I. Einleitung
Die Instrumente friedlicher Streitbeilegung, wie sie in der Charta der Vereinten Nationen (VN) vorgesehen sind, sind für die Befriedung zwischenstaatlicher Konflikte ausgelegt. Die Auseinandersetzung mit innerstaatlichen Konflikten stellt eine rechtliche und konzeptionelle Herausforderung dar, zumal es sich hierbei oft um lang anhaltende, komplizierte Konflikte handelt. Mit der "Agenda für den Frieden" stellte sich der damalige Generalsekretär der Vereinten Nationen Boutros Boutros-Ghali jener Herausforderung und entwickelte ein System der Konflikbearbeitung, welches sowohl zivile als auch militärische Mittel beinhaltet und das vier Kategorien umfasst: 1. Vorbeugung, 2. Friedensschaffung (d. h. Maßnahmen, die zu einer vertraglichen Einigung führen sollen wie beispielsweise einem Waffenstillstand oder einem umfassenden Abkommen), 3. Friedenssicherung (Peacekeeping) durch die militärische Überwachung von Waffenstillständen und 4. Friedenskonsolidierung (Peacebuilding), welche die Schaffung gesellschaftlicher und politischer Bedingungen eines dauerhaften Friedens beinhaltet
Ein breites Spektrum unterschiedlicher Akteure engagiert sich heute im Bereich Konfliktbearbeitung. Dabei handelt es sich um:
- Staaten, zwischenstaatliche Organisationen (VN, die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) etc). und supranationale Organisationen wie die Europäische Union (EU);
- Entwicklungs- und humanitäre Hilfsorganisationen;
- Internationale (externe) und lokale (interne) Nichtregierungsorganisationen (NRO), die sich auf eine direkte Konfliktbearbeitung spezialisiert haben.
Es gilt daher, das Feld der Akteure einzugrenzen. Im Mittelpunkt dieses Artikels stehen jene externen und internen gesellschaftlichen Akteure, die eine spezifische Ausrichtung auf den Konflikt anstreben. Insbesondere werden handlungserweiternde und -beengende Konsequenzen der Netzwerkbildung mit staatlichen und quasistaatlichen Akteuren diskutiert. Es wird argumentiert, dass eine finanzielle wie politische Förderstruktur, die unter dem Primat der Komplementarität gesellschaftlicher Akteure gegenüber staatlichen Ansätzen der Konfliktbearbeitung erfolgt, wichtige Handlungspotenziale verschenkt.
II. Grundbegriffe
Modelle ziviler Konfliktbearbeitung basieren zumeist auf der Überzeugung, dass Konflikte ein integraler Bestandteil menschlichen Handelns sind und folglich einen wichtigen Motor für sozialen Wandel darstellen. Daher ist nicht der Konflikt an sich, sondern dessen gewaltsame Austragung problematisch. Nichtmilitärische und gewaltfreie Formen der Auseinandersetzung sind somit die vornehmste Qualität einer zivilen Konfliktbearbeitung. Das primäre Ziel ist keine "Konfliktprävention", sondern vielmehr eine Gewaltprävention
Der Konfliktbegriff ist vielfältig und schillernd. Von einem Konflikt kann gesprochen werden, wenn zwischen zwei oder mehr Parteien - wobei es sich um Personen, Gruppen oder Staaten handeln kann - eine Situation eintritt, in der mindestens eine Partei einen Gegensatz in Bezug auf ihre Interessen, Bedürfnisse oder Ziele wahrnimmt und sich bei der Realisierung derselben durch die andere(n) Partei(en) beeinträchtigt fühlt. Somit stellt nicht der Gegensatz an sich oder die Wahrnehmung eines solchen einen Konflikt dar, sondern das Handeln im Geiste des Gegensatzes
Die "Austragung" des Konfliktes bezeichnet im Allgemeinen den gesamten Prozess der konflikthaften Auseinandersetzung, während der Begriff der "Konfliktbearbeitung" eine von außen eingebrachte (Mit-)Gestaltung der Konfliktaustragung durch neutrale "Drittparteien" andeutet. Dabei kann es sich sowohl um inländische (interne) als auch ausländische (externe) Akteure handeln, die versuchen, den Prozess der Austragung in "konstruktive" oder "zivile" Bahnen zu lenken.
III. Die herausragende Stellung von Nichtregierungsorganisationen
Obwohl interne wie externe Akteure in ihrer Bedeutung für eine erfolgreiche Konflikttransformation oft gleichberechtigt genannt werden, ist der Diskurs faktisch stark durch den Fokus auf ausländische Nichtregierungsorganisationen (NRO) geprägt. Dies hat seine Gründe darin, dass der Gegensatz zwischen ethnopolitischen Parteien als so tief greifend gilt, dass eine Deeskalation des Konfliktes nur durch neutrale Dritte möglich erscheint
In den Überlegungen zur zivilen Konfliktbearbeitung nehmen NRO eine herausragende Stellung ein
Bei genauer Betrachtung der Bedingungen in Konfliktgebieten wird jedoch deutlich, dass Generalisierungen über spezifische Vor- oder Nachteile gesellschaftlicher Akteure nicht immer möglich sind. Die Annahme beispielsweise, dass NRO nicht von den für staatliche Akteure charakteristischen Souveränitätsvorbehalten betroffen seien, ist vor allem im Hinblick auf ihre Handlungsfähigkeit in ethnopolitischen Konflikten relevant, da diese oftmals auch eine Auseinandersetzung um staatliche Anerkennung sind. Die Konflikte im Baskenland, Korsika, Zypern, Georgien, Tschetschenien und Kosovo sind nur einige europäische Beispiele akuter Konflikte hierfür.
Empirische Forschung am Beispiel des Zypernkonfliktes zeigt jedoch, dass "Souveränitätsvorbehalte" auch für gesellschaftliche Akteure von großer Relevanz sind
Dieses Beispiel zeigt, wie Verhandlungspositionen auf der staatlichen Ebene die Handlungsspielräume vermittelnder - in diesem Fall - gesellschaftlicher Akteure einschränken. Der Fall macht ebenfalls deutlich, dass nicht nur staatliche Akteure durch Souveränitätsvorbehalte in ihrer Tätigkeit eingeschränkt werden können, sondern auch nichtstaatliche. Von einer pauschalen größeren Handlungsfähigkeit von NRO im Hinblick auf Fragen der Anerkennung oder Souveränität zu sprechen erscheint nicht plausibel. Es stellt sich daher für jeden in einem Konflikt operierenden Akteur immer wieder von neuem die Frage, welche für den Konflikt relevanten Themen das politische und gesellschaftliche Umfeld prägen, welche handlungsbeschränkenden Konzepte existieren und wie weit das eigene Handlungsspektrum reicht.
IV. Konfliktphasen und Formen ihrer Bearbeitung
Die Formen und Methoden ziviler Konfliktbearbeitung werden von vielen Praktikern und Autoren in Beziehung zu den Phasen des Konfliktes gestellt. Norbert Ropers differenziert zwischen vier Phasen: 1. Konfliktlatenz, 2. konfrontative Konfliktaustragung, 3. gewaltsame Konfliktaustragung und 4. der Nachkriegskonfliktbearbeitung
1. Phase der Konfliktlatenz
Die Phase der Konfliktlatenz beinhaltet Versuche, alle Parteien durch Beobachtung der Menschenrechte oder durch die Propagierung von Minderheitenschutzregelungen zu stärken. Dies kann auch Schutzmaßnahmen für die in einem sich formierenden Konflikt unterlegene Partei bedeuten bzw. deren "Ermächtigung". Interventionen ziviler Konfliktbearbeitung zielen jedoch auch immer darauf, die dominierende Seite mit einzubeziehen. Letztlich gilt es, bei allen beteiligten Parteien die Kapazitäten für eine konstruktive Konfliktbearbeitung - sei es durch die Propagierung von gewaltfreien Strategien, das Training von Verhandlungstechniken oder die Förderung einer demokratischen Medienkultur - zu erhöhen
2. Phase konfrontativer Konfliktaustragung
Die Phase konfrontativer Konfliktaustragung ist stark von gesprächs- und verhandlungsorientierten Interventionen geprägt. Das heißt, die intervenierenden Drittparteien bemühen sich, Verhandlungen und Treffen zwischen den Parteien zu initiieren, und sorgen durch die geeigneten Verhandlungsbedingungen (Gute Dienste) oder in der Rolle des Mediators oder Förderers für einen konstruktiven Dialog. Eine Reihe von NRO haben sich in den letzten Jahren darauf spezialisiert, im weitesten Sinne die Kommunikation zwischen den Konfliktparteien sicherzustellen und diese möglichst konstruktiv zu gestalten. Derartige Ansätze stehen in der Tradition der "Alternativen Streitbeilegung", welche in den sechziger Jahren ihren Ausgang in den USA nahm und die in ihrem Kern auf selbstbestimmte Formen der innergesellschaftlichen Streitbeilegung zielt.
Ein Merkmal dieser Formen ziviler Konfliktbearbeitung ist die Differenzierung zwischen Positionen und den dahinter stehenden Interessen
Darüber hinaus beinhaltet zivile Konfliktbearbeitung noch ein weiteres Merkmal. Die Konfliktakteure nehmen eine Geisteshaltung ein, welche den anderen nicht als zu besiegenden "Gegner" klassifiziert, sondern als "Partner", dessen Interessen ebenfalls Berücksichtigung finden sollten. Das Denken und Handeln in Sieg-Sieg-Kategorien, d. h. das Streben nach Lösungen, welche die Interessen der anderen Seite mit berücksichtigen (inklusive Lösung), ist gewissermaßen das Herzstück ziviler Konfliktbearbeitung. Damit ist der Prozess der Konfliktaustragung genauso bedeutsam wie das Ergebnis.
Dialog- und verhandlungsorientierte Ansätze der Konfliktbearbeitung haben oftmals verschiedene Zielgruppen und unterschiedliche Methoden. Während einige Akteure zwischen hochrangigen politischen Entscheidungsträgern vermitteln und vor allem die Erlangung eines Verhandlungsergebnisses anstreben ("Konfliktregelungs"-Ansätze), stehen im Mittelpunkt von "Konfliktlösungs-" Ansätzen (Conflict Resolution Approaches) die Repräsentanten der zivilgesellschaftlichen Institutionen. Hinzu kommt, dass "Konfliktlösungs"-Ansätze der Verbesserung der Beziehung zwischen den Konfliktparteien eine vitale Bedeutung für die Erlangung einer Verhandlungslösung beimessen. Dahinter steht die Überzeugung, dass es nicht ausreicht, die Interessen der Parteien zu analysieren, sondern dass auch ihre Grundbedürfnisse nach Sicherheit, Identität, Anerkennung und politischer Partizipation zu berücksichtigen und zu befriedigen sind
Das charakteristische Instrument dieses Ansatzes ist der "Conflict Resolution Workshop". Dabei handelt es sich um Workshops mit Teilnehmern aus den Konfliktgruppen, die in einer Mischung aus Lehre, Kommunikationstraining und angeleiteten Übungen zu einem offenen Dialog über ihre Interessen und Bedürfnisse geführt werden sollen. Letztlich sollen die Teilnehmer die Schritte Zuhören - Verstehen - Anerkennen durchlaufen und so einen tiefen Einblick in die Gedankenwelt der "anderen Konfliktpartei" erhalten. "Anerkennen" bedeutet in diesem Zusammenhang immer, ein Verständnis für die Haltungen der Gegenseite zu entwickeln, ohne dass dieses Zustimmung bedeuten muss. Die Respektierung der anderen Seite gilt als eine Voraussetzung für die Bereitschaft, sich auf eine gemeinsame Problemlösung einzulassen.
Vor allem im angelsächsischen Raum haben sich verschiedene Konfliktlösungsansätze herausgebildet, die sich in den Details ihrer Didaktik, Methodologie und Zielgruppenwahl unterscheiden
3. Phase der gewaltsamen Konfliktaustragung
Die Entfaltung von Aktivitäten in der Phase gewaltsamer Konfliktaustragung stellt für gesellschaftliche Akteure eine besondere Herausforderung dar. Dies gilt insbesondere für die beschriebenen dialogorientierten Ansätze. Die Möglichkeit, dass Konfliktparteien Gewalt als ein rational-strategisches Konzept zur Erlangung politischer Ziele verwenden, wird innerhalb dieser Schulen nur unzureichend thematisiert. Vielmehr liegt ihnen der Glaube zugrunde, dass die Ursachen des Konfliktes und der Gewaltanwendung letztlich darin begründet sind, dass die kämpfenden Parteien noch nicht die tatsächlichen (und legitimen) Interessen der Gegenpartei erkannt haben und ihr erweitertes Eigeninteresse so definieren, dass die Interessen aller gewahrt werden. Das zentrale Konzept, um dies zu erreichen, ist für diese Akteure Neutralität. Gewaltanwendung und Repression werden somit konzeptionell selten thematisiert.
Dennoch gibt es eine Reihe von zivilgesellschaftlichen Akteuren, die sich auf gewalteindämmende Interventionen spezialisiert haben. Ein Beispiel hierfür sind die Peace Brigades International, die mit ihren Teams von internationalen Freiwilligen gefährdete Personen in Konfliktgebieten begleiten und so vor gewaltsamen Anschlägen zu schützen versuchen
Ein anderer Ansatz besteht darin, interne Akteure bei der politischen Isolation militanter Akteure zu unterstützen. Wie begrenzt die Reichweite gesellschaftlicher Gruppen diesbezüglich sein kann, zeigt das Beispiel des Baskenlandes, wo die ETA ihre Anschläge trotz beeindruckender Proteste weiterführt. Dennoch können sich in traditionell geprägten Gesellschaften Möglichkeiten ergeben, gewaltbereite Gruppen und Personen über existierende soziale Kontrollmechanismen zur Aufgabe ihrer Strategie zu bewegen. Welche unterstützenden Funktionen können ausländische und internationaler NRO hierbei ausführen? Sofern sie über Reputation, Einfluss und das Ohr bedeutsamer interner Institutionen verfügen, können sie gesellschaftliche Akteure durch Appelle darin bestärken, Gewalttätern entgegenzutreten. In jedem Fall gilt es, soziale und politische Macht zu mobilisieren. Die Betonung von Neutralität als handlungsbestimmendes Merkmal wird zur Bewältigung dieser Aufgabe nicht ausreichen.
Obwohl sich die Organisationen der Entwicklungszusammenarbeit und humanitären Nothilfe nicht in erster Linie als Akteure ziviler Konfliktbearbeitung verstehen, sind sie gerade in der Phase gewaltsamer Konfliktaustragung einflussreiche Akteure. Zur Zeit vollzieht sich sowohl auf der innerorganisatorischen Ebene als auch im Rahmen der EU eine sehr dynamische Auseinandersetzung mit Fragen der konstruktiven Konfliktbearbeitung im Bereich der Krisen- und Entwicklungshilfe
Die Beschäftigung dieser Organisationen mit Fragen der Konfliktentwicklung hat mehrere Ursachen. Zum einen wurden durch gewaltsame Auseinandersetzungen wie in Ruanda die Entwicklungserfolge von Jahrzehnten zerstört bzw. gefährdet, zum anderen wurde deutlich, dass Hilfslieferungen in Bürgerkriegen auch ungewollte, die gewaltsame Konfliktaustragung stabilisierende Effekte haben können. Diese Problematik wurde von einem Forschungsprojekt, welches unter dem Titel "Do no harm" von der amerikanischen NRO Collaborative for Development Action in Zusammenarbeit mit einer Reihe von humanitären Organisationen durchgeführt wurde, analysiert
- Welches sind die ungewollten, negativen Nebeneffekte der humanitären Hilfe und Entwicklungszusammenarbeit, die zu einer Entstehung oder Verschärfung bestehender Konflikt führen?
- Wie können humanitäre Hilfsprogramme und Projekte der Entwicklungszusammenarbeit in Zukunft helfen, eine gewaltsame Konfliktaustragung zu vermeiden oder einzudämmen?
Das über mehrere Jahre reichende empirische Projekt erbrachte eine Vielzahl von Ergebnissen, welche nicht nur zur Bereicherung der Diskussion, sondern auch zur Einführung neuer Handlungskonzepte bei den betroffenen Organisationen führten. Zwei Mechanismen wurden innerhalb des "Do no harm"-Projekts herausgearbeitet, durch die Hilfslieferungen Konflikte und ihre Dynamik sowohl im positiven wie auch im negativen Sinne beeinflussen - der "Transfer von Ressourcen" und "implizite ethische Nachrichten".
Der Transfer von Hilfsgütern in Krisen- und Konfliktgebiete beeinflusst den Konflikt und seine Austragungsformen. Nahrungsmittel und Medikamente werden von kämpfenden Einheiten gestohlen und stützen so ihre Operationsfähigkeit. Durch die Verteilung von Gütern können Märkte und Verteilungssysteme der Friedenszeit geschwächt oder zerstört werden, sodass umgekehrt Gruppen unterstützt werden, die innerhalb der Kriegswirtschaft über privilegierte Zugänge verfügen. Zur Bewältigung dieser Probleme gibt es keine vorgefertigten Antworten. Zu spezifisch sind die jeweiligen Bedingungen vor Ort. Die "Lösung" liegt vielmehr in der Konfliktsensibilität der Projektmanager und in dem Versuch, die Hilfsmaßnahmen in einer Art und Weise zu gestalten, welche friedliche Akteure unterstützt und legitimiert und nicht diejenigen, die ihre Machtposition durch die Anwendung von Gewalt erlangt bzw. ausgebaut haben.
Um dies zu erreichen, ist ein Verständnis für die impliziten ethischen Nachrichten notwendig, welche durch praktisch jede Aktivität der ausländischen Hilfsorganisation an ihr gesellschaftliches Umfeld gesendet werden. Der Schutz von Hilfstransporten durch bewaffnete Truppen mag stellenweise bei der Unterbindung von Diebstählen effektiv sein, indes ist er ein sichtbares Zeichen für die Legitimität von Gewalt und befürwortet das Tragen von Waffen als eine akzeptierte Einkommensquelle. Die Kriegswirtschaft wird gestärkt. Die Kunst besteht somit darin, Strategien zu entwickeln und umzusetzen, welche Verluste durch Diebstahl unterbinden und dennoch zivile Strukturen stärken, zum Beispiel durch die Einbeziehung der lokalen Gemeinschaften und die Aktivierung von Verantwortungsketten.
Humanitäre Hilfsorganisationen und Entwicklungsdienste, die in Konfliktgebieten arbeiten, wollen ihr Mandat konfliktsensitiv umsetzen und die konfliktverschärfenden Nebeneffekte ihrer Interventionen minimieren. Die konfliktsensitive Ausrichtung eines Projekts ist nicht allein auf die Planungsphase beschränkt. Vielmehr handelt es sich hierbei um einen permanenten Steuerungsprozess.
4. Phase der Nachkriegs-Konfliktbearbeitung
Die Phase der Nachkriegs-Konfliktbearbeitung steht oftmals im Zeichen der Entwicklung einer dauerhaften und tragfähigen politischen Lösung. Darüber hinaus gilt es, die mentalen und materiellen Schäden des Krieges zu beheben. In diesem Kontext richtet sich zivile Konfliktbearbeitung auf die Gefangenen- und Flüchtlingsbetreuung, Wiederaufbau und Reintegration von Flüchtlingen und Ex-Kombattanten.
Es gibt jedoch auch eine Ausrichtung innerhalb der Konfliktbearbeitung, die sich nicht primär an den Konfliktphasen bzw. dem Grad der Eskalation des Konfliktes orientiert. Hierbei handelt es sich um den "Konflikttransformations"-Ansatz. Er ist in seinem konzeptionellen Anspruch am weitesten gefasst, da er nicht nur ergebnis- und prozessorientiert ist, sondern auch die strukturellen Ursachen von Konflikten transformiert wissen will
V. Die Friedensallianz als Kernkonzept der Transformation
Das Konzept der "Friedensallianz" steht im Zentraum der Konflikttransformation. Es beschreibt ein verzweigtes Netz gesellschaftlicher und politischer, friedensorientierter Akteure, die sich aktiv für eine zivile Konfliktaustragung und Gewaltprävention einsetzen
Mehrere Strukturmerkmale sind für Friedensallianzen charakteristisch:
- Sie bestehen nicht nur aus zivilgesellschaftlichen Organisationen (z. B. NRO, Medien, Kirchen, Wirtschaft, Förderinstitutionen), sondern können auch staatliche Organisationen umfassen. Die Vernetzung umfasst alle hierarchischen Ebenen der Gesellschaft (von der Graswurzelebene bis zur Spitze und umgekehrt), wobei die besondere Bedeutung der mittleren Ebene herausgestellt wird.
- Die Ermächtigung dieser internen moderaten Kräfte erfolgt durch externe ausländische Unterstützer, was eine Vernetzung interner und externer Akteure auf allen Ebenen voraussetzt.
Das Konzept der Friedensallianz fehlt heute in fast keinem Artikel zur konstruktiven Konfliktbearbeitung. Letztendlich wird hier ein komplexes "public-private-partnership"-Netzwerk beschrieben, welches ein Gegengewicht zur Kriegsallianz darstellen soll. Folglich ist die Forderung nach Vernetzung, meist in Verbindung mit deren Koordinierung, weit verbreitet
Welche handlungserweiternden und -beschränkenden Konsequenzen ein komplexes "public-private-partnership"-Netzwerk für gesellschaftliche Akteure haben kann, zeigt erneut das Beispiel Zyperns
Obwohl zahlreiche Bürgergruppen entstanden, ist es zu keiner institutionellen Verstetigung dieser bikommunalen "Bewegung" gekommen. Die notwendige und von den lokalen Aktivisten erbetene internationale Unterstützung unterblieb, als es zur Frage der gemeinsamen Gründung einer NRO kam. Dies war kein Zufall. Vielmehr wäre ein solches Vorgehen je nach Form der Ausführung mal von der einen, mal von der anderen Regierung als Hinterfragung ihrer Staatlichkeit - und damit als Affront - bewertet worden. Zu einem derartigen politischen Signal waren die staatlichen und quasi-staatlichen Mitglieder des amerikanischen Netzwerks - ebenso wenig wie andere internationale Akteure - nicht bereit. Eine aktive Unterstützung der bikommunalen Bewegung in dieser Frage hätte die Rolle der staatlichen Netzwerkmitglieder im Verhandlungsprozess beschädigt und scharfe Gegenreaktionen von Seiten der Regierungen provoziert. Politisch motivierte Beschränkungen der staatlich-externen Partner haben sich in diesem Fall auf die gesellschaftlich-internen Netzwerkpartner übertragen und ihre Entwicklung behindert.
Darüber hinaus gibt es noch weitere kontraproduktive Aspekte der intensiven Vernetzung. So kann sich das schlechte Image der ausländischen staatlichen und gesellschaftlichen Unterstützer auf den internen Akteur übertragen und seine Handlungsfähigkeit einschränken. Der auf beiden Seiten ausgeprägte Antiamerikanismus in Zypern hat das Mobilisierungspotenzial jener lokalen Akteure behindert, die mit Amerikanern kooperieren. Aber auch multilaterale Unterstützung ist vor derartigen Abwehrreaktionen nicht gefeit. Die Eröffnung der Beitrittsgespräche der Republik Zypern mit der Europäischen Union hatte zur Folge, dass alle von der EU geförderten zivilgesellschaftlichen Maßnahmen von türkisch-zypriotischer Seite radikal unterbunden wurden. Die Politisierung und Diffamierung ausländischer Unterstützung kann jederzeit von jenen betrieben werden, die versuchen, die Friedensallianzmitglieder in die Defensive zu drängen. Je höher die finanzielle und politische Abhängigkeit der internen Akteure von ihren ausländischen Netzwerkmitgliedern ist, desto größer ihre Verwundbarkeit gegenüber jenen, die sie als Handlanger ausländischer Interessen darstellen.
Hinzu kommt, dass ein public-private-partnership-Netzwerk tatsächlich auch ein Element ausländisch-staatlicher Instrumentalisierung der gesellschaftlichen Akteure haben kann. In Zypern wurden beispielsweise Meinungen und Positionen, die innerhalb der bikommunalen Bürgergruppen entwickelt wurden, von Verhandlungsführern in den offiziellen Verhandlungsprozess getragen. Die Gruppen dienten verschiedenen Diplomaten als Informations- und "think-tank-pool", um Verhandlungsführer auf beiden Seiten mit "alternativen Ideen" aus dem eigenen Volk zu konfrontieren. Dies ist einerseits zu begrüßen, ja sogar das oftmals erklärte Ziel staatlicher und gesellschaftlicher Netzwerke, da avantgardistische Ideen international aufgewertet und verhandlungsrelevant gemacht werden sollen. Gleichzeitig hatte dieses Vorgehen Konsequenzen, die der dauerhaften Entwicklung der lokalen Gruppen eher hinderlich waren. Es hatte eine Fokussierung der lokalen Akteure auf potente Ausländer zur Folge - in der Hoffnung, durch diese Einfluss auf die eigenen Regierungen nehmen zu können. Dabei wurde der Aufbau einer lokal verankerten institutionellen Struktur zur Politikbeeinflussung vernachlässigt. Hinzu kam, dass die Versuche der indirekten Beeinflussung lokaler Regierungen nicht für alle beteiligten Personen transparent waren. Ebenso wenig war es für die Zyprer steuerbar, welche ihrer vielen Vorschläge von der internationalen Unterstützungsgemeinschaft aufgegriffen wurden. Die Polemik derjenigen, welche die bikommunalen Aktivitäten immer nur als amerikanisch-europäischen Versuch der Manipulation verstanden, schienen vor diesem Hintergrund nicht vollkommen unglaubwürdig, was das Mobilisierungsproblem der lokalen Gruppen noch verstärkte.
Diese Beispiele veranschaulichen, dass eine komplexe Netzwerkstruktur die Frage nach Transparenz, Steuerung und Prozesskontrolle aufwirft. In der Debatte werden die Nachteile der Vernetzung in Ermangelung empirischer Studien noch zu wenig thematisiert.
VI. Die implizit-oppositionelle Dimension der Konfliktbearbeitung
In den Konzepten der dialogorientierten Konfliktlösungs- und Transformations-Bewegung werden die gesellschaftlichen Aktivitäten zumeist als komplementär zum offiziellen Verhandlungsprozess beschrieben. Komplementarität bezieht sich dabei auf die Aktivitäten sowohl interner als auch externer gesellschaftlicher Akteure gegenüber den offiziellen und meist staatlichen Verhandlungsparteien. Als erfolgreiche Beispiele hierfür können die verschiedenen gesellschaftlichen Dialogforen in Nordirland und Südafrika genannt werden, da sie immer wieder positive Entwicklungen auf der Verhandlungsebene unterstützten, verstärkten, oder dort, wo diese zu blockieren drohten, neu belebten
Gesellschaftliche Aktivitäten, selbst auf der Graswurzelebene, haben das Potenzial, politische Positionen der Verhandlungsparteien in einem Konflikt symbolisch zu hinterfragen. So kann eine Bürgerinitiative nicht nur die Menschen der verfeindeten ethnischen Gruppen zusammenführen, sondern auch jene "Siedler" miteinbeziehen, die im Verlauf des Konfliktes dort aus strategischen Überlegungen von einer Konfliktpartei "angesiedelt" wurden. Dies ist eine oppositionelle Handlung in einem gesellschaftlichen Kontext, in dem die Regierung die Position vertritt, dass alle "Siedler" das Land zu verlassen haben. Mit anderen Worten: Auch vergleichsweise kleine gesellschaftliche Initiativen, die sich in ihrem äußeren Auftreten unpolitisch geben, haben die Möglichkeit, eine Thementransformation einzuleiten, die für die politischen Repräsentanten der Konfliktparteien handlungserweiternde oder -verengende Konsequenzen hat
Die Konsequenz können staatliche Behinderungen, wenn nicht gar repressive Maßnahmen gegenüber diesen Initiativen sein. Das bereits erwähnte Beispiel aus Zypern zeigt, dass die Regierungen ihre jeweiligen Bürger dies wissen lassen - im Falle des Nordens diese sogar massiv behindern -, um sicherzustellen, dass keine Handlungen erfolgen, die von der anderen Seite als implizite Anerkennung ihrer Staatlichkeit interpretiert werden könnten. Ebenso wurde die institutionelle Verstetigung in Zypern erfolgreich unterbunden, da diese die hochpolitisierte Frage der zukünftigen Staatsform berührt. In ähnlicher Weise hat die estnische Regierung mehrfach die Finanzierung von lokalen NRO durch den Europarat blockiert. Die vorgesehenen estnischen Sprachkurse für russischsprachige Jugendliche und allein stehende Frauen stellten eine indirekte Opposition gegenüber den Versuchen der Regierung dar, durch ihre Sprachpolitik die russische Minderheit in Estland auszugrenzen
Wie zuvor im Kontext der humanitären Tätigkeiten in Krisengebieten diskutiert, sendet jedes Strukturmerkmal eines konfliktbezogenen Projekts implizite Nachrichten aus, die in Bezug auf den Konflikt, seine Inhalte und Austragungsformen relevant sind und sowohl konform als auch nonkonform zu offiziellen Positionen sein können. Der eine Komplementarität von gesellschaftlichen Aktivitäten herausstellende Diskurs hat überwiegend ein "Frieden von unten"-Bild vor Augen, in dem die breite Bevölkerung in einem kollektiven Lernprozess moderate Einstellungen entwickelt, damit ihre jeweilige politische Führung von zementierten Positionen abrücken kann. Gleichzeitig bedeutet "Friede von unten", dass zivilgesellschaftliche Akteure sich in klar erkennbarer Opposition zu ihren Regierungen verhalten oder, wie die angeführten Beispiele zeigen, durch die normative Kraft ihres Handelns ihre Führung unter Druck setzen können.
Die Frage, die sich daher stellt, ist, wie man mit diesen Spannungen vor dem Hintergrund einer zunehmenden Vernetzung umgeht. Das Dilemma für NRO besteht darin, dass es durchaus Vorteile hat, mit der staatlichen Ebene zusammenzuarbeiten bzw. sich komplementär zu verhalten, dass sie diese aber gleichzeitig im Sinne eines "checks and balances" kontrollieren müssen
Die oben erwähnten Frauenprojekte in Estland wurden letztlich durch die Internationale Organisation für Migration in Genf finanziert
VII. Entwicklungen auf Regierungs- und Verwaltungsebene
Unter der rot-grünen Bundesregierung hat es bislang einige interessante Akzentuierungen im Bereich der Konfliktbearbeitung gegeben. Bereits im Koalitionsvertrag heißt es, dass sich die Regierung für den "Aufbau einer Infrastruktur zur Krisenprävention und zivilen Konfliktbearbeitung" einsetzen wolle. Dies soll insbesondere durch eine verbesserte finanzielle Förderung der Friedens- und Konfliktforschung, der Schaffung und Verbesserung der juristischen, finanziellen und organisatorischen Bedingungen für den Einsatz von Friedensfachkräften sowie die Schaffung eigener staatlicher Ausbildungsmöglichkeiten "im Bereich von Peacekeeping und Peacebuilding" erfolgen
Eine der größten Entwicklungen ist 1999 durch die Gründung des Zivilen Friedensdienstes (ZFD) im Verantwortungsbereich des Bundesministeriums für Wirtschaftliche Zusammenarbeit (BMZ) erfolgt
Dieser Mechanismus bietet Chancen. Die entsendeten Friedensfachkräfte können lokale Friedensgruppen und -initiativen bei der Reflexion und strategischen Planung ihrer Arbeit unterstützen, Angebote zur Weiterqualifizierung machen, die Vernetzung der Initiative mit anderen gesellschaftlichen Akteuren durchführen sowie die lokalen Aktivisten mit Ansätzen aus anderen Regionen vertraut machen
Mit der Einrichtung des Haushaltspostens für "Friedenserhaltende Maßnahmen" ist eine neue Budgetlinie geschaffen worden, durch die sowohl die Entsendung von Personal für Missionen im Rahmen der VN oder der OSZE als auch zivilgesellschaftliche friedenserhaltende Projekte finanziert werden. Das Volumen dieses Haushaltspostens liegt bei rund 30 Millionen DM. Die Mittelvergabe, die anfänglich ausschließlich durch das AA erfolgte, wird seit jüngster Zeit in dessen Auftrag durch das Institut für Auslandsbeziehungen abgewickelt. Die zukünftige Entwicklung wird zeigen, wie stark die Kontrolle des AA bei der Mittelvergabe sein wird und wie das Kriterium der Komplementarität interpretiert wird.
VIII. Entwicklungen auf gesellschaftlicher Ebene
Eine hervorstechende Dynamik ist die zunehmende informelle und formelle Vernetzung von Organisationen der konstruktiven Konfliktbearbeitung und Konfliktprävention. Dies gilt sowohl für die nationale als auch die europäische Ebene.
In Finnland, Kanada, der Schweiz und Deutschland sind in den letzten Jahren nationale Plattformen zur zivilen Konfliktbearbeitung entstanden, die zwar noch keine koordinierenden Funktionen haben, aber dem allgemeinen Bedürfnis nach Vernetzung entsprechen. In Deutschland ist dies die "Plattform Zivile Konfliktbearbeitung"
Die zunehmende Vernetzung von gesellschaftlichen und staatlichen Akteuren im Bereich ziviler Konfliktbearbeitung eröffnet für alle Beteiligten neue Handlungsspielräume. Gleichzeitig besteht die Gefahr, dass sich außenpolitisch motivierte Beschränkungen auf interne und externe gesellschaftliche Akteure übertragen. In Anbetracht der implizit-oppositionellen Dimension vieler gesellschaftlicher Konfliktinterventionen ist es wichtig, dass die Vernetzung und Kooperation nicht ausschließlich unter dem Merkmal der Komplementarität erfolgt. Für die Ausgestaltung einer deutschen und europäischen Förderstruktur in diesem Bereich ist es daher wichtig, Vergabekriterien zu entwickeln, die unabhängig von staatlicher Einflussnahme sind.