Einleitung
Was es bedeutet, unter den Bedingungen moderner Massenkommunikation Politik zu betreiben, hat uns die Präsidentschaft Bill Clintons in besonderer Weise vor Augen geführt. Seine Wahlkämpfe dienen als Lehrbeispiele professionalisierter Kampagnenorganisation, die sich die Medien bestmöglich zunutze macht, sich ihren Gesetzen dafür aber auch weitgehend unterwerfen muss. Außerdem gilt Clinton als der US-Präsident, der die permanent campaign, den andauernden Wahlkampf, zwar nicht erfunden, aber fürs erste doch perfektioniert hat. Auch im Amt schien der Wahlkampf immer weiterzugehen, bis zum Ende der zweiten Amtszeit, obwohl Clinton gar nicht mehr zur Wiederwahl anstand.
Auf der anderen Seite hat die Lewinsky-Affäre nur zu deutlich gemacht, dass das innige Verhältnis des Politikers zu den Medien stets auch die Gefahr birgt, deren Opfer zu werden. In drastischer Weise wurden der Weltöffentlichkeit Details aus Privat- und Intimsphäre des amerikanischen Präsidenten vorgeführt. Die vom Fernsehen übertragene Anhörung schien den mächtigsten Politiker der Welt auf die Rolle eines armen Sünders zu reduzieren. Allerdings hat die Lewinsky-Affäre auch gezeigt, dass sich die Medien, die die Ereignisse auskosteten und versuchten, für sich daraus Profit zu schlagen, diesmal im Publikum und dessen Interesse an den Liebesbeziehungen des Präsidenten verrechnet hatten. Umfragen ließen erkennen, dass die amerikanische Bevölkerung das alles gar nicht so genau wissen wollte, der Sache überdrüssig wurde und zugleich das positive Urteil über die Präsidentschaft Clintons nur relativ wenig Einbuße erlitt. Für viele gab es also durchaus einen Unterschied zwischen der Privatperson und der Leistung im Amt.
Amerikanische Politiker sind es gewohnt, dass die öffentliche Aufmerksamkeit auch ihrem Privatleben gilt. Die Watergate-Affäre, die die Frage nach der Moral in der Politik auf die Agenda brachte, gilt als das Ereignis, das der Diskretion der Presse, auf die etwa John F. Kennedy Anfang der sechziger Jahre noch bauen konnte, ein Ende gesetzt hat. Wer heute in den USA ein öffentliches Amt anstrebt und sich zur Wahl stellt, muss sich gefallen lassen, dass der Blick der Medien weit in die private Sphäre von Politikern hineinreicht. Die Politiker ihrerseits fördern das allerdings auch. Ehefrauen und Ehemänner, Kinder, Eltern und Geschwister bis hin zu Katze und Hund werden für die Kampagnen fest eingeplant und spielen eine gewichtige Rolle in der inszenierten Politikvermittlung. Die Kandidaten setzen darauf, dass die Demonstration privater, vor allem emotionaler Kompetenz sie auch für das angestrebte politische Amt empfiehlt. Wenn Al Gore im Präsidentschaftswahlkampf 2000 beim Parteitag der Demokraten seiner Frau Tipper einen langen und leidenschaftlichen Kuss vor laufenden Kameras gibt, soll das nicht nur zeigen, dass der spröde Kandidat auch eine weiche Seite hat, sondern er will damit außerdem speziell die Frauen ansprechen. Manche Familienmitglieder sind selbst so populär, dass sie mehr für den Kandidaten bewirken können, als nur glückliches Familienleben vorzuführen. So profitierte etwa George Bush bei seinen Wahlkämpfen 1988 und 1992 von der Beliebtheit seiner Frau Barbara, und Bob Dole setzte 1996 stark auf seine Frau Elizabeth, die vier Jahre später schließlich sogar selbst ins Rennen um das Präsidentenamt ging.
Die amerikanische Presse - ohnehin der Politikinszenierung überdrüssig - macht an der von Kandidaten und Politikberatern errichteten Fassade nicht Halt. Das war nicht immer so. Die Diskretion ging einst so weit, dass Franklin D. Roosevelt, der von 1933 bis 1945 Präsident der USA war, auf Zeitungsfotos niemals in seinem Rollstuhl gezeigt wurde. Außereheliche Eskapaden der Politiker, wiewohl in Journalistenkreisen bekannt, waren kein Thema für die Medien. Konnte auch Kennedy während seiner Zeit im Weißen Haus (1961-1963) noch darauf bauen, dass seine Affären unkommentiert blieben, stolperte später mancher Kandidat über von den Medien aufgedeckte außereheliche Beziehungen. Eines der prominentesten Beispiele ist Gary Hart, Senator aus Colorado, der im Präsidentschaftswahlkampf 1988 antrat und aufgeben musste, als bekannt wurde, dass er eine Geliebte hatte. Er hatte sich so sicher gefühlt, dass er die Reporter geradezu herausgefordert hatte, ihm außereheliche Beziehungen nachzuweisen. Clinton machte sein character problem schon vor der Wahl 1992 zu schaffen. Nicht nur dass die Medien dieses thematisierten, auch der politische Gegner, Amtsinhaber George Bush, versuchte daraus Kapital zu schlagen, indem er in seinen Reden oder in der Fernsehwerbung Clintons Unzuverlässigkeit hintergründig zum Problem erklärte. Dieser konterte mit geschickter Medienarbeit, wobei vor allem die Rolle, die seine Frau Hillary dabei spielte, entscheidend war. Ähnlich sah die Strategie auch bei der Bewältigung der Lewinsky-Affäre aus.
Weil in den USA gilt, dass das Privatleben eines Kandidaten durchaus Aufschluss über seine Befähigung zum politischen Amt gibt, findet seine Privatsphäre ganz selbstverständlich das Interesse der Medien, aber auch der anderen Bewerber. Direkte Angriffe auf den Konkurrenten mit Hinweisen auf seine vermeintlich fragwürdigen Eigenschaften sind in amerikanischen Wahlkämpfen keine Seltenheit. Nicht umsonst gehört zur Kampagnenorganisation der Präsidentschaftsbewerber auch ein Rapid Response- oder Instant Rebuttal-Team, das solche Angriffe in geeigneter Weise schnellstens abwehren, möglichst jedoch vorausahnen und im Vorfeld schon abfedern, aber womöglich auch entsprechende Schwachstellen des Gegners aufdecken soll.
Dass die Medien vor der Privatsphäre eines Politikers nicht Halt machen, ist indessen keineswegs ein ausschließlich amerikanisches Phänomen. Auch in Großbritannien wird dem Privatleben von Politikern politische Bedeutung beigemessen. Hier findet nicht nur die aggressive britische Boulevardpresse Futter, sondern auch die seriösen Blätter beteiligen sich an der Ausbreitung intimer Details. Solche Enthüllungen haben bereits mehrmals zu Rücktritten von Regierungsmitgliedern geführt.
Abschied von einem journalistischen Tabu?
In der Bundesrepublik Deutschland hingegen gilt die Privatsphäre von Politikern als journalistisches Tabu. Aufgrund eines - unausgesprochenen - Agreements können sich Politiker hier darauf verlassen, dass die Presse verfängliche Informationen über Politiker, auch wenn solche in Journalistenkreisen sehr wohl kursieren, nicht verbreitet. Für diese Zurückhaltung lassen sich mehrere Gründe anführen. Dazu gehören die deutschen Regelungen zum Persönlichkeitsschutz bzw. deren Auslegung, wobei auch das journalistische Selbstverständnis, was das Verhältnis zwischen Medien und Staat angeht, eine Rolle spielt; schließlich noch die notorische Kuschelei zwischen Journalisten und Politikern in Deutschland, zu der das Bonner "Treibhaus" seinen Teil beigetragen hat.
Während nach dem angelsächsischen Verständnis von Pressefreiheit jegliche, auch die fördernde Regulierung der Presse abgelehnt wird und dem Interesse der Öffentlichkeit an Informationen eine größere Bedeutung zukommt als den Persönlichkeitsrechten des Einzelnen, wird in Deutschland (und in anderen europäischen Ländern) dem Persönlichkeitsschutz ein stärkeres Gewicht beigemessen.
Was das Verhältnis der Medien bzw. der Journalistinnen und Journalisten zum Staat angeht, wird ihnen trotz aller Unabhängigkeit - zumal im Vergleich mit den angelsächsischen Ländern - eine größere Nähe zugeschrieben. Der Anspruch, eine Rolle als "Fourth Estate", als Vierte Gewalt zu spielen - dies im Zusammenhang mit einem weiteren Verständnis ihrer öffentlichen Aufgabe -, ist zum Beispiel in Großbritannien stärker verankert als in den deutschen Medien. Die Gründe dafür sind u. a. in der Entwicklung der Pressefreiheit bzw. für Deutschland vor allem auch in der Neuorganisation der Medien durch die Alliierten nach dem Zweiten Weltkrieg zu suchen. Darüber hinaus spielt eine Rolle, dass in den angelsächsischen Ländern der kommerzielle Aspekt der Medien insofern positiver gesehen wird, als er als wichtige Voraussetzung für deren Unabhängigkeit gesehen wird.
Das enge Verhältnis zwischen politischen Journalisten und Politikern in Deutschland ist auch von Journalisten selbst schon als Symbiose bezeichnet worden. Symbiose bezeichnet das Zusammenleben ungleicher Lebewesen zu deren gegenseitigem Nutzen. Die einen suchen Öffentlichkeit, die anderen haben eine öffentliche Aufgabe zu erfüllen. Ungleich sind Politiker und Journalisten insofern, als sie unterschiedliche Ziele verfolgen - die einen wollen Macht, die anderen brauchen Informationen. Bei der Verwirklichung ihrer Ziele treffen sich indessen ihre Interessen, und daraus entsteht der gegenseitige Nutzen. Das kleine Bonn mit der isolierten Konzentration des politischen Geschäfts auf das Regierungsviertel galt als für diese Beziehung besonders förderlich. Wer sich auf kurzen Wegen immer wieder traf, dieselben Restaurants und Bars frequentierte und denselben Friseur hatte, konnte schwer auf Distanz gehen.
Der Journalist, der gegen die stille Übereinkunft verstieß, musste insofern mit Konsequenzen rechnen, als ihm der Ausschluss von Hintergrundgesprächen drohte. Das ist nicht nur misslich mit Blick auf die Arbeit, sondern nagt außerdem an dem wonnigen Gefühl, das die Nähe zur Macht auslöst, die scheinbar - oder tatsächlich, wenn man sich etwa die Personalpolitik der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten ansieht - abfärbt.
Indessen hat sich etwas verändert am einst gedeihlichen Verhältnis zum gegenseitigen Nutzen. Die symbiotische Beziehung sei manchmal parasitär, heißt es nun.
Das Ereignis, das den Dammbruch in dieser Hinsicht markiert, war der "Rosenkrieg" nach der Trennung von Gerhard und Hiltrud Schröder. Nachdem zunächst eine nüchterne Meldung aus der Staatskanzlei Anfang März 1996 den Auszug des damaligen niedersächsischen Ministerpräsidenten aus dem ehelichen Haus mitgeteilt hatte und erste Fotos von ihm mit "der Neuen" aufgetaucht waren, stieg nicht nur die Boulevardpresse auf dieses Thema ein. Nach Zahl der Beiträge stand nach der Bildzeitung die Süddeutsche Zeitung an zweiter Stelle und damit noch vor der Bunten und Gala. Die Behandlung des Falles schwankte zwischen Mitleid für die arme betrogene Ehefrau, Euphorie über das neue Traumpaar bis hin zu Berichten über eine schmutzige Scheidung. Während das Hauptinteresse der Presse den beiden Frauen galt, wurde für Schröder selbst allenfalls - aber immerhin - diskutiert, ob sich die Trennung für seine Ambitionen auf die Kanzlerkandidatur auswirken könnte.
Nach einem ersten Hoch der öffentlichen Aufmerksamkeit erreichte das Thema erneut breiteres Interesse, als Hiltrud Schröder im August 1997 dem SZ Magazin ein Interview gab und Vorwürfe gegenüber ihrem Mann erhob, die teils privater Natur waren, aber auch seine politische Rolle betrafen. Schließlich kehrte das Thema noch einmal zurück und fand seinen Abschluss, als im November 1997 der Scheidungstermin anstand.
Bislang hatte in der deutschen Presse gegolten: Berichtet wird über Privatangelegenheiten nur mit dem Einverständnis des betroffenen Politikers. Tatsächlich fand auch der "Rosenkrieg" der Schröders nicht ohne deren Zutun den Weg in die Medien. Schon die Ehe von Gerhard und Hiltrud Schröder war zur öffentlichen Angelegenheit gemacht worden. Sie pflegten ein offenes Haus, traten gemeinsam in Fernsehshows auf, und ein Wahlplakat aus dem niedersächsischen Landtagswahlkampf 1986 zeigt die beiden unter der Überschrift "Politik ist nicht alles". Nicht umsonst war die Rede von den niedersächsischen Clintons.
Der Einsatz des Privaten als Strategie der Selbstdarstellung
Nicht erst mit Gerhard Schröder ist der Einsatz des Privaten für die Politik zur Strategie geworden. So wurde etwa schon Franz Josef Strauß im Bundestagswahlkampf 1969 in einem CSU-Wahlspot beim Mensch-ärgere-dich-nicht im Kreis der Familie gezeigt. Im Wahlkampf 1980, in dem Strauß als Kanzlerkandidat der Union antrat, zeigte ihn ein Plakat zusammen mit seiner Tochter, die ihn auf dem Bild von hinten umarmt. Auch Edmund Stoiber lässt sich auf Wahlplakaten mit seiner Frau abbilden, so zum Beispiel im bayerischen Landtagswahlkampf 1994 als sich gegenseitig umfassendes Paar unter der Überschrift "Die Stoibers". Im Wahljahr 1998 plauderte Joschka Fischer in Boulevard Bio über sein emotionales Tief nach der Trennung von seiner Frau und in der Harald-Schmidt-Show über seine Erfahrungen als jugendlicher Ministrant. Im SPD-Fernsehspot für Spitzenkandidat Rudolf Scharping im Bundestagswahlkampf 1994 traten seine Frau und seine Mutter auf, außerdem wurde ein altes Familienvideo eingeblendet, das Scharping mit seinen kleinen Kindern zeigte. Auch Hans-Jochen Vogel und Hans-Dietrich Genscher haben in früheren Wahlkämpfen mit ihren Biographien im Fernsehen geworben.
Mittlerweile ist das Private der Politikerinnen und Politiker noch sehr viel deutlicher präsent in den Medien. So wurde etwa die neue Liebe des heutigen Verteidigungsministers frühzeitig öffentlich gemacht, nicht zuletzt durch ein längeres Interview des Paares in der Bunten schon im November 2000 oder einen Auftritt in Boulevard Bio im Januar dieses Jahres zum Thema "Nur die Liebe zählt". Diese öffentliche Inszenierung seines Privatlebens wurde dann im Sommer selbst Medien-Thema und hätte fast zum Verlust seines Amtes geführt. Der Bundeskanzler wiederum inszeniert die Entdeckung seiner ihm bislang unbekannten Cousinen zum Medienereignis. Die Suche nach dem Grab seines im Krieg gefallenen Vaters findet unter reger Beteiligung der Medien statt.
Die allseitige Beliebtheit der Talkshows - bei den Sendern, dem Publikum und den Politikern - hat ihren Teil dazu beigetragen, dass Privates öffentlich gemacht wird. Politiker nutzen mittlerweile auch die eher unpolitischen Talkshows für ihre Selbstdarstellung.
Dass Politiker Privates in die Öffentlichkeit tragen und den Medien damit willkommenen Stoff liefern und umgekehrt die Medien die imaginäre Grenze zwischen Öffentlichem und Privatem heute bereitwillig überschreiten, hat verschiedene Gründe. Aus der Perspektive der Politiker erfüllt die Privatisierung der Politikdarstellung vier Funktionen: Vermenschlichung, Vereinfachung und Ablenkung, Emotionalisierung und Prominenzgewinn.
1. Strategie der Vermenschlichung
Die Strategie der Vermenschlichung ist eine klassische Imagestrategie der Politik. Sie lässt den Politiker als "Mensch wie du und ich" erscheinen, macht ihn der Wählerschaft vertraut. Sie wird bevorzugt eingesetzt für die Arbeit am Image hölzern, arrogant oder kalt wirkender Politikertypen. Die zuvor beschriebenen Plakatmotive für Franz Josef Strauß und Edmund Stoiber sind Beispiele dafür. In die gleiche Richtung zielte die Kampagne "Mensch Scharping" im Bundestagswahlkampf 1994, in die sich auch der erwähnte SPD-Werbespot fügte, mit dem der Spitzenkandidat aus der "familiären Erfahrung" heraus charakterisiert wurde. Diese Strategie dient der Politik auch ganz allgemein zur Demonstration von Nähe zur Bevölkerung, um der Politikverdrossenheit in der Wählerschaft zu begegnen, die die Politiker als abgehoben und nur an der eigenen Machtsicherung interessiert empfindet. Ein Beispiel dafür, wie die Wahlwerbung versucht, einen Kanzlerkandidaten auf eine Ebene mit der Wählerschaft zu stellen, ist ein Fernsehspot aus dem Bundestagswahlkampf 1961 für Willy Brandt. Der Film zeigte Brandt bei der Fahrt mit dem Auto zu seinem Büro in Berlin. Der Text hebt hervor, dass sich natürlich auch der Regierende Bürgermeister an die Verkehrsregeln hält. Auf der Straße erkennen ihn die Bürger und grüßen ihn. Unterschwellig lautet die Botschaft: Der Kanzlerkandidat ist einer von euch, er nimmt keine Privilegien für sich in Anspruch. Zugleich sollte damit im Wahlkampf gegen "den Alten", Amtsinhaber Konrad Adenauer, auch ein anderer Politikstil in Aussicht gestellt werden.
2. Strategie der Vereinfachung und der Ablenkung
Die Strategie der Vereinfachung und der Ablenkung durch Privatisierung ist die Antwort auf die Komplexität der Politik, die sich nur schwer vermitteln lässt. Politische Programme, Lösungen für politische Probleme werden daher bevorzugt an Personen geknüpft, durch Personen symbolisiert: Der Politiker steht für die Sache. Mit Personalisierung vereinfacht das politische System die Politikdarstellung für sich, antwortet damit aber zugleich auch auf die Bedürfnisse der Medien, zumal des Fernsehens, das auch abstrakte Politik konkret - mit Bildern - präsentieren muss, und auf die Bedürfnisse des Publikums, dem die Orientierung an Personen allemal leichter fällt als die Auseinandersetzung mit Sachfragen. Personalisierung eignet sich außerdem zur Ablenkung dort, wo die Diskussion von Themen besser vermieden wird, weil der Spielraum für Entscheidungen eng ist, diese schwierig oder unpopulär sind. Personalisierung indessen wird schnell persönlich, privat: Der Kanzler macht Modenschau, die Bildzeitung gibt Empfehlungen für die Frisur der CDU-Parteivorsitzenden; der Beauftragte der Bundesregierung für Angelegenheiten der Kultur und der Medien macht mit der "attraktiven Autorin" an seiner Seite von sich reden, der Bundespräsident findet seine Krankengeschichte mit der Grafik seines Bauches in der Presse ausgebreitet; der ehemalige Bundespräsident präsentiert der Presse die neue Frau an seiner Seite, die Bildzeitung wittert eine Ehekrise des Außenministers.
3. Strategie der Emotionalisierung
Als Strategie der Emotionalisierung dient die Privatisierung der Sympathiewerbung sowie der Schaffung emotionaler Bindungen. Diese ist eine Konsequenz aus der Schwächung klassischer Wählerbindungen an die Parteien. Da soziodemographische Variablen an Erklärungskraft für Parteineigung und Wahlentscheidung eingebüßt, stattdessen aber kurzfristige und situative Faktoren Bedeutung gewonnen haben, versucht die Politik emotionale Bindungen herzustellen, die über Sympathie (Antipathie gegenüber den Kontrahenten) und Wohlgefühl ("feel good") vermittelt werden. Die neue Politik bietet Lebensstil und Lebensgefühl; die Rede von "Toskana-Fraktion" und "Generation Guido"
4. Prominenzgewinn
Schließlich setzen Politiker das Private ein als Strategie zum Aufbau, zum Erhalt und zur Mehrung ihrer Prominenz. Für Politiker ist Prominenz notwendiges Kapital.
Hier treffen sich nun unmittelbar die Interessen von Politikern und Medien - und es wird klar, warum die Medien auch in der Politik immer mehr aufs Private setzen und die Politik damit in Zugzwang bringen, diese aber ihrerseits den Trend fördert.
Klatsch und das Alltäglich-Menschliche sind längst nicht mehr die Domänen der Boulevard- und Regenbogenpresse. Der wegen seiner Werbefinanzierung an Reichweiten orientierte Privatfunk - und in der Folge auch der unter Konkurrenzdruck geratene öffentlich-rechtliche Rundfunk - bevorzugt das Human-Interest-Format, das Themen, zumal durch Personalisierung und Darstellung des Einzelfalls, verständlich und spannend aufbereitet, Bezüge zum Alltag herstellt und dabei ganz auf Gefühle setzt. Boulevardisierung ist ein Trend, der im Zuge einer allgemeinen Kommerzialisierung des Medienmarktes auch die seriöseren Medien erreicht hat. Das spiegelt sich im Selbstverständnis der deutschen Journalistinnen und Journalisten, die sich mittlerweile auch zu einer unterhaltenden Funktion bekennen. Dazu kommt ferner, dass Politikvermittlung im Fernsehen längst nicht mehr nur von (politischen) Journalisten betrieben wird, sondern zunehmend auch von Talkshow-Hosts oder Entertainern. Die Medien, allen voran das kommerzielle Fernsehen und die Klatschpresse, machen sich mit ihrem Interesse an der Privatsphäre der politischen Prominenz die gesamtgesellschaftlich zu beobachtende Verschiebung der Grenze zwischen Öffentlichem und Privatem zunutze, arbeiten aber selbst daran mit. Das wirkt sich für die Politik insofern aus, als das, was als im öffentlichen Interesse liegend verstanden wird, mittlerweile weit in die ehemals als privat definierte Sphäre hineinreicht.
Die Lewinsky-Affäre hat gezeigt, dass die seriösen Medien auch unter Druck geraten durch das Internet, über das jeder - relativ einfach und unverbindlich - Nachrichten und Gerüchte in Umlauf bringen kann: "Monicagate" wurde zuerst über das Internet angestoßen; der Reporter der Washington Post, der an der Geschichte schon längere Zeit arbeitete, seine Recherchen aber vor einer Veröffentlichung noch untermauern wollte, wurde überholt.
Die deutschen Medien scheinen sich indessen nicht alle sicher zu sein, dass der Weg in die Privatsphäre der Politik so ganz richtig ist. Dafür spricht, dass immer dann, wenn Privates in der Politik öffentlich gemacht wird - egal von wem -, auch eine Diskussion darüber einsetzt, ob das Private politische Bedeutung hat und so die Veröffentlichung ihre Rechtfertigung findet. Dieses Lavieren wird besonders deutlich in der Woche, die zu solchen Fällen Pro- und Contra-Positionen von Prominenten, Experten und Betroffenen einholt und diese unter dem Seitentitel "Streitfall" abdruckt. Dies wird noch ergänzt durch Ergebnisse von Meinungsumfragen.
Konsequenzen
Vor dem Hintergrund der skizzierten Wechselwirkung zwischen dem strategischen Einsatz des Privaten durch Politiker und dem kommerziellen Interesse der Medien am Privaten auch in der Politik hat sich das Verhältnis von Journalisten und Politikern gewandelt. Was als journalistisches Tabu galt, ist aufgeweicht worden; auf die Gültigkeit des stillschweigenden Agreements oder auch des ausgesprochenen Stillhalteabkommens können sich Politiker nicht mehr verlassen. Da die Politik aber ihrerseits längst begonnen hat, das Private für sich zu instrumentalisieren, dient dieses Verhalten dann auch schon als Rechtfertigung für die journalistische Grenzüberschreitung. So rechtfertigte der Anwalt des Bauer-Verlages den - als solchen vom Hamburger Landgericht verurteilten - Eingriff in die Privatsphäre des Bundeskanzlers mit dem Argument: "Wenn der Medienkanzler Schröder seine Privatsphäre so weit öffnet wie im Fall seiner Cousinen, dann muss er damit leben können, dass über seine Privatsphäre gelegentlich auch gegen seinen Willen berichtet wird."
Indem Politiker auch das Private für ihre Selbstdarstellung einsetzen, geben sie - scheinbar - den Blick auf ihre Privatsphäre frei. Durch deren Inszenierung versuchen sie indessen, in der Hand zu behalten, was davon öffentlich wird. Ebenso wie die geschickte Inszenierung des Geschehens auf der politischen Vorderbühne, die immer schon ein Thema der Medien war, stellt auch die Inszenierung des Privaten geradezu eine Herausforderung für journalistische Recherche dar. In den USA wird indessen ein geringer Widerstand der Journalisten gegenüber den Umarmungen der Politik schon seit einiger Zeit bemerkt und in Europa, wo Ähnliches festgestellt wurde, nun sogar als ein Indikator für diese "neue" Art von Amerikanisierung gehandelt.
Die Orientierung der Politiker an den medialen Aufmerksamkeitskriterien, die diejenigen des unterhaltungsorientierten Fernsehpublikums sind, hat außerdem Folgen für die Rekrutierung der politischen Elite. Ein Politiker, der Karriere machen, also gewählt werden will, hatte sich bislang auf zwei "Märkten" zu bewähren, auf dem unterschiedliche Auswahlkriterien gelten: Um als Kandidat aufgestellt zu werden, musste sich ein Politiker in der Partei hervortun, sich durch Leistung für Partei und Programm beweisen. Politiker, die sich nun vorrangig am zweiten "Markt" - also an den Medien und an der Wählerschaft - orientieren und dessen Aufmerksamkeits- und Auswahlkriterien im Blick haben, zwingen dann auch dem ersten, der Partei, neue Auslesekriterien auf oder machen diese sogar obsolet.
Damit öffnet sich das politische Geschäft aber auch solchen Persönlichkeiten, die zwar den Selektionskriterien der Parteien nicht genügen, es dafür aber umso besser verstehen, die Aufmerksamkeit des Medienpublikums bzw. der Wählerschaft zu finden. Die Parteien kommen so unter Umständen in Zugzwang, weil sie an der Attraktivität eines Kandidaten für die Medien und deren Publikum nicht mehr vorbei können und ihnen von dorther ein Kandidat gewissermaßen aufgezwungen wird.
Der Politiker, der im Interesse seines Images sein Privatleben öffnet, begibt sich schließlich auf eine schwierige Gratwanderung zwischen Nähe und Distanz. Mit der Demonstration von Nähe zur Wählerschaft und der damit verbundenen Aufgabe der Distanz zeigt sich der Politiker zwar menschlich "wie du und ich", indessen: Die ",Distanzlosigkeit' rein als solche ist eine der Todsünden jedes Politikers"
Die "Tyrannei der Intimität" ist allerdings bereits so weit fortgeschritten, dass Richard Sennett behauptet: "Es käme in der Politik heute einem Selbstmord gleich, zu sagen: ,Mein Privatleben geht euch nichts an; was ihr kennen müsst, sind meine Überzeugungen und die Programme, die ich durchsetzen werde.'"
Es stellt sich die Frage, ob Politiker mit der von ihnen mit betriebenen Öffnung ihrer Privatsphäre nicht auch eine neue Qualität der politischen Auseinandersetzung riskieren. Anders als zum Beispiel in den USA galt negative campaigning in Deutschland bislang eher der Sache als der Person. Das "Fahndungsplakat", das die CDU Ende Januar dieses Jahres vorstellte und das den Bundeskanzler zu kriminalisieren schien, deutet in diese Richtung. Dieses Plakat, das schnell zurückgezogen wurde, war die Antwort der Parteispitze auf einen Plakatentwurf der Fraktion, auf dem der Kanzler - grinsend und mit Zigarre - gezeigt wurde und dazu der Text: "Meine Rente ist sicher."
Welchen Anteil das Privatleben eines Politikers an dem Bild hat, das sich die Bevölkerung von ihm macht, und inwieweit es sich womöglich auf die Wahlentscheidung auswirkt, ist nicht so einfach zu ermitteln. Befunde aus den USA, die dem Privaten durchaus einen Einfluss auf das Image eines Kandidaten und seine Wahlchancen zuweisen, können wir hier schlecht übertragen. Für die Bundestagswahl 1998 konnte nun aber gezeigt werden, dass Meinungen über das Privatleben von Helmut Kohl und Gerhard Schröder in der Wählerschaft verbreitet waren und von ihnen auch ein Einfluss auf die Wahlentscheidung ausging.