I. Einleitung
Spätestens mit dem Fall der Mauer am 9. November 1989 begann nicht nur der rasche Prozess der Wiedervereinigung der beiden deutschen Staaten, sondern auch der rasante Verfall staatlicher Autorität in der DDR, der eine ganz besondere Art der Wirtschaftskriminalität ermöglichte, die als so genannte "Vereinigungskriminalität" ein wenig ruhmreiches Kapitel der deutschen Wiedervereinigung darstellt. Bisher kam es hier zwar zu zahlreichen Ermittlungsverfahren, aber nur in einer verschwindend geringen Zahl auch zu Verurteilungen.
Beteiligt an dieser besonderen Form der Kriminalität waren jedoch nicht nur altgediente Träger des DDR-"Systems", die sich das durch den beginnnenden Zusammenbruch des Staates Ende 1989 entstehende Machtvakuum zu Nutze gemacht und ihre jeweiligen Insider-Kenntnisse zu ihrem Vorteil genutzt haben. Es waren vor allem "Geschäftemacher" und "Glücksritter" aus beiden Teilen Deutschlands, die in dieser Zeit ungeklärter Verhältnisse die Gunst der Stunde nutzten, sehr schnell zu sehr viel Geld zu kommen. Daneben ist hier die "Jedermann"-Kriminalität anzusprechen, unter der Straftaten im Zusammenhang mit der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion zum 1. Juli 1990 verstanden werden können.
Bis Anfang des Jahres 1999 wurden nach Schätzung des Berliner Generalstaatsanwaltes a. D., Christoph Schaefgen, bundesweit nicht weniger als rund 62 000 Ermittlungsverfahren gegen ca. 100 000 Personen im Zusammenhang mit der Regierungs- und der Vereinigungskriminalität geführt
II. Abgrenzung der Regierungs- zur Vereinigungskriminalität
Abzugrenzen ist die Vereinigungskriminalität von der oft mit ihr in unmittelbarem Zusammenhang genannten Regierungskriminalität, was auf die 1991 gegründete "Zentrale Ermittlungsstelle für Regierungs- und Vereinigungskriminalität", kurz ZERV, zurückzuführen ist.
Die Regierungskriminalität umfasst grundsätzlich nur diejenigen Straftaten, die bis Ende 1989 durch die Repräsentanten der früheren Staats- und Parteiführung der DDR begangen wurden, so zum Beispiel die an der innerdeutschen Grenze begangenen Tötungs- und Körperverletzungsdelikte, Wahlfälschungen, Rechtsbeugungen etc. Vereinigungskriminalität im weiteren Sinne hingegen umfasst zunächst diejenigen Wirtschaftsstraftaten, die ihrer Art nach bereits bekannt sind, aber durch die Umfeldbedingungen der wirtschaftlichen Umstrukturierung in den neuen Bundesländern eine ungeahnte Qualität und Quantität erreicht haben. Hierzu zählen Bilanzfälschung, Bilanzverschleierung und Subventionsbetrug - begünstigt durch die seitens der EU, des Bundes und der Länder großzügig verteilten Fördermittel -, vor allem aber auch der so genannte Gründungsschwindel, in dessen Rahmen bei der Unternehmensgründung zur Verfolgung unterschiedlichster Interessen gegenüber dem zuständigen Handelsregister falsche Angaben gemacht wurden. Vereinigungskriminalität im engeren Sinne ist die erst durch die besonderen wirtschaftlichen Rahmenbedingungen der Wiedervereinigung ermöglichte Wirtschaftskriminalität, die daher auch als Transformations- oder Umwandlungskriminalität bezeichnet wird
Hinzu kommen die durch die alten Funktionsträger im Staats- und Parteiapparat unter Ausnutzung ihrer besonderen Kenntnisse über das Vorhandensein von - oftmals verschleiert gehaltenen - Vermögenswerten begangenen Straftaten ("Systemkriminalität", s. Kap. V) und schließlich die so genannte Treuhandkriminalität (s. Kap. VI). Bei Letzterer handelt es sich um Straftaten, die im Zusammenhang mit der Privatisierung oder Liquidierung der der früheren Treuhandanstalt bzw. ihrer Nachfolgeorganisation übertragenen Unternehmen und sonstigen Vermögenswerten durch Außenstehende, Mitarbeiter oder in kollusivem, d. h. geheimen, betrügerischen Zusammenwirken von Außenstehenden und Mitarbeitern begangen wurden.
III. Währungsumstellungskriminalität
Mit Staatsvertrag vom 18. Mai 1990 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik wurde die Schaffung einer Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion mit Wirkung zum 1. Juli 1990 vereinbart
Es bedarf keiner großen Phantasie, um sich vorzustellen, welche Möglichkeiten diese Regelungen vor allem denjenigen boten, die frühzeitig über die erst im Mai 1990 offiziell bekannt gegebenen Umtauschkurse informiert waren. So kam es zum Beispiel innerhalb von Familien zu einer "Umverteilung" des Familienguthabens, sodass die Höchstbeträge für den Umtausch im Verhältnis 1 : 1 mehrfach in Anspruch genommen werden konnten. Darüber hinaus kam es zur Übertragung vorhandener, in M/DDR geführter Privatguthaben so genannter Devisenausländer auf im DDR-Inland ansässige Verwandte und Bekannte, um so in den Genuss der Umstellung im Verhältnis 2 : 1 zu gelangen.
Den summenmäßig größten Umfang dürften aber diverse "Darlehensvergaben" insbesondere westdeutscher Unternehmen an DDR-Unternehmen gehabt haben, die kurz nach der Währungsumstellung wieder zurückgezahlt wurden. Dies hatte seine Ursache darin, dass die "Darlehensbeträge" auf den Devisenausländerkonten, wie oben dargestellt, im Verhältnis 3 : 1 umgestellt worden wären, nach dem Transfer auf ein Inländerkonto aber im Verhältnis 2 : 1 umgestellt wurden. Eine Variante ergab sich in Form der vorübergehenden "Umleitung" von Kaufpreisen auf die Konten von inländischen Privatpersonen, dass heißt, dass Kaufpreise, die eigentlich auf ein Devisenausländerkonto hätten gezahlt werden müssen und dort im Verhältnis 3 : 1 umgetauscht worden wären, zwischenzeitlich auf das Konto eines Inländers gezahlt und dort geparkt wurden. Nach der Umstellung im Verhältnis 2 : 1 wurden sie - ggf. nach Abzug einer Provision - an den Devisenausländer weitergeleitet.
Grundsätzlich nicht kriminell war "günstiges Zahlungsverhalten". Dies betraf auch die Begleichung von Verbindlichkeiten, bei denen durch geschicktes Zahlungsverhalten erhebliche Gewinne erzielt wurden
Als Reaktion auf das enorme Schadensausmaß im Bereich der Währungsumstellung wurde im Jahre 1993 das so genannte Währungsumstellungsfolgengesetz (WUFG)
IV. Transferrubel (XTR)-Betrug
Aufs engste mit der Währungsumstellung verknüpft sind die zahlreichen Betrugsfälle im Zusammenhang mit der unberechtigten Inanspruchnahme des Transferrubelverrechnungsverfahrens, die es den Tätern mit Beginn der Währungsunion ermöglichte, "weiche" Transferrubel in "harte" DM "umzurubeln": Der Außenhandel zwischen den Staaten des ehemaligen Rates für gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW), zu denen auch die DDR gehörte, wurde mangels frei konvertierbarer Währungen der Mitgliedstaaten und mangels Devisen seit den sechziger Jahren auf Basis des "transferablen Rubels" - kurz: XTR, einer künstlichen Verrechnungseinheit - durchgeführt. Dieser Transferrubel stand im Verhältnis 1 : 4,67 zur M/DDR. In Moskau war mit der Internationalen Bank für wirtschaftliche Zusammenarbeit (IBWZ) eine Clearingstelle eingerichtet worden, die mit den in den Mitgliedstaaten gebildeten Außenhandelsbanken (in der DDR war dies die Deutsche Außenhandelsbank AG, DABA) die Kaufpreiszzahlungen abwickelte
- Das Sofortbezahlungsverfahren setzte regelmäßig voraus, dass die Ware zum Zeitpunkt der Abrechnung durch die Außenhandelsbank bereits beim Empfänger eingetroffen war. Der Verkäufer reichte dann bei seiner Außenhandelsbank die Vertrags- und Lieferunterlagen ein, die nach einer überschlägigen Prüfung der Dokumente aus ihrem eigenen Vermögen dem Verkäufer den Kaufpreis in M/DDR bzw. später DM gutschrieb und gleichzeitig gegen die IBWZ eine "Forderung" erhielt, die ihrerseits die Außenhandelsbank des Empfängerlandes "belastete".
- Beim Vorkasseverfahren "beschaffte" sich der Käufer durch Vorlage der entsprechenden Vertragsunterlagen bei seiner Außenhandelsbank Transferrubel und ließ sie über die Außenhandelsbank des Empfängerlandes dem Verkäufer "zukommen", sodass dem Verkäufer der Kaufpreis schon vor der Warenlieferung gutgeschrieben werden konnte.
Spätestens mit Einführung der DM in der DDR zum 1. Juli 1990 hätte eigentlich die Teilnahme der DDR an dieserm Verfahren beendet werden müssen. Eine sofortige Umstellung des Außenhandels der DDR mit ihren östlichen Partnern auf der Basis harter Devisen hätte aber das System des RGW aller Voraussicht nach zusammenbrechen lassen, da in den anderen Mitgliedstaaten nach wie vor Devisen eine Mangelware darstellten
Ein in der Presse häufig erwähnter Fall ist derjenige eines thüringischen Elektrotechnikers, der immerhin 40 Mio. DM durch Vorlage gefälschter Rechnungen erschlichen hat. Diese wollte er aber nicht selbst gefälscht, sondern von einem Bayern erhalten haben, der mit angeblichen Lieferungen von Benzin, Zigaretten und Reifen nach Ungarn schnellen Gewinn machen wollte. Der Thüringer hat im Rahmen seines Strafverfahrens behauptet, das gesamte ,umgerubelte Geld dem Bayern abgeliefert zu haben - er wurde im Jahre 1998 zu vier Jahren Haft verurteilt
V. Systemkriminalität
Als weitere Fallgruppe der vereinigungsbedingten Kriminalität sind die Straftaten im Zusammenhang mit der Auflösung des Ministeriums für Staatssicherheit, des beim Ministerium für Außenhandel eingerichteten Bereiches "Kommerzielle Koordinierung" sowie der Auflösung und Umwandlung der SED und anderer Parteien und Massenorganisationen der DDR zu nennen.
Diese Kriminalität ist gekennzeichnet durch die besondere Nähe, das Sonderwissen und die zumeist unkontrollierte Verfügungsbefugnis der Täter über die beträchtlichten Vermögenswerte dieser Institutionen im In- und Ausland. Ebenso ist allen drei Vermögenskreisen, die mit dem Einigungsvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Deutschen Demokratischen Republik vom 31. August 1990 im Wesentlichen dem Treuhand-, Finanz- oder Sondervermögen zugeordnet wurden, die konspirative und bewusst intransparente Handhabung der meist in Devisen bestehenden Vermögenswerte durch die zuständigen Stellen der DDR-Administration gemeinsam.
1. Ministerium für Staatssicherheit (MfS)
Das in der DDR gefürchtete und gehasste MfS löste sich nach massiven Protesten aus der Bevölkerung bereits kurz nach dem Jahreswechsel 1989/90 formal auf und wurde zunächt als Amt für nationale Sicherheit weitergeführt. Mitarbeiter dieser im Inland als Repressionsinstrument und im Ausland als Aufklärungs- und Destabilisierungsinstrument benutzten Mielke-Behörde hoben allein im Zeitraum 1. Oktober 1989 bis 30. April 1990 rund 700 Mio. M/DDR in bar bei der Staatsbank der DDR ab
Der Auslandsspionagedienst der DDR, die Hauptverwaltung Aufklärung (HVA), verfügte für seine "Operativvorgänge" über Devisenbestände, sog. "schwarze Kassen", über deren Höhe und Verwendung keine abschließende Sicherheit gewonnen werden konnte, da sich dieser Bereich mit Beginn des Jahres 1990 mit Billigung der DDR-Behörden selbst aufgelöst hatte. Anhand einiger Strafverfahren, in denen die Unterschlagung "schwarzer Kassen" Verfahrensgegenstand war, lassen sich jedoch auf Volumen und Verteilungswege Rückschlüsse ziehen. So wurde beispielsweise der ehemalige Leiter der rückwärtigen Dienste der HVA und Verwalter einer "schwarzen Kasse" wegen Untreue zu einer Bewährungsstrafe verurteilt, nachdem er 500 000 DM dieses Bestandes zum Teil in Plastiktüten an ehemalige Mitarbeiter weitergereicht hatte.
Anhand der vor der Vernichtung bewahrten Unterlagen gewinnt man heute die Erkenntnis, dass Vermögensentziehung in großem Maßstab bereits im Vorfeld der absehbaren Auflösung des MfS geplant und praktiziert wurde. Bereits im Herbst 1989 kursierten Dokumente, welche die Strategie insbesondere hinsichtlich der Verwendung des MfS-Vermögens nach dem Zusammenbruch der DDR festlegten. Danach sollte dieses Vermögen auf systemtreue Politkader verteilt werden, die auch nach vollzogenen politischen Veränderungen politische Standfestigkeit versprachen
Auch die Aufdeckung von Unterschlagungen im Zusammenhang mit MfS-Grundstücken gehört in den Bereich der vereinigungsbedingten Kriminalität. In diesen Fällen wurden zahlreiche MfS-Objekte, die im Grundbuch als Privateigentum von existierenden oder fingierten Personen - regelmäßig treue Mitarbeiter des MfS - eingetragen wurden und von denen sich das MfS notarielle Verzichtserklärungen hatte geben lassen, veräußert und der Kaufpreis für sich behalten. Wenigstens ein Teil dieser Grundstücke konnte gefunden werden; hierbei wird es aber wohl auch bleiben, da das vom MfS geführte Verzeichnis aller Verzichtserklärungen verschwunden ist und vermutlich auch bleiben wird.
2. Kriminalität im Bereich der ehemaligen "Koko"-Unternehmen
Die von dem Bereich Kommerzielle Koordinierung ("KoKo") gehaltenen ca. 223 Unternehmen im In- und Ausland, welche die für die DDR dringend benötigten Devisen mit legalen wie illegalen Geschäften erwirtschafteten und zum Zeitpunkt der Wende über beträchtliche Vermögenswerte verfügten, waren ein besonderes Objekt der Begierde für Spekulanten und Betrüger.
Während sich die Staatsanwaltschaft im Zusammenhang mit den Geschäftsaktivitäten des Bereiches KoKo bis zur Flucht seines früheren Leiters Schalck-Golodkowski am 3. Dezember 1989 vorwiegend mit den Verfahrenskomplexen Embargoverstöße, Waffenhandel und Eigenbereicherung von Funktionären zu befassen hatte, standen nach der Wende die vielfältigen kriminellen Vorgehensweisen, die zur Aneignung der nach Artikel 22 des Einigungsvertrages zum Finanzvermögen des Bundes gehörenden Firmenwerte führten, im Vordergrund. Gängigste Methoden waren hier insbesondere die nach § 331 Nr. 1 HGB strafbewehrten Bilanzmanipulationen, die potentielle Käufer im Zusammenwirken oder mit Billigung der Geschäftsführer durchführten und die eine Unterbewertung des Unternehmens oder seiner Anlagen zum Ziel hatten. Bei den anschließenden Verkäufen an befreundete Dritte oder an sich selbst im Rahmen des so genannten "management buy outs" stand dann der Kaufpreis in einem eklatanten Missverhältnis zu dem tatsächlichen Unternehmenswert - und er wurde darüber hinaus in den meisten Fällen noch aus den liquiden Mitteln des Unternehmens selbst bezahlt. Dieser gerade in Unternehmen des Bereiches Kommerzielle Koordinierung häufig vorkommende Unterwertverkauf war Gegenstand zahlreicher staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen, und er nimmt bis heute in einigen Großverfahren die Zivilgerichte in Anspruch. Erschwerend sowohl für die Aufklärung als auch für die gerichtliche Beweislage kommt hinzu, dass kurz nach der Wende bis Anfang 1991 insbesondere die werthaltigen Auslandsunternehmen des Bereiches KoKo von der ehemaligen rechten Hand des früheren Leiters Schalck-Golodkowski, Frau Waltraud Lisowski, "abgewickelt" wurden. Verkäufe der genannten Art wurden hier initiiert, gefördert oder genehmigt. In diesen Zeitraum fallen die meisten Unterwertverkäufe, die weitgehend unkontrolliert von der Treuhandanstalt vonstatten gingen, die diesen komplexen und weitgehend konspirativ geführten Bereich erst ab Ende 1990, und dies nur sukzessive, übernahm.
Des Weiteren wurde durch Bilanzmanipulationen der Abfluss von Geldmitteln verschleiert, durch überhöhte Rechnungslegungen oder betrügerische Scheingeschäfte wurden den Unternehmen liquide Mittel entzogen. Gerade bei der zuletzt genannten Variante, deren Schadensausmaß nach heutigen vorsichtigen Schätzungen im dreistelligen Millionenbereich liegt, entwickelte sich eine bedrohliche Allianz westeuropäischer Embargohändler, hoher MfS-Offiziere und Mitarbeiter von KoKo-Unternehmen, die nur die Beiseiteschaffung von Geldmitteln zum Ziel hatte.
In diesem Zusammenhang ist auch die Unterschlagung von ganzen Unternehmen oder Unternehmensteilen zu nennen. Hier ging es vor allem um Unternehmen, die von dritten Personen oder Westfirmen treuhänderisch für den Bereich KoKo gehalten wurden und deren Treuhänderschaft nach der Wende nicht der Treuhandanstalt offenbart wurde. Hier sind zum Beispiel die Unternehmen F. C. Gerlach oder die Berag GmbH zu nennen; Letztere wurde trotz einer ausdrücklichen Auflösungsanweisung des ehemaligen kommissarischen Leiters des Bereiches KoKo, Prof. Dr. Gerstenberger, durch den damaligen "Inhaber" umfirmiert und im eigenen Namen weiterbetrieben
3. Kriminalität im Bereich der Parteien und Massenorganisationen
Der Bereich Parteien und Massenorganisationen der ehemaligen DDR weist insofern eine Besonderheit auf, als deren zum Stichtag 7. Oktober 1989 bestehendes Vermögen ab dem 1. Juni 1990 unter treuhänderische Verwaltung zunächst der Unabhängigen Kommission zur Überprüfung des Vermögens der Parteien und Massenorganisationen (UKPV), mit dem Beitritt dann der Treuhandanstalt gestellt wurde. Dies bedeutete, dass Vermögensveränderungen ab diesem Zeitpunkt zu ihrer Wirksamkeit der Zustimmung durch die UKPV bzw. später der Treuhandanstalt bedurften
Infolgedessen kam es zu Maßnahmen, die in vielerlei Hinsicht den kriminellen Handlungsmustern in den oben erwähnten Bereichen von MfS und KoKo entsprachen; zu strafrechtlichen Verurteilungen kam es aber auch hier nur in einigen wenigen Fällen. Darüber hinaus kam es mit dem offensichtlichen Ziel der Vermögenssicherung gerade im Bereich der SED/PDS zu zahlreichen - aber nicht strafbaren - Vermögensveränderungen in Höhe von rund 250 Mio. DM unter Verstoß gegen das Erfordernis der Zustimmung der UKPV bzw. der Treuhandanstalt. Bestes Beispiel hierfür ist die (versuchte) Tilgung angeblicher Altschulden der SED gegenüber der KPdSU unter Einbeziehung der sowjetischen Firma Putnik
VI. Treuhandkriminalität
Ein ebenso unrühmliches, aber in Anbetracht der Größe und Komplexität der zu bewältigenden Aufgabe wohl kaum zu vermeidendes Kapitel anlässlich der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Umwälzungen ist schließlich dasjenige der so genannten Treuhandkriminalität. Hier waren es insbesondere in den Anfangsjahren 1990 bis 1992 fehlende Organisationsstrukturen und damit einhergehend fehlende effektive Kontrollmechanismen und -maßnahmen der Treuhandanstalt (THA), welche die "Arbeit" der Täter erheblich begünstigten. Häufig sind auch hier die bereits erwähnten Fälle von Bilanzfälschung und Unterwertverkauf, vor allem im Zusammenhang mit nicht betriebsnotwendigen Grundstücken; eine besondere Rolle spielte hierbei auch die Ausnutzung von Insider-Wissen. In einigen Fällen kam es auch zur späteren, von vornherein geplanten systematischen Aushöhlung der übernommenen Unternehmen durch die "Investoren". Darüber hinaus gab es Fälle von Ausschreibungsbetrug in Verbindung mit Bestechung (so zum Beispiel die "Ganoven GmbH Halle"
Trotzdem sei nochmals darauf hingewiesen, dass sich im Verhältnis zu Größe und Komplexität der bis heute einmalig gebliebenen Aufgabenstellung der Treuhandanstalt der Umfang der Treuhandkriminalität in einem überschaubaren Rahmen hält. Angesichts der Krassheit mancher Einzelfälle wird und wurde dies schnell und gerne übersehen. Auch liegt eine Ursache manchen Betruges gegenüber der THA sicher in dem Umstand begründet, dass sich die Treuhandanstalt im Regelfall am Ertrags- und nicht am Substanzwert der von ihr zu privatisierenden Unternehmen orientierte. Dieser wiederum war oftmals sehr gering, weil die Unternehmen keine Chance hatten, im Wettbewerb zu bestehen, wenn nicht ein Investor erhebliche Umstrukturierungen vornehmen würde. Dazu war aber regelmäßig der kostenintensive Abbau von Arbeitsplätzen und der ebenso kostenintensive Austausch veralteter Produktionsanlagen notwendig. Daher kam es mehrfach zu sog. "1-DM-Verkäufen", die nicht nur Investoren anlockten, die diese Bezeichnung auch wirklich verdienten.
Der vielleicht größte Einzelfall und zugleich ein besonders herausragendes Beispiel für eine perfekte Mischung aus Gerissenheit und einem Höchstmaß an krimineller Energie auf der einen Seite und fehlender Kontroll- bzw. Warnmechanismen auf der anderen Seite ist der Fall der Wärmeanlagenbau Berlin GmbH (WBB)
Zum damaligen Zeitpunkt belief sich der tatsächliche Wert der WBB nach Schätzungen auf rund 68 Mio. DM, wobei die WBB über liquide Mittel in Höhe von rund 150 Mio. DM sowie etliche lukrative Grundstücke verfügte. Bereits unmittelbar nach dem Kauf wechselte Rottmann in die Geschäftsführung der WBB und begann zusammen mit seinen Komplizen, die Guthaben über ein undurchsichtiges Firmengeflecht auf andere Konten zu transferieren, Grundstücke zu veräußern und Hypotheken aufzunehmen. Auf diese Weise sollen Rottmann und Komplizen der WBB insgesamt rund 150 Mio. DM entzogen haben; übrig blieb hingegen ein Schuldenberg in Höhe von 100 Mio. DM. Aber auch Rottmann werden die "abgezweigten" Gelder auf absehbare Zeit wohl nichts mehr nützen. Nach seiner Flucht im Jahre 1995 wurde er im September 2000 in der Nähe von London verhaftet; nach seiner Überstellung in die Bundesrepublik wartet der Prozess vor dem Landgericht Berlin auf ihn. Ein Mittäter Rottmanns wurde zwischenzeitlich zu einer Haftstrafe von drei Jahren verurteilt. Ein anderer bemerkenswerter Fall ist der als Markstein der deutsch-indischen Wirtschaftsbeziehungen gefeierte Verkauf der Firmen "Thüringische Faser" und der "Sächsischen Seide" an die indischen Brüder Dalmia. Diese erwarben im Herbst des Jahres 1991 über ihre Firma "Twentyfirst Century Oil" (TFC) die beiden Unternehmen zum symbolischen Kaufpreis von je 1,- DM; zugleich garantierten sie die Aufrechterhaltung von mehr als tausend Arbeitsplätzen und Investitionen in Höhe von 150 Mio. DM. Wie sich später herausstellte - und bei einer vorherigen Prüfung schon vor dem Kauf hätte herausstellen können -, konnten die Brüder Dalmia deshalb sehr großzügig mit ihren Versprechungen sein, da die TFC über keinen Pfennig Geld verfügte. Nach dem "Kauf" freuten sie sich nicht nur über die Überweisung einer Starthilfe in Höhe von 40 Mio. DM durch die Treuhandanstalt; besonders freuten sie sich über eine Überweisung der "Thüringischen Faser" über neun Mio. DM auf ein Konto in Kuala Lumpur
Schließlich ist natürlich der Fall "Leuna" zu erwähnen, also der Verkauf der ostdeutschen Leuna-Raffinerie an den französischen Konzern Elf-Aquitaine im Jahre 1992 und die damit verbundenen Vorwürfe insbesondere der Bestechung/Bestechlichkeit bis hinein in höchste Staatsämter. Da aber bis zum heutigen Tage keine abschließende (straf)rechtliche Bewertung der näheren und weiteren Umstände des Verkaufes vorliegt, im Gegenteil immer noch ermittelt wird, muss zum jetzigen Zeitpunkt an dieser Stelle auf eine nähere Betrachtung verzichtet werden.