Einleitung
Ein gutes Jahrzehnt nach dem elementaren Einschnitt, den der Fall der Mauer und die Wiedervereinigung bedeuten, ist der Umzug von Parlament und Regierung von Bonn nach Berlin im Wesentlichen abgeschlossen. Die bauliche und funktionale Realisierung dieses im internationalen Maßstab ungewöhnlichen und nur schwer vergleichbaren Ereignisses hat doppelt so lang gedauert wie vom Deutschen Bundestag 1991 vorgegeben. Im Rahmen der städtebaulichen Entwicklung Berlins ist dies ein verhältnismäßig kurzer Zeitraum, der allerdings in eine äußerst dynamische Phase fiel und die Restrukturierung der Stadt um eine entscheidende Dimension bereichert hat.
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I. Berlin ist viele Hauptstädte
"Berlin ist viele Städte" - so lautet ein Ausspruch des verstorbenen Berliner Architekten Werner Düttmann. "Berlin ist viele Hauptstädte" - so könnte man diesen Satz abwandeln und auf die hauptstädtischen Standorte beziehen, die in den letzten 200 Jahren unter den verschiedenen Staatsformen in Berlin gebaut wurden: die Staatsbauten der gerade untergegangenen DDR, die Bauten des Nationalsozialismus, der Weimarer Republik, des Kaiserreichs und schließlich Preußens. Schon 1990, also ein knappes Jahr vor dem Hauptstadtbeschluss des Deutschen Bundestages, legte Berlin ein Kompendium der vorhandenen Liegenschaften vor, dem zweierlei zu entnehmen war
Innerhalb des Bereichs der Alten Mitte kristallisierten sich sehr bald drei Schwerpunkte heraus: der Bereich zwischen Spreebogen, Reichstagsgebäude und Luisenstraße, also die westliche Dorotheenstadt und das ehemalige Alsenviertel, der Bereich zwischen Wilhelmstraße und Gendarmenmarkt, also die Friedrichstadt, sowie der Bereich zwischen Schlossplatz und Molkenmarkt, also Teile Alt-Berlins und Alt-Cöllns. Heute sind - mit einigen wenigen Ausnahmen - alle vom Bund genutzten Bauten des Bundes in diesen drei Bereichen zu finden. Allerdings hat die Planungsphase der Jahre von 1992 bis 1996 zu einigen wichtigen Verschiebungen geführt, von denen noch die Rede sein wird.
II. Schwerpunkt Spreebogen
Die wenigsten Fragen stellten sich bei der Wahl des Spreebogens als Regierungsbereich - hier lieferte die Existenz des Reichstagsgebäudes eine eindeutige Vorgabe, zudem war die Verfügbarkeit großer angrenzender Flächen im Bundesbesitz gegeben. Dennoch - die im Oktober 1991 vom Ältestenrat des Deutschen Bundestages getroffene Entscheidung, das Reichstagsgebäude zum Sitz des Parlaments zu machen, war nicht so selbstverständlich, wie es im Nachhinein scheinen mag.
Vom zentralen Bereich zum Spreebogen
Für die ab 1992 zu treffenden Standortentscheidungen hatte das Reichstagsvotum weit reichende Konsequenzen, denn dadurch wurden Spreebogen und Dorotheenstadt zum bevorzugten Standort für den Bundestag und das Bundeskanzleramt. Im März 1992 wurde mit den entsprechenden Vorgaben der internationale städtebauliche Wettbewerb Spreebogen ausgelobt - in enger Verzahnung mit dem Architekturwettbewerb zum Umbau des Reichstagsgebäudes als Haus des Deutschen Bundestags.
Das Band des Bundes
Der Spreebogen-Wettbewerb wurde im Februar 1993 von den Berliner Architekten Axel Schultes und Charlotte Frank gewonnen, die schon in die Planungsverfahren zum "Zentralen Bereich" involviert waren. Ihr Entwurf überzeugte das Preisgericht mit der äußerst kraftvollen Idee einer linearen städtebaulichen Struktur, welche die Spree an zwei Stellen überspannt und Exekutive wie Legislative, also durchaus heterogene Elemente, in einer Konfiguration gegenüberstellte.
Den beiden Architekten gelang es 1995 schließlich auch, den architektonischen Wettbewerb für das im Westen des Bandes platzierte Bundeskanzleramt zu gewinnen - eine keineswegs selbstverständliche Entscheidung, die der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl erst nach halbjähriger Bedenkzeit traf. Den Wettbewerb für den Umbau des Reichstags gewann der britische Architekt Sir Norman Foster, allerdings nach einer langwierigen Überarbeitungsphase, in deren Verlauf Foster seinen ursprünglichen Entwurf auf massiv vorgetragene Wünsche des Auftraggebers hin radikal veränderte und schließlich die Idee der Kuppel verwirklichte. Der Wettbewerb für das östliche Glied des Bandes, den Bereich, in dem die Parlamentsgebäude entstehen sollten, wurde von dem Münchener Architekten Stephan Branfels gewonnen, der nach einer Entscheidung der Auftraggeber auch zum Architekten für die Fortsetzung des Bandes zwischen Spree und Luisenstraße wurde.
Band des Bundes ohne Forum?
Während die "harten" Elemente des Bandes, also das Kanzleramt und die Parlamentsbauten, praktisch fertig gestellt sind, ist das Kernstück des Schultes-Frank-Entwurfs, das Forum des Bundes, bis heute eine Idee geblieben. Weder die alte noch die neue Bundesregierung oder der Bundestag haben der in keinem Programm vorgegebenen, aber gleichwohl sinnfälligen Idee von Schultes und Frank, hier ein Forum für den Austausch zwischen gesellschaftlicher Öffentlichkeit und parlamentarisch-politischem Leben zu konzipieren, etwas abgewinnen können. Vielleicht sind die Entwicklungsaufgaben der Stadt an anderen Stellen - etwa auf der Spreeinsel - wirklich drängender, sodass es kein Unglück sein muss, wenn dieser Bereich erst in zehn oder fünfzehn Jahren weitergedacht wird. Das Gelände wird nun - wie es offiziell heißt - "provisorisch begrünt". Die für das Forum und den Platz der Republik vorgelegten Planungen der Landschaftsarchitekten Jan Wehberg und Cornelia Müller versprechen allerdings alles andere als ein schlechter Kompromiss zu werden. Mit durchaus hohen Erwartungen kann nach Abschluss der Tiefbauarbeiten im Spreebogen nun der Fertigstellung der großen Landschaftsräume entgegengesehen werden. Der vom Reichstagsgebäude bis zum Haus der Kulturen der Welt reichende Platz der Republik bietet ein Wechselspiel zwischen offenen Wiesen- bzw. Heckenbereichen und großzügigen Baumlandschaften. Die Fläche des Forums zwischen Kanzleramt und Paul-Löbe-Haus wird durch Wasserspiele und Natursteinfelder hervorgehoben, während die durch Bäume gestalteten Randbereiche die Spur des Bundesbands wahren. Nördlich davon öffnet sich der große, durch die Schweizer Landschaftsarchitekten Weber und Saurer gestaltete Freiraum des Spreeparks fächerförmig zur Spree. Durch die im Scheitelpunkt der Uferzone aufgestellte Skulptur "Niemandsland" von Olaf Metzel erhält dieser öffentliche Stadtraum eine außergewöhnliche Akzentuierung, die schon im Vorfeld für Diskussionsstoff gesorgt hat und möglicherweise mehr Wirkung entfalten wird als die Skulptur "Berlin" des spanischen Bildhauers Eduardo Chillida im Ehrenhof des Kanzleramts.
Mit seiner Fertigstellung im Mai 2001 ist das Kanzleramt zum Gegenstand einer kontroversen architektonischen Debatte geworden, die in einer Reihe von Argumenten jedoch auf das nun zu Tage getretene städtebauliche Dilemma abzielt.
Der Städtebau des Spreebogens
Ein gravierenderes Monitum ist die fehlende städtebauliche Einbindung der Teile des Bandes nach Norden hin. Schultes und Frank sind in ihren Entwürfen immer davon ausgegangen, dass am Moabiter Nordufer der Spree ein kompaktes Stadtquartier um einen großvolumigen neuen Lehrter Fernbahnhof entstehen wird. Dies war die bereits 1992 verkündete feste Absicht der Deutschen Bahn, die von der Stadt trotz gewisser Bedenken mitgetragen wurde. Zur Verwirklichung dieser Planung wird es auf absehbare Zeit nicht kommen. Seit 1994 baut die Bahn an dem unterirdischen Tunnelbauwerk der Nord-Süd-Bahntrasse, die nicht nur die Spree, sondern auch den Tiergarten, den Potsdamer Platz und den Landwehrkanal unterqueren wird. Die Fertigstellung des Groß-Bahnhofs am Kreuzungspunkt mit der oberirdischen Ost-West-Trasse der Stadtbahn wird sich, wenn er denn in der geplanten Konzeption mit zwei den Gleiskörper überspannenden "Bürobügeln" realisiert werden sollte, mindestens bis 2006 verzögern. Noch ungewisser ist die Lage bei dem umgebenden Quartier von Büro- und Wohnbauten, für das die Flaute auf dem Berliner Büroflächenmarkt keine gute Voraussetzung ist. Aus gesamtstädtischer Sicht mag das kein Manko sein, aus der Perspektive der städtischen Integration des Bandes des Bundes hingegen schon. Denn das bedeutet, dass das Band am Nordufer des Spreebogens auf eine große Stadtbrache stoßen und dass die Einbindung der nördlich angrenzenden Quartiere von Moabit bis auf weiteres nicht gelingen wird. Die Operation "Parlaments- und Regierungsbauten im Spreebogen" ist weit mehr als der Standortnachweis zweier wichtiger Hauptstadtfunktionen, sie ist vielmehr ein städtebauliches Großprojekt mit komplexen planerischen und infrastrukturellen Ansprüchen, deren Umsetzung jenseits der noch steuerbaren Entwicklungszeiträume liegt.
Der Hinweis auf ein ähnliches Großvorhaben am südlichen Rand des Tiergartens, das eine wahre planerische Odyssee hinter sich gebracht hat, erscheint tröstlich: das von dem Architekten Hans Scharoun konzipierte Kulturforum. Auch hier hat sich das Urbanitätsversprechen, das bei Baubeginn gegeben wurde, erst nach 40 Jahren einlösen lassen, allerdings auf Umwegen und auch nur dadurch, dass mit dem Potsdamer Platz unverhofft ein weiteres Großprojekt hinzutrat. Der bis heute von Scharouns Meisterwerk, der Philharmonie, ausgehenden Ausstrahlung haben diese Wirrungen übrigens keinerlei Abbruch getan.
Im Osten des Reichstagsgebäudes werden nun die Baumassen sichtbar, die sich nördlich und südlich der Dorotheenstraße sowie der Luisenstraße angesammelt haben.
Hinzu kommt ein weit verzweigtes, die Spree unterquerendes Tunnelsystem für die gesamte Ver- und Entsorgung dieser "Stadt in der Stadt". Es ist zu befürchten, dass diese Baumassen das Reichstagsgebäude wie ein Cordon administratif von der östlich angrenzenden Stadt abschirmen. Der Berliner Senat hatte schon Recht, als er angesichts dieser Planungen vor der Gefahr einer funktionalen Verödung der Dorotheenstadt warnte und alles in Bewegung setzte, um eine Vereinnahmung des Pariser Platzes durch die Verwaltungsbauten des Bundestages zu verhindern.
III. Der Bund in der Alten Mitte
Nur wenige hundert Meter weiter südlich der Linden ist in den Blöcken der Friedrichstadt zwischen Wilhelmstraße und Markgrafenstraße zu sehen, welche positive Wirkung die in die vorhandene Baustruktur eingeflochtenen Standorte verschiedener Bundesministerien haben. Die Bauten des Bundesministeriums für Justiz, des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend, des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung oder das heute vom Bundesrat genutzte ehemalige Preußische Herrenhaus knüpfen z. T. an über hundertjährige Nutzungstraditionen an und sind gleichzeitig Beleg für eine lebendige denkmalgerechte Umnutzungskultur.
IV. Umgang mit der Geschichte
Eine Besonderheit stellt das Bundesministerium der Finanzen dar, das wie auch der Altbauteil des Auswärtigen Amtes und des Bundesministeriums für Arbeit und Sozialordnung in der Zeit des Nationalsozialismus entstanden ist. Beim Bau des Finanzministeriums handelt es sich um das ehemalige Reichsluftfahrtministerium, beim Altbau des Auswärtigen Amts um die ehemalige Reichsbank und beim Bundesarbeitsministerium um das frühere Haus des Reichsministeriums für Volksaufklärung und Propaganda. Bei diesen Häusern sind architektonischer und städtebaulicher Gestus untrennbar mit dem politisch-historischen Stellenwert vermischt. Sie verkörpern in ihrer formalen Ausprägung den Herrschaftswillen des Nationalsozialismus und machen den chimärenhaften Charakter der nationalsozialistischen Architektur deutlich. Zur Klarstellung sei hier gesagt, dass die Entscheidung des Bundes, diese Gebäude nicht abzureißen, sondern wieder zu nutzen, keinesfalls zur Disposition gestellt werden soll. Aber es muss darauf hingewiesen werden dürfen, dass die Nachnutzung dieser Bauten durch demokratisch legitimierte Institutionen sich nach außen hin als ungebrochenes Kontinuum darstellt.
V. Schwerpunkt Spreeinsel
Der Bereich zwischen Schlossplatz und Molkenmarkt hat im Lauf der sechsjährigen Planungsphase die einschneidendsten Änderungen erfahren müssen. Bis 1994 ging der Bund noch davon aus, hier mindestens drei Ministerien unterzubringen. In dem 1993 für den Bereich der Spreeinsel, also das Gebiet um den Schlossplatz, ausgelobten städtebaulichen Wettbewerb war das Auswärtige Amt, das Bundesinnenministerium sowie ein Bundeskonferenzzentrum vorgesehen.
Diese Pläne offenbarten tiefe Meinungsverschiedenheiten zwischen dem Bund und Berlin und stießen auch in der Fachöffentlichkeit auf erheblichen Widerspruch.
VI. Das Altbaukonzept von Klaus Töpfer
Die Wende kam mit dem seit Ende 1994 amtierenden Bundesbauminister Klaus Töpfer, der allen Abriss- und Neubauplänen für Bauten des Bundes eine klare Absage erteilte. Sein 1995 vorgelegtes Standortkonzept vollzog den Schwenk zu einem bestandsorientierten Vorgehen, das Gebäude aus allen Zeitschichten, auch der DDR-Ära, einschloss. Dieses Konzept konnte nicht nur das schlagende Argument der geringeren Kosten aufweisen, es führte auch aus dem immer belastender gewordenen Perfektheitsanspruch an den Berlin-Umzug heraus, hinter dem sich die unvermindert tätigen Berlin-Gegner in den Verwaltungen verbargen. Zudem setzte es ungeahnte Potenzen für die städtebauliche Aktivierung der im Zentrum vorhandenen Altbauten frei und ermöglichte eine differenzierte denkmalpflegerische Auseinandersetzung mit dem Bestand.
Für den Bereich zwischen Schlossplatz und Molkenmarkt hatte dies doppelte Konsequenzen. Die Abrisspläne für das Staatsratsgebäude und die ehemalige Reichsbank wurden endgültig aufgegeben, langfristig jedoch hat der Bereich für die Regierungsfunktionen des Bundes rapide an Bedeutung verloren. Daran änderte auch die vorübergehende Unterbringung des Kanzleramts im Staatsratsgebäude bis zum April diesen Jahres nichts. Der Bund wird in diesem Bereich in Zukunft nur durch das westlich der Spreeinsel gelegene Auswärtige Amt vertreten sein - dies allerdings auf höchst eindrucksvolle Weise. Der strenge, sich leicht der Spreebiegung anpassende Altbau der Reichsbank, der zu DDR-Zeiten Sitz des Zentralkomitees der SED war, hat durch den neuen Kopfbau der Architekten Müller und Reimann eine moderne, innerstädtisch sehr angemessene Neuinterpretation erfahren. Das wohlproportionierte Wechselspiel von Glasfassaden, Natursteinflächen und Innenhöfen stellt einen angenehmen Kontrast zur schier endlosen Reihung der Fensterachsen des Altbaus dar. Vom nördlichen Lichthof des Neubaus, der für Ausstellungen und Veranstaltungen öffentlich zugänglich ist und ein kleines Café beherbergt, öffnet sich der Blick auf den halbwegs wiederhergestellten Stadtraum um den Werderschen Markt.
VII. Die Zukunft des Schlossplatzes
Zugleich fällt das Auge auf die Leerstelle des Schlossplatzes und den Palast der Republik, der nach Abschluss der Asbestentfernung vollständig skelettiert sein wird. Die Tatsache, dass sich hier nun keine Büroflächen des Bundes ausbreiten werden, sollte nicht als Hiobsbotschaft, sondern als gute Nachricht begriffen werden. Die geschichtliche Bedeutung dieses Platzes verlangt nicht nach einer doch eher flachen und für die Öffentlichkeit unergiebigen Nutzung durch eine Ministerialverwaltung. Das Nutzungsprogramm für diesen Ort müsste internationale Dimensionen haben, etwa in Gestalt einer ost- und westeuropäische Werte integrierenden Institution. Und schließlich sollte dieser Ort der Gesellschaft gehören, wie es schon vor acht Jahren der Philosoph Peter Sloterdijk mit den Worten von einem "geistig-kulturellen Gesellschaftsobservatorium des 21. Jahrhunderts"
VIII. Der Bereich Invalidenstraße
Es wäre ungerecht, an dieser Stelle über zwei Standorte von Bundesministerien hinwegzugehen, die zwar außerhalb des bisher behandelten Bereichs der Alten Mitte stehen, die aber dennoch Beachtliches für die Stadt leisten. Es handelt sich um die Standorte des Bundesministeriums für Verkehr, Bau und Wohnungswesen und des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie an der Invalidenstraße. Diese Straße am nördlichen Rand der Friedrich-Wilhelm-Stadt ist durch großgeschnittene Altbausolitäre und durch ein für Berlins Mitte untypisches Wechselspiel von Freiräumen und Baukörpern geprägt. Die Nutzung von zwei dieser Altbaukomplexe durch die Ministerien war nicht möglich ohne zusätzliche Neubauten. Beim Bauministerium ist es der Altbau der ehemaligen Preußischen Geologischen Landesanstalt, der durch den nördlichen und annähernd gleich dimensionierten Neubau des Architekten Max Dudler eine reizvolle Doppelung erfahren hat. Der westlich gegenüberliegende Altbaukomplex des Bundeswirtschaftsministeriums ist ein Mixtum compositum von außerordentlichem denkmalgeschichtlichem Wert, dessen älteste Teile aus dem 18. Jahrhundert stammen, aber durch Krieg und durch die Grenzlage direkt neben der Mauer stark in Mitleidenschaft gezogen wurden. Umso höher einzuschätzen ist der denkmalgerechte Wiederaufbau des Komplexes und die Ergänzung der zerstörten Teile durch Neubauten, die zwar in architektonischer Hinsicht nicht hervorstechen, aber bemerkenswerte ökologische Ansprüche realisieren. Aus städtischer Sicht ist es besonders wichtig, dass die bauliche Wiederherstellung dieser beiden Altbaukomplexe einherging mit der Rückgewinnung und Neugestaltung des zwischen ihnen liegenden Invalidenparks. Es bleibt zu hoffen, dass diese gelungene Umsetzung dem Prozess der Rückgewinnung dieses ramponierten Quartiers nachhaltigen Schub verleihen wird.
IX. Das Denkmal für die ermordeten Juden Europas
Zur Präsenz des Bundes in Berlin gehört auch die von ihm mitgetragene und sehr differenzierte Gedenkstätten- und Erinnerungslandschaft. Damit ist insbesondere die Erinnerung an die Verbrechen des Nationalsozialismus gemeint, die zum Kern des staatlichen Selbstverständnisses der Bundesrepublik gehört. In Berlin wird sich dies nicht nur in Form von verbalen Bekenntnissen, Feierstunden und Kofinanzierungen, sondern vor allem in Gestalt des Denkmals für die ermordeten Juden Europas darstellen. Die 1999 getroffene Entscheidung des Deutschen Bundestages für dieses Denkmal kann in gewisser Hinsicht als Pendant zu seinem Berlin-Beschluss von 1991 gesehen werden. Denn damit wird deutlich, dass der Bund in Berlin keinen Neuanfang macht, sondern sich sehr bewusst zu seiner historischen Verantwortung und zur Kontinuität der deutschen Geschichte bekennt.
X. Fazit
Gemessen an den Erwartungen, die in den ersten Jahren an den Umzug des Bundes nach Berlin geknüpft waren, hat seine Präsenz in Berlin weniger bewirkt als angenommen. Die auch von Seiten der privaten Wirtschaft gehegten Hoffnungen, dass sich im Sog des Bundes die ökonomische und demographische Situation der Stadt grundlegend bessern würde, haben getrogen. Ebenso falsch waren die Projektionen eines neuen Zentralismus oder einer Wiederbelebung alter preußischer Zustände. Gerade die städtebauliche Physiognomie des Bundes in Berlin macht deutlich: Berlin organisiert sich als Hauptstadt eines so vorher nie dagewesenen föderalen Staatswesens mit europäischer Perspektive. Diese Restrukturierung wird durch Aneignung und Kultivierung der vorhandenen Räume und Bauten vollzogen. Das Band des Bundes im Spreebogen bleibt die einzige städtebauliche Großintervention des Bundes, deren Vollendung jedoch mehr Zeit braucht und die ohne Einbeziehung anderer Entwicklungskräfte ihre städtischen Qualitäten nicht wird entfalten können. In der Alten Mitte trägt die Präsenz des Bundes zur Stadtwerdung bei, füllt potenzielle Leerstellen aus und verbessert die Lesbarkeit der historischen Entwicklung. Schließlich leistet das Hinzutreten des Bundes auch für die Gesamtstadt etwas Großartiges: Durch die Stärkung seiner Ränder wird der Tiergarten zur grünen Mitte der Stadt.
Die Quintessenz des städtebaulichen Wirkens des Bundes in der Stadt könnte lauten: weiterbauen. Denn der Bund gebärdet sich nicht als exterritoriale Kraft, sondern begibt sich in das Kontinuum der Stadtgeschichte mit all ihren Brüchen. Mit dem jetzigen Stadium sind die städtischen Wirkungskräfte des Bundes im Übrigen keinesfalls ausgeschöpft - das zeigt die noch bevorstehende Urbanisierung des Spreebogens und der Dorotheenstadt. Der Bund sollte sich auch weiterhin dem Anspruch stellen, Öffentlichkeit zuzulassen und die öffentlichen Räume zu stärken - in und zwischen seinen Häusern sowie entlang der Ufer und Parks. Mit der Verlagerung der zurzeit noch in Bonn befindlichen Ministerien zeichnet sich zudem ein weiteres Pensum für die Stadt und den Bund ab. Es wäre schön, wenn der Bund sich hier - wie bisher - als Partner der Stadt und der städtischen Öffentlichkeit präsentieren und die hauptstädtische Entwicklung Berlins als einen Prozess begreifen würde, dessen Ende nicht in Sicht ist, auch wenn die Gerüste gefallen sein mögen.