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Kinder- und Jugendforen als Beispiel neuer Formen der politischen Öffentlichkeit | Partizipation von Kindern und Jugendlichen | bpb.de

Partizipation von Kindern und Jugendlichen Editorial Warum die junge Generation politisch stärker partizipieren muss Gesellschaftliche Beteiligung der Jugend Kinder- und Jugendforen als Beispiel neuer Formen der politischen Öffentlichkeit Wie stimmig sind die Ziele von Beteiligungsaktionen mit Kindern und Jugendlichen in der Kommune? Barrieren und Hindernisse bei der Beteiligung von Kindern und Jugendlichen in urbanen Umbruchsituationen

Kinder- und Jugendforen als Beispiel neuer Formen der politischen Öffentlichkeit

Markus Ottersbach

/ 16 Minuten zu lesen

Seit Beginn der achtziger Jahre sind auf kommunaler Ebene zahlreiche neue partizipative Verfahren eingerichtet worden. Sie sollen dem zivilgesellschaftlichen Engagement eine institutionalisierte Form der politischen Öffentlichkeit einräumen.

I. Einleitung

In den letzten Jahren sind auf kommunaler Ebene zahlreiche neue, institutionalisierte und direkte Formen der politischen Öffentlichkeit entstanden. Zu nennen sind hier z. B. das Bürgerbegehren, der Bürgerentscheid, die Mediationsverfahren, die Zukunftswerkstätten oder die Planungszellen. Sie sind keine Protest- oder Widerstandsformen im ursprünglichen Sinne, sondern es sind partizipative Verfahren, die erst entstehen konnten, weil für das zivilgesellschaftliche Engagement eine institutionalisierte Form der politischen Öffentlichkeit geschaffen werden musste. Eine Partizipation der BürgerInnen ist als fester Bestandteil der Entscheidungsfindung in unterschiedlichen Politikfeldern etabliert.

Die direkte Partizipation der BürgerInnen ist gesetzlich und institutionell in der BRD auf kommunaler Ebene am deutlichsten abgesichert. Für die Altersgruppe der Kinder und Jugendlichen gibt es allerdings weit weniger Möglichkeiten der politischen Beteiligung, abgesehen davon, dass sie nicht das repräsentative politische System beeinflussen können. In letzter Zeit werden deshalb vor allem in Städten Versuche unternommen, dieses institutionelle Defizit zu kompensieren. Neben den so genannten parlamentarischen Formen der politischen Partizipation wurden in mehreren bundesdeutschen Städten vor allem Foren und projektorientierte Beteiligungsformen gegründet, die den Kindern und Jugendlichen eine Partizipation in der politischen Öffentlichkeit zugestehen sollen.

II. Die Situation von Kindern und Jugendlichen in Städten

Von der Ausdifferenzierung gegenwärtiger Gesellschaften in verschiedene, formal-rationale Subsysteme ist das Leben der Menschen in Städten in besonderem Maße betroffen. Dies sind bekanntlich die Orte, an denen gesellschaftliche Veränderungen am ehesten und am deutlichsten sichtbar werden. Der Umbau der Industriegesellschaft, der sowohl durch eine De-Industrialisierung als auch durch eine Neu-Industrialisierung gekennzeichnet ist, lässt sich vor allem in Städten ablesen. Nicht mehr die Fabrikgebäude kennzeichnen das Stadtbild, sondern moderne Dienstleistungs-, Freizeit- und Einkaufszentren. Zwar werden neue Industriezweige gegründet, diese folgen dank der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien jedoch nicht mehr den traditionellen Standortvorgaben. Sie siedeln sich an den Randbereichen der Städte an. Ein Ergebnis dieses Wandels ist, dass es neben der räumlichen Trennung zwischen Arbeiten und Wohnen nun eine weitere Trennung zwischen Wohnen, Arbeiten und der Befriedigung von Konsum- bzw. Freizeitbedürfnissen gibt. Die Folgen dieser Veränderungen sind für jeden Einzelnen spürbar: Die Städte werden immer anonymer, alles wird automatisiert und "verregelt", sodass dem Einzelnen ständig neue Kompetenzen abverlangt werden, um den Alltag im Quartier meistern zu können. Die Menschen werden dabei immer mehr zu Objekten degradiert, sie nehmen sich nicht mehr als handelnde, als eigenständige Konstrukteure ihres Alltags wahr, sondern nur noch als Wesen, über die bestimmt, für die gehandelt und mit denen umgegangen wird. Als Reaktion auf diese Entwicklung beobachten wir eine zunehmende Flucht ins Private, in Gruppen Gleichaltriger - so genannte peer-groups - oder in spezialisierte, individuelle Lebensstile und in die Beschäftigung mit Medien, welche die zwischenmenschliche Kommunikation ersetzen - Letzteres insbesondere bei Kindern und Jugendlichen.

Von den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen der Globalisierung, der Individualisierung und der Pluralisierung sind alle Generationen betroffen. Mit den Ambivalenzen, die sich aus diesen Rahmenbedingungen ergeben - auf der einen Seite eine Verbesserung der Bildungschancen, Zunahme von Chancengleichheit zwischen den Geschlechtern, Einkommensverbesserungen etc., auf der anderen Seite der Verlust traditioneller Bindungen, die Verlängerung der Ausbildungszeit, Pluralisierung von Wertorientierungen etc. -, sind auch Kinder und Jugendliche konfrontiert. Sie sind es, die sich nun im gesellschaftlich abgesteckten Rahmen wählen bzw. selbst entwerfen können, aber auch müssen.

Als Reaktion auf die aus den Ambivalenzen resultierenden Probleme (die Chancen werden häufig ignoriert) wird Kindern und Jugendlichen aus der Sicht von WissenschaftlerInnen nicht selten ein Desinteresse an Politik attestiert. Das auch mit dem Schlagwort der "Politikverdrossenheit" bezeichnete Phänomen des Rückzugs in die Privatsphäre kennzeichnet jedoch gerade bei den Kindern und Jugendlichen nicht eine Verdrossenheit gegenüber Politik schlechthin, sondern eher gegenüber den RepräsentantInnen der Politik, den Parteien sowie PolitikerInnen oder etwas abstrakter: gegenüber dem gegenwärtigen politischen System der Repräsentation. Was sich schließlich hinter diesen scheinbaren "Ermüdungserscheinungen" verbirgt, ist nicht so sehr die Übersättigung durch Politik, sondern ein Wunsch nach eigener, direkter Partizipation: Obwohl von ihnen eine positive Einstellung zur Demokratie erwartet oder gar verlangt wird, enthält man ihnen eine tatsächliche Beteiligung an ihr vor. Alle betonen, dass man Kinder und Jugendliche frühzeitig an demokratische Strukturen gewöhnen und Gelegenheiten schaffen muss, damit sie sich mit diesen vertraut machen, Demokratie üben können. Tatsächlich wird ihnen dieses Experimentierfeld jedoch versagt, und man vertröstet sie auf später bzw. man macht ihnen a priori glaubhaft, dass nur eine indirekte Partizipation durch die Wahl des Parlaments auf den entsprechenden territorialen Ebenen sinnvoll und praktikabel sei. Einen möglichen Ausweg aus der desolaten Situation der politischen Partizipation von Kindern und Jugendlichen sollen spezielle Partizipationsformen für Kinder- und Jugendliche bieten.

III. Kinder- und Jugendforen als neue Form der politischen Partizipation

Seit Anfang der achtziger Jahre werden in einigen Städten der Bundesrepublik neue Formen der gesellschaftlichen Partizipation erprobt, die auf eine stärkere Einbindung von Kindern und Jugendlichen in partizipative Prozesse zielen. So sind zunächst in einigen kleineren Städten und Gemeinden, später auch in Großstädten Kinderbüros, Kinderbeauftragte, Kinderversammlungen, Kinder- und Jugendparlamente, -beiräte oder -foren gegründet worden, um der so genannten Politikverdrossenheit der Kinder und Jugendlichen entgegenzuwirken.

Die folgende Tabelle gibt einen Überblick über die vielfältigen Formen der politischen Partizipation für Kinder und Jugendliche, ihre Hauptmerkmale und die in ihnen behandelten Themen.

In einer empirischen Untersuchung des Deutschen Jugendinstituts von 1999 wurde festgestellt, dass in über einem Drittel (38 Prozent) der Kommunen Beteiligungsformen für Kinder und Jugendliche bereits existieren. Dabei spielen Großstädte eine Vorreiterrolle: Je größer die Städte, desto ausgeprägter ist das Bemühen, Beteiligungsformen zu initiieren, lautet ein Fazit der Studie. Das Angebot an direkten Formen, wie die Foren, übertrifft sogar das Angebot der repräsentativen Formen wie die Kinder- und Jugendparlamente oder -gemeinderäte. Am häufigsten etablieren sich Partizipationsmöglichkeiten als Projekte, die thematisch und zeitlich begrenzt sind und in der Regel in so genannte Zukunftswerkstätten übergehen. Sie beziehen sich meist auf die Partizipation an Gestaltungsprozessen, die insbesondere für Kinder und Jugendliche relevant sind. Das gilt beispielsweise für den Bau von Freizeiteinrichtungen und Spielplätzen. Von den meisten partizipativen Verfahren wird berichtet, sie seien eine gute Möglichkeit, Kindern und Jugendlichen Verantwortung zu übertragen. Dadurch habe sich auch ihr Verhältnis zu öffentlichen Räumen stark verändert.

Entsprechende Beteiligungsformen werden meist von engagierten, sozialpädagogisch geschulten und politisch orientierten Einzelpersonen geschaffen, die in der fehlenden Partizipation von Kindern und Jugendlichen den entscheidenden Grund für ihre ungenügende Integration sehen. In letzter Zeit gehen solche Initiativen aber auch verstärkt auf das Engagement von Kindern und Jugendlichen selbst zurück. Diese wenden sich in der Regel an Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens, von denen sie hoffen, dass sie sich für ihre Belange einsetzen.

Auch in Köln gibt es seit 1997 solche Kinder- und Jugendforen, die vom Kölner Amt für Kinderinteressen eingerichtet und vom Seminar für Sozialwissenschaften der Universität Köln wissenschaftlich begleitet wurden. Ausschlaggebend für das Modellprojekt war die Feststellung, dass solche Kinder- und Jugendforen eine niedrigschwellige und deshalb geeignete Form der gesellschaftlichen Partizipation von Kindern und Jugendlichen darstellen sowie den Bedürfnissen und realpolitischen Handlungsmöglichkeiten der Betroffenen nahe kommen.

Die Foren fanden zunächst in zwei - sozialstrukturell betrachtet - sehr unterschiedlichen Bezirken statt, in einem traditionellen Arbeiterstadtteil im rechtsrheinischen Köln-Kalk, der aufgrund der bekannten wirtschaftlichen Transformationsprozesse überdurchschnittlich stark von Arbeitslosigkeit betroffen ist und einen hohen Anteil an MigrantInnen aufweist, und in Köln-Sürth, einem Vorort im wohlhabenden Süden Kölns, in dem vornehmlich Kinder und Jugendliche der Mittelschichten und von AkademikerInnen wohnen. Sie wurden jeweils von ca. 30 Kindern und Jugendlichen besucht, allerdings mit einer recht unterschiedlichen Kontinuität. Während die Motivation der TeilnehmerInnen an dem Forum in Köln-Sürth kontinuierlich als sehr hoch einzuschätzen war, schwankte die Bereitschaft der Kinder und Jugendlichen bei dem Kalker Forum erheblich. Das Kalker Forum wurde wegen TeilnehmerInnenmangel vor kurzem sogar aufgelöst.

Die Kinder- und Jugendforen sind öffentlich, d. h., Erwachsene können als ZuhörerInnen teilnehmen. VertreterInnen aus Politik und Verwaltung sollen als ExpertInnen für bestimmte Fragen und Probleme herangezogen werden. Zudem gibt es für jedes Forum feste Ansprechpartner aus der jeweiligen Bezirksverwaltung. Eine erwachsene Person fungiert als Moderator oder Moderatorin bei den Foren. Sie ist ausschließlich den Interessen der Delegierten verpflichtet und soll ihnen bei der Durchführung der Treffen helfen.

Die Themen der Foren sind Freizeit, Schule und Verkehr. Sie repräsentieren die unmittelbaren, persönlichen und konkreten Belange der beteiligten Kinder und Jugendlichen. Die Foren finden zweimal pro Jahr statt. Zwischendurch gibt es Treffen von Arbeitsgruppen, in denen die Kinder und Jugendlichen zu einem Thema oder Projekt inhaltlich arbeiten, und es gibt Zusammenkünfte von Arbeitsgruppen, in denen Kinder und Jugendliche ggf. mit Unterstützung Erwachsener die Treffen organisatorisch vorbereiten (Tagesordnung entwerfen, ExpertInnen sowie PolitikerInnen einladen etc.). Auf den Foren tragen die TeilnehmerInnen der Vorbereitungsgruppe die dort ausgehandelten Themen und Anliegen vor und bitten die eingeladenen ExpertInnen und PolitikerInnen anschließend um ihre Stellungnahme. Sie sollen dann einschätzen, ob und in welchem Umfang die Anliegen von den entsprechenden Behörden umgesetzt werden können.

Von Beginn des Modellprojekts an war eine begleitende Evaluation vorgesehen. Zunächst hatte die wissenschaftliche Begleitung die Aufgabe herauszufinden, inwieweit die Kölner Kinder- und Jugendforen tatsächlich eine alters- und situationsangemessene Form von Öffentlichkeit herstellen kann. Oder anders gesagt: Bieten die Foren den Kindern und Jugendlichen tatsächlich eine Möglichkeit, einen fairen und gleichberechtigten Aushandlungsprozess zu vollziehen? Zu erkunden war deshalb, ob solche Maßnahmen zur Entstehung bzw. zur Verfestigung einer diskursiven Konfliktregelung beitragen, ob sie gegebenenfalls modifiziert oder ob ganz andere Maßnahmen erprobt werden müssen.

Zudem hatte sie die Aufgabe, die Maßnahme unter sozialpädagogischem Blickwinkel zu untersuchen. Hier ging es konkret darum herauszufinden, welche neuen Fertigkeiten die Kinder und Jugendlichen im Rahmen einer solchen Maßnahme entwickeln konnten. Berücksichtigt werden musste dabei zunächst die Herkunft der Beteiligten (Milieu, Bildung etc.). Erkundet werden mussten zudem die sozialisatorischen Effekte der Teilnahme an solchen Gesprächen. Hier ging es darum zu erfahren, welchen Beitrag Foren zur politischen Bildung, zur Präsentation und Durchsetzung eigener Interessen und zu selbstbestimmtem Handeln leisten können.

Eine weitere, eher soziologische Aufgabe war die Erkundung von Kommunikationsverläufen. Ziel war es, den Kommunikationsprozess näher zu beleuchten und herauszufinden, welche Erfahrungen von wem unter welchen Bedingungen in das Forum eingebracht, diskutiert und durchgesetzt werden konnten. Zu erkunden war, ob in den Foren jemand ausgeschlossen wurde und ob jede ihre und jeder seinen Anteil am gemeinsam hergestellten Konsens wiederfinden konnte. Konkret ging es darum herauszufinden, ob dieses Angebot niedrigschwellig genug ist, sodass tatsächlich alle Kinder und Jugendlichen des TeilnehmerInnenkreises repräsentiert (Geschlecht, Sozialstruktur, Altersgruppe, Nationalität etc.) waren, also teilnehmen und ihre Interessen angemessen präsentieren konnten.

Neben den für diesen Forschungsteil erforderlichen Methoden der teilnehmenden Beobachtung und der Protokollierung der einzelnen Treffen wurden aus dem Kreis der wissenschaftlichen MitarbeiterInnen zudem vertiefende Interviews durchgeführt, die es einerseits ermöglichen sollten, das Beobachtete und schriftlich Fixierte zu ergänzen, und andererseits Auskunft geben sollten über die individuelle Lebenssituation der Befragten, ihre Motivation für die Teilnahme und ihre Einstellung gegenüber den Foren. Beachtet wurde bei der Evaluation auch der Effekt der sozialen Intervention des Interviews, d. h., die soziale Situation des Interviews selbst musste als Bestandteil der Befragung berücksichtigt werden.

IV. Die Gründe der Beteiligung der Kinder und Jugendlichen an den Foren

Die Evaluation der Interviews hat ergeben, dass die meisten TeilehmerInnen im Verlauf der Foren in ihrer Motivation gestärkt worden sind. Den Kindern und Jugendlichen eine fehlende politische Motivation und eine geringe gesellschaftliche Verantwortung anzulasten entspricht hier einem Mythos. Stattdessen wurde deutlich, dass sie sich mehrheitlich sehr stark für die Geschehnisse in ihrem Stadtteil, insbesondere bezüglich der sie betreffenden Entscheidungen, interessieren.

Zu Beginn hatte allerdings vielfach eine geringere Motivation vorgeherrscht, die sich jedoch nach einigen Treffen steigerte. Im Verlauf der Sitzungen haben sich die Kinder und Jugendlichen zusehends stärker für das Geschehen interessiert. Ein Beispiel für Rückschläge ist das Kalker Forum.

Maßgeblich für die Entwicklung der Motivation waren zwei Punkte, die für zukünftige Partizipationsformen von Belang sein könnten:

1. Als motivierend kann eine "zurückhaltende Unterstützung" seitens der erwachsenen Begleitpersonen angesehen werden. Haben die Kinder und Jugendlichen tatsächlich die Gelegenheit, ihre Anliegen und Interessen frei zu präsentieren, kann sich ein tragfähiger "zivilgesellschaftlicher Kommunikationszusammenhang" bilden. Von großer Bedeutung ist auch, dass ihre Forderungen ernst genommen und politisch umgesetzt werden bzw. ihnen verständlich gemacht wird, warum und aus welchen Gründen eine bestimmte Forderung nicht umgesetzt werden kann. Dabei erweist sich der Grund "kein Geld da" stets als äußerst unverständlich.

2. Als demotivierend müssen mehrere Aspekte angeführt werden. Zunächst stellt sich das Problem des mangelhaften "framing". Schon die Wahl des Ortes der Treffen ist wichtig. In Kalk fanden die Treffen in einem Hinterzimmer des Bezirksrathauses statt. Weder konnten sich die Kinder und Jugendlichen dort wohl fühlen, sodass der Aspekt der Niedrigschwelligkeit nicht eingelöst werden konnte, noch konnten sie in der Wahl des Ortes eine angemessene Ernsthaftigkeit erkennen. Ein weiterer Aspekt ist, dass im Kalker Forum die Kinder und Jugendlichen nicht ausreichend die Gelegenheit hatten, ihre individuellen Anliegen in die Diskussion einzubringen. Die Dominanz der DiskussionsleiterInnen war unübersehbar. Festgehalten werden muss auch, dass die von den Kindern und Jugendlichen eingebrachten Themen den Rahmen des Forums teilweise sprengten. Themen wie Arbeitslosigkeit, Verarmungsprozesse oder Fremdenfeindlichkeit sind Themen, die ein derartiges Forum überfordern. Hier zeigen sich die Grenzen solcher Partizipationsformen, die verdeutlichen, dass politische Partizipation sozialpädagogische Tätigkeiten nicht ersetzen kann.

Daraus den Schluss zu ziehen, dass direkte Partizipationsformen nicht eine allgemeine und für alle Themen unvoreingenommene und sinnvolle Methode der Bürgerbeteiligung sein können, halte ich dennoch für überzogen. Bürgerschaftliches Engagement ist keine Frage des Habitus, sodass derartige Partizipationsformen nur von Angehörigen bürgerlicher Schichten genutzt werden könnten. Denn auch die Kinder und Jugendlichen aus dem unteren Schichtengefüge kennen ihre Probleme und meist auch deren Ursachen ziemlich genau. Zudem wissen sie meist, wie sie selbst damit umgehen und "Wege des Überlebens" finden können.

Insgesamt scheint in sozial benachteiligten Quartieren eine Kombination aus Foren und Gemeinwesenarbeitsprojekten sinnvoll. Während von sozialpädagogischer Seite Unterstützung in sozialen Fragen gegeben wird, sollen die Foren die Möglichkeit bieten, den Kindern und Jugendlichen Gehör für ihre individuellen Anliegen und Interessen zu verschaffen.

V. Foren für Kinder und Jugendliche: Eine erfolgversprechende Form direkter Partizipation?

Nach Abschluss der wissenschaftlichen Evaluation lässt sich als erstes Ergebnis festhalten, dass solche Foren einen erheblichen Beitrag zur Integration von Kindern und Jugendlichen in die Gesellschaft leisten können. Demotivierende Strategien sollten allerdings in jedem Fall vermieden werden.

Um den Alibi-Effekt einer solchen Partizipationsform zu verhindern, ist eine Gratwanderung notwendig, bei der Prozesse der diskursiven Konfliktregelung (arguing) gefördert und eine elitengesteuerte Interessenvertretung (bargaining) verhindert werden. Die MediatorInnen müssen sensibel genug sein, um zu verstehen, dass Kinder und Jugendliche eigene Räume brauchen, in denen sie ohne Obhut Themen aufwerfen, Fragen stellen, sich austauschen und diskutieren können. Und auch die Wahl des Ortes ist symbolisch und deshalb nicht zu unterschätzen. Geeignet sind deshalb vor allem Räume, in denen sich die Beteiligten wohl fühlen können und die bei ihnen einen guten Ruf genießen.

Summa summarum sind solche Beteiligungsformen für Kinder und Jugendlichen vielversprechend. Immer wieder konnten sie zeigen, dass sie ihre Anliegen fair und ohne Ressentiment und Konkurrenzgehabe in die Öffentlichkeit transportieren können. Dabei sind sie sogar in mehrfacher Hinsicht in der ExpertInnenrolle: Zunächst einmal sind sie es, die ihre eigenen alltäglichen Anliegen am authentischsten in die Öffentlichkeit transportieren können. Und auch methodisch scheinen sie intern realistische Verbesserungsvorschläge einbringen zu können. Nichts scheint sie deshalb so sehr zu motivieren wie die Möglichkeit, selbst an Entscheidungsprozessen teilnehmen und teilhaben, an die Öffentlichkeit treten zu können und Stellungnahmen zu den eigenen Anliegen einzufordern.

Als Fazit der Evaluation lässt sich bestätigen, dass eine direkte politische Partizipation auf der einen Seite notwendiger denn je und auf der anderen Seite bei Kindern und Jugendlichen auch gefragter denn je ist. Die Berücksichtigung ihres spezifischen Alltagswissens ist als Maßstab jeder Intervention zu betrachten, wenn es um für sie relevante Entscheidungen geht.

Partizipation ist somit in erster Linie eine politische Aufgabe, die dazu beitragen kann, Kinder und Jugendliche erfolgreich in demokratische Verfahren einzubinden. Sie ist auch eine sehr wichtige pädagogische Aufgabe, weil durch Partizipation nicht nur wichtige Lernziele der politischen Bildung (Mündigkeit, Emanzipation etc.) erreicht werden können, sondern dem Abgleiten in typische Desintegrationsprozesse vorgebeugt werden kann. Partizipation hat eine präventive Funktion, d.h., sie schafft eine neue, sogar freiwillig gewählte Solidarität, die - angesichts des Verlustes traditioneller Bindungen - einen außerordentlichen Beitrag zu einer erfolgreichen Inklusion von Kindern und Jugendlichen leisten kann.

Das Spannungsverhältnis, in dem sich Kinder und Jugendliche zwischen dem Schutz durch Erwachsene auf der einen und Autonomiebestreben auf der anderen Seite befinden, wird sich aufgrund zunehmender Partizipationsmöglichkeiten verändern. Die für unsere Gesellschaft charakteristische widersprüchliche Logik von Bevormundung/Edukation auf der einen und Autonomie/Individualität auf der anderen Seite wird durch die Partizipationsrechte und -formen auf ein anderes Niveau gehoben. Zwar ist dadurch nicht gewährleistet, dass Kinder und Jugendliche automatisch vernünftiger, ökologischer oder gerechter handeln werden. Da das Wohl der Kinder und der Jugendlichen aber stärker durch sie selbst mitbestimmt wird, sind sie selbst verantwortlicher für ihr Tun. Die in pädagogischen Zielsetzungen versteckte Macht der Erwachsenen über die Kinder und Jugendlichen wird dadurch wesentlich eingeschränkt. Die Reduktion der institutionalisierten Macht einer Bevölkerungsgruppe über andere Gruppen kann für eine demokratische Gesellschaft jedoch nur förderlich sein. Kinder- und Jugendforen stellen deshalb für die Zukunft eine Erfolg versprechende Möglichkeit dar, weitere Formen der direkten Demokratie zu etablieren.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. ausführlicher zu den einzelnen Partizipationsformen: Hellmut Wollmann, Kommunalpolitik: Mehr (direkte) Demokratie wagen, in: Aus Politik und Zeitgeschichte, B 24-25/99, S. 16 ff., und auch den Sammelband von Peter Henning Feindt/Wolfgang Gessenharter/Markus Birzer/Helmut Fröchling (Hrsg.), Konfliktregelung in der offenen Bürgergesellschaft, Dettelbach 1996, S. 169-189.

  2. Zwar haben Jugendliche ab 16 Jahre inzwischen in einigen Bundesländern (wie z. B. in NRW, Niedersachsen und Schleswig-Holstein) das Recht, an Kommunalwahlen teilzunehmen. Obwohl dies sicherlich eine sinnvolle und richtungweisende Reform ist, scheint sich der Trend zur aktiven und direkten Beteiligung auch bei Jugendlichen durchzusetzen.

  3. Vgl. Hartmut Häußermann/Walter Siebel, Neue Urbani"tät, Frankfurt/M. 1987, S. 63 f.

  4. Nutznießer dieser Entwicklung sind die Gemeinden nahe den Großstädten. Sie profitieren nicht nur von den zusätzlichen Steuern, sondern auch von dem nahen und attraktiven Kulturangebot der Großstädte, für das sie selbst keine Kosten aufbringen müssen (vgl. hierzu Walter Hanesch, Konzeption, Krise und Optionen der sozialen Stadt, in: ders. [Hrsg.], Überlebt die soziale Stadt? Konzeption, Krise und Perspektiven kommunaler Sozialstaatlichkeit, Opladen 1997, S. 31).

  5. Vgl. Ulrich Beck, Die Risikogesellschaft, Auf dem Weg in eine andere Moderne, Frankfurt/M. 1986; ders./Elisabeth Beck-Gernsheim (Hrsg.), Riskante Freiheiten, Frankfurt/M. 1994; Wilfried Ferchhoff/Georg Neubauer, Patchwork-Jugend. Eine Einführung in postmoderne Sichtweisen, Opladen 1997, S. 39 ff.

  6. Vgl. Arthur Fischer/Richard Münchmeier, Die gesellschaftliche Krise hat die Jugend erreicht. Zusammenfassung der zentralen Ergebnisse der 12. Shell Jugendstudie, in: Jugendwerk der Deutschen Shell (Hrsg.), Jugend "97. Zukunftsperspektiven. Gesellschaftliches Engagement. Politische Orientierungen, Opladen 1997, S. 11-24. Die Autoren weisen darauf hin, dass bisher unterstellte (Bedin"gungs-)Zu-sam"men"hänge (wie z. B. politisches Wissen und die Bereitschaft, sich zu engagieren) und die üblichen binären Schemata "politisch-unpolitisch" oder "engagiert-desengagiert" auf die heutige Gesellschaft und insofern auch auf die heutige Jugend nicht mehr passen. "Der" Jugend eine so genannte "Politikverdrossenheit" zu bescheinigen, halten sie für zu kurz gegriffen. Stattdessen erkennen sie in den Haltungen der Jugendlichen eher eine "Jugendverdrossenheit der Politik".

  7. Obwohl die so genannte Politikverdrossenheit als Motiv für die Einführung solcher Formen im Grunde genommen auf einer verkürzten oder gar falschen Analyse der Einstellungen von Kindern und Jugendlichen zur Politik basiert, könnten die Foren dennoch ein richtiges und effektives Mittel sein, das politische Bewusstsein und die politische Öffentlichkeit von Kindern und Jugendlichen zu fördern.

  8. Vgl. hierzu Deutsches Jugendinstitut (Hrsg.), Beteiligung von Kindern und Jugendlichen in der Kommune. Ergebnisse einer bundesweiten Erhebung, München 1999, S. 18, S. 30 ff. (Autorinnen: Claudia Franziska-Bruner/Ursula Winklhofer/Claudia Zinser).

  9. 9ƒIn Anlehnung an Wolf-Dietrich Bukow, Zum gesellschaftlichen Standort von Kinder- und Jugendforen. Eine ers"te Orientierung, in: Wolf-Dietrich Bukow/Susanne Spindler (Hrsg.), Die Demokratie entdeckt ihre Kinder. Politische Partizipation durch Kinder- und Jugendforen, Opladen 2000, S. 29. Eine vergleichbare Übersicht über Beteiligungsmodelle für Kinder und Jugendliche bietet Richard Schröder, Kinder reden mit! Beteiligung an Politik, Stadtplanung und Stadtgestaltung. Weinheim, Basel 1995, S. 55 ff. 10ƒIm Grunde genommen wird mit der Wahl zwar über "alles" entschieden. Berücksichtigt man jedoch die Perspektive der Jugendlichen, dann kann man mit der Wahl über "nichts" entscheiden, weil die Art der Entscheidung, die eine Wahl ermöglicht, den Ansprüchen der Jugendlichen nicht wirklich gerecht wird.

  10. Anmerkung der Redaktion: Siehe hierzu auch den Beitrag von Wolf-Dietrich Bukow in diesem Heft.

  11. Anmerkung der Redaktion: Siehe hierzu den Beitrag von Stefan Danner in diesem Heft.

  12. Im Rahmen der wissenschaftlichen Begleitung des Modellprojekts sind von StudentInnen der Universität zu Köln neben der Beobachtung und Protokollierung der einzelnen Forentreffen vierzehn standardisierte Interviews mit Kindern und Jugendlichen, die an den Foren teilgenommen haben, durchgeführt worden. Ich beziehe mich an dieser Stelle vor allem auf die Motivationen der Beteiligten, die aus den Protokollen zu den einzelnen Forensitzungen und aus den Interviews ersichtlich werden.

  13. Anmerkung der Redaktion: Siehe hierzu wiederum den Beitrag von Stefan Danner in diesem Heft.

  14. Bei der abschließenden Gesamtevaluation beziehe ich mich auf die Protokolle, die Interviews und den Abschlussbericht der wissenschaftlichen Begleitung.

  15. Zwar wird von pädagogischer Seite häufig das Argument eingebracht, dass Kinder nicht über die entsprechenden Kapazitäten und Kompetenzen verfügten, die erforderlich sind, um aktiv am politischen Geschehen partizipieren zu können. Die Altruismusforschung (vgl. hierzu Gertrud Nunner-Winkler, Wissen und Wollen. Ein Beitrag zur frühkindlichen Moralentwicklung, in: Axel Honneth u. a. (Hrsg.), Zwischenbetrachtungen. Im Prozess der Aufklärung, Frankfurt/M. 1989, S. 574-600; Lothar Krappmann/Hans Oswald, Alltag der Schulkinder. Beobachtungen und Analysen von Interaktionen und Sozialbeziehungen, Weinheim - München 1995, S. 88, 158) hat jedoch nachgewiesen, dass auch Kinder bereits über ein klares Konzept moralischer Regelungen und über nichtinstrumentelle Motive des Handelns verfügen und auch Empathie zeigen können.

  16. Maßgeblich ist, dass die politischen Entscheidungen durch die neuen partizipativen Verfahren besser legitimiert werden. Eine verbesserte Legitimation politischer Entschei"dungen könnte dazu führen, dass die Akzeptanz gegenüber den Entscheidungsträgern des repräsentativen politischen Systems zunimmt. Durch eine erfolgreiche Kooperation könnte zudem auch das Bild von den Politikern und Politikerinnen als "denen da oben" revidiert werden.

Dr. paed., geb. 1962; wissenschaftlicher Mitarbeiter bei NAVEND - Zentrum für Kurdische Studien in Bonn und Lehrbeauftragter an der Universität zu Köln.

Anschrift: Universität zu Köln, Seminar für Sozialwissenschaften, Gronewaldstr. 2, 50931 Köln.
E-Mail: Markus.Ottersbach_ezw@uni-Koeln.de

Veröffentlichung u. a.: (Hrsg. zus. mit Wolf-Dietrich Bukow) Die Zivilgesellschaft in der Zerreißprobe. Wie reagieren Gesellschaft und Wissenschaft auf die postmoderne Herausforderung?, Opladen 1999.