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Das Bundesverfassungs-Gericht im europäischen und internationalen Umfeld

Rainer Wahl

/ 29 Minuten zu lesen

Im September 2001 blickt das Bundesverfassungsgericht auf eine 50jährige Erfolgsgeschichte zurück. Im internationalen Vergleich gesehen, gehört das Bundesverfassungsgericht zum österreichisch-deutschen Typus der Verfassungsgerichtsbarkeit.

I. Die Expansion der Verfassungsgerichtsbarkeit

Das 20. Jahrhundert hat in seiner zweiten Hälfte einen 1945 nicht vorhergesehenen globalen Siegeszug der Verfassungsgerichtsbarkeit erlebt. Das Bundesverfassungsgericht, im Grundgesetz des Jahres 1949 vorgesehen und 1951 errichtet, ist ein Teil dieses Prozesses und in bedeutendem Maße auch Impulsgeber dieser Entwicklung.

Vor 1945 hat es nur in vier Ländern eine Verfassungsgerichtsbarkeit unterschiedlichen Umfangs gegeben, so im klassischen Pionier- und Mutterland der Verfassungsgerichtsbarkeit, in den USA, in der Schweiz, in Österreich und in Irland. Erst nach 1945 beginnt die bis zur unmittelbaren Gegenwart andauernde Expansion der Verfassungsgerichtsbarkeit. Den Anfang machten Staaten mit Diktaturerfahrungen in der ersten Hälfte des Jahrhunderts wie Italien (1948/1956) und die Bundesrepublik Deutschland (1949/1951). Diesem Muster folgten in den siebziger Jahren Spanien, Portugal und Griechenland nach ihrem Systemwechsel zur Demokratie und nach 1989 die "Transformationsstaaten" in Ost- und Südosteuropa. Längst aber hatte sich die Verfassungsgerichtsbarkeit als adäquater Ausdruck und Schlussstein des Verfassungsstaats so überzeugend be-währt, dass die Institution auch ohne Systemwechsel zum Normalbestandteil einer gewaltenbalancierenden Verfassung wurde, so in Belgien (1984), länger schon in den skandinavische Staaten, und verbreitet auch außerhalb Europas z. B. in den Commonwealth-Ländern (Australien, Canada, Indien), in Lateinamerika, in Afrika und Ostasien. Ganz fehlt eine Verfassungsgerichtsbarkeit z. B. in den Niederlanden.

Als neue Institution des deutschen Staatslebens hat das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) rasch den normativen Mantel des Grundgesetzes und des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes wirkungsvoll ausgefüllt, sich seinen Platz als oberster verbindlicher Interpret des Verfassungsrechts und der Verfassung gesichert und vor allem grundsätzliche Anerkennung gefunden.

Das Wort vom Gang nach Karlsruhe ist in Deutschland so sprichwörtlich geworden wie der Satz, dass Karlsruhe entschieden hat. Zu Recht hat vor zwei Jahren anlässlich des fünfzigjährigen Jubiläums des Grundgesetzes einer der besten ausländischen Kenner des deutschen Verfassungsrechts, der Franzose Michel Fromont, den Satz geprägt: "Das Bundesverfassungsgericht ist die einzige völlige Neuschöpfung des Grundgesetzes. Es ist auch die auf der ganzen Welt wohl bekannteste deutsche Einrichtung."

In der Tat bedeutete die Einführung einer umfassenden, eigenständigen Verfassungsgerichtsbarkeit einen qualitativen Entwicklungsschub für das deutsche Staatsrecht. Das Bundesverfassungsgericht und seine Rechtsprechung haben wiederholt als Vorbild gewirkt, wie überhaupt ein beträchtlicher Einfluss des deutschen Verfassungsrechts in Spanien, Portugal, Südkorea und Südafrika zu verzeichnen ist. Ähnlich verhält es sich in den südosteuropäischen und osteuropäischen Staaten und ihren neuen Verfassungsgerichtsbarkeiten. Neben dem Supreme Court zählt das Bundesverfassungsgericht zu den Verfassungsgerichten mit der größten Ausstrahlung auf andere Gerichte.

II. Überblick über die Verfassungsgerichte der Welt

1. Die Typen der Verfassungsgerichtsbarkeit

Für einen ersten Überblick über die weite Landschaft der Verfassungsgerichte in der Welt empfiehlt sich die vielfach verwendete und schon klassisch gewordene Einteilung von zwei Typen der Verfassungsgerichtsbarkeit. Der eine Typ ist das amerikanische, erstmals beim Supreme Court (S. C.) ausgebildete Modell, bei dem Verfassungsgerichtsbarkeit als Funktion, nicht als eigene Institution erscheint und sie deshalb vom obersten Gericht wahrgenommen wird. Der S. C. vereinigt die Funktionen des obersten Gerichts im normalen Instanzenzug mit der Funktion der Verfassungsgerichtsbarkeit in einem einheitlichen Gericht (Einheitsmodell). Zu diesem Typ gehören die meisten Staaten des Commonwealth wie Australien, Neuseeland, Canada, Indien auch Irland, die Schweiz und die skandinavischen Staaten sowie die Mehrzahl der südamerikanischen Länder. Demgegenüber hat erstmals der Verfassungsgerichtshof in Österreich und dann das BVerfG den Typ des eigenständigen und damit institutionell verselbstständigten Gerichts verwirklicht (österreichisch-deutsches Modell). In Europa hat in den letzten Jahren eindeutig dieses Trennungsmodell die Oberhand gewonnen. Dies mag auch damit zusammenhängen, dass im Einheitsmodell die Gerichte zum Teil deutlich geringere Kompetenzen haben, in neuerer Zeit aber kompetenzstarke Verfassungsgerichtsbarkeiten begründet werden sollen. Zu diesem Typ gehören etwa Belgien, Frankreich, Griechenland, Italien, Liechtenstein, Spanien, Polen, Portugal, Türkei, Ungarn, Tschechien und Russland.

2. Die typusprägenden Merkmale der deutschen Verfassungsgerichtsbarkeit

Will man die Position des deutschen Bundesverfassungsgerichts in der weltweiten Landschaft der Verfassungsgerichte verorten, dann empfiehlt es sich zunächst die typusprägenden Merkmale aufzulisten.

1. An erster Stelle ist die institutionelle Selbstständigkeit des Bundesverfassungsgerichts neben - oder richtiger - über den obersten Fachgerichten zu nennen.

2. Wegen seiner institutionellen Verselbstständigung ist das Bundesverfassungsgericht aus dem Zusammenhang der Gerichtsbarkeiten in einem Maße herausgehoben und in eine Sonderrolle hineingestellt, dass eine Qualifikation als Verfassungsorgan erwägenswert wird, wie sie in § 1 BVerfGG - unter dem Beifall der Lehre - zum Ausdruck gebracht wird. Diese im internationalen Vergleich wohl wenige Parallelen findende Formel stellt das Gericht in eine dezidierte Nähe zu den politischen Verfassungsorganen. Sie ist deshalb problematischer, als es die ständige affirmative Zitierung vermuten lassen könnte.

3. Das Bundesverfassungsgericht hat sehr weite - man ist geneigt zu sagen, die denkbar weitesten - Zuständigkeiten; es hat eine international gesehen einzigartige Kompetenzfülle. Das BVerfG hat alle Zuständigkeiten der traditionell diskutierten (aber vorher selten verwirklichten) Staats-Gerichtsbarkeit als Entscheidung über Streitigkeiten zwischen den obersten Staatsorganen und zusätzlich mit der Verfassungsbeschwerde die breitflächige Kontrolle über das Staatshandeln gegenüber dem Bürger. Diese Kombination konstituiert das BVerfG als umfassendes Verfassungsgericht. Die Kurzcharakteristik der wichtigsten Verfahrensarten belegt dies:

-  Der Organstreit ist eine Verfahrensart, die tief in die spezifischen politischen Konflikte zwischen den obersten Organen hineinführt. Er ist insoweit die "politischste Verfahrensart". Auslöser eines Verfahrens können der Bundestag, Bundesrat, Bundespräsident, Parteien, Fraktionen und einzelne Abgeordnete sein.

-  Der Bund-Länder-Streit macht das Bundesstaatsverhältnis der gerichtlichen Entscheidung zugänglich. Er hat in den fünfziger Jahren Schrittmacherdienste für die Etablierung der Verfassungsgerichtsbarkeit geleistet.

-  Mit der Zuständigkeit für (abstrakte und konkrete) Normenkontrollen zur Überprüfung der Verfasssungsmäßigkeit hat das BVerfG eine Zuständigkeit, die zum Kern der Verfassungsgerichtsbarkeit gehört. Gleichwohl ist sie schwierig, weil sie das Gericht unmittelbar mit dem Gesetzgeber konfrontiert und das vom Parlament, dem demokratischen Hauptorgan, beschlossene Gesetz zum einzigen Entscheidungsgegenstand macht.

-  Die Verfassungsbeschwerde ist eine in ho-hem Maße bürgerbezogene Verfahrensart: Jedermann kann sich mit der Behauptung, durch die öffentliche Gewalt in seinen Grundrechten verletzt zu sein, nach Erschöpfung des Rechtswegs an das BVerfG wenden. In der Regel richtet sich die Beschwerde gegen das letztinstanzliche Gerichtsurteil (sog. Urteilsverfassungsbeschwerde). In dieser Gestalt erreicht sie Zahlen von 4 500-5 000 Beschwerden pro Jahr. In diesen großen Zahlen und der Einschlägigkeit für nahezu alle Gebiete des Rechts führt die Verfassungsbeschwerde zur Veralltäglichung und der Verfassungsgerichtsbarkeit - ein Ergebnis, das in kaum einem anderen Land eine Entsprechung findet.

3. Rechtsvergleichung in Sachen Verfassungsgerichtsbarkeit: Notwendigkeit und Funktion

Bei der Rechtsvergleichung im Verfassungsrecht geht es nicht darum, die vielfältigen, auf der gesamten Welt verwirklichten Modelle als eine Art Warenhauskatalog zu verstehen, aus denen das beste ausgewählt wird. Rechtsvergleichung ist nicht immer oder primär auf der Suche nach besseren Varianten oder immer nur eine Vorstufe von Reformforderungen, sondern häufiger und tiefer verstanden eine wichtige Methode, das eigene Recht im Spiegel anderer Rechtsordnungen in seinen Vor- und Nachteilen besser zu verstehen. Insofern will das Vergleichen der weltweiten Verfassungsgerichtsbarkeiten einen Normalbaustein der Architektur gegenwärtiger Verfassungen in seiner Vielfalt und seinen Binnenvarianten verständlich machen. Die Verfassungsgerichtsbarkeit (als Funktion oder eigene Institution) ist geworden. Gerade deshalb darf man aber keine Einheitlichkeit im Umfang und Gewicht ihrer Zuständigkeiten, in der Kontrollintensität und generell in ihrer Rolle gegenüber den obersten Staatsorganen erwarten. Der notwendige Vergleich hat vielfache Themen, hier steht der Umfang der Zuständigkeiten im Vordergrund.

Konstitutiv für die heutige Verfassungsgerichtsbarkeit und Kern ihrer Zuständigkeiten ist ein Verfahren zum Zweck der Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen. Der verbreitete Konsens über die Berechtigung, ja Notwendigkeit einer Normenkontrolle ist nicht selbstverständlich. In Ländern, in denen die Souveränität des volksgewählten Parlaments als Basis des Verfassungslebens angesehen wird, ist der gedankliche Weg zur Anerkennung einer Kontrolle eben dieses Parlaments sehr weit und voraussetzungsvoll. Frankreich, ein klassisches Land dieses Denkens, kennt die Normenkontrolle nur als präventive Kontrolle vor Inkrafttreten des Gesetzes auf Antrag hoher Verfassungsorgane. Für das Vereinigte Königreich mit seiner noch stärker ausgeprägten Tradition der Parlamentssouveränität ist die Normenkontrolle bis vor kurzem ganz fernliegend gewesen. In den letzten Jahren gab es einige bedeutende Schritte in Richtung Normenkontrollen (am Maßstab der europäischen Menschenrechtskonvention).

Aus dem gleichen Grund sehr voraussetzungsvoll und außerdem von der Verfassungstradition und -kultur der einzelnen Länder abhängig ist die Anerkennung des Organstreits, also des (gerichtsförmigen) Austragens von Streitigkeiten oberster politischer Organe nach Maßstäben des Rechts durch ein Gericht. Deshalb verwundert es nicht, dass die nach dem Grundgesetz selbstverständliche Verfahrensart des Organstreits in anderen Verfassungsstaaten häufig fehlt, so z. B. in USA, Frankreich und im Vereinigten Königreich. Damit sind die wichtigsten politischen Auseinandersetzungen zwischen den obersten Verfassungsorganen dem Gericht und der Gerichtsbarkeit entzogen. In der Frage der Judizialisierung der politischen Streitigkeiten der obersten Verfassungsorgane besteht also ein deutlicher Dissens innerhalb der Verfassungsstaaten. Insoweit sind die historischen Erfahrungen und die daraus folgende Grundhaltung darüber, ob diese Konflikte besser durch Gerichte oder durch den sich selbst überlassenen politischen Prozess entschieden werden, geteilt. In den USA, in Frankreich und sicherlich auch im Vereinigten Königreich hat man insofern ein politischeres Verständnis des Staatslebens und seiner Konflikte und geht stärker von einer gewissen Eigenständigkeit der politischen Sphäre im Verhältnis zum Bereich des Rechts und der Gerichte aus. Letztlich spiegeln sich in den verschiedenen Bestimmungen des Verhältnisses von Verfassungsgericht und Politik Unterschiede in dem, was man oft etwas pauschal, politische Kultur nennt, was aber im Kern doch richtig gekennzeichnet ist.

Ein weiterer Unterschied im Typ, den man als den zwischen Staatsgerichtshöfen und Verfassungsgerichtshöfen bezeichnen könnte, liegt darin, ob auch der einzelne über die Verfassungsbeschwerde Antragsberechtigter und damit Mitspieler im Streit um die Verfassung ist oder nicht. Im ersten Fall wird das Gericht als umfassendes Verfassungsgericht tätig und "verlebendigt" die Verfassung im Alltag der Bürgerinnen und Bürger; im zweiten Fall agiert es eher als klassischer Staatsgerichtshof und damit möglicherweise in einer gewissen Ferne zum Alltag. Ebenso wichtig und vor allem die praktische Bedeutung der einzelnen Verfassungsgerichte determinierend ist der Umstand, ob die Urteilsverfassungsbeschwerde zulässig ist; denn sie bringt die große Menge von Fällen an das betreffende Gericht heran.

4. Ausgewählte Länder

Im Folgenden sollen diese allgemeinen Bemerkungen an einigen Ländern und ihren Traditionen konkretisiert werden zunächst bei den Staaten mit einer integrierten Verfassungsgerichtsbarkeit. In den USA ist der U.S. Supreme Court das oberste Instanzgericht, als solches unbestritten Revisionsinstanz. Zur Eingliederung in die ordentliche Gerichtsbarkeit kommt als weiteres systemprägendes Merkmal hinzu, dass der Supreme Court generell auf konkrete Rechtsstreitigkeiten konzentriert ist - deshalb gibt es keinen Ansatz zu abstrakten Normenkontrollen, sondern Gesetzesprüfungen finden nur aus konkretem Anlass statt (Erfordernis von case or controversy). Im Rahmen der appeals gibt es eine Art konkreter Normenkontrolle bei certified questions; der S. C. entscheidet aber nicht selbst, sondern gibt gegebenenfalls eine Instruktion an das vorlegende Gericht. Es kommen erstinstanzliche Zuständigkeiten für Streitigkeiten zwischen Bund und Gliedstaaten (und diesen untereinander) hinzu. Rang und Glanz des Supreme Courts entstammen seiner aus konkreten (Rechtsmittel)Fällen hervorgehenden Rechtsprechung zu Verfassungs- und insbesondere Grundrechtsfragen.

Eine lange, auf das Jahr 1874 zurückgehende Tradition der integrierten Verfassungsgerichtsbarkeit hat die Schweiz , die in ihrer am 1. Januar 2000 in Kraft gesetzten neuen Verfassung die bisherige Stellung des Bundesgerichts aufrechterhalten hat. Es handelt sich um eine eingeschränkte Verfassungsgerichtsbarkeit, weil die Normenkontrolle für Bundesgesetze fehlt. Die im Bundesstaat systemadäquate Verfahrensart der föderativen Streitigkeiten sind in der Schweiz seit langem vorgesehen, sie sind die einzige erstinstanzliche Zuständigkeit des Bundesgerichts. Im Übrigen ist der entscheidende Zugang zum Bundesgericht über die Berufung eröffnet und durch die in der Verfassung und im konkreten Gesetz ermöglichte Zuständigkeitsbegrenzung zugleich eingeschränkt. Eine Totalrevision der Gerichtsbarkeiten (nach der Totalrevision der Verfassung) ist im Februar 2001 eingeleitet worden; durch sie soll insbesondere das Bundesgericht von der Fehlentwicklung zur "Urteils-Fabrik" bewahrt werden. Im Lande der ausgebauten direkten Demokratie muss die Reform auch das hier auftauchende (Rang)Verhältnis zwischen der Verfassungsgerichtsbarkeit und den direkten Abstimmungen des Volkes klären.

Zu den Staaten mit einer verselbstständigten Verfassungsgerichtsbarkeit gehören wie erwähnt Deutschland, Belgien, Frankreich, Griechenland, Italien, Liechtenstein, Spanien, Polen, Portugal, Türkei, Ungarn, Tschechien und Rußland . Im europäischen Mutterland der verselbstständigten Verfassungsgerichtsbarkeit Österreich knüpft die Innovation der Verfassung der 1. Republik von 1920 funktional an die - ebenfalls sehr bedeutenden - Traditionen insbesondere des Österreichischen Reichsgerichtshofes an, der seit 1867/1868 Prüfung von Verwaltungsmaßnahmen an verfassungsmäßigen Rechten vornahm. Die eigentliche Neuerung besteht in der Erfindung eines verselbstständigten Verfassungsgerichtshofs. Er hat (insbesondere seit der Einführung der konkreten Normenkontrolle 1929) ein breites Spektrum an Zuständigkeiten , angefangen bei den naheliegenden Bund-Länder-Streitigkeiten über Kompetenzkonflikte bis zu den (präventiven, abstrakten sowie den konkreten) Normenkontrollen. Die Verfassungsbeschwerde umfasst nicht die Urteilsverfassungsbeschwerde.

In Frankreich gab es von 1789 bis 1958 keine Verfassungsgerichtsbarkeit: In der Verfassung der 5. Republik von 1958 wurde vor allem eine gerichtliche Klärung der Abgrenzung zwischen dem Parlament und seiner Gesetzgebungsgewalt und der Regierung und ihrer Verordnungsgestalt eingeführt mit der ursprünglichen Absicht, das Parlament in Grenzen zu halten. Die Judikatur hat sich indes anders und ausgreifender entwickelt. Dies betrifft vor allem die Normenkontrolle, die zwar nur als präventive Kontrolle auf Antrag oberster Organe vorgesehen aber inhaltlich wirkungsvoll ausgeweitete worden ist. Seit der bahnbrechenden Entscheidung des conseil constitutionnel vom 16. Juli 1971 sind der Verfassung von 1958 die umfassenden Grundrechte der Deklaration von 1789 und der Verfassung von 1946 hinzugefügt und damit ist der Kontrollmaßstab beträchtlich erweitert worden. Die praktische Relevanz der Normenkontrolle ist 1974 durch eine gewichtige Ausdehnung des Antragsrechtes (auch auf Minderheiten in beiden Kammern) stark erhöht worden. Generell ist der Organstreit nicht vorgesehen; der wichtige Spezialfall der Abgrenzung der rechtsetzenden Gewalt des Parlaments von der Verordnungsgewalt der Regierung ist aber anerkannt, er gehört zum Kern des Verfassungssystems. Verfassungsbeschwerden und konkrete Normenkontrollen gibt es nicht.

Ähnliche Kompetenzen wie das Bundesverfassungsgericht hat der spanische Tribunal Constitucional und annähernd die gleiche der italienische Corte Costituzionale (vorgesehen in Verfassung von 1948, errichtet 1956 ). Hingewiesen sei noch auf die Verfassungsgerichte in Südosteuropa, die mit recht umfassenden Zuständigkeiten als selbstständige Verfassungsgerichtshöfe errichtet worden sind. Der beste Kenner dieser Entwicklungen, Georg Brunner, betrachtet das Verfassungsgericht in Ungarn "gegenwärtig wohl als das mächtigste und aktivste Exemplar seiner Art in der ganzen Welt" . Eine kräftige Entwicklung der Verfassungsgerichtsbarkeit ist in Südkorea seit deren Errichtung 1987 zu verzeichnen und ein besonderer Fall der Rezeption ist Südafrika .

5. Die Besonderheit des BVerfG im Spiegel anderer Verfassungsgerichte

Unter dem Aspekt des Vergleichs erweist sich als maßgebliches Merkmal des BVerfGs nicht nur die Existenz der oben geschilderten Einzelelementen, sondern wichtiger und ausschlaggebend ist deren Kombination. Deshalb liegt die eigentliche Besonderheit der deutschen Verfassungsgerichtsbarkeit in der Verbindung von institutioneller Selbstständigkeit mit der Urteilsverfassungsbeschwerde und dem Organstreit. Die institutionelle Verselbstständigung des Verfassungsgerichts erhält mit der Urteilsverfassungsbeschwerde erst ihre eigentliche Krönung. Deshalb übersteigt das deutsche Modell das Vorbild des österreichischen Verfassungsgerichtshofs beträchtlich; man kann es auch als einen eigenen Typ verstehen. Das Bundesverfassungsgericht hat - als weiteres Kennzeichen - mit dem Organstreit und der Normenkontrolle alle relevanten Rechtsprechungsaufgaben im originär politischen Bereich.

Was in der Rechtsvergleichung noch zur Untersuchung aussteht, ist die Analyse der Gemeinsamkeiten und Unterschiede in der Praxis der Rechtsprechung selbst. Zu fragen wäre nach dem je spezifischen Verständnis der Aufgabe der Verfassungsgerichtsbarkeit ausgedrückt in der Intensität der Überprüfung, in der Art und im Umfang der Anreicherung des Gehalts des Verfassungsrechts durch die Interpretation der einzelnen Gerichte. Die interessanteste Frage also ist die, was die einzelnen Gerichte in ihrer Rechtsprechung aus den Verfassungstexten "machen", wie die Normen, die oft stark übereinstimmen, in und durch die Interpretation unterschiedlichen Inhalt und Gewicht erhalten.

III. Das BVerfG im europäischen Kontext

1. Das BVerfG als Bestandteil einer europäischen Architektur der Verfassungsgerichte

Bisher war vom Siegeszug der (nationalen) Verfassungsgerichtsbarkeit und von der Erfolgsgeschichte des BVerfG die Rede. So richtig diese Urteile sind, so unvollständig sind sie inzwischen geworden. Nichts hat sich in den letzten Jahren an der Qualität der Rechtsprechung der Verfassungsgerichte in den verschiedenen europäischen Ländern gemindert - und trotzdem hat sich ihre Bedeutung beträchtlich gewandelt. Die nationalen Verfassungsgerichte haben den Wandel vom Solitärgericht an der Spitze der Gerichts-Pyramide eines Landes hin zum Mitspieler in einem größeren Konzert von Höchstgerichten in Europa erlebt. Die nationalen Verfassungsgerichte sind Teil einer Gesamtarchitektur von Verfassungsgerichten in und für Europa geworden. In ihr prägt sich die horizontale Dimension des Verbundes und des Dialogs der nationalen Verfassungsgerichte untereinander stärker aus; hinzugetreten ist auch das in der Vertikalen angelegte Verhältnis zum EuGH (und dem der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte EMRG), das Züge einer Rang- und Überordnung jener europäischen Gerichte annimmt. Kraft dieser Veränderung des Umfelds (bzw. ihrer verstärkten Wahrnehmung) können zunehmend Bürger(innen) des eigenen Landes Rechtsschutz vor Gerichten außerhalb des Staates erlangen. Insoweit ist der vielberufene Himmel über Karlsruhe nicht mehr völlig frei, sondern teilweise besetzt.

Diesen Prozess kann man mit einer Abwandlung des bekannten Worts von Hegel über den Flug der Minerva erst in der Dämmerung veranschaulichen und erklären. Jürgen Habermas fasst Hegels Auffassung so zusammen: Hegel sei der Auffassung gewesen, dass jede historische Gestalt im Augenblick ihrer Reife zum Untergang verurteilt sei. Man muss sich Hegels voraussetzungsvolle Geschichtsphilosophie und schon gar nicht die Untergangsprophetie zu eigen machen , um zu erkennen, dass eine "historische Gestalt im Augenblick ihrer Reife" Veränderungen ausgesetzt ist und dass eine Institution, auf einem gewissen Höhepunkt angelangt, typischerweise von neuen Entwicklungen überformt werden kann. Die nationalen Verfassungsgerichte sind in den letzten Jahren nicht bewusst reformiert worden, sie haben sich jedoch durch die Veränderungen ihres Umfeldes und ihrer Umwelt nachdrücklicher verändert , als dies eine formelle Novellierung der einschlägigen Rechtsgrundlagen hätte tun können. Anlass für einen Abgesang auf die (nationale) Verfassungsgerichtsbarkeit besteht jedoch nicht, schließlich ist ihre Aufgabe nicht abgeschafft, sondern selbstverständlich beibehalten, verbreitert und ausgedehnt worden. Was in der Gesamtarchitektur der Verfassungsgerichte im Europa der Europäischen Union und des Europarats stattfindet, ist nicht der Abbau, sondern die Verdoppelung der Funktion der Verfassungsgerichtsbarkeit im Verbund der nationalen Verfassungsgerichte und des EuGH bzw. EGMR.

2. Zum Verhältnis des EuGH zum BVerfG

Die Entwicklung sei noch in einigen Einzelheiten nachgezeichnet. Das Grundgesetz hat von vornherein in einem europäischen Bezugsfeld und internationalen Kontext gestanden. Bereits in den fünfziger Jahren entstanden auf europäischer Ebene Gerichte, zu denen sich das Bundesverfassungsgericht in Beziehung setzen musste: der EGMR in Straßburg, der die Einhaltung der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) durch die einzelnen Staaten prüft , und der Europäische Gerichtshof (EuGH) in Luxemburg als höchste Instanz für den Bereich des europäischen Gemeinschaftsrechts. Die gewachsene und hochentwickelte Grundrechtsjudikatur des EMRK ist längst zu einer gleichberechtigten und beachtenswerten Interpretation der Grundrechte geworden . Im Weiteren hat das BVerfG auch schon erkennen müssen, dass der EGMR das letzte Wort hat, gerade auch dann, wenn das Verhalten des BVerfG (überlange Prozessdauer) Anlass zur berechtigten Kritik gegeben hat. Im Ganzen gesehen kann das Ergänzungs-Verhältnis zweier auf hohem Niveau judizierender Gerichte dem Grundrechtsschutz in Europa nur förderlich sein. Seit ihren Anfängen ist die Bedeutung der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, welche die verstärkte europäische Integration begleitete und vorantrieb, objektiv groß gewesen. Die deutsche Öffentlichkeit wie auch das Bundesverfassungsgericht haben die Bedeutung dieser Europäisierung freilich erst mit großer Verspätung zur Kenntnis genommen. Der entsprechende Wandel trat erst mit der Debatte um den Vertrag von Maastricht 1992/93 in das allgemeine Bewusstsein.

Die Bedeutung der europäischen Integration hat das Bundesverfassungsgericht denn auch zunächst nur am Rande beschäftigt, vor allem im Bereich der Grundrechte. Hier stand es früh vor dem Problem, ob es das so genannte Sekundärrecht der Europäischen Gemeinschaft - also EG-Richtlinien und Verordnungen - an den im Grundgesetz verbürgten Grundrechten messen durfte. Diese Frage war deswegen besonders drängend, weil die Europäischen Verträge keinen Grundrechtskatalog enthielten und der Europäische Gerichtshof in seiner Rechtsprechung der fünfziger und sechziger Jahre keinen eigenen Grundrechtsstandard für das Sekundärrecht entwickelte. Das Bundesverfassungsgericht reagierte darauf 1974 mit seiner so genannten "Solange"-Rechtsprechung: Danach behielt es sich vor, das europäische Sekundärrecht an den Grundrechten des Grundgesetzes zu messen, solange auf europäischer Ebene kein adäquater Grundrechtsschutz gewährleistet war. Diese Judikatur war ursächlich dafür, dass der Europäische Gerichtshof nunmehr verstärkt eine eigene Grundrechtsrechtsprechung entwickelte. Infolge dieser Entwicklung geht das Bundesverfassungsgericht seit 1986 davon aus, dass auf europäischer Ebene ein den deutschen Standards im Wesentlichen vergleichbarer Grundrechtsschutz gewährleistet ist. Die Beziehung zwischen beiden Gerichten beschreibt es als ein "Kooperationsverhältnis", in dem "der Europäische Gerichtshof den Grundrechtsschutz in jedem Einzelfall für das gesamte Gebiet der Europäischen Gemeinschaften garantiert, das Bundesverfassungsgericht sich deshalb auf eine generelle Gewährleistung der unabdingbaren Grundrechtsstandards . . . beschränken kann" . In seiner Maastricht-Entscheidung hat das BVerfG 1993 überdies bekräftigt, dass es weiterhin prüfen wird, ob europäische Rechtsakte sich in den Grenzen jener der europäischen Ebene zugewiesenen Kompetenzen halten. Damit und mit dem Vorbehalt hinsichtlich der unabdingbaren Grundrechtsstandards behält es sich eine Art Notzuständigkeit vor, um in Ausnahmefällen sicherzustellen, dass die europäische Ebene ihre Kompetenzen nicht überdehnt bzw. grundrechtliche Mindeststandards garantiert bleiben. Obwohl das BVerfG in der Maastricht-Entscheidung im Gesamtduktus das so genannten Kooperationsverhältnis konfrontativ und assymetrisch zu seinen Gunsten formuliert hatte, hat es in der Folgezeit von den postulierten Vorbehalten keinen Gebrauch gemacht, sie also eher als virtuelle Vorbehalte im Raum stehen lassen, obwohl einige Autoren in der Literatur und Antragsteller in konkreten Verfahren dazu aufgefordert und dies angemahnt hatten. Es ist also Besonnenheit und Gelassenheit eingetreten, die dem Thema und dem Verhältnis zweier solcher Gerichte angemessen ist. Der Grundrechtsschutz in Europa, der in Arbeitsteilung zwischen den nationalen Verfassungsgerichten und den beiden europäischen Gerichten vorzunehmen ist und der darin nur gewinnen kann und wird, eignet sich nicht für zuspitzende Debatten über den Inhaber der Souveränität oder der so genannten Kompetenz-Kompetenz. Es ist stattdessen klug und vernünftig, diese Fragen in der Schwebe zu belassen und in der Praxis einen wirkungsvollen Grundrechtsschutz zu bewirken und dies geht nur in der beschriebenen Arbeitsteilung.

3. Bilanz

Mit der zunehmenden Europäisierung der Rechtsordnung verliert das BVerfG erkennbar die Exklusivität der Prüfung und Kontrolle des in Deutschland geltenden Rechts. Dem darin liegenden Be-deutungsverlust steht aber die bedeutsame Möglichkeit gegenüber, Einfluss auf der europäischen Ebene zu gewinnen und über den Europäischen Gerichtshof zum Beispiel die Grundrechtsstandards gemeinschaftsweit mitzugestalten. Es ist eine verkürzte Perspektive, wenn man die neue Situation nur oder vorwiegend in Begriffen wie Einbindung, Verlust der Exklusivität u. ä. interpretiert und nicht die Bedeutung der neuen Aufgabe und Herausforderung insgesamt sieht. Diese bestehen in der Ausbildung und Mitgestaltung der europäischen Verfassungsordnung auf den beiden Ebenen der Nationalstaaten und der Union, in der Ausgestaltung des europäischen Verfassungsraums insgesamt. Mit dieser Aufgabe weitet sich auch die Rolle des BVerfG und die der anderen Verfassungsgerichte. Diese Mitwirkung an dem weit über den nationalen Staat hinausreichenden Verfassungsraum Europas ist die - positive - Kehrseite der Europäisierung. Darin sind beträchtliche Entwicklungschancen für die nationalen Verfassungsgerichte enthalten.

Das große Thema der Europäisierung von Verfassungsrechtsprechung bzw. der Verfassungsgerichte in Europa kann hier nicht einmal ansatzweise behandelt werden, im vorliegenden Zusammenhang ist lediglich eine abschließende Bewertung vorzunehmen. Bei der Teilnahme an der geschilderten neuen Aufgabe, den Grundrechtsschutz, die Rechtsstaatlichkeit sowie andere Prinzipien des Verfassungsstaats im europäischen Rahmen auszubauen, haben Deutschland und das BVerfG schon große Erfolge gehabt - man denke an das Auslösen der Grundrechtsentwicklung oder an den "Export" des Verhältnismäßigkeitsprinzips. Das deutsche Verfassungsrecht hat so große Erfolge gehabt, wie ein Teil des Ganzen, wie ein Staat und ein Gericht unter 15 Staaten nur haben können. Dass dabei auch Prinzipien und Denkweisen anderer Varianten des westlichen Verfassungsstaates und des gemeinsamen europäischen Rechtsbewusstsein in das werdende verbindliche gemeineuropäische Verfassungsrecht eingehen und als solches auch auf Deutschland einwirken, ist selbstverständlich und bei diesem Prozess mitgedacht. Wer solche Ein- und Rückwirkungen von außen beklagen will, verkennt die Gesetzmäßigkeiten des Integrationsprozesses. Er müsste zudem erst einmal von Fall zu Fall darlegen, warum die aus anderen westlichen Traditionen stammenden Prinzipien und Annahmen für das deutsche und europäische Verfassungsrecht schädlich sind, warum sie nicht stattdessen je zu erwägende und abzuwägende Binnenvarianten aus einem gemeinsamen Grundbestand des europäischen-westlichen Verfassungsdenkens sind. Der nationale Betrachter muss oder sollte jedoch so viel innere Souveränität haben, dass er die Möglichkeit einräumt, das eigene Recht könnte auch von Alternativen in den anderen Rechtsordnungen lernen und ihm könnte auch in einigen Punkten die Rezeption von Varianten gut bekommen. Der Gewinn ist die neue und zusätzliche Aufgabe des Mitwirkens am gesamteuropäischem Grundrechtsschutz und der Erstreckung der gefundenen Lösungen auf den gesamten Raum der Gemeinschaft. Gewinn entsteht auch aus dem intensiven Dialog mit andern Verfassungsgerichten, der für die neuen Phase unerlässlich ist und der einen ausgeweiteten Problemhorizont und das Denken in mehr Alternativen mit sich bringen wird. An diesem Ausbau einer verbindlichen gemeineuropäischen Verfassungsordnung gestaltend mitzuwirken, ist eine große und bleibende Aufgabe der nationalen Verfassungsgerichte. Die beiden europäischen Gerichte in Straßburg und Luxemburg sind dazu - schon aus Gründen ihrer sonstigen großen Belastung - nicht allein imstande. Dies ist eine Aufgabe zur gesamten Hand für die nationalen Verfassungsgerichte und die beiden europäischen Gerichte, oder genauer gesagt: dies kann zur Aufgabe zur gesamten Hand werden, wenn die nationalen Verfassungsgerichte ihre Aufmerksamkeit nicht nur nach innen auf die eigene Rechtsordnung, sondern auch nach außen auf den gesamten Verfassungsraum Europas wenden.

Fussnoten

Fußnoten

  1. So schon 1976 P. Häberle, in: ders. (Hrsg.), Verfassungsgerichtsbarkeit, Darmstadt 1976, S. XI.

  2. Das BVerfG ist in Art. 92 und 93 GG (1949) vorgesehen, das in Art. 94 II GG vorgesehene Gesetz über das BVerfG vom 12. März 1951 trat am 17. April 1951 in Kraft. Aufgrund der Verzögerungen bei der Richterwahl konnte das Gericht seine Tätigkeit erst am 8. September 1951 aufnehmen; mit Staatsakt vom 28. September 1951 wurde das Gericht feierlich eröffnet.

  3. Vgl. M. Fromont, La justice constiutionelle dans le monde, Paris 1996, S. 17 ff. spricht von drei Generationen der Verfassungsgerichtsbarkeit, von denen das BVerfG die zweite anführt.

  4. Seine Funktion als Verfassungsgericht nahm der U.S. Supreme Court 1803, das schweizerische Bundesgericht 1874 und der Österreichische Verfassungsgerichtshof 1920 auf. Auch die irische Verfassung von 1937 sah einen Supreme Court nach dem amerikanischen Modell vor. Vgl. dazu M. Fromont (Anm. 3), S. 19.

  5. Zum Unterschied zwischen verselbstständigter und in die Gerichtsbarkeit integrierter Verfassungsgerichtsbarkeit siehe unten Kapitel II.1.

  6. Eine tabellarische Übersicht über die Verfassungsgerichtsbarkeit in der Welt zum Stand 30. August 1991 bei K.-G. Zierlein, Die Bedeutung der Verfassungsrechtsprechung für die Bewahrung und Durchsetzung der Staatsverfassung. Ein Überblick über die Rechtslage in und außerhalb Europas, in:'Europäische Grundrechtszeitschrift (EuGRZ), (1991), S. 301, 341.

  7. Ihre Verfassung (Art. 120) verbietet dem Richter die Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit von Gesetzen und Verträgen.

  8. Eine Anerkennung, die durch manchen aufwallenden Unmut aus Anlass einzelner umstrittener Urteile nicht wirklich beeinträchtigt wurde und wird.

  9. M. Fromont, Das Bundesverfassungsgericht aus französischer Sicht, in: Die Öffentliche Verwaltung (DÖV), (1999), S. 493.

  10. Dazu differenziert F. Rubio Llorente, Die Verfassungsgerichtsbarkeit in Spanien, in: Ch. Starck/A. Weber (Hrsg.), Verfassungsgerichtsbarkeit in Europa, Teilband I: Berichte, Baden-Baden 1986, S. 249 sowie P. Cruz Villalón, Landesbericht Spanien, in: Ch. Starck (Hrsg.), Grundgesetz und deutsche Verfassungsrechtsprechung im Spiegel ausländischer Verfassungsentwicklung, Baden-Baden 1990, S. 193 ff. Dezidiert ders., "Bericht Spanien, in: U. Battis/E. Mahrenholz/D. Tsatsos (Hrsg.), Das Grundgesetz im internationalen Wirkungszusammenhang der Verfassungen, Berlin 1990, S. 93: "Es gilt in Spanien als unbestritten, dass das Bonner Grundgesetz die ausländische Verfassung ist, die den größten Einfluss auf unsere Verfassung von 1978 ausgeübt hat. . . . Wenn man vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte absieht, so ist die Rechtsprechung des BVerfG auch diejenige, die vom spanischen Verfassungsgericht am meisten berücksichtigt wird."

  11. Zu allen vier Ländern ausführlich J. Kokott, From Reception and Transplantation to Convergence of Constitutional Models in the Age of Globalisation - with special References to the German Basic Law, in: Ch. Starck (Hrsg.), Constitutionalism, Universalism and Democracy - a comparative analysis, Baden-Baden 1999, S. 71-134 ff. mit vielen Einzelbelegen zu direkten und indirekten Rezeptionen und Transplantaten.

  12. Vgl. A. Zimmermann, Bürgerliche und politische Rechte in der Verfassungsrechtsprechung mittel- und ost"euro"päischer Staaten unter besonderer Berücksichtigung der Einflüsse der deutschen Verfassungsgerichtsbarkeit, in: J. A. Frowein/T. Marauhn (Hrsg.), Grundfragen der Verfassungsgerichtsbarkeit in Mittel- und Osteuropa, Berlin-Heidelberg 1998, S. 89 ff. Ständige Berichte und Aufsätze über die Entwicklungen in (Süd)Osteuropa finden sich in der Zeitschrift für Osteuroparecht

  13. Ausführlich ist der internationale Wirkungs"zu"sam"men"hang zwischen den Verfassungsgerichten anlässlich des 40.'Jubiläums des Grundgesetzes in zwei Sammelbänden dokumentiert worden, vgl. Ch. Starck/A. Weber (Hrsg.) (Anm. 10) mit Landesberichten; U. Battis/E. Mahrenholz/ D. Tsatsos (Hrsg.) (Anm. 10). In beiden Sammelbänden finden sich zu allen hier behandelten Fragen des (wechselseitigen) Einflusses des BVerfG auf eine Reihe von anderen Verfassungsgerichte vielfältiges Material; darauf sei generell verwiesen.

  14. So schon M. Cappelletti/Th. Ritterspach, Die gerichtliche Kontrolle der Verfassungsmäßigkeit der Gesetze in rechtsvergleichender Betrachtung, in: Jahrbuch des öffentlichen Rechts (JöR), 20 (1971), S. 65 ff.; M. Cappelletti/W. Cohen, Comparative Constitutional Law, Charlottesville/Va. 1979, S. 84-95; A. v. Brünneck, Verfassungsgerichtsbarkeit in den westlichen Demokratien. Ein systematischer Verfassungsvergleich, Baden-Baden 1992; J. Wieland, in: H. Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Bd. 3, 2000, Art. 93, Rn. 26 ff.; E.-W. Böckenförde, Verfassungsgerichtsbarkeit: Strukturfragen, Organisation, Legitimation, in: Neue Juristische Wochenschrift (NJW), (1999), S. 9 ff.; A. Voßkuhle, in: H. v. Mangoldt/F. Klein/Ch. Starck, GG, Kommentar, Bd. 3, München 20014, Art. 93 Rn. 14 ff. (Einheits- und Trennungsmodell).

  15. Von M. Cappelletti/W. Cohen (Anm. 14), S. 94 ff. (zit. in: A. Weber, Verfassungsgerichte in anderen Ländern, in: M. Piazolo, Das Bundesverfassungsgericht. Ein Gericht im Schnittfeld von Recht und Politik, Mainz-München 1995, S. 62) wurde "dekonzentrierte" oder "diffuse" Verfassungsgerichtsbarkeit genannt, weil alle Gerichte die Verfassungsmäßigkeit der Gesetze prüfen können.

  16. Vgl. zur Ausstrahlung des Modells der USA auf Südamerika, einige Commonwealth-Staaten und ostasiatische Länder R. Grote, Rechtskreise im öffentlichen Recht, in: Archiv des öffentlichen Rechts (AöR), 126 (2001), S. 10, 45 ff., 47 ff. sowie 48.

  17. Vgl. dazu P. Häberle, Das Bundesverfassungsgericht als Muster einer selbständigen Verfassungsgerichtsbarkeit, in: Festschrift BVerfG, Bd. 1, Tübingen 2001, (i.ÄE.).

  18. Vgl. J. Wieland (Anm. 14), Art. 93, Rn. 28.

  19. Vgl. ebd., Art. 93, Rn 27.

  20. Der Text folgt den Ausführungen in R. Wahl, Zur Reformfrage, in: Festschrift BVerfG (Anm. 17).

  21. Dazu P. Häberle (Anm. 17).

  22. Paragraph 1 BVerfGG: "Das Bundesverfassungsgericht ist ein den übrigen Verfassungsorganen gegenüber selbstständiger und unabhängiger Gerichtshof des Bundes."

  23. Kritisch zu dieser Qualifizierung F. Schoch/R. Wahl, Einstweilige Anordnung des Bundesverfassungsgerichts in außenpolitischen Angelegenheiten, in: Festschrift für E. Ben"da, Heidelberg 1995, S. 265, 284, Fn. 62; A. Voßkuhle (Anm. 14), Art. 93, Rn. 28 u. 19. Vgl. auch K. Schlaich, Das Bundesverfassungsgericht, München 19974, Rn. 30-35.

  24. Es fehlt allein die Popularklage, die aber in Ungarn, wo es sie gibt, besondere Überlastungsprobleme schafft, sodass man ihr Fehlen nicht als Mangel bezeichnen kann, vgl. dazu G. Brunner, Die neue Verfassungsgerichtsbarkeit in Ungarn, in: Festschrift für K. Stern, München 1997, S. 1041, 1052, 1056.

  25. Zu jeder Verfahrensart findet sich ein aussagekräftiger Überblick über die wichtigsten Entscheidungen bei J. Wieland (Anm. 14), Art. 93, (vor Rn. 1, S. 384).

  26. Die aktuellen Zahlen sind abrufbar unter: www.bundesverfassungsgericht.de (Stichwort "Organisation" und "Jahresstatistik").

  27. Unter anderem sind aufgrund von Verfassungsbeschwerden einzelner Bürger folgende bekannte Urteile ergangen: das Apothekenurteil zur Berufsfreiheit (BVerfGE 7, 377, 386 ff.), das Mephisto-Urteil zum allgemeinen Persönlichkeitsrecht (BVerfGE 30, 173, 182 ff.) und das Mitbestimmungsurteil zur Koalitionsfreiheit (BVerfGE 50, 290, 318 ff.) sowie die Urteile über den Maastricht-Vertrag und das Flughafenverfahren im Asylrecht.

  28. Dazu zuletzt Ch. Tomuschat, Das Bundesverfassungsgericht im Vergleich mit der Verfassungsgerichtsbarkeit des Auslands, in: Festschrift BVerfG (Anm. 17).

  29. Dazu ausführlich R. Wahl, Verfassungsvergleichung als Kulturvergleichung, in: Festschrift für H. Quaritsch, Berlin 2000, S. 163-182 und zur Bedeutung der Vergleichung; ders. (Anm. 20).

  30. Themen bei A. v. Brünneck (Anm. 14). Entstehung; Organisation; Verfahren der Gerichte Entscheidungsprozesse dissenting vote, Zugang zum Gericht; Verfahrensarten; Richterwahl, Einfluss der Parlamente, Regierungen und Parteien auf Wahl, Qualifikation und berufliche Erfahrungen; Inhalt und Dogmatik der verfassungsgerichtlichen Entscheidungen; Gründe für die Ausdehnung und Angleichung der Verfassungsgerichtsbarkeit; Kriterien für die Befugnisse. A. Weber, Generalbericht, in: Ch. Starck/A. Weber (Anm. 10), S. 49 ff. behandelt: Stellung und Organisation, Status der Gerichte, ausführlich die Zuständigkeiten, die Verfahren und die Stellung der Verfassungsgerichte im politischen Prozess.

  31. Zu dieser neusten durch den Human Rights Act von 1998 angestoßenen Entwicklung im Einzelnen R. Grote, Die Inkorporierung der Europäischen Menschenrechtskonvention in das britische Recht durch den Human Rights Act, in: Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht (ZaöRV), 58 (1998), S. 309 ff.; R. Baum, Rights Brought Home, in: EuGRZ, (2000), S. 281 ff.

  32. Es ist zu wenig bekannt, dass die Zuständigkeit für die Organstreitigkeiten (innerhalb des Zentralstaates) eben wegen ihrer politischen Sensibilität letztlich nur in wenigen Ländern, neben Deutschland in - einer eingeschränkten und offenbar wenig praktizierten Form - in Italien anerkannt ist. R. Grote, Die Rechtskreise im öffentlichen Recht, in: AöR, 126 (2001), S. 10, 53 nennt insoweit überhaupt nur diese beiden Staaten in Westeuropa. Es verdiente einer näheren Untersuchung, in welchen Staaten der Organstreit überhaupt und mit welchem Umfang anerkannt ist, welche annähernde Äquivalente in Form von Kompetenzstreitigkeiten gibt und in welcher Intensität er in der Praxis wahrgenommen wird. Sicher ist, dass die Rechtsprechungspraxis des BVerfG in Organstreitigkeiten ein sehr hohes Niveau vorgibt.

  33. In den USA ist z. B. das Verhältnis zwischen Repräsentantenhaus und Senat oder zwischen Kongress und Präsident wohl verfassungsrechtlich geregelt, Meinungsverschiedenheit über die Kompetenzen müssen aber politisch ausgetragen werden.

  34. Frankreich sowie in den Ländern der integrierten Verfassungsgerichtsbarkeit, wo aber das Rechtsmittel funktional äquivalente Bedeutung für den einzelnen hat.

  35. Eine Urteilsverfassungsbeschwerde ist in Europa nur in Deutschland, Spanien und Portugal vorgesehen, vgl. M. Fromont (Anm. 3), S. 22.

  36. Liste der hierzu gehörenden Staaten siehe vorne bei II.1. Texte der Verfassungen mit den Normen über die Verfassungsgerichtsbarkeit bei H. Dreier: www.uni-wuerzburg.de/law/index.html.

  37. Insgesamt dazu und den Rechtsgrundlagen W. Brugger, Grundrechte und Verfassungsgerichtsbarkeit in den Vereinigten Staaten von Amerika, Tübingen 1987, S. 1-21; ders., Einführung in das Öffentliche Recht der USA, Tübingen 1993, S. 7 ff.; W. Haller, Supreme Court und Politik in den USA, München 2001 1972; K. Heller, Der Supreme Court der Vereinigten Staaten von Amerika, in: EuGRZ, (1985), S. 685, 689.

  38. Die in Deutschland negativ und abwehrend besetzte Formel vom Superrevisionsgericht würde in den USA wegen des im Ansatz anderen Systems keinen Schrecken auslösen.

  39. Dazu eindrücklich J. P. Müller, Die Verfassungsgerichtsbarkeit im Gefüge der Staatsfunktionen, in: Veröffent"lichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer (VVDStRL), 39 (1981), S. 58 ff.

  40. Die Verfassung hat als "nachgeführte" Verfassung keine substanziellen Änderungen bei der Verfassungsgerichtsbarkeit gebracht, sondern diese sind im Rahmen einer Revision der einschlägigen Gesetze und dann auch der Verfassungsartikel beabsichtigt. Zum Konzept der Nachführung der Verfassung und insgesamt zur neuen Verfassung R. Rhinow, Die Bundesverfassung 2000. Eine Einführung, Basel-Genf-München 2000, S. 1-21.

  41. Vgl. ebd., S. 1, 8 f. Für kantonale Gesetze ist die Normenkontrolle gegeben.

  42. Vgl. ebd., S. 207, zu den unvermeidlichen Auseinandersetzungen während der Verfassungsreform über die Frage des Zugangs und damit der Steuerung der Belastung des Bundesgerichts.

  43. Vgl. Kapitel II 1.

  44. Zu den Texte der Verfassungen vgl. Nachweis in Anm. 30.

  45. Dazu und zum folgenden K. Korinek, Die Verfassungsgerichtsbarkeit im Gefüge der Staatsfunktionen, in: VVDStRL, 39 (1981), S. 8. ff.; A. Voßkuhle (Anm. 14), Rn 15.

  46. K. Korinek (Anm. 45), S. 8, formuliert, dass die Verfassung von 1920 "ie in Österreich schon seit 1868 bestehende Verfassungsgerichtsbarkeit um einen entscheidenden Punkt, nämlich um die Funktion der Gesetzesprüfung erweitert habe"; ders., in: Ch. Starck/A. Weber (Anm. 10), S. 152; K-G. Zierlein (Anm. 6), S. 311.

  47. Vgl. L. Adamovich/B. C. Funk/G. Holzinger, Österreichisches Staatsrecht, Bd. 2, Wien-New York 1998.

  48. L. Hamon, Les juges de la loi. Naissance et rôle d"un contrepouvoir: le conseil constitutionel, Paris 1987, S. 159 spricht "von der zweiten Geburt des Conseil constitutionnel" und Varaut, Le droit au droit, pour une libéralisme institutionnel, 1986, S. 70 bezeichnet die Entscheidung als "l´arrêt Marbury contre Madison du juge constitutionnel francais", beides zitiert in: A. Spies, Verfassungsrechtliche Normenkontrolle in Frankreich: der conseil constitutionnel, in: Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht (NVwZ), (1990), S. 1040, 1044 mit Fn. 53.

  49. Näher St. Bauer, Verfassungsrechtlicher Grundrechtsschutz in Frankreich, Baden-Baden 1997; Ch. Starck, Der Schutz der Grundrechte durch den Verfassungsrat in Frankreich, in: AöR, 113 (1988), S. 632 ff.

  50. A. Weber, Die Verfassungsgerichtsbarkeit in Spanien, in: Jahrbuch des Öffentlichen Rechts (JöR), 34 (1985), S. 245 ff., Th. P. Knaak, Der Einfluß der deutschen Verfassungsgerichtsbarkeit auf das System der Verfassungsgerichtsbarkeit in Spanien, Hamburg 1995; F. Rubio Llorente, Die Verfassungsgerichtsbarkeit in Spanien, in: Ch. Starck/A. Weber (Anm. 10), Bd. 1, Baden-Baden 1986, S. 243 ff. ders., Constitutional Review and Legislation in Spain, in: Ch. Landfried (Hrsg.), Constitutional Review and Legislation. - An international Comparison, Baden-Baden 1988, S. 127 ff.

  51. Diese weitgehende Parallelität mit Deutschland endet bei der Verfassungsbeschwerde: Sie ist in Italien nicht vorhergesehen, ihre Funktion nimmt zum Teil die großzügig gehandhabte konkrete Normenkontrolle (90 Prozent der Entscheidungen) ein. Näher dazu J. Luther, Die italienische Verfassungsgerichtsbarkeit, (Geschichte, Prozeßrecht, Rechtsprechung), Baden-Baden 1990; U. Stoy-Schnell, Das Bundesverfassungsgericht und die Corte Costituzionale, Frankfurt/M. 1998; Th. Ritterspach, Die Verfassungsgerichtsbarkeit in Italien, in: Ch. Starck/A. Weber (Anm. 10), S. 219 ff.

  52. G. Brunner, Die neue Verfassungsgerichtsbarkeit in Osteuropa, in: ZaöRV, 53 (1993), S. 819, 827 ff.; ders., Grundrechtsschutz und Verfassungsgerichtsbarkeit in Osteuropa, in: Festschrift für K. Stern (Anm. 24), S. 41 ff.; J. Frowein/Th. Marauhn (Hrsg.), Grundfragen der Verfassungsgerichtsbarkeit in Mittel- und Osteuropa, Baden-Baden 1998. Zur Lage in Russland M. Hartwig, Verfassungsgerichtsbarkeit in Rußland. Der dritte Anlauf, in: EuGRZ, (1996), S. 177 ff.; J. Traut (Hrsg.), Föderalismus und Verfassungsgerichtsbarkeit in Rußland, Baden-Baden 1997; F.-Ch. Schroeder, Die russische Verfassungsgerichtsbarkeit in der Praxis, in: Juristenzeitung (JZ), (1998), S. 132 f.

  53. Vgl. Art. 111 ff., 107 Verfassung von 1987; dazu J. H. Seok, Die Entwicklung des Staats- und Verwaltungsrechts in Südkorea, in: R. Pitschas (Hrsg.), Entwicklungen des Staats- und Verwaltungsrechts in Südkorea und Deutschland, Berlin 1998, S. 57, 66.

  54. Vgl J. Kokott (Anm. 11), S. 117 ff., 128 ff.; Ch. Pippan, Südafrikas Verfassungswandel im Zeichen von Demokratie und Rechtsstaat, in: (ZaöRV), 55 (1995), S. 991 ff.; F. Venter, Aspects of the South African Constitution of 1996. An African Democratic and Social Rechtsstaat, in: ZaöRV, 57 (1997), S. 57; Th. M. Grupp, Südafrikas neue Verfassung. Mit einer vergleichenden Betrachtung aus deutscher und europäischer Sicht, Baden-Baden 1999; O. Mireku, Constitutional Review in Federalised Systems of Government. A Comparison of Germany and South Africa, Baden-Baden 2000; E. D. Schmid, Die Grundrechtsjudikatur des Verfassungsgerichts der Republik Südafrika, Baden-Baden 2000; J. Fedtke, Die Rezeption von Verfassungsrecht, Südafrika 1993-1996.

  55. Durch die Urteilsverfassungsbeschwerde werden die obersten Fachgerichte dem Bundesverfassungsgericht definitiv untergeordnet; sie erleben das über ihnen stehende höchs"te Gericht als eines, das ihre Urteile kontrolliert und zuweilen aufhebt. Erst mit der Urteilsverfassungsbeschwerde, welche die institutionelle Verselbstständigung des Verfassungsgerichts gegenüber den Fachgerichten zur Voraussetzung hat, gelangt das Verfassungsgericht definitiv an die Spitze des Aufbaus der Gerichtsbarkeiten.

  56. Vgl. zu dieser Thematik R. Wahl, in: B. Guggenberger/Th. Würtenberger (Hrsg.), Hüter der Verfassung oder Lenker der Politik?, Baden-Baden 1998; ders. (Anm. 20).

  57. Wobei hier ohne weitere Analyse die europäischen Gerichte in Luxemburg (EuGH) und in Straßburg (Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte) ihrer Funktion nach als Verfassungsgerichte bezeichnet werden, ohne dass die Frage, ob Europa (schon) eine "echte" Verfassung hat, hier näher behandelt wird.

  58. Hinzu kommt die Dimension die Internationalisierung des Rechts, die sich im vorliegenden. Zusammenhang in der Existenz internationaler Gerichte, wie dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag, im künftigen Internationalen Strafgerichtshof, in den Streitbeilegungsinstitutionen der Welthandelsorganisation (WTO) niederschlägt.

  59. Vgl. J. Habermas, Der europäische Nationalstaat, in: ders., Die Einbeziehung des Anderen, Frankfurt/M. 1999, S. 128 f. - Fraglich ist, ob sich Hegels berühmtes Diktum überhaupt auf die Realvorgänge und nicht allein auf das Denken über die Realvorgänge bezieht. Gleichwohl hat der im Text parallel dazu formulierte Gedanke eine beträchtliche Plausibilität.

  60. Früh hat sich mit dem Thema der damalige Verfassungsrichter Th. Ritterspach beschäftigt: ders., Das supranationale Recht und die nationalen Verfassungsgerichte, Festschrift für G. Müller, Tübingen 1970, S. 301.

  61. Der in seiner Bedeutung für das Staatsverständnis der Bundesrepublik als offener Staat gar nicht zu überschätzende Art. 24 GG, der die Übertragung von Hoheitsakten auf zwischenstaatliche Einrichtungen ermöglicht und der Hebel sowohl für die Europäisierung wie die Internationalisierung geworden ist, beweist dies. Dazu R. Wahl, Die Internationalisierung des Staates: in: Festschrift für A. Hollerbach, Berlin 2001, S. 193 ff. und ders., Der Stellung des einzelnen jenseits des Staates, in: Der Staat, 40 (2001), S. 45 ff.

  62. Auf der Basis der Europäischen Menschenrechtskon"vention (EMRK) wurde der Schutz zunächst durch zwei Institutionen gewährt: die Europäische Kommission und den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Seit 1998 ist an die Stelle dieser beiden Institutionen der neue ständige Europäische Gerichtshof für Menschenrechte getreten. Dazu zusammenfassend W. Peukert, Die Reform des europäischen Systems des Menschenrechtsschutzes in: NJW, (1999), S. 1165 ff.

  63. Dazu zuletzt Ch. Grabenwarter, Europäisches und nationales Verfassungsrecht, in: VVDStRL, 60 (2001), S. 290 ff.

  64. Zu den drei Urteilen des EGMR gegen die Bundesrepublik wegen zu langer Prozessdauer aus den Jahren 1996 und 1997 vgl. B. Klose, Grundrechtsschutz in der Europäischen Union und die Europäische Menschenrechtskonvention, in: Deutsche Richterzeitung (DRIZ), (1997), S. 122 ff.

  65. Vgl. BVerfGE 37, 271.

  66. Die wichtigsten Anfangsentscheidungen waren: EuGH, RS. 29/69 "Stauder", U. v. 12.11.69, SlG. 1969, S. 419; EuGH, RS. 11/70 "Internationale Handelsgesellschaft", U. v. 17.12.1970, SlG. 1970, S. 1125; EuGH, RS. 4/73 "Nolt", U. v. 14.05.1974, SlG. 1974, S. 491; und zur weiteren Rechtsprechung vgl. W. Hummer/B. Simma/Ch. Vedder, Europarecht in Fällen, Baden-Baden 1999³, S. 415 ff.

  67. Vgl. BVerfGE, 73, 339.

  68. BVerfGE 89, 155, 175 unter Verweis auf BVerfGE 73, 339, 387.

  69. Das Maastricht Urteil hat bei europa- und völkerrechtlichen Autoren zum Teil sehr heftige Kritik ausgelöst. Zu Recht bemerkt J. Wieland (Anm. 14, Rn. 24) "Aus der Sicht des Europarechts ist das Verständnis des BVerfGs von der Reichweite seiner Gerichtsbarkeit schwer zu ertragen."

  70. Ausführlich mit zahlreichen Literaturnachweisen J. Frowein, Die "Europäisierung" des Verfassungsrechts, und J. Schwarze, Das "Kooperationsverhältnis" des Bundesver"fassungsgerichts mit dem Europäischen Gerichtshof, beide in: Festschrift BVerfG (Anm. 17) umfangreiche Literaturnachweise bei A. Voßkuhle (Anm. 14), Art. 93 Rn. 208; J. Limbach, Die Kooperation der Gerichte in der zukünftigen europäischen Grundrechtsarchitektur. Ein Beitrag zur Neubestimmung des Verhältnisses von Bundesverfassungsgericht, Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften und Europäischem Gerichtshof für Menschenrechte, in: EuGRZ, (2000), S. 417; W. Graf Vitzthum Gemeinschaftsgericht und Verfassungsgericht- rechtsvergleichende Aspekte, in: JZ, (1988), S. 161 ff.

  71. Einige Überlegungen schon von R. Wahl (Anm. 56), S. 81, 106 ff., dort S. 105 auch drei "Gleichungen" zur Abhängigkeit des Gewichts der nationalen Verfassungsgerichtsbarkeit von der Bedeutung der - nationalen - Verfassung.

Dr. jur. utr., geb. 1941; seit 1978 Professor für Staats- und Verwaltungsrecht, Umwelt- und Gentechnikrecht und Direktor des Instituts für Öffentliches Recht an der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Freiburg.

Anschrift: Universität Freiburg, Institut für Öffentliches Recht VI, Wilhelmstr. 26, 79085 Freiburg.
E-Mail: oerecht6@uni-freiburg.de

Zahlreiche Veröffentlichungen zu Verfassungsfragen; zuletzt: Die Reform des Bundesverfassungsgericht, in: P. Badura/H. Dreier (Hrsg), Festschrift Bundesverfassungsgericht, Bd. 1., Tübingen 2001 (i. E.).