I. Einleitung
"Politik im Internet" hat sich binnen eines halben Jahrzehnts von einer vagen Utopie zu einer Routineangelegenheit entwickelt, die kaum ein Akteur der Berufspolitik und Zivilgesellschaft ignorieren kann. Alle Dimensionen des Politischen sind betroffen:
- Politik (als policy) wird für das Netz gemacht, das keineswegs so unregulierbar und unkontrollierbar ist wie erhofft (oder befürchtet);
- Politik (als politics) findet im Netz statt, das heißt, der Wettbewerb um Macht und Einfluss wird verstärkt mit Hilfe neuer Medien betrieben;
- schließlich stellen sich Fragen der Netzpolitik (als polity), nach dem Einfluss dieses Medienwandels auf Verfassung und Verfasstheit moderner Demokratien sowie nach der Architektur des Internet selbst, das keineswegs der versprochene "herrschaftsfreie Raum" ist.
An diesen Wandel waren übertriebene Hoffnungen, allen voran ein Revival der "athenischen (direkten) Demokratie" (Al Gore) geknüpft, mit ihm waren aber auch ausufernde Befürchtungen eines die liberale Demokratie gefährdenden "elektronischen Populismus" verbunden. Beides darf man angesichts der tatsächlich gemachten Erfahrungen heute nüchterner sehen; zugleich sollte man auf dem Gebiet der politischen Kommunikation, bei dessen Erforschung neue Medien bisher kaum systematisch einbezogen worden sind,
Die heilsame Ernüchterung im elektronischen Handel und die zerplatzten Hoffnungen der "New Economy" tragen auch auf dem Feld der politischen Online-Kommunikation, die stets nur ein Randgebiet im Cyberspace war, dazu bei, dass sich die Spreu vom Weizen trennt. Jenseits aller mit technischen Innovationen stets verbundenen Propaganda und Kulturkritik erweist sich, dass die tiefgreifende Veränderung der sozialen Lebenswelt durch Online-Kommunikation das politische Leben nicht ausgespart hat, also Kommunikation, Praxis und Beratung von Politik vor neue Herausforderungen und der Politik-Forschung neue Aufgaben gestellt sind.
Hierzulande konzentrieren sich Aufmerksamkeit und Finanzierung vor allem auf Aspekte des "E-Government", worunter im Kern "bürgernahe Politik" und eine servicefreundliche Rationalisierung der Verwaltungen verstanden werden, also im Wesentlichen die Steigerung von Effizienz und Akzeptanz des politisch-administrativen Systems. Dieser Aspekt ist für Demokratien, die mit der wachsenden Komplexität der an Staat und Märkte gestellten Aufgaben zu kämpfen und zusätzlich unter dem Kontrollverlust der nationalen Staatsapparate in der globalen Arena zu leiden haben, alles andere als sekundär. Interaktive Medien können in der Tat Politikkonzepte konkretisieren, die weniger hierarchische Steuerung als eine netzwerkartige Selbstorganisation verlangen und sich dabei am Ideal des "aktivierenden" oder "Supervisionsstaates" orientieren.
Doch darf diese Fokussierung, die durch eine zunehmend protektionistische Multimediapolitik (Filter gegen obszöne und extremistische Inhalte, Daten- und Urheberschutz etc.) ergänzt wird, nicht die Bürgerinnen und Bürger selbst aus den Augen verlieren, denen die interaktive Online-Kommunikation mehr informationelle Selbstbestimmung verschafft hat. Traditionelle "Gatekeeper", Vermittler und Meinungsführer können leichter umgangen werden, Meinungs- und Willensbildung sind weniger angewiesen auf dominante Akteure wie Parteien und klassische Massenmedien. Wir haben deswegen stets an das Ideal des "gut informierten Bürgers" erinnert
Dabei kommt es, wie wir hier zeigen möchten, nicht allein auf die technische Infrastruktur medialer Interaktivität an, sondern auf tatsächliche Interaktion, weniger auf das Zugangspotenzial als auf effektive Informationsfreiheit. Es zeichnet sich längst eine erhebliche Deformation des "Marktplatzes der Ideen" (wie das amerikanische Bundesverfassungsgericht das Internet genannt hat) durch exzessive Kommerzialisierung wie durch staatliche Regulierung ab, die durch die Konvergenz von Internet und Fernsehen noch verschärft werden dürfte. "Mehr vom selben" ist aber kein Schicksal, und wir wollen am politischen Prozess reale Möglichkeiten von "Mehr Demokratie" aufzeigen.
II. Formen politischer Online-Kommunikation
Wollte man die Vielfalt politischer Kommunikationsvorgänge im Internet systematisieren, wäre dies inzwischen selbst in überblickshafter Form kaum noch möglich, denn der Differenzierungsgrad politischer Netzkommunikation ist binnen weniger Jahre rasant gestiegen.
1. Virtuelle Parteizentralen
Online-Angebote politischer Parteien wurden bereits aus unterschiedlichen Perspektiven betrachtet.
Als Scharnierelement für die Entwicklung digitaler Parteikommunikation in Deutschland kann die Etablierung parteibezogener Webseiten gelten. Solche Angebote haben seit 1995 einen mehrstufigen "Produktzyklus" durchlaufen: Zunächst nutzten die Parteien lediglich vorhandene Werbematerialien weiter, die sie "ins Netz stellten"; auf fortgeschrittenerer Stufe produzierten sie parteibezogene Nachrichtenangebote im Stile von "Online-Magazinen", und in einem weiteren Entwicklungsschritt integrierten sie Elemente der Mitglieder- und Funktionärskommunikation. Inzwischen befinden sich die Partei-Seiten im Übergang zu "politischen Web-Portalen", die einen breit gefächerten Einstieg in die Politik im Netz ermöglichen und eine starke Dienstleistungsorientierung aufweisen.
Sind diese Angebote von Parteien und Fraktionen weitgehend öffentlich zugänglich, stellen Funktionärs- und Mitgliedernetze exklusive Online-Angebote dar, die nur einer bestimmten Klientel über Passwörter zugänglich sind und als Intranet fungieren. Die Entwicklung und Betreuung der Online-Präsenz der Parteien war Vorbild für den Einsatz von Informations- und Kommunikationstechnologien auf unterschiedlichen Parteiebenen. Die Nutzung interner Datennetze ist dabei stets mit einer Reorganisation bestehender Arbeitsabläufe gekoppelt. Der Bedeutungszuwachs entsprechender Koordinationsstellen innerhalb der Parteibürokratie sowie eine Revision der allgemeinen Arbeits- und Organisationsstrukturen kann als Folge einer steigenden internen Technisierung und Vernetzung gelten.
2. Foren, Chats und Online-Ereignisse
Als wichtige "Sonderformate" parteipolitischer Online-Kommunikation können hier noch Diskussionsforen, Politiker-Chats und Online-Veranstaltungen wie die "Virtuellen Parteitage" genannt werden. Die meist aus den schnell überfüllten Online-Gästebüchern hervorgegangenen parteiinternen Diskussionsforen haben für die Etablierung der Online-Angebote der Parteien eine bedeutsame Rolle gespielt. Eine für viele Online-Angebote typische "Auslagerung" der kommunikativen Aktivität an die Nutzer hat dazu beigetragen, dass sich entlang der auf den Partei-Websites diskutierten Themen Nutzergruppen konstituiert haben, die oft über längere Zeiträume in wechselnden personellen Konstellationen einen dauerhaften politischen Diskurs führen.
Ergänzt (und bisweilen bedrängt) werden die Diskussionsforen seit etwa 1998 durch Online-Chats, die als zeitlich begrenzte, thematisch fokussierte "Veranstaltungsöffentlichkeiten" mit prominenter Beteiligung angesehen werden können. In mehr oder weniger regelmäßiger Folge veranstaltet, übernehmen Chats eine ähnliche Funktion wie die Diskussions-Foren; auch sie vermitteln den Kontakt zwischen Bürgerschaft und Politik in Form eines organisierten, öffentlich zugänglichen Austauschs. Als dominierendes Format können inzwischen die regelmäßig wiederkehrenden "Wahlkampf-Chats" gelten, aber auch andere politische Ereignisse wie Parteitage begünstigen Netz-Auftritte von Politikern. Politiker-Chats übernehmen bislang eher inszenatorische und symbolische als inhaltliche Funktionen: Die Diskussionen im Chat verlaufen zumeist zwar sachlich und argumentativ, doch eine Integration dieser Kommunikationsvorgänge in tatsächliches politisches Handeln bleibt fraglich.
Eine im Verhältnis dazu elaborierte Kommunikationsaktivität stellte der im November 2000 durchgeführte "Virtuelle Parteitag" von Bündnis 90/Die Grünen in Baden-Württemberg dar (www.virtueller-parteitag.de). Bei diesem Online-Event konnten alle Mitglieder des Landesverbandes über eine eigens eingerichtete Website zwei Leitanträge diskutieren und kommentieren. Den Delegierten vorbehalten blieb die Teilnahme an einer digitalen Abstimmung über die Antragstexte. Erste Einschätzungen zu Ablauf und Nutzung der digitalen Veranstaltung zeigen, dass die Übertragung wichtiger Kommunikations- und Entscheidungsprozesse in den Datenraum möglich ist, die Mitwirkung an derartigen Online-Veranstaltungen jedoch noch als äußerst voraussetzungsvoll zu bezeichnen ist.
3. Digitale Parteiorganisation
Auch im Bereich der Parteiorganisation hat sich das Internet als kreatives Aktionsfeld entwickelt und für die Entstehung "Virtueller Parteigliederungen" gesorgt. Die prominentesten Beispiele hierfür liefern die "virtuellen Orts- und Landesverbände", die in den vergangenen Jahren sukzessive gegründet wurden. Derartige Vereinigungen können als Vorbild für eine neue Organisationsebene gelten, deren Eingliederung in das herkömmliche Gefüge der Parteistruktur gerade erst beginnt. Wichtigstes Merkmal dieser Strukturen ist ihre "virtuelle Verfasstheit", welche die übliche regionale Konstruktion der Parteigliederungen überschreitet und in der Regel auch keinen formalen Beitritt zur Parteiorganisation mehr erfordert. Was sich hier mit der Abkehr von Territorialprinzip und Vollmitgliedschaft abzeichnet, ist im Hinblick auf die herkömmliche Parteiorganisation geradezu revolutionär.
Vorreiter der Entwicklung war der "Virtuelle Ortsverein" der SPD (VOV, www.vov.de), der sich im Juni 1995 konstituierte, formal als "Arbeitskreis beim Parteivorstand" gilt und nicht den Status eines regulären Ortsvereins hat. Das zweite Beispiel liefert der im Juli 2000 gegründete Internet-Landesverband der FDP (lv-net, www.fdp-lv-net.de). Der lv-net strebt einen Sonderstatus als "Auslandsgruppe im Sinne der Bundessatzung" an, da die Gruppierung "als Landesverband nicht territorial erfassbar" (www.fdp-lv-net.de) sei.
Für diese neuen Parteigliederungen scheint die Formalisierung innerhalb bewährter Strukturen unumgänglich zu sein, um auf das bestehende Machtgefüge der Parteiorganisationen einwirken zu können. Dabei werden gezielt Ansatzpunkte zur behutsamen Modernisierung identifiziert und die Rekrutierungserfolge der virtuellen Gliederungen als Argument für eine Durchsetzung struktureller Neuerungen angeführt. Die Schaffung weitgehend autonomer, themengebundener Arbeitsplattformen für Mitglieder und Nichtmitglieder kann als Entwicklungsschritt virtueller Gliederungen auf dem Weg zur langfristigen Etablie-rung im Organisationsgefüge politischer Parteien gelten.
4. Online-Wahlkämpfe
Bereits im Bundestagswahlkampf 1998 hatte sich das Internet als Arena politischer Kommunikation etablieren können; allerdings nutzte das Gros der Parteien und Kandidaten das Netz damals noch eher in experimenteller Manier.
Als Vorbild fungiert hier vor allem der massive Einsatz Neuer Medien im US-Präsidentschaftswahlkampf 2000, als das Internet nicht nur als zusätzlicher Kanal zum Vertrieb von Werbematerialien, sondern auch als Mittel zur Ausweitung und Refinanzierung der Kampagne eingesetzt wurde.
Die Einbettung von Chat-Veranstaltungen oder anderen Online-Events in den Wahlkampfkalender der Kandidaten wird zwar zunehmen, doch zugleich übernehmen solche Ereignisse immer stärker die Züge alter "Politainment-Formate" in die neue Medienumgebung. Diese Entwicklung kann man als Beispiel für eine mögliche ,,Kolonisation' der neuen durch die alten (TV-fixierten) Medien ansehen und bedauern, da sie die echten Potenziale der Online-Kommunikation unter Wert behandeln. Die Entwicklung und Betreuung themenorientierter Wahlkampf-Sites nach dem Muster der FDP in Nordrhein-Westfalen (www.nrwbrauchttempo.de) kann als Erfolg versprechend gelten, ist allerdings auch mit hohem Material- und Personalaufwand verbunden. Dem Einsatz spielerischer Elemente, ebenso wie Versuchen zur Integration von E-Commerce-Anwendungen in die Wahlkampfkommunikation, dürfte allenfalls geringfügige Bedeutung zukommen.
Sollten sich genuin neue Kampagnenformate wie etwa parteien- und kandidatenübergreifende Online-Diskurse entwickeln, dürfte dies weniger auf die Initiative der Wahlkampfakteure selbst zurückgehen als auf das eigenständige Interesse von Medienanbietern oder von "digitalen Wahlkampfakteuren", die erst im Zuge der Online-Kampagne entstehen. Dieser Trend bestätigt die in der Partizipationsforschung angenommene Verstärkung der Präferenz für außerparlamentarische Mobilisierung und unkonventionelle Beteiligung, die parallel läuft mit der Tendenz zur Apathie und Aversion gegen professionelle Politik, die mit dem unscharfen Terminus Politikverdrossenheit bezeichnet wird. In diesem Zusammenhang kann Online-Kommunikation, die man als "individualisierte Massenkommunikation" charakterisiert hat, Tendenzen zur Fragmentierung der Öffentlichkeit befördern, die bereits in der alten Medienlandschaft angelegt war.
5. Online-Protest
Gewissermaßen als "Spiegelung" des Online-Wahlkampfs "von oben" haben ebenfalls seit Mitte der neunziger Jahre "Kampagnen von unten", zumeist in Form von Protestaktionen, das Internet als interessantes Medium politischer Kommunikation entdeckt. Stießen noch zu jener Zeit viele Online-Kampagnen auf Ablehnung und Unverständnis, so hat sich in den vergangenen zwei Jahren die Situation grundlegend geändert. Im Zuge der Etablierung einer politischen Online-Arena hat sich auch die Angriffsfläche für Protestkommunikation erheblich vergrößert; politische Akteure bzw. Akteurskollektive sind darüber hinaus im Internet zur sichtbaren Zielscheibe für politischen Protest geworden.
In einigen Fällen erwies sich bereits die gewachsene Flexibilität des politischen Systems gegenüber Online-Protesten.
Auch der Protest gegen "lufthansa.com" profitierte von der Verbindung zwischen Netzkunst und Netzprotest, da hier Konzept und Technik der "Virtuellen Sit-Ins" zum Einsatz kamen. Unter ihrer technischen Bezeichnung des "Denial-of-Service"-Angriff haben sich "Virtuelle Sit-Ins" zum festen Bestandteil im digitalen Protestrepertoire entwickelt. Gleichzeitig hat dieses Protestformat eine heftige Diskussion um die "politische Brauchbarkeit" solcher Aktionen ausgelöst. Um den Zusammenbruch eines Servers ("Denial-of-Service", DoS) aufgrund einer hohen Zahl gleichzeitiger Anfragen auszulösen, sind nicht notwendigerweise viele Internet-Surfer notwendig, denn der "Protest" kann auch auf "maschinelle" Weise simuliert werden.
Diese "Automatisierung des Protests" dient als Kritikpunkt: Eine künstlich herbeigerufene "DoS"-Attacke hat keinen "politischen" Wert, weil die Authentizität des Protests nicht gewährleistet ist. Inzwischen betonen Online-Aktivisten daher immer wieder ihren Willen zur Offenlegung der angewendeten Protest-Techniken, um eine "Authentifizierung" der Teilnehmer zu ermöglichen. Für die Anerkennung politischer Meinungsäußerungen im Internet spielt demnach die Unterscheidung zwischen "öffentlicher" und "anonymer" Kommunikation eine wesentliche Rolle.
Schließlich verläuft die Organisation digitaler Protestkommunikation längst nicht mehr nur innerhalb von Landes- oder Domain-Grenzen, sondern lässt immer auch die Kooperation bzw. Konfrontation mit internationalen Akteuren zu. Dieses latente Globalisierungspotenzial äußert sich am deutlichsten in der Entstehung eines weltweiten Protest-Netzwerks, das im Internet eine hauptsächliche Identitätsquelle und Organisationsmöglichkeit gefunden zu haben scheint. So verzeichnet die Portalseite "protest.net" (www.protest.net) einen umfangreichen Kalender mit zahlreichen protestwürdigen Veranstaltungen und verweist auf zahlreiche spezialisierte Protest-Seiten, die sich der Online-Begleitung der Aktivitäten unterschiedlicher "Globalisierungsakteure" verschrieben ha-ben. So sind regelmäßig Ankündigungen zu den bevorstehenden Ereignissen vorzufinden, zudem halten einige Websites präzise Hinweise zur Durchführung von Protestaktionen vor Ort bereit. Darüber hinaus tragen Online-Plattformen wie das "Z-Magazine" (www.zmag.org) oder das "Independent Media Center" (www.indymedia.org) zur Etablierung einer alternativen Öffentlichkeit bei, um die Berichterstattung der Mainstream-Medien zu konterkarieren.
Bemerkenswert ist die realistische und nüchterne Sicht der Macher dieser Online-Medien, für die ohne direkten Austausch die Organisation des Protests der "Globalisierungsgegner" unmöglich ist; auch fällt es ihnen schwer, dieses falsche Etikett loszuwerden, das die Mainstream-Medien den Kritikern der vorherrschenden und Befürwortern einer sozial inklusiven und ökologisch nachhaltigen Globalisierung anheften. Eine kritische Haltung zur aktuellen weltwirtschaftlichen Verflechtung und die Nutzung eines Mediums, das man als "globales Medium" par excellence bezeichnen könnte, steht keinesfalls im Widerspruch zueinander; vielmehr ist das Internet ein veritables "Agenda-Medium", das den Wahlspruch "Global denken, lokal handeln" operationalisieren helfen kann.
III. Digitale Politikprozesse
Auch andere Politikprozesse haben digitale Erweiterungen erfahren: Wesentliche Routinen politischer Systeme wie die Organisation von Wahlen, effizientes Verwaltungshandeln, aber auch bürgerschaftliches Engagement können im Umfeld Neuer Medien als Gegenstand "politischer Kommunikation" gefasst werden und sollen wenigstens skizzenhaft in die vorliegende Zusammenschau integriert werden.
1. E-Voting: Wählen per Mausklick?
Die digitale Stimmabgabe gilt vielen schon seit dem Aufkommen der Online-Kommunikation geradezu als Krönung der "elektronischen Demokratie". In der Tat lassen sich - parallel zu Fortschritten der Kryptographie und bei der "digitalen Signatur" im elektronischen Handel - virtuelle Stimmabgaben denken. Viele Befürworter von Internet-Wahlen erhoffen sich davon eine Umkehr der rückläufigen Trends bei der Wahlbeteiligung.
Zu hohen Erwartungen muss man hier allerdings aus zwei Gründen entgegentreten: Erstens ist die digitale Abstimmungstechnologie bei weitem nicht so sicher und vor allem verfassungsrechtlich nicht so unproblematisch, wie ihre Verfechter (und kommerziellen Aspiranten) behaupten.
Zukünftig ist allerdings von einem erweiterten staatlichen Handlungsbedarf mit Blick auf den konkreten "Mehrwert" für die Wahlbürger durch elektronische Abstimmungsmöglichkeiten auszugehen. Bisherige Ansätze für "E-Voting"-Lösungen stellen die Effekte für die Rationalisierung der Wahlorganisation in den Vordergrund, die Chancen sowohl für die Wähler wie auch der zu Wählenden werden dabei fast ignoriert.
Werden "E-Voting"-Verfahren auch in Zukunft weiterhin als politische "E-Business"-Anwendungen konzipiert, könnte dies kontraproduktive Folgen für ihre Akzeptanz haben: Die Entwicklung sicherer Kommunikationsumgebungen für den elektronischen Handel kann zu einer Abschreckung potenzieller Benutzergruppen führen, die durch hohe Sicherheitsanforderungen sowie eine unzureichende Verknüpfung der Möglichkeiten digitaler Stimmabgabe und allgemeiner Wahlinformation abgeschreckt werden. Um derartige Negativeffekte ausgleichen zu können, muss der technologische, am "E-Business" orientierte Kern des Abstimmungsvorgangs von einer kommunikations- und diskussionsfähigen Online-Umgebung gerahmt werden.
2. Bürgerbeteiligung im Netz
Auch bürgerschaftliches Engagement erlebt in Zeiten des Internet als "andere Seite" herkömmlicher Beteiligung einen Aufschwung. Beteiligungswillige Bürger entdecken die offenen Diskussionsforen virtueller Parteizentralen und politischer Online-Medien sowie weitere kommunikative Orte im Datenraum. Hierbei kommt es, meist temporär und themenbezogen, zu einer virtuellen Vergemeinschaftung, die lokale Kommunikation über politisch-administrative Fragen verdichten und global erweitern kann, indem sie physisch nicht anwesende, aber thematisch betroffene und interessierte Personengruppen einbezieht und eine Netzarchitektur bereitstellt, die verschiedene Grade von Information, dauerhaftem Interesse und Kompetenz kombiniert.
Neue Beteiligungsformen entstehen aber nicht allein durch die konkrete Anbindung an bereits vorhandene Politik-Prozesse, sondern offenbaren sich auch bei einem Blick auf innovative Online-Projekte, die bislang nur selten als genuines "Bürgerengagement" verstanden werden. Viele der in den letzten Jahren entstandenen Informations-, Kommunikations- und Aktionsplattformen im Internet sind Produkte bürgerschaftlichen Engagements: Betreiber, Programmierer, Autoren und Techniker erbringen den größten Teil ihrer Leistungen für politische Projekte im Internet auf ehrenamtlicher Basis.
Der ebenso geachtete wie gefürchtete Chaos Computer Club (CCC) zeigt paradigmatisch auf, wie technologisches in soziales Kapital überführt werden kann. Ihre über Jahre hinweg erworbene Kompetenz im Umgang mit Computersystemen und Datennetzen setzen CCC-Mitglieder häufig dazu ein, um auf Schwachstellen der digitalen Informations-Infrastruktur hinzuweisen oder staatliche Eingriffs- und Regulierungsversuche zu diskreditieren. Galionsfiguren des CCC wie der jüngst verstorbene Wau Holland oder Andreas Müller-Maguhn haben es zu mehrfachem Expertenstatus bei diversen Anhörungen im Rahmen bundespolitischer Entscheidungsfindung gebracht. Müller-Maguhn verfolgt darüber hinaus als gewählter Regionalvertreter für Europa im Amt eines ICANN-Direktors eine Art "weltbürgerschaftliches Engagement".
Nicht nur die Hamburger Hacker gestalten den Diskurs um Informationsfreiheit, Datenschutz und Datenmissbrauch mit: So betreuen der Bielefelder "Verein zur Förderung des öffentlichen bewegten und unbewegten Datenverkehrs" (FoeBuD, www.foebud.org) und der in München registrierte "Förderverein Informationstechnik und Gesellschaft" (FITUG, www.fitug.de) ebenfalls inhaltsstarke Online-Angebote zu diesen Themen. Mit umfangreichen Informationssammlungen bieten sie wichtige Orientierungshilfen in diesen für viele undurchdringlichen neuen Gegenstandsbereich von Politik.
Durch bürgerschaftliche Mitgestaltung erfährt auch der Bereich der Netzkultur eine Stärkung und Ausweitung. Der Berliner Verein mikro (www.mikro.org) widmet sich der "Pflege von Netzkulturen", unterhält ein anspruchsvolles Kultur- und Veranstaltungsprogramm, zeichnet aber auch für die Organisation öffentlichkeitswirksamer Veranstaltungen verantwortlich. Grundlegende Motivation für die Vereinsmitglieder ist "das Bedürfnis nach einer kritischen Auseinandersetzung mit den kulturellen, sozialen und politischen Folgen des Einsatzes von Medientechnologien in der Gegenwartsgesellschaft" und die Bereitstellung einer "Plattform für eine Auseinandersetzung mit kompetenten, kritischen und selbstbewussten Anwendungen von Medientechnologien".
Auch ohne Festlegung auf ein konkretes politisches Thema ist eine Beteiligung auf freiwilliger Basis zu beobachten: Der Berliner Verein poldi.net hat sich der "demokratischen und digitalen Entwicklung der europäischen Informationsgesellschaft" verschrieben. Dazu unterhält der Verein mit www.politik-digital.de und www.europa-digital.de zwei Webseiten, die sich seit der vergangenen Bundestagswahl zu viel beachteten Politik-Plattformen im Internet entwickelt haben.
Während die Netzvereine eine Art bürgerschaftliches "Grundrauschen" im Umfeld einer entstehenden "Internet-Politik" darstellen, gibt es im Bereich der Politik-Implementation innovative Möglichkeiten zur Bürgerbeteiligung durch neue Medien. Hier ist etwa die Nutzung bürgerschaftlicher Expertise für Planungs-, Mediations- oder Gesetzgebungsverfahren zu nennen. Mögliche Akteure sind die zahlreichen regionalen "Bürgernetze", die sich um die kleinräumige "Verkabelung" von Landkreisen, Kommunen oder Stadtvierteln kümmern und einen großen Beitrag zur Verbreitung "digitaler Medienkompetenz" leisten. Nicht selten unterstützen diese nichtkommerziellen Internet-Projekte die klassischen Angebote öffentlicher Informationsdienstleister, fügen deren Leistungsspektrum jedoch häufig neue Facetten hinzu und dienen politischen Akteuren als Beispielgeber. Hier lässt sich dann auch die Brücke schlagen vom E-Government zur E-Democracy.
3. Internetdiskurse
"Regierung durch Diskussion" hieß in der politischen Theorie- und Ideengeschichte die Fundierung und Qualifizierung demokratischer Mehrheiten durch vor- und nachgeschaltete Diskussion. Das bezeichnet die Notwendigkeit, über politische Streitfragen nicht nur abzustimmen, sondern der Entscheidung durch gründliche Erörterung in aller Öffentlichkeit mehr Legitimation zu verleihen. "Entschieden werden muss", lautet der Grundsatz politischer Dezision, die in repräsentativen Demokratien überwiegend durch die Mehrheitsentscheidung gewählter Volksvertreter herbeigeführt wird; öffentliche Deliberation kann im Sinne der "partizipatorischen Demokratie" die Qualität dieser Entscheidung verbessern, zumal sie nicht allein den Eliten überlassen bleibt, sondern in verschiedener Intensität auf die öffentliche und veröffentlichte Meinung rekurriert. Diese Form der Kommunikation vollzieht sich in öffentlichen Diskursen diverser Formate, und Online-Medien sind nun besonders prädestiniert, Diskurse zu organisieren.
Um auf die Eingangsbeispiele zurückzukommen: Chats und Online-Foren der Parteien sind in der Regel schwach strukturiert und sachlich offen; ein virtueller Parteitag oder eine Debatte über das Informationsfreiheitsgesetz muss hingegen thematisch beschränkt und moderiert werden. Die (bisher unzureichende) Forschung über die Wirklichkeit und Wirkung solcher E-Diskurse zeigt, dass ihre Formate stark von Konventionen herkömmlicher Medien geprägt bleiben. Die Funktion "Sprechen/Schreiben" (Expression) wird auch hier stärker bedient als die Funktionen "Zuhören" (Reziprozität), "Antworten" (Responsivität), "an-dere Standpunkte einnehmen" (Empathie) und "(Sich-)Überzeugen(-lassen)" (Persuasion).
Experimente mit Meinungsumfragen, digitalen Planungszellen und virtueller Konfliktmediation zeigen, dass Online-Kommunikation bei entsprechender Moderation ausgezeichnete Ergebnisse gezeitigt hat.
IV. Ausblick
Abschließend soll die Frage aufgeworfen werden, wie sich die politische Online-Kommunikation in einem Kontext weiterentwickeln wird, der nicht mehr von der kommerziellen Euphorie der neunziger Jahre gekennzeichnet ist und sich schon auf den entgegengesetzten Pendelschlag einzustellen hat, wonach das Internet angeblich "tot" und eine stärkere Fokussierung politischer Prozesse darauf nicht anzuraten sei. Aber noch unternimmt man verzweifelt wirkende Anstrengungen, mehr Menschen "ins Netz zu holen"; das Programm "Internet für alle" soll die "Inter-Nots" und weniger ,"angeschlossene" Gruppen (Frauen, Senioren, ethnische Minderheiten, formal weniger gebildete Personen) aktivieren und frustrierte "User" zurückholen.
Aus demokratiepolitischer Sicht ist die Herstellung gleicher Zugangsbedingungen ganz unverzichtbar; die zügig voranschreitende Privatisierung und Kommerzialisierung des WWW und seine allmähliche Verwandlung in ein (weiteres) Bezahl-Medium kann nicht hingenommen werden, doch ist ein Äquivalent zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk hier nicht in Sicht.