I. Theoretische Bezüge
Im vorliegenden Beitrag werden erste Ergebnisse eines seit Oktober 1999 laufenden Projektes "Jugend und Demokratie in Sachsen-Anhalt - Empirische Bestandsaufnahme und Perspektiven für die Politische Bildung" vorgestellt. Die quantitativen Befunde werden durch Aussagen von Schülern einer Sekundarschule und eines Gymnasiums, die im Rahmen von Gruppendiskussionen im Anschluss an die quantitative Teilstudie befragt wurden, ergänzt.
Die Untersuchung bezieht sich auf die Ansätze und Ergebnisse der empirischen Schulforschung zu den verschiedenen Ebenen und Dimensionen schulischer Partizipation. Das Thema schulische Partizipation hatte erstmals in Westdeutschland in den späten sechziger und frühen siebziger Jahren im Gefolge der Schulkritik der Schüler- und Studentenbewegungen Konjunktur. Neben einer Reihe politisch-programmatisch orientierter Arbeiten
Angeregt durch die Debatten um die Verbesserung der Schulqualität und der Schulkultur, die Öffnung der Schulen und um die Stärkung der Einflussrechte von Kindern und Jugendlichen, hat die Diskussion um innerschulische Partizipation in der schultheoretischen Diskussion in den letzten Jahren eine Renaissance erlebt. Empirische Studien zu diesem Themenfeld gibt es jedoch immer noch wenige. Neben den Arbeiten zu Mitwirkungsmöglichkeiten der Schüler im Fachunterricht
Dass sich die Zufriedenheit von Schülern mit ihrer Schule und damit die pädagogische Grundatmosphäre deutlich verbessert, wenn Schüler ihre Partizipationschancen in der Schule als vielfältig wahrnehmen und sich als ernst zu nehmende Gesprächspartner erleben, ist in mehreren Studien zum Verhältnis zwischen Schulklima und Schulqualität nachgewiesen worden.
Als Ausgangspunkt der folgenden Darstellung dient ein theoretisches Untersuchungsmodell. Im Zentrum der Analyse stehen die Persönlichkeit des Heranwachsenden und seine politische Orientierung. Diese werden in ihrer wechselseitigen Abhängigkeit von Einflüssen des mittelbaren oder unmittelbaren Lebensweltbezugs in Schule, Familie und Freizeit sowie in ihrem Interdependenzverhältnis zu gesamtgesellschaftlichen Rahmenbedingungen und individuellen Voraussetzungen analysiert. Das Themenfeld der Partizipationsformen in Schule und Unterricht stellt nur eine zu untersuchende Dimension neben anderen des komplexen Interaktionssystems Schule dar.
Anknüpfend an die Untersuchung "Schulentwicklung in Sachsen-Anhalt" werden fünf Partizipationsformen von Schülern in der Schule dargestellt. Es handelt sich dabei um die Ebenen der Partizipation an der Gestaltung des Schullebens, die Effektivität und Bedeutung der Schülergremienarbeit, die Partizipation im Unterricht, das Mitspracherecht bei der Notengebung und die Partizipation bei der Erstellung oder Änderung der Hausordnung. Der Begriff der Partizipation wird dabei allgemein als Oberbegriff zur Beschreibung von verschiedenen demokratischen Beteiligungsformen in der Schule verstanden, die teilweise auch in den Mitbestimmungs- und Mitwirkungsrechten für Schüler, Eltern und Lehrer gesetzlich geregelt werden.
II. Die Partizipation an der Gestaltung des Schullebens
Möglichkeiten der Mitbestimmung von Schülern im Bereich der Gestaltung des Schullebens sind im Rahmen der rechtlichen Vorgaben vor allem den Schülervertretungen in der Gesamtkonferenz vorbehalten.
Interessant ist die Frage, wie die konkrete Umsetzung der gesetzlichen Vorgaben in den von uns untersuchten Schulen erfolgt. Da wir annehmen, dass die institutionelle Verankerung von Partizipation noch keine hinreichende Bedingung für deren Verwirklichung in der Schule ist, gilt es zu untersuchen, wie die von uns befragten Schüler ihre Partizipationsmöglichkeiten einschätzen.
Auf Basis vorliegender Untersuchungen
Tabelle 1 enthält vier Aussagen (Items), die von den Schüler zu bewerten waren.
Annähernd zwei Drittel der Schüler geben an, Ausflüge und Schulveranstaltungen mitorganisieren zu dürfen. Auch die Möglichkeit, sich an der Ausgestaltung der Schule beteiligen zu können, wird von fast zwei Dritteln bejaht. Die Mitbestimmung bei der Auswahl der Freizeitangebote wird von den befragten Schülern etwas kritischer gesehen, hier stimmen nur knapp 60 Prozent zu. Die stärker den Unterricht betreffende Frage nach der Mitgestaltung von Projekttagen liegt wieder im Trend der beiden ersten Items und wird von zwei Dritteln positiv gewertet. Demgegenüber gibt ein Drittel der Schüler an, gar nicht oder eher nicht an der Gestaltung des Schullebens mitwirken zu dürfen. Vergleicht man dieses Ergebnis mit den Zahlen der Studie "Schulentwicklung in Sachsen-Anhalt"
Eine Aufschlüsselung nach Schulform und Klassenstufe ergibt, dass die positive Einschätzung von Partizipationsmöglichkeiten bei der Gestaltung des Schullebens besonders bei den Schülern der Gesamtschulen ausgeprägt ist, gefolgt von den Gymnasiasten. Hierfür könnten unterschiedliche pädagogische Orientierungen der Schulformen verantwortlich sein, die eine stärkere Beteiligung der Schüler an der Gestaltung des Schullebens vorsehen. Demgegenüber fällt die Einschätzung der Sekundar-, Sonder- und ganz besonders der Berufsschüler wesentlich kritischer aus. Möglicherweise findet bei den Berufsschülern eine stärkere Trennung der Lebensräume von Schule und Freizeit statt, da sie im Rahmen des dualen Systems lediglich ein bis zwei Tage in der Schule verbringen, so dass für sie Schule nur ein Lebensraum neben vielen anderen ist und daher die Mitgestaltung der von der Schule initiierten außerunterrichtlichen Aktivitäten keine so große Bedeutung besitzt. Ein weiterer Aspekt, der die Ausgestaltung der vorhandenen Räumlichkeiten betrifft, ist die Bausubstanz der von uns untersuchten Berufsschulen und Gymnasien, die in vielen Fällen deutlich besser als die der Sekundarschulen ist. In Neubauten herrscht ein wesentlich geringerer Handlungsdruck zur Verbesserung der Raumsituation.
Bei der Betrachtung der Altersstufen liegt die Einschätzung schulischer Partizipation von Schülern der achten und neunten Klassen in etwa auf demselben Niveau. Es zeigt sich aber auch, dass die Schüler der elften Klassen und die Berufsschüler ihre Partizipationsmöglichkeiten schlechter einschätzen. Dies liegt u. E. daran, dass sie mit zunehmendem Alter eine kritischere Sicht auf die Reichweite schulischer Partizipation entwickeln und zugleich eigene Aktivitäten reduzieren. Dieser These wird im weiteren Verlauf der Ergebnisdarstellung nachgegangen; sie ist besonders im Hinblick auf die Frage der Effektivität und Bedeutung der Schülergremienarbeit wichtig.
III. Die Effektivität und Bedeutung der Schülergremienarbeit
Ausgehend von der bereits erwähnten Studie zur Untersuchung der Relevanz der Schülermitverwaltung
Mehr als die Hälfte der befragten Schüler (54,6 Prozent) schätzt die Umsetzungsmöglichkeiten von Vorschlägen ihrer Schülervertreter an ihrer Schule als eher schlecht ein. Noch kritischer äußern sie sich zur generellen Bedeutung der Schülervertretung an ihrer Schule. Hier geben fast zwei Drittel (64,9 Prozent) der Befragten an, dass es gar nicht bzw. eher nicht zutrifft, dass die Schülervertretung eine große Bedeutung besitzt. Lediglich fünf Prozent messen der Schülervertretung eine große Bedeutung bei, ein Wert, der deutlich unter dem in der Studie von Sibylle Schneider (17 Prozent) liegt.
Ein anderes Bild zeichnen die Schüler eines Gymnasiums. Sie berichten von einem langen schulinternen Ringen um den Aufbau eines Gremiums der Schülervertretung, das schließlich unter dem Einsatz weniger engagierter Schüler und wohlwollender Unterstützung des Lehrerkollegiums installiert werden konnte. Die befragten Gremienvertreter fassen ihre Tätigkeit als "Politik in der Schule" auf, sehen jedoch auch die Begrenztheit ihrer Möglichkeiten aufgrund der Mehrheitsverhältnisse in der Gesamtkonferenz. Die letztgenannte Schule ist ein schönes Beispiel dafür, wie mit Geduld, Unterstützung und Offenheit seitens der Schulleitung und Lehrerschaft bei engagierten Schülern das Interesse an schulischer Gremienarbeit geweckt werden kann.
Ausgehend von der erwähnten These, dass mit zunehmendem Alter das Bedürfnis von Schülern nach Mit- und Selbstbestimmung
IV. Partizipation im Unterricht
In diesem Abschnitt erfolgt eine Differenzierung zwischen Schülerpartizipation bei der Mitgestaltung des Unterrichts einerseits und bei der Leistungsbewertung, d. h. dem Mitspracherecht bei der Notengebung andererseits. Laut Schulgesetz (§ 49) besteht für die Schülerschaft ein Recht auf Anhörung bei Leistungsbewertungen. Dies betrifft jedoch nur grundsätzliche Entscheidungen, womit Einflussmöglichkeiten für Schüler auf die alltägliche Notengebung nicht direkt angesprochen werden. Bei den Fragen zu inhaltlichen und methodischen Gestaltungsweisen des Unterrichts wird den Lehrern im Schulgesetz eine Erörterungspflicht vorgeschrieben.
68 Prozent der befragten Schüler sind der Auffassung, den Unterricht so hinnehmen zu müssen, wie er ist, gut zwei Drittel nehmen ihn folglich als unbeeinflussbar wahr. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei der Frage, ob die Schüler bei der Unterrichtsgestaltung mitentscheiden dürfen. Ca. zwei Drittel geben an, dies sei nicht oder nur mit Einschränkung möglich. Bei der Frage, ob man durch gute Vorschläge den Unterricht beeinflussen kann, ist knapp die Hälfte (48,1 Prozent) der Schülerschaft der Meinung, dies nicht oder nur eingeschränkt tun zu können. Genauer betrachtet ergibt sich eine gewisse Inkonsistenz in den Aussagen der Schüler, geben doch immerhin 52 Prozent an, mit guten Vorschlägen den Unterricht beeinflussen zu können. Es liegt der Verdacht nahe, dass ein gewisser Teil der Schülerschaft trotz potenzieller Einflussmöglichkeiten auf Interventionen freiwillig verzichtet. Die von uns in den Gruppendiskussionen befragten Lernenden beider Schulen führen in diesem Zusammenhang die Gestaltungspflicht der Lehrenden an. Diese wird von den Schülern in vielen Fällen geradezu gefordert, besonders im Hinblick auf das Erreichen von prüfungsrelevanten Lernzielen. Die Konzentration auf funktionale Gesichtspunkte von Schule seitens der Lernenden mit gleichzeitigem Verzicht der Wahrnehmung eigener Partizipationsmöglichkeiten wurde auch von Meinert A. Meyer und Ralf Schmidt herausgestellt.
In der Studie von Heinz-Hermann Krüger, Gunhild Grundmann und Catrin Kötters
Bei der Befragung der Fünft- und Achtklässler durch Krüger/Grundmann/Kötters wurde festgestellt, dass die Schülereinschätzungen zum Bereich der Unterrichtsgestaltung erheblich von der Schulform abhängen.
Wir haben die Schüler auch zu dem zweiten Themenkomplex unterrichtlicher Partizipation befragt, die Partizipation bei der Notengebung. Dabei fragten wir nach ihrer generellen Einschätzung, ob sie bei der Notengebung mitentscheiden dürfen (vgl. Tabelle 4).
83,3 Prozent der Schüler geben an, nicht oder nur sehr eingeschränkt bei der Notengebung mitentscheiden zu dürfen. Dieser Befund deckt sich mit den Ergebnissen der Studie von Krüger/Grundmann/Kötters, bei der schulformunabhängig ebenfalls ca. 80 Prozent der Schüler angaben, nicht in die Notenfindung einbezogen zu werden.
V. Die Partizipation bei der Erstellung oder Änderung der Hausordnung
Auf der institutionellen Ebene spielt die Hausordnung bei der Gestaltung des Schullebens eine wichtige Rolle; sie wurde bei der Frage nach Mitbestimmungsmöglichkeiten von Schülern in der Schule sowohl von der Lehrer- als auch von der Schülerschaft in den von uns durchgeführten Interviews und Gruppendiskussionen häufig genannt. Wir sind dieser Frage ebenfalls nachgegangen und haben die Schüler gefragt, ob sie bei der Erstellung oder Änderung der Hausordnung mitentscheiden dürfen (vgl. Tabelle 5).
In diesem für Schüler und Lehrer als Partizipationsform auf schulischer Ebene wichtigen Bereich nehmen knapp 84 Prozent der Schüler eine negative Einschätzung vor. Damit wird deutlich, dass die Erstellung oder Änderung der Hausordnung, also die Ordnung, welche das Zusammenleben von Schülern und Lehrern in der Institution Schule regelt, weitestgehend von den Erwachsenen bestimmt wird. Ähnlich hohe Werte finden sich auch bei der Studie von Krüger/Grundmann/Kötters zur Schulentwicklung, in der 81 Prozent der Schüler angaben, nicht bei der Erstellung oder Änderung der Hausordnung mitbestimmen zu können.
VI. Fazit
Bei der Betrachtung der ersten Befunde unserer Untersuchung lassen sich die Ergebnisse der Studie zur Schulentwicklung von Krüger/Grundmann/Kötters im Wesentlichen weiterschreiben. Die einzelnen hier dargestellten Bereiche schulischer und unterrichtlicher Partizipation zeigen, dass ca. zwei Drittel der Schüler eine positive Beurteilung der außerunterrichtlichen Beteiligungsmöglichkeiten vornehmen. In diesem Bereich, der sich im Wesentlichen auf schulische Zusatzangebote im Rahmen unterrichtsfreier Zeit bezieht, werden den Schülern in Sachsen-Anhalt umfassende Beteiligungsrechte zugebilligt. Im Kernbereich von Schule, dem Unterricht, fällt die Einschätzung deutlich negativer aus. Wenn die Mehrheit der Schüler der Meinung ist, den Unterricht nicht mitgestalten zu können, deutet dies darauf hin, dass der Unterricht weiterhin durch eine Vielzahl von Normierungen stark reglementiert ist und von den Schülern unter dem Aspekt von Notendruck, begrenzten Zeitbudgets, engen Lehrplanvorgaben und frontalen Unterrichtsmethoden wahrgenommen wird.
Die genannten Problembereiche sind vor allem vor dem Hintergrund demokratietheoretischer Überlegungen bedenkenswert, besonders wenn die Befunde wie im vorliegenden Fall darauf hinweisen, dass die Einschätzung der Effektivität und Bedeutung der schulischen Gremien mit zunehmendem Alter nachlässt. Hier kann - neben der mit dem Alter ohnehin steigenden Kritik an der Schule - eine sich im Laufe des Schulbesuchs verfestigende Enttäuschung über die Reichweite von Gremienaktivitäten vorliegen. Diese These wird durch die Diskussionen mit erfahrenen Schülervertretern untermauert, die ihrer Skepsis in Bezug auf die Gremienarbeit dadurch Ausdruck verleihen, dass sie diese als Scheinpartizipation ohne wirkliches Mitbestimmungsrecht kritisieren.
Die Partizipation von Schülern im Fachunterricht sollte daher durch Verfahren der Selbstevaluation unterstützt werden, bei denen Lehrer- und Schülerschaft sich zu verständigen suchen. Das Ziel eines stärker reflexiven Unterrichts gilt es durch Vorschläge zu stärken. Gerade im Bereich der verfassten Schülervertretung kann Demokratie in ihren Verfahren und Anforderungen erfahrbar werden. Die Schüler brauchen kontinuierliche Hilfen bei der Wahrnehmung ihrer Interessen. Die Rechte der SMV und die (Fort)bildung der gewählten Repräsentanten sind zu stärken.
Wie andere Untersuchungen und Schülerumfragen gezeigt haben,