I. Einleitung
Ausgelöst durch die breiten öffentlichen Debatten um fremdenfeindliche Gewalttaten sind im vergangenen Jahrzehnt im Kontext der Jugendforschung zahlreiche Untersuchungen zum Problem des Rechtsextremismus durchgeführt worden. Neben einigen wenigen qualitativen Studien zu einzelnen Szenen und Gruppierungen rechtsorientierter Jugendkulturen bzw. zum Ethnozentrismus bei Schülern
Parallel dazu hat inzwischen eine umfassende theoretische Diskussion mit dem Ziel eingesetzt, nach Erklärungen für das Bedingungsfeld und die Genese rechtsextremer Einstellungen bei Jugendlichen insbesondere auch aus den neuen Bundesländern zu suchen. Als zentral haben sich modernisierungs-, deprivations- und sozialisationstheoretische Ansätze etabliert, die sich bislang vor allem mit den gesamtgesellschaftlichen Ursachen, den Einflüssen von Familie oder peers sowie individuellen Wertorientierungen auf die Herausbildung gewaltaffiner und fremdenfeindlicher Orientierungen bei Jugendlichen beschäftigt haben. Die Schule kam in diesem Zusammenhang bislang ausschließlich als Instanz der Integrationsverweigerung in den Blick: Jugendliche, die an die Sinnangebote der Schule nicht anschließen bzw. in der schulischen Leistungskonkurrenz nicht bestehen können, sind eher gefährdet, gewaltaffine und ausländerfeindliche Einstellungsmuster zu entwickeln.
Wir wollen in diesem Beitrag an den vorab skizzierten Forschungsdefiziten ansetzen, indem wir zum einen längerfristige Entwicklungstrends im Bereich rechtsextremer jugendkultureller Orientierungen sowie ethnozentrischer und gewaltaffiner Einstellungsmuster bei Jugendlichen aus einem neuen Bundesland aufzeigen und zum anderen insbesondere nach der Relevanz schulischer Einflussfaktoren auf die Herausbildung rechtsextremer Einstellungen fragen. Genauer gesagt werden wir in einem ersten Schritt den Wandel rechter jugendkultureller, ethnozentrischer und gewaltaffiner Einstellungen bei Jugendlichen an Schulen in Sachsen-Anhalt im Zeitraum zwischen 1993 und 2000 aufzeigen und anhand von Zusammenhängen zwischen diesen Orientierungen verdeutlichen, mit welchem Ausmaß an rechtsextremen Orientierungen die Schulen konfrontiert sind. In einem zweiten Schritt werden wir das Vorkommen rechtsextremer Einstellungen unter Jugendlichen an den von uns untersuchten Schulen analysieren und auf dieser Grundlage hoch und niedrig belastete Schulen vergleichend in den Blick nehmen. Dabei stehen die schulorganisatorischen und schulklimatischen Bedingungen der Einzelschulen im Zentrum. In einem dritten Schritt untersuchen wir unter Rückgriff auf Materialien aus Gruppendiskussionen mit Schülern und Lehrern zwei Schulen näher, von denen eine einen relativ geringen und die andere einen hohen Anteil gewaltaffin und ausländerfeindlich eingestellter Jugendlicher unter ihren Schülern aufweist. Dabei geht es uns insbesondere um den alltäglichen Umgang der Schule mit dem Problem Rechtsextremismus sowie um Maßnahmen, welche die Schulen zu dessen Bekämpfung ergreifen. Abschließend formulieren wir auf der Basis der Ergebnisse einige Handlungschancen für Schulen im Umgang mit Rechtsextremismus.
II. Zum Wandel rechter jugendkultureller, ausländerfeindlicher und gewaltaffiner Einstellungen bei Schülern in Sachen-Anhalt
In der aktuellen Literatur zum Problem des Rechtsextremismus wird zu Recht darauf hingewiesen, dass es sich dabei nicht um ein homogenes Phänomen handelt, sondern dass zu den verschiedenen Facetten des Rechtsextremismus neben der Mitgliedschaft in rechtsextremen Parteien auch Sympathien für rechte jugendliche Subkulturen, ethnozentrische Orientierungen oder auch ideologisch motivierte oder generelle Gewaltbereitschaft gehören können. Die Notwendigkeit differenzierterer Betrachtungen ergibt sich nach Auffassung von Scherr
Wir haben in drei thematisch breiter angelegten landesrepräsentativen Jugendsurveys die Schüler in Sachsen-Anhalt im Verlaufe der neunziger Jahre mehrfach nach ihren Sympathien für die Subkultur der Skinheads, nach ihren Einstellungen zu Ausländern sowie zur Gewalt befragt, sodass wir im Folgenden zunächst einige Entwicklungstrends aufzeigen und anschließend der Frage nachgehen können, inwieweit die Angehörigen der jugendkulturellen Szene der Skinheads als rechtsextrem charakterisiert werden können. In Tabelle 1 sind die Ergebnisse unserer Befragungen von Schülern aus den verschiedenen Schulformen des allgemeinbildenden Schulwesens in Sachsen-Anhalt aus den Jahren 1993, 1997 und 2000 dargestellt, wobei wir uns nur auf die Altersgruppe der 14- bis 15-Jährigen konzentrieren, da diese in allen drei Umfragen identisch war.
Die Analyse der jugendkulturellen Orientierungen der befragten Schüler macht deutlich, dass der Anteil der Sympathisanten der Gruppierung der Skins zwischen 1993 und 1997 angestiegen und seitdem weitgehend stabil geblieben ist. Ergänzend muss man jedoch hinzufügen, dass wir im Jahr 2000 differenzierter nicht nur nach Sympathien für diesen jugendkulturellen Stil gefragt haben, sondern auch danach, ob man sich selbst dieser Gruppe zurechnet. In der Tabelle 1 werden nun jene knapp sechs Prozent der Befragten, die sich im Jahre 2000 als Angehörige der Skins bezeichnen, und jene gut acht Prozent der Befragten, die sich eher als Sympathisanten dieser Szene verorten, zusammengefasst.
Im Hinblick auf den Wandel der ethnozentrischen Orientierungen der befragten Schüler lässt sich zunächst einmal feststellen, dass der Anteil derjenigen, die dem Statement "Es gibt zu viele Ausländer in Deutschland" zustimmen, zwischen 1993 und 2000 von 43 auf 73 Prozent dramatisch angestiegen ist. Im gleichen Zeitraum hat der Anteil an Ausländern in den neuen Bundesländern nur unwesentlich zugenommen und ist mit ca. drei Prozent - gemessen an den alten Bundesländern - noch immer außerordentlich gering. Relativ stabil geblieben ist im Zeitraum zwischen 1993 und 2000 der Anteil derjenigen, etwa 60 Prozent, die bereit sind, sich gegen Ausländerfeindlichkeit aktiv zur Wehr zu setzen. Leicht angestiegen ist der Anteil der Befragten, die Gewalt gegen Ausländer ablehnen (von 67 auf 73 Prozent). Umgekehrt heißt das aber auch, dass trotz der starken öffentlichen Thematisierung fremdenfeindlicher Gewalt und des allgemeinen Aufrufs zu mehr Zivilcourage gegenwärtig noch über ein Viertel der befragten Jugendlichen Gewalt gegenüber Ausländern tolerieren.
Relativ stabil geblieben ist in den vergangenen acht Jahren auch der Anteil von etwa drei Viertel der befragten Schüler in Sachsen-Anhalt, die Gewalt nicht als ein Mittel der Problemlösung ansehen. Umgekehrt ist aber auch die Gruppe derjenigen, die angeben, sich häufiger an körperlichen Gewaltaktionen zu beteiligen, mit etwa zehn Prozent in diesem Zeitraum ebenfalls eher konstant geblieben.
Fragt man nun nach der politischen Selbstverortung derjenigen Jugendlichen, die sich als Angehörige der jugendkulturellen Szene der Skins begreifen und bezieht man sich dabei auf die Gesamtstichprobe von ca. 1400 Schülern im Alter zwischen 14 und 18 Jahren, die wir im Jahr 2000 an den Sekundarschulen, Gymnasien und Berufsschulen in Sachsen-Anhalt befragt haben, so zeigen sich folgende Trends: Von den sechs Prozent der befragten Jugendlichen, die sich der Gruppierung der Skins zurechnen, schätzen sich auf einer politischen Rechts-Links-Skala 75 Prozent als eindeutig rechts,
Geht man nun über die Ebene politischer Selbstverortungen hinaus und orientiert sich an der Definition eines soziologischen Rechtsextremismus von Wilhelm Heitmeyer u. a.,
III. Rechtsextreme Tendenzen in der Schülerschaft
In der Diskussion um Präventionsstrategien gegen gewaltaffine, ausländerfeindliche und rechte jugendkulturelle Orientierungen unter Jugendlichen stehen pädagogische Maßnahmen im Zusammenhang von Schule und Jugendhilfe im Zentrum.
Betrachtet man zunächst, wie sich die Schüler mit gewaltaffinen und ausländerfeindlichen Einstellungen sowie Angehörige rechter Jugendkulturen in unserer Stichprobe auf die untersuchten Schulen verteilen (vgl. Schaubild 2), so zeigt sich, dass Einzelschulen in sehr unterschiedlichem Maße von diesen Problemen betroffen sind.
Bestätigt wird zunächst der weiterhin bekannte Befund, dass die Schulform einen wichtigen Prädiktor für den Grad der Belastung darstellt.
Interessant ist in diesem Zusammenhang auch die Verteilung der beiden in die Untersuchung einbezogenen Berufsschulen. Während die untersuchte städtische Berufsschule A eine sehr geringe Belastung aufweist, ist die ländliche Berufsschule B von einem sehr hohen Anteil gewaltaffin bzw. ausländerfeindlich eingestellter Schüler gekennzeichnet. Neben ihrer geographischen Lage unterscheiden sich diese beiden Schulen auch durch ihr Ausbildungsprofil. Während die Berufsschule A vorwiegend kaufmännische Berufe ausbildet, hat die Berufsschule B ein handwerkliches Ausbildungsprofil mit starker Akzentuierung auf berufsvorbereitenden Ausbildungsgängen. Die deutlichen Differenzen im Schülerklientel dieser beiden Schulen können so wenigstens teilweise auf regionale Unterschiede und auf das Bildungsniveau der Berufsschüler zurückgeführt werden.
Die Region, in der Schulen angesiedelt sind, hat insgesamt für die Belastung der Schulen eine große Bedeutung, denn, wie dargestellt, sind es insbesondere Jugendliche in ländlichen Regionen, und damit vor allem in den neuen Bundesländern in Gebieten mit einem äußerst geringen Ausländeranteil, die stark ausländerfeindliche Einstellungen zeigen. Schulen in ländlichen Regionen sind also häufiger starken Belastungen durch rechtsextreme Tendenzen in der Schülerschaft ausgesetzt. In den vorgestellten Gruppen gehören mit den Sekundarschulen F und G zwei Schulen in ländlichen Regionen zu den Problemschulen und mit der Sekundarschule E nur eine Schule zu den gering belasteten Schulen. Beispiele wie die Sekundarschule E, die trotz ungünstiger regionaler und organisatorischer Ausgangsbedingungen einen geringen Anteil an gewaltaffinen und ausländerfeindlichen Einstellungen in ihrer Schülerschaft aufweisen, machen deutlich, dass Unterschiede zwischen den Schulen nicht allein durch die Schulformzugehörigkeit oder durch regionale Faktoren erklärt werden können.
Vielmehr sind Differenzen in der Belastung von Schulen durch Gewaltaffinität, Ausländerfeindlichkeit und im Auftreten rechter Jugendkulturen in der Schülerschaft auch auf der Ebene des Schullebens in den schulklimatischen und schulkulturellen Bedingungen der Einzelschule zu suchen. Die Bedeutung der Interaktionsdimension im Schulleben z. B. für das Gewaltvorkommen an Einzelschulen ist aus der Schulklima- und Schulkulturforschung hinlänglich bekannt.
In unserer Befragung zur politischen Bildung in Sachsen-Anhalt haben wir mit Fragen zum Lehrerhandeln sowie zu den Möglichkeiten der Schülerpartizipation und zum Umgang mit Gewalt an der Schule auch einige ausgewählte schulklimatische Bedingungen aus Sicht der Schüler erfasst. Wir können also untersuchen, ob diesbezüglich bedeutsame Unterschiede zwischen Schulen mit hoher und niedriger Belastung durch gewaltaffin sowie ausländerfeindlich eingestellte Schüler und Angehörige rechter Jugendkulturen bestehen (vgl. Schaubild 3).
Im Bereich der Schülerpartizipation unterscheiden sich hoch und gering belastete Schulen einerseits in der Einbeziehung der Schüler bei Entscheidungen zu Fragen der Gestaltung des Schullebens, wie beispielsweise bei der Ausgestaltung der Schule, bei der Organisation von Ausflügen und Schulveranstaltungen, aber auch bei der Entwicklung und Auswahl von schulischen Projekten und Freizeitangeboten. Andererseits bestehen deutliche Differenzen in der generellen Bedeutung und Wirksamkeit der Gremienarbeit von Schülern. Jugendliche an gering durch rechtsextreme Tendenzen in der Schülerschaft betroffenen Schulen nehmen ihre Interessenvertretungen an der Schule als bedeutsamer und einflussreicher wahr als ihre Altersgenossen an hoch belasteten Schulen. Die Wahl von Schülervertretern halten sie für wichtiger als andere Jugendliche. Keine Differenzen zwischen den Gruppen bestehen demgegenüber in der unterrichtlichen Mitbestimmung und in der Teilhabe an Entscheidungen der Notengebung. Diese Ergebnisse deuten darauf hin, dass gerade die Berücksichtigung von Schülerbedürfnissen und -forderungen bei der Gestaltung des Schullebens sowie die Offenheit der Schule gegenüber institutionalisierten Formen der Artikulation dieser Bedürfnisse einen Unterschied zwischen Schulen mit und solchen ohne einen großen Anteil an Schülern mit rechtsextremen Einstellungen markierten. Damit sind auch Handlungschancen für die Schule bezeichnet, denn Ablehnung und Ausgrenzung von Fremden sowie die Akzeptanz von Gewalt als Konfliktlösungsstrategie sind in einem demokratischen Schulalltag seltener anzutreffen als in Schulen, in denen Schüler das Schulleben als von ihren Lehrern bestimmt und veranstaltet wahrnehmen.
Auch auf der Ebene der unterrichtlichen Orientierungen von Lehrern bestehen deutliche Unterschiede zwischen hoch und gering belasteten Schulen. Sie unterscheiden sich in der Wahrnehmung autoritärer sowie distanzierter und lehrerzentrierter Formen des Lehrerhandelns. Schüler an Schulen mit hoher Belastung durch gewaltaffine und ausländerfeindliche Einstellungen in der Schülerschaft beschreiben ihre Lehrer als autoritärer als Jugendliche an anderen Schulen. Sie geben eher an, im Unterricht auf Kommando arbeiten und absolute Ruhe bewahren zu müssen. Dominieren diese Formen des Lehrerhandelns den Unterrichtsalltag, dann sinkt, wie Untersuchungen zum Schulklima zeigen, das schulische Selbstbewusstsein der Schüler, sie entwickeln schulisches Inkompetenzerleben und Versagensängste. Ihre emotionale Distanz zur Schule steigt.
Die letzte untersuchte Dimension ist mit dem schulischen Schlichtungspotenzial die spezifische Form des Umgangs mit Gewalt in der einzelnen Schule. Auch diesbezüglich gibt es deutliche Unterschiede zwischen den Gruppen. Obwohl Schulen mit niedriger Belastung durch rechtsextreme Einstellungen in ihrer Schülerschaft in deutlich geringerem Ausmaß von körperlicher Gewalt betroffen sind als hoch belastete Schulen, weisen sie ein deutlich höheres Schlichtungspotenzial auf als diese. An den gering belasteten Schulen geben die Schüler häufiger als ihre Altersgenossen an den Problemschulen an, dass Lehrer oder Schüler bei gewalttätigen Konflikten eingreifen und dass auf körperliche Auseinandersetzungen Gespräche und Diskussionen zwischen Lehrern, Opfern und Tätern bzw. mit der gesamten Klasse folgen.
IV. Zum Umgang mit Rechtsextremismus - zwei Fallbeispiele
Wir werden im Folgenden nun einen Perspektivenwechsel vornehmen, die Ebene der quantitativen Analyse verlassen und gestützt auf die Informationen aus Feldnotizen, Schulleiterinterviews und vor allem die Ergebnisse von Gruppendiskussionen mit Lehrern genauer beschreiben, wie die Pädagogen an zwei Schulen aus unserer Stichprobe mit den Phänomenen von rechtsextremen Orientierungen und Ausländerfeindlichkeit bei ihren Schülern umgehen. Dazu haben wir die Sekundarschule F und das Gymnasium D ausgewählt, die sich nach unseren ersten Eindrücken aufgrund der Interviews um eine Verbesserung der politischen Bildung bemühten.
1. Die Sekundarschule F
Die Sekundarschule F befindet sich in einem Dorf mit unter 3000 Einwohnern, das wirtschaftlich von der Auslagerung gewerblicher Betriebe in das Umland der benachbarten ostdeutschen Großstadt profitiert. Die untersuchte Schule entstand nach 1990 durch die Zusammenlegung zweier Sekundarschulen, ist aber mit knapp 300 Schülern immer noch eine eher kleine Sekundarschule. Das Lehrerkollegium, das aus etwa 20 Lehrern besteht, ist seitdem konstant geblieben und pflegt über berufliche Kontakte hinaus auch private Beziehungen zueinander. Eine der Lehrerinnen hat im Rahmen eines Aufbaustudiums nach der Wende die Lehrbefähigung für das Fach Sozialkunde erworben. Die Schule hat kein explizites pädagogisches Schulprogramm, ist jedoch nach Auskunft des Schulleiters bemüht, die Schule mit anderen Institutionen in der Gemeinde zu vernetzen und auf diese Weise zugleich die Schüler an Fragen der Kommunalpolitik heranzuführen. Außerunterrichtlich aktiv ist die Schule vor allem im Freizeitbereich, in dem sie ebenfalls eng mit Vereinen und Verbänden der Gemeinde zusammenarbeitet.
In der Gruppendiskussion, an der sechs Lehrer teilnehmen, werden diese vom Interviewer gefragt, ob das Phänomen rechte Jugendliche an der Schule ein Thema sei. Die Antworten der Lehrer machen deutlich, dass dieses Problem eher tabuisiert oder bagatellisiert wird. So wird berichtet, dass es vor zwei Jahren einmal "ernsthafte Vorfälle" gab, und nach längerer Diskussion räumen zwei Lehrerinnen ein, dass sie jeweils zwei rechte Schüler in ihrer Klasse haben, dass manchmal "sehr deutsche Musik mitgebracht wird" und dass schon einmal rechte Äußerungen im Unterricht fallen, aber "das ist normal". Eine offensive Auseinandersetzung mit dem Problem des Rechtsextremismus bzw. mit den rechten Einstellungen einiger Schüler findet an dieser Schule nicht statt, da man "natürlich auch keine schlafenden Hunde wecken will" (Lehrer 6).
Im weiteren Verlauf der Gruppendiskussion konfrontiert der Interviewer die Lehrer auch mit den hohen Werten zu den ausländerfeindlichen Einstellungen ihrer Schüler. Auf die Konfrontation mit diesen quantitativen Untersuchungsergebnissen reagieren die Lehrer mit einer Strategie der Schuldzuweisung an andere Sozialisationsinstanzen. Schuld seien die Eltern, die selbst ausländerfeindliche Einstellungen haben; Schuld seien die Medien, die das Thema Gewalt gegenüber Ausländern unnötig hochspielten; Schuld sei die große Politik mit der Debatte um die deutsche Leitkultur oder sogar die israelische Außenpolitik: "Großes Spektakel um eine eingeworfene Fensterscheibe an einer Synagoge. Auf der anderen Seite nietet Israel da jede Menge Palästinenser um und umgekehrt. So, das erklär mal einem Kind. Das verstehst du selber nicht, das Theater." (Lehrer 3)
In der Argumentationsstruktur der Lehrergruppe dominiert insgesamt eine starke Schuldzuweisung an äußere Instanzen, die gleichzeitig davon entlastet, die Probleme selbst aktiv aufgreifen zu müssen. Zaghafte Versuche der politischen Bildung beschränken sich auf eine reine Stoffvermittlung und eine Orientierung am Nahraum im Bereich der Gemeindepolitik. Eine Thematisierung des Umgangs mit Fremden findet an dieser Schule nicht statt. Das Fremde wird in dieser Sekundarschule in einem dörflichen Kontext, in dem keine Ausländer leben und bereits Zugezogene deutscher Herkunft als Störung der dörflichen Atmosphäre wahrgenommen werden, als latente Bedrohung aufgefasst.
2. Das Gymnasium D
Das Gymnasium D, das hier für eine Schule mit verhältnismäßig geringer Belastung durch rechtsextreme Tendenzen in der Schülerschaft steht, ist in mehrfacher Hinsicht eine Vorzeigeschule. Die Schule befindet sich in einigen neu errichteten bzw. aufwändig sanierten Gebäuden am Stadtinnenrand einer Kleinstadt eines strukturschwachen Landkreises. Sie ist hervorragend ausgestattet. Das inzwischen mit über 1000 Schülern und über 60 Lehrern sehr große Gymnasium ist aus der ehemaligen Erweiterten Oberschule der Kleinstadt hervorgegangen. Die Schule versucht, durch eine Vielzahl von Kooperationsbeziehungen und öffentlichen Veranstaltungen zu einem Aushängeschild für Stadt und Region zu werden. "Schule ist ja ein Ort von öffentlichem Leben. . ." (Lehrerin 3), sagt eine Lehrerin in der Gruppendiskussion, an der vier Lehrer teilnehmen. Ein Schritt auf diesem Weg ist das Bestreben der Schule, anerkannte Europaschule zu werden. Das Gymnasium steht in engem Austausch und arbeitet an gemeinsamen Projekten mit Schulen aus zehn anderen Ländern.
Das Gymnasium D hat aus Sicht von Schulleiter, Lehrern und Schülern keine offensichtlichen Probleme mit Ausländerfeindlichkeit und Gewalt an der Schule. Dass, wie die Ergebnisse der Schülerbefragung zeigen, auch an dieser Schule noch bis zu einem Fünftel der Schüler in starkem Maß ausländerfeindlich eingestellt sind, wird im Schulalltag nur bei großer Sensibilität offensichtlich. Ausländerfeindliche Einstellungen kommen im Unterricht, in "Zwischenbemerkungen" der Schüler oder "im außerschulischen Bereich" gelegentlich zum Ausdruck. Auch die Lehrer des Gymnasiums D delegieren zwar die Verantwortung für abweichende Orientierungen von Jugendlichen in erster Linie an außerschulische Bereiche wie die Familie, die Politik und die Medien sowie an die sozioökonomischen Bedingungen in der Region; in der Gruppendiskussion wird jedoch deutlich, dass man ausländerfeindliche Orientierungen an der Schule aufmerksam registriert und auch im Schulalltag thematisiert. Dabei ist die persönliche Auseinandersetzung mit den Jugendlichen aus der Perspektive der befragten Lehrer das wichtigste Mittel im Kampf gegen rechtsextreme Tendenzen in der Schülerschaft. "Im normalen Umgangsgespräch ohne hier mit diesem pädagogischen Zeigefinger, denke ich, kann man viel mehr erreichen, als wenn man nun sagt, du bist rechtsextrem, nun begründe mal, warum bist du das." (Lehrerin 4)
Einen weiteren Eckpfeiler der Bemühungen stellt die Integration ausländischer Schüler an der Schule dar. Diese Bestrebungen basieren auf der Erfahrung, dass der Umgang mit dem Fremden Konflikte sichtbar und bearbeitbar macht. "Komischerweise habe ich festgestellt, in den Klassen gerade, wo nun Ausländer drin sind, dass da das Problem gar nicht so akut ist." (Lehrer 1) Zum einen besuchen inzwischen einige jugendliche Migranten das Gymnasium D, zum anderen wird durch regelmäßigen Schüleraustausch mit Partnerschulen in anderen Ländern die Anwesenheit ausländischer Schüler an der Schule gefördert. Inhaltliche Auseinandersetzungen werden an der Schule nicht gescheut, sondern durch Diskussionen im Unterricht, aber auch durch zum Teil öffentliche Veranstaltungen, wie beispielsweise Podiumsdiskussionen mit Politikern und Künstlern oder durch gemeinsame Projekte mit Schülern an ausländischen Schulen, unterstützt.
Im direkten Vergleich der beiden beschriebenen Schulen wird deutlich, dass es sehr unterschiedliche Strategien für Schulen gibt, mit Fremdheit, aber auch mit der Ablehnung von sowie mit Gewalt gegen Fremde umzugehen. Während die Sekundarschule F mit ihrer starken Gemeindeorientierung eine Abgrenzung gegenüber der über den dörflichen Nahraum hinausgehenden Außenwelt praktiziert und damit sowohl das Fremde wie auch die Fremdenfeindlichkeit ihrer Schüler aus dem Schulalltag ausgrenzt, werden Ausländer am Gymnasium D bewusst in den Schulalltag integriert, womit auch das Problem der Ausländerfeindlichkeit an der Schule sichtbar wird.
V. Fazit
Unsere Analyse hat gezeigt, dass Schulen aller Schulformen in Sachsen-Anhalt von Problemen mit gewaltaffinen und ausländerfeindlichen Einstellungen in ihrer Schülerschaft sowie durch das Hineinwirken rechter Jugendkulturen in die Schule betroffen sind. Als Indikatoren, welche die Wahrscheinlichkeit, rechtsextreme Orientierungen zu übernehmen, beeinflussen, haben sich zunächst allgemeine soziodemographische Faktoren, wie das Geschlecht der Jugendlichen und die Region, in der sie aufwachsen, herausgestellt. Auf der Ebene schulorganisatorischer Merkmale ist die Schulform, der eine Schule angehört, und damit indirekt die Bildungsaspiration der Schüler ein wichtiger Differenzierungsfaktor. Dass diese und andere Einflussfaktoren gegenüber der Institution Schule wesentliche Erklärungskraft für die Übernahme rechtsextremer Einstellungen besitzen, ist bereits hinlänglich bekannt.
Die Untersuchung macht aber auch deutlich, dass auf der Ebene schulklimatischer und schulkultureller Bedingungen Handlungschancen auch für die Einzelschule bestehen, rechtsextremen Einstellungen in ihrer Schülerschaft vorzubeugen bzw. entgegenzuwirken. Dabei haben sich aus Sicht der Schüler im Bereich des Schulklimas eine große Reichweite und Bedeutung von Prozessen und Instanzen der Schülermitbestimmung an der Schule, ein geringes Vorkommen an autoritären sowie distanzierten und lehrerzentrierten Verhaltensweisen von Lehrern im Unterricht und ein hohes schulisches Schlichtungspotenzial im Umgang mit Gewalt an der Schule als Differenzierungsmerkmale zwischen hoch und niedrig durch ausländerfeindliche und gewaltaffine Einstellungen in der Schülerschaft belasteten Schulen erwiesen. Auf der schulkulturellen Ebene konnten wir aufzeigen, dass Möglichkeiten für Schulen, politisch und sozial abweichenden Einstellungen von Schülern entgegenzuwirken, darin bestehen, vorhandene Probleme durch eine Politik der Orientierung nach außen und die Integration ausländischer Schüler ernst zu nehmen und entsprechende Konflikte offen zu thematisieren und zu bearbeiten. Demgegenüber hat sich gezeigt, dass eine starke Innenorientierung, die mit Strategien der Harmonisierung und Konfliktvermeidung einhergeht, die am schulischen Geschehen Beteiligten blind macht für Probleme von Gewaltaffinität und Ausländerfeindlichkeit an der Schule. Damit sind unseres Erachtens Erfolg versprechende Möglichkeiten des Umgangs für Schulen mit rechtsextremen Einstellungen in der Schülerschaft benannt, die jedoch ihrerseits bildungspolitische Maßnahmen, wie zum Beispiel die Sensibilisierung von Lehrern für das Problem rechtsextremer Einstellungen unter Jugendlichen im Rahmen von Veranstaltungen der Aus- und Weiterbildung, eine stärkere finanzielle und organisatorische Förderung von schulischen Profilbildungen mit inhaltlichen Orientierungen, wie etwa Europa- oder Unesco-Schulen, sowie eine Intensivierung des internationalen Schüleraustausches voraussetzen.