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Korruption - wuchernder Krebsschaden in der Gesellschaft

Anke Martiny

/ 8 Minuten zu lesen

Korruption ist das Ausnutzen einer Machtposition zum eigenen Vorteil, aber zum Schaden vieler anderer. Korruption untergräbt das Vertrauen der Menschen in den Staat.

Macht und Moral

Fragen nach Recht und Unrecht in einer Gesellschaft werden oft allzu rasch und allzu ausschließlich als ethisch-moralische Fragen betrachtet, für die der metaphysische Überbau - also Philosophie und Religion - die Kategorien liefern. Dabei stehen sie doch mindestens ebenso zentral im Blickpunkt der rechtspolitischen Ordnung, die das Fundament einer Gesellschaft bildet und sie prägt. Gesetz und Recht sollen Bürgerinnen und Bürger schützen, insbesondere die Schwächeren unter ihnen, die weder Geld noch Macht besitzen, um gesellschaftlichen Einfluss auszuüben. "Mit rechten Dingen" soll es zugehen in der Gesellschaft, in der wir leben wollen. Dass Menschen das bekommen, was ihnen gesetzlich zusteht, finden wir "gerecht". Wir sind froh, in einem demokratischen und sozialen Rechtsstaat leben zu dürfen, der seinen Bürgerinnen und Bürgern Rechte gibt. Generationen unserer Vorfahren seit der Aufklärung haben konfliktreich dafür gestritten. In anderen Teilen der Welt gibt es solche verlässlichen Grundlagen auch heute noch oft nur - wenn überhaupt - in Ansätzen.

Gleichwohl wird auch bei uns mit zweierlei Maß gemessen. So stimmen zwar alle zu, wenn gesagt wird, dass es unmoralisch und unrecht ist, andere zu bestechen oder sich selbst bestechen zu lassen. Aber die Frage nach dem rechtlichen Rahmen, in dem dies geschieht, wird von jenen gesellschaftlichen Kräften, die ihre Ziele auch mittels Bestechung verfolgen, längst nicht mit solcher Heftigkeit gestellt, wie ihre moralische Empörung sich äußert. Wirtschaftlicher Wettbewerb, sozialer Interessenausgleich, steuerliche Vorteile, Gesundheits- und Verbraucherschutz sind Felder, in denen es stärkere und schwächere Beteiligte gibt und in denen die Stärkeren ihre Vorstellung von "Gesetz und Recht" gern zu ihren Gunsten durchsetzen möchten. Oft mit Mitteln der Korruption - aber natürlich unter dem Deckmantel der Wohlanständigkeit. Korruption ist ein Phänomen des Missbrauchs von Macht, das im Zusammenleben der Menschen unausweichlich zu sein scheint, seit sie sich für ihre Gemeinschaften Regeln gaben und die Durchsetzung dieser Regeln mit Strafen sanktionierten. 

Sozialismus und "Dritter Weg"

Im 19. Jahrhundert entstand die Utopie des Sozialismus, die in ihrer Theorie eine hohe moralische Hürde gegen die Korruption errichtete, vor allem weil der Sozialismus die Klassengesellschaft aufhob und die Gleichheit aller Menschen postulierte. Nur der demokratische Sozialismus entwickelte sich aber theoretisch weiter und erkannte, dass neben der Gleichheit die Freiheit ein entscheidendes Grundrecht der Menschen darstellt, ohne die eine Demokratie nicht leben kann.

Neben dem demokratischen Sozialismus entstand der Kommunismus. Dieser setzte sich seit den dreißiger Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts über das Grundrecht auf Freiheit hinweg und errichtete in seinem Machtbereich Diktaturen, um jeden, notfalls durch Zwang, zu einem gleichwertigen Glied der sozialistischen Gesellschaft zu machen. Unbestreitbar aber hielten sich die kommunistischen Funktionärseliten selbst nicht an ihre hohen Ziele, sondern knüpften Lohn und Strafe an die Willfährigkeit der Einzelnen im System. Unter dem Deckmantel einer scheinbar für alle gleichen Wertigkeit bereicherten sie sich und ihresgleichen schamlos. Auf Kosten der Allgemeinheit errichteten die Funktionäre eine völlig intransparente kommunistische Günstlingswirtschaft ohne demokratische Kontrollmöglichkeiten. Sie blieben vor allem mittels Terror und Korruption so lange an der Macht.

Als "Dritten Weg" schlägt heute der Begründer des Kommunitarismus, Amitai Etzioni, die Entwicklung einer "fairen Gesellschaft" vor, in der der Feudalismus genauso überwunden ist wie der Kolonialismus und der Sozialismus und in der sich die wirtschaftliche Effizienz jenseits aller Ideologien an ihrer Gesellschaftsverträglichkeit messen lassen muss. Vom umfassenden Etatismus in Wirtschaft und Gesellschaft muss ein Weg gefunden werden hin zu einer aktiven, sich selbst regulierenden Bürgergesellschaft, in der Familien, Nachbarschaften, freiwillige Gruppierungen und Medien die Menschen- und Bürgerrechte jenseits aller etatistischen und korporatistischen Traditionen wahrnehmen und durchsetzen. Etzioni und seine Apologeten stoßen sich besonders an den Parteien und ihren Funktionären, die einer Bürgergesellschaft nach ihrer Meinung hindernd entgegenstehen. Wie allerdings Bürgerkontrolle über Machtapparate praktisch wirken soll, wird weniger klar; denn am Grundsatz, dass Machtkontrolle nur durch gleich starke Gegenmacht auszuüben ist, können auch die Kommunitaristen nicht rütteln.

Diese Überlegung ist im Zusammenhang mit einer Gesellschaft gleichberechtigter Bürgerinnen und Bürger, in der es möglichst wenig Korruption geben soll, besonders wichtig, weil sie das Recht des Einzelnen auf umfassende Information über die allbeherrschende Verwaltung begründen hilft. Darin machte die amerikanische Gesellschaft nach dem Watergate-Skandal einen großen Schritt nach vorn. Etzioni kam mit seinem Buch zu einem Zeitpunkt heraus, als das Missvergnügen an den Parteiapparaten und der Zorn über die Selbstbedienungsmentalität der Funktionäre nach dem Zusammenbruch des Kommunismus in der westlichen Welt besonders virulent war.

Wem nützt und wem schadet die Korruption?

Unter Korruption wird gewöhnlich das Ausnutzen einer Machtposition zum eigenen Vorteil, aber zum Schaden vieler anderer, oder auch das abgesprochene Zusammenspiel von zwei Akteuren verstanden, die sich rechtswidrige private Vorteile zu Lasten Dritter verschaffen. Es gibt auch weniger abstrakte Definitionen, die genauer erkennen lassen, dass ergänzend zum gesetzlichen Rahmen im täglichen Leben ein moralisches Grundgefühl das Handeln der Menschen leitet: "Wenn Sie nicht sicher sind, ob Sie korrekt handeln, fragen Sie sich bitte, ob Sie Ihr Tun Ihren Kindern erzählen würden", mahnt eine Anti-Korruptionsbroschüre in Mauritius. "Korruption ist alles, was Sie nicht innerhalb einer Viertelstunde verzehren können", übertreibt allerdings ein Korruptionsbeauftragter für den öffentlichen Dienst bei einem Schulungsseminar in Deutschland. Mit einer solchen Äußerung werden die Grenzen zwischen "normalem" Verhalten und Korruption verwischt.

Gegenwärtig gewinnt die Korruption besondere Aktualität dadurch, dass die Gesellschaften und ihre Wirtschafts-, Sozial- und Rechtssysteme immer komplexer, immer stärker international verwoben und damit immer weniger durchschaubar werden. Eine besondere Rolle spielen hier die Banken, deren internationale Geldgeschäfte sich inzwischen so sehr von Sinn und Zweck traditioneller Finanzierungsprojekte gelöst haben, dass der Profit sich vorwiegend in den Kursgewinnen der Anteilseigner von Banken und Investoren niederschlägt. Ob die jeweilige Investition auch den Menschen nützt, ist eine oft nicht leicht zu beantwortende Frage.

Die Bankenskandale der letzten Zeit in Deutschland, bei denen entweder an Korruption grenzende Machenschaften öffentlich wurden oder die auf Grund anderer Mängel mit großem wirtschaftlichem Schaden endeten, haben denselben Mechanismus deutlich werden lassen. Der Schaden von Korruption schlägt zwar irgendwann und irgendwo finanziell zu Buche, ist aber kaum je eindeutig personell festzumachen. So wächst die Verführung für die "Insider", sich im Dschungel von Finanztransaktionen persönliche Vorteile zu verschaffen, weil man ja niemandem, den man vielleicht kennen könnte, persönlich schadet. Die anonyme Masse der Betroffenen kann sich empören, mit Wahlenthaltung reagieren, sich aber meist nicht direkt dagegen wehren.

Darüber hinaus ist das Gefälle zwischen Reich und Arm in Deutschland oder anderswo in der Welt inzwischen so unermesslich groß, dass mancher der Ärmeren hier wie dort findet, man könne die Reichen ruhig schröpfen, sie merkten es ja gar nicht. Umgekehrt ist der Geld- und Machthunger mancher reicher Potentaten in den armen Ländern Asiens, Afrikas und Lateinamerikas kaum zu stillen, auch wenn sie bereits Abermillionen durch Korruption erworbener Gelder auf Auslandskonten untergebracht haben. Diese Potentaten wirtschaften nicht nur in die eigene Tasche, sondern unterhalten ein ganzes System von Nepotismus und Korruption in Bürokratie und Wirtschaft, das von ihnen große Vorteile hat und sie daher stützt. Die politische Kontrolle ist innerhalb der betreffenden Länder entweder gar nicht vorhanden oder aber so schwach, dass die Durchsetzung von Gesetz und Recht äußerst schwierig ist.

Die westliche Welt schaut da meistens weg, denn ihre Banken und Großkonzerne profitieren von solchen dunklen Geschäften, und von der Ausplünderung der Bevölkerung ist sie nicht betroffen. An die Adresse der reichen Länder war anlässlich einer Tagung in Tutzing "Für Demokratie bürgen" im Mai 2001 daher die kritische Warnung des Vorsitzenden der Globalisierungskommission im Deutschen Bundestag, Ernst-Ulrich von Weizsäcker, gerichtet, sich um den Zustand der Demokratie in ihren Ländern zu sorgen, denn wenn die demokratischen Strukturen der Machtkontrolle und des sozialen Interessenausgleichs dem Globalisierungsdruck nicht standhielten, dann sei es auch bei ihnen vorbei mit der demokratischen Verfassung.

In den nicht demokratisch handelnden Ländern - aber durchaus nicht nur dort, wie wir aus den Korruptionsskandalen in Italien, Frankreich, Belgien und jüngst auch in Deutschland wissen - sind die Parlamente und die Regierungen auf allen Ebenen Bestandteile des Korruptionsnetzwerks: Bauunternehmer bestechen die Verwaltung, damit bestimmte Bauvorhaben - Flughäfen, Kraftwerke, Kläranlagen und andere Großbaustellen - nach ihren Wünschen durchgeführt und finanziert werden; sie bestechen dann auch noch die Baukontrolleure, um billiger und mit schlechteren Materialien bauen zu können und einen größeren Gewinn zu machen. Im Gegenzug unterstützen sie Wahlkandidaten der Partei, die in der Verwaltung das Sagen hat. Oder: Verbände der Zigarettenhersteller oder der Tabakbauern verhindern durch verborgene Maßnahmen, dass Nichtraucherprogramme durchgeführt oder Werbebeschränkungen erlassen werden, damit die Zahl der Rauchenden nicht abnimmt. Oder: Ein Pharmaunternehmen hilft mit Rabatten oder Naturalleistungen, dass seine Vertreter an besonders umsatzkräftige Apotheken und Arztpraxen herankommen, damit - zum Schaden der Krankenversicherung - besonders viel Ware abgesetzt wird, auch wenn sie teurer oder medizinisch vielleicht weniger wirksam ist.

Am schlimmsten ist die Korruption, wie internationale Untersuchungen zeigen, beim Waffen- und Drogenhandel, in der Bauwirtschaft und im Gesundheitswesen. In Deutschland gibt es problematische Einfallstore bei den Bauverwaltungen, bei Führerscheinstellen, Ausländerämtern, Sozialämtern; aber auch die Zollverwaltung und die Polizei sind nicht frei von Korruption.

Korruption nützt nur wenigen Menschen, ihre Auswirkungen treffen alle übrigen umso schwerer: Korruption verstärkt die Armut ganzer Völker, Staaten und Regionen. Sie hemmt deren soziale und wirtschaftliche Entwicklung und führt häufig zu schweren Umweltschäden. Sie untergräbt die Vertrauensbasis des öffentlichen Dienstes und schwächt die Demokratie. Anstelle eines offenen fairen Wettbewerbs der Wirtschaft führt sie zu einem versteckten Wettbewerb der Bestechung, der den Markt als Regulativ zerstört.

Die Antikorruptionsorganisation "Transparency International"

Vor dem Hintergrund dieser Erfahrungen wurde 1993 Transparency International gegründet, eine überparteiliche Nichtregierungsorganisation, die sich ausschließlich der Bekämpfung der Korruption widmet. Das Motiv der Gründer war ihre Erkenntnis, dass alle Entwicklungspolitik ihr Ziel verfehlt, wenn sie nicht die korruptiven Strukturen zwischen reichen und armen Ländern sowie innerhalb eines einzelnen Landes aufbricht und transparent macht.

Transparency International verfolgt einen ganzheitlichen, auf strukturelle Reformen setzenden Ansatz zur Bekämpfung von Korruption. Die Organisation will die verdeckten Strukturen der Korruption aufdecken und damit zu deren Prävention und Ächtung beitragen. Auf nationaler und internationaler Ebene ist Transparency International vor allem in drei Kernbereichen tätig:

- Öffentlichkeitsarbeit: Schaffun eines gesellschaftlichen Bewusstseins für die Folgen von Korruption und Möglichkeiten ihrer Bekämpfung;

- Stärkung nationaler und internationaler Integritätssysteme: Lobbyarbeit für die Reform korruptionsanfälliger Systeme und Institutionen, Schaffung wirksamer Mechanismen zur Prävention und Bekämpfung von Korruption;

- Bildung eines Netzwerks zum Austauschen von Wissen und Erfahrung über erfolgreiche Strategien gegen Korruption.

Zusätzlich zu den bestehenden Gesetzen will Transparency International die gesellschaftliche Aufmerksamkeit auf korruptionsanfällige Strukturen lenken, auf Mängel hinweisen und damit für bessere und wirksamere Regeln und Institutionen zur Prävention und Bekämpfung von Korruption sorgen. Staatliches Handeln soll durchsichtig, kontrollierbar, verlässlich und unbestechlich sein. Entscheidungen sollen im Sinne des öffentlichen Wohls und nicht zu Gunsten privater Interessen getroffen werden. Die öffentlich Bediensteten sollen ihre Arbeit am Allgemeinwohl orientieren. Private Geschäftsleute, Geldgeber, Investoren und Sponsoren sollen nicht darauf hoffen dürfen, sich den eigenen Staat, fremde Staaten oder private Geschäftsleute durch Bestechung einfach kaufen zu können. Integrität des Einzelnen wie einer Gesellschaft gehört zu den höchsten Werten der Demokratie und ist für deren Funktionsfähigkeit unerlässlich.

Dr. phil., geb. 1939; Journalistin, 1972-1989 Mitglied des Deutschen Bundestags (SPD); nach politischer Tätigkeit in Berlin und Israel seit 1998 Mitarbeit in der deutschen Sektion von Transparency International, München; dort zuständig für das Gebiet Gesundheit.


Anschrift: Bergham 9, 84104 Rudelzhausen.
E-Mail: anke.martiny@t-online.de

Veröffentlichungen u. a.: Wer nicht kämpft, hat schon verloren. Frauen und der Mut zur Macht, Reinbek 1986; Israel - und du wunderst dich täglich. Innenansichten von Gewalt und Hoffnung, Freiburg 1995.