Einleitung
Berlin gilt als der Ort in Deutschland, an dem gesellschaftliche Modernisierung sich am sichtbarsten niederschlägt. Dabei findet man als Antwort auf die Frage, was Berlin sein soll, kaum Übereinstimmung. Klar ist nur, dass Berlin während der letzten elf Jahre in einen Schnelldurchlauf der architektonischen und städtebaulichen Veränderung versetzt wurde. Daher richtet sich der Blick auf die sich rasant verändernde Gestalt der Stadt, auf die spektakulären Einzelprojekte wie beispielsweise Potsdamer Platz und Friedrichstraße, Lehrter Bahnhof oder Reichstagsumbau. Ob dieser Blickwinkel ausreicht, um die Veränderungsprozesse angemessen beurteilen zu können, ist indes zu bezweifeln. Denn die Motive, Strukturen, Intentionen, aber auch die Defizite der Entwicklung und des Umbaus zur zeitgemäßen Hauptstadt anschaulich zu machen, ist ein schwer einlösbarer Anspruch. Die Wandlungen, soweit sie baulich manifest geworden sind, decken sich nicht immer mit den Neuerungen im kulturellen, sozialen und ökonomischen Lebensvollzug.
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I. Die Sehnsucht nach der Metropole
Nach Auffassung des Kunsthistorikers Tilmann Buddensieg hat Berlin die Chance, die europäische Metropole des 21. Jahrhunderts zu werden, "weil nur in Berlin nicht alles historisch besetzt und unantastbar ist, sondern Leerraum für urbanes Handeln, für architektonischen Gebrauch und baukünstlerisches Schaffen existiert"
Die neue Identität Berlins muss auf einer umfassenden "Wiedervereinigung" beruhen. Diese ist eine gesellschaftliche und administrative Aufgabe, die durch eine erkennbar zusammengehörige gesamtstädtische Struktur flankiert werden muss. Großflächige Kriegszerstörungen und die langjährige Teilung in zwei Städte mit unterschiedlichen Gesellschaftssystemen unterscheiden Berlin in vielerlei Hinsicht von anderen Großstädten. Das Wort von der noch immer vorhandenen Mauer in den Köpfen, die weit verbreitete Scheu, die jeweils andere Stadthälfte tatsächlich in die eigenen Lebensgewohnheiten einzubeziehen, sind Ausdruck für die Schwierigkeiten des wirklichen Zusammenwachsens.
Es könne jedoch gut sein, so Gerwin Zohlen, "dass es das eigentliche Erbe dieses sonderbaren, eingekreisten, isolierten, banalisierten und geteilten Berlin der Nachkriegszeit gewesen ist, für das wieder vereinte Deutschland in all seinen Mauern die Erinnerung an das Städtische aufbewahrt zu haben, ein Museum der Metropole, ein Museum des Urbanen, wie es das weder in der westdeutschen Republik noch in der DDR gegeben hat"
II. Geschichtsversessen
Architektur und Städtebau sind in diesem Prozess zu einer Art Leitmedium geworden. Doch auf die Frage, ob es zukunftsweisend und visionär sei, was in Berlin entsteht, lässt sich nur schwer eine entschiedene Antwort formulieren. Gleichgültig, ob am Hackeschen Markt oder am Hermannplatz, ob als Block in der Dorotheenstadt oder als Hochhauskranz am Alexanderplatz: Berlin verändert sich - und bleibt doch, wie es war. Zwar ist die Metropole das erklärte Ziel, doch gleicht dies der Suche nach dem Vergangenen. Der Verweis auf die Geschichte, zumal auf die zwanziger Jahre, ist unausweichlich. "Das gab dieser eigenen Art von Metropolengefühl einen neuen Schub. Letztlich ging es auch darum, eine Vision am Leben zu erhalten, die Vision, Berlin könne einmal wieder so werden, wie es war, bevor 1933 das Unglück seinen Lauf genommen hat. Auf dieser Vision, auf diesen unerschütterlichen Zukunftsglauben baut sich bis heute das Metropolengefühl der Stadt auf."
Das zuzugeben fällt niemandem ein; doch als Maßgabe für die weitere Entwicklung hat der Senat unlängst ein "Planwerk Innenstadt" implementiert, welches die überlieferte Stadtstruktur zum Ziel hat. Dass aufgrund früherer Negativerfahrungen - der megalomane Umbau zu Germania, dann die auto-fetischistischen Planungen, die Kahlschlagsanierungen und die Hybris des Massenwohnungsbaus - Berlin nun "kritisch rekonstruiert" werden soll, lässt sich dabei nachvollziehen. Die Rückbesinnung auf alte städtische Qualitäten, die Wertschätzung des öffentlichen Raumes der Straßen und Plätze und die Bändigung wuchernder Privatinteressen durch die Verpflichtung auf Traufhöhe und historische Fluchtlinie - anhand solch simpler Grundregeln will das "Planwerk Innenstadt" so etwas wie einen gesellschaftlichen Minimalkonsens auf städtebaulicher Ebene nachzeichnen bzw. vorgeben. Das Problem liegt allerdings darin, dass es sich dabei um eine Art Ganzheitsversprechen handelt, welches Hoffnungen weckt, die nicht eingelöst werden können.
III. Fluch der großen Zahl
Die in den frühen neunziger Jahren ungemein forcierte Entwicklung von gigantischen Wohnungsbauvorhaben, zumeist in Stadtrandlagen wie Altglienicke, Spandau oder Weißensee, ist in der Aufmerksamkeit der öffentlichen Wahrnehmung völlig hinter dem zurückgeblieben, was in der Mitte Berlins geschah. Während mit unzähligen, über die Stadtsilhouette hinausragenden Kränen innerstädtischer Baustellen die Verdichtung des Zentrums zur Geschäfts- und Regierungsstadt bereits ablesbar wurde, lief zugleich und fast unbeachtet die Umsetzung eines Wohnungsbauprogramms, das ohne zeitgenössisches Beispiel ist; zum Teil handelte es sich um regelrechte Neugründungen von (Vor-)Städten. Das Pilotprojekt dafür war die bereits 1989, also vor dem Mauerfall, konzipierte "Wasserstadt Oberhavel"
Eine Art postmodernen Gegenentwurf dazu stellt, im äußersten Nordosten des Stadtgebiets gelegen, "Neu-Karow" dar; auch dies für mehr als 10 000 Bewohner geplant. Zwar galten hier ähnliche Vorgaben, sie offenbaren sich aber im gebauten Ergebnis durchaus verschieden: von eher traditioneller Anmutung, gefällig und weniger stark verdichtet.
Parallel entstanden auf den "Rudower Feldern" im Süden Neuköllns, in "Französisch-Buchholz" im Norden Pankows sowie an einigen weiteren Standorten vornehmlich in der östlichen Stadthälfte weitere neue Vorstädte. Senatsbaudirektor Hans Stimmann betrachtete sie als einen ersten Schritt zur Reurbanisierung Berlins und pries sie als ein "Aufbrechen der ausschließlichen Orientierung auf den sozialen Wohnungsbau, die Einführung der vereinbarten Förderung, die Mischung der Funktionen vor allem mit der Erhöhung des freifinanzierten bzw. Eigentumsanteils und schließlich . . . (als) Wechsel im städtebaulichen Leitbild weg von aufgelockerten Großsiedlungen hin zur dichten gemischten Vorstadt. Dieses Zeitalter kann besichtigt werden in Karow, in Buchholz, in den Wasserstädten, in Spandau und Friedrichshain, in Biesdorf etc."
Überzeugende andere Konzepte aber sind bislang nicht entwickelt worden. Sicherlich ist die weithin beklagte Subventions"kultur" eine zentrale Ursache des Berliner Dilemmas. Dass in Anbetracht von Kostenmieten in Höhe von 40,- DM/qm, von denen der Mieter indes nur 7 bis 8,- DM/qm zahlte, die "typische Berliner Mieter- und Investoren-Mentalität" nicht bruchlos weitergeführt werden konnte, dass hier neue Strategien erforderlich waren, lag seit langem auf der Hand. Doch erst in jüngster Zeit wächst die Bereitschaft, solche Realitäten als Grundlage weiteren Handelns anzuerkennen: "Finanzpolitisch sind die Haushaltskassen inzwischen geleert, wirtschaftspolitisch liegt Berlins Bruttosozialprodukt an letzter Stelle in Deutschland, sozialpolitisch kann man neue Armut nicht mit einer Versorgungsbürokratie bekämpfen und stadtpolitisch brauchen wir mehr Gestaltungsspielräume wie etwa neue Funktionsmischungen statt normierter Einfältigkeit."
In der Zeit nach der Wende steckte Berlin inmitten eines Entwicklungsschubes, auf den die Stadt nicht vorbereitet war - für die jetzige Stagnation hat sie leider auch keine Rezepte parat. Verschiedene Problemkreise scheinen hier auf: die Frage nach der "stadtverträglichen" Größenordnung von Projekten und Maßnahmen sowie die Frage nach den Zeithorizonten: Wird man nicht angesichts der Aufgabe, die Berlin bevorsteht, lernen müssen, in Kategorien von fünfzig oder gar hundert Jahren zu denken? Und bedeutet nicht umgekehrt ein mangelndes Training, in solchen Zeiträumen zu denken, dass ein wesentlicher "Produktionsfaktor" nicht einkalkuliert wird? Ein Haus oder einen Stadtteil für vier Jahre zu planen ist unrealistisch, auch wenn es heute - allem Anschein nach - zur "Normalität" geworden ist. Notwendig ist eine Kultur des Sich-Zeit-Lassens. Denn: Birgt nicht gerade die extreme Eile, die Hast, mit welcher der Aufbau betrieben wird, bereits den Kern der Zerstörung in sich?
IV. Randerscheinungen?
Berlin, so heißt es, sei viele Städte. Seine Rückbezogenheit auf den "Kiez" ist sprichwörtlich. Wie in einer Versuchsanordnung präsentiert sich die Stadt in der Mannigfaltigkeit von Orten, die mal als Kontinuitäten, mal als Brüche wahrnehmbar sind, die sich aber ebenso häufig in ihrer Widersprüchlichkeit stützen und bereichern. Doch die Heterogenität Berlins rührt nicht aus einem bezuglosen Nebeneinander von Bauten auf dem neutralen Grund eines Straßenrasters - wie etwa in nordamerikanischen oder vielen ostasiatischen Städ-ten -, sondern liegt in einem Flechtwerk sich wechselseitig durchdringenden Strukturen und Texturen. Robert Musil hat in seinem Roman "Mann ohne Eigenschaften" eine Stadt beschrieben, deren Charakter nicht ersichtlich ist: "Es soll also auf den Namen der Stadt kein besonderer Wert gelegt werden. Wie alle großen Städte bestand sie aus Unregelmäßigkeit, Wechsel, Vorgleiten, Nichtschritthalten, Zusammenstößen von Dingen und Angelegenheiten, bodenlosen Punkten der Stille dazwischen, aus Bahnen und Ungebahntem, aus einem großen rhythmischen Schlag und der ewigen Verstimmung und Verschiebung aller Rhythmen gegeneinander, und glich im Ganzen einer kochenden Blase, die in einem Gefäß ruht, das aus dem dauerhaften Stoff von Häusern, Gesetzen, Verordnungen und geschichtlichen Überlieferungen besteht." Wer widerspräche, wenn behauptet würde, dass damit auch Berlin gemeint sein könnte?
Zu der Zeit, als Musil seinen Roman verfasste, war es kein neues Phänomen, dass Großstädte den Eindruck von Heterogenität und Inkonsistenz vermittelten. Es sind die Spuren des ungebremsten Wachstums, des partiellen Verfalls und der permanenten Überlagerung, und es ist der Kampf mit den ausufernden Stadträndern, die einer solchen Wahrnehmung zugrunde liegen. Schon 1933 konstatierte der Geograph Friedrich Leyden für die damalige Reichshauptstadt, dass sich jenseits der Ringbahn eine Vorortzone erstrecke, die sich einer sinnlich nachvollziehbaren Gliederung weitgehend entziehe. "Eng verzahnen sich die modernen großstädtischen Siedlungsbauten mit den Mietskasernen der früheren Zeit, ja sogar mit den Villenkolonien einzelner Gebiete. Laubenkolonien und Industriesiedlungen, rein dörfliche Reste und unfertig gebliebene Vorstadtbildungen schalten sich neben- und zwischeneinander, lockern sich randlich auf, wachsen teilweise in die benachbarten Wälder hinein und finden schließlich ihr Ende."
So verwunderte es nicht, wenn der Befund für das heutige Berlin ähnlich lauten würde. Zwar sind in den letzten Jahren - vornehmlich im innerstädtischen Bereich - enorme Anstrengungen unternommen worden, um die überkommene Stadtstruktur zu revitalisieren und dabei auch ihre Prinzipien wieder mit neuem Leben zu füllen. Aber es ist nicht zu übersehen, dass zugleich eine schier unaufhaltsame Abwanderungsbewegung eingesetzt hat, die das Umland - den so genannten Speckgürtel - nicht nur zum Fluchtpunkt des produzierenden Gewerbes, sondern auch zum Zielort vieler Berliner hat werden lassen. Sich jedem Diskurs über Urbanität widersetzend, ist das eigene Haus mit Garten zum Inbegriff und Wunschbild des Wohnens für die Mittelschicht geworden. Was in anderen deutschen Großstadtgemeinden - in Hamburg, Frankfurt oder Stuttgart - seit langem der Fall ist, wird nun an Spree und Havel massiv nachgeholt: Man erfüllt sich einen Traum und zieht hinaus ins Grüne. Die Ortschaften Dallgow-Döberitz, Bernau, Königs Wusterhausen oder Falkenhöh, rund um Berlin gelegen, sind zwar nicht der Starnberger See, Sankt Peter Ording oder der Taunus. Aber immerhin: Sie sind erreichbar, finanziell und verkehrstechnisch, wenngleich meist nur mit dem privaten PKW.
V. Zwischen Stadt und Land
Das, was Stadt und Land unterschied, mittels gegenseitiger Abkapselung, ist durch das Auto aufgehoben. Ohnehin hat der klassische Gegensatz von Stadt und Land, Zentrum und Peripherie, von Urbanität und geistiger Enge, von Toleranz und Konformitätszwang seine Schärfe und Unüberbrückbarkeit eingebüßt. Die Diskrepanz bei Gewerbegebieten zwischen Schein und Sein verschleiert, dass diese so provisorisch wirkenden Randbezirke funktional längst ein integraler - und kaum revidierbarer - Bestandteil unserer Städte geworden sind. "Man wird mit zunehmender Entfernung vom Zentrum Zeuge einer kulturellen Entropie. Das Gebaute und Geplante wird zum ausgefransten Rand hin immer dürftiger, unbeständiger, banaler, kälter. Die städtische Kontinuität löst sich mehr und mehr auf, das bauhistorische Gedächtnis wird immer lückenhafter, bis zur totalen Amnesie und Aphasie."
Was in den Randlagen und Zwischenzonen entsteht, ist weder städtisch noch ländlich noch vorstädtisch; es besitzt all diese Elemente gleichzeitig und entzieht sich damit der konventionellen (tradierten) Terminologie der Stadtplaner wie der Historiker. Trotzdem - oder gerade deshalb - ist die Vorstadt zum Synonym für den Rückzug in die "eigenen vier Wände" geworden. Umschreibt dieser Rückzug lediglich einen Bedürfniskanon, der vom Fernsehen übers Grillen bis zur Autopflege reicht? Die Stadt - das kommt schon im allgemeinen Sprachgebrauch zum Ausdruck - ist weit entfernt und allenfalls Ziel für sporadische Kulturbedürfnisse, den "nightly thrill" oder das ungehemmte "Shopping". Die Stadt ist, aus der Perspektive der Vorstadt, einerseits gewöhnlich, andererseits das Besondere: Man benutzt sie, man freut sich auf sie, aber man benötigt sie nicht. Offenbar wird in erster Linie die eigene "Scholle" gebraucht.
Die Folgen von Entfremdung, von Internationalisierung und Geschwindigkeit in der Alltagswelt wollen kompensiert sein. Dazu dient häufig der Wunsch nach dem eigenen Heim. Sich in abgeschirmte und - im Wortsinne - überschaubare Areale zurückzuziehen ist somit eine identitätsorientierte Reaktion, deren Existenz und Berechtigung nicht geleugnet werden können. Aus dieser Perspektive erscheint es konsequent, wenn die Architekturen, die vor diesem Hintergrund entstehen, dem Pragmatismus verpflichtet sind, wenn sie bildersprachlich Gewohntes reproduzieren, Nostalgie beschwören und sich an den marktüblichen Standards orientieren. Das Stigma der Vorstadt - Unauffälligkeit und Unansehnlichkeit - ist zugleich ihr Vorteil: Ihre Entwicklung vollzieht sich, ohne dass jemand Aufhebens davon machte.
Den arbeitsteiligen Stadtregionen, wie sie sich erst in diesem Jahrhundert herausgebildet haben, wird nachgesagt, sie seien intern durch den Gegensatz von Zentrum und Vorstadtagglomeration geprägt.
Eine der wesentlichen Triebkräfte dieser Entwicklung ist der Wohnungsbau und dessen Baulandbedarf. Wenngleich weite Kreise der kritischen Öffentlichkeit mittlerweile sensibilisiert sind für das Problem des Flächenkonsums, werden hier grundlegende Interessengegensätze manifest. Denn die Klagen über die ständige Ausweitung der Verkehrs- und Siedlungsflächen kontrastieren zunehmend mit der vehement vorgetragenen Forderung nach mehr Bauland. Irgendwo müssen sie schließlich hin, die neuen Wohnungen, nach denen alle rufen: die Wohnungsbauunternehmen, die "Häuslebauer" und auch die Gemeinden. Eine verschwindende Minderheit stellt diese Gruppe nicht dar. Damit kommt man zu einem weiteren Punkt, der, obschon entscheidend, gerne unterschlagen wird: Die so genannte Zersiedlung ist keineswegs das Resultat fehlender Planungsarbeit, sondern das Ergebnis widersprüchlicher und in ihrem geschichtlichen Verlauf sich tendenziell neutralisierender Wertvorstellungen bezüglich dessen, was Stadt sein soll und kann. Jede Kommune sucht zuallererst einmal ihren Vorteil: In ihrer Konkurrenz ist die Neigung begründet, die Vorteile ihrer peripheren Lage gegenüber den Zentren auszunutzen und Wohn- und Gewerbegebiete auszuweisen, die den Prozess der Siedlungserweiterung samt seinen Folgen nur vorantreiben können. Welcher Bürgermeister einer ländlichen Nachbargemeinde, ob Oranienburg oder Nauen, wird im Zweifel nicht dazu neigen, ein Projekt zu fördern und zu bewilligen, wenn es der Kommune einen - wie auch immer gearteten - Nutzen bringt.
VI. Der Traum vom Eigenheim
Der Publizist Michael Rutschky bringt eine für Berlin relativ neue Entwicklung so polemisch wie treffend auf den Punkt: "Bonn, das der Regierungsdirektor mit dem Umzug der Regierung in Berlin als Wohnort zu finden oder zu errichten strebt, das ist die Vorstadt, wie sich ganz Westdeutschland in jenen Gegenden präsentiert, Vorstadt um Vorstadt, aus denen man nie so richtig in die Hauptstadt findet. Der bekannte Siedlungsbrei, ,urban sprawl', wie ihn die Kritische Fraktion anhaltend beklagt, Stadtwucherung."
Dem weit verbreiteten Wunsch - das eigene Haus im Grünen - nachzukommen und gleichwohl dezidiert stadt- und gesellschaftsverträgliche Antworten zu formulieren ist also ein Gebot der Stunde. Davon ist in Berlin bislang wenig zu spüren; zudem setzt dies einen Mentalitätswandel voraus. Anlass für eine bislang mangelnde Bereitschaft, sich mit der Existenz und Dynamik städtischer Zwischenzonen auseinander zu setzen, ist ihr bauliches Erscheinungsbild. Polemisch nur äußert sich die Architektenschaft
Larmoyanz allerdings hilft hier nicht weiter. Laut und sehnsüchtig nach der heilen, der "urbanen" Stadt zu rufen, ist nicht das probate Mittel. Stattdessen wird man lernen müssen, mit den Gegebenheiten unserer postindustriellen Stadtrand-Verhältnisse umzugehen. Wie kann man einer hybriden Peripherie gerecht werden, ohne ständig zu versuchen, sie durch romantisierende Rückgriffe auf die Stadt der Vormoderne verändern zu wollen? Aneignen, heimisch werden, urbar machen: Das sind Desiderate, auf welche die Berliner Stadtentwicklung sich qualitativ einlassen muss, will sie nicht nur städtebauliche Diagramme oder bloße Flächendispositionen schaffen.
Der Wohnungsbau kann dabei durchaus Anstöße geben. Kein anderer Wirtschaftsfaktor, kein anderer Lebensbereich entfaltet derzeit mehr Wirkungskraft. Dieser Impuls jedoch muss behutsam und realitätsnah gesteuert werden. Denn "wenn die städtebaulichen Konzepte für die Entwicklung dieser Areale nicht die Marktdeterminanten des Speckgürtel-Wachstums aufnehmen, dann werden die aus der Bestandsumschichtung kommenden Investitionen einen Bogen um diese Areale machen und sich doch an den ungewünschten Standorten und in den unbeliebten Bauformen im Speckgürtel wiederfinden"
VII. Die Macht der Bilder
In der Metamorphose der ehemaligen Mauerstadt spiegelt sich ein Grundwiderspruch: zum einen das strukturelle Schema der Randwanderung in erheblichem Umfang
Trotz eines positiven Sogs, der vom Regierungsumzug ausging, befindet sich Berlin in einer wirtschaftlichen und haushaltspolitischen Lage, die als "ernst" zu bezeichnen einem Euphemismus gleichkommt. Schon seit einiger Zeit "stellt sich die Frage nach der Existenzfähigkeit der Stadt. Heute nimmt sich Berlin wie ein riesiger Dampfer aus, der, mit vielen Kränen auf dem Oberdeck, auf eine Sandbank gelaufen ist und des Schleppers harrt, der ihn wieder in Fahrwasser bringen soll"
Wenn es stimmt, dass Architektur, um sich selbst zu genügen, dem Positivismus, den harten Fakten und der "guten Lösung" verpflichtet ist, dann ist die Diagnose eines jungen Architekten über seine Heimatstadt Berlin durchaus erstaunlich: "Die Stadt ist direkt, bar jeder Gefälligkeit. Sie ruft immer wieder Ablehnung hervor. Ihr fehlt ein Selbstbewusstsein, ein gelassener Umgang mit sich selbst. Sie erscheint wie der Körper eines Masochisten, der sich stets aufs Neue dem Missbrauch, der Zerstörung, der Demütigung und der Gewalt aussetzt." Philipp Oswalt lässt es nicht bei diesem Befund bewenden, sondern bietet auch eine Lösung an: Für die "Stadt ohne Form" skizziert er "Strategien einer anderen Architektur". Anhand von Kategorien wie Leere, Kollision, Temporäres, Doppelung und Stoffwechsel beschreibt er Sein und Wesen Berlins und schält als Raison d'etre einen "automatischen Urbanismus" heraus: Trotz aller planerischen und baulichen Anstrengungen sei Berlin letztlich von historischen Zufälligkeiten, einzelnen Willkürakten und selbstgemachter Hektik, von einer Tradition der Traditionslosigkeit geprägt. Obwohl immer wieder neu erfunden, ist die Stadt doch sprunghaft, inkonsistent, fragmentarisch geblieben. "In der Geschichte Berlins prallten immer wieder unvereinbare städtebauliche Konzepte aufeinander: die barocke Stadterweiterung auf die Festungsanlage, die Stadtautobahnpläne auf den Hobrechtplan, das ,Planwerk Innenstadt' auf den sozialistischen Plattenbau. Wo diese Konzepte vernäht werden müssten, klaffen Lücken, die weder Teil der einen noch der anderen städtebaulichen Textur sind."
Wenn es eine zukunftsprägende Kraft im Berliner Stadt-Bau geben sollte, dann lediglich in einzelnen Projekten mit eher solitärem Charakter. Es geht zwar - theoretisch - um die neue Einheit Berlins, mithin um die unserer Gesellschaft, aber de facto steht das Individuum und sein Erfahrungshorizont im Brennpunkt des Geschehens. Das hängt damit zusammen, dass die Akteure Individualisten sind. Sie drücken, wie kreativ auch immer, vorrangig ihre Weltsicht aus. Sie folgen dabei allenfalls einem Muster äußerer Ordnung, ohne inneren Zusammenhang. So ergibt sich zwangsläufig ein bloßes Nebeneinander. Und im Fahrwasser dieses Nebeneinanders verliert die Klärung des Inhalts dessen, was Berlin sein soll, schnell an Kontur. Damit bleibt es letztlich aber auch dem Einzelnen überlassen, was er an Essentiellem sich herausklaubt. Und das kann nicht das Anliegen der Stadtwerdung sein, wie es ja auch und gerade das Ganzheitsversprechen einer "kritischen Rekonstruktion" verdeutlicht.
Auch wenn durch strikte Funktionszuweisung - City hier, Kultur da und Wohnen meist weit draußen - der städtische Lebenszusammenhang weiter zerrissen bleibt, wird der "Verlust der Mitte" und das verlorene Gefühl gesellschaftlicher Zugehörigkeit inzwischen symbolisch kompensiert. Dazu dienen vor allem gestalterisch aufwendige Anlagen im zentralen Bereich, in denen zumindest das Gefühl vermittelt wird, sich wieder in der "guten Stube" Berlins aufzuhalten, in der die Gemeinschaft der "Bürger" erkennbar ihren Ort hat. Implizit wird somit als Programm der Architektur nicht mehr die Erfüllung von Funktionen, sondern die Vermittlung ausgreifender Fiktionen angesehen; und sie soll sich reibungslos in die Maximen einer imagebewussten Stadtgestaltung einfügen.
Offenbar gehört es zur widerborstigen Natur der Berliner Wirklichkeit, dass weniger das Weltstädtische im großartigen Gesamtentwurf sich verwirklichen kann, als dass gelegentlich die Umrisse eines möglichen Ganzen durch Stückwerk angedeutet werden.