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Jihad versus McWorld | Mediengesellschaft | bpb.de

Mediengesellschaft Editorial Jihad versus McWorld Macht ohne Verantwortung "Mediengesellschaft" - Risiken für die politische Kommunikation Das Private in der Politik: Ein neuer Medientrend? "Amerikanisierung" der politischen Kommunikation? Interaktive Demokratie

Jihad versus McWorld

Jürgen Krönig

/ 9 Minuten zu lesen

Die Terroranschläge in New York und Washington haben die politische Gegnerschaft gegen die USA zum Motiv. Gleichfalls sind sie offensichtlich dramatische Anzeichen eines neuen, tiefreichenden weltanschaulich-fundamentalistischen Konflikts.

I. Abschnitt

Eine Überlebende des Terroranschlages auf das World Trade Center wurde gefragt, was sich für sie verändert habe. Sie empfinde, dass die Welt gefährlicher denn je geworden sei, lautete ihre Antwort; fortan werde sie ständig über ihre Schulter schauen. Diese Aussage einer unmittelbar Betroffenen, die noch ganz unter dem Eindruck des furchtbaren Schocks stand, deckt sich mit dem kühlen Urteil der politischen Klasse. Nach dem Angriff auf Amerika werde die Welt nie wieder die gleiche sein, stellte Ehud Barak fest, der frühere israelische Ministerpräsident. Damit formulierte er das Leitmotiv der neuen, bizarren Zeit, die nun angebrochen ist. In der Welt des 21. Jahrhunderts werden Terroristen zu Regisseuren eines Fernsehspektakels, das dem gesamten Globus Schrecken, Zerstörung und tausendfachen Tod live ins Haus liefert; in dieser Welt verabschieden sich Menschen, den Tod vor Augen, von ihren Angehörigen per Handy, dem Symbol der überhitzten Informationsrevolution der vergangenen Jahre. Es ist eine Welt, in der Feinde keine Armeen zu mobilisieren brauchen, um ihr Ziel zu verfolgen.

Eine optimistische Vision der Zukunft muss nun wohl aufgegeben werden: Das "Ende der Geschichte", das einst der amerikanische Politologe Fukuyama voraussagte, werden wir nicht erleben. Gemeint war mit jenem griffigen Schlagwort der finale Triumph des Westens, dessen ökonomisches und politisches System - Marktwirtschaft und Demokratie - sich im Zuge der Globalisierung unaufhaltsam über die Welt ausbreiten würde.

Wohin die Krakenarme der Globalisierung reichten, hat sich nur eines rund um den Globus ausgebreitet: die glitzernd-verführerische Populär- und Konsumkultur des Westens. Die US-amerikanische bzw. angelsächsische Dominanz über die globale Film- und Fernsehindustrie ist unanfechtbar. Was den Medientycoon Rupert Murdoch dazu veranlasste, Globalisierung als "Amerikanisierung" der Welt zu bezeichnen - gut für die Menschheit wie für sein Medienimperium. Die Essenz westlicher Zivilisation aber ist die Magna Charta, nicht der Big Mac. Globale gemeinsame Werte oder gar die ethische Basis für eine universale Zivilisation sind nicht entstanden. Nur flüchtige Moden und Konsumtrends wurden weltweit verbreitet. Irgendwo im arabischen Raum mögen junge Männer Jeans und Reeboks tragen, Coca Cola trinken und Rapmusik hören - während sie, zwischen Gebeten gen Mekka gewandt, an Sprengsätzen basteln, um ein amerikanisches Flugzeug oder ein Gebäude in die Luft zu jagen.

Die Fernsehbilder des Schreckens, die Zuschauern in Amerika und Europa Tränen in die Augen trieben, lösten anderswo - in Palästina, Irak und Pakistan, in den Bergen von Afghanistan, aber auch in den Slums von Kairo - Jubel und Gefühle des Triumphes aus. Das wird nicht dadurch aufgewogen, dass fast alle Regierungen islamischer Staaten den Terrorakt gegen Amerika aufs schärfste verdammten.

II. Abschnitt

Wir sollten uns nichts vormachen. Beängstigend realistisch erscheint nun jener "Clash of Civilizations": der Zusammenprall der Zivilisationen, der "Kampf der Kulturen", den der Amerikaner Samuel P. Huntington vor einigen Jahren voraussagte. Eine düstere Prognose, die in liberalen Kreisen lange Zeit verpönt war.

Präsident Bush sprach nach den Anschlägen auf Pentagon und World Trade Center vom ersten Krieg des 21. Jahrhunderts. Der Befund ist richtig, aber die Datierung bedarf der Korrektur: Der Krieg begann bereits vor einiger Zeit. Der Golfkrieg gegen den Irak wäre ein mögliches Datum. Dabei handelt es sich nicht um einen Krieg in vertrauten Kategorien. Er besteht vielmehr aus einer Serie von lokalisierten Kämpfen, von Terroranschlägen und Dauerbombardements, von Sanktionen, Rededuellen in der Uno und natürlich aus Verhandlungen. Zumeist führen sie zu nichts, was in Israel und Palästina stets aufs Neue und Deprimierende demonstriert wird. Eine Lösung scheint weit und breit nicht in Sicht.

Alle Akteure - von der westlichen Supermacht über den Irak bis zu Israelis und Palästinensern - lassen sich gleichwohl von klassischen Motiven leiten: Es geht um regionale Vormachtstellung, um Territorium, nicht zuletzt um den Zugriff auf natürliche Ressourcen, allen voran Öl. Doch ein zusätzlicher Faktor verleiht dem Konflikt eine besonders dramatische Dynamik: Nach den Ereignissen lässt sich nicht länger leugnen, dass bzw. wie sehr die westliche Zivilisation und Lebensweise von anderen Kulturen abgelehnt wird. Der Islam in seiner fundamentalistischen Variante definiert sich durch seine unversöhnliche Feindschaft zu einem westlichen System, das als gottlos und materialistisch gegeißelt wird und das mit allen Mitteln bekämpft werden darf und muss.

III. Abschnitt

Die militärische Dominanz des Westens und insbesondere Amerikas garantiert nicht den Erfolg in dieser Auseinandersetzung. Die Vereinigten Staaten sind die einzige Supermacht der Welt - reich, selbstbewusst, ausgestattet mit der besten Waffentechnologie. Doch die Verwundbarkeit bleibt: Je komplexer ein System, desto störanfälliger ist es. Die vernetzte technologische Zivilisation ist hyperempfindlich; ihre Arterien können mit relativ simplen Methoden empfindlich getroffen werden. Die in Kamikazebomber verwandelten Passagierflugzeuge zerstörten ein ungeheures Maß an Know-how und Daten; ein Abrutschen der Weltwirtschaft in eine Rezession erscheint vielen unausweichlich.

Der Gegner aber, der solch verheerende Wirkung mit relativ begrenzten Mitteln zu erzielen vermag, ist nicht nur schwer zu fassen und zu treffen, zumal er als der Schwächere gar nicht daran denkt, sich zum offenen Kampf auf dem Schlachtfeld zu stellen. Auch verzichtet er darauf, sich zu seiner Tat zu bekennen: eine PR-Strategie des Schweigens, die mit dem Anschlag über Lockerbie begann und im propagandistischen Kampf um die Weltmeinung ein bedeutsamer Faktor ist. Wo sind die Beweise, die harte amerikanische Schläge rechtfertigen? Diese Frage wird mit Sicherheit nach einer militärischen Vergeltung durch die USA gestellt werden und in weiten Teilen der nichtwestlichen Welt auf kritischen Widerhall stoßen. Zugleich akzeptiert der Feind keine Tabuschwellen mehr, wie in New York demonstriert wurde. Der neue Terrorismus des islamischen Fundamentalismus unterscheidet sich vom klassischen Terrorismus, der Terror zumeist dosiert einsetzte. Wie leicht hätte die IRA einen Sprengsatz in der Londoner U-Bahn explodieren lassen können, mit verheerenden Folgen. Doch der klassische Terrorist trachtete stets nach politischem Terraingewinn in dem Staat, in dem er operiert.

Die zahllosen Gruppierungen aber, die der islamische Fundamentalismus schuf, führen einen "Heiligen Krieg". Alle Mittel sind gerechtfertigt in solch einem Konflikt, in dem junge Männer in den Tod gehen in der Erwartung ewigen Lebens. Es bedarf keiner großen Fantasie, sich Furcht einflößende Bilder auszumalen. Nichts wird nunmehr von Geheimdiensten und Generalstäben in den westlichen Hauptstädten ausgeschlossen - weder nuklearer oder biologischer Terror noch Kamikazeflüge gegen Atomkraftwerke und Ölraffinerien. Wer sich auf einem Kreuzzug gegen das Böse wähnt, wird vor nichts zurückschrecken. Das lehrt sogar die jüngere Geschichte. Der japanische Sektenführer Aum wollte sich nicht auf die Giftgasattacke in der U-Bahn von Tokyo beschränken. Er hatte ähnliche Angriffe in allen Metropolen der Welt geplant und konnte bei der Entwicklung von Waffen und Kampfstoffen auf Wissenschaftler zurückgreifen, die angesichts des angeblich herannahenden Endes der Welt entschlossen waren, die Apokalypse vorzeitig einzuleiten.

IV. Abschnitt

Dem Islam wie anderen Religionen wohnen apokalyptische Tendenzen inne. Der Glaube an das nahe Ende der Welt verleiht Menschen die Gewissheit, Gott sei auf ihrer Seite und motiviert sie zu Attacken, bei denen sie ihr eigenes Leben zu opfern bereit sind. Professor David Cook, Islamist an der Universität Chicago, warnte in einer Studie, die er vor den Ereignissen schrieb, man könne die zahllosen islamischen Gruppierungen, die im Untergrund agierten, nur dann verstehen, wenn man die apokalyptischen Tendenzen ihrer Religion berücksichtige. Flugblätter, Pamphlete und Bücher dieser Gruppierungen seien an jedem Buchstand erhältlich und würden regelmäßig in Moscheen verteilt. Antiwestliche Haltungen würden darin mit Symptomen wie Gewalt, Amoralität, Hedonismus und Dekadenz begründet, die als Indizien für die Endzeit gelten. Die USA tauchen laut Cook in den meisten apokalyptischen Szenarien als das große Babylon auf. Das Titelbild eines einflussreichen Buches von Sa'id Ayyub, "Der falsche Messias", zeigt ein dämonisches Wesen, das in eine US-Flagge sowie Hammer und Sichel gehüllt ist und um den Hals den Stern von David trägt. Hamas in der Westbank und im Gazastreifen zählt zu den apokalyptisch inspirierten Gruppen; die Intifada von 1987 fiel nicht zufällig auf den Tag, an dem eine Weissagung vor 80 Jahren das Ende der Welt heraufziehen sah.

Solche Strömungen verbinden sich mit einem islamischen Radikalismus, der seine Stärke gewinnt aus einem brennenden Gefühl der Ungerechtigkeit. Aus moslemischer Sicht ist die Geschichte der vergangenen Jahrhunderte eine Serie von Kriegen und Demütigungen durch den Westen, durch das christliche Abendland. Im Westen nimmt man diese Sichtweise zu selten wahr und verweist auf die Gaben unserer Zivilisation - Schulen, Verkehrsverbindungen, Technologie, moderne Landwirtschaft, Satellitenfernsehen und den westlichen Lebensstil. Dabei übersehen wir, was der Vormarsch westlicher Zivilisation zerstörte: die religiöse Erziehung, ein Gefühl der Gemeinschaft, sozialen Zusammenhalt, das alte religiöse Rechtssystem sowie den Respekt für moslemische Kultur und Werte. Die armen, besitzlosen Massen in der islamischen Welt sehen sich als Opfer einer westlichen Verschwörung. Das Resultat kann aggressive Entschlossenheit sein, die sich mit religiös-fundamentalistischen Strömungen zu einer unheilvollen Mixtur verbindet.

Amerika und Europa sehen in Usama Bin Ladin den mastermind, den Drahtzieher des Terrors, der den Westen bedroht. Der jemenitische Millionär besitzt Fanatismus, Charisma und das Geld, um den Krieg zum Feind zu tragen. Die bittere Ironie: Der Ölhunger des Westens ermöglichte erst Bin Ladin und sein weitverzweigtes Netzwerk. Die westliche Zivilisation, die der amerikanische Politologe Benjamin Barber als McWorld bezeichnet, ist mit Jihad, dem "Heiligen Krieg", durch die Nabelschnur der Pipelines verbunden, durch die das Öl läuft, ohne das die industrielle Welt austrocknen würde. Die hedonistische westliche Spaßgesellschaft, die sich dem Dauertanz um das Goldene Kalb des Mammon hingibt, finanziert so die Kräfte, die sie zerstören wollen. Benjamin Barber, der einst Präsident Clinton beriet, warnt vor dem Zusammenspiel wie vor dem Zusammenprall von Jihad und McWorld. Er fürchtet, die zivile, demokratische Gesellschaft könne zwischen entfesseltem Turbo-Kapitalismus und religiöser Fundamentalopposition zerrieben werden.

V. Abschnitt

Die westlichen Demokratien haben sich angesichts terroristischer Bedrohung bereits verwandelt, das zeigt ein Blick zurück über nur zwei oder drei Jahrzehnte: Flughäfen verwandelten sich in Hochsicherungszonen, wachsende Gefahren verlangen nach neuen Beschränkungen der Freiheit, die Methoden der Überwachung werden immer raffinierter. Big Brother in Form von Überwachungskameras ist omnipräsent. Für einen historisch einmaligen Massenwohlstand zahlen wir einen Preis, der ab jetzt noch höher werden dürfte. Manche Politiker haben das nach den Terrorakten ziemlich unverblümt ausgesprochen. Bürgerliche Freiheiten sind ein Luxus, den wir uns nur noch begrenzt leisten können. Im Juni erst kritisierte der amerikanische Verkehrsminister den Flughafen von Detroit, weil islamische Fluggäste strikter kontrolliert wurden; er sprach von einem Verstoß gegen die Bürgerrechte. Das wird kein Minister mehr sagen.

Hier offenbart sich auf andere Weise die Verletzlichkeit der westlichen Zivilisation. Ob Amerika, Großbritannien oder Deutschland - die meisten Staaten haben sich in multiethnische Gesellschaften verwandelt: Der Drang, Einlass zu erhalten, wächst; unaufhörlich steigt die Zahl der Menschen, die Armut, Unterdrückung oder Umweltkatastrophen entkommen wollen. Gelungenen Beispielen der Integration stehen ungelöste Probleme gegenüber - alle Gesellschaften kennen Fremdenhass, Verdrängungsangst und Rassismus. Nun dürften die Spannungen weiter zunehmen. Moslemische Minoritäten erleben bereits, dass sie kollektiv als Feinde ihrer neuen Heimat gebrandmarkt werden. Zugleich wird die "weiße" Mehrheit fortan mit der Furcht leben, dass sich unter den moslemischen Minoritäten auch Menschen befinden, die den Heiligen Krieg gegen den Westen führen werden. Eine Furcht, die durch Herkunft und Werdegang der Selbstmordbomber von New York und Washington bestätigt wurde.

Beunruhigend ist auch der Ausblick. Was immer Amerika tun wird, um Vergeltung zu üben - schon jetzt muss als sicher gelten, dass dadurch eines bewirkt wird: Die Zahl der Menschen, bereit zu Kampf und Tod im Heiligen Krieg, wird in den islamischen Ländern anwachsen. Kein Wunder, dass die Politiker in Europa trotz aller Loyalitätsbekundungen insgeheim sehnlichst hoffen, dass Washington sich nicht zu nicht mehr kontrollierbaren militärischen Aktionen hinreißen lässt. Doch selbst überraschende Mäßigung würde nichts daran ändern, dass der Heilige Krieg weitergeht.

Dipl.-Politologe; Auslandskorrespondent für "Die Zeit" in Großbritannien.

Anschrift: E-Mail: Jiergen@Kroenig.fsnet.co.uk

Veröffentlichungen u. a. zu Themen der Globalisierung, der Medien- und Wirtschaftspolitik.