I. Die Knochenmark-Transplantation als erste bewährte Stammzelltherapie
Als Stammzellen werden Körperzellen bezeichnet, die für die Regeneration von Körpergeweben sorgen. Diese Zellen haben die Fähigkeit sowohl zur Selbsterneuerungsteilung als auch zur Differenzierung in verschiedene entwickelte Körperzellen. Die bekanntesten Stammzellen, die schon seit den fünfziger Jahren für die Therapie beim Menschen eingesetzt werden, sind die blutbildenden (hämatopoetischen) Stammzellen des Knochenmarks. Heute werden diese gewebespezifischen Blutstammzellen auch aus dem Plazenta-Restblut, also dem Nabelschnurblut Neugeborener, gewonnen. Eingesetzt werden sie zur Regeneration des blutbildenden Systems nach Hochdosis-Chemo- und Strahlentherapie bei bösartigen Erkrankungen und Immundefekten. Weil diese Therapien das Blutsystem der Patienten zerstören, muss dieses anschließend wieder aufgebaut werden. Blutstammzellen aus dem Knochenmark (oder aus Nabelschnurblut) des Patienten (autologe Transplantation) oder von anderen SpenderInnen (allogene Transplantation) erfüllen diese Aufgabe. Aus diesen Blutstammzellen, die intravenös verabreicht werden, bildet sich im Knochenmark des Patienten innerhalb einiger Tage bzw. Wochen dessen Blutsystem neu, d. h., dass sich diese Stammzellen in alle Zelltypen des Blutes ausdifferenzieren. Im Gegensatz zur autologen Transplantation hängt der Erfolg einer allogenen Stammzelltransplantation davon ab, wie sich das fremde Blut mit dem Körpergewebe des Patienten verträgt, oder, wie es in der Fachsprache heißt, wie es den so genannten Chimärismus ausbildet.
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Für andere gewebespezifischen Stammzellen ist, wie für die Blutstammzellen, die Potenz charakteristisch, ein komplexes Zellsystem oder gar ein Organ wie das Blutsystem aus sich heraus aufbauen zu können. Diese Möglichkeit macht sie für die biomedizinische Forschung so interessant und lässt Hoffnungen wach werden, zukünftig auch andere Organe oder Zelldefekte mit den entsprechenden Stammzellkulturen behandeln zu können.II. Die Ausgangslage und die aktuelle Diskussion um die Stammzellforschung
Diese Hoffnungen auf die Stammzellen als Multifunktionsheilmittel sind erst mit dem Erfolg der Klonierung des Schafes Dolly (1997) und den In-vitro-Züchtungserfolgen von humanen Stammzellen in den Forschungsgruppen um Thomson und Gearhart 1998zu mehr als einer rein spekulativen Idee geworden. Denn im Falle Dollys wurde aus einer Körperzelle eines Schafes, die in eine entkernte Eizelle injiziert worden war, ein Embryo erzeugt, aus dem sich ein gesundes Schaf entwickelte (ein gesund geborenes Schaf aus ca. 280 solchen Klonierungsversuchen!). Dieser "Klonierungserfolg" lässt es möglich erscheinen, vielleicht sogar aus beliebigen Körperzellen von Menschen einmal die Gewebetypen und Organe zu erzeugen, die man für deren jeweilige Krankheitsbehandlung brauchen könnte. Die Vermehrung von humanen embryonalen Stammzellen in der Petrischale über mehrere Wochen, ohne dass sie ausdifferenzieren, gilt als weiterer wichtiger Schritt in diese Richtung. Damit wurde gezeigt, dass auch humane Embryonalzellen und nicht nur - wie längst bekannt ist - Stammzellen von anderen Säugetieren in Kultur gehalten und vermehrt werden können. Das Fachorgan SCIENCE feierte Ende 1999 die Ergebnisse der Stammzellforschung auf dem Titelblatt und im Leitartikel als "Breakthrough of the Year" und stützte die Hoffnungen auf bald mögliche Therapien mit der Schlagzeile "Capturing the Promise of Youth" .
Die öffentliche Diskussion über die Stammzellforschung hat sich seit Anfang diesen Jahres noch einmal dramatisch intensiviert. Die Stammzellforschung wird dabei zumeist in einem Atemzug mit der Präimplantationsdiagnostik (PID) verhandelt, wie z. B. in der Artikelserie in der Wochenzeitung Die ZEIT Anfang diesen Jahres. Die Kontroverse der EthikerInnen drehte sich dabei um die Benutzung von Embryonen in der Forschung, die deren Tod zur Folge hat, und damit zusammenhängend um die Frage, wie wir die grundgesetzliche und kulturelle Leitidee von der Würde des Menschen weiterhin verstehen und aufrechterhalten wollen. In vielen Tageszeitungen und Fernsehberichten wird über die Forschungsentwicklung und über das ethische Dilemma berichtet, das zwischen zukünftigen Möglichkeiten, verbreitete und bisher unheilbare Krankheiten behandeln zu können, und der dafür notwendigen biotechnologischen Forschung und ihren Erfordernissen besteht.
Am 3. Mai 2001 veröffentlichte die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) eine neue Stellungnahme zur Forschung mit humanen Stammzellen, deren für die Forschenden unmittelbar wichtigster Punkt - die Zusage, einen Bonner Forschungsantrag zu fördern, der auf der Arbeit mit aus dem Ausland importierten embryonalen Stammzellen basiert - am nächsten Tag infolge politischer Vetos aus dem Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) und dem Bundeskanzleramt zurückgenommen wurde. Die DFG ist in dieser Stellungnahme mit der Meinung an die Öffentlichkeit gegangen, dass im Ausland legal hergestellte embryonale Stammzellinien in Deutschland nicht rechtlich verboten sein könnten. Nach den Forschungserfolgen der letzten zwei Jahre müssten zudem die grundrechtlich geschützte Forschungsfreiheit und die hochrangigen Forschungsziele neu abgewogen werden gegen das Verbot der Embryonenforschung im Embryonenschutzgesetz (ESchG). Es sollte auch in Deutschland mit embryonalen Stammzellen geforscht werden dürfen, um deren Potential zu erkunden, allerdings nur, wenn die importierten Linien auch sicher aus überzähligen Embryonen aus der In-vitro-Fertilisation (IVF) stammen.
Diese Forderung in ihren wissenschaftlichen, gesellschaftspolitischen und ethischen Zusammenhängen beurteilen zu können, soll die folgende Rekapitulation des Standes der Forschung mit humanen Stammzellen und der juristischen und ethischen Argumentationen Orientierungen geben.III. Der Stand der Forschung mit Stammzellen von Mäusen und Menschen
Da sich die großen Hoffnungen in Bezug auf humane Stammzellen bislang fast ausschließlich auf Forschungserfolge bei Mäusen gründen, sei hier über den Stand der Forschung mit Mausstammzellen und mit humanen Stammzellen, wie ihn deutsche Stammzellforscher und -forscherinnen gegenwärtig sehen, berichtet.
Die Forschung mit humanen Stammzellen befindet sich weltweit noch im Stadium der ersten Grundlagenforschung. Es sind heute noch keine eindeutigen Marker gefunden worden, an denen man speziell humane Stammzellen sicher identifizieren und von Tumorzellen unterscheiden könnte. Zwar liegen Verfahren vor, aus embryonalen (Mäuse-) Stammzellen Kulturen von Nerven- oder Herzmuskel- oder Knorpelgewebe zu züchten, allerdings gelingt dies nur bis zu einer Reinheit von max. 80 Prozent, und das ist für eine Therapie beim Menschen keineswegs ausreichend. In einer Kultur von z. B. Nervenzellen aus embryonalen Stammzellen, die zur Therapie verwendet werden soll, darf sich nicht eine undifferenzierte Zelle befinden, da diese zu unspezifischen Gewebswucherungen, also zu Tumorbildung bei den PatientInnen führen könnte. Dieses Risiko der Karzinogenität kann mit dem Einsatz gewebespezifischer Stammzellen vermieden werden. Blutbildende Stammzellen, die aus dem Knochenmark gewonnen werden, können, wie die Forschung der letzten Jahre gezeigt hat, transdifferenzieren, d. h. sie können z. B. im Gehirn wie neuronale, also Nervenstammzellen wirken und Nervengewebe erzeugen.
Embryonale Stammzellen, die als nicht mehr totipotent gelten (d. h., aus denen sich nicht unter entsprechenden Umgebungsbedingungen ein ganzer Mensch entwickeln könnte), lassen sich aus der Blastozyste gewinnen.
Forschungen mit Mäusestammzellen (die bisher eindeutig am erfolgreichsten sind - gemessen an möglichen Therapieerfolgen -, weit erfolgreicher als die mit Stammzellen von Schweinen, Rindern etc. aber auch mit humanen Stammzellen) haben gezeigt, dass sowohl die Stammzellen aus der Mäuse-Blastozyste aber auch Stammzellen aus dem Körper ausgewachsener Mäuse eine ganz erstaunliche Vermehrungs- und Differenzierungsfähigkeit besitzen. Es gelingt, aus embryonalen Mauszellen Kulturen zu entwickeln, die zu ca. 80 Prozent z. B. aus reinen Nerven- oder Knorpel- oder Herzmuskelzellen bestehen. Nach Transplantation dieser Nervenzellen z. B. in das Hirn künstlich neurodegenerativ erkrankter Mäuse, bilden sich im Gehirn neue, offenbar funktionsfähige Nervengewebsstrukturen, denn eine Maus mit Lähmungserscheinungen in den Beinen, wie sie symptomatisch beim Menschen z. B. nach Schlaganfällen vorkommen, kann im Experiment nach einer solchen Behandlung unter Umständen die Beine wieder bewegen wie vor dem induzierten Nervendefekt.
Mit der Stammzellforschung wird die große Hoffnung verbunden, dass solche Heilungseffekte auch beim Menschen möglich werden. Behandlungsmöglichkeiten u. a. für Morbus Parkinson und Diabetes aber auch die Züchtung von Organen für die Transplantationsmedizin stehen auf der Wunschliste der Mediziner und der betroffenen Kranken. Die Stammzellforschung könnte diese Wunschliste vielleicht erfüllen.
Allerdings, und das ist entscheidend für die Beurteilung dieser Forschung im Hinblick auf z. B. eine Änderung des Embryonenschutzgesetzes, steht diese Forschung wirklich erst ganz am Anfang. Es ist bisher nicht geklärt, ob humane embryonale Stammzellen die gleichen Möglichkeiten für den technischen und damit therapeutischen Gebrauch bieten wie embryonale Mäusestammzellen. Bei anderen tierischen Stammzellen wie denen von Rind und Schwein ist dies nicht der Fall.IV. Die Fachbegriffe der Stammzelldiskussion
Um die Debatte um die Stammzellforschung in ihren verschiedenen Hinsichten verstehen zu können, sind einige mittlerweile gängige Begriffsunterscheidungen wichtig, die nun erläutert werden. Unterschieden wird nach erstens verschiedenen Gewinnungsverfahren und zweitens verschiedenen Differenzierungsstadien von Stammzellen. Eine weitere Unterscheidung orientiert sich drittens am Ziel des technischen Verfahrens der Embryonenerzeugung.
1. ES-Zellen, EG-Zellen und adulte Stammzellen
ES-Zellen: Sie können gewonnen werden durch die Kultivierung von in vitro durch künstliche Befruchtung einer weiblichen Eizelle erzeugten Embryonen. Solche überzähligen Embryonen aus IVF, von denen jetzt so häufig die Rede ist, sind in Deutschland kaum vorhanden, weil das ESchG verbietet, mehr Embryonen zu befruchten, als bei einer Implantation in die Gebärmutter eingesetzt werden. Vorhanden sind in Deutschland nur wenige kryokonservierte (bei -180 C tiefgefrorene) Vorkernstadien von Ei- und Samenzellen, die aber wie die kryokonservierten Embryonen in anderen Ländern für die Stammzellforschung verwendet werden könnten. Die Zellkulturen, die aus diesen Vorkernen entstehen, sind identisch mit Embryonen und bestehen aus so genannten ES-Zellen. Solche ES-Zellen können aber auch auf zwei anderen Wegen gewonnen werden, einmal durch die Teilung und Vermehrung von bereits vorhandenen In-vitro-Embryonen (Embryosplitting) oder durch Klonierung nach dem "Dolly-Verfahren", also dadurch, dass Körperzellen in eine entkernte Eizelle eingebracht und darin vermehrt werden. Die ersten beiden Methoden sind am Menschen bereits Routine: IVF-Behandlungen werden in Deutschland ca. 60 000-mal im Jahr vorgenommen, und das Embryosplitting entspricht dem technischen Vorgang zur Präimplantationsdiagnostik (die in anderen Ländern duchgeführt wird, in Deutschland aber nach ESchG verboten ist), nämlich von einem Embryo eine Zelle abzunehmen, nur dass sie hier vermehrt und nicht durch die genetische Untersuchung zerstört wird.
EG-Zellen: Sie werden gewonnen aus Zellkulturen, die dadurch entstehen, dass die primordialen Keimzellen von Embryonen aus Schwangerschaftsabbrüchen (zwischen der fünften bis neunten Schwangerschaftswoche) entnommen und daraus Stammzellkulturen gezüchtet werden. Diese Methode ist in Deutschland nicht verboten, da dazu kein Embryo in vitro erzeugt wird. Richtlinien der Bundesärztekammer regeln die Gewinnung fetaler Zellen aus Schwangerschaftsabbrüchen. Allerdings zeigen Versuche, dass diese Methode sich zur Gewinnung humaner Stammzellen wohl nicht so gut eignet wie die anderen.
Adulte Stammzellen: Die blutbildenden Stammzellen im Knochenmark sind typische adulte Stammzellen. Wir wissen heute jedoch, dass sich in jedem regenerationsfähigen Gewebe des Körpers Stammzellen befinden müssen, und wären ihre Marker bekannt, könnte man sie vielleicht auch ähnlich gut gewinnen wie die blutbildenden. Das Herz und die Nervenzellen im Gehirn sind die einzigen Gewebetypen im menschlichen Körper, die nicht über Stammzellen regelmäßig - wenn auch mit zunehmendem Alter langsamer - erneuert werden. Für jeden Gewebetyp gibt es daher die spezialisierten Stammzellen im erwachsenen Körper.
Darum sind diese adulten Stammzellen auch immer gewebespezifische Stammzellen. Sie unterscheiden sich aus naturwissenschaftlicher Sicht von den ES- und EG-Zellen vor allem in ihrem Differenzierungspotenzial.
2. Totipotente, pluripotente und gewebespezifische Stammzellen
Totipotenz: Alle Zellen der ersten Zellteilungsstadien des Embryos sind - unabhängig von der Erzeugungsmethode - totipotent. Das heißt, dass sich aus jeder dieser Zellen ein ganzer Mensch entwickeln könnte. Eben darum funktioniert in diesem frühen Stadium auch das Embryosplitting. Die Grenze der Totipotenz wird derzeit beim 8-Zellstadium angesetzt. In den anschließenden Entwicklungsschritten differenzieren die einzelnen Zellen langsam aus. Sie bilden zuerst so genannte Vorläuferzellen und entwickeln sich dann über die Bildung der drei Keimblätter zu gewebespezifischen Stammzellen weiter.
Pluripotenz: Dieser Begriff wurde in die Diskussion um die Stammzellfoschung eingebracht, um einen Gegenbegriff zur Totipotenz zu haben, der signalisiert, dass diese Zellen nicht mehr unter das ESchG fallen. Pluripotent sind demnach alle nicht totipotenten Stammzellen, also Vorläuferzellen und gewebespezifische Stammzellen.
Gewebespezifische Stammzellen sind all jene, die wie die blutbildenden Stammzellen in ihrer natürlichen Umgebung auf die Regeneration einer Gewebsart spezialisiert sind. Sie können jedoch nicht nur dem erwachsenen oder auch dem geborenen Menschen entnommen werden, sondern auch die Stammzellen in Feten sind gewebespezifische. Es scheint festzustehen, dass die fetalen und die Plazenta-Restblut-Stammzellen sich besser vermehren lassen als diejenigen in kindlichem Körpergewebe (juvenile), die aber für therapeutische Zwecke günstiger sein dürften als die Stammzellen älterer Menschen.
Um die derzeitigen Forschungsprojekte und die gesellschaftlichen Entwicklungen im Kontext der Stammzellforschung abschätzen zu können, ist hier ein kurzer entwicklungsbiologischer Exkurs angebracht.
Transdifferenzierung und Reprogrammierung: Die Ausdifferenzierung der Zellen wurde bisher als lineare Entwicklung beschrieben, von der Totipotenz zur Gewebespezifität. Dabei wird offenbar das "Leistungsvermögen" einer Stammzelle sukzessive auf eine ganz bestimmte Funktion hin zugeschnitten, und sie verliert dementsprechend die vielfältigeren Anlagen, ein ganzes Spektrum von Funktionen übernehmen zu können, das sie in früheren Entwicklungsstadien hatte. Das ist jedoch de facto bei Mäusestammzellen und - ersten Versuchen nach zu urteilen - zumindest auch bei humanen Blut- und Nervenstammzellen nicht so.
Eine ganze Reihe von Untersuchungen - wieder vor allem an Mäusen - haben gezeigt, dass gewebespezifische Stammzellen transdifferenzieren können. Neuronale Mausstammzellen bilden, wenn sie in den Blutkreislauf von Mäusen gespritzt werden, deren Blutsystem durch Bestrahlung degeneriert wurde, dort neue Blutzellen und transdifferenzieren zu Blutstammzellen. Die damit verbundenen, noch rein spekulativen Hoffnungen auf enorme zukünftige Behandlungsmöglichkeiten mittels Stammzelltherapien beschleunigen schon heute das Geschäft mit dem Plazenta-Restblut Neugeborener, das nicht nur öffentliche Blutbanken aufbewahren, sondern das auch kommerzielle Unternehmen in Europa für die spätere Eigenbehandlung bei der Geburt eines Kindes auffangen und kryokonservieren.
Ein anderes Potenzial gewebespezifischer Stammzellen ist die Fähigkeit zur Reprogrammierung, also dass sie nicht nur in einem anderen Gewebeumfeld sich dessen spezifischen Anforderungen einpassen, sondern dass sie auch sozusagen vielfältigere, frühere Entwicklungsniveaus wieder einnehmen können, u. U. sogar totipotent werden. Sollte sich diese Reversibilität der adulten Stammzellen bestätigen, wären die eben beschriebenen Begriffsunterscheidungen nicht mit ontologischen Qualitäten der Stammzellen verbunden, sondern würden nur verschiedene Zustandsformen von Stammzellen beschreiben, die offenbar umgebungsabhängig wären und die zumindest im Labor variiert werden könnten. Die Diskussion um die Legalität oder auch um die Legitimität der Forschung mit pluripotenten, aber nicht mit totipotenten Zellen würde zumindest in diesem Fall auf längere Sicht kein brauchbares Kriterium für die ethische und juristische Grundsatzdiskussion thematisieren.
3. Reproduktives versus therapeutisches Klonen
So wie die Unterscheidung zwischen toti- und pluripotent ist die zwischen diesen beiden Klonverfahren eingeführt worden, um von der Zielorientierung her eines davon als legitim und moralisch nicht verwerflich auszuzeichnen. Reproduktives Klonen ist schlecht - wirklich niemand will es, wird häufig betont, aber therapeutisches Klonen könnte doch vielleicht einmal vielen kranken Menschen helfen. Der Unterschied zwischen den beiden Verfahren besteht ausschließlich darin, dass im ersten Fall die Implantation des Embryos in die Gebärmutter einer Frau erfolgen würde, um ein Kind wachsen zu lassen, während im zweiten Fall der klonierte Embryo in vitro als Zellkultur weitervermehrt und auf ein bestimmtes therapeutisches Ziel wie z. B. auf die Gewinnung von Leber- oder Pankreasgewebe für eine Transplantation des klonierten Patienten hin gezüchtet wird. Beides entspricht dem Gewinnungsverfahren, das ich oben als Dolly-Methode bezeichnet habe, und ist in Deutschland verboten. Das Reizvolle und für eine Transplantationsbehandlung Ausschlaggebende daran ist, dass sich auf diese Weise prinzipiell körperspezifische Stammzellen für jeden Menschen erzeugen ließen. Die immunologischen Abstoßungsprobleme der allogenen Transplantationen würden dann wahrscheinlich für die Stammzelltherapien und eventuell auch für aus Stammzellen gezüchtete Organe entfallen.V. Die ethischen und juristischen Probleme der Stammzellforschung
Die wichtigsten ethischen Probleme der Forschung mit humanen Stammzellen sind m. E. die folgenden zwei: der Schutz der Menschenwürde von Embryonen und die Dynamik der Forschungs- und Technologieentwicklung. Diese zwei Problembereiche sind in mehrfacher Hinsicht miteinander verknüpft und hängen mit juristischen Themen zusammen. Allerdings sind rechtliche Probleme von anderer Art als ethische. Juristisch ist zum einen relevant, welche Forschungen die gegenwärtige Gesetzgebung erlaubt und zum zweiten, welche gesetzlichen Regelungen wir als Gesellschaft zukünftig als Antwort auf die ethischen Problemstellungen der Stammzellforschung behalten bzw. einführen wollen. Die ethischen Probleme fordern Antworten, die wir in komplexen Gesellschaften als Ergebnisse aufwendiger Konsensbildungsprozesse uns erst erarbeiten müssen. Sie sind dem Recht und seiner Formierung übergeordnet, denn die Rechtssetzung setzt ethische Urteilsprozesse voraus. Das gefasste Recht ist idealerweise die juristische Umsetzung ethischer Meinungsbildung. Es regelt pragmatisch die Einhaltung und Überwachung der ethischen Urteile darüber, was wir mit guten ethischen Gründen wollen oder nicht wollen. Darum behandle ich in der Folge ausführlich die ethische Dimension und komme dabei auf die juristische nur am Rande zu sprechen.
1. Verbrauchende Embryonenforschung und Menschenwürde
Das Hauptthema der aktuell geführten Ethikdebatte um die Stammzellforschung sind die verbrauchende Embryonenforschung und der Schutz der Menschenwürde. Zumindest zur Technologieentwicklung braucht die Stammzellforschung mit Sicherheit viele menschliche Embryonen, und deren Leben ist in Deutschland durch das ESchG geschützt. Dieses Gesetz entstand, nachdem durch die plötzliche Konfrontation der Öffentlichkeit mit der De-facto-Einführung der IVF in den achtziger Jahren eine lange Debatte darum geführt worden war, wie man mit dem jungen menschlichen Leben, das nun in der Petrischale verfügbar geworden war, umgehen wolle. Beginnend mit der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle ist demnach das menschliche Leben von Anbeginn an vor der Fremdnutzung - Benutzung im Interesse anderer Individuen zum eigenen Schaden - unbedingt geschützt. Nun sind freilich sowohl Forschungsinteressen als auch die Therapiebedürfnisse Schwerstkranker fremde Zwecke in diesem Sinne, denen die Embryonen für die Stammzellforschung geopfert werden würden. Diese Darstellung entspricht etwa der Position, die in der aktuellen juristischen Debatte von Justizministerin Herta Däubler-Gmelin gegen andere Rechtsgutachten zur Legalität der Forschung mit importierten pluripotenten Stammzellen vertreten wird.
Das Problem an dieser Position ist, dass der Konsens, der im ESchG mühsam gefunden worden war, gegenwärtig offenbar bei vielen einflussreichen Wissenschaftlern, Ethikern und Juristen nicht mehr gegeben ist. Die zumindest denkbaren Möglichkeiten der Therapie schwerer Krankheiten mittels Stammzellen haben große Überzeugungskraft und scheinen schwerer zu wiegen als der moralische Status, der im ESchG der befruchteten Keimzelle zugesichert wird.
Für all jene Moralphilosophen, Theologen und Ethiker, die die Menschenwürde am Objekt festmachen, die also meinen, dass dieser Würde alle Menschen in all ihren Seinsformen entweder als von Gott geschaffene oder vom Menschen entsprechend anzusehende teilhaftig seien, erscheint jedes Ab- und Aufwägen dieses obersten Wertes des menschlichen Lebens ausgeschlossen. Von diesem Standpunkt aus ist das nur konsequent.
Das Problem besteht darin, dass es keinen Konsens und keine geteilten Grundüberzeugungen gibt, die diesen Standpunkt für eine große Mehrheit wirklich plausibel erscheinen lassen. Das liegt nicht daran, dass nicht die meisten zustimmen würden, dass ohne normative Auszeichnungen des menschlichen Lebens eine lebenswerte Gesellschaftsform kaum zu erhalten oder zu erreichen wäre. Dass jedoch die volle Schutzwürdigkeit, die wir für alle lebenden Menschen fordern, auch einem 8- oder 32-Zeller zugeschrieben wird, entbehrt für viele der Plausibilität. Das hat m. E. mit dem Gegenstand Embryo selbst zu tun.
Der Embryo, sowohl in vivo als auch in vitro, ist heute zu einem Gegenstand geworden, über dessen moralischen Status wir uns klar werden müssen bzw. darüber, wie wir mit ihm, der nun verfügbar geworden ist, umgehen wollen. Wir müssen folglich entscheiden, was mit ihm geschehen oder getan werden darf. Das Problem dabei ist, dass er kein sinnlich erfahrbares Gegenüber ist wie jeder geborene Mensch - gleich wie hinfällig er vielleicht geworden ist - oder auch wie ein Ungeborenes, das sich im Mutterleib regt. Der Embryo ist zugänglich nur über Mikroskop und Ultraschall, und diese zeigen uns den frühen Menschen im Blastozystenstadium nicht anders aussehend als einen gleichalten Mäuse- oder Schweineembryo. Auf der sinnlichen Erfahrungsebene fehlt uns die Möglichkeit, diesen Moralgegenstand unvermittelt als wirklich zu erleben. Die apparative Distanz oder - um es anders zu sagen - die technische Vermitteltheit und Konstruiertheit des Objekts früher Embryo - macht diesen als Moralgegenstand intuitiv nicht zugänglich, wohl aber als Forschungsgegenstand für die Wissenschaften verfügbar .
Neuere ethische Überlegungen, in denen z. B. eine abgestufte Zuschreibung des Lebenswertes nach der schrittweisen Entwicklung der befruchteten Keimzelle zum Menschen mit all seinen spezifischen Qualitäten vorgeschlagen wird, versuchen, diese Unplausibilität der Menschenwürde des 8-Zellers zu umgehen und trotzdem in allen für relevant erachteten Fällen die vollen Schutzgarantien für Menschen festzuhalten. Problematisch ist daran, dass dazu Eigenschaften wie z. B. die Schmerzempfindsamkeit, die Fähigkeit zu selbstständigen Lebensvollzügen ab der Geburt oder die Entwicklung der Denkfähigkeit als relevant ausgezeichnet und an bestimmten Entwicklungsstufen festgemacht werden müssen. Alle menschlichen Lebensformen, die die entsprechende Eigenschaft nicht aufweisen, werden per definitionem von der Menschenwürde ausgeschlossen, und Lebewesen anderer Arten werden, wenn sie die entsprechenden Merkmale aufweisen, eingeschlossen. Letzteres scheint mir kein ernsthaftes Problem zu sein, da die Ausweitung von Schutzrechten auf Tiere ohnehin überfällig ist. Problematisch an diesen Bestimmungen ist vielmehr stets, dass es Grenzfälle gibt, z. B. dauerkomatöse Patienten, schwer Bewusstseinsgestörte oder die Anenzephalen (ohne Großhirn Geborene), die dann unter Umständen nicht der Schutzwürdigkeit teilhaftig werden, deren Ausschließung aber vielen ungerechtfertigt erscheint.
Ich denke daher, dass andere Lösungen gefordert sind. Die neueren Entwicklungen der Biomedizin seit den siebziger Jahren stellen die Ethik vor die Frage, ob es überhaupt noch eine geeignete Begründungsstrategie ist, den Gegenstand, den wir geschützt wissen möchten, selbst als ontologisch mit der Würde ausgestattet zu sehen. Für diejenigen, die nicht glauben, dass seine moralische Dignität dem Embryo selbst schon innewohnt, sondern dass sie eine Zuschreibung ist, und denken, dass ethische Probleme nur über Konsensbildungen gelöst werden können, stellt sich die Aufgabe, die ethischen Fragen selbst anders zu fassen. Befürchtet wird dabei jedoch ein Dammbruch, wenn wir die Menschenwürde nicht mehr ontologisch im menschlichen Leben - vom Beginn an - verorten, das schleichende Ende der Menschenwürde als zentralem moralischem Wert und als historisch unverzichtbarem Fundament demokratischer Rechtskulturen.
Diese Konsequenz scheint mir aber nicht zwangsläufig zu folgen, wenn wir nicht mehr mit der unplausibel gewordenen Menschenwürde als immanenter Qualität des Embryos selbst argumentieren. Eher droht eine allmähliche Erosion moralischer und ethischer Glaubwürdigkeit, wenn die Ethik der technischen Entwicklung immer nachhinkt und sich bemüht, unplausibel Gewordenes dennoch mit aller Kraft aufrechtzuerhalten.
Der unverzichtbare Sinn des Konzepts Menschenwürde ist, dass wir menschliches Leben - wie Höffe mit Kant sagt, als "über allen Preis erhaben"betrachten. Doch der Preis ist nur ein wesentliches Moment, auch wenn er in der Medizinforschung eine große Rolle spielt. Menschenwürde festzuhalten heißt doch auch, Lebensbedingungen erhalten oder schaffen zu wollen, in denen Individuen Freiheitsspielräume zur persönlichen Lebensgestaltung haben . Die Menschenwürde in diesem Sinne im Blick zu haben, könnte in Bezug auf die Stammzell- und Embryonenforschung heißen, nach den gesellschaftlichen und politischen Folgen einer Nutzung von Embryonen und im weiteren Sinne dieser ganzen Technologieentwicklung zu fragen. Sind diese antizipierbaren oder zu befürchtenden Folgen mit der Würde des Menschen vereinbar und erstrebenswert?
Viele längst in der Diskussion aufgeworfene Fragen, wie z. B. die nach dem Umgang mit Frauen, die ja als Embryo- oder Eizellspenderinnen gefordert sind, können uns hier eine erste Orientierung geben, wonach unter anderem zu fragen wäre. Würden sich z. B. ohnehin schon ausgesprochen risikobehaftete Behandlungen wie die IVF durch die erlaubte Gewinnung von ES-Zellen aus überzähligen Embryonen auf Kosten der Frauen verändern? Wie ließe sich das verhindern, und könnte Missbrauch kontrolliert und bestraft werden? Doch auch andere Punkte müssten hier ausführlich beleuchtet werden. Ich möchte nur einige nennen, um die Richtungen aufzuzeigen: Es gälte nachzudenken über Folgendes:
1. Wie wären die Eigentumsfragen an den entwickelten Biotechnologien zu regeln, und zwar so, dass
2. der Einsatz damit entwickelter Therapien auch tatsächlich allen Menschen zugute kommen kann.
3. Wer wären die Profiteure dieser Technologieentwicklungen und wer würde darunter leiden bzw. dafür zahlen?
4. Welche Techniken und Kenntnisse werden in der Stammzellforschung zwangläufig mit entwickelt und stehen dann zur Verfügung, selbst wenn sich die Hoffnungen auf Stammzelltherapien zerschlagen sollten? Und was wären die erwartbaren Konsequenzen, sollten diese Techniken zum Einsatz kommen?
5. Was würde es bedeuten, Körperzellen des Menschen als therapeutisches Material zur Verfügung zu haben? Müssten alle Menschen dann in möglichst frühem Alter Zellreservoirs anlegen lassen? Wie werden diese z. B. verwaltet, überwacht etc.? Wem gehören meine Körperzellen.
Auf diese Fragen Antworten zu finden würde viel Zeit und Reflexionsarbeit in Anspruch nehmen. Doch ethische Urteilsbildung zu einer Technologie, die so fundamentale, tradierte Selbstverständnisse umkrempeln könnte, ist ohne die Bearbeitung dieser Fragen nicht möglich. Dazu muss die biomedizinische Technologieentwicklung auf ihre impliziten ethischen und normativen Gehalte und ihre gesellschaftlichen Folgen hin untersucht werden. Erst danach kann man sich ein Urteil darüber bilden, ob die Methoden, Ziele und Konsequenzen dieser Forschung mit unseren pluralen Vorstellungen von einem würdigen Menschenleben vereinbar und also wünschenswert sind.
Es scheint mir wahrscheinlich, dass die Beantwortung dieser Fragen zeigt, dass solche Technologien zur Krankheitsbehandlung neue Arten von Abhängigkeiten und gesellschaftlicher Verwaltung und Überwachung mit sich bringen. Die ethische und gesellschaftspolitische Frage würde dann lauten: Therapiechancen versus persönliche Freiheiten. Freiheiten sind dabei nicht nur Handlungsspielräume, sondern auch Seinsweisen und Le-bensformen, die sich den enger werdenden Maschen des Netzes von Normalitätsvorstellungen, das die biomedizinischen Technologien immer auch mit um das Menschsein herum weben, entziehen. Diese Alternative Therapiechancen versus weitere Spielräume menschlicher Lebensformen ist eine schwierige, weil von den Freiheitseinschränkungen zwar alle betroffen wären, aber sukzessive Einschnitte in persönliche Selbstbestimmungsrechte erstaunlich wenig Widerstand hervorrufen, während ernsthafte Erkrankungen mit dramatischem Angsterleben verbunden sind und m. E. jedem Individuum zugestanden werden muss, dass es in einer solchermaßen bedrohten Lebenssituation jede Möglichkeit, die ihm geboten wird, ergreift. Die Entscheidungen über neue Technologien müssen darum auch losgelöst von den akuten Krankheitsfällen und dem Therapieinteresse diskutiert und getroffen werden.
2. Forschungsdynamik und Technologieentwicklung
Die Erfahrung der letzten Jahrzehnte hat gezeigt, dass technische Entwicklungen stets nicht nur das bewirken (wenn überhaupt), was an Verbesserungen für das Leben der Menschen mit ihnen intendiert war. Wir müssen immer mit unerwarteten Neben- und Spätfolgen einer Technologie rechnen, und zwar auch in der Biomedizin. Allerdings sind die Zeiträume unserer Erfahrung mit diesen Techniken noch zu kurz, um Einzelfolgen absehen zu können, soweit sie nicht im Scheitern eines Therapieansatzes bestehen, wie wir ihn z. B. bei der somatischen Gentherapie feststellen mussten.
Die Erfahrungen zeigen auch, dass Technologien, die einmal entwickelt sind, ihre Fortsetzung in anderen Bereichen finden und dass sowohl aufgrund international unterschiedlicher gesetzlicher Regelungen als auch, weil eine umfassende Kontrolle der Forschungen und des Technikeinsatzes de facto unmöglich ist, auch Verbotenes immer wieder getan wird und auch heute noch die Öffentlichkeit häufig erst nach Vollendung mit den Tatsachen konfrontiert wird. Das jüngste Beispiel dafür sind die Kinder in den USA, die mit dem Erbgut dreier Elternteile ausgestattet wurden. Die IVF, die von vielen Medizinern mit dem Anspruch, unfruchtbaren Paaren zu helfen, entwickelt und ausgeübt wurde und wird, hat die technologischen Grundlagen für die Stammzellforschung und die Präimplantationsdiagnostik bereitgestellt. Diese sind, nach allem, was wir jetzt über die Embryonalentwicklung und ihre Steuerung in der Petrischale wissen, technikimmanent logische Weiterentwicklungen aus der Embryoerzeugung in vitro. Das heißt jedoch keineswegs - und hier widerspreche ich ausdrücklich dem Geist des so genannten Dammbrucharguments, mit dem auch die DFG in ihrer neuen Stellungnahme eben diese rechtfertigt -, dass wir diesen technisch vorgezeichneten Weg beschreiten müssten oder immer weiter gehen. Es ist nicht so, wie die DFG argumentiert, dass eine Gesellschaft, die die Spirale als Verhütungsmittel, den Schwangerschaftsabbruch nach Beratung und Indikation und die IVF als Infertilitätsbehandlung zulässt, damit unausgesprochen jeden Anspruch aufgibt, die Würde des Menschen am Lebensbeginn zu schützen. Im Gegenteil kann man an Versuchen wie dem ESchG sehen, dass Bemühungen, bestimmte Nutzungen eines Objekts zu verhindern, nicht grundsätzlich mit der Erlaubnis anderer Umgangsweisen mit demselben Objekt im Widerspruch stehen. Jede Technologie kann und muss für sich ethisch beurteilt werden. Deutlich wird das, wenn man z. B. die Diskussionen zum Thema Embryo und Menschenwürde zur Stammzellforschung und zur Präimplantationsdiagnostik miteinander vergleicht. In Ersterer spielt vor allem die Vernichtung von Embryonen für die Fremdnutzung eine Rolle, in Letzterer wird die Selektionsfrage brisant, bei der ganz andere kulturelle Erfahrungen und gesellschaftliche Folgen zu bedenken sind.
Ethische Haltungen zu diesen Fragen zu entwickeln, die dann auch verbindlich eingehalten werden, ist freilich ein schwieriger Konsensfindungsprozess. Das Ergebnis muss unter Umständen später revidiert werden und ist nicht allen Betroffenen recht. Doch es gibt in diesen ethischen Fragen, auf die wir uns verständigen müssen, sicherlich keinen Rubikon, nach dessen Überschreitung alles verloren oder gewonnen sein müsste - je nach Sichtweise. Dass uns die Technikentwicklung und eine neue Interessenlage in einflussreichen Teilen der Gesellschaft dazu bringen kann, vormals für falsch gehaltene Handlungen (die darum evtl. verboten wurden) doch zuzugestehen, soll damit nicht ausgeschlossen werden. Allerdings lässt m. E. der derzeitige Forschungsstand mit humanen Stammzellen - erwähnt sei zur Erinnerung nur die Unkenntnis über deren therapeutisches Potential und das Risiko tumoröser Transplantate - eine solche Änderung in Bezug auf das ESchG nicht gerade dringlich erscheinen. Die Forderung der DFG nach einer Erlaubnis der Forschung mit humanen embryonalen Stammzelllinien begründet sie mit dem Forschungsinteresse und der Hochrangigkeit der Forschungsziele und damit implizit aber auch mit dem internationalen Konkurrenzdruck. Hier schwingt die Angst mit, dass alle Verfahrenspatente andere beantragen könnten, die Befürchtung, dass die deutschen WissenschaftlerInnen bei der Technologieentwicklung abgehängt werden könnten - dass damit auch der Industriestandort Deutschland gefährdet sein könnte. Doch eben diese Vermengung von Forschungsneugier, Verfahrensentwicklung und Patentschutz, die die gegenwärtige biotechnologische Forschung prägt, ebenso wie andere Forschungsfelder, ist für die ethische Betrachtung brisant und heikel. Das Argument der Forschungsfreiheit muss in Frage gestellt werden, wenn Forschung, Anwendung und Profitchancen so eng miteinander verquickt sind wie im Fall der Stammzellforschung. Der Druck durch andere Rechtsverhältnisse und andere moralische Einschätzungen in anderen Ländern ist kein ethisch oder moralisch gültiges Argument. Dass andere etwas tun, was wir selbst nicht für moralisch gerechtfertigt halten, ist kein Grund dafür, es selbst denn doch auch zu tun.
Es sind in den letzten 20 Jahren Verfahren entwickelt worden, die eine qualifizierte Meinungsbildung zu Fragen der Technologieentwicklung und -einführung in einer komplexen Gesellschaft wie der unsrigen zumindest ermöglichen, etwa Konsensuskonferenzen und Bürgerforen. Allerdings geht die Technikentwicklung und Forschung in so vielen Bereichen heute so schnell voran, dass auch diese Verfahren mit Praktikabilitätsgrenzen zu kämpfen haben.
Angemessene Methoden, zu Meinungsbildungen bezüglich der Technikentwicklung zu gelangen, bevor sich die einzelnen Technologien schon mehr oder weniger etabliert haben, stehen noch aus. Das enthebt uns jedoch nicht von der Verantwortung für unsere Gegenwart und Zukunft, nach den richtigen ethischen Entscheidungen zu suchen und darum zu streiten.