentrum der Entwicklungspolitik, denn globale Strukturpolitik ist nur durch Zusammenarbeit der Ministerien möglich. Neben seinen Eigenmaßnahmen zur Stärkung endogener Potenziale von Entwicklungsländern kommen dem BMZ zudem Aufgaben als Koordinator und Integrator diverser Beiträge zur deutschen Entwicklungspolitik zu. Dabei müssen einerseits Konflikte ausgetragen und gelöst werden (z. B. wenn es um die protektionistische Agrarpolitik der EU geht), andererseits gewinnt die Entwicklungspolitik, als ein wichtiger Baustein zur Gestaltung von Globalisierungsprozessen, an Relevanz und damit auch an Verhandlungsmacht - denn ohne oder gegen die Entwicklungsländer ist die Mehrzahl der Weltprobleme nicht zu lösen.

3. Neue Kompetenzen müssen aufgebaut werden

Das BMZ verfügt über große Routine und Kompetenz im Bereich der Projektentwicklung und -steuerung. Die Orientierung auf globale Strukturpolitik verlangt den Aufbau neuer Kompetenzen. Erstens muss die Fähigkeit zum professionellen Projektmanagement durch die Herausbildung von Policy-Kompetenz ergänzt werden, da beispielsweise "klassische Umweltprojekte" zunehmend an Bedeutung verlieren und zukünftig verstärkt Umweltpolitiken auf lokaler, nationaler und globaler Ebene vernetzt werden sollen. Zweitens gewinnt die Rückbindung der Entwicklungspolitik an das deutsche Wirtschafts-, Technologie-, Innovations- und Wissenssystem an Bedeutung, um "deutsche Stärken" in die Internationale Kooperation einzubringen. Drittens müssen ganz neue Kompetenzen entwickelt werden, die in der Vergangenheit kaum eine Rolle spielten, wenn internationale Strukturen und Prozesse tatsächlich wirksam beeinflusst oder gar mit gestaltet werden sollen. Bisher sind die personellen Kapazitäten, die darauf ausgerichtet sind, sich mit den Entwicklungen z. B. der WTO, des internationalen Finanzsystems, der globalen Umweltpolitiken und selbst der Weltbank und des IWF zu beschäftigen, außerordentlich gering. Dies gilt ganz sicher, wenn es darum geht, komplexe globale Strukturen und Prozesse wirkungsvoll beeinflussen zu können. In einigen Feldern sind die Kapazitäten gar zu gering, um in nationalen interministeriellen Netzwerken, in denen deutsche Beiträge zur Gestaltung der Globalisierung vorbereiten werden, wirkungsvoll mitarbeiten zu können.

4. Kooperation mit Wissenschaft wird wichtiger

Der Übergang von der projektorientierten Zusammenarbeit zur globalen Strukturpolitik kann nur auf der Grundlage einer engeren Kooperation zwischen Entwicklungspolitik und Wissenschaft gelingen. Die neuen "Wissenspools", auf denen globale Strukturpolitik aufbauen muss, können nur begrenzt durch den Aufbau entsprechender personeller Ressourcen im BMZ geschaffen werden. Entscheidend ist das Schnittstellenmanagement zwischen Ministerium und Wissenschaft (und anderen gesellschaftlichen Akteuren wie Wirtschaft und NGOs), um bereits produziertes Wissen rasch für die Politik nutzbar zu machen. Interessant sind z. B. Erfahrungen in der englischen Entwicklungspolitik. Das für die Entwicklungskooperation zuständige "Department for International Development" (DFID) hat in den vergangenen Jahren in drei wichtigen Feldern viel versprechende Formen der politikorientierten Zusammenarbeit zwischen Ministerien und Wissenschaft erprobt. Alle drei Fälle waren darauf ausgerichtet, eine gemeinsame Problemlösungsorientierung der beteiligten Ministerien zu erreichen, die britische (und darüber hinaus die internationale) Forschung für die Formulierung tragfähiger Politikreformen zu mobilisieren (z. B. durch Aufbau politikorientierter task forces, in denen Wissenschaftler und Mitarbeiter der Ministerien auf Zeit zusammenarbeiten), die britische Entwicklungsforschung dabei zu unterstützen, in ausgewählten Feldern internationales Spitzenniveau zu erreichen und globale Reformdebatten anzuführen, sowie durch den Verbund zwischen Politik und Wissenschaft internationale Reformprozesse wirkungsvoll beeinflussen und mit gestalten zu können (Agenda-Setting-Macht).

Nach diesem Muster engagierte sich die englische Regierung in den vergangenen Jahren im Kontext der Debatten zur Reform der Weltbank sehr zielstrebig. Ein zweites Beispiel ist der Aufbau eines vom DFID finanzierten Forschungsnetzwerkes "Globalization and Poverty", um den Anspruch der britischen Regierung, wirkungsvolle entwicklungspolitische Beiträge zur Reduktion der weltweiten Artmut zu leisten, zu untermauern . In drei Forschungsfeldern und dreizehn aufeinander bezogenen und vernetzten Forschungsprojekten werden in den kommenden drei Jahren politikorientierte Studien erstellt, um die internationale Diskussion über erfolgreiche Formen der Armutsbekämpfung unter Bedingungen der Globalisierung voranzutreiben und entsprechende Reformen der britischen und der internationalen Entwicklungspolitik anzuschieben. Parallel zu diesen Aktivitäten hat das DFID derzeit drittens sechs Forschungszentren zu zentralen Fragen der Gestaltung der Globalisierung ausgeschrieben (z. B. das Centre for the Study of the Future State; Centre for New and Emerging Markets; Centre for Regulation and Competition), um auch auf dem Feld der Herausbildung von Global-Governance-Strukturen international wirkungsvoll mitspielen zu können. Die Zentren werden im Verlauf des Jahres 2001 zu arbeiten beginnen, für fünf Jahre mit Forschungsmitteln ausgestattet sein und sind verpflichtet, internationale Forschungsteams und -kooperation aufzubauen. Alle drei Beispiele von Partnerschaften zwischen Entwicklungspolitik und Wissenschaft sind interessante Beiträge zur globalen Strukturpolitik und veranschaulichen den Trend in Richtung zunehmender Wissensbasierung in der internationalen Politik.

5. Ministerienübergreifende Programme zur Gestaltung der Globalisierung

Zur Gestaltung der Globalisierung, so die These, könnten vor allem ministerienübergreifende Programme beitragen. Diese Sicht soll an zwei Beispielen exemplifiziert werden.

Schwellenländer-Initiative: In den deutschen Außenbeziehungen sind die Kooperationsnetzwerke mit den Industrieländern (im Rahmen der OECD, der G-7/8, der EU, der transatlantischen Beziehungen usw.) dicht geknüpft. Auch die Zusammenarbeit mit Entwicklungsländern ist - vor allem über die Entwicklungspolitik des BMZ - ein zentraler Eckstein deutscher Außenbeziehungen. Eine Kooperationslücke besteht in Bezug auf die Schwellenländer, die noch nicht in die Kooperationsstrukturen der OECD-Welt integriert sind und zugleich aus den Formen der klassischen Entwicklungszusammenarbeit "herauswachsen". Die Schwellenländer sind jedoch aus der Perspektive globaler Strukturpolitik zentrale Akteure, von denen die Stabilität und Dynamik der Weltwirtschaft und -politik sowie die Zukunft des globalen Ökosystems entscheidend mitgeprägt werden. Denkbar wäre daher eine "Schwellenländer-Initiative" der deutschen Regierung, z. B. um "umweltverträgliche Formen der Energie- und Wirtschaftspolitik" in dieser für die Zukunft der Weltwirtschaft und -ökologie relevanten Ländergruppe nachhaltig zu stärken. Auch sind umfassende Dialog- und Austauschprogramme wichtig, um gemeinsame Interessen und die Grundlagen für eine Kultur gemeinsamer Problemlösung in einer global vernetzten Welt zu stärken. Statt einer Vielzahl von unkoordinierten Einzelmaßnahmen diverser Ministerien käme es auf komplementäre und verzahnte Initiativen von z. B. BMZ, AA, dem Umwelt-, dem Wirtschafts- sowie dem Bildungs- und Forschungsministerium an, um durch Bündelung von Aktivitäten Wirkung zu erzielen und den Stellenwert der Zusammenarbeit mit dieser Gruppe sichtbar zu machen.

Initiative nachhaltiges Wirtschaften und globale Klimapolitik in der Entwicklungszusammenarbeit: Im Sinne globaler Strukturpolitik als Mehrebenenpolitik könnte es sinnvoll sein, die Aktivitäten von BMZ, BMU, BMBF und AA im Bereich der Klimapolitik sowie Ansätze zur Stärkung nachhaltigen Wirtschaftens in Entwicklungsländern aufeinander zu beziehen, um Synergieeffekte zu erzielen und einen fühlbaren und sichtbaren deutschen Beitrag in diesem wichtigen Feld der Globalpolitik zu leisten. Bisher kaum vernetzte Initiativen könnten wirkungsvoll aufeinander bezogen werden: Das BMZ unterstützt in einer Vielzahl von bilateralen Projekten Erfolg versprechende Ansätze nachhaltigen Wirtschaftens. Das BMBF betreibt ebenfalls in einer Reihe von Entwicklungsländern umweltorientierte Technologiepartnerschaften; zu-dem investiert es allein im Jahr 2001 knapp 400 Millionen DM in Forschungsvorhaben zum Thema "Umweltgerechte nachhaltige Entwicklung", in denen explizit globale Zusammenhänge im Zentrum stehen. Mit dem "Beirat der Bundesregierung Globale Umweltveränderungen" steht dem BMU und dem BMBF ein hochkarätiger wissenschaftlicher think tank zur Verfügung. Das BMU ist für die globalen Klimaverhandlungen zuständig, und das AA verfügt über das Instrumentarium, um deutsche Beiträge zur Gestaltung der Globalisierung weltweit zu kommunizieren und sichtbar zu machen. Gelänge es, diese bereits existierenden Module zu einem Programm zu verdichten, könnte mit identischem Mitteleinsatz eine deutlich größere Wirkung erzielt werden.

III. Global-Governance-Konzept der Bundesregierung gefordert

Globale Strukturpolitik, deutsche Beiträge zu Global Governance und die Kohärenz der Außenpolitiken gehen also, so lässt sich die bisherige Argumentation zusammenfassen, nicht nur das AA und das BMZ etwas an, sondern stellen die Bundesregierung und die Gesamtheit der Ministerien vor enorme Herausforderungen. In einer globalisierten Welt wird die Bedeutung internationaler Kooperation in allen Politikfeldern steigen. Notwendig wäre daher ein Global-Governance-Konzept der Bundesregierung, um sichtbar zu machen, wie die deutschen Antworten auf die Globalisierung in unterschiedlichen Politikfeldern aussehen könnten. Weiter wäre zu klären, welche spezifischen Beiträge das BMZ in diesem neuen Rahmen leisten könnte und welche neue Rolle dem AA unter diesen Bedingungen zukäme. Bei der Sicht auf das Gesamtpanorama der deutschen Außenbeziehungen lassen sich fünf Schritte benennen, um die Wirksamkeit deutscher Außenpolitik(en) zu verbessern:

Erstens wäre ein Gesamtüberblick über die bereits existierenden internationalen Aktivitäten aller Bundesministerien notwendig, denn nur Bekanntes lässt sich koordinieren. Hiermit verbunden wäre, zur Kenntnis zu nehmen, dass die tradierte Vorstellung von der klaren Trennung in Innen- und Außenpolitik obsolet ist und daraus institutionelle Reformnotwendigkeiten resultieren.

Zweitens gilt es, unabhängig vom konkreten Zuschnitt der Ministerien, eine Kooperationskultur zwischen den Ressorts zu entwickeln und die traditionelle Zuständigkeits- und zuweilen gar Abgrenzungskultur sowie die damit verbundenen Alleinvertretungsansprüche von Ministerien aufzubrechen, denn eine Vielzahl globaler Probleme sind a priori nur durch konstruktives Zusammenwirken und eine gemeinsame Orientierung unterschiedlicher Politikbereiche lösbar.

Drittens gilt es, Prioritäten deutscher Beiträge zu Global Governance und internationaler Politik zu klären, um Aktivitäten bündeln und Wirkung erzielen zu können. Was sind aus Sicht der Bundesregierung die zentralen globalen Herausforderungen der kommenden zwei Dekaden? Welche Interessen sind aus deutscher Perspektive vor diesem Hintergrund zentral, wichtig oder weniger wichtig? In welche Richtung sollen internationale Prozesse (z. B. die internationale Weltwirtschaftsordnung, die Reform internationaler Organisationen) beeinflusst werden, und wo sind die Mittel, um entsprechende Gestaltungsspielräume auszuweiten? Welche Partner sind zur wirksamen Beeinflussung der internationalen Politik wichtig? Die Enquete-Kommission des Deutschen Bundestages "Globalisierung und Weltwirtschaft - Herausforderungen und Antworten" kann wichtige Anstöße zur Beantwortung dieser Fragen geben.

Viertens kann es in einem solchen Prozess der Neuorientierung sinnvoll sein, über den Neuzuschnitt von Ministerien nachzudenken.

Fünftens können deutsche Außenpolitik und Beiträge zu Global Governance letztlich nur im Kontext der entstehenden gemeinsamen europäischen Außenpolitik wirkungsvoll zur Geltung gebracht werden. Institutionelle und konzeptionelle Antworten auf die Herausforderungen der Globalisierung müssen demnach auf deutscher und europäischer Ebene zugleich in Gang gesetzt werden .

Die entscheidenden Grundlagen der Macht in der neuen Weltpolitik bilden, wie Ernst-Otto Czempiel in seinen Überlegungen zur "Klugen Macht" in der Außenpolitik des 21. Jahrhunderts überzeugend zeigt, Informationen, Wissen und die Fähigkeit, Kooperation zu organisieren. Wer die Problemkonstellationen der Zukunft erkennt und seine Partner dazu veranlasst, sie in einer spezifischen Weise zu interpretieren und zu behandeln, verfügt über bedeutende Macht. Der Export von global wirksamen Ideen, Orientierungen und Leitbildern ist daher eine wesentliche Machtquelle. Wirkungsvolle Definitions- und Konsensmacht ist darauf ausgerichtet, zu klären und vorzugeben, was zentrale Probleme sind, in welche Richtung Lösungen gesucht werden müssen und wie Konflikte vermieden oder bearbeitet werden können. Sie schafft damit einen gemeinsamen Rahmen und Leitbilder, welche die Situationsdeutung harmonisieren, und zielt darauf ab, Ergebniskontrolle sowie die Mobilisierung und Koordination von Kooperation zu verbinden. In einer immer stärker vernetzten Welt, in der die Steuerungsressourcen zur Lösung gemeinsamer Probleme immer breiter gestreut sind, gewinnt die Macht, Problemkonstellationen und Lösungswege zu definieren sowie Konsens und Kooperation in eine vorgezeichnete Richtung zu organisieren und so zukünftige Handlungsmuster zu beeinflussen, stark an Bedeutung. Joseph Nye verweist auf diese Zusammenhänge, wenn er in einem Interview in der El Pais zum Thema "soft power" und Global Governance vom 4. Februar 2001 darauf hinweist, dass sein Forschungsinstitut (die John F. Kennedy School of Government/Harvard) über mehr Mitarbeiter und einen höheren Haushalt verfüge als z. B. die WTO.

Macht basiert im 21. Jahrhundert also nicht mehr auf der Beherrschung großer Territorien und nur sekundär auf Gewaltandrohung oder der Höhe der Rüstungsetats, sondern primär auf der strategischen, organisatorischen, wissensbasierten und auf gemeinsame Problemlösung ausgerichteten Kompetenz, komplexe Interaktionen zu steuern, Kooperation zu organisieren und durch Strukturbildung die Richtung des Wandels aktiv und zielorientiert (mit) zu gestalten. Aus dieser Perspektive lassen sich politikrelevante Schlussfolgerungen ziehen, beispielsweise, dass Deutschland und die EU in den Feldern Wissenschaft, Bildung, Spitzenforschung, globales Agenda-Setting und Aufbau weltpolitischer Kompetenz Nachholbedarf haben. In Deutschland arbeiten 200 bis 300 wissenschaftliche Politikberater im weiten Feld der Außen-, Sicherheits- und Entwicklungspolitik, in den USA sind es mehr als 10 000. Die weltpolitische Macht der USA basiert nicht nur - nicht einmal im Kern - auf ihrer militärischen Stärke : Die Nachrichten über das, was in der Welt passiert, erreichen uns über CNN, das Wall Street Journal, die Herald Tribune und Newsweek. Die besten Universitäten der Welt, die global wirksame Interpretationsmuster produzieren, sind US-amerikanisch, und sie ziehen die jungen Eliten der gesamten Welt an. Die US-amerikanischen think tanks und Zeitschriften wie Foreign Affairs, Foreign Policy und National Interest setzen global die Orientierungsmarken der außenpolitischen Diskussion. Die Lehrbücher, nach denen zukünftige Ökonomen, Manager und Experten für Weltpolitik und -wirtschaft studieren, sind überwiegend US-amerikanisch. Zudem spricht und lernt die Welt Englisch. Die deutschen und europäischen Debatten um Global Governance, GASP und neue Anforderungen in der Weltpolitik müssen sich diesen zentralen Herausforderungen widmen.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Dirk Messner, Ist Außenpolitik noch Außenpolitik . . .und was ist eigentlich Innenpolitik?, in: PROKLA. Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft, (2000) 118, S. 123-151.

  2. Vgl. Jürgen Habermas, Die Postnationale Konstellation, Frankfurt/M. 1998; Richard N. Haass, What to Do With American Primacy, in: Foreign Affairs, (1999) 5, S. 37-49; Dirk Messner/Franz Nuscheler, Strukturen und Trends der Weltpolitik, in: Ingomar Hauchler/Dirk Messner/Franz Nuscheler, Globale Trends 2000, Frankfurt/M. 1999, S. 371-398; Dieter Senghaas, Wohin driftet die Welt? Über die Zukunft friedlicher Koexistenz, Frankfurt/M. 1994.

  3. Theodore J. Lowi, American Business, Public Policy, Case Studies, and Political Theory, in: World Politics, (1964) 4, S. 689.

  4. Vgl. Walter Eberlei/Christoph Weller, Deutsche Ministerien als Akteure von Global Governance?, INEF-Report 51, Duisburg 2001.

  5. Vgl. Lisette Andreae/Karl Kaiser, Die "Außenpolitik" der Fachministerien, in: Wolf-Dieter Eberwein/Karl Kaiser (Hrsg.), Deutschlands neue Außenpolitik, Band 4: Institutionen und Ressourcen, München 1998, S. 29-46.

  6. Vgl. Joseph S. Nye, Redefining the National Interest, in: Foreign Affairs, (Juli/August 1999), S. 22-35.

  7. Vgl. Heidemarie Wieczorek-Zeul, Aufgaben und Ziele Globaler Strukturpolitik im 21. Jahrhundert, in: Joachim Betz/Stefan Brüne (Hrsg.), Jahrbuch Dritte Welt 2000, München 1999, S. 20-38; Adolf Kloke-Lesch, Mitgestalten in anderen Ländern. Die Funktionen von Entwicklungspolitik im Rahmen von Global Governance, in: epd-Entwicklungspolitik, (2000) 14/15, S. 32-37; Ricardo Gómez, Globale Strukturpolitik und Technische Zusammenarbeit, in: Entwicklung und Zusammenarbeit (E+Z), (2001) 2, S. 51-54.

  8. Vgl. A. Kloke-Lesch, ebd., S. 34.

  9. Vgl. Klaus Eßer, Globalisierung, Regionalisierung und interregionale Beziehungen. Anforderungen an den MERCOSUR und eine EU-MERCOSUR-Partnerschaft, Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE), Berlin 2000, S. 48.

  10. Vgl. Andreas Stamm, Der aktuelle und potentielle Beitrag Deutschlands zur technologischen Leistungsfähigkeit der Länder Lateinamerikas, in: Tilman Altenburg/Dirk Messner (Hrsg.), Wettbewerbsfähiges Lateinamerika, DIE, Bonn 2001 (i. E.)

  11. Vgl. Inge Kaul u. a. (Hrsg.), Global Public Goods. International Cooperation in the 21st Century, New York-Oxford 1999.

  12. Vgl. www.gapresearch.org.

  13. Klaus Eßer zählt China, Brasilien, Russland, Indien, Mexiko, Argentinien, Indonesien, die Türkei, Thailand, Südafrika und Malaysia zur Gruppe der Schwellenländer. Auf diese entfallen 62 Prozent der Bevölkerung der Entwicklungsländer und 52 Prozent der Weltbevölkerung sowie 69 Prozent des BSP der Entwicklungsländer. Diese Ländergruppe verursacht 80 Prozent aller COé2é-Emissionen der Entwicklungsländer, mit stark steigender Tendenz. Gut 70 Prozent der Armen der Welt (Einkommen bis zu 1 US-Dollar pro Kopf) leben in den Schwellenländern, vgl. ders., Partnerschaft mit Schwellenländern. Aufgaben der Entwicklungspolitik, DIE, Berlin 1999.

  14. Vgl. Dirk Messner, Kooperative Weltmacht. Die Zukunft der EU in der neuen Weltpolitik, in: Internationale Politik und Gesellschaft, (2001) 1, S. 26-39.

  15. Vgl. Ernst-Otto Czempiel, Kluge Macht. Außenpolitik für das 21. Jahrhundert, München 1999, S. 99 ff.

  16. Vgl. Konrad Seitz, Der Wettlauf ins 21. Jahrhundert, Berlin 1998, S. 176.

Dr. rer. pol., geb. 1962; wissenschaftlicher Geschäftsführer des Instituts für Entwicklung und Frieden (INEF) an der Universität Duisburg.

Anschrift: INEF, Geibelstr. 41, 47057 Duisburg.
E-Mail: messner@uni-duisburg.de

Veröffentlichungen u. a.: Die Netzwerkgesellschaft. Wirtschaftliche Entwicklung und Internationale Wettbewerbsfähigkeit als Probleme gesellschaftlicher Steuerung, Köln 1995; (Mithrsg.) Globale Trends. Fakten, Analysen, Prognosen, Frankfurt/M. (erscheint im Zweijahresrythmus).