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Drogenhandel im Darknet | Darknet | bpb.de

Darknet Editorial "Tor" in eine andere Welt? Begriffe, Technologien und Widersprüche des Darknets Hilflose Ermittler. Warum Kriminelle im Darknet wenig zu befürchten haben Netz der Dissidenten. Die helle Seite im Darknet Going Dark? Dilemma zwischen sicherer, privater Kommunikation und den Sicherheitsinteressen von Staaten Phänomen Bitcoin. Geld, Technologie und gesellschaftliches Ereignis Eine kurze Geschichte der Kryptografie Drogenhandel im Darknet. Gesellschaftliche Auswirkungen von Kryptomärkten

Drogenhandel im Darknet Gesellschaftliche Auswirkungen von Kryptomärkten

Meropi Tzanetakis

/ 13 Minuten zu lesen

Der Onlinehandel mit Drogen ist so alt wie das Internet selbst. Technologische Innnovationen wie neue Verschlüsselungsmethoden haben jedoch zu einem systematischen und weltweiten Vertrieb von verbotenen Substanzen und anderen Produkten im Web beigetragen.

Die ersten Medienberichte über Drogenmärkte im Darknet gehen auf das Jahr 2011 zurück. Auf dem digitalen Schwarzmarkt "Silk Road" könne jede nur erdenkliche Droge gekauft werden – ähnlich einfach und vermeintlich sicher wie Elektronikprodukte auf Amazon, hieß es etwa in einem Beitrag des US-amerikanischen Blogs "Gawker". Um anonyme Bestellungen von Drogen per Mausklick zu ermöglichen, werde allerdings spezielle Software benötigt, die IP-Adressen oder Domainnamen verberge und dadurch herkömmliche Ermittlungsansätze erschwere, erläutert die "Süddeutsche Zeitung".

Während der Begriff "Darknet" zum damaligen Zeitpunkt nicht Teil der öffentlichen Debatte war, erlangte dieser im Sommer 2016 traurige Berühmtheit, weil der Amokläufer von München den Kauf der Tatwaffe über das Darknet anbahnte. Bezahlt und übergeben wurde die Waffe jedoch nicht anonym über eine Onlinebestellung, sondern durch ein persönliches Treffen im Mai 2016. Im Zusammenhang mit dem Amoklauf von München, der zehn Menschenleben forderte, entbrannte eine Sicherheitsdebatte. Forderungen nach strengeren Waffengesetzen und einem Verbot von gewaltverherrlichenden Computerspielen wurden laut, aber auch nach einer besseren personellen und finanziellen Ausstattung der Sicherheitsbehörden sowie nach mehr Ermittlungsbefugnissen. Gleichsam verfestigte sich in der Öffentlichkeit das Bild vom Darknet als die dunkle Seite des Internets – als Ort, der vorrangig dem Vertrieb von Drogen, Waffen und Kinderpornografie diene.

Im Folgenden wird zunächst erläutert, was unter Kryptomärkten für Drogen verstanden werden kann und wie verbreitet sie im Vergleich zu anderen Darknet-Inhalten sind. Anschließend werden die von ihnen ausgehenden Risiken und Gefahren analysiert sowie die Chancen und Potenziale erörtert, die mit der Verlagerung des Drogenkaufs ins Darknet einhergehen. "Chance" wird im Sinne des Schadensminimierungsansatzes verstanden, der darauf abzielt, gesundheitliche und soziale Folgeschäden des Drogenkonsums zu minimieren.

Was sind Kryptomärkte?

Obwohl der Onlinehandel mit Drogen so alt ist wie das Internet selbst, hat eine Reihe von technologischen Entwicklungen zu einem systematischen Vertrieb von legalen wie illegalen Drogen und weiteren Produkten im Web beigetragen. Dazu zählen etwa verschreibungspflichtige Medikamente, Falschgeld, gestohlene Kreditkartendaten, gehackte Bankkontodaten, Schusswaffen, aber auch Anleitungen zur Herstellung psychoaktiver Substanzen. Durch die Kombination aus Anonymisierungssoftware, wie dem Tor-Browser, und virtuellen Währungen, wie Bitcoin, sind digitale Plattformen entstanden, die sich nicht grundlegend von anderen Online-Marktplätzen unterscheiden.

Kryptomarktplatz "AlphaBay" (© Screenshot aus eigenem Bestand)

Der Begriff "Kryptomarkt" hat sich in der Forschungsgemeinschaft zur Bezeichnung dieser technologischen Neuerung durchgesetzt. Zum Kryptomarkt gehören zwei wesentliche Merkmale: Drogenbestellungen werden erstens nicht mit Kreditkarten bezahlt, sondern mit Kryptowährungen wie Bitcoin, die Nutzern und Nutzerinnen dezentrale Transaktionen ermöglichen. Zweitens erlaubt die Verschlüsselungssoftware Tor das Aufrufen der hidden services und damit den Zugang zum Darknet. Die Tor-Technologie wurde Mitte der 1990er Jahre in einer der US-Marine zugehörigen Forschungsabteilung entwickelt und 2002 mit der Veröffentlichung der Alpha-Version der Tor-Software öffentlich zugänglich gemacht. Tor basiert auf einem weltweiten Netzwerk von etwa 7.000 unentgeltlich betriebenen Servern, die Verbindungen verschlüsseln. Die Verschlüsselung verhindert, dass der Datenverkehr der zwei Millionen Nutzer auf sie zurückgeführt werden kann. Das Darknet kann als ein Bereich des Internets verstanden werden, der mittels technologischer Lösungen die Identität und den Standort der Benutzer und Benutzerinnen verschleiert. Zwar ist das Tor-Netzwerk nicht das einzige Darknet, es ist aber das weitverbreitetste und bietet die größte Auswahl an Kryptomärkten.

Es gibt zwei empirische Studien, die Aufschluss über den Umfang und die Zusammensetzung des Netzwerks geben: Die von der britischen Sicherheitsfirma Intelliagg an rund 13.000 Websites im Tor-Netzwerk vorgenommene Untersuchung zeigt, dass etwa die Hälfte von ihnen nach britischem oder US-Recht einen legalen Inhalt haben. Die Wissenschaftler kategorisierten die Websites zudem: 29 Prozent fielen unter die Kategorie "Filesharing-Dienste", 28 Prozent unter "geleakte Daten" – worunter man nicht autorisierte Veröffentlichungen von Informationen versteht – und 12 Prozent unter "Finanzbetrug". Auf 4 Prozent der untersuchten Websites wird mit Drogen gehandelt und 0,3 Prozent haben Bezug zu Waffen. Die Ergebnisse decken sich größtenteils mit einer Studie des Londoner King’s College: Von den 2.723 untersuchten Websites im Tor-Netzwerk, sind 57 Prozent strafrechtlich relevant: 15 Prozent stehen im Zusammenhang mit Drogen, 12 Prozent mit Finanzgeschäften, 7 Prozent mit anderen illegalen Inhalten und 1,5 Prozent mit Waffen.

"Silk Road" war der erste Kryptomarkt und ab Februar 2011 online. Er wurde im Oktober 2013 vom FBI geschlossen. Heute sind etwa zwei Dutzend Kryptomärkte online. Allen Plattformen ist der Vertrieb von psychoaktiven Substanzen aller Art gemein, doch sie unterscheiden sich in puncto Marktgröße, Sprache, Bezahlsystem, Lebensdauer und der Frage, ob mit Waffen gehandelt wird oder nicht. Auf den meisten Plattformen hat sich die Norm etabliert, dass kein kinderpornografisches Material weitergegeben werden darf. In einer Erhebung von 2012 wurde der monatliche Umsatz des damaligen Monopolisten "Silk Road" auf 1,22 Millionen US-Dollar geschätzt. Die Schätzung umfasst alle angebotenen Güter und Dienstleistungen. Dieses Volumen ist laut einer weiteren Studie 2013 auf 100 Millionen US-Dollar gestiegen. Nachdem "Silk Road" vom FBI geschlossen wurde, stieg die im Dezember 2013 gegründete Plattform "AlphaBay" zum Marktführer auf. Laut einer jüngeren Studie konnte sie den Umsatz halten: Allein aus dem Drogenhandel betrug er zwischen September 2015 und August 2016 94 Millionen US-Dollar. Zusammenfassend kann festgehalten werden: Nach einem deutlichen Zuwachs während der Anfangsphase des Phänomens erreichten die Umsätze von Kryptomärkten ab 2013 ein relativ stabiles Niveau. Im Vergleich zum materiellen Drogenmarkt ist das Handelsvolumen jedoch sehr klein. Laut Schätzungen der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht und Europol werden in der EU jährlich insgesamt 28 Milliarden US-Dollar mit dem Verkauf von Drogen erzielt – Kryptomärkte machen hiervon nur einen Bruchteil aus.

Risiken anonymer Drogenmärkte

Mit den oben skizzierten technologischen Innovationen, die den systematischen anonymen Verkauf und Kauf von Drogen aller Art möglich machten, traten Risiken in Erscheinung – allen voran das Risiko, das mit Verfügbarkeit und Zugänglichkeit einhergeht. Auf anonymen Drogenmärkten im Darknet können sämtliche psychoaktive Substanzen mit einigen Mausklicks bestellt und bezahlt werden. Der Bestellvorgang unterscheidet sich kaum von dem anderer Online-Marktplätze. Ebenso niederschwellig ist die Aneignung des technisch erforderlichen Wissens, um Drogen zu bestellen. Das gilt vor allem für Digital Natives. Die Affinität lässt sich entsprechend auf einen neuen Typ technikaffiner Drogenhändler übertragen sowie auf einen neuen Typ Drogenkonsument. Durch die Nutzung von Verschlüsselungssoftware und Kryptowährungen wird der globale Verkauf und Kauf von Drogen rund um die Uhr, sieben Tage die Woche möglich. Zudem sind sämtliche Drogenarten in unterschiedlichen Mengen auf Kryptomärkten zugänglich, ohne regionale Einschränkung und Altersbeschränkung.

Ein Nebeneffekt des neuartigen Phänomens, der ebenfalls die Zugänglichkeit erleichtert, betrifft die Art der Lieferung. Die Übergabe der über das Darknet bestellten Drogen findet nicht bei persönlichen Treffen der beteiligten Akteure statt, wie auf materiellen Drogenmärkten üblich. Vielmehr übernehmen Zustelldienste unwissentlich die Rolle des Drogenkuriers. Händlerinnen und Konsumenten nehmen die Drogentransaktionen im Internet als Vorteil wahr. So gaben etwa bei einer anonymen Onlinebefragung 9.470 Teilnehmer und Teilnehmerinnen an, der höhere Komfort bei der Bestellung sowie die einfache Lieferung der Drogensendungen seien unter anderem Hauptmotive dafür gewesen, auf Kryptomärkten Drogen zu kaufen.

Die Verfügbarkeit und Zugänglichkeit stellen besonders für zwei Konsumtypen ein besonderes Risiko dar: zum einen für Konsumenten, die über keine hohe Impulskontrolle verfügen und zum unkontrollierten Konsum neigen. Zum anderen sind durch Kryptomärkte besonders Konsumenten gefährdet, die sozial isoliert Drogen konsumieren und sich dabei nicht Freunden und Bekannten anvertrauen.

Auf Gelegenheitskonsumenten hat die hohe Verfügbarkeit sämtlicher Drogen im Internet hingegen eine andere Wirkung: User und Userinnen von "Silk Road" berichteten, dass es zunächst zum Konsumanstieg und Konsum verschiedener Drogen gekommen sei. Dieser Anstieg sei bei den Befragten allerdings früher oder später der Selbstregulierung des Konsums gewichen, eine Sättigung sei eingetreten. Die Befragten teilten weiter mit, dass die ständige Verfügbarkeit mittelfristig dazu geführt habe, dass das vorhergehende Konsumniveau wieder erreicht worden sei.

Trotz der angesprochenen Gefahren bieten die Kryptomärkte paradoxerweise auch Potenziale – allen voran für den in der Drogenhilfe diskutierten Ansatz der Schadensminimierung.

Potenziale anonymer Drogenmärkte

Der Schadensminimierungsansatz zielt darauf ab, den körperlichen, psychischen und sozialen Zustand von Drogenkonsumenten zu verbessern, ohne dabei unmittelbar den Zugang zu den Substanzen zu unterbinden. Für materielle Drogenmärkte gilt, dass die Herstellung, der Anbau, Handel, Besitz und Konsum von Drogen verboten sind und Zuwiderhandlungen strafrechtlich verfolgt werden. Dies hat zur Folge, dass erstens die Qualität der im Einzelhandel vertriebenen Drogen relativ niedrig ist, auch weil staatlich kontrollierte Qualitätsstandards für Drogen fehlen. Zweitens bedingt die internationale Drogenkontrollpolitik auf Basis der UN-Konventionen, dass sämtliche Akteure des Anbaus, der Produktion, des Erwerbs, Besitzes und Konsums von illegalen Substanzen der Gefahr der Strafverfolgung ausgesetzt sind.

Paradoxerweise kommt es bei Kryptomärkten für Drogen zu einer Umkehrung: Die technisch ermöglichte Verschleierung des Standorts und der personenbezogenen Daten hat für die Beteiligten einerseits ein reduziertes Risiko von Interventionen durch Strafermittlungsbehörden zur Folge, wenngleich weltweit zahlreiche Plattformen geschlossen und Händler sowie Kunden verhaftet und verurteilt worden sind. Andererseits bedingen Kryptomärkte auch den Vertrieb von qualitativ hochwertigen illegalen Drogen, zumindest im Vergleich zu den Substanzen, die auf der "Straße" gehandelt werden. Der Erwerb von Substanzen, deren Konsum aufgrund ihrer Qualität mit geringeren gesundheitlichen Folgeschäden einhergeht, wird hier als Chance im Sinne des Schadensminimierungsansatzes begriffen.

Warum aber werden über Kryptomärkte tendenziell hochwertigere illegale Drogen gehandelt? Ein Erklärungsansatz liegt im Wettbewerb. Eine Studie zu Drogenangeboten, Umsätzen, Preisen sowie Herkunfts- und Zustellländern verdeutlicht den Grad der Wettbewerbsintensität im Darknet: Zwischen September 2015 und August 2016 haben allein auf der Plattform "AlphaBay" rund 2.200 Händler etwa 12.000 verschiedene Drogenartikel angeboten.

Für die Qualitätssteigerung ist ein weiterer Aspekt verantwortlich: das Bewertungssystem. Der Ausgangspunkt für das Bewertungssystem war die Frage, warum Kunden ein illegales Produkt im Internet erwerben, wenn sie nicht wissen, von wem sie es kaufen, und wo doch das Risiko besteht, dafür strafrechtlich belangt zu werden. Anonyme Drogenplattformen haben hierbei auf einen Mechanismus zurückgegriffen, der bei konventionellen Online-Marktplätzen wie Amazon seit Längerem erfolgreich praktiziert wird. Auf Kryptomärkten bewerten Kunden die Qualität der Drogen, die Korrektheit der bestellten Menge, den Kundenservice, die verwendete Verschleierungstechnik für die Sendung sowie die Kommunikation des Verkäufers oder der Verkäuferin. Dies geschieht sowohl über ein Punktesystem als auch über ausführliche Rezensionen. Diese Bewertungen und die detaillierten Angaben der Händler sind die Entscheidungsgrundlage für andere Kunden.

Wenn sich wie auf "AlphaBay" rund 2.200 Händler um das Interesse der Kunden bemühen, ist zu vermuten, dass diejenigen Anbieter und Anbieterinnen, die qualitativ schlechte Drogen verkaufen und einen schlechten Kundenservice haben, ein entsprechend negatives Feedback erhalten. Folglich können nur diejenigen Händler ihre Waren absetzen, die hochwertige Drogen zum Verkauf bereitstellen. Es ist nicht auszuschließen, dass in näherer Zukunft nur noch einige wenige Händler den Markt beherrschen, ähnlich wie es bei den Internetunternehmen Amazon, Ebay, Facebook und Google auf ihren jeweiligen Märkten der Fall ist.

Im Vergleich zum materiellen Einzelhandel sind Kryptomärkte für die Kunden zudem wesentlich transparenter. Drogenkonsumenten können nunmehr auf der Basis vergleichbarer Informationen über eine breite Palette an psychoaktiven Substanzen, Preisen und Qualitäten entscheiden, auf welchem Kryptomarkt sie bei welchem Händler welche Droge bestellen wollen. Damit ermöglicht der Drogenvertrieb über anonyme Plattformen im Darknet, soziale und gesundheitliche Risiken zu minimieren, die mit dem Erwerb und Konsum von illegalen Substanzen auftreten.

Selbstverständlich gibt es aber auch im Darknet Streitfälle: etwa wenn eine Drogenbestellung nicht beim Kunden eintrifft oder dieser fälschlicherweise behauptet, keine Lieferung erhalten zu haben. Auch das Darknet ist nicht gefeit vor größeren Konflikten wie Erpressung und Betrug – etwa wenn ein Teilnehmer droht, persönliche Informationen eines anderen zu veröffentlichen.

Institutionalisierte Mechanismen wie das Treuhandverfahren sollen auf Kryptomärkten diese Konflikte lösen: Die Mechanismen unterscheiden sich je nach Bezahlsystem. Bislang haben sich drei bargeldlose Bezahlsysteme etabliert, die von fast allen Kryptomärkten unterstützt werden: erstens das sogenannte zentralisierte Treuhandverfahren. Dabei wird der Zahlungsbetrag in virtueller Währung wie Bitcoin auf der Plattform zwischengelagert und erst nach Erhalt der Sendung an den Händler freigegeben. Im Konfliktfall besteht die Möglichkeit, ein Schlichtungsverfahren einzuleiten, das vom Betreiber beziehungsweise der Betreiberin des Kryptomarkts geführt wird. Bei einer zweiten Variante, dem frühzeitigen Zahlungsabschluss, wird der Zahlungsbetrag direkt vom Kunden an den Händler transferiert, noch bevor die Bestellung beim Kunden eingetroffen ist. Bei dieser Bezahlvariante findet im Konfliktfall keine Vermittlung durch den Marktplatzbetreiber statt. Das Mehrparteien-Treuhandverfahren ist die dritte Bezahlmöglichkeit. Sie ist die technisch anspruchsvollste. Die Zahlungsbeträge werden erst freigegeben, wenn zwei der drei Akteure – Käufer, Verkäufer und Marktplatzbetreiber – die Transaktion bestätigen. Während die letztgenannte als die sicherste gilt, bestehen bei den ersten beiden Bezahlvarianten Betrugsmöglichkeiten durch den Akteur, der den Zahlungsbetrag zwischenlagert beziehungsweise erhält. Diese drei Mechanismen sind ein Indiz für die Selbstregulierung von Kryptomärkten abseits staatlicher Interventionen.

Mit Blick auf das Konfliktpotenzial besteht der entscheidende Unterschied zwischen materiellen Drogenmärkten und Kryptomärkten in der Qualität der "Streitfälle": Auf Ersterem gehören physische und psychische Gewalt zum Mittel der Wahl, um Konflikte zu "lösen", um Transaktionen durchzusetzen oder um die Zusammenarbeit mit der Polizei zu bestrafen. Da auf Kryptomärkten Transaktionen anonym und entpersonalisiert stattfinden, ist interpersonelle Gewalt kaum möglich. Laut einer Studie, an der weltweit 3.794 aktive Nutzer von Kryptomärkten teilgenommen haben, ist auf Plattformen im Darknet das Risiko für drogenbezogene Gewalt beziehungsweise für die Androhung dieser wesentlich kleiner als auf materiellen Drogenmärkten. 35 Prozent der Befragten berichteten von Gewalterfahrungen mit unbekannten Dealern auf der Straße; 24 Prozent gaben an, von einem ihnen bekannten Dealer bedroht worden zu sein und 14 Prozent berichteten von persönlichen Bedrohungen beim Handel mit befreundeten Dealern. Im Vergleich dazu erlebten lediglich 3 Prozent der Befragungsteilnehmer persönliche Bedrohungen beim Drogenkauf im Darknet.

Umgang mit anonymen Drogenmärkten

Der Prozess der Digitalisierung bringt weitreichende Veränderungen in verschiedenen Bereichen der Gesellschaft mit sich. Dies hat selbstverständlich ebenso Auswirkungen auf unterschiedliche Kriminalitätsformen. Beruhend auf neuen Informations- und Kommunikationstechnologien konnte sich ein Phänomen etablieren, das als kriminelle Innovation eingestuft werden kann. Dabei finden Drogenübergaben nicht in Form persönlicher Treffen statt, sondern werden mit virtuellen Währungen bezahlt und in äußerlich unauffälligen Sendungen verschickt. Die Zustellung übernimmt der ahnungslose Postdienst. Entsprechend groß sind die Herausforderungen, vor denen Strafermittlungsbehörden stehen.

Wie ist mit diesem neuen Phänomen auf politischer Ebene umzugehen? Laut einer empirischen Studie haben die Schließungen von Kryptomärkten durch Strafverfolgungsbehörden kaum Einfluss auf die Resilienz des Systems der anonymen Drogenmarktplätze. Die Autoren der Studie untersuchten die Auswirkungen der Operation Onymous – Behörden aus den USA und Europa legten im November 2014 zahlreiche Kryptomärkte still – auf die Umsätze im Darknet. Zwar habe die Aktion zum sofortigen Rückgang der Gesamtumsätze der Kryptomärkte geführt, aber schon nach einigen Wochen sei die Hälfte des Umsatzniveaus wieder erreicht worden. Nach Schließung der Marktplätze wichen die Kunden scheinbar nach einer kurzen Phase der Verunsicherung auf andere Märkte beziehungsweise Händler aus. Anhand des Verlaufs von Umsätzen ließ sich die begrenzte Wirkung von Strafverfolgungsaktivitäten verdeutlichen.

Unabhängig davon, ob die Operation Onymous zum gewünschten Resultat geführt hat oder nicht, müssen politische Entscheidungsträger neue Ansätze für den Umgang mit Kryptomärkten entwickeln. Neben den offensichtlichen Risiken, die mit dem erleichterten Zugang zu Drogenmärkten einhergehen, gibt es ebenso Chancen für eine Drogenpolitik, die sich dem Ansatz der Schadensminimierung verschreibt: zum einen aufgrund des geringeren Gewaltpotenzials beim anonymen Drogenkauf, zum anderen wegen der erhöhten Qualität der Substanzen – zumindest im Vergleich zur Qualität der Produkte auf der "Straße".

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Adrian Chen, The Underground Website Where You Can Buy Any Drug Imaginable, 1.6.2011, Externer Link: http://gawker.com/the-underground-website-where-you-can-buy-any-drug-imag-30818160.

  2. Vgl. Moritz Koch, Internet-Portal Silk Road – Drogen per Mausklick, 6.7.2011, Externer Link: http://www.sueddeutsche.de/digital/-1.1116625.

  3. Vgl. Tom Sundermann, Amoklauf von München: Der rechte Waffendealer, 27.8.2017, Externer Link: http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2017-08/amoklauf-muenchen-prozess-pistole-haendler.

  4. Vgl. Stephan Haselberger et al., Nach dem Amoklauf in München: Politische Forderungen und soziale Hintergründe, 24.7.2016, Externer Link: http://www.tagesspiegel.de/13920780.html.

  5. Vgl. James Martin, Drugs on the Dark Net. How Cryptomarkets Are Transforming the Global Trade in Illicit Drugs, New York 2014, S. 3.

  6. Siehe hierzu auch den Beitrag von Friedemann Brenneis in dieser Ausgabe (Anm. d. Red.).

  7. Siehe hierzu auch den Beitrag von Stefan Mey in dieser Ausgabe (Anm. d. Red.).

  8. Vgl. Intelliagg, Deeplight: Shining a Light on the Dark Web, Report 2016, Externer Link: http://deeplight.intelliagg.com/deeplight.pdf.

  9. Vgl. Daniel Moore/Thomas Rid, Cryptopolitik and the Darknet, in: Survival 1/2016, S. 7–38.

  10. Siehe DarkNet Stats, Externer Link: https://dnstats.net.

  11. Vgl. Martin (Anm. 5), S. 6.

  12. Vgl. Nicholas Christin, Traveling the Silk Road: A measurement Analysis of a Large Anonymous Online Marketplace, Proceedings of the 22nd International Conference on World Wide Web, International World Wide Web Conferences Steering Committee 2013.

  13. Vgl. Kyle Soska/Nicholas Christin, Measuring the Longitudinal Evolution of the Online Anonymous Marketplace Ecosystem, in: The USENIX Association (Hrsg.), Proceedings of the 24th USENIX Security Symposium, Washington D.C. 2015, S. 33–48.

  14. Vgl. Meropi Tzanetakis/Heino Stöver (Hrsg.), Drogen, Darknet und Organisierte Kriminalität, Baden-Baden 2017.

  15. Vgl. European Monitoring Centre for Drugs and Drug Addiction/Europol, EU Drug Markets Report. In-depth Analysis 2016, Luxemburg 2016, S. 27.

  16. Vgl. Tzanetakis/Stöver (Anm. 14).

  17. Vgl. Monica J. Barratt/Adam R. Winstock, Use of Silk Road, the Online Drug Marketplace, in the United Kingdom, Australia and the USA, in: Addiction 109/2014, S. 774–783.

  18. Vgl. Monica J. Barratt et al., ‚What if you live on top of a bakery and you like cakes?‘ – Drug Use and Harm Trajectories Before, During and After the Emergence of Silk Road, in: International Journal of Drug Policy 35/2016, S. 50–57.

  19. Vgl. ebd., S. 53.

  20. Vgl. Meropi Tzanetakis/Roger von Laufenberg, Harm Reduction durch anonyme Drogenmärkte und Diskussionsforen im Internet?, in: akzept e.V. Bundesverband für akzeptierende Drogenarbeit und humane Drogenpolitik (Hrsg.), 3. Alternativer Drogen- und Suchtbericht 2016, S. 189–194.

  21. Vgl. Peter Reuter, Disorganized Crime: The Economics of the Visible Hand, Cambridge 1983.

  22. Vgl. Barratt/Winstock (Anm. 17), S. 780.

  23. Vgl. Tzanetakis/Stöver (Anm. 14).

  24. Vgl. Meropi Tzanetakis et al., The Transparency Paradox. Building Trust, Resolving Disputes and Optimising Logistics on Conventional and Online Drugs Markets, in: International Journal of Drug Policy 35/2016, S. 58–68.

  25. Vgl. Ulrich Dolata/Jan-Felix Schrape (Hrsg.), Kollektivität und Macht im Internet. Soziale Bewegungen – Open Source Communities – Internetkonzerne, Wiesbaden 2018 (i.E.).

  26. Vgl. Tzanetakis et al. (Anm. 24), S. 64.

  27. Vgl. Meropi Tzanetakis, Online Drug Distribution: Alternatives to Physical Violence in Conflict Resolution, in: Marije Wouters/Jane Fountain (Hrsg.), Between Street and Screen. Traditions and Innovations in the Drugs Field, Lengerich 2015, S. 41–56.

  28. Vgl. Peter Reuter, Systemic Violence in Drug Markets, in: Crime, Law and Social Change: An Interdisciplinary Journal 3/2009, S. 275–284.

  29. Vgl. Monica J. Barratt/Jason A. Ferris/Adam R. Winstock, Safer Scoring? Cryptomarkets, Social Supply and Drug Market Violence, in: International Journal of Drug Policy 35/2016, S. 24–31.

  30. Vgl. Judith Aldridge/David Décary-Hétu, Not an "Ebay for Drugs": The Cryptomarket "Silk Road" as a Paradigm Shifting Criminal Innovation, 13.5.2014, Externer Link: https://ssrn.com/abstract=2436643.

  31. Siehe hierzu auch den Beitrag von Otto Hostettler in dieser Ausgabe (Anm. d. Red.).

  32. Vgl. Soska/Christin (Anm. 13).

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ist Erwin-Schrödinger-Fellow des österreichischen Wissenschaftsfonds und Gastforscherin am Institut für Kriminologie und Rechtssoziologie der Universität Oslo. Zu ihren Forschungsschwerpunkten gehören digitale Technologien, illegale Märkte sowie organisierte Kriminalität. E-Mail Link: meropi.tzanetakis@univie.ac.at