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Macht ohne Verantwortung Der wuchernde Einfluss der Medien und das Desinteresse der Gesellschaft

Thomas Leif

/ 10 Minuten zu lesen

In den vergangenen Jahren hat sich in der politischen Diskussion zunehmend der Begriff der "Mediendemokratie" durchgesetzt. Der Einfluss der Medien auf die Politik ist stark gewachsen.

Einleitung

Politik ist nur das, was prominent vor allem in den elektronischen Medien stattfindet. Diesen Leitsatz der Berliner Republik lernt jeder Minister, Oppositionspolitiker, Parlamentarier oder Lobbyist - freiwillig oder unfreiwillig. Denn die Medienpräsenz entscheidet über den Marktwert eines Politikers und damit indirekt über künftige Listenplätze, Vorstandsposten oder mehr. Selbst ein brillanter, anerkannter Fachmann bleibt chancenlos, wenn er nicht in der Lage ist, die Essenz eines Leitz-Ordners in zwölf Sekunden zu präsentieren. Medienwirksamkeit - gemeint ist damit vor allem Fernsehtauglichkeit - wird zunehmend zum entscheidenden Auswahlkriterium, selbst für Kanzlerkandidaten. Die verdeckten, heimlichen Gesetze der Mediendemokratie werden wichtiger als die Regeln des Parteiengesetzes oder die Geschäftsordnung des Bundestages. Auf diese Entwicklung reagieren nur wenige prominente Politiker mit Mahnungen: die Talkshow dürfe Bundestags-Debatten nicht ersetzen.

Ein Gespür für Fehlentwicklungen der "Mediendemokratie" hatten in Deutschland ausgerechnet die Bundespräsidenten. Richard von Weizsäcker, Roman Herzog und Johannes Rau setzten in ihren großen Reden zum Thema immer wieder jeweils eigene Akzente. Im Grundtenor waren ihre Warnungen eigentlich unüberhörbar. Aber die Botschaft versickerte im Dschungel der rund 2000 Agenturmeldungen, die täglich auf dem Bildschirm der Journalisten landen. Wichtiges und Unwichtiges, Aufgesetztes und Inszeniertes, Ernsthaftes und Belangloses - alles hängt hier zusammen und bildet gemeinsam eine zerstreute Öffentlichkeit, die jedoch nach einem Kompass, nach Orientierung für Wichtiges und Relevantes sucht.

Die Kluft zwischen öffentlicher und veröffentlichter Meinung wird in der Medienberichterstattung immer größer. Ein Grund dafür ist die "Umkehr der Wichtigkeiten", wie Richard von Weizsäcker einmal analysiert hat. Gemeint ist damit, dass das Missverhältnis zwischen den Dingen, über die geredet wird, und den Themen, über die geredet werden müsste, immer grotesker wird. Was wichtig und was nebensächlich ist, welche Nachricht oder Geschichte in den Vordergrund gehört, und was aussortiert werden kann - darüber gibt es heute bei den Medienschaffenden keinen professionellen Konsens mehr. Alles reiht sich aneinander, bleibt unsortiert.

Der Trend zum Unwichtigen

Michael Abend - früher Tagesschau-Redakteur - gab 1974 eine orientierende Definition für die Einordnung von Ereignissen: Die Tagesschau betrachte es "als ihre Aufgabe, über die wichtigsten Tagesereignisse zu berichten, aber auch ihren Bedeutungszusammenhang (Hintergrund und Auswirkungen) klarzumachen. Als wichtig gilt, was viele Zuschauer interessiert oder betrifft, was neue Entwicklungen aufzeigt oder Missstände aufdeckt, was der demokratischen Selbstdarstellung der staatlichen Organe und der gesellschaftlichen Gruppen dient."

Die öffentlich-rechtliche Konkurrenz der Tagesschau hat sich für "moderierte Nachrichten" entschieden mit einem starken kommentierenden Akzent. Doch selbst für die Nachrichten ist eine gemeinsame Linie der Relevanz von Ereignissen bei ARD, ZDF, RTL und SAT1 nicht mehr festzustellen. Die Auswirkungen der unterschiedlichen Modelle waren nicht nur bei der Berichterstattung über die CDU-Spendenaffäre, den Leuna-Komplex und die Rolle der Akteure um Kiep, Schreiber & Co zu besichtigen.

Roman Herzog hat in seiner Amtszeit mindestens vier gewichtige Reden zur drohenden Verflachung der Medien gehalten. Bereits 1996 warnte er vor einer "Abflachungsspirale": "Kein Schwachsinn, keine Perversion, keine noch so abwegige Marotte, die nicht in extenso bunte Seiten und Bildschirme bevölkern würde . . . Diese unendliche ausweglose, schleichende Banalisierung und Trivialisierung macht die Hirne kaputt." Drei Jahre später warnte er wiederum vor den Medien-Mechanismen, die die Inhalte der Politik veränderten.

Bundespräsident Johannes Rau knüpfte mit seiner Kritik nahtlos an seine Vorgänger an, wenn er in der zunehmenden unterhaltenden Inszenierung von Politik eine Gefahr sieht: "So wird Politik zu einem Teil der öffentlichen Unterhaltung", warnte er und verband seine Mahnung mit einer Vision: "Ich wünsche mir eine Mediendemokratie, in der das Vermitteln der Sache wichtiger ist als das Vermitteln von Bildern und Bildunterschriften." Doch Wunsch und Wirklichkeit werden wohl auch künftig weiter auseinandertreiben. Die Mahnungen der Staatsoberhäupter blieben ungehört. Appelle allein können wohl die eigenmächtigen Themenkonjunkturen nicht bremsen oder beeinflussen.

Betrachtet man rückwirkend die großen, den öffentlichen Diskurs strukturierenden Themen der vergangenen Monate, erkennt man die Webstruktur der prägenden Stoffe sofort - ganz gleich, ob es um den Streit um die Kampfhunde in Deutschland, das Drama um die Gefangenen in Jolo, die Tragödie von Sebnitz, den Skandal um Joschka Fischers Jugendsünden oder um die immer wieder aufflackernden Debatten über den Preiskampf an den Tanksäulen ging: Alle diese Themenwellen, die für Aufregung und Debatten sorgten, sind wieder verebbt. Der politische Gehalt, der in den Themen verborgen war, ist heute kaum mehr erkennbar. Konkrete Folgen oder gar politische Korrekturen in den jeweiligen Politikfeldern sind nicht festzustellen. Der zynisch-realistische journalistische Leitsatz "Aktualität geht vor Realität" trifft die Situation recht gut, und diese Tendenz beim rasanten Themen-Karussell wiederholt sich immer aufs Neue.

Der Trend zur Informationsverdünnung

Inspiriert von der Kritik der Bundespräsidenten warnte ZDF-Intendant Dieter Stolte Mitte Mai die Medien vor einem zunehmenden Realitätsverlust. Die "voyeuristische Selbstinszenierung" nehme zu, die Zuwendung zur konkreten Wirklichkeit müsse die Antwort auf diese Entwicklung sein. Ein Intendant forderte die Rückbesinnung zur Realität und nutzte dazu die Bühne der "Mainzer Tage der Fernsehkritik". Zwei Stars auf Stoltes Gästeliste witterten die Chance, um die Misere der zu diskutierenden Spaßgesellschaft noch deutlicher zu benennen. Harald Schmidt, der Entertainment mit dem weiten Horizont des Bildungsbürgers auslebt, bilanzierte knapp: "80 Prozent der TV-Sendungen sind unfassbarer Müll, da tut man niemandem Unrecht." Sein Konkurrent Thomas Gottschalk steuerte gleich die Lösung bei und betonte: "Es gibt eine Chance, den einseitigen Ausstieg aus dem Quotendruck zu erklären; das sollten sich die Öffentlich-Rechtlichen leisten können." Gottschalk, der Meister der Quotenmaximierung als Kritiker der einzigen Maßeinheit für Qualität, die heute tatsächlich noch gilt? Mit seinem Vorschlag ging es ihm nicht anders als den Bundespräsidenten zuvor. Solche Empfehlungen von prominenten Quoten-Fischern sind neu. Aber werden die Protagonisten des öffentlich-rechtlichen Boulevards überhaupt auf ihre Kritiker reagieren? Ihre Erfolgsformel: "Informationsverdünnung bedeutet Quotensteigerung" - gelehrt auf Seminaren zum Thema "Boulevard-Journalismus" - gibt ihnen Recht.

Der Trend zur Personalisierung

Der Trend zur "People-Story" ist ungebrochen, meint der Journalist Hans Leyendecker und verrät die Rezeptur an Hand eines erfolgreichen Beispiels: "Das Sterben der Hannelore Kohl hat nicht nur deshalb so viel Aufmerksamkeit gefunden, weil sie die Gattin Helmut Kohls war, sondern auch, weil Leid und Gerüchte eine Melange ergaben, die den Klatsch förderte." Nicht nur dieser Fall zeigte: Das Unglück von Prominenten verkauft sich immer noch am besten.

Ein Grund für diese Entwicklung hin zum Leichten und Seichten liegt sicher in der zunehmenden Komplexität von politischen Entscheidungen. Politik wird mit allen internationalen Verflechtungen immer undurchsichtiger. Der Staatssekretär im Bildungsministerium, Uwe Thomas, definiert Politik bereits als ein "Komplexitätsreduzierungs-Spiel". Gleichzeitig sinkt das Verständnis für den langwierigen Gestaltungsprozess von Politik und den Einfluss von "pressure groups" oder Lobbyisten, die erfolgreich im Stillen arbeiten. Das Bekenntnis des CSU-Generalsekretärs Thomas Goppel, es gebe "Grenzen der Politikgestaltung" ist eine Ausnahme. Im Zusammenhang mit der Gendebatte machte er öffentlich darauf aufmerksam, dass Entscheidungen der Politik in hochkomplexen Themenfeldern auf Grenzen stoßen. Statt solcher Grenzziehungen neigen die meisten Politiker immer noch dazu, mehr zu versprechen, als sie halten können. Dies reduziert auf Dauer die Ernsthaftigkeit und die Glaubwürdigkeit der Politik bei den Bürgern. Diesen diffusen Unmut spiegeln die Medien.

Der Trend zum Unernsten

Mangelnder Ernst und das Verspielen von Glaubwürdigkeit sind aber nur eine Seite der Medaille. In einem Land, das die großen ideologischen Auseinandersetzungen hinter sich gelassen hat, in dem die politische Mitte immer größer wird und sich die meisten recht gut eingerichtet haben, tritt der Streit um bessere Lösungen - um was eigentlich? - zurück. Es gibt kaum mehr Grundsatzfragen, über die kontrovers diskutiert wird. Bei vielen großen Reformthemen - etwa der Rentenreform - ist es für den Normalbürger nicht leicht auszumachen, wo beim siebten Referentenentwurf nun die Unterschiede zwischen Regierung und Opposition liegen.

Hätte "Die Zeit" die allzu zaghaften Ermittlungen der Justiz in Sachen Leuna nicht immer wieder auf Seite eins angeprangert, wären die Akten wohl nie genau angeschaut worden. Viele Medien reagieren auf diese Entwicklung, indem sie auf andere, leichtere Stoffe ausweichen. Es gibt als Antwort auf die zunehmende Komplexität einen stillen - nicht reflektierten - Konsens gegen das Anspruchsvolle, das Sperrige, das Komplexe. Statt des Sachberichts hat sich - passend zu dieser Entwicklung - ein neues Genre etabliert: der so genannte "Aufreger", der Themen "anheizt", über die man sich eigentlich gar nicht aufregen muss. Selbst Klaus Bresser hat diese Entwicklungen jüngst bilanziert und eingeräumt: "Es ist sicherlich schwieriger geworden für den ernsthaften Journalismus", und: "Das Interesse an Politik scheint tatsächlich geringer zu werden."

Der Trend zum Nebensächlichen

Wissenschaftliche Untersuchungen etwa des "Medien-Tenors" (Bonn) haben ergeben, dass die Medien häufig zu spät über das Wesentliche berichten und primär die Sensation im Visier haben. Die Konzentration auf das Offensichtliche, das Spektakuläre und die Sensation verdränge das Wesentliche.

Eine Langzeit-Studie im Auftrag der Landesmedienanstalten aus dem Jahr 2000 kommt zu ähnlichen Ergebnissen. Unterhaltung ist das Maß aller Dinge, die politische Berichterstattung ist auf dem Rückzug. Im Bereich der Information verdrängt die Unterhaltungspublizistik die klassischen Formen der Informationsvermittlung. Mustert man diese Erkenntnisse, ist es nur konsequent, dass die Landesanstalt für Rundfunk Nordrhein-Westfalen ein Forschungsprojekt mit dem Titel "Der Wert von Nachrichtenwerten" ausgeschrieben hat. Die wissenschaftliche Beschäftigung mit Nachrichtenwerten ist überfällig. Die Regeln der anerkannten journalistischen Handbücher, die immer noch von klassischen Relevanzkriterien ausgehen, haben sich längst überholt. Folgende "agenda-setting"-Prozesse funktionieren, auch wenn sie noch nicht in die wissenschaftliche Literatur eingegangen sind:

- Der Stoff muss einfach und eingängig sein, komplizierte Sinnzusammenhänge haben keine Chance. Beim Publikum gibt es eine Sehnsucht nach orientierender Verdichtung ohne verwirrende Nebenargumente. Stoffe, die sich zur extremen Vereinfachung nicht eignen, fallen durch das elektronische Ausleseraster.

- Nur wenn Bilder vorliegen besteht die Chance, in das Leitmedium Fernsehen und auf die Titel der zunehmend bildorientierten Zeitungen zu kommen.

- Hintergründe sind nicht mehr interessant, Vordergründiges muss beleuchtet werden, weil der Aufmerksamkeitsspegel in einer überreizten Gesellschaft sehr niedrig ist. Gute Chancen haben Schicksale von Prominenten, zumal wenn sie mit Aspekten von Sex & Crime verbunden werden können.

Der Trend zum "agenda cutting"

Die aktuelle Medienlandschaft würde allerdings missverstanden, wenn man nur die "neuen" "agenda-setting"-Prozesse analysieren würde. Genauso wichtig sind "agenda-cutting"-Prozesse. Denn in einer blühenden Medienlandschaft kommt es heute wesentlich auch darauf an, bestimmte Themen zu verhindern, zu verzögern oder mit einem eigenen "spin" - also "Dreh" - zu verbinden. Es gibt eine Zunahme von kanalisierter Information und einen grösseren Einfluss von Public-Relations-Agenturen auf die Berichterstattung der Medien. Der zunehmende Einfluss der PR - die ihren Umsatz extrem gesteigert hat - zehrt die Unabhängigkeit der Journalisten aus, die aus eigener Beobachtung und dem eigenen Einschätzungsvermögen unabhängig berichten sollen.

Die Kolonialisierung der Medien durch die PR-Industrie korrespondiert mit dem schleichenden Kompetenzverlust von Teilen der Medien. Nach intensiver Beobachtung des vergangenen Bundestagswahlkampfs kam der Dokumentarfilmer Thomas Schadt ("Der Kandidat") zu einer nüchternen Bilanz: "Die Politiker waren besser vorbereitet als die Journalisten." Dieser Befund lässt sich nicht nur auf Wahlkampfzeiten begrenzen, er gilt sicher auch für die alltägliche Arbeit. Fast zwei Drittel der Berichterstattung basieren auf "offiziellen Verlautbarungen, Pressekonferenzen, Pressemitteilungen und anderen PR-Quellen. Weil nur noch jeder zehnte Artikel aus journalistischer Initiative entsteht, so der Schweizer Publizist René Grossenbacher, werde der Journalist zunehmend zum Textmanager. Die Abhängigkeit vom mainstream der Agenturen verschärft diesen Trend noch.

Zum "agenda cutting" gehört allerdings auch das, was junge Pressereferenten in den Staatskanzleien "wording" nennen: Nur eine bestimmte Aussage soll transportiert werden. Wer sich nicht an das politische Alphabet des "wording" hält, wird von der Interviewliste gestrichen, bekommt keine Antworten mehr. Immer mehr Ministerien und öffentliche Stellen gehen dazu über, nur noch ausgewählte Journalisten zu bedienen und alle potentiell kritischen Medien auszublenden. Auch dieser Trend hin zur kanalisierten Information hat sich verschärft.

Der Trend zur Inszenierung

Auch die Vermittlungswege von Informationen haben sich gravierend verändert. (Inszenierte) Bilder, gut gestylte Stimmungen und überlegt eingesetzte Emotionen verdrängen immer mehr die Argumente oder den redlichen intellektuellen Austausch. Ist es ein Zufall, dass die Frisur der CDU-Vorsitzenden so viele Leitartikler inspiriert und hinter diesen "Feuilletons" politische Ideen verschwinden? Schon Mao predigte: "Ein Bild sagt mehr als 1000 Worte." Für die Berliner Praxis heißt das heute: Der Politiker, der gute Laune zum bösen Spiel verbreiten kann, steht ganz vorne. Die Wohlfühlbilder überstrahlen die Mängelliste der verdrängten oder ungelösten Probleme.

Ein erfolgreiches Privatradio im Rhein-Main-Gebiet hat diese Entwicklung zur Programm-Philosophie erhoben. "Wir wollen, dass Sie sich gut informiert fühlen", lautet das werbende Motto. Es kommt also nur noch auf das Gefühl, nicht aber auf den tatsächlichen Zustand an. Politik wird so zu einer Sparte der Illusionskunst, welche die Kulissen des Wichtigen und Unwichtigen nach Belieben verschiebt. Eine Folge ist, dass die Gesellschaft - bezogen auf die Mediennutzung - immer weiter auseinanderfällt: in eine kleine Informationselite, welche die vielfältigen Quellen nutzt, und in ein riesiges Unterhaltungsproletariat, das sich auf zufällige Informationen verlässt und eher der Unterhaltung zuneigt. Für die Politikvermittlung ist dieser Zustand eine riesige Herausforderung. Aber welche Institutionen und gesellschaftlichen Agenturen kümmern sich überhaupt um diese Aufgabe?

Der Trend zur Dauer-Unterhaltung

Ein führender Programmdirektor der ARD sagte kürzlich, "die Unterhaltungsmaschine rollt und rollt". Die Gleichgültigkeit seines Gesichtsausdrucks verriet, dass er sie offenbar weder aufhalten könne noch wolle. Das besagt mehr als viele Reden, Protokolle, Kongresse und Studien. Die skizzierte Entwicklung der zersplitterten Öffentlichkeiten wird weder von den Programm-Machern noch von den politisch und gesellschaftlich Verantwortlichen mit der nötigen Aufmerksamkeit registriert. Das Problembewusstsein für all diese Tendenzen hat vielleicht eine Quote von 0,1 Prozent, hat sich also "versendet". Die Medien entfalten sich quasi im Schatten der öffentlichen Beobachtung und folgen lediglich den Gesetzen des Marktes. Dies beschädigt allerdings eine lebendige Demokratie-Entwicklung.

Im Sinne der Warnungen der Bundespräsidenten und prominenter Kritiker dieser wuchernden Entwicklung dürfen die Dinge nicht einfach so weitertreiben. Nicht zuletzt die Abstumpfung des Publikums nach großen Konjunkturen, etwa nach "big brother" oder "big diet", zeigt, dass es auch einen entertainment overkill geben kann. Es kann durchaus eine Renaissance einer neuen, breit angelegten Politikvermittlung über die Medien geben, wenn die Verantwortlichen auf allen Ebenen dies wollen und ihre Verantwortung wahrnehmen. Dann werden sich auch die Bürger intensiver mit der Frage beschäftigen, welche Themen wirklich wichtig und welche unwichtig sind. Wenn auch die Bürger sich intensiver um die großen Probleme, Fragen und Debatten unserer Zeit kümmern, wird die Politik es sich nicht mehr erlauben können, die wichtigen Medientendenzen länger von wenigen "Medienpolitikern" bearbeiten zu lassen.

Dr. phil., M.A., geb. 1959; Chefreporter Fernsehen SWR, Landessender Mainz; Mitherausgeber der Vierteljahreszeitschrift "Forschungsjournal Neue Soziale Bewegungen".

Anschrift: Marcobrunner Str. 6, 65197 Wiesbaden.
E-Mail: thomas.leif@faberdesign.de

Veröffentlichungen u.a.: Die strategische (Ohn-)Macht der Friedensbewegung. Kommunikations- und Entscheidungsstrukturen in den achtziger Jahren, Opladen 1990; (zus. mit Joachim Raschke) Rudolf Scharping, die SPD und die Macht, 2. Aufl., Reinbek 1994.