I. Einleitung
"Krieg ist die Hölle."
Krieg ist ein universales Phänomen in der Geschichte und ein zentraler Bestandteil menschlicher Erfahrung: Er ist zu finden bei nahezu allen Völkern und Kulturen, in fast allen Perioden und Erdteilen
Gleichwohl ist Krieg aber von Menschen durch die Geschichte hindurch als ein Erfolg versprechendes Instrument politischer Interaktion angesehen worden. Offenbar sind Menschen für eine Vielzahl von Motiven bereit, Leben zu nehmen beziehungsweise ihr eigenes Leben zu verlieren. Dieser Sachverhalt rechtfertigt oder verharmlost Krieg in keiner Weise. Er macht aber deutlich, dass das hehre Ziel der vollständigen Eliminierung einer derart widerstandsfähigen sozialen Institution wie des Kriegs sehr schwer zu erreichen ist. Und zwar zu schwierig, als dass man es bereits durch eine bloße Feinabstimmung schon vorhandener oder in der Entwicklung befindlicher Regulationsmechanismen der internationalen Politik oder des Völkerrechts erreichen könnte.
Aller Voraussicht nach wird Krieg - und zwar weitgehend unabhängig von seiner ethischen Stigmatisierung - ein zentraler Bestandteil des politischen Wirkens auch im 21. Jahrhundert sein. Welche Formen er dabei annehmen wird, welche Entwicklungen für die Transformation des Kriegs bestimmend sein werden und welche Konsequenzen sich daraus für die Zukunft des Krieges sowie für das Verhältnis von Krieg und Politik ergeben werden, ist Gegenstand der folgenden Überlegungen.
II. "Großer Krieg" und "kleiner Krieg"
In der auf die Neuzeit fokussierten, eurozentrischen Perspektive erscheint der Krieg zwischen Staaten bzw. zwischen den regulären Streitkräften dieser Staaten als Normalfall. Der Krieg in seiner zwischenstaatlichen Form hat bis in die Gegenwart hinein das Bild des Krieges nicht nur in Politik, Streitkräften und Öffentlichkeit, sondern auch in der Wissenschaft geprägt. Durch eine solche Sichtweise wurde und wird jedoch verdeckt, dass der Krieg zwischen Staaten nur in einer vergleichsweise kurzen historischen Phase und in einem beschränkten geographischen Raum die vorherrschende Kriegsform war.
Die Auffassung vom Krieg als einem Rechtszustand zwischen Staaten setzte sich zuerst in der Folge des Dreißigjährigen Krieges in Europa durch und ist in engem Zusammenhang mit der Herausbildung des Territorialstaates zu sehen. Nunmehr hatten allein Staaten bzw. ihre regulären Streitkräfte das Recht, Krieg zu führen. Dies bedeutete gegenüber der Katastrophe des Dreißigjährigen Krieges auch eine Einhegung des Krieges: Er sollte von nun an nach den kodifizierten Regeln eines immer weiter ausdifferenzierten Kriegsrechts und Kriegsvölkerrechts geführt werden. Eine der wichtigsten Auswirkungen war, dass - zumindest in der politischen und militärischen Vorstellungswelt - im Regelfall nur noch die Streitkräfte des Gegners als legitimes Ziel militärischer Handlungen gelten sollten, nicht aber die Zivilbevölkerung. Diese Einhegung des Krieges war allerdings auf die Beziehungen zwischen europäischen bzw. atlantischen Staaten beschränkt: Bezeichnenderweise galten die rechtlichen Beschränkungen, die nach dem Ende des Dreißigjährigen Krieges in diesem zwischenstaatlichen Kriegskonzept zum Tragen kamen, nicht für die gleichzeitigen Kriege dieser Staaten in ihren Kolonien oder gegen andere, nichteuropäische Völker.
Sowohl in der Zeit vor dem Dreißigjährigen Krieg wie parallel zum zwischenstaatlichen Krieg in der Zeit nach 1648 war und ist stets auch eine ganz andere Kriegsform präsent. Sie ist nicht - wie der zwischenstaatliche Krieg - durch gegenseitig anerkannte Regeln gekennzeichnet, sondern gerade durch deren Abwesenheit. Es sind dies die so genannten "kleinen Kriege"
Keine der angeführten Bezeichnungen wird dem Phänomen des kleinen Krieges wirklich gerecht; in ihm offenbart sich die ursprüngliche, ungehemmte Form des Krieges
Und die kleinen Kriege sind nicht notwendigerweise "kleiner" als die großen Kriege - weder in ihrer Intensität noch in ihrer Dauer, noch in ihrer Zerstörungskraft. Kennzeichnend für die kleinen Kriege ist die Abwesenheit bzw. Durchbrechung verbindlicher Regeln für die Kriegführung, die in der fehlenden Unterscheidung zwischen Kombattanten und Nichtkombattanten, dem Herzstück des modernen humanitären Völkerrechts, am augenfälligsten wird
Der kleine Krieg ist per definitionem entgrenzt, alle Mittel kommen in ihm zum Einsatz, und oft nimmt er in seiner charakteristischen Brutalität - insbesondere gegenüber Nichtkombattanten, hier vor allem Frauen und Kinder
Kleine Kriege werden oft in schwierigem Terrain - wie urbanen Großräumen, Dschungeln bzw. bewaldeten Gebieten oder schwer zugänglichen Bergregionen - ausgefochten, auf dem die vergleichsweise schweren und hochtechnologieorientierten Kampf- und Aufklärungsmittel regulärer Streitkräfte nur in begrenztem Umfang eingesetzt werden können
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs rückten die kleinen Kriege zunächst als Befreiungskriege gegen Kolonial- oder Besatzungsmächte und seit dem Ende des Ost-West-Konfliktes vermehrt in der Form ethnisch motivierter Konflikte, wie etwa auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien, wieder stärker in das Bewusstsein der Öffentlichkeit; gleichzeitig gewinnen sie auch in den Überlegungen von Politik und Streitkräften immer mehr an Bedeutung. Die treibende Kraft dieser Entwicklung ist die zahlenmäßig starke Zunahme von nichtstaatlichen Akteuren in der internationalen Politik, die auch immer mehr Gewicht und Einfluss erlangen. Zu ihnen zählen neben klassischen Befreiungsbewegungen und Guerillaorganisationen Strukturen der organisierten Kriminalität, private military companies
In der strategischen Community ist diese Entwicklung unter dem Schlagwort der "Rückkehr des Mittelalters in der Sicherheitspolitik" geläufig. Diese Formulierung beschreibt, dass Staaten nicht länger die einzigen Träger von Gewalt in der internationalen Politik sind. Die Folge einer zunehmenden Privatisierung von Gewalt und Krieg ist die Auflösung des staatlichen Gewaltmonopols und das Nebeneinander bzw. die Konkurrenz staatlicher und nichtstaatlicher Machtausübung
Daraus folgt jedoch nicht, dass im Konfliktspektrum des 21. Jahrhunderts generell die kleinen Kriege an die Stelle der großen Kriege treten werden
III. Die Unterscheidbarkeit ziviler und militärischer Ziele
Unabhängig von der zu erwartenden Zunahme kleiner Kriege ergeben sich auch für Szenarien großer Kriege zwischen den regulären Streitkräften von Staaten nicht zu unterschätzende Veränderungen. Bemerkenswerterweise konvergiert die wichtigste dieser Entwicklungen des großen Krieges mit einem zentralen Wesensmerkmal des kleinen Krieges, nämlich der fehlenden Unterscheidung zwischen Kombattanten und Nichtkombattanten, zwischen zivilen und militärischen Zielen. Die Unterscheidung - präziser gesagt: die Unterscheidbarkeit - ziviler und militärischer Ziele stellt das große Problem des zwischenstaatlichen Krieges im 21. Jahrhundert dar. Die Unterscheidung zwischen (legitimen) militärischen und (zu vermeidenden) zivilen Zielen bzw. zwischen Kombattanten und Nichtkombattanten ist in den westlichen Gesellschaften wie in den Streitkräften verinnerlicht worden. In unserer Zeit kann der Vorwurf der Barbarei nur noch in den seltensten Fällen erhoben werden; zu diesen Ausnahmen zählt aber bezeichnenderweise die bewusste Kriegführung gegen Nichtkombattanten, vor allem Frauen und Kinder. An diesem Sachverhalt wird deutlich, wie sehr die Unterscheidung zwischen Kombattanten und Nichtkombattanten zu einem zentralen Bestandteil des westlichen zivilisatorischen Selbstverständnisses geworden ist
Es ist folglich nur konsequent, dass die durch den Einsatz von Präzisionswaffen versprochene Trennschärfe zwischen zivilen und militärischen Zielen - ein Kernaspekt der so genannten Revolution in Military Affairs
Analysten wie etwa Martin von Creveld argumentieren nun aber, dass es gerade die Zerstörung der serbischen Infrastruktur war, welche Serbien zum Einlenken brachte - also die Zerstörung nicht rein militärischer Ziele, sondern von solchen, die sowohl für den militärischen Apparat als auch für die Zivilbevölkerung wichtig waren
Dies ist unter anderem eine Folge des technischen und gesellschaftlichen Fortschritts, der sich bereits in den Kriegen des 19. und 20. Jahrhunderts in einer deutlichen Tendenz zur Totalisierung konkretisiert hat
Während die westlichen politischen und militärischen Führungen ihrem Selbstverständnis gemäß von einer fortgesetzten Unterscheidbarkeit ziviler und militärischer Ziele ausgehen (und ausgehen müssen), ist diese Unterscheidung in der Realität immer weniger gegeben. Die große Herausforderung des Krieges im 21. Jahrhundert besteht daher nicht darin, ein Ziel möglichst genau zu treffen, sondern darin zu entscheiden, was überhaupt als ein legitimes Ziel anzusehen ist. Letztlich ist die Frage, ob es sich bei einer Brücke, einem Telefonknotenpunkt, einer Raffinerie oder einer Stromerzeugungsanlage um ein legitimes Ziel handelt, nicht mit Sicherheit und schon gar nicht a priori zu beantworten. Die Entscheidung über die faktische Legitimität eines Zieles wird - zumindest in den westlichen Staaten - durch die Akzeptanz der Militäraktionen in den eigenen Bevölkerungen (und damit in der Regel im Nachhinein) getroffen und ist in hohem Maße von den Umständen des Einzelfalls abhängig. Diese Akzeptanz ist in erster Linie das Ergebnis eines politischen und gesellschaftlichen Diskussionsprozesses; sie kann weder durch eine technische noch durch eine juristische Definition herbeigeführt oder ersetzt werden
Wahrscheinlich wird ein künftiger Kriegsgegner sich in seiner psychologischen Kriegführung diesen Sachverhalt sehr viel geschickter zunutze machen, als es im Kosovokrieg die serbische Propaganda vermochte. Deren im Übermaß vorgetragene Behauptungen, NATO-Luftangriffe hätten Wohngebiete, Krankenhäuser und Schulen zum Ziel gehabt, unterminierte letztlich nur die serbische Glaubwürdigkeit weiter. In zukünftigen Konflikten wird der Vorwurf gegen westliche Staaten, gegen die eigenen ethischen Grundsätzen zu verstoßen, mit großer Sicherheit der Kernpunkt eines intensiven öffentlichen Propagandakrieges sein, der parallel zu den physischen Kampfhandlungen stattfinden wird und diese an Bedeutung sogar übertreffen könnte.
IV. Clausewitz und die Transformation des Krieges
Im westlichen Verständnis ist Krieg - ganz im Sinne Carl von Clausewitz' (1780-1831) - als Fortsetzung der Politik, als Ultima Ratio zu begreifen. In seinen eigenen Worten: "So sehen wir also, dass der Krieg nicht bloß ein politischer Akt, sondern ein wahres politisches Instrument ist, eine Fortsetzung des politischen Verkehrs, ein Durchführen desselben mit anderen Mitteln."
In den westlichen liberalen Gesellschaften und Staaten ist diese Clausewitz'sche Auffassung, welche die rationalen Momente politischen Handelns in den Mittelpunkt stellt, zu einem wesentlichen Teil des politischen und zivilisatorischen Selbstverständnisses geworden. Dies gilt auch für die in engem Zusammenhang damit stehenden Grundsätze, wie etwa die bereits behandelte Unterscheidung von Kombattanten und Nichtkombattanten oder die im Folgenden angesprochene klare Unterscheidbarkeit von Krieg und Frieden als sich jeweils gegenseitig ausschließende Rechtszustände zwischen Staaten. Es wäre naiv zu glauben, dass man diese Grundwerte und Einstellungen kurzfristig verändern könnte, oder auch, dass man sie ändern könnte, ohne damit zugleich den Charakter liberaler Demokratien substanziell in Frage zu stellen.
Mit der Zunahme der kleinen Kriege findet jedoch eine fundamentale Transformation des Gesamtphänomens Krieg statt, die Kriege immer mehr aus der zweckrationalen Sphäre politischen Handelns herauszulösen scheint: Denn für die Entscheidung zum Krieg können nicht nur zweckrationale Erwägungen - die Interessen
Wie sehr das Ziel eines nichtstaatlichen Akteurs in einem kleinen Krieg von dem klassischen zweckrationalen Denkschema abweichen kann, macht eine Beobachtung Henry Kissingers während des Vietnamkrieges deutlich: "Die Guerilla gewinnt, wenn sie nicht verliert. Die konventionelle Armee verliert, wenn sie nicht gewinnt."
In der Clausewitz'schen Definition von Krieg "als Fortsetzung und Durchführung des politischen Verkehrs mit anderen Mitteln"
Die Clausewitz'sche Sicht des Verhältnisses von Krieg und Politik weist einen weiteren zentralen Schwachpunkt auf: Für das Verständnis des Krieges im 20. und 21. Jahrhundert - und zwar sowohl des großen wie des kleinen Krieges - greift seine Definition, dass Krieg "ein Akt der Gewalt (ist), um den Gegner zur Erfüllung unseres Willens zu zwingen"
V. Zusammenfassung und Schlussfolgerungen
1. Kleine Kriege und große Kriege
Die zwischenstaatlichen, die großen Kriege werden nicht aus dem Konfliktspektrum des 21. Jahrhunderts verschwinden. Aber sie werden angesichts der Vervielfältigung der Konfliktformen und insbesondere aufgrund der Zunahme kleiner Kriege eine - relativ gesehen - weniger wichtige Rolle spielen. Nichtsdestoweniger handelt es sich bei den großen Kriegen um diejenige Kriegsform, für die westliche Staaten aufgrund ihres Selbstverständnisses und aufgrund ihres Potenzials an militärischem Großgerät am besten gerüstet sind. Sie werden daher dazu tendieren, militärische Konflikte auch weiterhin auf der Ebene der großen Kriege auszutragen. Ob dies jedoch gelingen wird und ob dies dann gegen nichtstaatliche Akteure zu den angestrebten militärischen Erfolgen führen wird, muss offen bleiben
Christopher Daase hat überzeugend argumentiert, dass es eine Reihe von Gründen gibt, warum Staaten bzw. reguläre Streitkräfte trotz ihrer überlegenen militärischen Machtmittel prinzipiell große Schwierigkeiten haben, sich in asymmetrischen Konflikten gegen nichtstaatliche Akteure durchzusetzen
2. Kombattanten und Nichtkombattanten
In einem zentralen Punkt konvergieren die kleinen Krieg auf der einen Seite und die Entwicklungen innerhalb des großen Krieges auf der anderen Seite, nämlich bei der problematischen Unterscheidung von Kombattanten und Nichtkombattanten bzw. von zivilen und militärischen Zielen. Die seit dem 19. Jahrhundert und durch das ganze 20. Jahrhundert zu konstatierende Tendenz zur Totalisierung des großen Krieges macht diese Unterscheidung immer schwieriger. Damit geht ein wesentlicher Unterschied zwischen dem regellosen kleinen Krieg und dem durch internationales Recht eingehegten großen Krieg verloren. Anders gesagt: Die Schonung von Zivilisten und zivilen Einrichtungen im Krieg beruht auf Voraussetzungen, die heute immer weniger gegeben sind.
Ob westliche Gesellschaften ihre Haltung bezüglich der Behandlung von Nichtkombattanten überhaupt aufgeben können, bleibt offen. Wenn sie es aber tun, wird sich ihr zivilisatorisches Selbstverständnis substanziell verändert haben müssen. Und es gibt durchaus erste Denkansätze in diese Richtung: In der Folge des Kosovokrieges ist es in Kreisen amerikanischer Militärjuristen zu einer Diskussion über den zukünftigen Status der gegnerischen Zivilbevölkerung gekommen. Ausgehend von der Einschätzung, dass die Politik der jugoslawischen Regierung gegenüber dem Kosovo nicht nur von der Regierung Milosevic, sondern von der Mehrheit der serbischen Bevölkerung getragen wurde, wird erwogen, ob nicht sinnvollerweise der völkerrechtlich festgeschriebene Nichtkombattantenstatus der Bevölkerung durch eine formelle Änderung der Rechtsnorm teilweise eingeschränkt werden sollte. Dadurch würden Angriffe auch auf rein zivile Einrichtungen, wie etwa Banken, Fabriken, Geschäfte sowie kulturelle und historisch wertvolle Objekte - wenn auch noch nicht auf Zivilpersonen selbst - möglich, um auf diese Weise den Druck auf den Gegner zu erhöhen
Der Ausgangspunkt der Argumentation, dass die Krieg auslösende Politik gegenüber dem Kosovo nicht von einer verbrecherischen Regierung dem eigenen Volk gegen dessen Willen aufgezwungen wurde, sondern dass weite Teile der Bevölkerung diese Politik ihres gewählten Präsidenten bereitwillig mittrugen, ist nicht von der Hand zu weisen
3. Politische Rahmenbedingungen von Streitkräfteeinsätzen
Aus der im westlichen Verständnis grundsätzlich politischen Natur des Krieges folgt zum einen, dass Krieg eine dezidiert öffentliche Angelegenheit ist - und in der Mediengesellschaft in Zukunft auch bleiben wird
Ferner wird die Politik auch weiterhin großen und unmittelbaren Einfluss auf den Verlauf von Streitkräfteeinsätzen nehmen - sei es durch die Vorgabe minimaler Kollateralschäden bzw. des Vermeidens eigener Verluste
Aus militärischer Sicht mögen diese politischen Beschränkungen entbehrlich, um nicht zu sagen: kontraproduktiv, sein. Doch handelt es sich bei ihnen um eine Folge des Primats der Politik und damit um eine nicht veränderbare Rahmenbedingung von Militäreinsätzen in liberalen Demokratien. Die Vorstellung, dass in Militäreinsätzen ausschließlich nach militärischen Erfordernissen und ohne Einmischung der Politik gehandelt werden könnte, verkennt die grundsätzliche politische Natur dieser Einsätze. Auch zukünftig wird also politisches Makro- und Mikro-Management von militärischen Konflikten der Regelfall sein.
Ein Paradoxon in diesem Zusammenhang ist die für die öffentliche Akezptanz der Entscheidung zu militärischen Operationen als unverzichtbar empfundene Dämonisierung des Gegners: So wurden etwa Saddam Hussein und Slobodan Milosevic von den westlichen Regierungen als grausamste Verbrecher gegen die Menschlichkeit dargestellt, um in der eigenen Öffentlichkeit den Rückhalt für den Einsatz von Streitkräften herzustellen. Damit nahm man sich aber auch die Möglichkeit, zur Beendigung der bzw. im Anschluss an die Kampfhandlungen zu einem diplomatischen Geben-und-Nehmen mit der gegnerischen Führung zurückzukehren, denn mit einem einmal dämonisierten Gegner kann man sich auf keine substanziellen Verhandlungen in der Sache selbst mehr einlassen. Durch die Dämonisierung entsteht also ein selbstverursachter Druck, den Krieg solange fortzusetzen, bis die gegnerische Seite auf alle wesentlichen Forderungen eingegangen ist; dies bedeutet tendenziell eine Intensivierung und Verlängerung der Kampfhandlungen.
4. Zum Verhältnis von Krieg und Politik
Doch was kommt nach dem militärischen Erfolg im Krieg? Nach westlichem Verständnis geht es bei einem Krieg, wie Michael Howard deutlich gemacht hat, letztlich nicht um den Sieg an sich, sondern darum, durch den militärischen Sieg eine Veränderung der politischen Lage herbeizuführen, die zum Ausbruch eines Krieges geführt hat; und zwar eine Veränderung, die auch von der unterlegenen Seite dauerhaft akzeptiert wird
Aber können und wollen westliche Staaten Krieg auf eine solche Weise führen, dass sowohl die Führung als auch die Bevölkerung des Gegners durch die Drohung mit der völligen Vernichtung bzw. durch dauerhafte Besetzung und Souveränitätsverlust zu einer grundlegenden Revision ihrer Haltung bewogen werden? Nach Michael Howards Argumentation war es genau dieser Umstand, der in der Folge der Niederlage im Zweiten Weltkrieg - und im Unterschied zu der Situation nach dem Ersten Weltkrieg - einen radikalen Paradigmenwechsel in der deutschen Gesellschaft und Politik zur Folge hatte. Ein solches Vorgehen dürfte jedoch, zumindest bei interventionistischen Einsätzen, bei denen vitale Interessen der intervenierenden Mächte nicht berührt sind, kaum eine reale Option sein.
Es stellt sich daher die Frage, ob Militäreinsätze westlicher Staaten überhaupt gerechtfertigt werden können (sei es unter ethischen oder auch nur unter politisch-pragmatischen Gesichtspunkten), wenn der militärische Erfolg - bzw. die darauf aufbauenden nichtmilitärischen Maßnahmen - zu keiner grundlegenden und dauerhaften Veränderung der politischen Lage führen. Mit diesem Maßstab werden sich künftige Entscheidungen über den Einsatz militärischer Mittel als Instrument der Politik messen lassen müssen.
Dieser Maßstab nimmt vor allem die Politik in die Pflicht. Der in dem Clausewitz'schen Diktum vom Krieg als Fortsetzung der Politik angelegte Primat der Politik bedeutet nicht nur die Unterordnung des Militärs unter die Politik; er legt auch der Politik der westlichen Staaten bei der Entscheidung für einen Militäreinsatz - und für die sich daran anschließende politische Umsetzung - eine besondere Verantwortung auf: Der Einsatz militärischer Mittel bewirkt, für sich alleine genommen, nur in seltenen Fällen eine unmittelbare Problemlösung; dies gilt auch für eine jahre- oder gar jahrzehntelange Stationierung von Friedenstruppen.
Es kann daher nicht genügen - wenn die Diplomatie sich in eine Sackgasse manöviert hat -, nach dem militärischen Befreiungsschlag zu rufen. Ohne eine an den militärischen Erfolg anknüpfende diplomatische Fortführung und Umsetzung - und eine daraus resultierende grundlegende und auch von der unterlegenen Seite akzeptierte Veränderung der politischen Ausgangslage - sind Militäreinsätze als Mittel der Politik im 21. Jahrhundert weder sinnvoll noch zu verantworten.