Einleitung
"Weg von den Agrarfabriken", fordert der Bundeskanzler. Eine Agrarwende soll her: keine Reform, eine Wende! Schon diese Wortwahl deutet an, dass die Agrarpolitik einer Generalüberholung unterzogen werden soll. Eine "Perspektive für eine andere, eine verbraucherfreundliche Landwirtschaft" soll erarbeitet und umgesetzt, die Fehler der Vergangenheit sollen überwunden werden. Die Diskussion um eine nachhaltige Entwicklung hat also nun auch die Landwirtschaft erfasst - und dies ist gut so! Denn Gründe, die Gemeinsame Agrarpolitik der EU (GAP) trotz der Reform von 1992 und derjenigen aus dem Jahr 2000 ("Agenda 2000") grundlegend zu verändern, gibt es nicht erst, seitdem in Schleswig-Holstein die erste BSE-Kuh Deutschlands endeckt wurde. Die Zielsetzung der europäischen Agrarpolitik - festgelegt bereits in den Römischen Verträgen von 1957 - entsprechen längst nicht mehr den Ansprüchen der heutigen Zeit, z. B. den drei Säulen der "Nachhaltigkeit": Die EU-Agrarpolitik ist weder ökonomisch akzeptabel, noch ökologisch verträglich noch sozial gerecht. Und eine Übertragung dieser veralteten Agrarpolitik auf die Länder, die in die EU aufgenommen werden wollen, ist weder finanzierbar noch aus ökologischen oder sozialen Gründen zu wünschen.
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I. Gründe für eine Agrarwende
Die EU-Agrarpolitik hat 40 Jahre lang mit außerordentlich hohen Subventionen zu Einschränkungen bzw. zur Aufgabe vieler Funktionen in ländlichen Räumen geführt. Massiv gingen und gehen Bauernhöfe zugrunde, wurden und werden Arbeitsplätze in der Landwirtschaft selbst sowie in vor- und nachgelagerten Bereichen abgebaut. Schlachthöfe wurden geschlossen, Molkereien konzentriert; nach wie vor geht in der EU alle zwei Minuten ein Arbeitsplatz im direkten landwirtschaftlichen Bereich verloren. Und dies, obwohl sich auch die Agrarpolitik die "Schaffung und Erhaltung von Arbeitsplätzen" zum Ziel gesetzt hat. Es ist nur die Fortsetzung solcher Absurditäten, dass 40 Jahre nach Etablierung der gemeinsamen europäischen Agrarpolitik und 25 Jahre nach Einführung der europäischen Strukturfonds, mit denen der Rückstand wirtschaftlich weniger entwickelter Gebiete aufgeholt werden soll, die Agrarpolitiker den "ländlichen Raum" entdecken und Gelder für dessen Förderung einfordern. Wofür, wenn nicht für die ländlichen Räume, sind denn in den letzten Jahrzehnten die EU-Milliarden ausgegeben worden? 85 Prozent der mittlerweile rund 90 Mrd. Euro an EU-Ausgaben gehen zu Lasten des Etats der Agrarpolitik (rund 50 Prozent) bzw. der Strukturfonds (rund 35 Prozent).
Die mit derart hohem Aufwand unterstützte "Verbesserung der Produktivität" - eines der fünf Ziele der GAP - hat aber nicht nur negative soziale und regionalwirtschaftliche Folgen. Die massiv geförderte intensive Agrarproduktion hat auch zu erheblichen negativen ökologischen Konsequenzen geführt: Der einseitig auf maximalen Produktionszuwachs ausgerichteten Landwirtschaft wird von der Europäischen Umweltagentur in deren "Bericht zur Lage der Umwelt in Europa" eine viel zu geringe ökologische Verträglichkeit bescheinigt: wild lebende Tier- und Pflanzenarten verschwinden; Nutztierrassen, aber auch seltene Gemüse-, Obst- und Getreidesorten sterben aus; Luft, Wasser und Boden werden zu stark belastet, die natürlichen Ressourcen überbeansprucht. Die oftmals versprochene Umkehr bei den negativen Umweltfolgen gibt es leider immer noch nicht. Selbst der Europäische Rechnungshof attestierte der Gemeinsamen Agrarpolitik in einem Sonderbericht im Dezember 2000, dass die seit 1992 ergriffenen Agrarumweltmaßnahmen nur einen marginalen Beitrag zur immer notwendiger werdenden Ökologisierung der Landwirtschaft leisten.
Nicht nur Tierschützer beklagen die intensive Massentierhaltung und die vom Subventionssystem und den politisch gesetzten Rahmenbedingungen ausgehenden europaweiten Tiertransporte. Tiere werden zu Produktionsfaktoren degradiert. Die grausamen Bilder der Massentötung von Schweinen, Rindern oder Schafen während der anhaltenden BSE- und MKS-Krise, im amtsdeutsch "Keulung" genannt, erschüttern uns alle und führen uns zum Bewusstsein, dass da irgend etwas nicht stimmen kann. Aber sichtbar wird hier nur die Spitze des Eisbergs - ein Großteil der skandalösen alltäglichen Realität bleibt uns verborgen bzw. wird von uns verdrängt: z. B., dass 1997 im Rahmen der "Beseitigung" der Schweinepest rund 13 Millionen (!) Schweine "gekeult" wurden, oder dass jeden Tag (!) rund 500 000 Hähnchen (!) in europäischen Ställen krepieren, noch bevor sie ihr mit nur 35 Tagen kurzes Lebensziel, das Schlachthaus, erreichen.
Die Verbraucher sind verunsichert, was sie noch essen können oder sollen. Die Verbraucherschützer beklagen die Qualität der Nahrungsmittel, und sie finden dabei sogar Bestätigung durch die Kommission - diese konstatierte jüngst, dass die Agrarpolitik "negative Auswirkungen auf die Qualität mancher Lebensmittelerzeugnisse" hat. Man wundert sich u. a über die Manipulation des Geschmacks mit Zusatz- und Aromastoffen oder die Werbung der Lebensmittelindustrie, die uns nur eine heile Welt vorgaukelt. Neue Gefahren lauern: Die Gentechnik wird nicht gebraucht, um bessere Qualitäten zu produzieren; aber sie verspricht, ein riesiges Geschäft für die Saatguthersteller und die chemische Industrie zu werden. Dass sie vom Großteil der Verbraucher abgelehnt wird, u. a. weil neue Umwelt- und Verbraucherprobleme heraufbeschworen werden, interessiert die Politik scheinbar nicht. So wie die Politik bislang auch nicht adäquat auf den Einsatz von Antibiotika in der Tiermast reagiert hat, die seit Jahren extreme ökologische und gesundheitliche Probleme bereitet.
Die kritischen Bauernorganisationen wie die Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft oder der Deutsche Bauernbund (nicht zu verwechseln mit dem Deutschen Bauernverband) beklagen die Tatsache der ungerechten Verteilung der Subventionen: Nur vier Prozent der Bauern erhalten 40 Prozent der EU-"Ausgleichszahlungen". Spitzenbetriebe kassieren mehrere Millionen an Subventionen, ohne auch nur eine einzige ökologische oder soziale Gegenleistung erbringen zu müssen. So verdrängen, mit gigantischen Steuergeldern unterstützt, wenige Große die vielen Kleinen. Das volkswirtschaftliche Rechensystem in der Agrarwirtschaft stimmt schon lange nicht mehr. Grundregeln der Marktwirtschaft - etwa die Regel, Kosten dort anzulasten und in die Preiskalkulation eingehen zu lassen, wo sie verursacht werden - werden massiv verletzt.
Eine Agrarwende ist also aus vielen Gründen nicht nur sinnvoll, sondern überfällig. Das sehen auch die Bürger so: Laut "Politbarometer" befürworten 93 Prozent eine stärker ökologisch orientierte Landwirtschaft. Eines scheint sicher zu sein: Die durch BSE und MKS (endlich) aufgeschreckten europäischen Steuerzahler werden auf Dauer nicht bereit sein, weiterhin eine Landwirtschaft zu subventionieren, die all diese negativen Folgen zeitigt.
So ist es also politisch klug, die Agrarwende anzugehen. Es ist richtig, die Landwirtschaft endlich aus dem alternativlosen Zwang "Wachsen oder weichen" zu befreien. Der Vorschlag des Bundeskanzleramtes, einen neuen Gesellschaftsvertrag zwischen Landwirtschaft und Verbraucher zu schließen, in dem den Landwirten ihre gesellschaftlichen Leistungen (wie z. B. Erhaltung der Kulturlandschaft) abgegolten werden, hätte etwas zur Folge, was gesellschaftlich gar nicht hoch genug eingeschätzt werden kann: Wenn nämlich die Auszahlung der Agrargelder daran gekoppelt werden würde, dass gewisse Auflagen oberhalb des gesetzlich Geforderten im Bereich des Umwelt-, Tier- oder Verbraucherschutzes eingehalten werden, dann wären es keine Subventionen mehr. Die Landwirtschaft wäre aus der Subventionsfalle entlassen - man würde konkrete, nachvollziehbare, von der Gesellschaft seit Jahren von der Landwirtschaft geforderte Leistungen abgelten.
Doch diesen Ansatz können Bundeskanzler Schröder oder seine neue Verbraucher- und Landwirtschaftsministerin, Renate Künast, nicht allein umsetzen. Denn die Agrarpolitik ist bekanntlich kein Politikbereich, der in der ausschließlichen Kompetenz des Kanzlers oder seiner Agrar- bzw. Verbraucherministerin liegt. Sie ist wie kein anderer Politikbereich europäisch beeinflusst, und mit ihrer Umsetzung sind zudem die Bundesländer konfrontiert. Da macht es Sinn, näher hinzuschauen, wo Gegner und Befürworter sitzen, wer eine Agrarwende blockieren wird bzw. wo die Unterstützer für neue Gedanken sind.II. Die EU und die Agrarwende
Bereits 1992 gab es eine Agrarreform auf europäischer Ebene. Im Vorfeld dieser Reform fand man in den Veröffentlichungen der EU höchst kritische Töne über die Agrarpolitik der Zeit davor. "Der Status quo", schrieb der damals verantwortliche EU-Agrarkommissar MacSharry, "lässt sich weder verteidigen, noch aufrecht erhalten. Und obwohl die Mittel für den Agrarsektor zwischen 1990 und 1991 um fast 30 Prozent aufgestockt wurden, müssen die Landwirte in allen Mitgliedstaaten weitere Einbußen hinnehmen . . . Wir haben mit unserer Politik nicht zu verhindern gewusst, dass die Landwirte in Scharen ihre Tätigkeit aufgeben. Eine weitere Fehlentwicklung ist die Tatsache, dass 80 Prozent der Mittel an nur 20 Prozent der landwirtschaftlichen Betriebe flossen . . ."
MacSharry kritisierte weiter, dass die Mechanismen der Gemeinsamen Agrarpolitik noch aus einer Zeit stammten, in der es Defizitsituationen bei vielen Nahrungsmitteln gab und in der die Industrie intensiv nach Arbeitskräften suchte. Ende der achtziger, Anfang der neunziger Jahre, als man über Reformen nachdachte, waren die wichtigsten Märkte bereits durch Überschussproduktion gekennzeichnet. Man legte deshalb Flächen (und Bauern) still in der Hoffnung, mit weniger Fläche und weniger Bauern die Überschussproblematik in den Griff zu bekommen. Doch das funktionierte nicht. Da die landwirtschaftliche (Preis-)Stützung an die Produktion gekoppelt war, stellte sie weiterhin einen Anreiz dar, noch mehr zu erzeugen und die Produktionsmethoden weiter zu intensivieren. Schon MacSharry wusste: Die Intensivierung der Agrarproduktion führt zu Umweltbelastungen in den Intensivregionen und zur Aufgabe der Nutzung auf schlechten und somit weniger produktiven Standorten, was ebenfalls ein Umwelt- bzw. Naturschutzproblem darstellt, denn die artenreichen Kulturlandschaften sind auf bestimmte (extensive) Nutzungen angewiesen.
MacSharry kündigte einen großen Reformentwurf an, alles sollte anders und - natürlich - besser werden. Die Reform '92 wurde als "ein sorgfältig konzipiertes, kohärentes Bündel von Maßnahmen" verkauft, das als "Basis für eine gesunde europäische Agrarpolitik in diesem letzten Jahrzehnt des 20. und bis hinein ins 21. Jahrhundert" dienen sollte. Eine Politik wurde uns angekündigt, die "für Landwirte und Verbraucher und in der Tat für alle Bürger dieser Gemeinschaft von Vorteil sein wird". Als ein Ziel wurde definiert, "eine ausreichend große Zahl von Landwirten zum Bleiben zu bewegen", denn nur so könne "die Umwelt, eine in Jahrtausenden geschaffene Landschaft und das Modell einer durch den bäuerlichen Familienbetrieb geprägten Landwirtschaft . . . erhalten (werden), wie es einer gesellschaftspolitischen Entscheidung entspricht. Dies erfordert eine aktive Politik zur Entwicklung des ländlichen Raums, und diese Politik lässt sich nicht ohne die Landwirte verwirklichen." MacSharry ließ uns wissen, dass Landwirte nicht nur da seien, um zu produzieren. Vielmehr müssten ihre Leistungen für die Umwelt im Zusammenhang mit ländlicher Entwicklung gesehen werden. Alle Maßnahmen sollten deshalb so gestaltet werden, dass sie Extensivierung und umweltverträgliche Produktionsweisen fördern. Direkte Einkommensbeihilfen, die man für die Senkung der Garantiepreise zahlen wollte, sollten nach sozialen und regionalen Gesichtspunkten gestaffelt, ihre Auszahlung ferner von der Einhaltung von ökologischen Mindeststandards abhängig gemacht werden. Gleiches sollte für alle anderen quantitativen Bestimmungen wie Quoten, Flächenstilllegungen etc. gelten. Die Tierprämien sollten an zusätzliche Extensivierungskriterien gebunden sein.
Das war die Philosophie des Agrarkommissars im Vorfeld der Reform von 1992. MacSharry dachte damals aber nicht nur über mehr Bauern- und Umweltfreundlichkeit nach, sondern auch über den Weltmarkt. Denn die EU-Bauern sollten zugleich ihre führende Rolle auf den Weltmärkten beibehalten - also beispielsweise gegen die amerikanische Rindfleischproduktion konkurrieren, wo schon in einigen Betrieben 100 000 Tiere mit Hormonchip im Ohr mit gentechnisch veränderten und somit billigeren Futtermittel gemästet werden. So, als ob nachhaltige Produktion und billige Massenproduktion für den Weltmarkt, der keine sozialen und ökologischen Kriterien kennt, sich nicht ausschließen würden.
Es gab also 1991 durchaus sehr weitgehende Denkansätze aus der Kommission für eine neue Agrarpolitik. Fast identische Gedanken hört man heute. Doch das Ergebnis der Reform von 1992 war ernüchternd. Denn der von der Kommission angedachte Politikwechsel in Richtung einer sozialen und ökologischen Neuorientierung wurde von den Regierungschefs der damals zwölf Mitgliedstaaten, die schließlich über die "neue" Politik zu entscheiden hatten, nicht aufgegriffen: Die Interessen der Agrarlobby und die internationale Wettbewerbsfähigkeit der Landwirtschaft fest im Visier, wurde lediglich eine radikale Änderung der Einkommenspolitik vorgenommen. Statt via Markt- und Preispolitik haben seit dieser "Reform" direkte Einkommensübertragungen die Funktion der Stützung landwirtschaftlicher Einkommen übernommen. An der ungleichen Verteilung der Gelder wurde nicht gerüttelt; der Vorschlag von MacSharry, diese Einkommensübertragungen nach Betriebsgröße, Zahl der Tiere, Einkommenshöhe oder nach anderen wichtigen Faktoren zu staffeln, wurde ebenso wenig beachtet wie die Kopplung der Auszahlung der Gelder an ökologische Auflagen. Es blieb also fast alles beim Alten, aber eben nur "fast" - denn der Rat beschloss gegen den Willen der Kommission eine neue Subvention für eine besondere Anbaukultur, die so genannte Silomaisprämie.
Bauern bekommen seit 1992 anstatt der Garantiepreise für bestimmte Produkte nun Prämien für solche Flächen, auf denen die bislang preisgarantierten Kulturen (wie z. B. Getreide) und nun zusätzlich Mais angebaut werden. Mit dem Mais wurde erstmals ein so genanntes Grundfutter subventioniert. Doch diese Privilegierung des Mais hatte fatale Folgen für das andere, nicht subventionierte Grundfutter wie etwa das Kleegras oder das ökologisch so wertvolle Grünland. Der Maisanbau dehnte sich deutlich aus, das Grünland nahm weiter massiv ab (um 25 Prozent in den letzten 20 Jahren in den alten Bundesländern), die Kühe wanderten von der Weide in den Stall. Milchkühe auf der Weide findet man daher heute häufiger auf den Verpackungen der Milchkonzerne denn in der Wirklichkeit. Die ökologischen Folgen beider Entwicklungen sind eindeutig negativ: Der Mais ist nicht nur ein Problem, weil er das Grünland verdrängt. Sein Anbau an sich ist ein Umweltproblem hohen Ausmaßes. Lange liegt der Boden dem Wetter ohne schützende Pflanzendecke ausgesetzt brach, Bodenerosionen sind extrem häufig. Die schweren Maschinen, die im Maisbau eingesetzt werden, führen zu Bodenverdichtungen. Der Mais ist zudem ein exzellenter Gülleschlucker. Er kann quasi in der "Scheiße" stehen, und auch dies macht ihn neben seiner hohen Ertragsfähigkeit für die intensive Landwirtschaft, insbesondere die großen Mastbetriebe, so interessant. Interessiert ist aber auch die vorgelagerte Industrie: Sie verkauft Jahr für Jahr das Hybridsaatgut, das demnächst gentechnisch manipuliert auf den Markt kommt; sie liefert die vielfach benötigten Spritzmittel und die schweren Erntemaschinen. Allein die Tatsache, dass es einen Zusammenschluss der am Maisanbau interessierten Verbände gibt, zeigt, welches Interesse an einer solchen Frucht bestehen kann. Wenn die Bauern schon kaum noch in der Landwirtschaft Geld verdienen können, so lässt sich zumindest an der Landwirtschaft Geld verdienen.
Dort, wo sich Massentierhaltungsbestände konzentrieren, z. B. im Münsterland, in Südoldenburg oder aber in der Bretagne, bestimmt Mais das Landschaftsbild. Doch das Grundwasser wird verschmutzt. Dies kritisierte bereits der Europäische Rechnungshof. Er wies 1998 auf eine besondere "Inkohärenz der Gemeinschaftspolitik" hin (wo doch die Kommission uns ihr Reformpaket von 1992 als ein "kohärentes" Bündel verkauft hatte): "Einige Anbaukulturen (Gras, Klee, Luzerne, eiweißhaltige Pflanzen) werden als ,Nitratfallen' bezeichnet und können durchaus zur Resorption von übermäßiger Nitratbelastung des Bodens genutzt werden . . . Gemeinschaftshilfen werden jedoch in weit umfangreicherem Maße für die Mais-Silierung als für diese Kulturen gewährt. Die Erzeuger geben den Anbau dieser Kulturen daher auf. So wurde beispielsweise zu Lasten des Haushaltsplans 1996 ein Betrag von 55 Mio. ECU an bretonische Landwirte zur Subventionierung des Anbaus von zur Silierung bestimmtem Mais gewährt."Inkohärent sei diese Politik, weil auf der einen Seite die EU die Mitgliedstaaten verpflichtet, den Eintrag von Nitrat aus landwirtschaftlichen Quellen zu verringern bzw. zu vermeiden, auf der anderen Seite sie aber selber den nitratfördernden Maisanbau subventioniert. Europäische Schizophrenie, europäischer Alltag! III. Der Rat und nicht die EU-Kommission als Bremser einer veränderten Agrarpolitik
Wichtig ist hier festzustellen, dass es nicht die Kommission, sondern der Rat war, der vor knapp zehn Jahren die Umsetzung richtiger Gedanken und Ansätze für mehr Umwelt-, Verbraucher- und Sozialverträglichkeit in der Gemeinsamen Agrarpolitik verhinderte. Auf Brüssel, sprich, die Kommission, schimpft sich immer gut. Hier war es aber die Summe der Mitgliedstaaten, die blockte, die sich scheute, etwas zu vollziehen, wovor die Agrarlobby sich fürchtet.
Das Ergebnis dieser Politik ist bekannt: Schneller als angekündigt, musste erneut eine "Reform" her; die 92er Reform führte die Landwirtschaft eben doch nicht ins neue Jahrtausend. Es brauchte gerade einmal vier Jahre, bis das Spiel von neuem begann: "Die Kommission erkannte . . . an, dass das Stützungssystem . . . einer kleinen Minderheit von landwirtschaftlichen Betrieben vorbehalten war . . . - ein Problem, das mit der Reform (von 1992, Anm. d. Verf.) noch nicht behoben wurde", urteilte dazu der Europäische Rechnungshof in seinem Jahresbericht 1996. Geld wurde weiterhin verwendet, um die großen Betriebe zu fördern und die kleinen aus der Produktion zu drängen. Die Reform von 1992 hat auch nichts daran geändert, dass die Landwirtschaft der größte Naturvernichter in Europa blieb - trotz der Agrarumweltmaßnahmen, die mit der Reform von 1992 eingeführt wurden und die fortan rund fünf Prozent aller Agrarausgaben ausmachten.
In Brüssel wurde wieder einmal die eigene Politik der Vergangenheit kritisiert - und wieder wurde Besserung gelobt. Einsicht macht sich in der Öffentlichkeit immer gut. Was las man so alles in den Papieren zur neuen Reform, die unter dem Namen "Agenda 2000" firmierte? Die Gemeinsame Agrarpolitik hätte z. B. eine Reihe negativer Auswirkungen gehabt, die mit der Reform von 1992 nur teilweise korrigiert wurden. Da wurde wieder - wie schon 1991/92 - von "ungleicher Verteilung" und von "negativen Folgen für die Raumordnung und den ländlichen Raum" geschrieben, über "intensive Produktionsverfahren, die häufig ernste Auswirkungen auf die Umwelt und die Tierseuchen haben", philosophiert. Es wurde kritische Bestandsaufnahme betrieben, es wurden weiter ausufernde Märkte beklagt, der Blick gen Osten zu den beitrittswilligen Staaten gerichtet, über GATT und WTO geredet und festgestellt: Die Politik muss abermals reformiert werden, wir brauchen die "Agenda 2000".
Und dann wurde den geneigten Lesern (und Steuerzahlern) wieder der große Wurf angekündigt, nämlich ein "europäisches Agrarmodell". Das soll eine "wettbewerbsfähige Landwirtschaft (sein), der es gelingt, sich auf dem Weltmarkt ohne übermäßige Subventionen zu behaupten", gleichzeitig "eine Landwirtschaft mit gesunden, umweltgerechten Produktionsverfahren, die die von den Verbrauchern erwarteten Qualitätsprodukte liefert, . . . eine vielgestaltige, traditionsreiche Landwirtschaft, deren Aufgabe nicht nur darin besteht zu erzeugen, sondern auch die Schönheiten unserer Landschaften und lebendige ländliche Gemeinschaften zu erhalten, die Arbeitsplätze schaffen und sichern"; eine "einfachere, verständliche Agrarpolitik" wurde von der - durchaus nicht verständlichen - Brüsseler Bürokratie versprochen.
In der Tat: Wie schon 1992 waren wieder viele Vorschläge, die in den Kommissionsstuben ausgedacht wurden, so gestaltet, dass eine höhere Sozialgerechtigkeit und Umweltverträglichkeit der GAP die Folge gewesen wären: Die Direktzahlungen, die die Landwirte seit 1992 in Form von Flächenprämien für bestimmte Anbaukulturen erhalten, sollten (wie schon 1992 angekündigt) verbindlich an Umweltauflagen gekoppelt werden. Die Silomaisprämie sollte gestrichen, die Agrarumweltprogramme sollten ausgedehnt werden. Eine Grünlandprämie wurde ebenso erwogen wie die Kopplung der Zahlung von Rinderprämien an einen Weidegang der Tiere. Die Lebensmittelsicherheit und -qualität sollte über die Förderung von Qualitätsprodukten (etwa Erzeugnissen aus dem ökologischen Landbau bzw. aus artgerechter Haltung) verbessert, soziale Kriterien für eine gerechtere Verteilung der öffentlichen Mittel (sprich: der Subventionen) sollten eingeführt werden. Agrarkommissar Fischler dachte hierbei zum Beispiel daran, eine Obergrenze für diese Direktzahlungen vorzusehen: Kein Betrieb sollte mehr als 100 000 Euro, also rund 200 000 DM bekommen. 2,5 Milliarden Euro hätte dies, so hat es der Europäische Rechnungshof errechnet, eingespart. Eine Menge Geld, das man hätte verwenden können, um mehr Maßnahmen zur Arbeitsplatzerhaltung, zum Aufbau regionaler Verarbeitungs- und Vermarktungsstrukturen sowie für mehr Natur-, Umwelt- und Tierschutz zu finanzieren.
Hätte - denn 1992 sollte sich wiederholen; es sollte wieder anders kommen als von der Kommission geplant. Die Agrarlobby, die vom bestehenden Subventions-System so wunderschön profitiert, war alarmiert und setzte erfolgreich alle Hebel in Bewegung, es nicht zu wirklichen Reformen kommen zu lassen. Als Erstes verschwand der Vorschlag Fischlers zur Einführung der Subventions-Obergrenze vom Tisch. Doch die Kommission ließ nicht ganz locker. Statt der Obergrenzen gab es dann in den offiziellen Vorschlagspapieren der Kommission eine Reihe anderer Kriterien für eine gerechtere Verteilung der Gelder: Die Direktzahlungen sollten, wenn schon nicht nach oben begrenzt, zumindest gestaffelt werden; in der Fachsprache nannte man dies "Modulation": Einen Abschlag von 20 Prozent wollte man bei Betrieben mit einem "Anspruch" von über 100 000 Euro an Direktzahlungen vornehmen, gar 25 Prozent bei einem "Anspruch" von mehr als 200 000 Euro. Die Direktzahlungen sollten auch an die Anzahl der auf den Betrieben beschäftigten Arbeitskräfte gekoppelt werden - d. h., die Zahlungen hätten gekürzt werden sollen, wenn der Betrieb weniger Arbeitskräfte beschäftigt, als einem national festzulegendem Grenzwert entspricht. Und die Ansprüche auf Zahlungen einer anderen Subventionslinie, nämlich die sogenannte Bullenprämie, sollten weiterhin auf 90 Bullen pro Betrieb begrenzt bleiben.
Doch auch von diesen weniger weitgehenden Ideen der Kommission blieb auf dem EU-Gipfel von Berlin im März 1999, auf dem die "Agenda 2000" beschlossen wurde, nicht viel übrig: Die Modulation, also die Begrenzung der Subventionen, wurde als obligatorisches, als ein für alle Mitgliedstaaten verpflichtendes Element abgelehnt. Es wurde den Mitgliedstaaten lediglich frei gestellt, so etwas national einzuführen; Deutschland macht bis heute davon keinen Gebrauch. Auch die von der Kommission vorgeschlagene Bindung der Direktzahlungen an europäisch einheitliche, verbindliche ökologische Auflagen fand nicht die Zustimmung der Mitgliedstaaten. Auch hier nur wieder die Klausel: Wer will, der kann es tun; wer es nicht will, der lässt es bleiben. Deutschland lässt es bleiben! Und so ging es weiter: Die Silomaisprämie wurde nicht gestrichen, weil besonders Deutschland und Frankreich dagegen opponierten. Und das hatte Folgen: Da nämlich die Kommission in ihren Finanzierungsvorschlägen die Silomaisprämie nicht eingerechnet hatte (weil sie ja für die Streichung war), diese Prämie allein aber mit 2,5 Milliarden Mark pro Jahr zu Buche schlägt, die Regierungschefs aber bei rund 40 Mrd. Euro pro Jahr eine klare Ausgabenobergrenze für die Agrarpolitik gezogen hatten, mussten diese 2,5 Milliarden Mark an anderer Stelle des Agrarhaushaltes eingespart werden. Unter anderem deshalb gibt es keine Grünlandförderung, keine Förderung der ökologisch so wertvollen Leguminosen oder des Kleegrases, keine höheren Zahlungen der EU in ökologisch sensiblen Gebieten, so wie es von der Kommission angedacht war! Und bei den Milchpreisen wurde stärker gesenkt als geplant. Alles Maßnahmen, die gerade Betrieben, die ihre Milch nicht mit Mais herstellen können, sondern z. B. auf Grünland ökologisch verträglich und tiergerecht wirtschaften, ökonomische Probleme bereiten.
Wen wundert es da noch, dass auch die Begrenzung der Zahlung der Bullenprämie auf 90 Tiere pro Betrieb ebenfalls aufgehoben wurde? Auch hier spielte wieder Deutschland - die großen Betriebe in den fünf neuen Bundesländern im Visier - gemeinsam mit den Niederlanden und Großbritannien eine entscheidende unrühmliche Rolle.
Und so endete die Agenda 2000 wie die Agrarreform von 1992: Die meisten der aus Sicht einer "nachhaltigen Landwirtschaft" positiven Ansätze, die von der Kommission vorgeschlagen wurden, fanden nicht die Unterstützung der Mitgliedstaaten. Diese setzten die alte, überholte Wachstumspolitik im Agrarbereich fort, fanden aber wunderschöne Überschriften, um dem die Subventions-Zeche zahlenden Bürgern und Verbrauchern eine angebliche Neuorientierung vorzugaukeln. Zum Beispiel wurde die Förderung der ländlichen Räume zur "zweiten Säule der Agrarpolitik" erklärt. In dieser zweiten Säule sind auch die Agrarumweltmaßnahmen integriert. Doch gerade einmal zehn Prozent des Agrarhaushalts, also rund vier Milliarden Euro, fließen in diese "zweite Säule". Vergleicht man die Förderprogramme der früheren Perioden und deren Ausgabenhöhe mit dieser "neuen" Politik, so stellt man fest, dass dies alter Wein in neuen Schläuchen ist. Rund 2,1 Milliarden Euro für Agrarumweltmaßnahmen und weitere zwei Milliarden Euro für die Förderung ländlicher Räume sind zwar schönes Geld, mit denen viele sinnvolle Sachen gemacht werden können. Doch einerseits können damit die Fehlentwicklungen, die von den übrigen 90 Prozent der Agrarausgaben ausgehen, nicht kompensiert werden, zum anderen ist es nicht mehr Geld, als bislang gemeinsam aus den Agrar- und Strukturfonds floss.
Eines zeigt aber diese Betrachtung der EU-Ebene deutlich: Wenn Deutschland eine wirkliche Agrarwende möchte, die auf mehr Umwelt-, Verbraucher- und Tierschutz setzt, wenn der Kanzler und seine Ministerin für eine sozial gerechtere Verteilung der Steuergelder kämpfen wollen, dann rennen sie bei der Kommission eher offene Türen ein, als dass sie mit Widerständen rechnen müssen. Bislang allerdings stand Deutschland im Ministerrat auf der Seite derer, die die positiven Reformvorschläge der Kommission abgelehnt haben.IV. Reform-Chancen durch Neuordnung des EU-Agrarhaushalts
Wenn es nun nicht die Kommission sein wird, von der größere Widerstände gegen eine "Agrarwende" zu erwarten sind, wo finden sich diese dann? Wer spielt z. B. im Ministerrat welche Rolle? Klar ist, dass es hier keine einheitlichen Fronten gibt. Der Agrarhaushalt der Europäischen Union ist seit Jahren das Spiegelbild höchst unterschiedlicher Interessen der Agrarlobby und der Mitgliedstaaten. Bislang galt: Wenn Du nicht an "meiner" Subvention kratzt, dann taste ich auch deine nicht an. Die südeuropäischen Staaten profitieren z. B. überproportional von den Tabak-, Olivenöl- oder den Obst- und Gemüsesubventionen, während die Direktzahlungen bei den Ackerkulturen eher nach Deutschland, Frankreich, Großbritannien fließen. Andere Staaten finden mittlerweile in den Agrarumweltprogrammen ihre (bescheidene) Nische. Jeder sieht zu, wie er in dem über 40 Jahre gewachsenen Geflecht von unterschiedlichen Geldtöpfen möglichst viel für seine Bauern bzw. für das eigene Land herausholen kann.
Im EU-Agrarhaushalt gibt es Geld für alles, was man sich so vorstellen oder auch nicht vorstellen kann: von der Subventionierung von "Seidenraupen und Seidenraupeneiern", über den "Export für in Form von bestimmten alkoholischen Getränken ausgeführtes Getreide" bis hin zur Subventionierung der "privaten Lagerung von Tintenfischen" bzw. der Subventionierung der "Lieferung von reinrassigen Zuchtkaninchen auf die französischen überseeischen Departements" (immerhin 120 DM pro Karnickel!). Vergleichsweise neu sind die Beihilfen für die Spargel- bzw. die Haselnusserzeuger. Die Rosinenerzeuger hingegen, besonders jene im griechischen Bezirk Heraklion, wohin gleich 50 Prozent der europaweit dafür zur Verfügung stehenden Mittel fließen, freuen sich schon etwas länger über den Geldsegen aus Brüssel. Hinter jeder Ausgabe stehen bestimmte Interessen, und die haben in den seltensten Fällen etwas mit Nachhaltigkeit, Sozialgerechtigkeit oder Umweltverträglichkeit zu tun. Aber stellt man sie in Frage, folgt lautstarker Protest. Es gilt folglich, mit der Agrarwende einen von Lobbyisten in Jahrzehnten geknüpften gordischen Knoten zu zerschlagen, und das macht die Sache hoch kompliziert. Vernunft gilt nicht, wenn es um finanzielle Interessen geht. Bei den Agrarreformen 1992 und 2000 ist man genau an diesen Partikularinteressen gescheitert.
Die Chancen werden bei der nächsten, im Jahr 2007 anstehenden Reform besser sein als je zuvor, auch wenn die Partikularinteressen natürlich weiter bestehen. Der Druck auf grundlegende Veränderungen wird nicht nur in Deutschland größer. Die wegen BSE und MKS brennenden Tierkadaver in Großbritannien führen auch dort zum Umdenken. Die Niederlande wissen, dass sie ihre Tierbestände abbauen müssen, denn das Land erstickt im wahrsten Sinne des Wortes in der Scheiße. Österreich und die skandinavischen Länder drängen seit Jahren auf mehr Ökologie im Agrarsektor. Die bisherige Agrarpolitik ist aus finanziellen, aber auch aus ökologischen und sozialen Gründen nicht auf die Beitrittsstaaten übertragbar. Das Finanzpaket der EU muss insgesamt neu geschnürt werden, und das wird auch den Agrarhaushalt fundamental treffen. Ein Grund dafür besteht beispielsweise darin, dass es mit dem Beitritt der MOE-Staaten ein neues Fördersystem bei den Strukturfonds geben wird, die mit 35 Prozent der EU-Gesamtausgaben den zweitgrößten Posten der EU neben den Agrarausgaben (rund 50 Prozent) ausmachen. Die neuen Bundesländer werden ab 2007 (bis dahin sind die Maßnahmen bei den Agrarausgaben und den Strukturfonds beschlossen) kaum noch mit Mitteln aus den Strukturfonds rechnen können, da sich die Fördergebiete weiter nach Osten verschieben werden. Der Wegfall der Gelder aus den Strukturfonds würde jedoch die in ihrer Art singuläre Nettozahlerposition Deutschlands innerhalb der EU weiter negativ verändern. Allein deshalb wird es den Ruf nach "Ausgleich" geben, und Deutschland wird mit seinen Agrarpositionen einen nicht schlechten Verhandlungsstand einnehmen können.
Die Neugestaltung der EU-Ausgaben und somit der EU-Politik wird ein extrem schwieriges Geschäft mit lang andauernden Diskussionen werden. Weil aber vermutlich kein Stein auf dem anderen bleiben wird, sind die Möglichkeiten fundamentaler Veränderungen günstiger denn je. Hinzu kommt, dass die EU selbst seit dem Vertrag von Maastricht verpflichtet ist, ihrerseits den Umweltschutz in alle Politikbereiche zu integrieren. Sie kann gar nicht anders, als ökologische Aspekte intensiver aufzugreifen; das Parlament und der Europäische Rechnungshof haben sich als Wächter hierüber mittlerweile bewährt. Bis Ende 2006 gelten noch die in Berlin beschlossenen Programme und Verordnungen der Agenda 2000. Etwa zwei Jahre werden die Mitgliedstaaten benötigen, um die 2007 Gültigkeit bekommenden Maßnahmen national umzusetzen. Das bedeutet, dass die ab 2007 geltende Politik spätestens 2005 beschlossen werden muss, was wiederum bedeutet, dass spätestens 2003 die Kommission erste Vorstellungen vorlegen müsste. Es gibt also nicht mehr so viel Zeit, die nationalen Interessen für einen neuen europäischen Rahmen zu formulieren - d. h., die Vorstellungen an eine Agrarwende auf europäischer Ebene zu konkretisieren und intensiv nach Verbündeten in den anderen Mitgliedstaaten der EU, ggf. sogar bei den Beitrittsländern zu suchen -, um sich die notwendigen Mehrheiten dafür zu sichern.V. Interessenkonflikte bei der Agrarwende
Bislang hat sich Deutschland nicht als besonders innovativ erwiesen, neue Wege in der Agrarpolitik zu gehen. Es war Ignaz Kiechle (CSU), der wohl als letzter Bundeslandwirtschaftsminister kritische Worte zu den Agrarentwicklungen und dem Strukturwandel im Agrarbereich fand. Kurz vor seinem Ausscheiden im Jahr 1993 brachten die hauseigenen BMELF-Informationen folgende Meldung: Einen "so genannten freien Markt" für die Landwirtschaft lehne der Minister ab. "Dieser Markt ist gnadenlos"; er kenne keine sozialen Kriterien und nehme keine Rücksicht auf Naturgegebenheiten. Die Hälfte der landwirtschaftlichen Nutzfläche in Deutschland, die in von der Natur benachteiligten Gebieten liegen, würden bei einem völlig freien Markt mit härtestem Konkurrenzkampf wohl kaum mehr bewirtschaftet.
Kiechles Nachfolger, der CDU-Politiker Jochen Borchert, wischte Kiechles Mahnung vom Tisch und erwies sich als wahrer Verfechter des freien Marktes und des Strukturwandels: Die Agrarpolitik könne den Strukturwandel nicht unterdrücken; sie sollte deshalb auch gar nicht erst den Versuch dazu unternehmen. Der Strukturwandel sei der Motor der Leistungsfähigkeit und somit Voraussetzung für die deutsche Landwirtschaft, um im europäischen Wettbewerb zu bestehen. So war denn auch die Politik der christlich-liberalen Regierung dadurch gekennzeichnet, das Prinzip "Wachsen oder weichen" fortzusetzen, den Strukturwandel weiter zu fördern und einige wenige Betriebe für den harten Konkurrenzkampf auf den liberalisierten Märkten fit zu machen. Man folgte so nicht nur der Logik der bisherigen EU-Agrarpolitik, man gestaltete sie vielmehr aktiv im Ministerrat mit. Diese Logik hieß: "Förderung der betriebswirtschaftlichen Rationalisierung", wo immer es geht, und man nahm dabei die negativen Effekte wie Umweltbelastung, Qualitätsverschlechterung, Tierschutzprobleme und Arbeitsplatzverluste hin. Die Wende besteht nun darin, nicht den allein betriebswirtschaftlich rationalen Betrieb mit seiner Produktion für billige Massenmärkte zu fördern, sondern multifunktionale Betriebe zu entwickeln, die sich mit Qualitätsprodukten die Märkte sichern.
Bedacht werden muss dabei aber immer wieder, dass die bisher betriebene Agrarpolitik keinesfalls nur Verlierer, sondern auch Profiteure kennt, und das nicht zu knapp. Und diese sind engstens verflochten mit Teilen der Politik, der Administration, der Beratung, dem Berufsstand. Sie verteidigen diese überholte Politik. Die Front gegen eine Ausdehnung des ökologischen Landbaus als Teil der Agrarwende ist längst noch nicht gebrochen - und dies betrifft auch bestimmte Bereiche der Bürokratie. Am 8. November 2000 lehnte beispielsweise die Bundesanstalt für Arbeit über das Arbeitsamt Magdeburg einen Antrag des BUND Sachsen-Anhalt auf Förderung einer Arbeitsbeschaffungsmaßnahme "Erstellung eines Einkaufs- und Vermarktungsführers zur Stärkung der Regionalvermarktung ökologischer Produkte im Land Sachsen-Anhalt" mit folgender Begründung ab: "Bei der Herausgabe einer solchen Broschüre ist mit hoher Wahrscheinlichkeit von einer Störung des Wettbewerbs und der Wirtschaft auszugehen, insbesondere in Konkurrenz zu Wirtschaftsunternehmen, die keine ökologischen Produkte produzieren bzw. vertreiben. Damit ist die . . . Fördervoraussetzung nicht erfüllt . . ."
Die Vermarktung regionaler Produkte und die Förderung des Ökoanbaus soll nur ein Schwerpunkt der angekündigten neuen Agrarpolitik sein. Wenn hier schon die von der CDU regierten Bundesländer, teilweise wohl aus Oppositionsgründen, nicht mitziehen (Hessens Landwirtschaftsminister Dietzel hat angekündigt, die Gelder für die Ökolandbauberatung zu streichen), so sollte man doch meinen, dass die neue Ministerin zumindest von ihren Kabinettskollegen volle Unterstützung bekommt. Beim Bundesarbeitsminister bzw. den ihm unterstellten Behörden ist dies noch nicht der Fall, obwohl nachweislich durch den Ökolandbau und die alternative Vermarktung regionaler Qualitätsprodukte neue Arbeitsplätze geschaffen werden können. Vielleicht kann Frau Künast zukünftig zumindest auf die Hilfe des Bauministers hoffen, der u. a. eine Regelung rückgängig machen müsste, die noch von der CDU/FDP-Koalition eingeführt wurde und die Erleichterung des Baus von großen Ställen zum Gegenstand hat. Wer die Massentierhaltung abschaffen will, muss hier ansetzen und bedarf der Hilfe seiner Ministerkollegen. Zur Zeit gibt es jedoch eine Schwemme von Bauanträgen für neue, noch größere Ställe. Wenn in Deutschland in einer Zeit, in der über die Agrarwende debattiert wird, z. B. Entenmastanlagen mit 500 000 Mastplätzen (in Bayern) oder mit 360 000 Mastplätzen (in Sachsen-Anhalt) vor der Bewilligung stehen, dann ist es schwer, dem besorgten Verbraucher klarzumachen, was dies mit der Forderung nach einer Abschaffung oder wenigstens Verminderung von Agrarfabriken zu tun hat. Wenn gleichzeitig erstmals in Deutschland eine gentechnisch manipulierte Maissorte die Zulassung erhält, dann werden sich viele Menschen fragen, ob so eine "andere, verbrauchsorientierte Agrarpolitik" aussieht.
Wie stark ist die Agrarlobby, die im Kern nichts ändern will? Klar ist, dass es mächtige Gegner einer Agrarwende gibt, die über beste Beziehungen in Politik und Administration verfügen und mit unterschiedlichsten Motivationen und Begründungen eine Veränderung der bisherigen Agrarwirtschaft ablehnen. Als sich die neue Regierungskoalition aus SPD und GRÜNEN in ihrer Koalitionsvereinbarung vom 20. Oktober 1998 für eine Reform der Agrarpolitik auf EU- und nationaler Ebene aussprach, war es noch relativ ruhig. In der Koalitionsvereinbarung wurde u. a. zur Sicherung der ökologisch wertvollen Grünlandnutzung auf EU-Ebene eine Grünlandprämie sowie ein Lieferrechtsmodell für die Milch gefordert. Man verständigte sich darauf, die Agrarumweltmaßnahmen auszubauen, den ländlichen Raum zu stärken und die Landwirtschaft in das Bündnis für Arbeit einzubeziehen. Die Gemeinschaftsaufgabe "Agrarstruktur und Küstenschutz" sollte um den Bereich Vertragsnaturschutz und ökologischer Landbau erweitert, die regionale Verarbeitung und Vermarktung darin aufgenommen werden: "Die neue Bundesregierung setzt sich für eine deutliche Ausdehnung des Ökologischen Landbaus ein, vorrangig durch Absatz- und Vermarktungsförderung"; man sollte diese Passage den Arbeitsämtern zur Kenntnis geben. Die Investitionsförderung soll nach der Einkommenshöhe gestaffelt, von flächengebundener Tierhaltung abhängig gemacht und gleichberechtigt Nebenerwerbslandwirten geöffnet werden. Überhaupt: Die flächengebundene Tierhaltung soll gestärkt werden.
Viele Aspekte einer veränderten Agrarpolitik sind also schon in der Koalitionsvereinbarung verankert, und dennoch hapert es mit der Umsetzung. Selbst bei Maßnahmen, bei denen die Bundesregierung nicht auf veränderte Rahmenbedingungen aus Brüssel warten muss, hatte sich in Deutschland bis zum Auftreten des ersten BSE-Falles nicht sonderlich viel getan. Erst mit diesem BSE-Fall in Deutschland begann eine wirkliche gesellschaftliche Diskussion über die Zukunft der Agrarpolitik. Sowohl das Kanzleramt als auch die Staatssekretäre aus dem Land- bzw. Umweltministerium, Wille und Baake, machten in Konzepten deutlich, wie eine zukünftige Agrarpolitik auf nationaler und EU-Ebene aussehen soll.
Nun kommt es zum Schwur, nun müssen die Auseinandersetzungen mit der Agrarlobby geführt werden. Es ist spürbar, dass überall Kräfte gegen eine Agrarwende wirken. Beispielsweise wurde die angekündigte massive Förderung des ökologischen Landbaus sofort als Angriff auf die konventionelle Landwirtschaft und somit die Bauernschaft interpretiert. Einen Keil wolle die Regierung zwischen die konventionelle und die ökologische Landwirtschaft treiben, so der Bauernverband. Wer die Positionen z. B. des Kanzleramtes sauber analysiert, der wird feststellen, dass eine Politik geplant ist, welche die Ungerechtigkeiten und Unverträglichkeiten der Vergangenheit auflösen will. Es wird eine Politik sein, die weit mehr Betrieben zugute kommt als die heutige Förderpolitik. Wenn man im Rahmen dieser Politik überhaupt von einem "Keil" sprechen will, dann wird es einer sein, der zwischen der mehr und mehr industriell organisierten Agrarproduktion, die einseitig auf billige Produktion bedacht ist, und einer Landwirtschaft, die eben die anderen Aspekte wie Umwelt- und Verbraucherinteressen sowie den Tierschutz stärker berücksichtigt, ansetzt.
Überall in Europa zeigen viele Beispiele, dass eine Agrarwende machbar ist: Österreich hat landesweit zehn Prozent Bioanbaufläche, im Salzburger Raum sind es schon knapp 40 Prozent. Nordrhein-Westfalen kennt, seitdem Landwirtschaftsministerin Höhn und ihr Staatssekretär Griese vor Jahren den Ökoanbau zum Schwerpunkt erklärt haben, jährliche Wachstumsraten von über zehn Prozent im Bio-Anbau. In diesem Jahr hat das Interesse noch einmal sprunghaft zugenommen; eine Zuwachsrate von 30-40 Prozent wird nicht ausgeschlossen.
Die Gewinner einer Agrarwende wären viele einzelne Bauern, die Verbraucher, die Nutztiere, die Umwelt und die Natur. Die Gewinne für sie werden sich erst sukzessiv, nach und nach einstellen. Sie haben keine laute Lobby. Hingegen sehen die bestens organisierten Gewinner der bisherigen Politik ihre Pfründe möglicherweise abrupt schwinden. Sie nutzen ihre vielfältigen Einflussmöglichkeiten, es nicht dazu kommen zu lassen. Doch an ihrem eng geknüpften Lobbygeflecht darf die angekündigte Agrarwende nicht scheitern.