"Nur noch 100 Kabeljaue in der Nordsee"; "Fisch und Meeresfrüchte könnten bis 2048 verschwunden sein".
Die Nutzung von Fisch hat zweifellos viele Vorteile – vor allem in Hinblick auf die Proteinversorgung der wachsenden Weltbevölkerung: Kein anderes Nutztier setzt Futter effizienter in für den Menschen verwertbare Nahrung um als Fische. Ein Lachs etwa bildet pro 1,2 Kilogramm eingesetzter Nahrung ein Kilogramm Körpermasse. Bei Rindern ist die sogenannte Konversionsrate ungleich höher, sie brauchen mindestens das Vierfache.
Der weltweite Fischkonsum wird zunehmend aus gezüchteten Fischen gedeckt. Dabei lässt sich die sogenannte Aquakultur, die in geschlossenen Anlagen an Land, in Teichen oder in offenen Netzkäfigen im Meer stattfindet, durchaus mit anderen Tiermastanlagen vergleichen: Eine große Anzahl Tiere wird auf kleinstem Raum gehalten, Krankheiten können sich ausbreiten, die Umwelt leidet unter Kot und Futtermitteln. Die Probleme sind jedoch lösbar. Seit jeder einzelne Fisch geimpft wird, finden sich beispielsweise in norwegischem Zuchtlachs erheblich weniger Antibiotika als in Geflügel oder Kälbern.
Was bleibt, ist die Tatsache, dass Aquakulturfische in Gefangenschaft leben. Wildfische hingegen leben bis zu dem Moment, in dem sie dem Fischer ins Netz gehen, ein vollständig natürliches Leben – ganz so, wie es die meisten Rehe und Wildschweine tun. Ihr Konsum hat also auch eine ethische Dimension, die zu berücksichtigen ist.
Zustand der Weltfischressourcen
Aber wie kann einerseits der weltweite Fischkonsum gefördert werden, wenn andererseits Schreckensszenarien von leergefischten Meeren die Runde machen? Auskunft darüber gibt der alle zwei Jahre von der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen (FAO) veröffentlichte SOFIA-Report (kurz für "The State of the World Fisheries and Aquaculture"), der einzig seriösen Quelle für den Zustand der Weltfischbestände. Nach dem jüngsten Bericht von 2016 (Daten von 2014) befinden sich von den rund 500 Beständen, über die es ausreichende Daten gibt, 31 Prozent im roten Bereich. Das heißt, sie sind überfischt, kollabiert oder sich erholend. Nur elf Prozent der Bestände haben noch Entwicklungsmöglichkeiten, könnten also bei intensiverer Fischerei einen höheren Ertrag liefern (underfished). Und weitere 58 Prozent sind maximal genutzt (fully fished).
In der öffentlichen Darstellung, vor allem durch Umweltverbände, werden diese 58 Prozent häufig dem roten Bereich zugeschlagen. Die griffige Schlussfolgerung lautet dann: "Fast 90 Prozent der Weltfischbestände sind überfischt oder bis ans Limit genutzt." Die maximale Nutzung ist jedoch weder schlecht noch gefährlich. Die Beurteilung der FAO bezieht sich auf den maximalen nachhaltigen Dauerertrag (Maximum Sustainable Yield, MSY),
Für Europas Meeresgebiete ergibt sich ein ähnliches Bild: Während 2007 etwa ein Viertel der Bestände nach MSY und damit nachhaltig bewirtschaftet wurde, war es 2013 bereits mehr als die Hälfte.
Ein Manko haben die Daten der FAO jedoch: Sie machen nicht sichtbar, dass unter den Beständen im roten Bereich überdurchschnittlich viele große Raubfische wie Thun, Schwertfisch und Kabeljau sind. Entwicklungsmöglichkeiten haben hingegen vor allem Arten, die für den menschlichen Konsum kaum direkt geeignet sind. Dazu zählen Sprotten, Sandaale und Sardellen, die über den Umweg Fischmehlproduktion und Lachsfarmen den Weg auf unsere Teller finden. Die ertragreichsten Bestände der Welt sind überwiegend in gutem Zustand, schließlich gibt es in der globalen Fischwirtschaft ein großes wirtschaftliches Interesse, nicht alle paar Jahre eine neue Quelle für teuren Fisch suchen zu müssen.
Den größten Teil der Anlandungen machen Massenfischarten wie Hering, Seelachs und Kabeljau aus. Ihr Fang wird unlukrativ, lange bevor kritische Bestandsgrößen erreicht sind. Wenn also die Wissenschaftler von "kollabierten Beständen" sprechen, meinen sie, dass sich diese unter Umständen für viele Jahre nicht mehr ökonomisch nutzen lassen. Wie lange die Erholung dauert, lässt sich kaum vorhersagen – der Zustand kann sich rasch ändern. Schon deshalb sollten Fischbestände jährlich begutachtet werden.
Eine Handvoll mariner Arten ist tatsächlich durch menschliches Handeln vom Aussterben bedroht. Als Paradebeispiel galt lange Zeit der für die Sushi-Herstellung begehrte Blauflossenthun. Wegen der enormen Preise lohnte sich auch noch die Jagd auf den "letzten Thunfisch", betonten Umweltverbände. Inzwischen erholen sich die Bestände allerdings wieder – zum einen, weil die Fangmengen ausreichend gesenkt wurden, zum anderen aber auch, weil sie einige Jahre lang mehr Nachwuchs produzierten. Auch einige Seepferdchenpopulationen in Südostasien sind akut vom Aussterben bedroht. Obwohl sie von Schnorchlern ohne Hilfsmittel gefangen werden – die kleinste Fischereiform, die es überhaupt gibt –, wird den Tieren zum Verhängnis, dass sie nur lokal vorkommen und sich mit ihnen als Aphrodisiakum auf dem asiatischen Markt extrem hohe Preise erzielen lassen.
Auch Europa hat eine in ihrem Fortbestand bedrohte kommerziell genutzte Art: den Europäischen Aal. Neben dem erheblichen wirtschaftlichen Interesse spielt dabei auch der unfassbar komplexe Lebenszyklus des Aals eine Rolle: Er gelangt als Larve aus der subtropischen Sargassosee im westlichen Atlantik bis an die europäischen Küsten und steigt dort als sogenannter Glasaal in die Flüsse auf. Im Süßwasser nach Jahren geschlechtsreif geworden, beginnt er den langen Rückweg ins Meer und stellt dort die Nahrungsaufnahme ein. In der Tausende Kilometer entfernten Sargassosee muss er in einer bestimmten Mondphase ankommen, damit es zu einer erfolgreichen Paarung kommt und der Zyklus von Neuem beginnen kann. Auf seiner Wanderung ist der Aal zahlreichen Gefahren ausgesetzt, vor allem im Süßgewässer: etwa durch Turbinen von Wasserkraftwerken, Schwimmblasenparasiten oder hormonaktive Substanzen, die durch Abwässer in Flüsse gelangt sind und zu einer veränderten Fetteinlagerung oder verzögerten Reifung führen. Diese Faktoren spielen eine weitaus größere Rolle für die Gesamtsterblichkeit der Art als die Fischerei.
Das Aufkommen von Glasaalen in europäischen Flussmündungen ist in den vergangenen 50 Jahren um mehr als 90 Prozent zurückgegangen. Der Europäische Aal steht inzwischen auf Anhang II der CITES-Artenschutzliste,
Auch wenn die Fischerei nicht der Hauptverursacher der prekären Situation ist – die durch sie verursachte Sterblichkeit ist die einzige, die sofort abgestellt werden kann. Dennoch schlugen sämtliche Anstrengungen, die Fischart in ihrem Bestand zu schützen, bislang fehl. Die Vermutung liegt nahe, dass der Ernst der Lage in der Politik schlicht noch nicht erkannt wurde, weil es zu häufig vorkam, dass vermeintlich vom Aussterben bedrohte Arten sich wieder erholten. Wer zu oft hört: "Der Wolf kommt", reagiert nicht mehr, wenn er wirklich kommt.
Umweltauswirkungen der Fischerei
Auch wenn die intensive Befischung fast keine Bestände in der Existenz gefährdet, kann die Fischerei dennoch erhebliche Auswirkungen auf das Meeresökosystem haben. Und wie fast immer, wenn es um das Meer geht, werden diese Einflüsse als negativ wahrgenommen. Der Lebensraum Meer fasziniert uns Menschen, und die Achtsamkeit gegenüber selbigem ist zum Sinnbild unseres Umgangs mit dem Planeten insgesamt geworden.
Besonders heikel sind unerwünschte Beifänge, also Fische, Vögel, Meeressäuger oder marine Reptilien, die unbeabsichtigt ins Netz gehen und darin umkommen. In einigen Fällen haben Bestände der höheren Wirbeltiere dadurch so kritische Größen erreicht, dass selbst der Fang einzelner Tiere die Bestandserholung beeinträchtigen kann. Ein bekanntes Beispiel ist die kleine Schweinswalpopulation in der östlichen Ostsee. In solchen Fällen ist die Gesellschaft gefragt, die Interessen gegeneinander abzuwägen: Hier das Überleben einer Population gegen die Belange der Fischerei und der Konsumenten.
Die meisten Auswirkungen auf das Ökosystem dürften bei nachlassendem Fischereidruck verschwinden: Überfischte Bestände können sich erholen, und selbst ein durch Grundschleppnetze beeinträchtigtes Habitat am Meeresboden wächst nach. Einige Auswirkungen jedoch sind irreversibel, führen also zu einer dauerhaften Veränderung. Im Südpolarmeer beispielsweise hat die Übernutzung der Bartenwale in den 1950er Jahren die Vermehrung der Krabbenfresser-Robben befördert, die sich wie die Wale von Krill ernähren. Das Ökosystem ist nun zwar in einem anderen Zustand stabil. Der Mensch aber kann mit den Robben nichts anfangen, während der Wal wirtschaftlich nutzbar war.
Ein weiteres Beispiel: Vor der nordamerikanischen Ostküste führte der Zusammenbruch der Kabeljaubestände Anfang der 1990er Jahre zu einer Ausbreitung der sich rascher reproduzierenden Garnelen. Dem Aufschrei unter den Fischern folgte bald stille Zustimmung: Mit den Garnelen verdienen die Fischer deutlich mehr Geld als zuvor mit Kabeljau, wenn auch mit weniger Beschäftigten. Und die Kabeljau-Beifänge in der Garnelenfischerei, die mit kleinmaschigen Netzen betrieben wird, stabilisieren den Zustand zusätzlich. Ein solcher Einfluss der Fischerei ist auch andersherum möglich: Durch Übernutzung der Fischbestände an der Basis des Nahrungsnetzes, also durch die exzessive Befischung kleiner Schwarmfische, kann es ebenfalls zu gravierenden Änderungen im Ökosystem kommen.
Rolle des Fischereimanagements
Nun sind Ökosysteme nie stabil, auch natürliche Fischbestände wachsen und schrumpfen, und das völlig ohne menschliches Zutun. Menschliche Umweltauswirkungen vollständig abzustellen, ist zudem utopisch. Das Handeln so zu steuern, dass diese Auswirkungen so weit wie möglich reduziert werden, ist hingegen ein realistischer Ansatz. In der Fischerei haben sich Fangbeschränkungen in Form von Höchstfangmengen – auch Quoten genannt – oder als Begrenzung des Fischereiaufwandes (Seetage, Maschinenleistung) bewährt. Unterstützt werden solche Beschränkungen durch technische Vorschriften etwa zur Gestaltung der Fanggeräte oder durch die Schließung von Gebieten oder Zeiträumen, in denen nicht gefischt werden darf. Idealerweise schafft das Fischereimanagement die richtigen Anreize, damit Fischer sich zum eigenen Vorteil an die Regeln halten.
Ein erfolgreiches Fischereimanagement sorgt zunächst dafür, dass immer ausreichend Elterntiere
Fischbestände werden produktiver, sie wachsen also besser, wenn man sie befischt. Die maximale Überschussproduktion (surplus production) wird bei ungefähr 30 bis 35 Prozent der ursprünglichen, unbefischten Populationsgröße erreicht. Dieser Wert ist daher die Zielgröße des MSY-Managements. Dieser Rahmen lässt es zu, dass der Mensch jährlich zwischen 20 und 40 Prozent eines Bestands entnehmen kann, ohne zu tief in das natürliche Nahrungsnetz einzugreifen. Erst bei der Hälfte des MSY-Referenzwerts, wenn ein Bestand also auf etwa 17 Prozent seiner ursprünglichen Populationsgröße geschrumpft ist, wird die die Bestandsgröße kritisch. Das heißt, die statistische Wahrscheinlichkeit schwacher Nachwuchsjahrgänge steigt ("Limit-Referenzpunkt"). Gibt es viele andere Nutzer der Ressource Fisch, etwa Seevögel, und hat der Bestand eine Schlüsselstellung im Nahrungsnetz, wie das für viele kleine Schwarmfische gilt, muss die Bewirtschaftung vorsichtiger erfolgen. Eine Reduzierung auf 70 Prozent der Ausgangsbiomasse ist dann ein besseres Bewirtschaftungsziel.
Herausforderungen für das Fischereimanagement
Die Bestimmung von Referenzpunkten ist schon komplex, wenn man nur einzelne Arten isoliert betrachtet, wie das derzeit geschieht. Noch komplizierter wird es, wenn mehrere, miteinander interagierende Arten gemeinsam optimal genutzt werden sollen. Die Modelle für diesen Ansatz stehen inzwischen zur Verfügung, aber in vielen Fällen gibt es keine optimale biologische Lösung. Bislang ist noch nicht einmal geklärt, was genau das Ziel der Optimierung ist: Sind es die Erträge aus der Fischerei, ausgedrückt in Anlandeerlös, Fanggewicht oder Protein, wie sie die reichen Nordeuropäer bevorzugen? Oder sind es die Beschäftigtenzahlen, die für die Südeuropäer mit hoher Jugendarbeitslosigkeit im Vordergrund stehen? Es sind auch völlig andere Bewirtschaftungsziele denkbar, etwa die Stabilität der Fangmengen, wie sie vor allem für die standorttreue Kleinfischerei wichtig ist. Die lässt sich bei natürlich schwankenden Bestandsgrößen allerdings nur mit langfristig geringeren Fangmengen erkaufen.
Selbst wenn es gelänge, ein Ökosystem so einzustellen, dass es sich auf solche Vorgaben optimieren ließe: Die Interessen in der Fischerei und in den Gesellschaften sind so unterschiedlich, dass es fast unmöglich ist, sich auf ein Ziel zu einigen. Die Skandinavier wollen eine Ostsee voller Sprotten und Heringe, weil sie für diese Arten die größten Fanganteile haben. Deutsche und Polen bevorzugen dagegen Dorsch, weil der wertvoller ist. In vielen gemischten Bodenfischereien treten zudem unvermeidlich Beifänge auf. Einige davon sind wertvoll und erwünscht, andere dagegen vermeintlich oder tatsächlich für den Fischer wertlos. Sie gehen als Rückwurf (discard) wieder über Bord, meist tot oder sterbend. Und da die Fangquoten nach historischen Anlandemengen verteilt werden, fehlt dem einen Fischer immer gerade die Quote, die ein anderer zur Verfügung hat.
Die in einigen Regionen ökonomisch bedeutsame, aber weitgehend unregulierte Freizeitfischerei, etwa beim Dorsch der westlichen Ostsee, wird erst neuerdings im Management berücksichtigt. Die Angler bringen mittlerweile beinahe die Hälfte der gefangenen Dorschmenge an Land und haben damit einen erheblichen Einfluss auf den Bestandszustand.
In jedem Fall braucht ein vernünftiges Fischereimanagement einen langen Atem. Die Bewirtschaftungsregeln sollten unabhängig von der Festsetzung der Fangmengen für das nächste Jahr erfolgen. Die Versuchung für die Politik ist sonst zu groß, kurzfristige Vorteile wie hohe Quoten im nächsten Jahr in den Vordergrund zu stellen. Langfristige Bewirtschaftungspläne haben sich bewährt, wie die positive Entwicklung der meisten europäischen Fischbestände zeigt. Noch besser funktioniert das Management, wenn konsequent die richtigen Anreize geschaffen werden. So wurden 2013 Rückwürfe in den meisten europäischen Fischereien verboten. Seither muss jeder gefangene Fisch an Land gebracht werden, wichtiger aber: Er muss auf die Quote angerechnet werden. Ist diese ausgeschöpft, steht der Kutter still. Die Regel macht den unerwünschten Beifang teuer, und der Anreiz ist groß, ihn genau dort zu reduzieren, wo es am sinnvollsten ist: im Wasser.
Technische Entwicklungen unterstützen nachhaltiges Fischen: etwa selektive Netze, die fast ausschließlich die gewünschten Fische fangen; oder Fanggeräte, die die Auswirkungen auf den Meeresboden reduzieren, indem elektrische Impulse für das Aufscheuchen von Plattfischen oder Nordseegarnelen eingesetzt werden statt schwerer Scheuchketten. Der Fischer spart zudem Treibstoff. Akustische Signalgeber, sogenannte Pinger, halten Schweinswale von Stellnetzen fern, damit sie nicht ertrinken, vertreiben die Tiere aber unter Umständen aus Teilen ihres Lebensraums. Jede positive Maßnahme kann wieder andere negative Effekte haben. Am Ende wird ein gesellschaftlicher Konsens benötigt, welche Umweltauswirkungen noch akzeptabel sind. Dafür bedarf es einer unvoreingenommenen Analyse, gesondert für jede Zielfischart und für jedes Gebiet, ökologisch, ökonomisch und sozial. Pauschale Lösungen wie etwa die Ablehnung von Grundschleppnetzen oder die Verdammung großer Fahrzeuge als "Monstertrawler" erscheinen schlüssig, verbauen jedoch den Weg für kreative Lösungsansätze.
Alternative Bewirtschaftungsansätze
Vermeintlich noch stärkere Anreize werden geschaffen, wenn die Nutzungsrechte privatisiert und damit handelbar werden. Island ist diesen Weg gegangen. Die Bedingungen waren ideal, weil die soziale Kontrolle in dem bevölkerungsarmen Staat hoch und die Fischerei sehr transparent ist. Dennoch führte die Privatisierung in kurzer Zeit zur Überkapitalisierung und Konzentration der Fangrechte in den Händen weniger Besitzer. Die Westfjorde, vormals fast ausschließlich von der kleinen Küstenfischerei geprägt, sind inzwischen weitgehend entvölkert. Eine Universallösung ist dieser Ansatz daher nicht, schon gar nicht in Regionen wie der Nordsee, in der zahlreiche Flotten mit unterschiedlichen nationalen Interessen verschiedene Lebensstadien von Nutzfischen befischen. Auch für die Ostsee, in der die Küstenfischerei über den Wert der Anlandung hinaus erhebliche Bedeutung für die Förderung des Tourismus hat und daher erhalten bleiben sollte, ist dieser Ansatz nicht geeignet. Viele europäische Regierungen, darunter die deutsche, haben sich deshalb gegen handelbare Rechte in der Fischerei entschieden.
Ein Ansatz für die nachhaltige Nutzung der Meere, den Umweltverbände propagieren, sind großräumige, fischereifreie Schutzgebiete (Marine Protected Areas, MPAs). Der Nutzen für die Biodiversität von Meeresgebieten, insbesondere in sensiblen Habitaten, ist unbestritten. Aber um als Managementinstrument zu taugen, müssten durch die Schutzzonen die Erträge im Gesamtgebiet gesteigert oder wenigstens stabilisiert werden. Das konnte bisher nicht nachgewiesen werden – unter anderem, weil an den Grenzen der MPAs nun intensiver gefischt wird. Bei den wenigen positiven Beispielen wurde gleichzeitig der Fischereiaufwand proportional reduziert – dies hätte aber auch ohne Gebietsschließung eine vergleichbar positive Wirkung auf die Fischbestände gehabt. Global betrachtet muss man davon ausgehen, dass Schutzzonen vor der Haustür zur Verlagerung der Fischerei in schlechter bewirtschaftete Gebiete führen, denn der Bedarf an Meeresfisch bleibt hoch.
Bewährt hat sich hingegen die Beteiligung von Verbrauchern und Handel am Versuch, Fischerei nachhaltiger zu gestalten. Durch den Kauf von Produkten aus vorbildlichen Fischereien werden Anreize für eine Transformation der Fischerei insgesamt geschaffen. Die Einkaufsratgeber der Umweltverbände bieten Orientierung, haben aber den Nachteil, dass sie stark pauschalisieren müssen, um für Konsumenten überhaupt nutzbar zu sein. Hinderlich sind zudem der permanente Aktualisierungsbedarf und die jeweils vertretene Ideologie. So listet Greenpeace jedes Produkt, das aus Grundschleppnetzfischereien kommt, rot, obwohl der Bestand in hervorragendem Zustand und die Umweltauswirkungen akzeptabel sein können. Einen verlässlicheren Ansatz beschreitet die Nachhaltigkeitszertifizierung, wie sie der Marine Stewardship Council (MSC) seit nun 20 Jahren erfolgreich betreibt: Hier lässt sich eine Fischerei freiwillig anhand eines wissenschaftsbasierten Nachhaltigkeitsstandards bewerten und wird bei Erfüllung von Mindestkriterien (die auf die FAO zurückgehen) zertifiziert. Der Durchbruch gelang, als sich immer größere Teile des Handels verpflichteten, nur noch zertifizierte Ware zu verkaufen – auch auf Druck der Umweltverbände.
Probleme Klimawandel und Müll
Wie sich der Klimawandel auf die Fischbestände auswirken wird, lässt sich schwer vorhersagen. Temperatur- und Wasserspiegelanstieg sowie Versauerung setzen Fische und Fischerei schon heute unter Druck.
Der Eintrag von Kunststoffen ist für das marine Ökosystem insgesamt gravierend. Für die kommerzielle Nutzung der Fischbestände wird die Vermüllung des Ozeans dagegen eher überbewertet. Mikroplastikpartikel werden vom Fisch aufgenommen wie Sandpartikel, beide werden unverändert ausgeschieden. Es gibt bislang keine Hinweise, dass Kunststoffe in die Muskulatur gelangen – im Gegensatz zu den enthaltenen Weichmachern. Da wir die Innereien von Fischen nicht essen, landet auch das Mikroplastik nicht auf unseren Tellern. Anders ist dies bei Muscheln, die wir mitsamt Darm verzehren. Fische können Kunststoffpartikel jedoch mit Nahrung verwechseln. Da diese aber keinen Nährwert haben, könnte es sein, dass Fischlarven mit plastikgefülltem Magen verhungern. Eine schwedische Studie, die dies überzeugend belegte, musste allerdings jüngst zurückgezogen werden. Die Autoren hatten ihre Ergebnisse mindestens überhöht.
Fazit
Die Nutzung mariner lebender Ressourcen eignet sich als Thema, um in der Bevölkerung ein Bewusstsein für die Balance zwischen Schutz und Nutzung der Umwelt zu erzeugen – auch und gerade, weil uns der Lebensraum Meer so viel weniger vertraut ist als das Land, wo wir uns an die Veränderung durch den Menschen längst gewöhnt haben. Umweltverbände, Handel und Industrie haben das erkannt und den Meeresfisch zum Symbol für nachhaltige Nutzung gemacht. Übertreibung ist dabei ein probates Mittel, die Konsumenten zu aktivieren. Sie birgt aber die Gefahr, dass sich der Verbraucher frustriert abwendet und dass pauschale Lösungen propagiert werden, nur weil sie einfacher kommunizierbar sind. Die politikberatende Wissenschaft sollte sich vor diesen Übertreibungen hüten, da sie sonst unglaubwürdig wird.
Wilder Meeresfisch ist ein gesundes, wertvolles Nahrungsmittel, dessen Nutzung auch aus ökologischer Sicht und mit Blick auf die Welternährung unbestreitbare Vorteile hat. Die Anstrengungen für eine nachhaltige Bewirtschaftung und die fortwährende Reduzierung der Umweltauswirkungen der Fischerei lohnen sich – und auch der Verbraucher kann durch informierten Konsum zum langfristigen Erhalt der Ressource Meeresfisch beitragen.