I. Einleitung
In den letzten Jahren sind auf kommunaler Ebene zahlreiche neue, institutionalisierte und direkte Formen der politischen Öffentlichkeit entstanden. Zu nennen sind hier z. B. das Bürgerbegehren, der Bürgerentscheid, die Mediationsverfahren, die Zukunftswerkstätten oder die Planungszellen.
Die direkte Partizipation der BürgerInnen ist gesetzlich und institutionell in der BRD auf kommunaler Ebene am deutlichsten abgesichert. Für die Altersgruppe der Kinder und Jugendlichen gibt es allerdings weit weniger Möglichkeiten der politischen Beteiligung, abgesehen davon, dass sie nicht das repräsentative politische System beeinflussen können.
II. Die Situation von Kindern und Jugendlichen in Städten
Von der Ausdifferenzierung gegenwärtiger Gesellschaften in verschiedene, formal-rationale Subsysteme ist das Leben der Menschen in Städten in besonderem Maße betroffen. Dies sind bekanntlich die Orte, an denen gesellschaftliche Veränderungen am ehesten und am deutlichsten sichtbar werden. Der Umbau der Industriegesellschaft, der sowohl durch eine De-Industrialisierung als auch durch eine Neu-Industrialisierung gekennzeichnet ist, lässt sich vor allem in Städten ablesen. Nicht mehr die Fabrikgebäude kennzeichnen das Stadtbild, sondern moderne Dienstleistungs-, Freizeit- und Einkaufszentren. Zwar werden neue Industriezweige gegründet, diese folgen dank der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien jedoch nicht mehr den traditionellen Standortvorgaben.
Von den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen der Globalisierung, der Individualisierung und der Pluralisierung sind alle Generationen betroffen. Mit den Ambivalenzen,
Als Reaktion auf die aus den Ambivalenzen resultierenden Probleme (die Chancen werden häufig ignoriert) wird Kindern und Jugendlichen aus der Sicht von WissenschaftlerInnen nicht selten ein Desinteresse an Politik attestiert. Das auch mit dem Schlagwort der "Politikverdrossenheit" bezeichnete Phänomen des Rückzugs in die Privatsphäre kennzeichnet jedoch gerade bei den Kindern und Jugendlichen nicht eine Verdrossenheit gegenüber Politik schlechthin, sondern eher gegenüber den RepräsentantInnen der Politik, den Parteien sowie PolitikerInnen oder etwas abstrakter: gegenüber dem gegenwärtigen politischen System der Repräsentation. Was sich schließlich hinter diesen scheinbaren "Ermüdungserscheinungen" verbirgt, ist nicht so sehr die Übersättigung durch Politik, sondern ein Wunsch nach eigener, direkter Partizipation:
III. Kinder- und Jugendforen als neue Form der politischen Partizipation
Seit Anfang der achtziger Jahre werden in einigen Städten der Bundesrepublik neue Formen der gesellschaftlichen Partizipation erprobt, die auf eine stärkere Einbindung von Kindern und Jugendlichen in partizipative Prozesse zielen. So sind zunächst in einigen kleineren Städten und Gemeinden, später auch in Großstädten Kinderbüros, Kinderbeauftragte, Kinderversammlungen, Kinder- und Jugendparlamente, -beiräte oder -foren gegründet worden, um der so genannten Politikverdrossenheit der Kinder und Jugendlichen entgegenzuwirken.
Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über die vielfältigen Formen der politischen Partizipation für Kinder und Jugendliche, ihre Hauptmerkmale und die in ihnen behandelten Themen.
In einer empirischen Untersuchung des Deutschen Jugendinstituts von 1999
Entsprechende Beteiligungsformen werden meist von engagierten, sozialpädagogisch geschulten und politisch orientierten Einzelpersonen geschaffen, die in der fehlenden Partizipation von Kindern und Jugendlichen den entscheidenden Grund für ihre ungenügende Integration sehen. In letzter Zeit gehen solche Initiativen aber auch verstärkt auf das Engagement von Kindern und Jugendlichen selbst zurück. Diese wenden sich in der Regel an Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, von denen sie hoffen, dass sie sich für ihre Belange einsetzen.
Auch in Köln gibt es seit 1997 solche Kinder- und Jugendforen, die vom Kölner Amt für Kinderinteressen eingerichtet und vom Seminar für Sozialwissenschaften der Universität Köln wissenschaftlich begleitet wurden. Ausschlaggebend für das Modellprojekt war die Feststellung, dass solche Kinder- und Jugendforen eine niedrigschwellige und deshalb geeignete Form der gesellschaftlichen Partizipation von Kindern und Jugendlichen darstellen sowie den Bedürfnissen und realpolitischen Handlungsmöglichkeiten der Betroffenen nahe kommen.
Die Foren fanden zunächst in zwei - sozialstrukturell betrachtet - sehr unterschiedlichen Bezirken statt, in einem traditionellen Arbeiterstadtteil im rechtsrheinischen Köln-Kalk, der aufgrund der bekannten wirtschaftlichen Transformationsprozesse überdurchschnittlich stark von Arbeitslosigkeit betroffen ist und einen hohen Anteil an MigrantInnen aufweist, und in Köln-Sürth, einem Vorort im wohlhabenden Süden Kölns, in dem vornehmlich Kinder und Jugendliche der Mittelschichten und von AkademikerInnen wohnen. Sie wurden jeweils von ca. 30 Kindern und Jugendlichen besucht, allerdings mit einer recht unterschiedlichen Kontinuität. Während die Motivation der TeilnehmerInnen an dem Forum in Köln-Sürth kontinuierlich als sehr hoch einzuschätzen war, schwankte die Bereitschaft der Kinder und Jugendlichen bei dem Kalker Forum erheblich. Das Kalker Forum wurde wegen TeilnehmerInnenmangel vor kurzem sogar aufgelöst.
Die Kinder- und Jugendforen sind öffentlich, d. h., Erwachsene können als ZuhörerInnen teilnehmen. VertreterInnen aus Politik und Verwaltung sollen als ExpertInnen für bestimmte Fragen und Probleme herangezogen werden. Zudem gibt es für jedes Forum feste Ansprechpartner aus der jeweiligen Bezirksverwaltung. Eine erwachsene Person fungiert als Moderator oder Moderatorin bei den Foren. Sie ist ausschließlich den Interessen der Delegierten verpflichtet und soll ihnen bei der Durchführung der Treffen helfen.
Die Themen der Foren sind Freizeit, Schule und Verkehr. Sie repräsentieren die unmittelbaren, persönlichen und konkreten Belange der beteiligten Kinder und Jugendlichen. Die Foren finden zweimal pro Jahr statt. Zwischendurch gibt es Treffen von Arbeitsgruppen, in denen die Kinder und Jugendlichen zu einem Thema oder Projekt inhaltlich arbeiten, und es gibt Zusammenkünfte von Arbeitsgruppen, in denen Kinder und Jugendliche ggf. mit Unterstützung Erwachsener die Treffen organisatorisch vorbereiten (Tagesordnung entwerfen, ExpertInnen sowie PolitikerInnen einladen etc.). Auf den Foren tragen die TeilnehmerInnen der Vorbereitungsgruppe die dort ausgehandelten Themen und Anliegen vor und bitten die eingeladenen ExpertInnen und PolitikerInnen anschließend um ihre Stellungnahme. Sie sollen dann einschätzen, ob und in welchem Umfang die Anliegen von den entsprechenden Behörden umgesetzt werden können.
Von Beginn des Modellprojekts an war eine begleitende Evaluation vorgesehen. Zunächst hatte die wissenschaftliche Begleitung die Aufgabe herauszufinden, inwieweit die Kölner Kinder- und Jugendforen tatsächlich eine alters- und situationsangemessene Form von Öffentlichkeit herstellen kann. Oder anders gesagt: Bieten die Foren den Kindern und Jugendlichen tatsächlich eine Möglichkeit, einen fairen und gleichberechtigten Aushandlungsprozess zu vollziehen? Zu erkunden war deshalb, ob solche Maßnahmen zur Entstehung bzw. zur Verfestigung einer diskursiven Konfliktregelung beitragen, ob sie gegebenenfalls modifiziert oder ob ganz andere Maßnahmen erprobt werden müssen.
Zudem hatte sie die Aufgabe, die Maßnahme unter sozialpädagogischem Blickwinkel zu untersuchen. Hier ging es konkret darum herauszufinden, welche neuen Fertigkeiten die Kinder und Jugendlichen im Rahmen einer solchen Maßnahme entwickeln konnten. Berücksichtigt werden musste dabei zunächst die Herkunft der Beteiligten (Milieu, Bildung etc.). Erkundet werden mussten zudem die sozialisatorischen Effekte der Teilnahme an solchen Gesprächen. Hier ging es darum zu erfahren, welchen Beitrag Foren zur politischen Bildung, zur Präsentation und Durchsetzung eigener Interessen und zu selbstbestimmtem Handeln leisten können.
Eine weitere, eher soziologische Aufgabe war die Erkundung von Kommunikationsverläufen. Ziel war es, den Kommunikationsprozess näher zu beleuchten und herauszufinden, welche Erfahrungen von wem unter welchen Bedingungen in das Forum eingebracht, diskutiert und durchgesetzt werden konnten. Zu erkunden war, ob in den Foren jemand ausgeschlossen wurde und ob jede ihre und jeder seinen Anteil am gemeinsam hergestellten Konsens wiederfinden konnte. Konkret ging es darum herauszufinden, ob dieses Angebot niedrigschwellig genug ist, sodass tatsächlich alle Kinder und Jugendlichen des TeilnehmerInnenkreises repräsentiert (Geschlecht, Sozialstruktur, Altersgruppe, Nationalität etc.) waren, also teilnehmen und ihre Interessen angemessen präsentieren konnten.
Neben den für diesen Forschungsteil erforderlichen Methoden der teilnehmenden Beobachtung und der Protokollierung der einzelnen Treffen wurden aus dem Kreis der wissenschaftlichen MitarbeiterInnen zudem vertiefende Interviews durchgeführt, die es einerseits ermöglichen sollten, das Beobachtete und schriftlich Fixierte zu ergänzen, und andererseits Auskunft geben sollten über die individuelle Lebenssituation der Befragten, ihre Motivation für die Teilnahme und ihre Einstellung gegenüber den Foren. Beachtet wurde bei der Evaluation auch der Effekt der sozialen Intervention des Interviews, d. h., die soziale Situation des Interviews selbst musste als Bestandteil der Befragung berücksichtigt werden.
IV. Die Gründe der Beteiligung der Kinder und Jugendlichen an den Foren
Die Evaluation der Interviews
Zu Beginn hatte allerdings vielfach eine geringere Motivation vorgeherrscht, die sich jedoch nach einigen Treffen steigerte. Im Verlauf der Sitzungen haben sich die Kinder und Jugendlichen zusehends stärker für das Geschehen interessiert. Ein Beispiel für Rückschläge ist das Kalker Forum.
Maßgeblich für die Entwicklung der Motivation waren zwei Punkte, die für zukünftige Partizipationsformen von Belang sein könnten:
1. Als motivierend kann eine "zurückhaltende Unterstützung" seitens der erwachsenen Begleitpersonen angesehen werden. Haben die Kinder und Jugendlichen tatsächlich die Gelegenheit, ihre Anliegen und Interessen frei zu präsentieren, kann sich ein tragfähiger "zivilgesellschaftlicher Kommunikationszusammenhang" bilden. Von großer Bedeutung ist auch, dass ihre Forderungen ernst genommen und politisch umgesetzt werden bzw. ihnen verständlich gemacht wird, warum und aus welchen Gründen eine bestimmte Forderung nicht umgesetzt werden kann. Dabei erweist sich der Grund "kein Geld da" stets als äußerst unverständlich.
2. Als demotivierend müssen mehrere Aspekte angeführt werden. Zunächst stellt sich das Problem des mangelhaften "framing". Schon die Wahl des Ortes der Treffen ist wichtig. In Kalk fanden die Treffen in einem Hinterzimmer des Bezirksrathauses statt. Weder konnten sich die Kinder und Jugendlichen dort wohl fühlen, sodass der Aspekt der Niedrigschwelligkeit nicht eingelöst werden konnte, noch konnten sie in der Wahl des Ortes eine angemessene Ernsthaftigkeit erkennen. Ein weiterer Aspekt ist, dass im Kalker Forum die Kinder und Jugendlichen nicht ausreichend die Gelegenheit hatten, ihre individuellen Anliegen in die Diskussion einzubringen. Die Dominanz der DiskussionsleiterInnen war unübersehbar. Festgehalten werden muss auch, dass die von den Kindern und Jugendlichen eingebrachten Themen den Rahmen des Forums teilweise sprengten. Themen wie Arbeitslosigkeit, Verarmungsprozesse oder Fremdenfeindlichkeit sind Themen, die ein derartiges Forum überfordern. Hier zeigen sich die Grenzen solcher Partizipationsformen, die verdeutlichen, dass politische Partizipation sozialpädagogische Tätigkeiten nicht ersetzen kann.
Daraus den Schluss zu ziehen, dass direkte Partizipationsformen nicht eine allgemeine und für alle Themen unvoreingenommene und sinnvolle Methode der Bürgerbeteiligung sein können, halte ich dennoch für überzogen. Bürgerschaftliches Engagement ist keine Frage des Habitus, sodass derartige Partizipationsformen nur von Angehörigen bürgerlicher Schichten genutzt werden könnten. Denn auch die Kinder und Jugendlichen aus dem unteren Schichtengefüge kennen ihre Probleme und meist auch deren Ursachen ziemlich genau. Zudem wissen sie meist, wie sie selbst damit umgehen und "Wege des Überlebens" finden können.
Insgesamt scheint in sozial benachteiligten Quartieren eine Kombination aus Foren und Gemeinwesenarbeitsprojekten sinnvoll. Während von sozialpädagogischer Seite Unterstützung in sozialen Fragen gegeben wird, sollen die Foren die Möglichkeit bieten, den Kindern und Jugendlichen Gehör für ihre individuellen Anliegen und Interessen zu verschaffen.
V. Foren für Kinder und Jugendliche: Eine erfolgversprechende Form direkter Partizipation?
Nach Abschluss der wissenschaftlichen Evaluation lässt sich als erstes Ergebnis festhalten, dass solche Foren einen erheblichen Beitrag zur Integration von Kindern und Jugendlichen in die Gesellschaft leisten können.
Um den Alibi-Effekt einer solchen Partizipationsform zu verhindern, ist eine Gratwanderung notwendig, bei der Prozesse der diskursiven Konfliktregelung (arguing) gefördert und eine elitengesteuerte Interessenvertretung (bargaining) verhindert werden. Die MediatorInnen müssen sensibel genug sein, um zu verstehen, dass Kinder und Jugendliche eigene Räume brauchen, in denen sie ohne Obhut Themen aufwerfen, Fragen stellen, sich austauschen und diskutieren können. Und auch die Wahl des Ortes ist symbolisch und deshalb nicht zu unterschätzen. Geeignet sind deshalb vor allem Räume, in denen sich die Beteiligten wohl fühlen können und die bei ihnen einen guten Ruf genießen.
Summa summarum sind solche Beteiligungsformen für Kinder und Jugendlichen vielversprechend. Immer wieder konnten sie zeigen, dass sie ihre Anliegen fair und ohne Ressentiment und Konkurrenzgehabe in die Öffentlichkeit transportieren können. Dabei sind sie sogar in mehrfacher Hinsicht in der ExpertInnenrolle: Zunächst einmal sind sie es, die ihre eigenen alltäglichen Anliegen am authentischsten in die Öffentlichkeit transportieren können. Und auch methodisch scheinen sie intern realistische Verbesserungsvorschläge einbringen zu können. Nichts scheint sie deshalb so sehr zu motivieren wie die Möglichkeit, selbst an Entscheidungsprozessen teilnehmen und teilhaben, an die Öffentlichkeit treten zu können und Stellungnahmen zu den eigenen Anliegen einzufordern.
Als Fazit der Evaluation lässt sich bestätigen, dass eine direkte politische Partizipation auf der einen Seite notwendiger denn je und auf der anderen Seite bei Kindern und Jugendlichen auch gefragter denn je ist. Die Berücksichtigung ihres spezifischen Alltagswissens ist als Maßstab jeder Intervention zu betrachten, wenn es um für sie relevante Entscheidungen geht.
Partizipation ist somit in erster Linie eine politische Aufgabe, die dazu beitragen kann, Kinder und Jugendliche erfolgreich in demokratische Verfahren einzubinden. Sie ist auch eine sehr wichtige pädagogische Aufgabe, weil durch Partizipation nicht nur wichtige Lernziele der politischen Bildung (Mündigkeit, Emanzipation etc.) erreicht werden können, sondern dem Abgleiten in typische Desintegrationsprozesse vorgebeugt werden kann.
Das Spannungsverhältnis, in dem sich Kinder und Jugendliche zwischen dem Schutz durch Erwachsene auf der einen und Autonomiebestreben auf der anderen Seite befinden, wird sich aufgrund zunehmender Partizipationsmöglichkeiten verändern. Die für unsere Gesellschaft charakteristische widersprüchliche Logik von Bevormundung/Edukation auf der einen und Autonomie/Individualität auf der anderen Seite wird durch die Partizipationsrechte und -formen auf ein anderes Niveau gehoben. Zwar ist dadurch nicht gewährleistet, dass Kinder und Jugendliche automatisch vernünftiger, ökologischer oder gerechter handeln werden. Da das Wohl der Kinder und der Jugendlichen aber stärker durch sie selbst mitbestimmt wird, sind sie selbst verantwortlicher für ihr Tun.