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Berlin - eine zweimalige Stadt | Berlin - Stadtpolitik | bpb.de

Berlin - Stadtpolitik Editorial Politische Macht am Berliner Spreebogen "Demokratie als Bauherr" Die Parlaments- und Regierungsbauten des Bundes im Kontext der Berliner Stadtentwicklung Berlin - eine zweimalige Stadt Berliner Aporien?

Berlin - eine zweimalige Stadt Stadtplanung im Spannungsfeld vieler Interessen

Hanns-Uve Schwedler

/ 17 Minuten zu lesen

Während der vergangenen vier Jahrzehnte vor der Wende haben West- und Ostberlin eine spezielle städtebauliche Entwicklung durchlaufen. Die Ziele und Leitbilder waren jedoch völlig anders.

Einleitung

"Die größte Baustelle Europas" ist inzwischen zum Synonym für Berlin geworden. Seit dem Fall der Mauer 1989 erlebt und durchlebt die Stadt einen umfassenden wirtschaftlichen, politischen, sozialen, vor allem aber auch städtebaulichen Wandel, für den es kaum Parallelen gibt. Es geht um nicht weniger als um das Zusammenführen zweier Millionenstädte mit extrem unterschiedlichen städtebaulichen Leitbildern während der vergangenen 50 Jahre.

Es ging und geht immer noch um den Ausbau zur Hauptstadt Deutschlands. Und es geht darum, die wirtschaftsräumliche Stellung der Stadt auch im internationalen Kontext zu bestimmen. Sozialpolitisch und sozialräumlich aber geht es vor allem um die Frage, ob die Bewohner der vereinigten Stadt diese auch innerlich annehmen. Ein weiteres Schlagwort, das von der "Baustelle der deutschen Einheit", gewinnt hier an Bedeutung.

I. Stadtplanung und Stadtentwicklung in zwei deutschen Staaten

In seinen heutigen Grenzen erst 1920 aus sieben städtischen und 59 ländlichen Gemeinden entstanden, entwickelte Berlin sich in den "Goldenen Zwanziger Jahren" rasch zu einer Weltstadt. Bereits 1910 wurde der städtebauliche Wettbewerb "Groß-Berlin" durchgeführt, der unter anderem die planerischen Grundlagen für einen Umbau des Stadtzentrums erarbeitete. Diese Planung zielte auf eine "Forcierung der Tertiärisierung der Innenstadt und ihre künstlerische bzw. monumentale Hervorhebung als geistig-kultureller, staatsadministrativer und politischer Mittelpunkt des Reiches" . Die beiden Zentren der Agglomeration, die Innenstadt und der seit der Gründerzeit aufblühende Bereich um den Kurfürstendamm, sollten planerisch und städtebaulich zusammengeführt werden. Verwirklicht wurde diese Planung nie. Hier scheint sich Geschichte zu wiederholen. Diese Ziele sind - wenn auch anders formuliert - noch immer und wieder Gegenstand des "Planwerks Innenstadt" .

Die Machtergreifung des Nationalsozialismus legte den Grundstein für die Zerstörung der Stadt, zunächst durch Albert Speers Planung des neuen Super-Zentrums Germania, dann durch die Bomben der Alliierten. Nach Kriegsende ähnelten weite Teile der Stadt einem riesigen Trümmerhaufen, auf dem zwei Staaten zweier unterschiedlicher politischer Systeme ihre Metropolen errichteten: die DDR ihren Regierungssitz, die Bundesrepublik Deutschland ihre zumindest politisch verbriefte Hauptstadt. Der Mauerbau schließlich zerstörte 1961 jegliche Vorstellung von einer Stadt.

So entwickelten sich die beiden Stadthälften endgültig zu getrennten Städten mit sehr unterschiedlichen städtebaulichen Leitbildern: die polyzentrische Raumstruktur im Westen, die monozentrische im Osten. An dieser Stelle soll nur auf die Stadtentwicklung im historischen Zentrum (und damit in Ostberlin) näher eingegangen werden, sind es doch primär ihre Ergebnisse, die nach der Wiedervereinigung in Frage gestellt wurden und heftigste Auseinandersetzungen verursacht haben.

Rund um den Alexanderplatz, der selbst umgestaltet wurde und mit dem Fernsehturm ein 365 m hohes Monument erhielt, verwirklichte die DDR mit dem Marx-Engels-Forum, dem Palast der Republik und dem davor liegenden Aufmarschplatz ein Zentrum, das ganz im Sinne der Charta von Moskau der politische Mittelpunkt und der Kern der Stadt sein sollte: "Auf Plätzen und im Stadtzentrum finden politische Demonstrationen, die Aufmärsche und die Volksfeiern an Festtagen statt. Das Zentrum der Stadt wird mit den wichtigsten und monumentalsten Gebäuden bebaut." Das wohl monumentalste Gebäude Ostberlins, der zwischen 1973 und 1976 erbaute Palast der Republik, entzweit heute die Gemüter. Der gewaltige Bau war Sitz der DDR-Volkskammer und ein wichtiges Kultur- und Freizeitzentrum. Er hat sich nach der Wiedervereinigung für so manchen Ostberliner zu einem Symbol für das Bewahrenswerte seiner Vergangenheit entwickelt. Andere, vor allem historisierende Westberliner, wollen an seiner Stelle das bereits 1950 abgerissene Stadtschloss der Hohenzollern wieder aufbauen. Inzwischen, nach der Asbestentfernung und der Einsetzung einer Expertenkommission, scheint sich die Diskussion aber zu versachlichen.

An der Leipziger Straße wurden die ursprünglichen Gebäude und Straßenzüge beseitigt und im Sinne des sozialistischen Wohnungsbaus mit großen Wohnblocks bebaut. Auf der Fischerinsel entstanden nach dem Abriss der nach dem Kriege verbliebenen Altbausubstanz sieben Wohnblöcke mit 18 bis 21 Stockwerken. Auch an diesen zentral gelegenen Wohnungsbauten mit ihrer für Berlin so untypischen Gebäudehöhe entzündeten sich Diskussionen.

Die berühmte Friedrichstraße, die während des Krieges zu wesentlichen Teilen zerstört worden war, blieb bis in die achtziger Jahre hinein Baustelle. Damals setzte ein Umdenken von Planern und Politikern ein, die sich nunmehr auch der Rekonstruktion der historischen Stadt verpflichtet sahen. Das von Honecker avisierte Vorhaben, die Friedrichstraße "zur attraktivsten Geschäftsstraße unserer Hauptstadt" umzubauen, ist bis zur Wende nur sehr unvollständig verwirklicht worden. Die wirtschaftsräumliche Entwicklung nach 1990 aber konnte zumindest hier an Vorhaben aus DDR-Zeiten - wenn auch mit anderen Mitteln - anknüpfen.

Wenngleich einige Ziele und Ergebnisse der Stadtentwicklung bis 1990 durchaus mit den Zielen der jüngsten Stadtentwicklung in Übereinstimmung stehen (Erhalt der Wohnfunktionen im Innenstadtbereich, Friedrichstraße als hochwertige Geschäftsstraße), so trafen mit der Wiedervereinigung doch zwei Stadthälften aufeinander, die sich zu sehr unterschiedlichen und eigenständigen Städten entwickelt hatten: "Die Zentrenstruktur im Westen war polyzentrisch organisiert, der Osten monozentrisch mit starker funktionaler Vernachlässigung äußerer Stadtbereiche . . . Im Westen war die City rund um den Tiergarten ein hochverdichtetes Gebiet, im Osten prägten große Freiflächen die inneren Bereiche zwischen Alexanderplatz und Friedrichstadt.

Rund um das westliche Zentrum am Zoo spielte die Wohnfunktion nur eine untergeordnete Rolle. Rund um den Alexanderplatz lebten mehrere zehntausend Menschen. Im Westteil der Stadt waren Institutionen hauptstädtischen Charakters (wie beispielsweise Bundesbauten oder Botschaften) verschwunden, das östliche Zentrum repräsentierte die sozialistische Hauptstadt."

Gemeinsam war beiden Teilstädten, dass entlang der sie spaltenden Mauer große Brachflächen entstanden waren. Mit der Beseitigung der Mauer verschob sich die gesamte räumliche Struktur der Stadt. Die unwirtlichen Brachen lagen nun in bester zentraler Lage und entwickelten sich - wie die Freiflächen im Zentrum Ostberlins - zu begehrten Objekten für Investoren und Bauherren.

II. Nach der Wiedervereinigung: Baustelle Berlin

Der Umbau der Stadt seit der Wende konzentriert sich auf einige Gebiete und Bauvorhaben, die im Mittelpunkt der fachlichen, oft auch der öffentlichen Diskussion standen:

Potsdamer und Leipziger Platz - in den zwanziger Jahren verkehrsreichste Orte Europas - verbanden einst das historische Zentrum mit den neuen Vorstädten im Westen, die mit der Potsdamer Straße und dem Gebiet um den Kurfürstendamm ebenfalls sehr bedeutende zentralörtliche Funktionen erlangt hatten. 1989 lag hier, zwischen den Zentren und unmittelbar an der Mauer, die größte innerstädtische Brache. Heute symbolisieren die Bauinvestitionen von Daimler-Chrysler, Sony und anderen Großinvestoren das "neue Berlin" und spielen beim Stadtmarketing eine entscheidende Rolle. Stadtplanerisch und raumstrukturell aber sind sie umstritten.

Ähnlich wie der Potsdamer Platz gehörte der Pariser Platz östlich des Brandenburger Tors zu den wichtigsten Plätzen des alten Berlins. Tor und Platz zusammen stellten den zentralen Eingang in das historische Zentrum dar, verloren aufgrund ihrer Lage im Sperrgebiet der DDR aber ihre Bedeutung. Heute gewinnt der Platz durch die (Wieder-)Ansiedlung von Banken, Luxushotels, kulturellen Einrichtungen und Botschaften seine ursprüngliche Bedeutung zurück. Der Berliner Ansatz der "Kritischen Rekonstruktion" verbindet sich hier mit den grundsätzlichen Interessen beispielsweise Frankreichs, Großbritanniens und der USA, deren Botschaften hier an historischer Stelle entstehen.

Das Parlaments- und Regierungsviertel entsteht am Spreebogen, dort wo der Fluss in einer Schleife den Reichstag umfließt. Am Umbau des Reichstagsgebäudes nach Entwürfen des britischen Architekten Sir Norman Forster entfachten sich heftige Diskussionen um das Verhältnis von Architektur und politischer Symbolik. Konnte ein historisch so befrachtetes und belastetes Gebäude Sitz des bundesdeutschen Parlaments werden? Was bedeutete dies für die architektonische Gestaltung? Forster konnte seinen Entwurf erst nach mehrfachen, z.T. tief greifenden Veränderungen verwirklichen.

Nordwestlich des Reichstagsgebäudes entsteht derzeit mit dem so genannten "Band des Bundes" ein Gebäuderiegel aus drei Bauten: dem inzwischen fertiggestellten Kanzleramt und zwei weiteren, die Spree überspannenden Blöcken mit den Abgeordnetenbüros und anderen Funktionsräumen des Parlaments.

In Berlin-Mitte

wurde mit der Eröffnung der Friedrichstadtpassagen eine wichtige Voraussetzung für die Wiederbelebung des Zentrums als Standort für hochwertige Versorgung und Dienstleistungen geschaffen. Neben dem Areal um den Potsdamer Platz ist es vor allem das Gebiet um die Friedrichstraße und die Leipziger Straße, in denen private Investoren und Bauherren tätig wurden. Während mit diesen Investitionen eine in gewisser Weise bereits zu DDR-Zeiten begonnene Entwicklung fortgesetzt wird, stehen andere städtebauliche Maßnahmen im Bezirk Mitte noch aus. Insbesondere der Umgang mit dem Alexanderplatz, dem Schlossplatz und dem dort errichteten Palast der Republik ist noch offen.

III. Akteure und Interessen

Eine Reihe weiterer großer Baumaßnahmen, Entwicklungsprojekte und Stadtumbauten könnte genannt werden. Sie reichen vom Lehrter Bahnhof nördlich des Potsdamer Platzes über das Diplomatenviertel südlich der großen innerstädtischen Grünfläche "Tiergarten" und die großen Entwicklungsgebiete im Osten und Südosten bis hin zum internationalen Flughafen Berlin-Brandenburg und der Sanierung der großen Plattenbausiedlungen, in denen mehr als 700 000 Berliner wohnen. Die genannten Beispiele aber mögen genügen, das Spektrum der Akteure und Interessen zu skizzieren, die bei der Stadtentwicklung der vergangenen zehn Jahre eine Rolle spielten:

- nationale und internationale Konzerne, Privatinvestoren und wirtschaftliche Interessengruppen;

- Bundesinstitutionen;

- ausländische Regierungen;

- eine breite Fachöffentlichkeit (Architekten, Planer und ihre Berufsorganisationen);

- die städtische Bevölkerung, Initiativen und Betroffenengruppen.

Mit ihnen mussten Politik und Planung sich auseinandersetzen und die Grundsätze und Leitbilder der Stadtentwicklung und Bebauungsplanung entwerfen, ohne dass Anfang der neunziger Jahre dafür die rechtlichen Grundlagen überhaupt existierten. Der Flächennutzungsplan Westberlins von 1988, der nach bundesdeutschem Recht die Grundzüge und Leitsätze der Stadtentwicklung und räumlichen Nutzung festlegte, und der Generalbebauungsplan Ostberlins waren 1990 bereits Makulatur.

Während vor allem in der ersten Hälfte der neunziger Jahre rechtliche Planungsgrundlagen neu erarbeitet werden mussten, überschlugen sich gleichzeitig die Prognosen für die weitere Entwicklung der Stadt und damit auch die Erwartungshaltung der Wirtschaft - und umgekehrt. Politik und Planung rechneten mit einem jährlichen Bevölkerungswachstum von bis zu 40 000 Menschen. Der Nachholbedarf im Ostteil der Stadt, aber auch die Hauptstadtfunktion und die prognostizierte Rolle als "Tor nach Osteuropa" führten zu enormen Bedarfserwartungen für Verkaufs- und Büroflächen. Tatsächlich übertraf zunächst die Nachfrage von Investoren und Immobilienfirmen vor allem in der Mitte Berlins die von den Planern eingeschätzte Tragfähigkeit bei weitem. Dies ließ Bodenpreise und Mieten in die Höhe schnellen. Andererseits zeichnete sich ab, dass Berlin auch aufgrund der zunehmenden Krise der öffentlichen Finanzen vor allem auf Großinvestoren angewiesen war. Hohe Bodenpreise und die Finanzkraft der Investoren führten zu ständigen Auseinandersetzungen (und Kompromissen) um die Bebauungsdichte, die Gebäudehöhe und die architektonische Gestaltung. Dies beeinflusste die Diskussion um die sich entwickelnden Leitbilder der "Europäischen Stadt" und der "Berlinischen Architektur" maßgeblich und setzte sich in den Diskussionen um das "Planwerk Innenstadt" und die Methode der "Kritischen Rekonstruktion" fort.

IV. Leitbilder der Stadtentwicklung

Schon bei der Vorbereitung des 1994 verabschiedeten neuen Flächennutzungsplans für Gesamtberlin tauchte ein zentraler Begriff auf, der für die weitere Entwicklung von städtebaulichen Leitbildern und Methoden entscheidende Bedeutung gewinnen sollte: Berlin als europäische Stadt. Europäische Städte zeichneten sich demnach durch eine spezifische europäische Öffentlichkeit mit ihrer Trennung von öffentlichem und privatem Raum; Mischung der Funktionen Wohnen, Gewerbe, Dienstleistungen, Kultur usw.; besondere Ortsidentität, die sich in der historischen Raumstruktur, ihren Straßenfluchten und -grundrissen widerspiegele, aus.

Damit knüpfte man an die Leitgedanken an, die während der achtziger Jahre für die Internationale Bauausstellung "als Reaktion auf die Stadtzerstörung der sechziger und siebziger Jahre (mit) der Wiedergeburt des Stadtquartiers" in Westberlin entwickelt wurden. Man konnte sich - insbesondere bei der Planung für den Berliner Innenstadtbereich - an den Prinzipien einer behutsamen, sich an die historische Entwicklung anlehnenden Stadterneuerung orientieren: "Die Grundeinsichten eines bewussten Umgangs mit dem historischen Stadtgrundriss, die Idee der gemischten und komplexen Stadt, die bewohnerorientierte und bürgernahe Vorgehensweise, die Beschäftigung mit Berliner Haustypologien und deren Weiterentwicklung sind Grundeinsichten, die . . . (auch heute) nicht verändert werden müssen."

Diese so skizzierte Methode der Kritischen Rekonstruktion bildete ein methodisches Leitbild, das in den ersten Jahren angesichts noch fehlender oder unvollständiger Planungsgrundlagen eine erste Orientierung für Planer und Investoren gab. Sie bildete aber auch ein wichtiges Beurteilungskriterium für die verschiedenen städtebaulichen Wettbewerbe, die als Instrument für viele Großprojekte vom Senat gewählt wurden.

Aus der Methode der "Kritischen Rekonstruktion" ergibt sich nicht nur das Primat der traditionellen Straßen- und Blockgrundrisse, sondern auch die Wiederaufnahme der alten Baufluchtlinien, die Rückkehr zur Blockbebauung (und der damit einhergehenden Verdichtung und Auffüllung von Baulücken), das Respektieren alter Traufhöhen und die Anlehnung an traditionelle Architekturmuster.

Die Anwendung dieser Grundprinzipien des Berliner Stadtumbaus nach der Wende führte zu zahlreichen Konflikten mit Investoren, einem Teil der Fachöffentlichkeit und der Bürger, aber auch zu Auseinandersetzungen mit anderen Senats- und Bezirksverwaltungen. Während Investoren vor allem eine höhere Bebauung zur besseren Flächenausnutzung forderten, sahen andere durch die Bebauungsverdichtung innerstädtische Frei- und Grünfächen gefährdet. Heftigste Auseinandersetzungen gab es zwischen der Stadtentwicklungs- und der Verkehrsverwaltung und deren politischen Leitungen. Der geforderte Rückbau vor allem der zu DDR-Zeiten in der Innenstadt entstandenen breiten Straßenfluchten, aber auch der im Zuge der "autogerechten Stadt" in Westberlin verbreiterten Straßen stieß auf Widerstand des Verkehrssenators. Es waren aber auch bereits Konfliktlinien zwischen den Vertretern der "Kritischen Rekonstruktion" und Planern und Architekten vor allem aus Ostberlin angelegt, die sich am "Planwerk Innenstadt" weiter entfalteten.

Mit dem Planwerk, 1996 als erster Entwurf der Öffentlichkeit vorgestellt, "wurde erstmals nach der Wiedervereinigung ein zusammenhängendes Konzept für das Gebiet des historischen Zentrums und der ,City West' vorgelegt, mit dem die Gesamtberliner Innenstadt städtebaulich attraktiv und ökonomisch, ökologisch und sozial zukunftsweisend entwickelt werden kann . . . Begriffe wie Mobilität, Dichte, Nachhaltigkeit, Stadträumlichkeit und Identität (sind) zu wichtigen Parametern geworden. Der laufende Diskussions- und Abstimmungsprozess stellt darüber hinaus einen Beitrag zur mentalen Zusammenführung der ehemals in Ost und West getrennten Stadtbevölkerung dar und bietet so eine Grundlage zur Formulierung einer gesamtstädtischen Identität." Damit verfolgt das Planwerk das Ziel, nicht nur die beiden ehemaligen Zentren städtebaulich, sondern auch die Menschen beider Stadthälften zusammenzuführen. Letzteres scheint ihm aber nur begrenzt zu gelingen. Insbesondere am Bild von "Historizität" der für das Planwerk verantwortlichen Politiker und Planer scheiden sich die Geister. Dem Planwerk wird vorgehalten, dass es in Verbindung mit seiner Methode der "Kritischen Rekonstruktion" die Stadtentwicklung nach 1945 ignoriere, ja auslösche - und damit auch das "Bild der Stadt", das ein Teil ihrer Bevölkerung mit sich trage.

Unbestritten hat das Planwerk mit seinem Primat, die Innenentwicklung (und damit Verdichtung der Innenstadt) der Außenentwicklung entgegenzustellen und die Wohnfunktion im Zentrum zu erhalten bzw. wiederzugewinnen, ein sinnhaftes Leitbild für eine nachhaltigere Stadtentwicklung entworfen. Zu fragen ist aber, was seine Verfechter erreichen, wenn sie Kritikern, die mit der städtebaulichen DDR-Vergangenheit argumentieren, entgegenhalten: "Die Kritik der Ex-DDR-Intellektuellen ist eine Sache für sich. Man muss sich nicht unter den Druck setzen, ihr gerecht zu werden." Damit wird ein wichtiges Ziel des Planwerkes, eine "mentale Zusammenführung" der ehemals getrennten Stadtbevölkerung zu unterstützen, konterkariert. Dies gilt umso mehr, als mit dem Planwerk auch nach seiner Verabschiedung durch den Senat im Mai 1999 kein rechtlich verbindliches Instrument (wie der Flächennutzungsplan oder die Bebauungspläne) vorliegt, sondern nach den Worten des zuständigen Stadtentwicklungssenators Peter Strieder nur ein "Abwägungstatbestand, . . . der von den Bezirken berücksichtigt werden (müsse)" . Damit bleiben das Planwerk und seine städtebaulichen Ziele auch weiterhin auf einen möglichst breiten Konsens aller Beteiligten angewiesen.

V. Eine neue Planungskultur?

Die Wiedervereinigung Berlins, die damit verbundene Aufbruchstimmung, aber auch Verunsicherung, führte zumindest in Ansätzen zu einer neuen Planungskultur, zu einer stärkeren öffentlichen Diskussion über die Stadtentwicklung und ihre Ziele. Dem lag die Erkenntnis zugrunde, dass gerade in Zeiten des Umbruchs "Politik und Verwaltung allein nicht genug wissen und vermögen, um die Fragen der Stadtentwicklung . . . zu beantworten" .

Der für den ersten Flächennutzungsplan Gesamtberlins zuständige Stadtentwicklungssenator Volker Hassemer setzte deshalb 1991 mit dem "Stadtforum" ein beratendes Gremium ein, das öffentlich tagte und aus Experten unterschiedlichster Fachrichtungen und Herkunft bestand. Er schreibt, für ihn sei das wichtigste Instrument dieser Planungsvorbereitung zum Flächennutzungsplan das Stadtforum gewesen. "Dort haben wir mit 80 Persönlichkeiten Berlins seit 1991 öffentlich die grundlegenden Themen der Entwicklung diskutiert." Das Stadtforum hat seither mehr als 80 mal zu verschiedensten Themen der Stadtentwicklung getagt und eine breite Medienwirksamkeit erreicht. Dennoch blieb es bis heute ein Instrument der "diskursiven Politikberatung" und der Bürgerinformation, nicht aber der Bürgerbeteiligung. Diese mangelnde Mitwirkung der Bewohner rief schon früh Kritik hervor und führte u. a. zur Gründung des "Stadtforums von unten", dessen Initiatoren größtenteils aus PDS-Kreisen stammten und die mangelnde Berücksichtigung von Experten aus dem ehemaligen Ostteil der Stadt im Stadtforum bemängelten.

Zumindest dem Vorwurf der unzureichenden Bürgerbeteiligung begegneten die für die Stadtentwicklung verantwortlichen Senatsverwaltungen durch die Schaffung zweier weiterer Instrumente der Bürgerinformation und -beteiligung: Drei Säulen einer Bürgerbeteiligung haben sich herauskristallisiert. "Neben dem Stadtforum, das Anforderungsprofile an die Stadt der Zukunft formuliert. . ., thematisiert die Veranstaltungsreihe StadtProjekte sektorale Problemfelder, die zwischen der klassischen Stadtplanung und anderen Disziplinen auftreten. Auf einer fachöffentlichen Ebene werden schließlich (in Planungswerkstätten) konkrete Planungsfragen ,vor Ort' aufgeworfen und bewertet." Darüber hinaus wurde mit dem Quartiersmanagement in Stadtteilen mit "besonderem Entwicklungsbedarf" ein Instrument zur sozialen und räumlichen Aufwertung von Problemgebieten der Stadt geschaffen. Ziel ist es dabei, generell die Partizipation der Bewohnerschaft außerhalb der formellen (und gesetzlich vorgeschriebenen) Bürgerbeteiligung zu stärken. Dem dienen auch verschiedenste Projekte der Lokalen Agenda 21.

Zusammenfassend ist festzuhalten, dass seit der Wiedervereinigung eine Reihe innovativer Instrumente der Bürgerbeteiligung, vor allem aber der Bürgerinformation ins Leben gerufen wurden. In nur wenigen Großstädten dürften - trotz aller Kritik - stadtentwicklungspolitische Themen so viel Raum in der öffentlichen Diskussion einnehmen wie in Berlin. Festgehalten werden muss aber auch, dass dies durchaus am Selbstverständnis so mancher Planer kratzt und Äußerungen einiger Politiker eine gewisse Ambivalenz gegenüber diesen Instrumenten und Methoden erkennen lassen. So schreibt der Senatsbaudirektor Berlins, Hans Stimmann, im Zusammenhang mit dem "Planwerk Innenstadt": "Blickt man auf die zahlreichen Strategien, mit denen europäische Metropolen die Gesamtentwicklung ihrer Stadt im 20. Jahrhundert neu organisierten, so präsentierten sich die Pläne immer nur als Ergebnis von Planarbeit, nicht als Ergebnis eines demokratischen Prozesses . . . Weder Scharouns Kollektivplan noch der Plan für das Kulturforum oder das Märkische Viertel - und erst recht nicht die Pläne für die Stalinallee, den Fischerkiez und Marzahn - sind Ergebnis komplexer demokratischer Beteiligungsprozesse . . . Dies sei allen ins Stammbuch geschrieben, die dem Planwerk besonders an diesem Punkt Defizite nachsagen." Aus solchen Äußerungen mag aber nicht nur Ambivalenz sprechen, sondern auch ein gutes Stück Verletztheit durch die z.T. giftigen Auseinandersetzungen vor allem um das "Planwerk Innenstadt".

Vielleicht steht dahinter aber auch die Erkenntnis, dass Planung immer nur Kompromiss sein kann und sich im Spannungsgefüge unterschiedlichster Interessen vollziehen muss. Dieter Hoffmann-Axthelm ist zuzustimmen, wenn er schreibt: "Eine politische Reaktion müsste die wirklichen politischen Bedingungen in Rechnung stellen, unter denen ein solches Planwerk entsteht . . . unter den wachsamen Augen konkurrierender Verwaltungszuständigkeiten, politischer Gegner und schadenfroher Journalisten . . . Eine solche Verwaltung ist nicht einmal einheitlich, sondern spiegelt die Widersprüche der Wirklichkeit wider . . . Es ist klar, dass dabei vom Planer zahlreiche Zugeständnisse verlangt sind."

Ob bei diesen Zugeständnissen immer die Kompromisse gefunden wurden, die ein soziales und mentales Zusammenwachsen der ehemals getrennten Stadt fördern, darf bezweifelt werden. Auch wenn es politisch nicht korrekt ist, Berlin noch immer als eine mental geteilte Stadt zu sehen, so sprechen die Ergebnisse der Wahl zum Berliner Parlament im Oktober 1999 eine deutlich andere Sprache. Während die PDS im Westteil der Stadt ca. 4 Prozent der Stimmen erlangte, wurde sie in Ostberlin mit annähernd 40 Prozent stärkste Partei vor den bis vor kurzem die Gesamtstadt regierenden Christ- und Sozialdemokraten. "Berlin mag mehr und mehr zusammenkommen - aber jede Wahl zeigt neu, wo die Bruchlinien verlaufen. Dass da eine der ganz großen Aufgaben der Politik liegt, ist unbestreitbar." Stadtentwicklung und Stadtplanung aber sind wichtige, vielleicht die wichtigsten Instrumente kommunaler Politik. Ob sich die Planer der damit verbundenen Verantwortung stellen, wird vor allem die weitere städtebauliche Entwicklung im alten neuen Zentrum Berlins zeigen.  

Internethinweise:  

http://www.luise-berlin.de/index.html

http://www.stadtentwicklung.berlin.de

http://www.ak-berlin.de

http://www.stadtforum-berlin.de/start/index_neu.html

Fussnoten

Fußnoten

  1. Dieser Beitrag basiert auf einer englischsprachigen Veröffentlichung des Autors: The Urban Planning Context in Berlin: a City Twice Unique, in: William J. V. Neill/Hans-Uve Schwedler (Hrsg.), Urban Planning and Cultural Inclusion, Basingstoke-New York 2001 1ƒ1989 hatte Westberlin ca. 2 Millionen und Ostberlin ca. 1,2 Millionen Einwohner. Die beiden Stadthälften nahmen eine Fläche von rund 480 km² bzw. 403 km² ein.

  2. Zitiert nach: Katja Trippel, Der Stadtumbau im historischen Zentrum Berlins. Planungspolitik in der Nachwendezeit, Arbeitsschwerpunkt Hauptstadt Berlin an der Freien Universität Berlin, HSP-papers 4, Berlin 1998, S. 8.

  3. Planwerke vermitteln die mittel- bis langfristigen Perspektiven eines Teilraums. Sie sind Diskussions- und Entscheidungshilfe für die konkrete städtebauliche Gestaltung. Das Planwerk Innenstadt wurde 1996 erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt und 1999 vom Senat als Leitbild für das Zentrum beschlossen.

  4. Das Grundgesetz enthält lediglich Verfahrenshinweise zur Wiedervereinigung, nicht aber zur Hauptstadtfrage. Dennoch gab es - v.Äa. in den fünfziger Jahren - viele politische Bekenntnisse zu Berlin als deutscher Hauptstadt. Erst der Bonn-Vertrag von 1970 verlieh Bonn den Titel "Bundeshauptstadt" und nahm der Stadt das Stigma des Provisoriums. In Berlin entstanden - u.Äa. aufgrund von Beschlüssen der Bundesregierung seit 1949 und der Bundeshilfe (3. überleitungsgesetz 1956) - eine Vielzahl von Bundeseinrichtungen mit dem Ziel, die Stadt auf die Aufgaben der zukünftigen Bundeshauptstadt vorzubereiten.

  5. Zitiert nach: Hartmut Häussermann/Rainer Neef (Hrsg.), Stadtentwicklung in Ostdeutschland. Soziale und räumliche Tendenzen, Opladen 1996, S. 79.

  6. Es ist eine 23-köpfige, international besetzte Experten"kommission aus Stadtplanern, Architekten, Kunsthistorikern und Wirtschaftsexperten eingesetzt worden. Sie soll bis Ende 2001 Empfehlungen zur Gestaltung des Schlossplatzes und seiner Umgebung erarbeiten.

  7. Vgl. Simone Hain, Struggle for the Inner City - a Plan Becomes a Declaration of War, in: William J. V. Neill/Hanns-Uve Schwedler (Hrsg.), Urban Planning and Cultural Inclusion, Basingstoke - New York 2001, S. 69-84.

  8. In diese Phase fällt auch die nach historischen Vorbildern vollzogene Wiedererrichtung des Nikolaiviertels an der Stelle des historischen Stadtkerns von Berlin.

  9. Zitiert nach: Harald Bodenschatz, Berlin auf der Suche nach dem verlorenen Zentrum, Hamburg 1995, S. 152.

  10. K. Trippel (Anm. 2), S. 10Äff.

  11. Vgl. ebd., S. 41Äff.

  12. Die Methode der "Kritischen Rekonstruktion", auf die Berliner Internationale Bauausstellung in den 80er Jahren zurückgehend, versucht durch Beibehaltung oder Wiedergewinnung traditioneller Stadtgrundrisse, Straßenführungen und -fluchten neue städtebauliche Vorhaben zu leiten.

  13. Anmerkung der Redaktion: Siehe hierzu den Beitrag von Günter Schlusche in diesem Heft.

  14. Vgl. Ullrich Pfeiffer, Berlin vor dem Boom?, in: Bauwelt, 36 (1990), S. 1840-1843. Die Realität sieht allerdings anders aus: heute weist die Stadt einen Nettoverlust von jährlich rund 30 000 Einwohnern auf.

  15. Vgl. Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Umweltschutz und Technologie, Flächennutzungsplan (FNP) Berlin. Erläuterungsbericht, Berlin 1994, S. 133.

  16. Vgl. Werner Süß (Hrsg.), Hauptstadt Berlin, Bd. 2: Berlin im vereinten Deutschland, Berlin 1995, S. 441-461.

  17. Vgl. K. Trippel (Anm. 2), S. 34; vgl. auch Senats"ver"waltung für Stadtentwicklung, Umweltschutz und Technologie (Hrsg.), Stadtforum 65 - Europäische Stadt - Auslaufmodell oder Entwicklungspotenzial?, Berlin 1997.

  18. Peter Strieder, Welche Stadt wollen wir? Das Planwerk als Wegweiser jenseits der Architekturmoden, in: Stadtforum vom 29. April 1998, S. 7Äf.

  19. Hans Stimmann, Was nützt uns die Geschichte? Der his"torische Stadtgrundriss als Ressource für die Zukunft, in: Stadtforum vom 29. April 1998, S. 10Äf.

  20. Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Umweltschutz und Technologie (Hrsg.), Planwerk Innenstadt Berlin. Ein erster Entwurf, Berlin 1997, S. 82.

  21. Klaus Hartung, Berliner Ungleichzeitigkeiten, in: Kommune, (1997) 4, S. 6Äf.

  22. Dieter Hoffmann-Axthelm, Das Berliner Planwerk Innenstadt und seine Kritiker, in: Kommune, (1997) 12, S. 6-11.

  23. Zitiert nach: Eva Schweitzer, Engere Straßen, mehr Häuser, weniger Tunnels, in: Der Tagesspiegel vom 18. April 1999.

  24. So der in der ersten Hälfte der neunziger Jahre amtierende Stadtentwicklungssenator Volker Hassemer. Zitiert nach: Helga Fassbinder, Stadtforum Berlin. Einübung in Kooperative Planung, in: Harburger Berichte zur Stadtplanung, Bd. 8, Hamburg 1997.

  25. Volker Hassemer, Strategic planning and development programme of Berlin, in: European Academy of the Urban Environment (Hrsg.), Strategies of Development for Central European Metropolises, Berlin 1993, S. 19.

  26. Das "Planwerk Innenstadt" beispielsweise war dreimal dezidiertes Thema des Stadtforums.

  27. Philipp Meuser, Wie demokratisch ist das Planwerk? Die Form der Stadt als soziale Angelegenheit, in: Stadtforum vom 29. April 1998, S. 34f; vgl. auch Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, Umweltschutz und Technologie, Planwerk Innenstadt Berlin. Ergebnis, Prozess, Sektorale Planung und Werkstätten, Berlin 1999, S. 28Äff.

  28. H. Stimmann (Anm. 19), S. 11.

  29. D. Hoffmann-Axthelm (Anm. 22) S. 7.

  30. Der Tagesspiegel vom 11. Oktober 1999. An den unterschiedlichen politischen Prioritäten der Berliner hat sich auch nach der Auflösung der großen Koalition im Juni 2001 nichts geändert. Vgl. Der Tagesspiegel vom 22. Juni 2001.

Dr. rer. nat., geb. 1951; Geschäftsführender Leiter der European Academy (EA) of the Urban Environment (UE), Berlin.

Anschrift: EA.UE, Bismarckallee 46-48, 14193 Berlin.
E-Mail: husch@eaue.de

Veröffentlichung u. a.: (Hrsg. zus. mit William J. V. Neill) Urban Planning and Cultural Inclusion. Lessons from Belfast and Berlin, Basingstoke - New York 2001.