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Neue Formen gespaltener Elternschaft

Matthias Kettner

/ 25 Minuten zu lesen

Die Fortschritte der "Reprogenetik" haben unser Standardmodell der "natürlichen" Elternschaft eines heterosexuellen Paares um neue Formen gespaltener Elternschaft erweitert. Genetische, austragende und aufziehende Elternteile werden personell trennbar.

Einleitung

Die Fortpflanzungsmedizin muss zwei tendenziell gegenläufigen Forderungen nachkommen. Einerseits wird Hilfestellung bei der Verhinderung von Schwangerschaften erwartet, die aus ganz unterschiedlichen Gründen unerwünscht sind. Andererseits soll die Fortpflanzungsmedizin mit Hilfe medizinisch-technischer Behandlungen und Hilfsmittel den Wunsch nach eigenen Kindern in Erfüllung gehen lassen. Aber nicht nur diese beiden Zwecke bestimmen das Feld der Fortpflanzungsmedizin. Die spezifischen Forderungen werden zusammengehalten durch eine dritte, für die gesamte medizinische Profession charakteristische Forderung: Die Medizin soll krankheitsbedingtes Leiden lindern und - vor allem - durch die Behandlung und Verhinderung von Krankheit zur Gesunderhaltung beitragen. Die folgenden Überlegungen sollen zur Klärung der Frage beitragen, warum die Fortschritte der Fortpflanzungsmedizin so heftig umstritten sind, wie es politische, bioethische und kulturkritische Debatten gerade in jüngster Zeit belegen.

Die Praxis der menschlichen Fortpflanzung gehört sicher zu den kulturell sehr deutlich als "normal" und "natürlich" ausgezeichneten Gegebenheiten. Aber gerade diese Praxis erfährt durch die Fortpflanzungsmedizin Veränderungen, die den Anschein unmittelbarer Natürlichkeit auflösen und absichtsvolles ("intentionales") Handeln ermöglichen, wo das biologische Geschehen bislang kaum ernsthafte Wahlmöglichkeiten geboten hatte.

Insbesondere in drei Bereichen haben sich solche Veränderungen bereits mit massiven sozialen Folgen ausgeprägt: bei der Geburtenkontrolle, der assistierten Fortpflanzung und der vorgeburtlichen Gesunderhaltung.

Geburtenkontrolle kann nur fortpflanzungsfähige, assistierte Fortpflanzung nur fortpflanzungswillige Personen betreffen. Vorgeburtliche Gesunderhaltung beinhaltet die vorgeburtliche Diagnostik von medizinisch feststellbaren Störungen und deren Behandlung, sofern sie "Krankheitswert" haben und betrifft daher zunächst die werdenden Kinder und ihre leiblichen Mütter. In einem weiten Sinne aber betrifft der Auftrag der Gesunderhaltung sämtliche Personen, die so in den Fortpflanzungsprozess einbezogen sind, dass Mediziner sich für zuständig halten dürfen - z. B. die werdenden leiblichen Väter.

Geburtenkontrolle entkoppelt sexuelles Begehren und Fortpflanzung, assistierte Reproduktion befreit gleichsam den Kinderwunsch von der Naturlotterie der Fortpflanzungsfähigkeit und vorgeburtliche Gesunderhaltung befreit die Fortpflanzung von der Naturlotterie der erwünschten und der unerwünschten Merkmale (z. B. erblichen Krankheiten). In diesen drei Feldern der Befreiung von naturwüchsiger Begrenzung liegt das ambivalente Anwendungspotenzial der Fortpflanzungsmedizin.

Einen Einschnitt in der Geschichte der Fortpflanzungsmedizin kann man im Bereich Geburtenkontrolle mit der Empfängnisverhütung durch die Pille in den frühen sechziger Jahren ansetzen, in vorgeburtlicher Gesunderhaltung mit der Etablierung routinemäßiger vorgeburtlicher Massenuntersuchungen ("Screenings") seit den fünfziger Jahren, die anfangs nur mit bildgebenden Ultraschallverfahren arbeiteten und sich heute zunehmend auch molekulargenetischer Methoden bedienen, und schließlich im Bereich assistierter Fortpflanzung mit der "künstlichen Befruchtung" Ende der siebziger Jahre. Für alle drei Bereiche gilt, dass die Anwendung neuer Techniken der Fortpflanzungsmedizin bislang stets noch ihrer moralischen Reflexion bemerkenswert weit vorausgeeilt ist. Zudem sind die ethischen Aspekte der Fortpflanzungsmedizin anfangs nur innerhalb der Profession erörtert worden, bevor die kontroverse Diskussion diese Schranken sprengen und eine öffentliche werden konnte. Erinnert sei an die breite, besonders von den christlichen Kirchen angefachte Kontroverse über die Pille. Seit 1978, nach der Geburt des ersten "Reagenzglas-Babies" (Louise Joy Brown) wurde auch die In-vitro-Fertilisation (IVF) mehr und mehr zum Gegenstand der öffentlichen Aufmerksamkeit - und der Massenmedien, eine Tatsache, die Art und Verlauf der öffentlichen Debatte nachhaltig beeinflusst hat .

Die öffentliche Aufmerksamkeit richtet sich derzeit auf neue Möglichkeiten der Diagnose und Therapie. Die Stichworte sind hier die genetische pränatale Diagnostik , die Präimplantationsdiagnostik (PID) und die genetische (entweder somatische oder Keimbahn-)Therapie. Diese Aufmerksamkeit hat viele Gründe. Die wichtigsten liegen wohl im erfolgreichen Abschluss der ersten Etappe des Humangenomprojekts im letzten Jahr, in der lautstarken Publicity der Propheten der "molekulargenetischen Revolution der Medizin" und in der zwiespältigen Faszination, die für die meisten Menschen in der Vorstellung des Klonierens liegt und auch durch Beschwichtigungssemantiken (wie z. B. die Unterscheidung von "therapeutischem" versus "reproduktivem" Klonen in der Debatte über die Stammzellforschung) nicht abgekühlt werden kann.

Die meisten Gesellschaften, in denen reproduktionsmedizinische Techniken für die Bevölkerung zugänglich sind, sind pluralistische Gesellschaften: Die Bürger solcher Gesellschaften haben sehr unterschiedliche Auffassungen sowohl über die wünschenswerten technischen Möglichkeiten der Reproduktionsmedizin wie auch über die normativ zulässigen Grenzen ihrer legitimen Anwendung, Verfügbarmachung und Normalisierung. Der Pluralismus solcher Auffassungen hängt von vielfältigen Faktoren ab, z. B. vom Informationsniveau der Bevölkerung, von den jeweils vorherrschenden (z. B. religiösen) Weltbildern, von bestimmten Vorstellungen über die Natur menschlichen Lebens und der menschlichen Person, von persönlichen Interessen und - nicht zu vergessen - vom Grad der persönlichen Betroffenheit der Einzelnen. Ungewollt kinderlose Paare denken oft ganz anders über die Fortpflanzungsmedizin als alleinstehende Menschen, als gewollt kinderlose Paare und als Eltern. Eltern von Kindern mit genetisch verursachten schweren Beeinträchtigungen denken anders als Eltern von Kindern, die solche Beeinträchtigungen nicht haben. Und "jüngere" werdende Mütter (unter 35 Jahren) denken wiederum anders als "ältere", denen die Fortpflanzungsmedizin "Risikoschwangerschaften" attestiert .

Eine Begleiterscheinung dieser Debatten sind Veränderungen im Selbstverständnis der Medizin. Ist heute allgemein eine gewisse Aufweichung der Begriffe Krankheit und Therapie vom Bezug auf Heilung oder Besserung bestimmter Leiden zu beobachten, so gilt dies für die Fortpflanzungsmedizin in besonderem Maße. Deren neue Techniken werden immer häufiger als medicine du désir angesehen, das heißt als wunscherfüllende (statt Krankheiten behandelnde) Medizin - ein Bedeutungswandel mit gesellschaftlichen Folgen von beträchtlicher, heute erst andeutungsweise kenntlicher Tragweite, der sich auch auf unser herkömmliches Vorverständnis der Rollen von Arzt und Patient auswirkt.

Auch im Selbstverständnis innerhalb der Fortpflanzungsmedizin vollzieht sich ein Wandel. Der in Princeton lehrende Molekularbiologe Lee Silver hat ihn in seinem lesenswerten Buch als die Geburt einer neuen Mischdisziplin, genannt "Re-progenetik", beschrieben . Reprogenetik meint das Zusammenwachsen von Humangenetik und Fortpflanzungsmedizin. Ein humanbiotechnologisches Feld mit großen gesellschaftlichen Konsequenzen ist im Entstehen begriffen. Von den vielfältigen Problemwahrnehmungen, die in diesem Feld entspringen, kann ich im Folgenden nur einen kleinen Ausschnitt behandeln: Mich interessieren Formen gespaltener Elternschaft, die derzeit von der Öffentlichkeit als moralisch (oder sonstwie) problematisch wahrgenommen werden.

II. Leiblichkeit und Gesellschaft

Was ist mit "gespaltener Elternschaft" gemeint? Sinnfälliger als viele Erklärungen zeigt ein Cartoon, wie verblüffend die Reprogenetik die überkommenen Verwandtschaftsverhältnisse durcheinanderbringt .

Die Bildunterschrift lautet: "Das ist der Genetiker mit deiner Leihmutter, hier ist dein Samenspender und der Klon deines Vaters, und das bin ich, wie ich dich halte, als du noch ein eingefrorener Embryo warst."

Warum ist das witzig? Wir sehen eine sehr konventionelle Situation im Familienleben. Das bequeme Wohnzimmersofa nebst Zierpalme oder Gummibaum, die Mama, neben sich ihr kleines Kind, wohl ein Mädchen. Sie sind mit dem Anschauen von Familienphotos beschäftigt. Die Mutter, einen Arm um ihr Kind gelegt, gibt eine Bilderklärung. Aber die will zu dieser Idylle nicht recht passen. Ihre Worte beschreiben ein imponierendes Chaos von reprogenetisch aufgespaltener Elternschaft. Normalerweise wäre da von Papi und Mami, vielleicht auch von Schwestern und Hebammen die Rede. Ein eben geborenes Kind "hält" man liebevoll; aber wie "hält" man ein eingefrorenes Embryo? Das Zusammentreffen von Absurdität und Normalität tritt zudem in der unverständlichen Selbstverständlichkeit zutage, mit der die Kindsmutter zum Sprößling im Jargon reprogenetischer Begriffe spricht. An diesen Jargon beginnen die medienkundigen Erwachsenen sich heute gerade erst zu gewöhnen.

Und doch geht offenbar das eine wie das andere. Der haarsträubend anmutende Kommentar wird durch das Gesamtbild normalisiert: Egal wie abweichend von der Norm die Familienentstehungsgeschichte sein mag, am Ende kommt eine ordentliche Mutter-Kind-Beziehung heraus, wie wir sie aus kleinbürgerlichen Verhältnissen als ganz normale und gute Lebensform kennen. Und gleichgültig wie Kritiker heute vor dem Irrsinn und der Inhumanität der "schönen neue Welt" der Reprogenetik warnen, die Zukunft wird zeigen, dass die Unnatürlichkeit bzw. Natürlichkeit der Genese eines Kindes nichts mit der Humanität bzw. Inhumanität der familiären Lebensformen zu tun hat, in denen es aufwächst. Auf die Humanität der Verhältnisse, in denen das Kind aufwächst kommt es an - auf Familie, nicht auf Herkunft. Wer die Fortschritte der Reprogenetik als einen Fortschritt im Bewußtsein reproduktiver Freiheit ("reproductive freedom") und verantwortungsvoller Elternschaft feiert, kann allemal das Argument ins Feld führen, dass für die Bewertung neuer Wege von Elternschaft nicht deren jeweilige Eigenart oder "Abartigkeit" das Maß sein sollte, sondern allein die Liebe, die soziale Eltern ihrem Kind von Geburt an geben werden. Der Rest wären historische Veränderung gewohnter Wahrnehmungsweisen. Der Schrecken von heute würde die Normalität von morgen.

Allerdings ist mindestens ein Platz auf dem Familiensofa leer. Gibt es keine weiteren Geschwister? Ist dieses eine Kind die eine und einzige Großinvestition dieser Familie? Fehlt der Vater? Der männliche Teil der Elternschaft ist als Person nicht anwesend. Was der Kommentar davon sagt, ist unanschaulich (Klon, Samenspender) oder bloß symbolisch (Genetiker). Vielleicht arbeitet der Familienvater (wie üblich, um die Familie zu unterhalten). Vielleicht gibt es auch keinen Familienvater, oder keinen mehr - obwohl die im Comic gezeichnete Situation auch nicht gerade so aussieht, wie "man" sich den Alltag allein erziehender Mütter vorstellt.

Während die Samenspende zu den älteren low-tech-Verfahren, gleichsam zur "guten alten Zeit" der Fortpflanzungsmedizin gehört, handelt es sich bei Kryokonservierung, Transfer und Reimplantation von menschlichen Embryonen um sehr moderne und befremdlicher anmutende high-tech-Verfahren im Arsenal der Reprogenetik. Das gilt erst recht für die Erzeugung von genetischen Kopien menschlicher Embyronen, das Klonen zu "diagnostischen", "therapeutischen" oder gar "reproduktiven" Zwecken.

Anders bei der Leihmutterschaft: Sie erfordert zwar keine biotechnisch anspruchsvolleren Verfahren, konfrontiert uns aber mit einer vergleichsweise neuen sozialen Beziehungsform. Freilich lässt sich auch schon die künstliche Insemination, ob mit "fremdem" oder sozusagen "paareigenem" Samen, nicht auf eine bloß biotechnische Veränderung reduzieren. Es handelt sich vielmehr um eine qualitativ neue soziale Beziehung: Da die künstliche Insemination medizinalisiert erfolgt, geschieht sie im kulturellen Kontext einer normativ durchgestalteten Arzt-Patienten-Beziehung, nicht im kulturellen Kontext einer erotisch-sexuellen intimen Paarbeziehung.

Wir können eine biologische und eine soziologische Perspektive unterscheiden, wenngleich die Realität menschlicher Fortpflanzung, das ist kulturwissenschaftlicher Common Sense, sich weder nur auf den Körper noch nur auf die Sozialität reduziert. Der Cartoon spielt mit bestimmten Komponentenunterscheidungen oder Phasenunterscheidungen innerhalb des vollständigen Akts der individuellen Fortpflanzung, die zunächst einmal unter biologischem Blick neuartig sind. Man wird sich daran zu gewöhnen haben, dass ein Kind außer den sozialen (d. h. aufziehenden, betreuenden, versorgenden) Elternpersonen eine andere männliche Person zum "genetischen Vater" haben kann (den Samenspender bei heterologer Insemination), eine weitere weibliche Person zur "austragenden Mutter" (die Leihmutter), und noch eine weitere weibliche Person zur "genetischen Mutter" (die Eispenderin bei heterologer In-vitro-Fertilisation). Aus zwei Elternpersonen werden fünf genealogisch Beteiligte, die "assistierenden" Reprogenetiker nicht mit eingerechnet.

Doch warum sollten wir uns an so etwas nicht gewöhnen? Warum sollten wir uns an diese und womöglich noch weitere (noch abstrusere?) aus dem Blickpunkt biologischer Normalität neue Formen gespaltener Elternschaft, mit denen die Gesellschaft unter dem Angebotsdruck der Reprogenetik und dem Nachfragedruck des entfesselten Kinderwunschs zu experimentieren begonnen hat, nicht gewöhnen können - oder nicht gewöhnen dürfen ? Welche der biologisch auffälligen Zäsuren werden wirklich auch sozial ausgestaltet, welche nicht? Warum wird z. B. der elternschaftliche Beitrag einer Leihmutter so überdeutlich in den gesellschaftlichen Blick gerückt, der parentale Beitrag eines Samenspenders aber diesem Blick eher entzogen? Dies sind m. E. die entscheidenden Fragen, wenn eine kulturwissenschaftlich aufgeklärte Orientierung im Feld der Reprogenetik gewonnen werden soll.

III. Gender-Asymmetrien in der Bewertung gespaltener Elternschaft

Die zuletzt gestellte Frage - wie die Selektivität zu begreifen sei, die dazu führt, dass nur bestimmte unter allen möglichen biologisch und/oder sozial markierbaren Einschnitten oder Abschnitten im Prozess der Elternschaft zu wirklicher sozialer Anerkennung kommen - drängt sich umso mehr auf, wenn wir die folgenden drei Tatsachen berücksichtigen:

Erstens ist es eine Faktum, dass die meisten Formen gespaltener Elternschaft, die uns biologisch als radikal neu imponieren, so neu gar nicht sind, wenn man sie in ihren kulturellen Kontexten betrachtet. Denn dann werden vertraute Analoga und soziale Varianten sichtbar. Da wir aber in einer Gesellschaft leben, deren massenmediale Selbstbeobachtung das Neue, die auffällige Abweichung strukturell privilegiert gegenüber dem bereits Bekannten, besteht schon medientheoretisch guter Grund für die Erwartung, dass der Beifall für und die Empörung über die Neuartigkeit des Neuen übertrieben werden . Die Medien übertreiben tendenziell die Spannung des Neuen zum Herkömmlichen ins Abartige (Skandalisierung), beschleunigen aber gerade dadurch auch dessen normalisierende Eingliederung ins Gegebene (Trivialisierung).

Außerehelich erweiterte genetische Elternschaft hat es immer gegeben. Traut man Befragungsmethoden, gibt es sie auch heute und hierzulande nicht eben selten, nämlich in zwei von zehn Fällen. Für frühere Zeiten ist auch die Geschichte der Einstellungen zu "Bastarden", unehelichen Kindern besonders von Eltern verschiedener Gesellschaftsschichten, sehr aufschlussreich.

Eine frühe soziale Variante der Leihmutter ist die Amme, die das Kind einer anderen Frau stillt. Auch die volle leibliche Leihmutterschaft ist nicht neu, wirklich neu ist nur der Versuch, sie durch rechtswirksamen Vertrag zu konventionalisieren. William Nicholsons 1997 gedrehtes Filmdrama "Verborgenes Feuer" erzählt, wie in London Mitte des neunzehnten Jahrhunderts eine Gouvernante mit einem Aristokraten die delikate Beziehung der Leihmutterschaft eingeht: Sie soll als Leihmutter ein Kind von ihm austragen, ohne jedoch seine Identität zu erfahren - eine Diskretion, die sich nach drei romantischen Liebesnächten als nicht einfach durchzuhalten erweist. Trotzdem wird nach der Geburt alles nach Plan abgewickelt. (Jahre später wird Elisabeth Erzieherin für die kleine Louisa. Deren Vater stellt entsetzt fest, dass Elisabeth die Frau ist, mit der er einst erotisches Glück erlebte.)

Glaubt man der Bibel, hat es respektable Leihmutterschaft schon vor Jahrtausenden gegeben: "Als Rahel sah, dass sie Jakob keine Kinder gebar . . ., sagte sie zu Jakob: Verschaff mir Söhne: Wenn nicht, sterbe ich. . . . Da ist meine Magd Bilha. Geh zu ihr! Sie soll auf meine Knie gebären, dann komme auch ich durch sie zu Kindern."

Wichtig ist zweitens die Tatsache, dass heute - mindestens "bei uns", den nordatlantischen Demokratien - der kombinatorische Spielraum möglicher neuer Einschnitte und Abschnitte im Prozess der Elternschaft selektiv so ausgeschöpft wird, dass die elternschaftlichen Beiträge von Frauen anders gesehen und normiert werden als die elternschaftlichen Beiträge von Männern. Da wir in einer patriarchalen (wenngleich moderat selbstkritisch patriarchalen) Gesellschaft leben, besteht schon theoretisch bereits ein guter Grund für die Erwartung, dass sich in solchen Ungleichheiten der Einstellung und der Normierung auch starke ideologische Vorstellungen über Männlichkeit, Weiblichkeit, Kindlichkeit und Familie ausdrücken, und zwar zuungunsten der Frauen.

Man kann den Ideologieverdacht überprüfen. Hierzu wären zuerst die geschlechtsbezogenen Unterschiede einzukreisen, die viele Bürger mit Nachdruck in der moralischen Beurteilung und rechtlichen Regulierung der Willkürfreiheit des Fortpflanzungshandelns tatsächlich machen. Sodann wäre den Argumenten auf den Grund zu gehen, mit denen gemeinhin gerechtfertigt wird, dass die fraglichen Unterschiede so gemacht werden sollen.

Ein Beispiel: Die Eizellenspende ist in Deutschland widerrechtlich, die Samenspende aber zulässig . Von BioethikerInnen und JuristInnen, die die bestehende Ungleichbehandlung rechtfertigen wollen, hört man dann etwa, es gehe darum, "gespaltene Mutterschaft zu verhindern". Hierbei scheinen sie unproblematisch vorauszusetzen, dass es auf die Verhinderung gespaltener Vaterschaft weniger ankomme.

Aber warum? Gewiss, es gibt eine aus der Sicht der Gesetzgebung ernstzunehmende Befürchtung, dass die rechtliche Freigabe der Eizellenspende der Ersatz- und Leihmutterschaft den Weg bahnen würde. Aber diesbezüglich wiederholt sich die Frage: Warum zählt der Wunsch, das Aufkommen solcher Formen gespaltener Mutterschaft zu verhindern, so viel? An dieser Stelle des Gedankens wird einesteils mit der Menschenwürde argumentiert. Ersatz- und Leihmutterschaft müssen in Deutschland unrechtmäßig bleiben, da die Achtung der im ersten Artikel unseres Grundgesetzes zum Legitimationsmaßstab aller staatlichen Gewalt erhobenen Menschenwürde es Frauen verbiete, reproduktive Körperfunktionen zu kommerzialisieren.

Wieweit ist diesem Argument zu trauen? Eine verfassungsrechtliche Auslegung der Menschenwürde, die dazu führt, StaatsbürgerInnen, die sich u. U. in bestem Wissen und Gewissen als Eizellen- oder EmbryonenspenderInnen oder Leihmütter betätigen wollen, vor ihrer eigenen Freiheit schützen zu müssen, ist zwar nicht logisch selbstwidersprüchlich. Denn was wir als noch vereinbar bzw. als nicht mehr vereinbar mit der Menschenwürde gelten lassen wollen, wird nicht individuell, sondern gemeinschaftlich festgesetzt und setzt dann dem Spielraum der rechtgebenden Zustimmung ("Konsens") des Einzelnen Grenzen. Doch unproblematisch ist eine solche Auslegung gewiss nicht. Von Spenderlösungen (im Unterschied zu Leihmutterschafts-Verträgen) sind ohnehin wenig Anreize zur Kommerzialisierung zu erwarten. Daher wird von denen, die das System der heterologen Insemination befürworten, aber die Eizellspende ablehnen, oft als letztes und vermeintlich stärkstes Argument das Argument vom Kindeswohl vorgebracht. Es besagt, dass mit jeder Aufspaltung, die in die "natürliche" Mutterschaft als Einheit von Genetik, Austragung und Aufzucht hineinkommt, das psychische oder soziale Wohlergehen der Kinder beeinträchtigt wird, und zwar stärker als durch Aufspaltungen auf der väterlichen Seite der Familienbeziehung.

Dem Argument vom Kindeswohl ist aber Folgendes entgegenzuhalten: Wie unzählige Fälle von geglückter Adoption und Pflegschaft belegen - und im Kontrast: wie unzählige Fälle von gescheiterten Kleinfamilien mit "ungespaltener" Mutterschaft belegen -, ist die Verhinderung gespaltener Mutterschaft weder eine notwendige noch eine hinreichende Bedingung für das Kindeswohl.

Gewiss, zum körperlichen Engagement der austragenden Mutter gibt es väterlicherseits kein Pendant. Aber warum dieses Engagement so deuten, dass der weiblichen Seite die Zuständigkeit für eine natürliche Einheit zugewiesen wird, der männlichen Seite aber die Unzuständigkeit? Wiederholt dieses Muster der Aufteilung von Zuständigkeit nicht bloß jenes alte mater semper certa est, während der Fortschritt der Reprogenetik doch auch mit der Ungewissheit der männlichen Erzeuger endlich aufgeräumt hat?

Ein weiteres Beispiel von asymmetrischer Beurteilung und Bewertung, dessen schiere "Normalität" einen ideologiekritischen Verdacht wecken muss, liegt im Kinderwunsch von Frauen in höherem Lebensalter. Zwar sprechen die (in Deutschland sehr genau geführten) Register über Erfolge und Misserfolge von In-Vitro-Behandlungen statistisch deutlich für die Auffassung, dass bei Eizellen von Frauen über 42 alterungsbedingt (also unabhängig von und vor den "Wechseljahren") die Wahrscheinlichkeit einer Befruchtung stark sinkt. Aber Eizellen, allemal befruchtete und im Vorkernstadium "angehaltene" Keimzellen lassen sich einfrieren, nachweislich über ein Jahrzehnt. Mit den heutigen Methoden der Reprogenetik kann daher der Kinderwunsch älterer und in ihrer Fortpflanzungsfähigkeit eigentlich ungestörter Frauen ("ohne medizinische Indikation") sogar noch nach Eintritt der Menopause erfüllt werden. Aber das soll nicht sein. Der professionellen Assistenz beim Kinderwunsch zeugungsgestörter Männer wird hingegen keine scharfe Altersbegrenzung auferlegt. Warum? Hierzu wäre viel zu sagen. Sicher zu wenig sagte, wer sich zur Rechtfertigung dieser Differenz auf rein biologische Differenzgründe beziehen wollte - à la "Männer haben keine Menopause." Dass "wir" - wie von Fachmännern zu hören - "kein Überspielen der Menopause zulassen wollen", rechtfertigt sich womöglich weniger aus "unserem" Interesse am Kindeswohl als aus unserer Frauenfeindlichkeit (Misogynie).

Drittens: In der Diskussion über die moralische Beurteilung und rechtliche Regulierung der Reprogenetik, die in Deutschland seit dem Berliner Symposion, das sich der Initiative der damaligen Gesundheitsministerin Andrea Fischer verdankt , in Schwung gekommen ist, geben drei Topoi der Argumentation den Ton an. Es sind dies der Schutz der Menschenwürde, die Vorrangigkeit des Kindeswohls und die tiefe existenzielle Bedeutsamkeit des Kinderwunschs. Diese Tatsache verdient deshalb der Hervorhebung, weil die Eigenlogik dieser Begriffe je für sich und noch mehr im Bezug aufeinander so unklar ist, dass man sie gleichsinnig verwenden aber genauso gut auch gegeneinander ausspielen kann.

Die erwachsenen Gesellschaftsmitglieder besitzen ungleich mehr Macht als die unerwachsenen, von den "zukünftigen Generationen" ganz zu schweigen. Daher ist zu erwarten, dass im Namen des Kindeswohls eine Selbstprivilegierung der Erwachsenen betrieben wird (weil der Kinderwunsch ein existenziell bedeutsamer Wunsch von Erwachsenen ist) - und dass diese Selbstprivilegierung zugleich verschleiert werden muss (weil sie der Egalität des Menschenwürdearguments, das man noch auf die frühesten Phasen eines Menschen im Werden beziehen kann, widerspricht). Dass wir derzeitig den Wunsch kinderloser Paare nach einem eigenen Kind adultozentrisch befriedigen, aber das Kindeswohl im Munde führen, wird belegt durch die - im Vergleich zu Aufwand und Aufmerksamkeit bezüglich der Fortpflanzungsmedizin unglaubliche - politische, juristische und ethische Vernachlässigung des Adoptionswesens.

IV. Keine Experimente! Oder vielleicht doch?

Stellen wir uns vor, der Cartoonist hätte einen Text gewählt, der nicht die biologisch markierten Formen gespaltener Elternschaft verblüffend auffällig macht, sondern gerade die sozial markierten Formen:

"Das ist deine Halbschwester aus der ersten Ehe deiner Mutter, bevor wir dich adoptiert haben. Und hier ist dein Stiefbruder aus der zweiten Ehe deines Vaters. Und das ist, glaube ich, der Sohn der dritten Frau deines Vaters mit ihrem ersten Mann, oder nein, warte mal, vielleicht der Stiefbruder, den der dritte Mann deiner Mutter mit in die Ehe gebracht hat . . . oder . . . ich weiß nicht . . . vielleicht auch nur ein Freund."

Warum ist das so wenig witzig? Offenbar haben wir uns schon daran gewöhnt, dass ein Chaos von sozial aufgespaltener Elternschaft für Erwachsene und Kinder keine Katastrophe sein muss, oder, wenn man so will, als eine "ganz normale Katastrophe" zu gelten hat . Der soziohistorische Wandel (u. a. der Arbeitsverhältnisse, der Lebenserwartung und der Vorstellungen von guten und schlechten Weisen der individuellen und der gemeinschaftlichen privaten Lebensführung), der zuletzt wohl aus demoskopischen und ökonomischen Faktoren erklärt werden muss, treibt offenbar soziale Experimente mit neuen, um öffentliche Anerkennung konkurrierenden Formen der individuellen Lebensführung und der Lebensgemeinschaften hervor. Daher ist folgendes zu vermuten: Das Experimentieren auf fortpflanzungsbiologischer Ebene ist nur zu einem Teil für die Zukunftsängste verantwortlich, die sich auf die Brüchigkeit zivilisatorischer Standards der Fortpflanzung unter Menschen richten (z. B. die notorischen "Menschen nach Maß" und "Designer-Babies"). Erst die Kombination dieser biologischen Ebene mit dem zweiten, spezifisch sozialen Experimentierfeld von neuen, vom Modell der durchs Eheverhältnis sanktionierten bürgerlichen Familie abweichenden Formen der Lebenspartnerschaft alarmiert viele Menschen. Im Zentrum steht nicht die Angst, die menschliche Biologie laufe sozusagen aus dem Ruder, sondern im Zentrum stehen die mitmenschlichen Lebensformen.

Einen Beleg für diese Vermutung bieten derzeit in mehreren europäischen Ländern die heftigen Kontroversen über die Gleich(er)stellung gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften mit den ehelichen Lebenspartnerschaften, wie wir sie kennen. In Deutschland entzündete sich diese Kontroverse an einem inzwischen umgesetzten Entwurf der Rot/Grünen Koalition für ein entsprechendes Antidiskriminierungsgesetz. Die konservative Kritik richtet sich gegen diesen Entwurf vorzugsweise mit der Unterscheidung nachwuchsfähiger vs. nichtnachwuchsfähiger Lebenspartnerschaften, strich die Gemeinschaftsleistung der ersteren heraus und prangerte die eheliche Gleichstellung als eine ungerechte Vergeudung von öffentlichem Schutz und öffentlicher Förderung an, auf die nur die Familien einen berechtigten Anspruch hätten . Ob die konservative Kritik einen Wahrheitsgehalt hat, kann hier nicht diskutiert werden. Ihre rhetorische Wirksamkeit jedenfalls bezieht sie vor allem aus einem Affekt gegen Experimente mit den konventionell herrschenden Normierungen von Ehe, Elternschaft und Familienleben. Eine Projektionsfläche für diesen Affekt böte der Cartoon in einer dritten Variante, für die wir uns die folgende Bildunterschrift vorstellen könnten:

"Das ist der Genetiker mit deinem Schwesterchen, als ihr beide noch im Chimärenstadium wart. Hier sind wir bei der präimplantationsdiagnostischen Geschlechterwahl. Das hier ist der Mann, dessen Samen Cheryl und ich uns gekauft haben, und hier siehst Du uns, wie wir gerade unsere Lebenspartnerschaft registrieren lassen."

Gerade die Kinderwünsche von Paaren, die nicht den vorherrschenden Normalitätsstandards der heterosexuellen Paarbeziehung entsprechen, treffen bekanntlich weithin auf starke Vorurteile. Die Stigmatisierung homosexueller Lebensformen überträgt sich auch auf den Kinderwunsch homosexueller Paare. Zur Rationalisierung - im psychodynamischen Sinne von angeblich rationalen Gründen - eignet sich einmal mehr das Argument vom Kindeswohl: Kinder homosexueller Paare würden in ihren Entwicklungschancen benachteiligt. Aber anscheinend gibt die Empirie solchen Befürchtungen nicht Recht - es sei denn in der Form, dass die Mitwelt selber reaktiv die Beeinträchtigung des Kindeswohls bewirkt, die sie der homosexuellen Lebensform anlastet .

V. Kinderwunsch und Kernfamilie

Wir würden die kulturelle Bedeutung der Reprogenetik besser begreifen, wenn wir uns auf eine kulturwissenschaftliche Theorie von Partnerbindung, Ehe, Elternschaft und Familie stützen könnten. Wir könnten dann nämlich nicht nur den Kinderwunsch im Umfang seiner existenziellen Bedeutsamkeit besser verstehen, sondern auch was es bedeutet, wenn sich dieser Wunsch - aus verschiedenen Gründen - nicht erfüllt. Diese Frustrationen bilden sozusagen die Herausforderungen, auf welche die Reprogenetik die Antwort geben will. Wir könnten dann auch mit mehr Realitätssinn eine "Heuristik der Furcht", dass die Reprogenetik die soziale Ordnung der Familie zerrüttet, entwickeln.

Die Optionen für eine kulturwissenschaftliche Theorie von Partnerbindung, Ehe, Elternschaft und Familie können an dieser Stelle nicht diskutiert werden . Eine mögliche Grundlage sei gleichwohl skizziert. Sie benutzt Auffassungen, die der französische Anthropologe Claude-Lévi Strauss entwickelt hat, um den Zusammenhang von Heiratsregeln und Regeln der Bildung von Solidarbeziehung in und zwischen sozialen Gruppen (Solidaritätsregeln) zu erklären. Heiratsregeln gebieten die Exogamie (das Gegenteil zum kulturübergreifend geltenden Inzestverbot). Solidaritätsregeln verbinden Verwandte und kanalisieren dadurch die Solidarität. Auf dieser Grundlage lässt sich die folgende Skizze vertreten:

Die moderne europäische Kernfamilie, "unser" Verständnishintergrund für die Ordnung der Familie, besteht - in größter Vereinfachung - aus einer Ehegattin qua Kindesmutter, einem Ehegatten qua Kindesvater und dem "eigenen" Kind beider. Der Anschein der Selbstverständlichkeit dieser bestimmten Ordnung der Familie ist das Ergebnis der allmählichen, mit der europäischen Moderne einhergehenden Durchsetzung von bestimmten Heiratsregeln. Von traditionalen ("elementaren") Heiratsregeln unterscheiden sich diese durch vier moderne Entwicklungstendenzen : Freie Gattenwahl innerhalb der Grenzen der verbotenen Verwandtschaftsgrade; Emanzipation von der Verwandtschaft; Individualisierung des Vertrags ("ro-mantische Liebe"); Gleichheit der Geschlechter im Hinblick auf Heiratswünsche.

Die gesellschaftliche Ordnung der Familie können wir als eine Integrationsform betrachten, die zwei andere gut unterscheidbare soziale Ordnungen in eine Einheit bringt. Diese in die Einheit der Familien gebrachten Ordnungen sind an sich schon durch starke Prozesse der Normativierung (vor allem kraft moralischer, rechtlicher und religiöser Richtigkeitsüberzeugungen) gekennzeichnet. Von dieser normativen Kraft zehrt die Ordnung der Familie:

Anscheinend gibt es in allen Gesellschaften eine starke Normativierung innerhalb der Ordnung der spontanen Paarbildung in Richtung hin zu einer Art "ehelicher Ordnung" (Gattenbeziehung), die sich am deutlichsten durch Heirats- bzw. Eheschließungsregeln definiert. Daneben gibt es eine starke Normativierung innerhalb der Ordnung der Fortpflanzungsgemeinschaft in Richtung hin zu einer "elterlichen Ordnung" (Elternschaft). Die elterliche Ordnung definiert sich durch Abstammung (Deszendenzregeln) und Regeln des Verantwortlichseins für die Kinderaufzucht. Und schließlich gibt es überall die deutliche Normativierung einer Ordnung sowohl von spontaner Paarbildung als auch von Fortpflanzungsgemeinschaft in Richtung hin zu einer "Ordnung der Familie" (Kernfamilie). Diese Ordnung der Familie integriert Gattenbeziehung und Elternschaft und definiert sich dadurch, dass ein Ehepaar (mindestens) ein eigenes Kind bekommt.

Erst aus diesem abstrakten Gesichtspunkt kommt gut in den Blick, wie die Fortpflanzungsfunktion innerhalb einer bestimmten soziohistorischen Ausprägung der Kernfamilie ausgestaltet und als "normale Familie" normativ aufgeladen worden ist . Man muss sich dann Rechenschaft darüber geben, welcher Kinderwunsch in der betreffenden Ausprägung der Kernfamilie als der "normale" Kinderwunsch kulturell autorisiert worden ist. Was heißt das für die Fortpflanzungsmedizin?

Die Fortpflanzungsmedizin hat sich in Anpassung speziell an die bürgerliche Ausprägung der Kernfamilie etabliert. Den Kinderwunsch, den diese Ausprägung als den normalen kulturell autorisiert, können wir - gewiß nur ganz schematisch - in seinen wichtigsten Bedeutungselementen folgendermaßen wiedergeben:

Frau: Ich will durch Geschlechtsverkehr mit meinem Gatten empfangen, schwanger werden und unser eigenes gesundes Kind gebären.

Mann: Ich will meine Gattin durch Geschlechtsverkehr schwängern, sodass sie unser eigenes gesundes Kind austrägt.

Der Befruchtungsvorgang (Konzeption) ist in der schematischen Formulierung als der Wunsch der Frau wiedergegeben, zu ". . . empfangen . . ." bzw. "schwanger zu werden". Was im Kontext der nichtmedizinalisierten Ordnung der Familie mit der Formulierung ". . . durch Geschlechtsverkehr mit meinem Gatten/meiner Gattin . . ." gemeint ist, das wird im repromedizinischen Kontext der "assistierten Fortpflanzung" ersetzt: durch Befruchtung mit dem Samen sozial fremder Personen (heterologe Insemination), durch Befruchtung mit dem Samen des Gatten (homologe Insemination), oder durch die in vielen Ländern gesetztlich erlaubte Eizellenspende oder Embryonenspende (innerhalb einer IVF-Behandlung).

Die Erfüllung ihres Kinderwunschs mit Hilfe der genannten Techniken sollte allen Paaren moralisch verdienstlich erscheinen, die einer Moralauffassung anhängen, in der die eheliche Treue - sexuelle Monogamie und exklusive Bindung - als ein hoher Wert gilt. Denn die medizinische Rechtfertigung von Fremdinsemination (und Ei- oder Embryospende für IVF) erlaubt Paaren die Aufrechterhaltung dieses hohen Werts: die Technik hilft ihnen, so weit wie möglich den "normalen" Kinderwunsch zu erfüllen und dabei genau jenen Teil des Wunschs zu umgehen, der andernfalls, d. h. ohne die Technik, dem moralischen Wert, der ehelichen Treue, sozusagen in die Quere kommen müsste.

Gemessen am schematisierten "normalen" Kinderwunsch bringen diese Techniken allerdings auch einige mehr oder weniger gravierende Abstriche mit sich: Der Preis des auf technischem Umweg erfüllten Kinderwunschs betrifft das, was im Schema mit der Formulierung ". . . unser eigenes Kind . . ." gemeint ist. Denn mit Fremdinsemination, Ei- oder Embryonenspende wird im Erfolgsfall das Baby zwar sozial das eigene Kind des Paares - aber für einen der Gatten (bzw. bei Embryonenspende oder bei Fremdinsemination mit Eispende sogar für beide Gatten) wird das eigene Kind des Paares zumindest genetisch nicht "das eigene" sein. Allein die Gatteninseminationstechnik erlaubt fortpflanzungsgestörten Paaren beides: die Aufrechterhaltung ehelicher Treue und ein Kind zu haben, das sowohl sozial wie auch genetisch "das eigene" ist.

Was bedeutet nun innerhalb des so schematisierten Kinderwunschs das "eigene" Kind? Vor allem leibseelische (psychosomatische, psychovitale) Bindungsmomente bestimmen dasjenige mit, was das Eigensein des "eigenen Kindes" ausmacht. Besonders die folgenden Bindungsmomente sind bedeutsam: Erstens die Besamung. Wie die Erfahrung lehrt, macht sie für viele Männer, nachträglich zumindest, geradezu das Wesen des "eigenen Kindes" aus. Zweitens die Schwangerschaft. Sehr viele Frauen erfahren bekanntlich schon ihre Schwangerschaft als eine starke Bindung an das eigene Kind. Drittens die Geburt. Sie galt von jeher als die entscheidende Markierung, die nötig oder sogar hinreichend ist, damit eine sozial gültige Zuschreibung der Abstammung zustande kommen kann.

VI. Dialektik der Reprogenetik

Die bis hierhin skizzierte kulturwissenschaftliche Theorie macht eine eigentümliche Entwicklungstendenz deutlich, die man als die Dialektik der Reprogenetik bezeichnen könnte. Diese Dialektik besteht in folgendem Zusammenhang:

In der assistierten Fortpflanzung und vorgeburtlichen Gesunderhaltung, bestätigt die Reprogenetik zunächst positiv die europäisch-moderne Ausprägung der Kernfamilie. Im Fortgang ihres Fortschritts ermöglicht die Reprogenetik dann eine immer stärkere Individualisierung des Kinderwunschs. Die Individualisierung des Kinderwunschs aber kehrt sich tendenziell gegen die gängige Ausprägung der Kernfamilie. Denn im Zuge dieser Individualisierung werden die biologisch zur Elternschaft nötigen Komponenten frei wählbar. Indem die biologisch zur Elternschaft nötigen Komponenten frei wählbar werden, entstehen Anreize für soziale Experimente mit der Auflockerung der kulturell standardisierten Gattenbeziehung. Eine erreichte Integrationsform für die Ordnung der Familie verliert ihre Ausschließlichkeit, die doch als die "natürliche Form" der einheitlichen, unaufgespaltenen Familie unverlierbar erschien, und wird historisch kontingent.

Die zur Fortpflanzung biologisch nötigen Komponenten - nennen wir sie die Radikale der Elternschaft - sind schnell aufgezählt: Eine Eizelle oder ein Eizellenkern, eine Samenzelle oder ein Samenzellkern und ein austragender mütterlicher Organismus (Mutterleib).

Als "Individualisierung des Kinderwunschs" kann man mehreres bezeichnen: Erstens die Behebung von Fortpflanzungsstörungen des Mannes oder der Frau im individuellen Fall. Zweitens die am Willen des individuellen Paars orientierte, positiv oder negativ eugenische Merkmalsselektion beim Nachwuchs. Und drittens - für die von mir skizzierte Dialektik der Fortpflanzungsmedizin sicher die wichtigste Lesart - die Emanzipation der Elternschaft von der Gattenbeziehung.

Die Angst, dass die Reprogenetik die soziale Ordnung der Familie zerstört, begleitet diese Emanzipation. In dieser Angst wird die Ordnung der Familie überhaupt (um deren Fortbestand kein Grund zur Sorge besteht) kurzschlüssig gleichgesetzt mit einer ganz bestimmten historischen Ausprägung dieser Ordnung.

Keine Beschreibung von Emanzipation ohne die Beschreibung ihrer Kehrseite: Die Individualisierung der Fortpflanzung mag neue Formen gespaltenere Elternschaft ermöglichen, von denen einige es durchaus Wert sind, gesellschaftlich ausprobiert zu werden. Sie setzt aber voraus oder begünstigt zumindest die Technisierung und Instrumentalisierung von Frauen . Allgemeiner und deshalb womöglich noch schwerer wiegen ihre heute schon im Ansatz spürbaren Auswirkungen auf die wichtigsten leibseelischen Bindungsmomente, die im Wunsch nach dem "eigenen Kind" eigentlich das Eigene ausmachen. Bindungsmomente, von deren Wichtigkeit wir derzeit noch überzeugt sind (Besamung, Schwangerschaft, Geburt), werden zunehmend abhängig von vermittelnden Kontrollbedingungen. Denn die Reprogenetik macht die biologischen Radikale der Elternschaft nicht nur frei wählbar. Sie macht sie dadurch auch kulturell normierbar. Die Bereiche Geburtenkontrolle und vorgeburtliche Gesunderhaltung nehmen in der Fortpflanzungsmedizin eine neue und ominöse Bedeutung an.

Im Kampf um die Anerkennung als die "normale", lebbare und schützenswerte Form von Elternschaft vertieft sich die Spaltung zwischen denen, die die Bindungsmomente von der kulturellen Norm der Gesundheit möglichst wenig abhängig gemacht sehen wollen, und anderen, die das Gegenteil wünschen. Dort dominiert der Wunsch nach dem eigenen Kind. Hier wird in diesem Wunsch vorrangig, dass es gesund sein soll.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Anmerkung der Redaktion: Zur Begrifflichkeit siehe das Glossar auf Seite 16. 1 Vgl. Fortpflanzungsmedizin in Deutschland, Band 132 der Schriftenreihe des BMG, Baden-Baden 2001, Wissenschaftliches Symposium des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG) in Zusammenarbeit mit dem Robert-Koch-Institut vom 24. bis 26. Mai in Berlin.

  2. Vgl. José Van Dyck, Manufacturing Babies and Public Consent. Debating the New Reproductive Technologies, London 1995.

  3. Zur genetischen Diagnostik hat die Europäische Akademie zur Erforschung von Folgen wissenschaftliche-technischer Entwicklungen Bad Neuenahr-Ahrweiler eine aufschlussreiche Technikfolgenabschätzung vorgelegt: Vgl. C. R. Bartram u. a. (Hrsg.), Humangenetische Diagnostik. Wissenschaftliche Grundlagen und gesellschaftliche Konsequenzen, Heidelberg 2000. Eine gute Übersicht gibt die Studie des Büros für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB): Leonhard Hennen/Thomas Petermann/Arnold Sauter, Das genetische Orakel. Prognosen und Diagnosen durch Gentests - eine aktuelle Bilanz, Berlin 2001. Speziell zur Pränataldiagnostik vgl. Irmgard Nippert, Wie wird im Alltag der pränatalen Diagnostik tatsächlich argumentiert? Auszüge aus einer deutschen und einer europäischen Untersuchung, in: Matthias Kettner (Hrsg.), Beratung als Zwang. Schwangerschaftsabbruch, genetische Aufklärung und die Grenzen kommunikativer Vernunft, Frankfurt/M. 1999.

  4. Vgl. BMG (Anm. 1), S. 185-220. Umfassend zur PID vgl. Regine Kollek, Präimplantationsdiagnostik. Embryonenselektion, weibliche Autonomie und Recht, Tübingen 2000.

  5. Vgl. dazu Paul Lauritzen (Hrsg.), Cloning and the Future of Human Embryo Research, Oxford 2001. Eine prägnante Übersicht gibt auch eine neue Studie des Büros für Technikfolgenabschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB): Christoph Revermann/Leonhard Hennen, Das maßgeschneiderte Tier. Klonen in Biomedizin und Tierzucht, Berlin 2001.

  6. Vgl. Eva Schindele, Schwangerschaft. Zwischen guter Hoffnung und medizinischem Risko, Hamburg 1995.

  7. Lee M. Silver, Das geklonte Paradies. Künstliche Zeugung und Lebensdesign im neuen Jahrtausend, München 1998.

  8. Ich danke Dr. Thomas Katzorke von der Essener Klinik für Fortpflanzungsmedizin für eine Kopie des Cartoons.

  9. Man gewöhnt sich an alles, sogar an die fortschreitende Auflösung der genetischen Einheit der Gattung Homo sapiens - wer das für unvorstellbar hält, dem sei die Lektüre der einschlägigen, gut durchdachten Romantriologie der techno-feministischen Autorin Octavia E. Butler, Die Genhändler. Die Xenogenesis-Trilogie, München 1991, empfohlen.

  10. Eine eindrucksvolle Untermauerung dieser These gibt Niklas Luhmann, Die Realität der Massenmedien, Opladen 1995.

  11. Erstes Buch Mose, Genesis, 30, 1-4. Die Einheitsübersetzung merkt an: "Die Adoptivmutter nimmt das Kind der Magd unmittelbar nach der Geburt auf ihre Knie zum Zeichen dafür, dass sie es als ihr eigenes annimmt."

  12. Im deutschen Embryonenschutzgesetz (1990), einem Strafgesetz, heißt es in § 1: "Mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe wird bestraft, wer (. . .) auf eine Frau eine fremde unbefruchtete Eilzelle überträgt." Strafrechtlich verfolgt wird dabei nicht die Eizellspenderin oder die Gebärende, sondern die übertragende Person.

  13. Vgl. BMG (Anm 1).

  14. Vgl. Ulrich Beck/Elisabeth Beck-Gernsheim, Das ganz normale Chaos der Liebe, Frankfurt/M. 1990.

  15. Vgl. dazu Konrad Adam, "Kinderlandsverrräter", in: Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 29. 6. 2000, S. 55.

  16. Vgl. das Szenario von Cheryls und Madeleines Nachwuchs bei L. M. Silver (Anm. 7), S. 243-249.

  17. Vgl. Joan Laird, Lesbian and Gay Families, in: Froma Walsh (Hrsg.), Normal Family Processes, New York 1993. Vgl. auch www.queerandkids.de und www.lesbischeMuet-ter.joice.net im Internet. Siehe auch die Dokumentation "Lesben und Schwule mit Kindern - Kinder homosexueller Eltern", 1997 herausgegeben von der Senatsverwaltung für Schule, Jugend und Sport, Fachbereich für gleichgeschlechtliche Lebensweisen (Am Karlsbad 8-10, 10785 Berlin).

  18. Vgl. Jack Goody, Die Entwicklung von Ehe und Familie in Europa, Frankfurt/M. 1989.

  19. Vgl. Claude Lévi-Strauss, Die elementaren Formen der Verwandtschaft, Frankfurt/M. 1981, S. 638.

  20. Zum Zusammenhang von Normalität und Normativität in symbolischen kulturellen Formen vgl. Matthias Kettner, Kulturrelativismus oder Kulturrelativität?, in: Dialektik. Zeitschrift für Kulturphilosophie, 2 (2000), S. 17-38.

  21. Durch den historischen Bogen zu den Ideen von 1968 interessant: Dieter Gerburg Treusch, Von der sexuellen Rebellion zur Gen- und Reproduktionstechnologie, Tübingen 1990.

Dr. phil. habil., geb. 1955; Studium der Philosophie und Psychologie in Frankfurt/M., Heidelberg und Madison/Wisconsin; seit 1994 Mitarbeiter am Kulturwissenschaftlichen Institut (www.kwi-nrw.de) in Essen; zur Zeit Lehrstuhlvertretung für praktische Philosophie am philosophischen Institut der Frankfurter Universität.

Anschrift: Kulturwissenschaftliches Institut, Goethestr. 31, 45128 Essen.
E-Mail: kettner@em.uni-frankfurt.de

Veröffentlichungen u. a.: (Hrsg.) Beratung als Zwang, Frankfurt/M. 1999; (Hrsg.) Angewandte Ethik als Politikum, Frankfurt/M. 2000.