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Freiwilliges Engagement in den neuen und alten Bundesländern | Politisches Engagement | bpb.de

Politisches Engagement Editorial Bürgerschaftliches Engagement im politischen Diskurs Gespaltene Bürgergesellschaft? Ungleichheit in der Bürgergesellschaft Freiwilliges Engagement in den neuen und alten Bundesländern Die sozialen Risiken "Neuer Ehrenamtlichkeit"

Freiwilliges Engagement in den neuen und alten Bundesländern Ergebnisse des Freiwilligensurveys 1999

Thomas Gensicke

/ 16 Minuten zu lesen

Öffentliches freiwilliges Engagement außerhalb von Beruf und Familie ist in den neuen Ländern weniger verbreitet als in den alten. Dennoch findet es in beachtlichem Umfang statt.

I. Weniger freiwilliges Engagement in den neuen Ländern

1999 wurde der "Freiwilligensurvey - Ehrenamt, Freiwilligenarbeit und bürgerschaftliches Engagement" durchgeführt, der vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert wurde .

Die umfassende Erhebung sollte in detaillierter und repräsentativer Form Verbreitung, Situation, Charakteristik und Potenziale freiwilligen Engagements in dessen verschiedensten Formen erfassen, wobei sich dieses Engagement ohne Erwerbszweck hauptsächlich außerhalb des privaten und beruflichen Bereichs vollziehen sollte. Der Survey, der mit einer Stichprobe von ca. 5 400 Befragten für die neuen Länder eine der größten Erhebungen darstellt, die dort bisher durchgeführt wurden, ermöglichte es, statistisch sicher und aufgrund einer anspruchsvollen Methodik den Umfang des freiwilligen Engagements zu erfassen. Die in Tabelle 1 kursiv gedruckten Prozentquoten der freiwillig Engagierten entstammen einer Ergebnisvariable, die aus anderen Variablen des Freiwilligensurveys konstruiert wurde .

Als erstes Ergebnis der Analyse fällt auf, dass in den neuen Ländern der Anteil "freiwillig Engagierter" um sieben Prozentpunkte geringer ist als in den alten Ländern. Ebenso konnten weniger so genannte "Aktive" identifiziert werden, die in Ver-einen, Organisationen und Gruppen "aktiv beteiligt" sind, aber darüber hinaus keine "ehrenamtlichen" oder "freiwilligen" Aufgaben und Arbeiten übernommen haben (Tabelle 1). Deshalb wurden in den neuen Ländern deutlich mehr Befragte als so genannte "nicht Aktive" eingestuft, da sie nicht in der erwähnten Art und Weise aktiv "öffentlich beteiligt" und auch nicht "freiwillig bzw. ehrenamtlich engagiert" waren.

Dieser Befund deutet darauf hin, dass sich das Engagement der Bevölkerung in den neuen Bundesländern - aus in der Folge noch zu untersuchenden Gründen - stärker auf den beruflichen und privaten Bereich konzentriert und weniger dem öffentlichen Leben in Vereinen, Gruppen etc. gewidmet ist. Dies gilt auch für den engeren Bereich des freiwilligen und ehrenamtlichen Engagements. Geringere Aktivitäts- und Engagementquoten sind außerdem in allen neuen Ländern zu beobachten, sind also sind nicht etwa Kennzeichen bestimmter Regionen auf dem Gebiet der neuen Bundesländer (Tabelle 2).

Tabelle 3 weist das freiwillige Engagement im Vergleich zwischen den neuen und alten Ländern detaillierter aus, nunmehr dargestellt nach den ermittelten Engagementbereichen. Insbesondere im Bereich "Kirche und Religion" bleibt das En-gagement in den neuen Ländern hinter dem der alten zurück, relativ gesehen ist dieses Zurückbleiben in den höher besetzten Bereichen "Kultur und Musik" und "Soziales" ebenfalls auffällig. Quantitativ am stärksten wirkt sich jedoch das zurückbleibende freiwillige Engagement im größten Bereich "Sport und Bewegung" aus. In den neuen Ländern wird in diesem Bereich freiwilliges Engagement etwa zu zwei Dritteln des Prozentsatzes der alten Länder angegeben.

Nach Prüfung verschiedener Erklärungsansätze für die Unterschiede zwischen den neuen und alten Ländern habe ich mich dazu entschlossen, folgende Leithypothese zugrunde zu legen: In den neuen Ländern ist jene längerfristig gewachsene Organisations- und Vereinsstruktur bzw. -kultur, die in den alten Ländern blüht und die durch die Eigenart einer von den alten Ländern her bestimmten Transformation "Vorbildcharakter" hat, auch längere Zeit nach der staatlichen Vereinigung nicht entsprechend entwickelt. In der DDR gab es diese Struktur bzw. Kultur in geringerem Maße, da ein größerer Teil der nichtfamiliären und nicht direkt beruflichen Aktivitäten an Betriebe und öffentliche Institutionen gebunden war. Diese Struktur hat sich nach der Wende aufgelöst, und eine gegenüber den DDR-Verhältnissen andersartige Organisations- und Vereinskultur hatte zum Messpunkt erst zehn Jahre Zeit, sich zu entwickeln. Dieser Erklärungsansatz soll in der Folge anhand weiteren Materials vertieft werden.

II. Mehr früheres Engagement in den neuen Ländern bei mittleren und älteren Jahrgängen

Der Freiwilligensurvey erlaubt es, nicht nur das aktuelle freiwillige Engagement im Vergleich zwischen den neuen und alten Ländern darzustellen, sondern auch das frühere freiwillige Engagement der Befragten (Tabelle 4). Dieser Punkt ist für den Vergleich zwischen den neuen und alten Ländern besonders wichtig, weil somit rückblickend die Situation des freiwilligen Engagements in der DDR und aktuell die Folgen der sozialen Transformation der neuen Länder untersucht werden können.

In den neuen Ländern werden etwas höhere Werte für früheres freiwilliges Engagement angegeben. Insbesondere die staats- bzw. kulturtragenden Generationen der DDR berichten intensives ehemaliges freiwilliges Engagement. Der Schwerpunkt und vor allen Dingen auch der Kontrast zwischen den neuen und alten Ländern liegt bei den Altersgruppen zwischen 40 bis 69 Jahren, besonders bei den 50- bis 69-Jährigen, die mehr als acht Prozentpunkte mehr ehemaliges Engagement angeben als ihre Altersgenossen in den alten Ländern. Die 60- bis 69-Jährigen waren bzw. sind als einzige Altersgruppe der neuen Länder mehr in den Freiwilligenbereich einbezogen als ihr Gegenpart in den alten Ländern.

Verglichen mit den alten wurde 1999 in den neuen Ländern erwartungsgemäß viel öfter ein Beendigungszeitpunkt des freiwilligen Engagements "vor 10 Jahren" angegeben (Alte Länder: 15 Prozent, Neue Länder: 27 Prozent). Mehr als ein Viertel des früheren freiwilligen Engagements in den neuen Ländern wurde also 1989 im Jahr des Zusammenbruchs der DDR-Regimes und der Maueröffnung beendet. Rechnet man noch die Jahre 1988 und 1990 dazu, dann wurden in diesen drei Jahren 36 Prozent des früheren freiwilligen Engagements beendet, gegenüber nur 18 Prozent in der alten Bundesrepublik.

Die größten Kontraste zeigen sich zwischen den DDR- und BRD-Generationen. Von den 1999 50- bis 59-jährigen neuen Bundesbürgern haben 36 Prozent allein 1989 (als sie 40- bis 49 Jahre alt waren) ihr freiwilliges Engagement beendet, gegenüber 20 Prozent der entsprechenden Gruppe in den alten Ländern. Rechnet man für diese Altersgruppe die Jahre 1988 bis 1990 zusammen, dann steigt die Beendigungsquote in den neuen Ländern sogar auf 50 Pronzent , die in den alten Ländern erhöht sich lediglich auf 21 Prozent!

Man muss wohl von der Gruppe der heute 50- bis 59-Jährigen in den neuen Ländern annehmen, dass bei der Aufgabe freiwilligen Engagements (abgesehen von der sich auflösenden Infrastruktur) zwei wesentliche Faktoren ausschlaggebend waren: sowohl der politisch-ideologische als auch der wirtschaftliche Umbruch. Letzterer zwang gerade diese Altersgruppe zur beruflichen Bewährung und Neuorientierung; Motivation und Ressourcen für freiwilliges Engagement wurden knapper. Zum anderen brachte er für viele aufgrund des Arbeitsplatz- und beruflichen Statusverlustes wirtschaftliche und soziale Abstiege und damit unter Umständen soziale Desintegration mit sich.

Tabelle 5 dokumentiert die Gründe für die Beendigung freiwilligen Engagements in den neuen und alten Ländern. In den alten Ländern waren danach typische Ereignisse des Lebensverlaufs bedeutsamer für die Beendigung der freiwilligen Tätigkeit als in den neuen Ländern, seien es "normale" berufliche oder familiäre Gründe oder die Frage der regionalen Mobilität. Für knapp 30 Prozent derjenigen, die in den neuen Ländern ihr Engagement beendet haben, spielte das jedoch keine Rolle ebenso wie gesundheitliche Fragen und die von vornherein geplante zeitliche Begrenzung der Tätigkeit. Andere Gründe ergaben sich in den neuen Ländern vielmehr daraus, dass Organisationen und Gruppen aufgelöst wurden bzw. keine Finanzierung mehr gegeben war.

Betrachtet man nur das im Jahr 1989 beendete Engagement, dann spielte es damals sogar zu 51 Prozent (Alte Länder: 10 Prozent) eine Rolle, dass Organisationen und Gruppen aufgelöst wurden, Finanzierungsprobleme gab es zu 20 Prozent (Alte Länder: 5 Prozent). Man erkennt in diesen Angaben noch einmal mit aller Deutlichkeit den Reflex des Zusammenbruchs eines größeren Teils der Infrastruktur freiwilligen Engagements in der untergehenden DDR.

Der Auflösungswelle der früheren DDR-Organisationen ist nur teilweise eine "Reorganisation" der neuen Bundesbürger gefolgt. Hatten nach der Erfassungsmethodik des Wohlfahrtssurveys die alten Länder 1998 eine "Organisationsquote" von 58 Prozent, so betrug diese in den neuen Ländern nur 38 Prozent der Bevölkerung . In den neuen Ländern waren danach deutlich weniger Menschen Mitglieder in Vereinen, Gewerkschaften, Parteien, Bürgerinitiativen und anderen Organisationen. So waren etwa in kirchlichen Vereinen, in Musik- und Gesangsvereinen und Sportvereinen nur 17 Prozent der neuen Bundesbürger gegenüber 44 Prozent der alten Bundesbürger organisiert.

III. Ähnlichkeiten und Unterschiede des Freiwilligensektors in den neuen und alten Ländern

Vor dem Hintergrund der Vorgeschichte beider Landesteile war nicht unbedingt zu erwarten, dass sich neue und alte Länder zwar im Moment bezüglich der Beteiligung am freiwilligen Engagement unterscheiden, aber nicht so sehr bezüglich der Charakteristik des Freiwilligensektors.

Unterschiede ergeben sich durch die geringere Bedeutung des kirchlich-religiösen Bereichs (mehr Kirchenanbindung in den alten Ländern, mehr Anbindung an staatliche, kommunale Einrichtungen in den neuen Ländern), die höhere Arbeitslosigkeit in den neuen Ländern (Problem der Vereinbarkeit freiwilligen Engagements mit Arbeitslosengeld) und durch die allgemein schlechtere finanzielle Situation (Finanzmangel, geringere Aufwandsentschädigungen).

Die Befragten sollten ihre freiwillige Tätigkeit mit einer Bezeichnung versehen, die aus einer Auswahl von Begriffen zu entnehmen war, die heutzutage sowohl parallel als auch alternativ für freiwilliges Engagement verwendet werden (Tabelle 6). Angesichts langjähriger Debatten in der alten Bundesrepublik und des anderen Zuschnitts der Engagementkultur in der DDR ist das ganz ähnliche begriffliche Selbstverständnis des freiwilligen Engagements in den neuen und alten Ländern bemerkenswert. Man sieht die Tätigkeit am besten als "Freiwilligenarbeit" charakterisiert, der am zweithäufigsten genannte Begriff ist der des "Ehrenamtes".

Zu großen Unterschieden führt auch die Erfassung des organisatorischen Rahmens nicht, innerhalb dessen sich die freiwillige Tätigkeit in den neuen und alten Ländern vollzieht (Tabelle 7). Die Besonderheit ist die Ungleichverteilung zugunsten der Kirchen und religiöser Vereinigungen in den alten Ländern und zugunsten staatlicher bzw. kommunaler Einrichtungen in den neuen Ländern.

Die Befragten sollten außer der Beschreibung von Inhalten auch ein Anforderungsprofil ihrer freiwilligen Tätigkeiten zeichnen. Der deutlichste Unterschied zwischen den alten und neuen Ländern besteht darin, dass die Engagierten in den neuen Ländern sich stärker dazu herausgefordert sehen, mit Behörden gut umgehen zu können. Das kann zum einen mit der stärkeren staatlichen bzw. kommunalen Anbindung der Tätigkeiten zu tun haben, die Menschen in den neuen Ländern angeben, zum anderen jedoch auch mit Fragen staatlicher Finanzierung freiwilligen Engagements und dem steten Ringen darum (etwa um ABM-Stellen etc.). Schließlich dürften auch Fragen der Kompatibilität des freiwilligen Engagements von Arbeitslosen und dessen Behandlung durch die Behörden in den neuen Ländern eine besondere Rolle spielen.

Bezüglich der Tätigkeitsanforderungen muss angefügt werden, dass der Freiwilligenbereich in den neuen Ländern stärkere inhaltliche Beziehungen zum beruflichen Bereich aufweist als in den alten. So berichten die Engagierten in den neuen Ländern öfter, dass die Ausübung ihrer Tätigkeit "berufliche Erfahrungen" im Tätigkeitsfeld voraussetzt und dass es einen Zusammenhang zwischen ihrer freiwilligen Tätigkeit und ihrer aktuellen bzw. früheren beruflichen Tätigkeit gibt.

IV. Erwartungen an das freiwillige Engagement

Die Erwartungen an die Freiwilligentätigkeit sind in den neuen und alten Ländern sehr ähnlich: Freiwilliges Engagement soll die Lebensfreude und Lebensqualität der Engagierten steigern: nämlich "Spaß bereiten". Daneben gibt es vitale karitative und gemeinwohlorientierte Engagementmotive, die diesem Tätigkeitsmodus nicht nur den Charakter des "Freiwilligen" verleihen, sondern auch des mitmenschlichen "Sichkümmerns" und des über den Privatismus hinausgehenden öffentlichen Bewusstseins. In dieser Hinsicht sind die Engagierten in den neuen Ländern noch etwas stärker motiviert als in den alten (Tabelle 8).

An letzter Stelle der Erwartungen an die freiwillige Tätigkeit steht die Frage, ob das Engagement auch einen "beruflichen Nutzen" mit sich bringen soll. Dem entspricht auch der letzte Platz in der Erfüllung der Erwartungen. In den neuen Ländern wird allerdings dieser berufliche Nutzen von immerhin einem Viertel der Engagierten durchaus als wichtig angesehen, und diese Erwartung wird auch stärker eingelöst als in den alten Ländern.

Das Bedürfnis, mit dem freiwilligen Engagement eigene Interessen vertreten und eigene Probleme in die Hand nehmen bzw. lösen zu können, steht bei den Befragten statistisch in engem Zusammenhang mit dem Bedürfnis nach dem beruflichen Nutzen der Tätigkeit. Das ist allerdings ein für die neuen Länder typischeres Muster als für die alten, wie es bereits die Verteilung der Einzelerwartungen erkennen ließ. Abgesehen davon, dass es in der Bevölkerung der neuen Ländern eine stärkere Konzentration auf den (bezahlten) beruflichen Erfolg gibt, wodurch teilweise die Energien vom Freiwilligensektor abgezogen werden, erwarten also auch die freiwillig Engagierten in den neuen Ländern von ihrem Einsatz einen höheren beruflichen Nutzen als in den alten Ländern.

Die angeführten Abweichungen gehen besonders auf die Frauen in den neuen Ländern zurück, deren freiwilliges Engagement in engem Zusammenhang mit ihren beruflichen Interessen steht. Sie engagieren sich also auch, weil sie sich dadurch ein besseres berufliches Fortkommen - nicht selten auch einen Wiedereinstieg in den Beruf - erhoffen.

V. Problemwahrnehmungen von Engagierten

Die befragten Freiwilligen haben im Freiwilligensurvey an die Adresse ihrer Organisationen, des Staates und der Arbeitgeber einen ganzen Katalog von Forderungen herangetragen und damit gezeigt, dass es durchaus eine Reihe von Fragen und Problemen gibt, wo die Freiwilligen in ihrer Tätigkeit "der Schuh drückt" (Tabellen 9 und 10).

Zuallererst fehlt Geld, vor allem für die Durchführung von Projekten. Diese Beobachtung machen die Befragten in den neuen Ländern mehr als in den alten. Überhaupt ist in den neuen Ländern überall da, wo es um die Finanzen geht, ein größeres Problembewusstsein vorhanden, sei es nun bei der "unbürokratischen Kostenerstattung" oder (allerdings auf mäßigem Niveau) bei der "finanziellen Vergütung für die Arbeit".

Die besondere Bedeutung des Problemfaktors "Finanzen" in den neuen Ländern zeigt sich auch bei anderen Fragen des Freiwilligensurveys. So haben die Engagierten in den neuen Ländern weniger die Möglichkeit, sich finanzielle Auslagen gegen Nachweis erstatten zu lassen. Soweit sie gewisse Vergütungen erhalten, liegen diese deutlich niedriger als in den alten Ländern und sie werden in den neuen Ländern auch weniger als angemessen empfunden. Dies ist sicherlich ein Reflex der größeren öffentlichen und privaten Finanzknappheit der neuen Bundesländer, die auch vor dem Freiwilligenbereich nicht Halt macht.

Dass auch die Frage der "Bürokratie" in den neuen Ländern stärker betont wird, könnte auf die stärkeren Wechselbeziehungen des Freiwilligenbereichs mit dem staatlichen Bereich zurückgehen, sei es auf Ebene der Kommunen, der Länder oder des Bundes. Eine spezifische Wechselbeziehung dieser Art zeigt sich in der erhöhten Bedeutung des Problems der "Vereinbarkeit des Bezugs von Arbeitslosengeld und freiwilligem Engagement". Nach der Logik der Arbeitsverwaltung stehen Arbeitslose, die sich intensiv freiwillig engagieren, dem Arbeitsmarkt nicht hinreichend zur Verfügung bzw. setzen zu wenig Energie zur Rückkehr auf den ersten Arbeitsmarkt ein. Viele Arbeitslose, besonders in fortgeschritteneren Jahrgängen, haben jedoch im Moment nur wenig Chancen, entsprechende Jobs zu finden. Es sollte daher nicht verhindert, sondern unterstützt werden, dass sie sich freiwillig engagieren, und zwar im Interesse des Erhalts von Qualifikation und Motivation.

Angesichts der besonderen Lage in den neuen Ländern muss ein Kompromiss zwischen "psycho-sozialer Logik" und "Logik der Legalität" gefunden werden. Insofern könnten die neuen Länder ein Experimentierfeld für Deutschland insgesamt sein, wo sich herausstellen könnte, dass Befürchtungen, die sich hinter den Regelungen der Arbeitsverwaltung verbergen, unbegründet sind.

VI. Potenziale des freiwilligen Engagements in den neuen Ländern

Der Anteil der Gruppe mit Interesse an einem freiwilligen Engagement ist mit 27 Prozent in den neuen und alten Ländern gleich groß. Die Abbildungen 1 und 2 geben einen Überblick über die Potenziale freiwilligen Engagements in den alten und neuen Ländern nach Altersgruppen.

Das Interesse am freiwilligen Engagement steigt in Richtung der jüngeren Jahrgänge deutlich an und ist in den Altersgruppen bis 29 Jahre besonders hoch. Junge Befragte in den neuen Ländern, insbesondere im Alter zwischen 14 und 24 Jahren, bekunden eine besonders hohe Engagementbereitschaft. Auch wenn dieses jugendliche Potenzial sicher nicht so einfach abrufbar sein dürfte, besteht doch eine erhebliche Chance zur Vergrößerung des freiwilligen Engagements in unserer Gesellschaft.

Bemerkenswert ist, dass Menschen in den neuen Ländern da, wo sie als Engagierte besondere Motive angeben, dasselbe auch als am Engagement Interessierte tun. Sie wollen mit einem Engagement in erhöhtem Maße "eigene Interessen vertreten" und "eigene Probleme lösen", und sie streben verstärkt einen "beruflichen Nutzen" an. Fast die Hälfte der am Engagement Interessierten in den neuen Ländern (48 Prozent) wünscht eine Verbindung zwischen Engagement und beruflichem Nutzen gegenüber "nur" einem Drittel in den alten Ländern (Abbildungen 1 und 2).

Frauen in den neuen Ländern äußern sich in dieser Hinsicht am nachdrücklichsten. Man kann auch im Umkehrschluss annehmen, dass sich auch deswegen weniger Menschen in den neuen Ländern freiwillig engagieren, weil sie vom beruflichen Nutzen dieses Engagements nicht überzeugt sind .

VII. Was ist zu tun ?

1. Besondere Förderung der Infrastruktur durch Anlaufstellen für freiwilliges Engagement und Selbsthilfe: Wie gezeigt wurde, bleibt der Organisationsgrad des freiwilligen Engagements in den neuen Ländern hinter dem der alten zurück. Es ist auch nicht absehbar, ob und in welchem Maße sich die neuen Bundesbürger in die "herkömmliche" Organisationsstruktur der alten Länder integrieren lassen werden. Daher bieten sich besonders für die neuen Länder neuere Formen der Förderung des freiwilligen Engagements an, die zunehmend auch in den alten Ländern Gewicht erhalten. Anlaufstellen für freiwilliges Engagement und Selbsthilfe wollen über die bisher üblichen Organisations- und Engagementmodelle der Vereine, Organisationen und Parteien hinaus die weniger Organisierten ansprechen und Menschen erreichen, die zunächst an einem eher spontanen und unverbindlichen Engagement interessiert sind.

2. Besondere Berücksichtigung hoher Arbeitslosigkeit und prekärer Beschäftigung: In den neuen Ländern trifft eine Gesetzgebung, die von einem funktionierenden und regulierten Arbeitsmarkt und daran problemlos angekoppelten sozialen Unterstützungssystemen ausgeht, auf eine "unübersichtlichere" Situation als in den alten Ländern. "Unbürokratisches" Vorgehen und eine sinnvolle Zusammenführung der verschiedensten Regulierungen und Zuständigkeiten vor allem auf kommunaler Ebene sind daher besonders gefragt. Freiwilliges Engagement von Arbeitslosen sollte nicht noch zusätzlich durch die Behörden behindert werden.

3. Freiwilliges Engagement als "demokratisches Erfahrungsfeld": In den neuen Ländern wird das öffentlich-politische System der Bundesrepublik vor allem in seiner praktischen Funktionsweise ungünstiger bewertet als in den alten Ländern . Abgesehen von politischer Enttäuschung werden solche Urteile auch von einem Standpunkt größerer Distanz zum alltäglichen öffentlich-politischen Prozess gefällt, da weniger neue Bundesbürger als alte öffentlich aktiv und engagiert sind. Förderung von freiwilligem Engagement in den neuen Ländern sollte daher auch als Chance dafür begriffen werden, dass mehr neue Bundesbürger praktische Erfahrungen in öffentlich-politischen Zusammenhängen eines für sie immer noch neuen Gesellschaftssystems sammeln können.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Dieser Artikel beruht auf einer wesentlich umfangreicheren Studie, vgl. Thomas Gensicke, Freiwilliges Engagement in den neuen und alten Bundesländern, in: Hans-Joachim Braun/Helmut Klages (Hrsg.), Zugangswege zum freiwilligen Engagement und Engagementpotenzial in den neuen und alten Bundesländern, Bonn 2000, S. 15-113. Sie ist einer von sieben vertiefenden Themenberichten zu den weiteren Themen "Gender", "Jugend", "Ältere Menschen", "Sport", "Zugangs-wege" sowie "Engagementpotenzial", die von den Mitgliedern des Projektverbundes "Freiwilligensurvey 1999" erstellt wurden, vgl. Bernhard von Rosenbladt (Hrsg.), Freiwilliges Engagement in Deutschland. Ergebnisse der Repräsentativerhebung zu Ehrenamt, Freiwilligenarbeit und bürgerschaftlichem Engagement in Deutschland, Bonn 2000; Sybille Picot (Hrsg.), Freiwilliges Engagement in unterschiedlichen Lebenswelten, Bonn 2000. Diese 3 Bände sind in der Schriftenreihe des Auftraggebers, des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, als Nr. 194.1-3 erschienen und dort über die Broschürenstelle zu beziehen. Der Freiwilligensurvey wurde von Anfang Mai bis Ende Juli 1999 durch Infratest Burke im Rahmen des Projektverbunds bei ca. 15 000 deutschsprachigen Befragten ab 14 Jahren telephonisch (CATI) nach vorherigem Pretest durchgeführt. Die Stichprobe der Untersuchung konnte durch die Unterstützung der Robert Bosch Stiftung um etwa 5 000 Befragte aufgestockt werden, so dass für alle Bundesländer (außer Bremen und Saarland) repräsentative Aussagen möglich sind. Aufgrund der ungewöhnlich großen Stichprobe können für die neuen Länder insgesamt statistisch besonders sichere Aussagen getroffen sowie einzelne Bevölkerungsgruppen genauer untersucht werden (außerdem auch jedes einzelne neue Land selbst bzw. Berlin sowie wiederum Gruppen oder Regionen innerhalb dieser einzelnen Länder). Als erste einzelne Landesstudie wird Mitte 2001 die Studie "Freiwilliges Engagement in Rheinland-Pfalz" erscheinen, die vom Autor im Auftrag des Landesministeriums für Inneres und Sport erarbeitet wurde.

  2. Es wurde in Anknüpfung an frühere Studien (etwa an den Speyerer Survey "Wertewandel und bürgerschaftliches Engagement 1997") ein anspruchsvolles Verfahren zur Ermittlung einer Quote des freiwilligen Engagements gewählt (vgl. Helmut Klages/Thomas Gensicke, Wertewandel und bürgerschaftliches Engagement an der Schwelle zum 21. Jahrhundert, Speyerer Forschungsberichte 193, Speyer 1998; Thomas Gensicke, Deutschland im Übergang: Lebensgefühl, Wertorientierungen, Bürgerengagement, Speyerer Forschungsberichte 204, Forschungsinstitut für öffentliche Verwaltung, Speyer 2000). Zunächst sollten die Befragten angeben, ob sie in 15 vorgegebenen Bereichen "außerhalb von Familie und Beruf irgendwo mitmachen", ob sie sich "in einem Verein, einer Initiative, einem Projekt oder einer Selbsthilfegruppe . . . aktiv beteiligen". Wenn mindestens ein Aktivitätsbereich angegeben wurde, erfolgte die Zuordnung der Befragten zu der Gruppe der so genannten "Aktiven". Die in dieser Weise "aktiven" Befragten (insgesamt 66 %) wurden dann in einem weiteren Schritt aufgefordert, in den von ihnen genannten Aktivitätsbereichen von ihnen "freiwillig" oder "ehrenamtlich" übernommene Aufgaben und Arbeiten zu nennen. Wenn solche Aufgaben und Arbeiten angegeben wurden, konnten die Befragten (nach einer späteren Prüfung dieser sämtlich erfassten offenen Nennungen) als so genannte "freiwillig Engagierte" klassifiziert werden.

  3. Diesem Erklärungsproblem widme ich in meiner Studie viel Raum. Zu dem Faktor "unterentwickelte" Organisations- und Vereinsstruktur, den ich favorisiere, gesellen sich dort noch weitere Erklärungsmuster, unter anderem sozioökonomische und Einstellungsunterschiede (z. B. unterschiedliche Gewichtungen von Lebensbereichen).

  4. Vgl. Statistisches Bundesamt (Hrsg.), Datenreport 1999, Zahlen und Fakten über die Bundesrepublik Deutschland, Bonn 2000, S. 534 ff.

  5. Man beachte allerdings, dass sich freiwillige Tätigkeiten in Vereinen, Verbänden etc. in den neuen Ländern auf einer geringeren Basis formaler Mitgliedschaften vollziehen.

  6. Unterschiedliche Gewichtungen von Lebensbereichen in den neuen und alten Ländern erkennt man anhand der Daten des bereits zitierten Wohlfahrtssurveys von 1998. Der Lebensbereich "Arbeit" wird in den neuen Ländern zu 70 % als "sehr wichtig" angesehen, in den alten Ländern "nur" zu 50 %. "Einkommen" ist in den neuen Ländern zu 69 % "sehr wichtig" und "nur" zu 47 % in den alten Ländern. "Erfolg im Beruf" beurteilen 43 % der Menschen in den neuen Ländern gegenüber "nur" 30 % in den alten als "sehr wichtig". Vgl. Statistisches Bundesamt (Anm. 4), S. 444.

  7. 44 % der Frauen in den neuen Ländern bewerten den Stellenwert des "Berufs" höher als den der "Freizeit", worin ihnen nur 26 % der Frauen in den alten Ländern folgen. Diese sehen dagegen zu 37 % "Freizeit" als wichtiger an als den "Beruf", was nur 18 % der ostdeutschen Frauen ebenso sehen. Der Rest bewertet beide Lebensbereiche jeweils gleichgewichtig. Die deutliche Höherbewertung des Berufes gegenüber der Freizeit ist in den neuen Ländern in allen Altersgruppen zu erkennen. Vgl. Statistisches Bundesamt (Anm. 4), S. 493.

  8. Eine umfassende Analyse der Vereinigungssituation in den neuen Ländern mit ihren mentalen Implikationen findet sich in meiner Dissertation. Vgl. Thomas Gensicke, Die neuen Bundesbürger. Eine Transformation ohne Integration, Opladen u. a. 1998.

Dr. rer. publ., geb. 1962; Studienleiter bei Infratest/Burke Sozialforschung, München.

Anschrift: Infratest Sozialforschung, Landsberger Str. 338, 80687 Müchen.
E-Mail: thomas.gensicke@hpde.infrabrk.com

Veröffentlichungen u. a.: Freiwilliges Engagement in den neuen und alten Bundesländern, in: Hans-Joachim Braun/Helmut Klages (Hrsg), Zugangswege zum freiwilligen Engagement und Engagementpotenzial in den neuen und alten Bundesländern, Bonn 2000.