I. Fragestellung
Es mangelt in unserer Gesellschaft weder an den Herausforderungen (also an gesellschaftlichen Themen, Verwerfungen, Problemen und Risiken) noch an der Engagementbereitschaft von Seiten der Gesellschaftsmitglieder. Das Problem beruht vielmehr auf einer ungenügend entwickelten Partizipationskultur. Diese Feststellung ist für die Diskussion gesellschaftlicher Partizipation entscheidend, wird doch behauptet, die Individualisierung habe zu einem Rückzug der Menschen und zu einer epidemischen Politikmüdigkeit geführt. Tatsächlich lässt sich mit der vorhandenen Partizipationskultur nur bedingt ein situationsangemessener, also qualifizierter zivilgesellschaftlicher Kommunikationszusammenhang herstellen. Sie ist hinter der gesellschaftlichen Entwicklung zurückgeblieben.
Dass die Entwicklung der Partizipationskultur stagniert, obwohl Notwendigkeit und Bereitschaft für eine breite Mitwirkung ständig steigen, erklärt sich u. a. aus der Vernachlässigung gesellschaftlicher Unterschiede in den entsprechenden Mitwirkungsmodellen. "Gestandenen Persönlichkeiten" - männlich, erfolgreich, mit vielen Verbindungen, gut situiert - dürfte eine Beteiligung an zivilgesellschaftlichen Prozessen vergleichsweise leicht fallen. Sie verfügen über die erforderlichen Kenntnisse des parlamentarischen Systems, kennen die Informationskanäle, sind an diverse Netzwerke angeschlossen. Ganz anders sieht es bei den "Kids" aus, vor allem bei jenen, die in einem schwierigen Stadtquartier
Barrieren und Hindernisse bei der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen in Situationen, die mit der Entwicklung der urbanen Gesellschaft nicht Schritt halten, sind das Thema dieses Beitrages. Dabei wird deutlich, dass es sich hier nicht um einen zufällig ausgewählten Aspekt aus der Partizipationsproblematik handelt, sondern um den brisantesten Punkt in dieser Diskussion. Dies gilt in zweifacher Hinsicht: Es soll
a) um Situationen gehen, die besonders risikoreich sind und deshalb einen hohen Steuerungs- bzw. Partizipationsbedarf aufweisen und
b) eine Bevölkerungsgruppe in den Mittelpunkt gestellt werden, die vom Alter und der Alltagssituation her geringe oder überhaupt keine Chancen hat, an traditionellen Formen der Partizipation teilzunehmen.
II. Wege zur Partizipation
Meine Aufmerksamkeit gilt der Situation, in der großer Steuerungsbedarf und eine signifikante Partizipationsbereitschaft unzureichenden Partizipationsmöglichkeiten gegenüberstehen.
Im Vordergrund stehen meist sozial- oder sogar rein parteipolitische Interessen. Ich beginne mit dem letzten Punkt:
a) Viele Partizipationsmaßnahmen werden im Vorfeld von Wahlen, zumeist Kommunalwahlen, angestoßen. Da lädt eine Fraktion Kinder (z. B. ihrer Parteimitglieder) zur Gründung eines Jugendforums oder eines Jugendparlaments ein und sponsert diese Maßnahme bis zum Abschluss der Wahlen. Danach hört man nie wieder etwas davon. Hier ist ein Rekrutierungsinteresse leitend, das sich der Partizipationskultur bedient.
b) Andere Partizipationsmaßnahmen sind allgemeiner angelegt. Sie sollen die Politikmüdigkeit bekämpfen. Man versucht, die Kinder - als zukünftige Wahlbürger - für das parlamentarische System zu mobilisieren. Es werden Jugendparlamente eingerichtet oder man setzt das Wahlalter herab. Dabei wird übersehen, dass die Politikmüdigkeit weniger ein Generationsproblem ist, sondern etwas mit der mangelhaften Attraktivität überkommener und zudem längst unübersichtlich gewordener Strukturen zu tun hat. Im Grunde wird auf diese Weise nur der Zeitpunkt der Politikmüdigkeit vorgezogen.
c) Viele Partizipationsmaßnahmen werden ganz gezielt in Zusammenhang mit Maßnahmen für Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf getroffen. Das hat nicht nur damit zu tun, dass dadurch eher Mittel zur Verfügung gestellt werden. Man verspricht sich davon auch eine Stärkung der Kinder und der Jugendlichen und damit eine Entschärfung so genannter "sozialer" und neuerdings auch "kultureller" Brennpunkte, zugleich eine Förderung der sozialen Integration. Auch hier steht nicht die zivilgesellschaftliche Partizipation im Vordergrund.
d) Andere Maßnahmen dienen eher einer allgemeinen politischen Bildung. So wird etwa eine Kinderstadt im Rahmen einer Ferienmaßnahme organisiert. Hier ist ein sozial- bzw. kulturpädagogisches Motiv leitend, das sich der Partizipationskultur bedient, um Sozialpolitik zu betreiben oder politische Bildung zu forcieren.
Es ist legitim, die Partizipationskultur parteipolitisch oder sozialpolitisch zu nutzen. Versuche wie die Kinderstadt sind durchaus attraktiv. Nur trifft das nicht den Kern des zivilgesellschaftlichen Anliegens, weil urbane Herausforderungen und Risiken nicht zum Gegenstand der Beteiligung gemacht werden, sondern Partizipation hier als Instrument pädagogischer Maßnahmen oder von Rekrutierungsinteressen genutzt wird. Allerdings wird die Partizipationskultur dadurch insgesamt sicherlich gestärkt.
Heute
e) Zu denken ist zunächst an situativ oder/und thematisch beschränkte Mitbestimmungskonzepte (Einführung von Mitbestimmungsmodellen in Bildungs- und Erziehungseinrichtungen - allerdings nur mit Blick auf soziale Belange oder Sonderaktivitäten - und in Jugendverbänden).
f) Oft werden Partizipationsmaßnahmen von einem Kinder- oder Jugendbeauftragten oder einem Kinderbüro bzw -amt angestoßen, um eine konkrete kommunale Maßnahme zu begleiten. Das mag sich auf "typische" Kinderthemen (Spielplatz) beschränken, mitunter aber auch urbane Planungsfragen betreffen.
g) Aber es finden sich auch unmittelbare (direkte) und zivilgesellschaftlich adressierte Partizipationskonzepte (Durchführung von Kinder- und Jugendforen, Planungszellen und Vergleichbares, die sich als Teil zivilgesellschaftlicher Öffentlichkeit verstehen). Sie richten sich zum Teil wie die Parlamente an kommunale Instanzen, zum Teil direkt an die Öffentlichkeit
Ein Blick auf die unterschiedlichen Konzepte zeigt, dass diese, was ihre Partizipationsintensität betrifft, sehr unterschiedlich ausgestattet sind. Häufig wird Partizipation instrumentalisiert, sei es in politischer, sozialpolitischer, pädagogischer oder sozialpädagogischer Hinsicht. Die Interessen der Kinder und Jugendlichen werden zwar erstmals in paternalistischen Konzepten als eine eigenständige Größe akzeptiert, aber dort nicht direkt berücksichtigt. In dem zuletzt genannten Typ werden sie vollständig akzeptiert. Mit der Durchführung von Foren, Planungszellen usw. wird den Kindern und Jugendlichen tatsächlich die Möglichkeit zivilgesellschaftlicher Beteiligung eingeräumt.
Es ist keineswegs so, dass die Auswahl der Verfahren mit der Einschätzung der Situation vor Ort zusammenhängt. In urbanen Umbruchsituationen zum Beispiel werden vor allem sozialpädagogische Konzepte benutzt. Die Wahl der Modelle hängt eher von lokalen Zufälligkeiten und vom Zeitpunkt ihrer Etablierung ab. Zivilgesellschaftliche Modelle sind neuer und verbreiten sich allmählich; die Besonderheiten urbaner Umbruchsituationen spiegeln sich nicht in der Wahl der Modelle. Sie spiegeln sich vielmehr im Umgang mit den Modellen.
III. Partizipation in urbanen Umbruchsituationen: Ein Beispiel
Um die Barrieren und Hindernisse plastisch zu machen, soll hier ein Plenum eines Kinder- und Jugendforums
Das Forum findet in einem Bezirk einer Stadt statt, der sich in einer erheblichen Umbruchsituation befindet. Nach einer Phase anwerbungsbedingter Umschichtung der Bevölkerung ist hier in den achtziger Jahren die gesamte Industrie weggebrochen. So ist eine erhebliche Arbeitslosigkeit entstanden. Die entindustrialisierten Zonen mit ihren Brachflächen machen eine Neugestaltung der Stadt notwendig. Tatsächlich sind entsprechende Maßnahmen - von der Sanierung einzelner Straßenzüge über den Neubau eines Rathauses bis hin zu spezifischen Infrastrukturmaßnahmen (Bau einer U-Bahn und der Zentrale einer städtischen Behörde) - angelaufen.
In dieser Situation treffen sich die von Schulen und Vereinen delegierten Kinder und Jugendlichen zum Forum. Es wird im neuen Bezirksrathaus organisiert. Der Zugang zu diesem Gebäude ist kompliziert und ohne ausführliche Wegweisung nicht zu finden. Das Forum selbst wird in einem abgeschirmten, leicht abgedunkelten Raum abgehalten. Die Kinder und Jugendlichen sitzen im Halbkreis, vor sich Mikrophone, in ihrer Mitte der Sprecher der Gruppe und daneben die Moderatorin. Um sie herum verteilt sich das Publikum. Es besteht kaum aus Kindern oder Jugendlichen, sondern zumeist aus Eltern, BehördenvertreterInnen, LehrerInnen, ExpertInnen, die teils sitzend, teils stehend, großenteils in private Gespräche vertieft sind, gelegentlich aber auch ins Geschehen eingreifen.
Die Jugendlichen treten in die Verhandlung ein. Sie rufen zunächst die in früheren Foren behandelten Themen auf. Soweit sich für diese Themen AnsprechpartnerInnen gefunden haben und diese auch bereit waren, im Forum Rede und Antwort zu stehen, werden sie jetzt befragt. Anschließend werden neue, aus dem Reservoir vorbereitete Themen vorgetragen, und es wird darüber diskutiert, wie jeweils zu verfahren sei, wer zuständig ist und welche Schritte unternommen werden sollten.
Die Verhandlungsweise, die sich in diesem Forum herausgebildet hat, orientiert sich stark an parlamentarischen Prozessen. Sie basiert auf einer intensiven Vorbereitung, einer klaren Moderation und hoher thematischer Konzentration. Angesichts der angedeuteten Szenerie wird schnell deutlich, dass die Jugendlichen in diesem Rahmen nicht richtig zu einem Gespräch finden. Sie fühlen sich bald unwohl und isoliert. Das ermutigt das Publikum einzugreifen. Es hält sich ebenso wenig an seine Rolle wie die eingeladenen ExpertInnen aus der Verwaltung. Die Kinder und Jugendlichen kämpfen noch eine Weile um ihre Diskussionshoheit, das Publikum interveniert jedoch mehr und mehr. Zum Schluss werden die Themen nur noch knapp angerissen.
Besonders aussagekräftig erscheinen mir in der beschriebenen Situation zwei Dinge: Zum einen fluktuieren die Themen ebenso wie die TeilnehmerInnen. In relativ kurzer Zeit werden Themen der letzten Sitzungen rekapituliert und abgearbeitet, es werden neue formuliert und schließlich wieder ad acta gelegt; viele Themen werden bereits über mehrere Sitzungen mitgeschleppt, sie versanden allmählich. Zum anderen erscheint mir das Ende der Veranstaltung bezeichnend. Es gibt ein Buffet. Die belegten Brötchen und die Getränke werden von den Kindern und Jugendlichen ignoriert, die froh sind, sich wieder auf den Weg zu ihren Freunden machen zu können, die sich nicht in das Rathaus getraut hatten und draußen warten.
Sicher kann das beschriebene Kinder- und Jugendforum nicht als repräsentativ bezeichnet werden. Es weist allerdings Züge auf, die auch andere Foren und analoge Maßnahmen an anderen Orten haben:
a) Es wird deutlich, dass das Partizipationsanliegen nicht mit den Interessen der Erwachsenen übereinstimmt. Was auch immer die Veranstalter im Sinn gehabt haben und was auch immer die Kinder und Jugendlichen in diesem Rahmen durchzusetzen versuchen, sie scheitern am urbanen Mythos - an dem Bild, was man sich offenbar heute von einem "sozialen" bzw. "kulturellen" Brennpunkt macht. Die Zuschauer betrachten das Forum offenbar als eine soziale Aufführung - so wie man eine Solidaritätsveranstaltung besucht - und nutzen die Gelegenheit, sich in diesem Rahmen darzustellen. Sobald echte Themen in den Mittelpunkt gerückt werden, wird interveniert. Die Kinder und Jugendlichen sollen Politik spielen, aber nicht Politik machen. Wer darauf beharrt, Politik zu machen, wird abgestraft, sein Anliegen wird überhört, vertagt, verschleppt und schließlich lässt man es im kommunalen Alltagsgeschäft versichert.
b) Offenbar verletzt das Plenum der Kinder und Jugendlichen die Regeln urbaner Machtorganisation. Jugendliche haben sich erst noch auf den Ernst des Lebens vorzubereiten, eine echte politische Rolle steht ihnen noch nicht zu. Außerdem werden nun einmal politische Entscheidungen im parlamentarischen System gefällt.
Die Moderatorin versucht zwar immer wieder, die reine Inszenierung durch problemzentrierte Diskussionen zu durchbrechen. Die Jugendlichen gehen darauf mit allem Ernst und aller Kraft ein - und laufen schließlich auf. Die Situation beginnt die Kinder und Jugendlichen zu erdrücken. Macht ihnen die Inszenierung des Politischen zunächst großen Spaß, so verliert sich das in dem Augenblick, in dem die spannend inszenierte Politik in ein politisches Ritual abgleitet und schließlich in einem alltagspädagogisch gerahmten Rollenspiel endet. Die Kinder und Jugendlichen kehren der aufdringlich-pädagogisch orientierten und machtbewussten Szenerie ernüchtert den Rücken.
Ironischerweise fügen sich die Einschätzungen der Kinder und Jugendlichen einerseits und die der Experten anderseits gut zusammen, wenn auch aus ganz unterschiedlichen Gründen:
"Wir haben bisher noch kein großes Ziel verwirklicht", sagt ein älterer Jugendlicher, dessen Großeltern einst als Gastarbeiter in das Quartier gezogen sind. Dieses Zitat steht für eine ganze Generation, die einerseits den Umbruch eines Stadtteiles erlebt, die der Alltag ständig herausfordert und die anderseits zuschauen muss, weil sie nirgends Einfluss auf diese Veränderungen nehmen kann. Das Zitat steht aber, und das ist das eigentlich Dramatische, auch für die Kinder und Jugendlichen, denen das erste Mal Partizipation ermöglicht werden sollte: Was integrativ gemeint war, wirkt eher desintegrativ. Hinzu kommt, dass hier jemandem Partizipation versprochen wird, der wegen seines Status als Kind bzw. Jugendlicher bisher außen vor blieb, der mit Migrationshintergrund zumeist ohne deutsche Staatsangehörigkeit ist und der in einer Umbruchsituation lebt, aber großen Beteiligungsbedarf hat. Dementsprechend sind auch die TeilnehmerInnen mit Migrationshintergrund in der Überzahl. So verkehrt sich in der konkreten Situation Partizipation in Marginalisierung. Damit wird ein Effekt erzeugt, der bei vergleichbaren Maßnahmen in entsprechenden Quartieren auch in anderen Ländern zu beobachten ist.
"Es hat ja eh keinen Sinn", sagt ein politischer Experte auf Nachfrage. Dem schließen sich andere an. Es ist Skepsis gegenüber Kindern und Jugendlichen, die mehr wollen, als über Spielplatzgestaltung zu sprechen, die Skepsis den ethnischen Minderheiten gegenüber, die ohnehin mit Abstand betrachtet werden, und es ist das Denken in den Kategorien eines sozialen bzw. kulturellen Brennpunktes. Diese dreifache Skepsis bewirkt, dass man das Forum nicht wirklich ernst nimmt. Die alten Denkgewohnheiten setzen sich weiterhin durch.
Es ist deutlich geworden, dass die Probleme nicht im Quartier selbst und auch nicht bei den Kindern und Jugendlichen liegen, die an den Foren teilnehmen. Dennoch werden sie ihnen ohne Rücksicht auf die konkrete Situation von außen zugeschrieben. Hinter dem Rücken der Veranstalter setzt sich die Definition des Quartiers als sozialer bzw. kultureller Brennpunkt durch.
IV. Hindernisse und Barrieren
Im konkret beschriebenen Fall waren mögliche Hindernisse und Barrieren bei den Kindern und Jugendlichen überraschend leicht zu überwinden. Das größere Hindernis ist die oben beschriebene dreifache Barriere - "Kinder", "Ausländer" und sozialer bzw. kultureller "Brennpunkt" - bei den Erwachsenen. Die Kinder und Jugendlichen haben bessere Ausgangsbedingungen, weil sie offener sind. Schon der Entwicklungspsychologe Jean Piaget
Im Folgenden sollen die genannten drei Barrieren etwas genauer betrachtet werden. Dabei wird sich zeigen, dass direkte Beteiligung fester Strukturen und vor allem einer gesetzlichen Regelung bedarf, damit die Partizipationskultur mehr Gewicht bekommt.
Das Primat der Politik: Obwohl Partizipationsmaßnahmen als eigenständige zivilgesellschaftliche Willensbildungsprozesse angelegt sind, werden sie in der Regel als direkte Konkurrenz zu Politik und Verwaltung empfunden. Deren Vertreter sind folglich bestrebt, sich durch Partizipationsmaßnahmen in ihrem Handeln möglichst wenig beeinflussen zu lassen. Wenn Politik oder Verwaltung aufgefordert werden, am Partizipationsprozess teilzunehmen, dann treten in der Regel nicht die für die Thematik, sondern die für die Gruppe zuständigen ExpertInnen auf. In die Foren werden VertreterInnen des Jugendausschusses oder des Jugendamtes und nicht etwa des Stadtplanungsamtes oder des Bauausschusses geschickt.
Behinderung: Obwohl durch Partizipationsmaßnahmen die Bevölkerung motiviert werden soll, sich auf ihre urbane Situation gezielt einzulassen und sich ihre Stadt anzueignen, werden Maßnahmen ergriffen, wie das Bürgerengagement zu behindern. Selbst wenn es nur darum geht, für eine Partizipationsmaßnahme vor dem Rathaus einen Briefkasten zu installieren, so kann das Jahre (!) dauern. Unterdessen haben die Kinder die Schule abgeschlossen und das Quartier verlassen.
Politische Enteignung: Besonders ärgerlich sind die vielen Versuche, Partizipationskonzepte entweder für die parteipolitische Nachwuchsrekrutierung oder gleich für die eigene politische Präsentation zu missbrauchen. Was als attraktive Alternative zum traditionellen parlamentarischen System gedacht war und so auch bei den Betreffenden ankommt, wird auf diese Weise zur parteipolitischen Selbstdarstellung genutzt. Entsprechende Maßnahmen haben keine große Lebensdauer, weil sie von den Beteiligten schnell durchschaut werden.
Ausbeutung des Freiwilligenengagements: Anders als die durchaus kostenintensive parlamentarische Arbeit soll Partizipation möglichst wenig kosten. Obwohl für eine kontinuierliche Arbeit eine Anlaufstelle und ein fester persönlicher Bezug erforderlich sind, fallen die bereitgestellten Mittel oft so gering aus, dass sie allenfalls für einen Werksvertrag mit einer studentischen Hilfskraft reichen. Diese soll dann die "Kids" zur Partizipation motivieren, eine dauerhafte Verankerung der Arbeit leisten und die konkreten Maßnahmen strategisch gezielt unterstützen, die Adressaten der Aktionen, die Öffentlichkeit, die jeweils zuständige Politik und die einschlägige Verwaltung ausfindig machen, ansprechen, motivieren und betreuen, Konflikte moderieren, steuern und bewältigen und noch dazu die Probleme im Rahmen quartierorientierter Arbeit bewältigen.
Konkurrenzprobleme: Obwohl es sich bei Partizipationsmaßnahmen um zivilgesellschaftliche, d. h. politische Prozesse handelt, sehen lokale Jugendverbände und private Initiativen darin nicht selten eine Konkurrenz. Sie müssen befürchten, dass die ihnen für ihre Arbeit zustehenden Mittel umgeleitet werden und sie auf diese Weise zum Beispiel ABM-Stellen und Zuschüsse verlieren.
Stigmatisierung: Im Umbruch befindliche Stadtteile werden gerne als soziale und neuerdings kulturelle Brennpunkte bezeichnet. Die Entindustrialisierung und ebenso die Sanierung eines Quartiers werden als Indikator für eine "schlechte Wohn- und Lebenslage" betrachtet - und damit für Menschen mit Problemen. Darunter leiden vor allem die Kinder und Jugendlichen, die ihrem Quartier "unentrinnbar" ausgeliefert sind. Besonders schwierig wird es für diese Bevölkerungsgruppe dann, wenn ihnen das Recht auf die Identifikation mit ihrem Lebensmittelpunkt abgesprochen wird, wenn sie als "Ausländer" tituliert und entsprechend als Fremde etikettiert werden. Dabei sind es oft gerade diese Kinder und Jugendlichen, die einen besonders scharfen Blick für die urbanen Themen im Quartier besitzen.
Entproblematisierung: Viele Themen werden gar nicht erst in den Blick genommen, weil sie dem Zugriff der Öffentlichkeit längst entzogen worden sind. Wird etwa die Sanierung eines Stadtquartiers in die Hand eines Investors gegeben, erscheint die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen am Planungsvorhaben schon fast absurd.
Entpolitisierung: Viele Themen, die im Quartier benannt werden, gelten als nicht partizipationsfähig. Das wird etwa bei Verkehrsthemen wie der Einführung von Tempo-30-Zonen oder auch bei der Drogen- und Gewaltthematik behauptet. Das Abweisen von Themen ist bei Partizipationsmaßnahmen immer wieder zu beobachten. Das hat nicht nur mit einer vorgeblich nicht vorhandenen Zuständigkeit, sondern oft mit pädagogischer Bevormundung zu tun.
Dezentrierung: Die in den Partizipationsprozessen aufgeführten, verbalisierten und bearbeiteten Fragestellungen erwachsen aus der lokalen Situation, sie resultieren aus den Erfahrungen mit dem Straßenverkehr vor der Haustür oder dem Müll im Vorgarten. Diese Zentrierung ist motivierend und interessant. Wenn jedoch die Partizipationsverfahren in Hightech-Rathäuser verbannt, der Öffentlichkeit entzogen und einer technisch wohlorganisierten Maschinerie überantwortet werden, werden die Fragestellungen, Probleme und Herausforderungen dezentriert und verlieren ihren lokalen Sinn. Das lässt sich bis in die Diskussion hinein verfolgen, in der sich die Themen verselbstständigen, schließlich von den Zuschauern enteignet werden und im Verlauf der Zeit versanden und versickern.
Parlamentarisierung/Bürokratisierung: Mit der Dezentrierung geht eine Parlamentarisierung und Bürokratisierung einher. Die zunächst spontan und lebendig entstandenen Fragestellungen werden einer bürokratischen Prozedur unterworfen, verwandeln sich im Verlauf der Zeit bestenfalls in Briefe, ansonsten in Protokollnotizen, die irgendwann und irgendwo archiviert werden. In diesem Prozess bleiben die Kinder und Jugendlichen auf der Strecke. Die Fluktuation wird so groß, dass für jede Maßnahme völlig neu rekrutiert werden muss.
Paternalismus: In den Diskussionsrunden, in denen sich die Kinder und Jugendlichen unter Anleitung von Erwachsenen zusammenfinden, kann sich nicht die erforderliche interne Dynamik entwickeln. Kaum werden Themen angesprochen, wird schon von den Erwachsenen interveniert. Die Kinder und Jugendlichen werden sofort in einen Machtkampf verwickelt, den sie nicht bestehen können. Die Erwachsenen versuchen offenbar, die Kinder und Jugendlichen, die sich ihnen sonst zunehmend entziehen, hier zu stellen und zum Diskurs zu zwingen.
Infantilisierung: Eine besonders ärgerliche Problematik besteht in der Infantilisierung der Maßnahme. Da ist eine Stadt darauf stolz, dass bei dem Bau eines Kinderspielplatzes Kinder und Jugendliche beteiligt werden. Jugendliche werden hier als Experten für ihre jüngeren Geschwister missbraucht und als Gruppe mit eigenen Interessen ignoriert. In derselben Stadt kommt jedoch niemand auf die Idee, die Jugendlichen an der Neugestaltung eines abgeräumten Industriegebietes zu beteiligen.
Pädagogische Reduktion: Gerade so genannte schwierige Quartiere motivieren offenbar zur Pädagogisierung. Auch wenn die Zahl der Sozialhilfeempfänger, der Arbeitslosen und der Zuwanderer nur wenig größer ist (absolut gesehen) als in anderen Quartieren, geht man grundsätzlich davon aus, dass es hier allen Kindern und Jugendlichen schlecht geht und dass sie ein besonderes pädagogisches Problem darstellen. Dass in der metropolitanen Gesellschaft
Die aufgeführten Hindernisse und Barrieren sind in Partizipationsmaßnahmen in unterschiedlicher Häufung und Ausprägung anzutreffen. Zu einem Problem werden sie dann, wenn sie kumulieren. Das scheint vor allem in Quartieren der Fall zu sein, die sich im Umbruch befinden.
V. Fazit
Da im vorliegenden Beitrag eine sehr spezifische Situation in den Mittelpunkt gestellt wurde, ist es schwierig, eine allgemeine Bilanz zu ziehen. Der Vorteil der Vorgehensweise liegt darin, dass zentrale Probleme "überpointiert" deutlich werden.
Diese Überpointierung zeigt, dass Partizipation im Sinn einer direkten Beteiligung der Anerkennung als einer eigenständigen Form zivilgesellschaftlichen Engagements bedarf, mithin einer der gesellschaftlichen Entwicklung angemessenen fortgeschrittenen politischen Kultur.
Wie die Erfahrung zeigt, machen neue Partizipationsformen neue Strukturen erforderlich. Kinder und Jugendliche mit ihren Belangen ins Zentrum zu rücken und dies auch entsprechend absichern zu können setzt voraus, spezielle Verfahren zu etablieren und entsprechende Ziele zu formulieren. Ein Jugendforum oder eine Planungswerkstatt, eine Aktion oder eine Quartierzeitung bedürfen stets einer sorgfältigen inneren Abstimmung und Strukturierung, damit die Verklammerung zwischen der jeweiligen Bevölkerungsgruppe und ihrer Situation garantiert bleibt. Darüber hinaus ist eine formale Absicherung etwa durch gesetzliche Bestimmungen erforderlich. So erhält diese Partizipationskultur die erforderliche Legitimation, die lokalen Fragestellungen wirklich zu bearbeiten, den entsprechenden Druck, sich mit eventuellen Problemen auseinanderzusetzen, und den notwendigen Schwung, sich schrittweise zu verstetigen. Auf diese Weise könnte auch der Konkurrenzdruck von den Partizipationsmaßnahmen selbst genommen werden. Nur eine formale Regelung kann offenbar die Eigenständigkeit dieser Form der zivilgesellschaftlichen Beteiligung in Umbruchsituationen sichern und sogar als lokale politische Tradition verankern.