Einleitung
In der politikwissenschaftlichen Transformationsforschung steht die Frage nach "Demokratisierung" von Staat und Gesellschaft im Zentrum. Demokratisierung wird dabei als Abbau autoritärer und hierarchischer Politikstrukturen, als Herausbildung der politischen Institutionen sowie des Rechts- und Normengefüges liberaler Demokratien verstanden. Auch und gerade in Bezug auf die neuen Bundesländer Deutschlands, die als Sonderfall der Transformation behandelt werden, wird Demokratie im institutionellen Sinne enggeführt. Demokratisierung in einem weiten Sinne umfasst auch das Geschlechterverhältnis; sie spielt in den einschlägigen politikwissenschaftlichen Forschungsarbeiten kaum eine Rolle. Geschlechterverhältnisse werden hier weder als Strukturmuster von politischen Institutionen und transformatorischen Prozessen noch von Normen und Einstellungsmustern debattiert. Von einer Demokratisierung der Geschlechterverhältnisse kann daher nicht ausgegangen werden.
Die Ursachen für ein weibliches politisches Repräsentationsdefizit auf Bundes- und Landesebene sind für die alten Bundesländer vergleichsweise gut untersucht. Die spezifischen Brüche und Veränderungen für Frauen in der Politik der neuen Bundesländer verschwinden aber selbst in Studien der Frauenforschung und für die lokale politische Ebene ist auf eine völlige Forschungslücke zu verweisen. Dies ist zu Unrecht so, da im Zuge der so genannten Devolution, der Entscheidungsverlagerung von der nationalen auf nachgelagerte Ebenen, die Bedeutung von Kommunalpolitik und mithin auch von dort getroffenen geschlechterpolitischen Entscheidungen zukünftig steigen wird. Zudem spielt die lokale Ebene für die Rekrutierung der politischen Elite auf Landes- und Bundesebene von jeher eine besondere Rolle.
Mit dem vorliegenden Artikel möchten wir einen Beitrag zur Erforschung der Veränderung des Geschlechterverhältnisses im kommunalpolitischen Raum während des Um- und Neubaus der neuen Länder leisten. Weil wir davon ausgehen, dass das Verhältnis zwischen Frauen und Männern im Laufe des politischen Transformationsprozesses neu konfiguriert wurde, wollen wir uns in unserer Untersuchung nicht allein auf die quantitative Repräsentation von Frauen beschränken. Prozesse der Veränderung der Geschlechterverhältnisse umfassen nicht nur das quantitative Männer-Frauen-Verhältnis in kommunalpolitischen Institutionen, sondern auch die qualitative Veränderung: Uns interessieren die Beteiligten selbst, die politisch motiviert oder depolitisiert werden können, sowie (lokal)politische Diskurse über Geschlecht.
Die politische Repräsentation, aber auch die Einflussmöglichkeiten von Frauen auf der lokalen Ebene haben sich seit der Wende deutlich verändert. Allerdings ist noch zu überprüfen, welche neuen Potenziale erschlossen werden konnten und welche Restriktionen eine "Geschlechterdemokratie" im Kommunalbereich der neuen Bundesländer verhindern. Wie nehmen also lokalpolitisch engagierte Frauen in den neunziger Jahren ihre politischen Chancen im Unterschied zu früher wahr? Wurden Frauen auf der Gemeindeebene aus politischen Entscheidungsstrukturen verdrängt, oder konnten sie gerade im lokalen politischen Raum neue Einflusssphären gewinnen? Haben wir es schlicht mit einer "Anpassung" an die Verhältnisse in den alten Bundesländer zu tun, wurde also der "normale" westdeutsche "Parteienmaskulinismus"
Die Transformation lokaler Politik ist unter Geschlechterperspektive differenziert zu hinterfragen: Weder ist von der automatischen Herausbildung einer demokratisch-gleichen Repräsentation beider Geschlechter auf der lokalen Ebene auszugehen, noch garantieren die neuen Politik- und Verwaltungsstrukturen per se einen demokratischeren Zugang für Frauen zu politischen Machtpositionen und Ressourcen in den Gemeinden. Unsere These lautet, dass im Zuge der lokalpolitischen Demokratisierung Frauen - im Realsozialismus als Arbeiterinnen und Mütter politisch aufgewertet und in autoritär-paternalistischer Weise repräsentiert - nach der Wende von der lokalen Ebene, auf der sie zu DDR-Zeiten gut vertreten waren, sukzessive von Männern verdrängt wurden. Mit der Beseitigung der SED-Herrschaft wurde die "geschlechterpolitische Karte" überhaupt erst gespielt.
I. Politik- und Verwaltungsumbau in den neuen Bundesländern
Die Vertretungsorgane in Städten und Gemeinden der DDR waren örtliche Organe der sozialistischen Staatsmacht und mithin der Sozialistischen Einheitspartei (SED) sowie der "verbündeten" Parteien. Die kommunale Selbstverwaltung war abgeschafft, die lokalen Räte waren in die vertikale Anweisungs- bzw. Kontrollstruktur integriert worden.
Nach der Vereinigung der beiden deutschen Staaten passten die DDR-Kommunen in einem beispiellosen Tempo ihr gesamtes Institutionengefüge dem der alten Bundesländer an. Der erste Transformationsimpuls wurde mit den Kommunalwahlen in der DDR und der neuen Kommunalverfassung in der ersten Jahreshälfte 1990 gegeben. In dieser als "Gründungsphase" bezeichneten Rekonstruktionsphase der kommunalen Verwaltungen und damit der gesamten Lokalpolitik dominierte zwar einerseits die rechtliche Angleichung an das Modell der Bundesrepublik Deutschland: der "Westimport" also - ein Import von Personal, aber auch von Verwaltungsstrukturen und -verfahren durch so genannte Partnergemeinden aus Westdeutschland. Andererseits kam es auf der kommunalen Ebene bereits in dieser Phase zur Herausbildung ostdeutscher "Eigenheiten", die als Innovationen auf der Ebene der Lokalpolitik bezeichnet werden können. Diese entstanden nicht zuletzt aus den in der Wendezeit hervorgegangenen demokratischen Strukturen und Verfahren auf Gemeindeebene, wie z. B. den Runden Tischen. Direktdemokratische Verfahren wie Bürgerbegehren, Bürgerantrag und Bürgerentscheid fanden - anders als in westdeutschen Kommunen - selbstverständlichen Eingang in die neuen Kommunalverfassungen.
Ergebnisse des institutionellen Umbruchs auf der kommunalen Ebene sind erstens neue Formen kommunaler Selbstverwaltung. Hierunter fällt auch die Zuständigkeit der Kommunen für neue Agenden und Politikbereiche, wie beispielsweise für soziale Einrichtungen. Zweitens wurde die Institutionenbildung von Beginn an "von partei- und koalitionspolitischen Interessen und Kompromissen", also durch die " ,Normalität' des politischen Prozesses unter pluralistisch-parteienstaatlichen Rahmenbedingungen", bestimmt.
Wie hat sich nun das Geschlechterverhältnis in den skizzierten kommunalen Transformationsprozessen verändert? Die Suche nach einschlägigem statistischen Datenmaterial war grosso modo erfolglos: Weder der Deutsche Städte- und Gemeindebund noch das Statistische Bundesamt und die zuständigen Statistischen Landesämter haben in den kommunalen Legislaturperioden seit 1990 die Zusammensetzung von Kommunalparlamenten systematisch geschlechterdifferenziert erhoben.
II. "Das war eine kämpferische Zeit." - Geschlechtsspezifische Neubestimmung lokaler Politik in den frühen neunziger Jahren
In Studien zur politischen Beteiligung von Frauen in den neuen Bundesländern wird gerne auf deren "kometenhaften Aufstieg" kurz nach der Wende verwiesen, auf "typisch ostdeutsche Politik-Karriere(n) der Wendezeit"
Auch ehemals "private" Frauengruppen erlebten solche "Blitzkarrieren". In der Wendezeit setzte eine Gründungswelle von frauenbewegten bzw. frauenpolitischen Vereinen ein, die von einigen Kommunen stark unterstützt wurden. Politisch nahm vor allem der 1989 gegründete "Unabhängige Frauenverband" (UFV) eine wichtige Rolle ein. Er war nicht nur am "Zentralen Runden Tisch" in Berlin, sondern auch an zahlreichen lokalen Runden Tischen beteiligt.
Dennoch schlug sich diese frauenpolitische Mobilisierung nicht in einer angemessenen quantitativen Repräsentation von Frauen in den kommunalen Vertretungen nieder. Es fand sogar eine Reduzierung des Frauenanteils statt. Auf der Gemeindeebene waren Frauen in der DDR im Vergleich zur alten Bundesrepublik überdurchschnittlich repräsentiert. In den meisten kommunalen Vertretungskörperschaften der DDR lag ihr Anteil bereits in den achtziger Jahren bei ca. 40 Prozent. So standen beispielsweise im Jahr 1984 in den Stadtbezirksversammlungen 2 453 männlichen Abgeordneten immerhin 1 722 weibliche Abgeordnete gegenüber, ein Frauenanteil von 41,3 Prozent. Der Frauenanteil stieg bis 1989 schließlich auf 43 Prozent. In den Parlamenten der Stadt- und Landkreise lag der Anteil an Frauen ebenfalls bereits 1984 bei 42 Prozent und 1989 dann bei 44 Prozent.
Demgegenüber sank der Anteil von Frauen nach der Wende erheblich, er halbierte sich nahezu und passte sich an das kommunalpolitische Geschlechtermuster der alten Bundesrepublik an. Dort hatte der durchschnittliche Anteil kommunaler Mandatsträgerinnen erstmals 1984 die 10-Prozent-Hürde übersprungen und betrug 1996 25 Prozent. Der Anteil weiblicher Kreistagsmitglieder im Thüringen der Nachwendezeit beispielsweise lag erheblich unter den DDR-Werten und pendelte sich bis zum Jahr 2000 auf ca. 20 Prozent ein.
Im Bereich der kommunalen Verwaltungen erweist sich die Situation als ambivalent: Während viele der überwiegend weiblichen Angestellten auf den unteren Ebenen im Zuge des Personalabbaus ihre Arbeitsplätze verloren, konnten einige Frauen aus den mittleren in höhere Leitungsebenen aufsteigen. Da die vornehmlich männliche Verwaltungselite zu großen Teilen entlassen wurde, entstand ein Vakuum, das - neben den "Eliteimporten" aus "dem Westen" - mit weiblichen Verwaltungsangestellten der mittleren Leitungsebene gefüllt wurde. Doch auch hier setzte sich das bekannte Muster "Je höher der Dienst, desto weniger Frauen" durch: Der Frauenanteil betrug in einer von uns untersuchten thüringischen Stadt im höheren Dienst (B5 - A13) gerade einmal 18 Prozent.
Als Fazit der Umstrukturierung auf der lokalen Ebene lässt sich festhalten: Frauenpolitisches Engagement und (direkt)demokratische Euphorie waren zentrale Elemente der Wendezeit. Die lokalpolitische Mobilisierung von Frauen war durch die "Entdeckung" des politischen Faktors "Geschlecht" ausgelöst worden. Geschlechterfragen konnten endlich in politisches Engagement umgemünzt werden. Doch im Zuge der Re-Institutionalisierung bzw. der Formalisierung von Kommunalpolitik sank der quantitative Anteil der Frauen in den lokalen Vertretungskörperschaften. Die Überführung in die kommunale Selbstverwaltung war also mit einer Verdrängung der Frauen durch Männer aus der Kommunalpolitik verbunden, wenngleich unter den engagierten Frauen nach wie vor eine geschlechterdemokratische Aufbruchstimmung "an den Rändern" der kommunalpolitischen Institutionen herrschte.
III. "Demokratie hat nicht stattgefunden." - Enttäuschung in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre
In der Kommunalpolitik der neuen Bundesländer sind Frauen auch in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre in der genannten Größenordnung vertreten. 1998 sind in Thüringer Gemeinden nur etwa 20 Prozent der Stadträte weiblichen Geschlechts. Unterschiede zwischen der Größe der Städte oder der in den Kommunalparlamenten vertretenen Fraktionen sind in den ausgewählten thüringischen Kommunen nicht von Bedeutung.
Nach der quantitativen Stabilisierung veränderte sich im Laufe der neunziger Jahre die frauenpolitische Situation in den neuen Bundesländern deutlich: Sie war nun zunehmend durch Enttäuschung, Erschöpfung und Zermürbung gekennzeichnet.
Viele der Frauen, die sich im Rahmen politischer "Blitzkarrieren" in der institutionalisierten Politik engagiert hatten, warfen ab Mitte der neunziger Jahre "das Handtuch"
Im Verlauf der neunziger Jahre zeigte sich - jenseits der Verdrängung von Frauen aus der Politik und der damit verbundenen Enttäuschungen - ein Phänomen, das in frauenpolitischen Zusammenhängen der alten Bundesländer seit Jahrzehnten bekannt ist: Die Kommunikation und Zusammenarbeit von politisch aktiven Frauen wurde zunehmend problematischer und konflikthafter. Die in der Wendezeit in- und außerhalb der institutionalisierten Politik aktiven Frauen kamen zumeist aus ähnlichen "kämpferischen" Feldern. Seit Mitte der neunziger Jahre wandelte sich das damit verbundene starke "Wir"-Gefühl jedoch erheblich: Erstens traten Unterschiede zwischen den Interessen der in den Verwaltungen tätigen Gleichstellungsbeauftragten, den parteipolitisch engagierten und den in Frauenzentren arbeitenden Frauen immer deutlicher zutage. Zweitens veränderten sich die Rekrutierungsprozesse. So entstamm(t)en die Gleichstellungsbeauftragten nun zunehmend dem Pool der Verwaltungsangestellten, die nicht immer an einer Kooperation mit politisch engagierten Frauen in Frauenzentren und -vereinen interessiert sind. Drittens differenzierten sich die Gruppen, Vereine und Organisationen nach der euphorischen Aufbruchstimmung Anfang der neunziger Jahre zunehmend aus.
Die Zeit der frauenpolitischen Koalitionen, wie sie in der Aufbruchsphase existierten, insbesondere der Zusammenhalt zwischen frauenbewegten Initiativen, der Verwaltung und der lokalen Politik, ist zu Ende. An die Stelle von Kooperation ist die konflikthafte Auseinandersetzung getreten: Frauenpolitisch entsteht damit ein Vakuum, in manchen Kommunen kommt es sogar zu gegenseitiger Lähmung. Die Gründe für die lokalpolitische Demobilisierung von Frauen seit Mitte der neunziger Jahre entsprechen nicht selten denen auf der nationalen Ebene, doch erschweren kommunalpolitische Spezifika das politisch-institutionelle Engagement zusätzlich: Kleinräumigkeit und die große Bedeutung informeller Beziehungen auf dieser Ebene tragen hier zur festeren Knüpfung von alten und neuen Männerseilschaften bei. Allerdings gibt es nach wie vor Strukturen und Zusammenhänge aus der Zeit der Wende, auf die politisch engagierte Frauen zurückgreifen können.
IV. "Heute ist alles möglich, und nichts geht." - Möglichkeiten kommunaler Geschlechterdemokratie
Kommunale Geschlechterdemokratie bedarf sowohl einer angemessenen quantitativen Repräsentation beider Geschlechter als auch der Möglichkeit der Durchsetzung geschlechterdemokratischer. Kommunalpolitik ist zwar in Ostdeutschland heute - im Vergleich zur Vorwendezeit - aus der Sicht aller Befragten mit größeren politischen Gestaltungsmöglichkeiten verbunden, aber es wird auch argumentiert, dass es für Frauen vor der Wende einfacher war, auf dieser Ebene der Politik mitzuwirken. Erstens habe Frauen vor der Wende ein garantierter Anteil von Stellen in der Lokalpolitik zugestanden. Das sei heute nicht mehr der Fall. Zwar gelte in einigen Parteien jetzt eine Geschlechterquote, aber der damit festgeschriebene Frauenanteil sei dadurch keineswegs garantiert. Zweitens sei die notwendige Freistellung zur Wahrnehmung politischer Ämter in der DDR kein Problem gewesen. Demgegenüber werde politisches Engagement in der heutigen Arbeitswelt nicht gerne gesehen. Drittens berichten die meisten Befragten, dass die Verschlechterung der sozialen und ökonomischen Verhältnisse eine politische Teilnahme von Frauen erschwere. Politisch engagierte Männer seien von diesen sozialen Veränderungen nicht so stark betroffen. Als Hemmnisse werden vor allem die hohe Erwerbslosigkeitsrate bzw. die Angst, den Arbeitsplatz zu verlieren, fehlende oder mangelhafte Kinderbetreuungsmöglichkeiten wie die ungünstigen Öffnungszeiten von Horten und Kindertagesstätten genannt. Viertens sei die politische Beteiligung von Frauen - wenngleich aus anderen Gründen - vor der Wende erwünscht gewesen und habe selbstverständlicher als heute zum Frauenbild gehört. Demgegenüber sei politische Beteiligung kein Bestandteil des westdeutschen Frauenbildes. Frauen, die sich in der Politik engagieren wollen, stünden heute in größeren Begründungs- und Legitimationszwängen als vor der Wende. Andere Interviewpartnerinnen betonen, dass "man heute auf lokaler Ebene etwas machen kann", während es zu DDR-Zeiten keine wirklichen Gestaltungsmöglichkeiten gegeben habe. Es gebe heute mehr Entfaltungsmöglichkeiten und Chancen, "man muss es nur probieren".
Die Auswirkungen der strukturellen Veränderungen auf der lokalen Ebene auf das Geschlechterverhältnis sind also differenziert zu betrachten: Die Kommunen haben zwar seit der Wende größere Entscheidungsfreiräume, aber die auf den Kommunen lastenden Probleme (z. B. Stadterneuerung, Schulerneuerung, Erwerbslosigkeit, Sozialhilfe) erschweren die politische Gestaltungsarbeit erheblich bzw. machen diese fast unmöglich. Lokale Politik erschöpft sich häufig im Krisenmanagement. Geschlechterdemokratie als kommunale Aufgabe rückt somit schon allein aus strukturellen Gründen in weitere Ferne.
Die Befragten stellen dennoch übereinstimmend fest, dass es heute einfacher als vor der Wende ist, frauenpolitische Themen auf die politische Agenda zu bringen. Während zu DDR-Zeiten nur jene frauenpolitischen Themen auf der Tagesordnung standen, die Frauen als Erwerbstätige oder als Mütter betrafen, können seit der Wende auch andere Probleme politisiert werden. Hierzu zählen etwa "Gewalt in der Ehe" oder die "Situation von Lesben". Doch noch immer sei "ein langer Atem nötig", um frauenpolitische Themen auf die Agenda zu bringen.
Unsere Interviews machen deutlich, dass die Auswirkungen der Transformation auf Geschlechterverhältnisse im lokalen politischen Raum unterschiedlich, ja oft konträr eingeschätzt werden. Eine detaillierte Analyse der unterschiedlichen Einschätzungen der Befragten zeigt Folgendes: Je größer beispielsweise die Hoffnungen und Wünsche der frauenpolitisch engagierten Frauen und Frauengruppen in der Wendezeit waren, desto einschneidender ist und war die Erfahrung, dass auch in einem demokratischen System Interessen geschlechterdifferent, und nicht per se geschlechterdemokratisch, durchgesetzt werden. Eine zentrale Rolle bei der unterschiedlichen Einschätzung der Vor- und Nachwendezeit spielen weiterhin die unterschiedlichen Lebens- und Arbeitszusammenhänge der Befragten: Diejenigen, die sich in relativ stabilen beruflichen und politischen Positionen befinden, sehen eher die positiven Seiten der Transformation, während diejenigen, deren Lebenssituation prekär ist, eher die negativen Seiten wahrnehmen.
V. Demokratie und Geschlecht in der Kommunalpolitik. Eine zusammenfassende Interpretation
Die Ergebnisse der Literaturauswertung, der statistischen Analyse und der explorativen Interviews zeigen vielfältige, ambivalente und durchaus unterschiedliche Auswirkungen der Transformation auf das Geschlechterverhältnis: die Rekonstruktion traditioneller Geschlechterrollen auf lokaler Ebene. Diese Ambivalenz wird auch in den Einschätzungen der ExpertInnen sichtbar. Deutlich werden Bruchzeiten bzw. Bruchstrukturen für kommunales frauenpolitisches Engagement.
Unsere eingangs gestellten Fragen nach den Auswirkungen der Transformation auf das Geschlechterverhältnis der lokalen Ebene kann folgendermaßen beantwortet werden: Erstens wurde der Blick auf die Geschlechterverhältnisse in der (Lokal-)Politik erst mit der Wende geschärft. Zu DDR-Zeiten war "Geschlecht" nicht nur auf der Ebene der Lokalpolitik kein Thema.
Mit dieser "neuen Bedeutung" von Geschlecht war auch ein Mobilisierungsschub von Frauen in den Kommunen verbunden. Politisch aktive Frauen erlebten den Umbau des politischen Systems durchaus als Chance und nutzten diese im "Nahraum" der Kommune zur Gestaltung und zur Realisierung ihrer frauenpolitischen Ideen. Dies schlug sich z. B. in der Gründung von städtischen Frauenzentren und lokalen Gruppierungen des Unabhängigen Frauenverbandes nieder. Frauen engagierten sich für frauenpolitische Themen und forderten deshalb auch Möglichkeiten der politischen Repräsentation, nicht nur einer Schein- Repräsentation, wie sie der "Demokratische Frauenbund Deutschlands" (DFD) zu DDR-Zeiten darstellte. In diesem Sinne ist der Einzug der Frauen in die lokale Politik - innerhalb und außerhalb repräsentativer Institutionen - erfolgt.
Diese von den AkteurInnen wahrgenommene positive Verbesserung stellt sich aber - zweitens - bei genauerer Betrachtung als Veränderung der Geschlechterverhältnisse zuungunsten der Frauen dar: Im Kontext einer generell gestiegenen Bedeutsamkeit von "Geschlecht" konnten Frauenbelange zwar in die Politik hineingetragen und Frauen als eigenständige Akteurinnen in die Lokalpolitik integriert werden, doch grosso modo - so zeigen statistische Daten zu den sinkenden Frauenanteilen in den Stadträten und bei den BürgermeisterInnen - sind die zuvor auf der Ebene der Lokalpolitik stark vertretenen Frauen in großem Maße von Männern verdrängt worden. Sie sind heute zunehmend wieder ausschließlich in macht- und ressourcenlosen Positionen zu finden, wenn sie sich nicht gänzlich aus der Politik zurückgezogen haben.
Auch die Herausbildung politischer Identitäten verlief entlang dieser Bruchstrukturen: In der Aufbruchsphase konnte "Frausein" in den Kommunen "politisiert" werden, nicht zuletzt unter Rückgriff auf das Selbstbewusstsein von Frauen, die in der DDR ganz selbstverständlich berufstätig waren, und auf ein Frauenbild, in dem politische Beteiligung integraler Bestandteil war. Seit Mitte der neunziger Jahre wird weibliche politische Identität tendenziell depolitisiert und Frauenpolitik mithin delegitimiert. Ein Beispiel dafür ist die Bedeutungslosigkeit von Gleichstellungsbeauftragten. Um nicht gänzlich ausgegrenzt zu werden, begeben sich frauenbewegte Stadtpolitikerinnen bewusst in vermeintlich "neutrale" Ausschüsse und arbeiten sich in ebensolche Politikfelder ein.
Parteipolitische Männernetzwerke, geschlechtsspezifische Arbeitsteilung in der Verwaltung sowie eine Verschlechterung der sozialen Situation von Frauen haben zu einer Verdrängung der Frauen durch Männer aus der Lokalpolitik geführt. Die Hegemonie kommunalpolitischer Männlichkeit bedeutet aber andererseits nicht, dass Frauen keinen politischen Gestaltungsraum erhielten bzw. ausbauen konnten. Wie das im Extremfall aussehen kann, zeigt ein Beispiel einer Gemeinde im Bundesland Thüringen: Die Oberbürgermeisterin dieser Gemeinde ist ein Mann! - Die Erklärung dafür ist einfach: In einer Art Überraschungscoup ist es den feministischen Stadträtinnen von Bündnis 90/Die Grünen gelungen, die Satzung des Stadtrates in weiblicher Form zu verfassen.