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Plastikmüll im Meer Zur Entdeckung eines Umweltproblems

Johanna Kramm Carolin Völker

/ 14 Minuten zu lesen

Der nordpazifische "Müllstrudel" aus Plastikpartikeln gilt als eines der drängendsten Umweltprobleme. Auch wenn noch nicht gesichert ist, wie schädlich Mikroplastik für den Menschen ist, gibt es ausreichend Argumente, etwas gegen die Vermüllung der Ozeane zu tun.

Es ist erst wenige Jahre her, dass mehrere Medien von der Entstehung eines "achten Kontinents" berichteten. Dieser bestehe aus allerlei Unrat und Müll, vor allem Plastikmüll, der sich durch die Meeresströmung im Nordpazifik gesammelt habe. Die Vorstellung eines neuen Kontinents beflügelte einige zunächst: Niederländische Architekten entwickelten Visionen, den Plastikmüll einzusammeln, um neuen Wohnraum auf einer Insel aus recyceltem Material zu gewinnen. Und der junge Erfinder Boyan Slat entwarf eine Art marine Plastikmüllauffanganlage, die er durch Crowdfunding finanzierte. Inzwischen ist bekannt, dass das Plastik im Nordpazifik keine tragende, kontinentartige Fläche bildet, sondern eher eine "Plastiksuppe". Wegen der Strömungen sammelt sich darin vor allem sogenanntes Mikroplastik, das entweder durch den Zerfall von Plastikmüll entstanden ist oder bei dem es sich um verlorengegangenes Plastikgranulat handelt. Dieses aus dem Meer herauszuholen, wird als zu aufwendig und kostspielig angesehen. Zudem würden durch die Filtration auch kleine, für die Meeresökologie wichtige Lebewesen herausgefischt.

Wie der Klimawandel ist auch das Problem des mikroskopisch kleinen, aber umfangreichen Plastikmüllaufkommens in den Meeren und Ozeanen ein "Hyperobjekt". Der Begriff wurde von dem US-amerikanischen Philosophen Timothy Morton eingeführt und bezeichnet Dinge, die sich in Zeit und Raum so ausdehnen, dass sie für den Menschen (lange Zeit) nicht unmittelbar erfahrbar sind. Im Fall der "Plastiksuppe" trifft dies in zweierlei Hinsicht zu: Zum einen sind die Partikel zu klein, als dass sie direkt sichtbar wären, zum anderen ist die Partikelansammlung in Ausdehnung und Tiefe zu groß, um direkt "fassbar" zu sein. Den Naturwissenschaften kommt bei Hyperobjekten daher eine entscheidende Rolle zu. Sie müssen das Problem "entdecken" und Wege finden, es sichtbar zu machen, etwa durch Messinstrumente.

Im Folgenden werden wir nachzeichnen, wie sich das Thema "Plastik im Meer" aus einem zunächst unsichtbaren Phänomen dahingehend entwickelt hat, dass es gegenwärtig als eine der größten Umweltbedrohungen wahrgenommen wird. Danach werden wir einen Blick auf die damit verbundenen Risiken und Ängste werfen, um abschließend Fragen der Verantwortung zu diskutieren.

Wissenschaftlicher Beifang

Die Entdeckung von Plastikobjekten auf dem offenen Meer, weitab von menschlichen Lebensräumen, geschah eher zufällig und unerwartet. Die ersten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die Anfang der 1970er Jahre unabhängig voneinander mit Plastik im Meer in Berührung kamen, waren von unterschiedlichen wissenschaftlichen Fragestellungen angetrieben.

So war der norwegische Ethnograf Thor Heyerdahl mit seinem Team eigentlich zu einer Atlantiküberquerung in einem Papyrusboot angetreten, um den Nachweis zu führen, dass schon die alten Ägypter dazu in der Lage gewesen wären. Doch Heyerdahls Reisen blieben vor allem deshalb in Erinnerung, weil er mitten auf dem Atlantik auch abseits der gängigen Schiffsrouten Ölklumpen und andere synthetische Materialien entdeckte und die Verschmutzung des Ozeans öffentlichkeitswirksam dokumentierte.

Edward Carpenter vom Woods Hole Oceanographic Institute in Massachusetts und seine Kolleginnen und Kollegen hatten ursprünglich den Einfluss von Atomkraftwerken auf marine Küstenökosysteme untersuchen wollen. Um Proben von aquatischen Organismen und Fischeiern zu nehmen, setzten sie Netze ein, die das Oberflächenwasser durchkämmten. In diesen Netzen fanden sie jedoch nicht nur das, wonach sie suchten, sondern auch kleinere Partikel aus Plastik, die sie als "pellets", "spherules" oder "particles" beschrieben. Ihre Funde führten sie richtigerweise auf Plastikgranulat zurück, das durch die kunststoffproduzierende Industrie in die Umwelt gelangt war.

Größere Plastikgegenstände im Meer wurden erstmals 1973 von Ozeanografen und Ozeanografinnen der kalifornischen Scripps Institution of Oceanography erwähnt. Auch diese Entdeckung war ein wissenschaftlicher "Beifang": Die Forscher hatten eine Expedition unternommen, um auf hoher See in einem vom Menschen unbeeinflussten Ökosystem Phytoplanktongemeinschaften zu untersuchen. Da viele Küstengewässer bereits mit Chemikalien verschmutzt waren, sollten die Proben weit auf dem Pazifik genommen werden. Auf dem Rückweg hatte die Crew viel Zeit, das Meer zu beobachten. 600 Meilen von der Zivilisation entfernt entdeckten sie menschengemachte Gegenstände wie Plastikflaschen, eine Kaffeekanne und einen alten Ballon. Um sich die Zeit zu vertreiben, führte die Crew ein Logbuch, in dem alle Funde mit Ort und Zeit eingetragen wurden. Die Ergebnisse veröffentlichte die Gruppe um Elizabeth Venrick schließlich in der Fachzeitschrift "Nature".

Es wurde vermutet, dass die Funde entweder durch direkte Abfallentsorgung oder durch die Säuberung von Schiffstanks in die Ozeane gelangt waren. Eine Verbindung mit der Meeresströmung wurde in den ersten wissenschaftlichen Publikationen nicht hergestellt. Auch die vom Plastik ausgehende gesundheitliche Gefahr für Mensch und Tier – etwa durch die Möglichkeit, dass es in die Nahrungskette gelangt – schätzten Wissenschaftler als gering ein. So wurde der umhertreibende Kunststoffmüll zunächst nicht als Schadstoff, sondern vor allem als ein ästhetisches Problem wahrgenommen.

Vom Hilfsmittel zum Forschungsgegenstand

Anfangs noch nicht als großes Problem wahrgenommen, wurden die Plastikobjekte im Meer in den darauffolgenden Jahrzehnten auch nicht als Forschungsgegenstand angesehen. Vielmehr gewannen sie zunächst als wichtiges Instrument in der Ozeanografie an Bedeutung. Die Wissenschaft machte sich die Objekte als "Schwimmer" zunutze: Turnschuhe und Badeenten aus verlorenen Schiffscontainern halfen US-amerikanischen Ozeanografen in den 1990er Jahren, ihre Modelle für Meeresströmungen und Ozeanzirkulationen abzugleichen. Interessanterweise konnten die Forscher anhand der so erstellten Meeresstrommodelle eine Akkumulationszone voraussagen, in der Gegenstände und Müll aufgrund der Strömungen für Jahrzehnte zirkulieren würden. Diese Zone im Nordpazifik, die heute auch als "Müllstrudel" oder im Englischen als "garbage patch" bezeichnet wird, existierte also bereits vor ihrer Entdeckung als eine theoretische Annahme.

Während die Ozeanografen die Plastikgegenstände für ihre Modellierungen nutzten, war ein japanischer Wissenschaftler an einem anderen Aspekt von Plastik in der Umwelt interessiert. Der japanische Chemiker Hideshige Takada arbeitete in den 1990er Jahren zu sogenannten persistenten organischen Schadstoffen (persistent organic pollutants, POPs). Zu ihnen zählen das Pestizid DDT (Dichlordiphenyltrichlorethan) oder auch PCB (polychlorierte Biphenyle), die lange als Weichmacher in Kunststoffen oder Lacken dienten. Aufgrund ihrer Langlebigkeit sind die – wie man mittlerweile weiß: krebserregenden und teilweise hormonell wirksamen – Stoffe inzwischen weltweit nachweisbar. Eine Kollegin machte Takada auf Plastikgranulate aufmerksam, die sie am Strand gefunden hatte. Da Kunststoffe und POPs wasserabweisend sind, lag die Vermutung nahe, dass sich Schadstoffe an Kunststoffen ansammeln. Und in der Tat enthielt das Granulat, das Takada nun untersuchte, eine große Menge an POPs.

Inspiriert von den Ergebnissen gründete Takada das Netzwerk International Pellet Watch, dem aus aller Welt gefundenes Granulat zur Analyse geschickt werden konnte. Zunächst war Takada vor allem daran interessiert, die Verbreitung von Schadstoffen zu kartieren und damit ein globales Monitoringsystem aufzubauen. Das Kunststoffgranulat an sich sah er dabei gar nicht als Schadstoff an. Erst im Zuge der Auseinandersetzung mit einer kritisch fragenden Öffentlichkeit entschied sich Takada, dass das Pellet-Watch-Projekt auch Kunststoff als einen möglichen Schadstoff berücksichtigen sollte. Dies fiel in die Zeit, in der sich das Verständnis des Materials Kunststoff zu ändern begann: Anfangs als ein homogener, integrer Stoff angesehen, zeigte sich allmählich, dass die Bestandteile von Kunststoffen nicht für immer in ihnen gebunden bleiben. Neben der Polymerart sind Kunststoffe mit weiteren Chemikalien wie Weichmachern, Flammschutzmitteln und Farbstoffen versetzt, die "migrieren" können. Das einst sehr positive Image der Kunststoffe begann sich nun zu wandeln.

Es bedurfte aber noch eines weiteren Ereignisses, bis sich das Problemverständnis von Grund auf änderte – der Entdeckung des Müllstrudels auf dem Pazifik durch den Ozeanografen und Kapitän Charles Moore. Auf dem Rückweg von einer Regatta in Hawaii durchfuhr Moore 1997 zufällig die vorausgesagte Akkumulationszone und beobachtete viele schwimmende Plastikobjekte. Dieses Erlebnis markierte einen Wendepunkt für ihn und seine Arbeit: Moore gründete die Nichtregierungsorganisation Algalita und begann, Artikel über das Thema zu veröffentlichen. Viele Wissenschaftler zeigten sich zunächst skeptisch gegenüber seiner Arbeit. Dennoch gelang es Moore mit dem Bild des Müllteppichs inmitten des Ozeans, den Medien auch als "Insel des Mülls" oder "achten Kontinent" bezeichneten, in der Öffentlichkeit ein Problem zu umreißen, das bald von weiteren Wissenschaftlern aufgegriffen wurde.

Mikroplastik: Risiken und Ängste

Bei näherer Betrachtung stellte sich heraus, dass es sich bei dem Plastikteppich nicht um eine Ansammlung größerer Objekte handelte, sondern eher um eine Konzentration unzähliger kleinerer Plastikteilchen in der gesamten Wassersäule, also von der Oberfläche bis zum Grund. 2004 bezeichnete ein Team um den britischen Meeresbiologen Richard Thompson diese Partikel in einem Artikel für "Science" erstmals als "Mikroplastik". Angesichts der steigenden Plastikproduktion und der Langlebigkeit des Materials hielten die Autorinnen und Autoren ein wachsendes Ausmaß der Verschmutzung für sicher. Zugleich wiesen sie auf Unklarheiten in Bezug auf mögliche Umweltauswirkungen hin, etwa ob toxische Substanzen von Plastik in die Nahrungsmittelkette gelangen können.

Seither ist die Zahl der Studien zum Vorkommen und zu den Auswirkungen von Mikroplastik exponentiell gestiegen. Mikroplastik wurde in immer mehr Ökosystemen entdeckt, seien es Tiefseesedimente oder Binnengewässer. Die Frage aber, ob Mikroplastik tatsächlich ein (öko)toxikologisches Risiko für die Umwelt ist, kann auch 13 Jahre nach dem Erscheinen des Artikels von Thompson et al. nicht abschließend beantwortet werden. Unabhängig davon wird Mikroplastik in der breiten Öffentlichkeit als Gesundheitsrisiko und umweltschädlich wahrgenommen.

Dies wird auch bedingt durch wissenschaftliche Studien, in denen mögliche Risiken dikutiert werden. In der öffentlichen Darstellung wird die Verschmutzung durch Plastikmüll dann oft mit potenziellen negativen Wirkungen gleichgesetzt, ohne dabei Wirkschwellen (Konzentration, ab der eine Substanz eine Wirkung zeigt) und umweltrelevante Expositionskonzentrationen (Konzentration, der ein Organismus in der Umwelt ausgesetzt ist) zu berücksichtigen. Tatsächlich wurden negative Effekte im Labor erst bei Konzentrationen nachgewiesen, die um ein Vielfaches höher liegen, als Mikroplastik in der Umwelt vorkommt. Die einzige Studie, die negative Effekte im umweltrelevanten Bereich auf Fische nachweisen konnte und 2016 ebenfalls in "Science" erschien, wurde wegen Täuschungsverdachts und wissenschaftlich unsauberer Arbeitsweise inzwischen wieder zurückgezogen.

Dass Mikroplastik letztendlich auch vom Menschen aufgenommen werden kann, scheint auf den ersten Blick plausibel: Zooplankton nimmt Mikroplastik auf, wird von Fischen gefressen, die wiederum von Menschen verzehrt werden. Wissenschaftlich betrachtet bietet diese Darstellung jedoch auch Unsicherheiten. So scheiden Organismen Mikroplastik auch wieder aus, und der Magen des Fisches, in dem sich das Mikroplastik befindet, wird in den meisten Fällen nicht verzehrt (ausgenommen Muscheln und Krustentiere). Grundsätzlich wird durch die starke Fixierung auf Mikroplastik ausgeblendet, dass Organismen in der Umwelt auch vielen natürlichen Partikeln oder anderen Substanzen ausgesetzt sind, die ähnliche Effekte haben können.

Hier spielt auch die mediale Vermittlung eine Rolle. Nachrichtenmeldungen etwa, in denen über Mikroplastik in Bier und Trinkwasser berichtet wird, ohne ausreichend zu erörtern, dass die zugrundeliegenden Studien umstritten sind und keinerlei Hinweise auf gesundheitliche Auswirkungen bieten, können überhöhte Risikowahrnehmungen befördern. Dass Mikroplastik unsere Lebensmittel bereits verunreinige, legen auch überspitzte Bildmontagen von Umweltorganisationen nahe. Mediale Aufmerksamkeit erregten ebenfalls Veröffentlichungen einiger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in den USA, die den dortigen politischen Kampf um das Verbot von Mikroplastik in Kosmetika begleiteten. Vor allem die anschauliche Hochrechnung, dass die USA über Kläranlagen täglich Mikroplastik in solchen Mengen in die Umwelt emittierten, dass damit mehr als 300 Tennisplätze abgedeckt werden könnten, sorgte für einen Aufschrei. Ob die öffentliche Empörung ohne den bildstarken Vergleich genauso groß gewesen wäre, ist fraglich: Denn ohne Hochrechnung liegen die Werte bei 0,1 Partikeln pro Liter behandeltem Abwasser. Für das dortige Verbot von Mikroplastik in Kosmetika reichte schließlich die bloße Darstellung, dass Plastikpartikelchen aus den Kosmetikprodukten in die Umwelt gelangten. (Öko)toxikologische Nachweise waren dafür nicht erforderlich – anders als es sonst für Chemikalien der Fall ist.

All dies führt dazu, dass immer mehr Menschen Mikroplastik als Gefahr betrachten und das Thema mit Ängsten besetzt ist – ungeachtet der Tatsache, dass eine abschließende Risikobewertung durch die Wissenschaft noch aussteht. Für die wissenschaftliche Risikokommunikation ist diese Sachlage eine große Herausforderung: Auf der einen Seite soll die Bevölkerung nicht unbegründet über mögliche Gesundheitsschäden in Besorgnis versetzt und sollte Mikroplastik im Wasser nicht per se als toxisch angesehen werden. Auf der anderen Seite aber darf das Thema (Mikro-)Plastik in der Umwelt keinesfalls verharmlost werden. Vielmehr gilt es in den Blick zu nehmen, dass der langfristig hohe Konsum von Plastikprodukten zu einer immer größeren Akkumulation in der Umwelt führt, was so oder so einen gravierenden Eingriff in die Ökosysteme bedeutet.

Verschmutzungspotenzial der Weltmeere durch Plastik (© bpb)

Alle Augen auf Asien?

Um das Plastikmüllproblem nachhaltig zu bearbeiten, sollten neben der Risikobewertung die Ursachen der Meeresverschmutzung genauer betrachtet werden. Schätzungen zufolge stammen nur 20 Prozent des Mülls in den Meeren aus der Fischerei und der Seefahrt und 80 Prozent aus Quellen an Land. Der Plastikmüll gelangt durch unsachgemäße Entsorgung, unzureichend gemanagte Deponien, fehlendes Abfall- oder Abwassermanagement, aber auch durch Tourismus sowie über Flüsse, Niederschlagswasser und Wind in die Ozeane.

Welche Länder sind für den Eintrag ins Meer hauptsächlich verantwortlich? Einer Studie der Umweltwissenschaftlerin Jenna Jambeck et al. zufolge wurden allein 2010 rund 30 Millionen Tonnen Plastikmüll unsachgemäß entsorgt und davon geschätzte fünf bis 13 Millionen Tonnen Plastikmüll vom Land in die Weltmeere eingetragen, mit Asien als Region mit den höchsten Eintragszahlen. Dies ist wenig überraschend, da Asien auch den größten Anteil an der globalen Plastikproduktion aufweist. Viele asiatische Schwellenländer wie Vietnam und Thailand zeichnen sich durch ein hohes Wirtschaftswachstum und das Herausbilden konsumstarker Bevölkerungsschichten aus. Damit geht eine höhere Nachfrage nach Plastikprodukten einher. Wachsende Produktion und zunehmender Konsum stehen dabei oft einem unzureichenden Abfall- und Abwassermanagement gegenüber. Der Diagnose durch die Studie folgte umgehend die Kritik: Durch den Fokus auf Asien sei eine Verlagerung der Verantwortung und eine Ablenkung von der Abfallsituation und der Ressourcennutzung in westlichen Ländern zu befürchten, denn hier sei die produzierte Abfallmenge pro Kopf viel höher als in vielen asiatischen Ländern. Zwar sei es naheliegend, aus der Studie den Schluss zu ziehen, die Verantwortung für den Plastikmüll im Meer vor allem in Asien zu suchen und als Lösung den Aufbau der dortigen Abfallinfrastruktur zu propagieren. Dies allein würde jedoch die internationalen Zusammenhänge und globalen Warenströme außer Acht lassen.

Tatsächlich verschärfen westliche Staaten das Problem zusätzlich, da sie große Mengen an Plastikabfall nach Asien exportieren, vor allem nach China. Dort wird es meist in klein- und mittelständischen Unternehmen recycelt, was wiederum eine Quelle für Einträge von Plastikgranulat ins Abwasser ist. Zudem wird noch immer ein Großteil der Plastikverpackungen in Europa und den USA produziert. Die meisten global agierenden Unternehmen, die darüber entscheiden, wie die Verpackungen ihrer Produkte beschaffen sind, haben ihren Hauptsitz in Europa und den USA. Und Kunststoffverpackungen, vor allem von Konsumgütern, machen den größten Teil des gesamten Plastikmülls aus. Im Sinne ihrer Verantwortung für das Produkt- und Materialdesign sollten diese global agierenden Unternehmen eine führende Rolle bei der Suche nach Lösungen übernehmen und technologische Innovationen zur Trennung und Wiederverarbeitung von Kunststoffen vorantreiben.

Die hier skizzierten Ansatzpunkte könnten und sollten unter dem Begriff der "erweiterten Produktverantwortung" diskutiert werden. Darin kommt zum Ausdruck, dass auch jene Unternehmen, die die Ware in Umlauf bringen, eine Verantwortung für das Produkt und seine Auswirkungen auf die Umwelt tragen. Als positiv kann bewertet werden, dass eine solche Produktverantwortung zunehmend in internationalen Abkommen thematisiert wird und auch im G20-Aktionsplan zur Meeresvermüllung von 2017 eine zentrale Stellung einnimmt.

Fazit

Um das Hyperobjekt "Plastiksuppe" zu begreifen, helfen neben wissenschaftlichen Instrumenten wie Wasserbeprobungen mit Hilfe von Netzen auch Modelle, Hochrechnungen, Metaphern und eindrucksvolle Bilder von vermüllten Stränden unbewohnter Archipele im Pazifik. Der Plastikstrudel im Südpazifik hält der Konsum- und Wegwerfgesellschaft den Spiegel vor. Die medial verbreiteten Bilder von in Plastik gefangenen Schildkröten oder Robben lösen eine direkte Betroffenheit aus und veranschaulichen die globalen ökologischen Konsequenzen unserer Konsumgewohnheiten.

Auch wenn wissenschaftlich noch nicht abschließend geklärt ist, ob und wie schädlich Mikroplastik in der Umwelt für Wasserorganismen und letztendlich für den Menschen ist, gibt es ausreichend Argumente, etwas gegen die zunehmende Vermüllung der Umwelt und insbesondere der Ozeane zu tun – sei es aus ästhetischen, moralischen, ökonomischen oder anderen Gründen. Dies sollte jedoch nicht dazu führen, dass Dinge in Vergessenheit geraten, die im Gegensatz zu Mikroplastik nachgewiesenermaßen negative Effekte auf aquatische Organismen haben, wie zum Beispiel die Belastungen durch Schwermetalle, organische Stoffe, Nitrat, Überfischung oder den Klimawandel. Die Bekämpfung des Meeresmülls kann auch als eine Chance begriffen werden, bestimmte gesellschaftliche Strukturen umzugestalten. Dazu gehört das Abfallmanagement genauso wie eine Bewusstseinsbildung der Produzenten und Konsumenten für die Folgen ihrer Produktionsweisen und ihres Konsumverhaltens.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. United Nations Environment Programme (UNEP), Marine Plastic Debris and Microplastics: Global Lessons and Research to Inspire Action and Guide Policy Change, Nairobi 2016, S. 71.

  2. Auffanganlagen wie die von Boyan Slat entworfene könnten dennoch sinnvoll sein, um in stark verschmutzten Küstenregionen größere Plastikteile aus dem Wasser zu fischen.

  3. Vgl. Timothy Morton, Hyperobjects. Philosophy and Ecology after the End of the World, Minneapolis 2013.

  4. Vgl. Plastikmüll im Meer: "Eines der größten Probleme unserer Zeit", in: Augsburger Allgemeine, 18.3.2016, Externer Link: http://www.augsburger-allgemeine.de/id37269322.html.

  5. Vgl. Thor Heyerdahl, Atlantic Ocean Pollution and Biota Observed by the "Ra" Expeditions, in: Biological Conservation 3/1971, S. 164–167.

  6. Vgl. Edward Carpenter et al., Polystyrene Spherules in Coastal Waters, in: Science 4062/1972, S. 749f.

  7. Vgl. Elizabeth Venrick et al., Man-made Objects on the Surface of the Central North Pacific Ocean, in: Nature 5387/1973, S. 271.

  8. Vgl. Kim De Wolff, Gyre Plastics. Science, Circulation and the Matter of the Great Pacific Garbage Patch, San Diego 2014, S. 37.

  9. Vgl. James Ingraham, Getting to Know OSCURS, REFM’s Ocean Surface Current Simulator, in: Alaska Fisheries Science Center, Quarterly Report 2/1997, S. 1–14; Curtis Ebbesmeyer/Eric Scigliano, Flotsametrics and the Floating World: How One Man’s Obsession with Runaway Sneakers and Rubber Ducks Revolutionized Ocean Science, New York 2010; De Wolff (Anm. 8), S. 46.

  10. Vgl. Ingraham (Anm. 9); Robert Day/David Shaw, Patterns in the Abundance of Pelagic Plastic and Tar in the North Pacific Ocean, 1976–1985, in: Marine Pollution Bulletin 18/1987, S. 311–316; De Wolff (Anm. 8), S. 47.

  11. POPs zeichnen sich durch Anreicherung im Gewebe (Bioakkumulation), Langlebigkeit (Persistenz) und Giftigkeit (Toxizität) aus. Sie sind seit 2001 verboten.

  12. Vgl. De Wolff (Anm. 8), S. 52.

  13. Siehe Externer Link: http://www.pelletwatch.org.

  14. Vgl. De Wolff (Anm. 8), S. 55.

  15. Vgl. Martin Wagner/Jörg Oehlmann, Endocrine Disruptors in Bottled Mineral Water: Total Estrogenic Burden and Migration from Plastic Bottles, in: Environmental Science and Pollution Research 16/2009, S. 278–286.

  16. Vgl. De Wolff (Anm. 8), S. 56f.

  17. Vgl. Lindsey Hoshaw, Afloat in the Ocean, Expanding Islands of Trash, 9.11.2009, Externer Link: http://www.nytimes.com/2009/11/10/science/10patch.html; Bryan Walsh, The Truth About Plastic, 10.7.2008, Externer Link: http://www.time.com/time/magazine/article/0,9171,1821664,00.html.

  18. Vgl. Richard Thompson et al., Lost at Sea: Where is All the Plastic?, in: Science 5672/2004, S. 838.

  19. Vgl. Johanna Kramm/Carolin Völker, Understanding the Risks of Microplastics. A Social-Ecological Risk Perspective, in: Martin Wagner/Scott Lambert (Hrsg.), Freshwater Microplastics: Emerging Environmental Contaminants?, Cham 2018.

  20. Vgl. Lisbeth van Cauwenberghe et al., Microplastic Pollution in Deep-Sea Sediments, in: Environmental Pollution 182/2013, S. 495–499; Thomas Mani et al., Profile Along the Rhine River, in: Scientific Reports 5/2015.

  21. Vgl. Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR), BfR Consumer Monitor 2/2016; Kramm/Völker (Anm. 19).

  22. Vgl. Albert Koelmans et al., Risks of Plastic Debris: Unravelling Fact, Opinion, Perception, and Belief, in: Environmental Science and Technology 51/2017, S. 11513–11519.

  23. Vgl. ebd.

  24. Vgl. Martin Enserink, Paper About How Microplastics Harm Fish Should Be Retracted Report Says, 28.4.2017, Externer Link: http://www.sciencemag.org/news/2017/04/paper-about-how-microplastics-harm-fish-should-be-retracted-report-says.

  25. Vgl. Koelmans et al. (Anm. 22).

  26. Vgl. etwa Heike Dittmers, Mikroplastik in Mineralwasser und Bier, 2.6.2014, Externer Link: http://www.ndr.de/mikroplastik134.html.

  27. Rochman et al. gingen von acht Billionen Partikeln pro Tag aus. Später wurde diese Zahl auf acht Milliarden korrigiert und der Tennisplatzvergleich durch eine siebenmalige Erdumrundung ersetzt. Vgl. Chelsea Rochman et al., Scientific Evidence Supports a Ban on Microbeads, in: Environmental Science and Technology 18/2015, S. 10759ff.; dies., Correction to Scientific Evidence Supports a Ban on Microbeads, in: Environmental Science and Technology 24/2015, S. 14740.

  28. Vgl. UNEP (Anm. 1).

  29. Vgl. Jenna Jambeck et al., Plastic Waste Inputs from Land into the Ocean, in: Science 6223/2015, S. 768–771.

  30. Vgl. Stefan Giljum/Franz Stephan Lutter, Globaler Ressourcenkonsum: Die Welt auf dem Weg in eine "Green Economy"?, in: Geographische Rundschau 5/2015, S. 10–15.

  31. Vgl. McKinsey/Ocean Conservancy, Stemming the Tide: Land-based Strategies for a Plastic-free Ocean, o.O. 2015.

  32. Ein Beispiel zum Vergleich: In Deutschland beträgt die produzierte Abfallmenge etwa 1,6 Kilogramm pro Person und Tag, davon sind elf Prozent Plastikabfall. In Indonesien sind es rund 0,5 Kilogramm, davon ebenfalls elf Prozent Plastikabfall. Vgl. Statistisches Bundesamt, Pressestelle, Zahl der Woche, 1.7.2014; Jambeck et al. (Anm. 29), S. 769.

  33. China hat vor, die Einfuhr von Plastikabfall für Recyclingzwecke stark einzuschränken.

  34. Vgl. Costas Velis, Global Recycling Markets: Plastic Waste, Wien 2014.

  35. Vgl. World Economic Forum, The New Plastics Economy, Genf 2016.

Lizenz

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ist promovierte Humangeografin und Nachwuchsgruppenleiterin am ISOE-Institut für sozial-ökologische Forschung in Frankfurt am Main. Sie forscht zu Plastikmüll an der Schnittstelle von Wissenschaft und Politik. E-Mail Link: kramm@isoe.de

ist promovierte Ökotoxikologin und Nachwuchsgruppenleiterin am ISOE-Institut für sozial-ökologische Forschung in Frankfurt am Main. Ihr Arbeitsschwerpunkt ist die Bewertung der Umweltrisiken von Mikroplastik. E-Mail Link: voelker@isoe.de