I. Einleitung
Am 23. Mai 1949 trat das Grundgesetz (GG) mit dem Gleichberechtigungsartikel des Art. 3 Abs. 2 GG in Kraft - die Wirkung war mit der Übergangsfrist bis Ende März 1953 zeitlich zurückgestellt. Das Bundesverfassungsgericht nahm am 7. September 1951 seine Arbeit auf. Es entschied bei der ersten sich bietenden Gelegenheit, bei Art. 3 Abs. 2 GG handele es sich seit dem 1. April 1953 um ein unmittelbar anwendbares Recht.
An beiden Ereignissen - der Formulierung von Art. 3 Abs. 2 GG und der Grundsatzentscheidung vom Dezember 1953 - war jeweils maßgeblich eine Juristin beteiligt. Die eine war Elisabeth Selbert, Mitglied des Parlamentarischen Rates und eine der vier Mütter
Als das BVerfG am 18. Dezember 1953, also gerade neun Monate nach Ablauf der Übergangsfrist des Art. 117 Abs. 1 GG, die unmittelbare Geltung von Art. 3 Abs. 2 GG bestätigte, lehnte es das mit Überlegungen der Rechtsklarheit begründete übergangsweise Weitergeltenden des alten Rechts ab. Die mit Art. 3 Abs. 2 GG erstmals garantierte Gleichberechtigung
Völkerrechtlich war damals eine entsprechende Garantie der Geschlechtergleichbehandlung so nicht gefordert.
Der Rückblick auf die 48 Jahre - wie es in der Überschrift präziser, dann aber unpassend zum Anlass auch hätte heißen können - Rechtsprechung des BVerfG zur garantierten Gleichberechtigung ist kein weiterer Beitrag zur dogmatischen Struktur der sich im Zeitablauf verändernden Rechtsprechung des BVerfG.
II. Die "Ersten": Elisabeth Selbert und Erna Scheffler
Art. 3 Abs. 2 GG i. d. F. (in der Fassung) von 1949 kann als "das Werk"
Elisabeth Selbert (1896-1986) und Erna Scheffler (1893-1983) gehörten zu den ersten Studentinnen an deutschen Rechtsfakultäten. Es waren Frauen einer Generation, für die Bildung - dabei auch der Zugang zum Abitur - nur auf Umwegen offen gestanden hatte. Es waren Juristinnen, die politische bzw. rassische Verfolgung selbst erlebten und das faktische Berufsverbot für Juristinnen in der NS-Zeit.
Elisabeth Selbert machte zunächst als Externe die Mittlere Reife und wurde danach 1914 Beamtenanwärterin bei der Post.
Erna Scheffler machte ihr Abitur als Externe an einem Knabengymnasium und nahm in den Jahren 1911 bis 1914 an den Universitäten Heidelberg, München und Berlin das Jurastudium auf.
Die "eigentliche Entstehungsgeschichte"
Zur Vorbereitung der Beratungen des Parlamentarischen Rates bestellten die Ministerpräsidenten einen "Sachverständigen-Ausschuss für Verfassungsfragen", in den jedes westdeutsche Land einen Vertreter entsandte und der vom 10. bis 23. August 1948 auf der Insel Herrenchiemsee tagte.
Ein gesellschaftspolitisches Kapitel wäre in den Hintergrund geraten, wenn es nicht Akteurinnen und Akteure gegeben hätte, die sich der Frage annahmen, wie in der neuen Verfassung für Frauen "ein zweites Weimar" von vornherein verhindert werden könnte. Auch 1919, nach dem verlorenen ersten Weltkrieg und damit dem Ende des Kaiserreiches, sollte der veränderten Stellung der Frauen Rechnung getragen werden. Die Verfassung vom 11. August 1919 besagte im Art. 109: "Alle Deutschen sind vor dem Gesetz gleich. Männer und Frauen haben grundsätzlich dieselben staatsbürgerlichen Rechte und Pflichten." Dies bedeutete staatsbürgerliche Gleichheit. Frauen wurde das seit 1918 in Deutschland geltende passive und das aktive Wahlrecht garantiert. Ansonsten hatten sie nicht viel dazu gewonnen, denn nach Interpretation der Verfassung hatte dies keine Folgen für die patriarchale Struktur des Familienrechts. Hieran erinnerten sich die Frauen, die bereits in der Zeit der Weimarer Republik diese enttäuschende Erfahrung mit der Bedeutung der Verfassung erlebt hatten. Sie sahen nun die einmalige Chance, mit der Verfassung einen Neubeginn für den verfassungsrechtlichen Schutz zu machen.
Nachweisbar ist es Elisabeth Selbert als einer der vier Mütter des Grundgesetzes zu verdanken, dass das Grundgesetz in einer unmissverständlichen Klarheit anders als die Weimarer Verfassung den Gleichberechtigungsartikel enthält. Sie überzeugte nicht nur zunächst ihre eigene Partei, die SPD von ihrem Vorschlag, den zweiten Absatz des Gleichheitsartikels in der Form "Männer und Frauen sind gleichberechtigt" zu fassen und das Merkmal Geschlecht in den Katalog des dritten Absatzes aufzunehmen. Sie wurde dabei von der damals in der hessischen Landesverwaltung tätigen Wiltraud Rupp von Brünneck unterstützt, die eine Frist für den Selbstvollzug der Verfassung für erforderlich erachtete, damit der Gesetzgeber nicht durch Untätigkeit die Umsetzung hätte blockieren können.
Für Erna Scheffler wird die Verfasssung und dabei speziell Art. 3 Abs. 2 GG wichtiges Thema. Nachdem die Anpassungsfrist für die Gleichberechtigung feststand, bildeten seit 1949 überall in Westdeutschland sachkundige Frauen Beratungsgruppen, die zum Familienrecht änderungsbedürftige Vorschriften sammelten. Erna Scheffler leitete den Vorsitz "Rechtsausschuss" des "Deutschen Frauenrings", in dem auch Juristinnen des "Vereins der Juristinnen und Volkswirte" und des "Akademikerinnenbundes" mitarbeiteten.
- Staatsangehörigkeitsrecht: Die Staatsangehörigkeit für Mann, Frau und Kinder ist nicht durch Heirat zu beeinflussen.
- Beamtenrecht: Die Zölibatsklausel ist zu streichen, es bedarf der gleichen Hinterbliebenenversorgung und des gleichen Mindestalters zur Verbeamtung.
- Steuerrecht: Die Zusammenveranlagung der Eheleute ist verfassungswidrig.
- Familienrecht: Es bedarf der Freiheit der Namenswahl, eines gleichberechtigten Elternrechts, des Güterstands der Gütertrennung mit hälftiger Beteiligung am Zugewinn.
Erna Scheffler schrieb 20 Jahre später zurückschauend: "Dieser Frankfurter Juristentag wird mir als Wahrzeichen der Wandlung unvergeßlich bleiben. Noch einmal wurden in der Diskussion alle Argumente gegen die Gleichordnung der Frauen aufgewärmt - aber sie hatten keine Kraft mehr; und Professor Ulmer und ich haben die große Freude gehabt, dass unsere Thesen nicht nur von der großen Mehrheit - auch der männlichen Teilnehmer - angenommen wurden, sondern dass sie inzwischen nahezu vollständig in die Gesetze übergegangen sind - zum Teil allerdings nur mit Nachhilfe durch das Bundesverfassungsgericht."
In den Würdigungen zum 80. Geburtstag von Erna Scheffler
Erna Scheffler gehörte dem Ersten Senat von 1951 bis 1963 an. Urteile des ersten Senats unter ihrer Mitwirkung
- BVerfGE 3, 25 (Grundsatzentscheidung zur Gleichberechtigung);
- BVerfGE 6, 59 (Zusammenveranlagung im Steuerrecht für verfassungswidrig erklärt);
- BVerfGE 10, 55 (Unterzeichnung der Verfassungswidrigkeit des Stichentscheids des Vaters) für den erkrankten Präsidenten im Juli 1959;
- BVerfGE 15, 337 (Bevorzugung männlicher Erben nach der Höfeordnung verfassungswidrig);
- BVerfGE 17, 1 und 38 bzw. 62 (Nichtberücksichtigung der Werte der Leistungen als Mutter, Hausfrau und Mithelfende in der Sozialversicherung verfassungswidrig).
Dies waren die letzten Entscheidungen, an denen Erna Scheffler vor ihrem Ausscheiden noch mitwirkte.
Auf Erna Scheffler folgten im ersten Senat jeweils wieder Richterinnen. Die erste war die ebenfalls an den Beratungen im Parlamentarischen Rat durch Beratung von Elisabeth Selbert beteiligte Wiltraut Rupp- von Brünneck. Es folgten Gisela Niemeyer (1977-1989), Helga Seibert (1989-1999) und Christine Hohmann-Dennhardt (seit 1999). Im ersten Senat gibt es seit 1994 zwei weitere Richterinnen: Evelyn Haas (vorgeschlagen von der CDU) und Renate Jaeger (SPD). Im zweiten Senat gibt es seit 1986 die erste Richterin.
III. Die erste Karlsruher Korrektur
Die einfache oder apodiktische Formulierung des Art. 3 Abs. 2 GG bedarf der Interpretation des Begriffs der Gleichberechtigung. Außerdem wird die Gleichberechtigung von Mann und Frau seit 1949 zweifach in der Verfassung genannt. Es darf auch niemand wegen des Geschlechts benachteiligt oder bevorzugt werden, so in Art. 3 Abs. 3 GG
Anfang der fünfziger Jahre betraten die Autoren der juristischen Literatur hierzu Neuland und zeigten noch wenig Bereitschaft, die verfassungsrechtliche Wertung des Art. 3 Abs. 2 GG zu akzeptieren. So war zwar das Grundrecht des Art. 3 Abs. 2 GG mit Art. 117 Abs. 1 GG anders als Art. 3 Abs. 3 GG mit einer Übergangsfrist versehen. Trotzdem wurde Art. 3 Abs. 2 GG in ersten Auflagen der verfassungsrechtlichen Kommentarliteratur keine eigenständige Bedeutung zugesprochen. Art. 3 Abs. 2 und Abs. 3 GG seien inhaltsgleich.
Im ersten deutschen Bundestag waren 31 Frauen neben 378 Männern vertreten. In der ersten Regierungserklärung von Konrad Adenauer kam der mit der Übergangsfrist zu Art. 3 Abs. 2 GG bestehende Handlungsbedarf nicht vor. Bei der Diskussion um die von der SPD-Opposition zur Gleichberechtigung eingebrachten Anträge wurden die alten, bereits zu Art. 3 Abs. 2 GG vorgebrachten Einwände wieder aufgegriffen, und die Frauen agierten nicht mehr parteienübergreifend. Die Übergangsfrist bis zum 31. März 1953 verstrich ohne gesetzliche Neuregelung zum Familienrecht. Vor diesem Hintergrund war die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu den Vorlagen der Zivilgerichte zum Familienrecht mit Spannung erwartet worden. Die Bundesregierung hatte das Bundesverfassungsgericht zuvor ersucht, die bereits angekündigte Entscheidung auf unbestimmte Zeit zurückzustellen.
Parallel dazu suchte die durch die so genannte Adenauer-Wahl 1953 mit absoluter Mehrheit ausgestattete CDU/CSU-Fraktion um Unterstützung für ihren Antrag, Art. 3 Abs. 2 GG bis zum 31. März 1955 außer Kraft zu setzen. Dies wäre nur als Verfassungsänderung mit Zwei-Drittel-Mehrheit im Bundestag möglich gewesen, und die Koalitionsparteien hätten geschlossen dafür stimmen müssen, also auch die FDP, die im Ergebnis dazu nicht bereit war. Anlass für den Verlängerungsantrag der CDU/CSU Fraktion war die auch in der zweiten Legislaturperiode des Bundestages nicht beschlossene Familienrechtsreform, mit der Konsequenz, dass - bestätigt auch vom BGH - die Gerichte ohne neues Gesetz im Sinne von Art. 3 Abs. 2 GG seit dem 1. April 1953 entscheiden mussten. Es hatte sich hierzu in den wichtigsten Zweifelsfragen im Ehe- und Familienrecht bereits eine deutlich herrschende Meinung bei den unteren Gerichten entwickelt, sodass eine unerträgliche Rechtsunsicherheit weder entstand noch künftig zu erwarten war.
Das BVerfG folgte 1953 dem Wunsch der Bundesregierung nicht und verschob die angekündigte Entscheidung nicht. Die Karlsruher Korrektur des gesetzgeberischen Nichthandelns war deutlich. Die Feststellung der unmittelbaren Anwendbarkeit des Art. 3 Abs. 2 GG öffnete der Zivilgerichtsbarkeit die Tür, auch ohne gesetzliche Neuregelung eine verfassungskonforme Anwendung der Familienrechts zu praktizieren.
Die einfache
IV. Die neue Formel und der Wertewandel zu Art. 3 Abs. 2 und 3 GG
Der Hinweis in der Grundsatzentscheidung von 1953 auf die mögliche Unterscheidung in biologische oder funktionale Unterschiede ist für die Begründung der unmittelbaren Anwendbarkeit zwar nicht tragend gewesen. Das Urteil kann aber als Ansatzpunkt für den Versuch genommen werden, die Anfang der fünfziger Jahre noch von vielen in der juristischen Literatur vertretene generelle Ablehnung des neuen Rechts jetzt mit einer verfassungsgerichtlichen Wertung zu rechtfertigen. Die neue Formel kann auch bei Akzeptanz der verfassungsrechtlichen Wertung der garantierten Gleichberechtigung zu nicht überzeugenden Wertungen führen. Die Formel der biologischen und funktionalen Unterschiede, die eine unterschiedliche Behandlung rechtfertigen können, beherrscht seit der Grundsatzentscheidung von 1953 die Rechtsprechung des BVerfG zu Art. 3 Abs. 2 und 3 GG. Dazu liegen zahlreiche Stellungnahmen vor, nicht nur juristische.
Typisierend lassen sich für die ersten 40 Jahre der Rechtsprechung des BVerfG vier Phasen unterscheiden.
Nichtjuristinnen und Nichtjuristen mag es zunächst nicht einleuchten, wie es denn möglich ist, dass das für die Interpretation der Verfassung höchste Gericht zu einer Verfassungsnorm im Zeitverlauf zu unterschiedlichen Ergebnissen kommen kann. Noch mehr kann dies zunächst erstaunen, wenn dabei sogar jeweils die identische gesetzliche Vorschrift der verfassungsrechtlichen Überprüfung unterzogen wurde.
Die Rechtsprechung des BVerfG kann einen forschen Zugriff auf die Rechtsordnung bedeuten, wie bereits die Grundsatzentscheidung von 1953 zeigte. Gefundene Ergebnisse werden vom BVerfG bestätigt. Verständlich ist für das höchste Gericht auch die Tendenz einer konsequenten Selbstbehauptung dieser Ergebnisse. Teils deuten sich solche Wandel in vorherigen Entscheidungen an, wenn die Bedeutung zunächst dahingestellt bleibt. Anhand von drei Beispielen (Recht des Ehenamens, Arbeitszeitschutz, Feuerwehrabgabe) soll ein solcher möglicher Wandel beschrieben werden.
- Mit der Heirat erhielt die Frau den Namen des Mannes (§ 1355 BGB i. d. F. von 18. August 1896). Erna Scheffler hatte bereits bei ihrem Referat zum 38. DJT auf die Bedeutung der Freiheit der Namenswahl bei Heirat hingewiesen. Das Gleichberechtigungsgesetz von 1957 ermöglichte nur der Frau, ihren bisherigen Namen dem Ehenamen hinzuzufügen. Das BVerfG erklärte am 26. November 1963 das Gebot der Führung eines einheitlichen Ehe- und Familiennamens für mit dem GG vereinbar.
- Beim Arbeitszeitschutz bestand das Problem darin, dass mit Pausenregelungen und auch mit dem Nachtarbeitsverbot für Arbeiterinnen in der alten Arbeitszeitordnung besondere Schutzstandards für Frauen begründet waren. 1956 verwarf das BVerfG die Verfassungsbeschwerde eines Mannes, die sich gegen die in § 17 Abs. 2 Arbeitszeitordnung geregelten besonderen Pausenregelungen richtete, mit der Begründung, Männer würden durch die angegriffene Norm nicht benachteiligt, denn es handele sich um eine Regelung, "die der biologischen Besonderheit der Frau im Rahmen ihres Arbeitsverhältnisses schützend Rechnung trägt". Mit Urteil vom 28. Januar 1992 kommt das BVerfG hingegen zu dem Ergebnis, das in § 19 Arbeitszeitordnung geregelte Nachtarbeitsverbot für Arbeiterinnen benachteilige diese im Vergleich zu Arbeitern (Verstoß gegen Art. 3 Abs. 3 GG) und weiblichen Angestellten (Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG). Anders als beim Ehenamen kommt bei der Rechtsprechung zum Arbeitszeitschutz das EG-Recht zum Tragen, denn zuvor entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH) inhaltlich identisch, wenn auch nicht zu einem deutschen Verfahren, mit der Konsequenz, dass die zum Nachtarbeitsverbot eingereichten Vorlagebeschlüsse der Gerichte unzulässig geworden sind und das BVerfG nur über die anhängige Verfassungsbeschwerde entscheidet.
- In den Bundesländern sind Berufsfeuerwehren und Freiwillige Feuerwehren eingerichtet. Die meisten Bundesländer sehen eine auf männliche Gemeindebewohner beschränkte Feuerwehrdienstpflicht vor. In der Praxis wird niemand zum Feuerwehrdienst verpflichtet. Drei Bundesländer sehen außerdem eine Feuerwehrabgabe für diejenigen Männer vor, die nicht in Feuerwehren dienen. Das BVerfG erachtete 1961 die Feuerwehrabgabe als mit dem Grundgesetz für vereinbar, ohne Art. 3 Abs. 2 oder 3 GG als Prüfungsmaßstab heranzuziehen (BVerfG, Beschluss v. 17. 10. 1961, BVerGE 13, 167). 1994 stellte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte zur Erhebung der baden-württembergischen Feuerwehrabgabe eine Verletzung des allgemeinen Diskriminierungsverbots fest. Das BVerfG, das seit der ersten Entscheidung von 1961 mehrere Verfassungsbeschwerden zur Feuerwehrabgabe nicht zur Entscheidung angenommen hatte, änderte mit Beschluss vom 24. Januar 1995 seine Rechtsprechung. Danach verstößt die Beschränkung einer Feuerwehrdienstpflicht und einer hieran anknüpfenden Abgabepflicht auf Männer gegen das Diskriminierungsverbot des Art. 3 Abs. 3 GG.
Der beschriebene Wandel hat bisher in der Rechtsprechung des Ersten Senats stattgefunden, in dessen Zuständigkeitsbereich die meisten der bisherigen Verfahren zu Fragen der Gleichberechtigung der Geschlechter gefallen ist. Der Erste Senat ist teilweise auf die Rechtsprechung des EuGH eingegangen - und musste dies auch.
Für die Zukunft liegt es aber generell dem verfassungsgerichtlichen Schutz von Art. 3 Abs. 2 und 3 GG nahe, den gemeinschaftsrechtlich etablierten Diskriminierungsschutz und künftig auch völkerrechtlich verankerte Standards konzeptionell in die eigene Rechtsprechung zu integrieren. Anders als zu Beginn der Rechtsprechung 1953 kann heute auf eine intensiv geführte Diskussion im internationalen und europäischen Kontext zurückgegriffen werden.
In der verfassungsrechtlichen Kommentarliteratur finden sich erste Äußerungen zu der zunächst europäisch begründeten rechtlichen Figur der mittelbaren Diskriminierung. Diese ist nach zutreffender Ansicht in Art. 3 Abs. 3 GG anzusiedeln.
Die bei der Europäischen Gemeinschaft seit dem Vertrag von Amsterdam zu Art. 3 Abs. 2 EGV begonnene Diskussion des "gender meanstreamings" als ein über die engen Grenzen der rechtlichen Gleichstellung hinausgehendes Konzept könnte ihre Grundlage in Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG finden. Art. 3 Abs. 2 GG ist offen genug formuliert, um neuen Ansätzen staatlichen Handelns zugunsten der Verwirklichung der tatsächlichen Gleichstellung der Geschlechter einen verfassungsrechtlich soliden Rahmen geben zu können.