I. Die globale Wasserkrise und ihre politische Wahrnehmung
Knapp zehn Jahre nach der Konferenz der Vereinten Nationen für Umwelt und Entwicklung (Rio de Janeiro 1992) hat sich ein weiteres Umweltmedium einen Platz auf der internationalen politischen Agenda erobert: die Verknappung und Verschmutzung der globalen Süßwasserressourcen. Dieser Beitrag erörtert die Dimensionen der globalen Wasserkrise und untersucht, welche politischen Antworten auf internationaler Ebene formuliert wurden.
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1. Wasser wird knapp!
Es ist banal zu betonen, dass eine ausreichende Wasserversorgung zu den elementaren menschlichen Bedürfnissen zählt. Dabei verbraucht jeder Mensch täglich direkt (Trinkwasser) und indirekt (Nahrungsmittel, Industrieerzeugnisse) mehrere tausend Liter Süßwasser.
Für Trinkwasser wird von der WHO ein täglicher Mindestbedarf von 100 Litern pro Kopf angenommen. Während die direkt verbrauchte Trinkwassermenge damit relativ gering ist, geht in die Nahrungsmittelproduktion erheblich mehr ein: Die Bewässerung von einem Hektar Land in Trockengebieten erfordert ca. 10 000 Kubikmeter pro Jahr. Hinzu kommt ein durchschnittlicher Wasserverbrauch für Industrieprodukte von 40 Kubikmeter pro Kopf pro Jahr. Dabei sind die Anteile der jeweils dominierenden Nutzungsformen in Industrie- und Entwicklungsländern sehr unterschiedlich:
- Die Landwirtschaft ist mit 69 Prozent der größte Wassernutzer. In Ländern mit einem hohen Anteil an Bewässerungslandwirtschaft (u. a. China, Indien, Pakistan, Indonesien, die nordafrikanischen Länder) liegt der Anteil der landwirtschaftlichen Entnahme bei über 80 Prozent.
- Die industrielle Entnahme liegt im weltweiten Durchschnitt bei 23 Prozent. Allerdings variiert dies stark zwischen Industrie- (60 bis 80 Prozent) und Entwicklungsländern (10 bis 30 Prozent). Ein großer Anteil entfällt auf die Stromproduktion, Grundmetalle, chemische Industrien, Erdölraffinerien etc.
- Die Entnahme für die Versorgung der Haushalte liegt bei acht Prozent; dieser Anteil dürfte ansteigen, da viele Haushalte in den ländlichen Gebieten der Entwicklungsländer unterversorgt sind. Kritisch ist die Versorgung auch in den Megastädten mit ihrer rasch wachsenden Bevölkerung. 1,3 Milliarden Menschen haben keinen Zugang zu ausreichendem und sauberem Wasser, 1,7 Milliarden müssen ohne sanitäre Einrichtungen auskommen.
- Während man für die traditionellen Sektoren ungefähre Entnahmeangaben machen kann, ist dies für die Erhaltung von Ökosystemen als Lebensraum für Pflanzen und Tiere, aber auch für ihre Funktion als natürliche "Produktionsstätten" (Fischvorkommen), für ihren Freizeitwert und den Erhalt der Selbstreinigungskraft von Gewässern schwer möglich.
Wasser gilt dann als ein knappes Gut, wenn Probleme bei der Befriedigung der Wasserbedürfnisse auftreten. Es ist jedoch schwierig, Wasserknappheit exakt zu definieren, da es sich hierbei um ein relatives Konzept handelt, das mit sozialen und ökonomischen Bedingungen in Beziehung steht. Von absolutem Wassermangel kann nur dann gesprochen werden, wenn zu wenig Wasser zur Verfügung steht, um selbst minimale Bedürfnisse (Trinkwasser, Hygiene) zu befriedigen. Diese Situation ist aber selbst in Trockengebieten nicht gegeben.
Gebräuchliche, von hydrologischer Seite entwickelte Indikatoren der Wasserknappheit orientieren sich entweder an der Relation Bevölkerung zu verfügbaren Wassermengen (demographische Dimension)
- Wenn in einem Land mehr als 1 700 Kubikmeter pro Kopf und Jahr zur Verfügung stehen, liegen Knappheiten selten vor und treten eher lokal auf;
- unter 1 000 Kubikmeter/Kopf/Jahr ist eine kritische Grenze erreicht, ab der Gesundheitsbedingungen und wirtschaftliche Entwicklung beeinträchtigt sind;
- unter 500 Kubikmetern pro Kopf und Jahr erreicht die Wasserknappheit ein lebensbedrohendes Ausmaß.
Letzteres ist bereits in 15 Ländern der Fall (vgl. die Tabelle); zwölf Länder haben zwischen 500 und 1 000, und 22 Länder liegen zwischen 1 000 und 2 000 Kubikmetern pro Kopf und Jahr. Die VN-Kommission für nachhaltige Entwicklung (VN-CSD) interpretiert Wasserknappheit in ihrer technischen Dimension: Länder sind von einem mittleren bis hohen Wasserstress betroffen, wenn die jährlich entnommene Menge 20 Prozent des gesamten erneuerbaren Süßwasservorrats überschreitet. Bei über 40 Prozent wird von einem eindeutig hohen Wasserstress ausgegangen. Demnach lebt derzeit etwa ein Drittel der Bevölkerung in Ländern, die von mittlerem bis hohem bzw. eindeutig hohem Wasserstress betroffen sind.
Diese Einschätzungen vermitteln ein grobes Bild der globalen Wasserkrise; sie sind allerdings umstritten, da sie Wasserknappheit vorrangig als ein Problem des Angebots behandeln. Aufbauend auf dem methodischen Ansatz der VN-CSD wurde daher versucht, Wasserknappheit auch über Nachfrageprognosen zu bestimmen und Länder dementsprechend zu klassifizieren.
Die Einstufung von ganzen Ländern als wasserknapp ist methodisch nicht völlig überzeugend, da Wasserknappheit ein regional äußerst differenziert zu betrachtendes Phänomen ist. Selbst in Ländern, die nach den gängigen Indikatoren unter Wasserstress leiden, gibt es Regionen, in denen dies nicht zutrifft. Andere, wasserreiche Länder wie Brasilien kennen Regionen mit starker Wasserknappheit. Trotz dieser notwendigen Einschränkung weisen alle Indikatoren - immer unter der Annahme, dass keine Gegenmaßnahmen ergriffen werden - auf eine deutliche Zunahme des von Wasserstress betroffenen Anteils der Weltbevölkerung hin.
Die Verschmutzung von Oberflächen- und Grundwasser ist das zweite zentrale Merkmal der Wasserkrise. Schadstoffe und Nährsalze beeinträchtigen die Nutzung der Binnengewässer. Die Übernutzung und Verschmutzung der Grundwasservorkommen in vielen Teilen der Welt wird von Experten als ein zentrales Problem der zukünftigen Wasserversorgung betrachtet, vor allem in Trockengebieten. Nach Schätzungen werden weltweit z.Z. nur etwa fünf Prozent der Abwässer geklärt, wobei auch in OECD-Staaten noch erhebliche Defizite bestehen. Zusätzlich deuten alle Indikatoren darauf hin, dass die biologische Vielfalt der weltweiten Süßwasserökosysteme abnimmt, mit negativen Folgen für den Naturhaushalt und die hiervon abhängigen Bewirtschaftungsweisen. Schließlich wird erwartet, dass mit dem globalen Klimawandel Überschwemmungen und Dürren zunehmen, von denen vor allem die Länder des Südens betroffen sein werden.
2. Erste globale Aktionsprogramme: Ernüchterung und Umdenken
Als Ausgangspunkt der globalen Wasserpolitik kann die Mar del Plata World Conference on Water Resources der VN im Jahre 1977 angesehen werden. Dort wurde die unzureichende Wasserversorgung primär als Restriktion sozialer und wirtschaftlicher Entwicklung von globalem Ausmaß thematisiert. Die Konferenz beschloss, die achtziger Jahre zur International Drinking Water Supply and Sanitation Decade auszurufen, während der der Versorgungsgrad auf 100 Prozent erhöht werden sollte. Das Ergebnis der Anstrengungen war jedoch ernüchternd:
1. Auf internationaler Ebene wurde der Abschied von dem ingenieursorientierten, primär auf Ausweitung des Wasserangebots fixierten Politikansatz eingeleitet. Pointiert: Die Wasserdekade war noch von der Vorstellung geprägt, Wasserknappheiten ließen sich in erster Linie durch die kostenintensive Ausweitung technischer Kapazitäten der Wasserver- und -entsorgung überwinden, die durch öffentliche Wasserbehörden betrieben und mit Hilfe staatlicher Subventionen finanziert werden. Dabei wurde allerdings die Wassernutzung kaum beachtet, die Wasserpreise lagen in vielen Ländern weit unter den Betriebs- und Unterhaltungskosten der Anlagen, während Umweltwirkungen oder sozioökonomische Folgen eine untergeordnete Rolle spielten. Ende der achtziger Jahre wurden zudem alarmierende Erkenntnisse über zu erwartende regionale Wasserknappheiten veröffentlicht.
2. Die Diskussion des Leitbildes der Nachhaltigen Entwicklung in der Folge des 1987 veröffentlichten Brundlandt-Berichts
3. Die nach dem Ende des Kalten Krieges veränderten entwicklungspolitischen Rahmenbedingungen beschleunigten auf Seiten der internationalen Geber eine generelle Umorientierung, in deren Mittelpunkt die Einsicht stand, dass wirtschaftliche Entwicklung und die nachhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen nur erreicht werden können, wenn entsprechende institutionelle und administrative Gegebenheiten in den betreffenden Ländern vorhanden sind. Schlagworte sind hier: gute Regierungsführung (good governance), administrative Dezentralisierung, institutioneller Wandel, Partizipation gesellschaftlicher Gruppen und privater Akteure in Entscheidungsprozessen.
Diese komplementären und teils sich überlappenden Trends haben in den vergangenen Jahren zur Herausbildung eines neuen wasserpolitischen Konsenses geführt. Die Wasserkrise ist demnach nicht vorrangig hydrologisch zu definieren, sondern sie ist in erster Linie ein Managementproblem in den betroffenen Ländern, deren Problemlösungspotenzial und Handlungskapazität nicht ausreicht, um die Verbrauchsmuster den Knappheiten anzupassen. In diesem Sinne weisen Länder ein social ingenuity gap (Mangel an gesellschaftlichem Einfallsreichtum und Innovationsfähigkeit) auf, nicht aber absolute Wasserarmut. Auslöser der Krise sind schwache Institutionen, fragmentierte und ineffektive Politikansätze und die Dominanz sektorspezifischer Programme ohne ausreichende Beachtung langfristiger Folgen. Adäquate Lösungen können folglich nur dann gefunden werden, wenn auf internationaler wie nationaler Ebene Regeln für einen guten Umgang mit Wasser, also politische, institutionelle und ökonomische Reformen, etabliert werden.
3. Ein neues Leitbild als Konsens im Verhandlungssystem der Vereinten Nationen
Die Herausforderungen für solche Reformen liegen auf drei Ebenen:
- Das Allokationsproblem besteht darin, bei wachsender Nachfrage und teils inkompatiblen Nutzungsansprüchen eine angemessene und akzeptierte Aufteilung der entnommenen Wassermenge auf die konkurrierenden Sektoren (Haushalte, Landwirtschaft, Industrie) zu organisieren.
- Die Aufteilung von Wassermengen und Schadstoffeinleitungen zwischen Ober- und Unterlauf der Flüsse bedarf entsprechender Verteilungsregeln, die eine große politische Bedeutung sowohl innerhalb der Länder als auch zwischen Anrainerstaaten haben.
- Ferner muss knappes Wasser zwischen gesellschaftlichen Verwendungszwecken und den Bedürfnissen aquatischer und terrestrischer Ökosysteme aufgeteilt werden; für Letztere müssen ökologisch angemessene Mindestabflussmengen in den Flüssen verbleiben.
Von besonderer Bedeutung ist daher ein integriertes Wassermanagement, bei dem sämtliche wasserrelevante Sektoren koordiniert werden. Als adäquate räumliche Bezugsebene - und hier greift die aktuelle wasserpolitische Diskussion auf ein älteres Konzept zurück
Auf programmatischer Ebene hat die internationale Wasserpolitik die Notwendigkeit des integrierten Wassermanagements seit Anfang der neunziger Jahre anerkannt. Deutlich wurde dieser Schwenk bei der als Meilenstein einzuschätzenden International Conference on Water and the Environment (Dublin 1992) und im Verlauf der Beratungen des Wasserkapitels der Agenda 21 (Rio de Janeiro 1992). Diese brachte trotz einiger Kontroversen zu grenzüberschreitenden Gewässern, ökologischen Aspekten und Wasserpreisen letztlich einen Durchbruch: Man einigte sich auf Grundprinzipien des globalen Umgangs mit Süßwasserressourcen.
Das Leitbild des integrierten Gewässermanagement ist seitdem auf zahlreichen internationalen Konferenzen und in verschiedenen Deklarationen bestätigt und konkretisiert worden, so bei der sechsten Sitzung der VN-Kommission für Nachhaltige Entwicklung (CSD-6) 1998. Über wesentliche Fragen bestand Einigkeit; eine Reihe von inhaltlichen Konfliktpunkten und der strittige Finanzierungsaspekt zwischen dem Norden und dem Süden lähmten jedoch weitere Fortschritte. Mittlerweile kann man aber eine programmatische Kontinuität in internationalen Übereinkommen feststellen, die sich - wenngleich häufig in recht unverbindlicher Terminologie - auch bei Konferenzen außerhalb des VN-Verhandlungssystems fortsetzt, zuletzt mit der Ministerdeklaration des Second World Water Forum (Den Haag 2000). Es ist anzunehmen, dass auch die im nächsten Jahr in Johannesburg stattfindende Rio+10-Konferenz diesen internationalen Konsens in seinen Grundzügen bestätigen wird.
Die Umsetzung eines integrierten Wassermanagements richtet sich in erster Linie an nationale Regierungen und an internationale Organisationen, allerdings gibt es keine verbindlichen Vereinbarungen über konkrete Umsetzungsverpflichtungen und robuste Kontroll- und Finanzierungsmechanismen. Teilweise sind die Staaten im Rahmen anderer Konventionen (z. B. Ramsar-Konvention zu Feuchtgebieten, Biodiversitätskonvention) konkretere Verpflichtungen eingegangen, deren Umsetzung mit Mitteln der Global Environmental Facility unterstützt wird.
Das Leitbild des integrierten Gewässermanagements stellt heute die Arbeitsgrundlage aller mit Wasserfragen befassten VN-Organisationen (UNDP, UNEP, FAO, WHO, UNESCO etc.) dar, deren Aktivitäten vom ACC
4. Zunahme an Komplexität
Die Aufgaben der nationalen Wasserpolitik und der internationalen Zusammenarbeit sind nach der Abkehr vom Angebotsparadigma allerdings nicht einfacher geworden. In Zeiten, als die Erschließung neuer Wasserressourcen als die zentrale Herausforderung angesehen wurde, waren technische, logistische und finanzielle Probleme zu klären, die häufig zwar schwierig, generell aber überwindbar erschienen. Zusätzlich zu diesen müssen bei der Umsetzung eines integrierten Wassermanagements noch andere, administrativ und politisch wesentlich komplexere Aufgaben bewältigt werden: Umfangreiche Informationen über den Status der Gewässer und der Wassernutzung sind notwendig; in offenen Entscheidungsprozessen sind Prioritäten für die Wasserverteilung zu entwickeln sowie Regeln und Instrumente für das demand management zu implementieren, die eine optimale Wassernutzung ermöglichen.
Notwendige Reformen müssen vor dem Hintergrund häufig inkompatibler Ansprüche der verschiedenen Sektoren, z. B. von städtischen und ländlichen Regionen, erfolgen. In der Praxis sind Wasserbehörden und andere wasserrelevante Verwaltungen häufig finanziell und personell schlecht ausgestattet und stark an Ressortinteressen ausgerichtet. Vor allem die notwendige Koordination von Flächennutzungs- und Wassermanagement wirft in der Umsetzung viele Fragen auf, und ihre Notwendigkeit wird nicht von allen Akteuren gesehen. Schließlich können grenzüberschreitende Flüsse nicht ohne die Kooperation zwischen Anrainerstaaten in einem integrierten Sinne bewirtschaftet werden.
II. Grenzüberschreitende Flüsse: Krisenregionen oder regionale Kooperation?
Weltweit gibt es 261 grenzüberschreitende Flüsse. 19 haben mehr als fünf Anrainerstaaten; der Amazonas, das Ganges-Brahmaputra-Meghna-Flusssystem, der Jordan, Euphrat, Tigris und Rhein haben zwischen fünf bis acht Anliegerstaaten; der Kongo, der Niger, der Nil und der Sambesi zwischen neun und elf, die Donau 17. Sie stellen 60 Prozent der weltweiten Süßwasserressourcen und sind Siedlungsgebiet von 40 Prozent der Weltbevölkerung. Da die Nutzung und wasserbauliche Maßnahmen am Oberlauf der Flüsse die Nutzungsmöglichkeiten stromabwärts beeinflussen, treten Nutzungskonflikte zwischen den Anrainerstaaten auf, wenn die Nutzungen an Ober- und Unterlauf bei Wassermengen oder -qualität nicht kompatibel sind.
Zu Beginn der neunziger Jahre sagten einige Wissenschaftler Wasserkriege für das 21. Jahrhundert voraus,
- Die beabsichtigte Ableitung der Quellwasser des Jordan nach Syrien und Jordanien war ein Grund für den Sechstage-Krieg (1967).
- Der Bau des syrischen Tabqa-Dammes (1975) brachte Syrien und Irak an die Schwelle eines Krieges; der Bau türkischer Dämme am Euphrat in den neunziger Jahren verschärfte die Spannungen zwischen der Türkei und Syrien.
- Auf die Ankündigung Äthiopiens, Dämme am Blauen Nil zu bauen, reagierte der damalige ägyptische Präsident Sadat mit der Androhung, die Baustellen zu bombardieren.
Die Annahme, dass gewaltsame Konflikte zwischen Anrainerstaaten um knapper werdende Wasserressourcen an grenzüberschreitenden Flüssen in Zukunft an der Tagesordnung sein würden, begründete man mit der zunehmenden Knappheit der Ressource. Das enorme Bevölkerungswachstum und die steigende Nachfrage nach Wasser führten zu verschärfter Konkurrenz. Da die Wasservorkommen begrenzt seien, Wasser nicht substituiert werden könne und Wasser für die Selbstversorgung der Länder mit Nahrungsmitteln existentiell sei, würden die Staaten Konflikte um die knappe Ressource notfalls gewaltsam austragen. An grenzüberschreitenden Flüssen sei zudem eine nicht-kooperative Konfliktkonstellation typisch: Die Oberanrainerstaaten seien durch ihre Lage naturgemäß in der Position des Stärkeren. Eingriffe am Oberlauf wirkten sich in der Regel negativ auf die "ohnmächtigen" Unteranlieger aus, die darauf möglicherweise mit Gewalt reagierten.
Die Gleichung "Wasser = Konflikt = Krieg" ist jedoch nur auf den ersten Blick plausibel:
- Staaten am Unterlauf haben etliche wasserpolitische Optionen, ihre Abhängigkeit von der Wassernutzung am Oberlauf der Flüsse zu verringern, z. B. Wassereinsparung und -substitution, die Wiederverwendung von Industrie- und Haushaltsabwässer in der Landwirtschaft etc.
- Allein in den letzten 50 Jahren wurden weltweit in 1 800 Abkommen an grenzüberschreitenden Gewässern Nutzungskonflikte beigelegt. Viele der Verträge beziehen sich auf die Schifffahrt, aber auch auf Wassermengenregelungen und Wasserqualitätsprobleme. Zwischenstaatliche Gremien wurden eingesetzt wie die Internationalen Kommissionen zum Schutz des Rheins und der Donau, die Gemeinsame Kommission von USA und Kanada, die Zambesi River Authority, die Organisation pour la Mise en Valeur du Fleuve Senegal, die Mekong River Commission etc.
- Grenzüberschreitende Wasservorkommen waren oft ein Katalysator für Kooperation zwischen feindlichen Anrainerstaaten, die über territoriale oder andere, nicht auf das Wasser bezogene Streitfragen Kriege oder Scharmützel austrugen.
- Oft waren es die Staaten am Unterlauf, die zuerst Flusswasser nutzten und deshalb ein Erstnutzungsrecht beanspruchen (z. B. Irak, Syrien, Ägypten). Wenn Staaten über ein militärisches oder sonstiges Drohpotential verfügen, um ihr Erstnutzungsrecht zu erhalten, können sie Oberanrainer in ihren Entwicklungsmöglichkeiten blockieren.
- Nicht alle Nutzungen am Oberlauf wirken sich negativ aus: Dämme schützen stromabwärts gelegene Staaten vor Hochwasser; Staureservoire garantieren die Verfügbarkeit von Wasser in Trockenperioden; die Ablagerung von Sedimenten in den Reservoiren verbessert die Wasserqualität etc.
- Zwar ist die Zusammenarbeit an den meisten grenzüberschreitenden Flüssen noch weit von einem integrierten Flussgebietsmanagement entfernt; gleichwohl gibt es an manchen Flussgebieten umfassendere Abkommen, die über die Durchführung einzelner Projekte hinausgehen.
1997 veröffentlichte eine Gruppe amerikanischer Wissenschaftler der Oregon State University die Transboundary Freshwater Dispute Data Base,
Auch wenn damit die These der Wasserkriege keine empirische Relevanz hat, kann nicht ausgeschlossen werden, dass sich in Zukunft das Konfliktpotenzial erhöht. Bei rasch wachsender Bevölkerung an grenzüberschreitenden Flüssen müssen neue Entscheidungen über die Wasseraufteilung getroffen werden. Nicht nur Industriezentren und Städte werden mit der Landwirtschaft um die knappe Ressource konkurrieren, sondern auch Provinzen und Nachbarstaaten. Ob Anrainerstaaten auf Konflikte zusteuern, hängt in vielen Fällen davon ab, ob sie alternative wasserpolitische Optionen ausschöpfen. Dies ist eine Frage der damit verbundenen volkswirtschaftlichen Kosten und der Handlungskapazitäten der betroffenen Länder. Die Steigerung der Problemlösungsfähigkeiten in diesen Staaten hat damit auch die wichtige Funktion der Konfliktprävention. Grenzüberschreitende Wasservorkommen und ihre unila-terale Erschließung sind aber weiterhin eine Quelle von Spannungen, solange es keine einvernehmlichen Regelungen gibt. Deshalb haben z. B. die US-Regierung, die NATO und die OECD Arbeitsgruppen eingerichtet, um die Entwicklung in so genannten Basins at Risk (kritische Flussgebiete) zu beobachten.
III. Handlungsfelder und Konfliktlinien
Im Verhandlungssystem der Vereinten Nationen konnte ein allgemeiner Konsens über Prinzipien und Empfehlungen eines integrierten Wassermanagements erreicht werden. Das neue Leitbild kann jedoch nicht verdecken, dass unterhalb der Ebene der in der Mehrzahl der Deklarationen eher unscharf formulierten Prinzipien und Empfehlungen noch abweichende Auffassungen darüber vorliegen, was den guten Umgang mit Wasser im Einzelnen auszeichnet, welche Konsequenzen sich daraus ergeben und welche völkerrechtlichen Vorkehrungen für grenzüberschreitende Gewässer getroffen werden müssen.
1. Streit um die Finanzierung
Eines der strittigsten Themen des Rio-Folgeprozesses ist die Forderung der Entwicklungsländer nach zusätzlichen finanziellen Ressourcen, da die Industriestaaten ihre Zusicherung, die Entwicklungshilfe auf 0,7 Prozent ihres Bruttosozialproduktes aufzustocken, deutlich unterschreiten. Erhebliche zusätzliche Finanzmittel wären aber notwendig, um das von der VN-Generalversammlung in ihrer Millenium-Deklaration formulierte Ziel, bis 2015 den Anteil der Weltbevölkerung ohne Zugang zu sicherem Trinkwasser zu halbieren, zu erreichen. Jüngere Schätzungen gehen von einem jährlichen weltweiten Investitionsbedarf von 180 Mrd. US-Dollar aus.
Zur Mobilisierung weiterer finanzieller Mittel setzen die großen Geberländer auf die Einbeziehung privater Unternehmen und auf höhere Wasserpreise als Finanzierungsoption, während die G-77-Staaten (Gruppe der Entwicklungsländer) zusätzliche Finanzmittel fordern, von deren Bereitstellung sie abhängig machen, ob sie ökologischen Fragen des Wassermanagement oder institutionellen Reformen zustimmen.
2. Wasser - ein ökonomisches Gut?
Eng hiermit verknüpft ist die Kontroverse, ob Wasser als ein ökonomisches Gut behandelt werden sollte. Sollen kostendeckende Wasserpreise eingeführt werden? Oder soll man Wasser wegen seiner existentiellen Bedeutung als ein soziales Gut betrachten, das mit staatlichen Mitteln bereitzustellen ist?
Generell wird die Diskussion um Wasserpreise heute sehr viel pragmatischer geführt als noch vor einigen Jahren. Hatte man vor Jahren z. B. den Koran bemüht, um Wasserpreise abzulehnen (Wasser ist ein freies Gut und ein Geschenk Allahs), so deutet sich eine erhöhte Akzeptanz ökonomischer Überlegungen an.
3. Privatisierung als Rettung?
Ähnlich konfliktreich ist die Auseinandersetzung um die Rolle der Privatwirtschaft im Wassersektor.
Kritiker betonen, dass das Engagement privater Unternehmen ohne effektive staatliche Regulierung nicht funktioniere, gerade hierfür aber in vielen Ländern die rechtlichen und administrativen Voraussetzungen fehlten. Risiken liegen z. B. in der Preisgestaltung, da Wettbewerb in der Wasserversorgung aufgrund der Leitungsgebundenheit nur eingeschränkt funktioniert. Ferner sei - ohne entsprechende Regulierung und Kontrolle - die Trinkwasserqualität nicht garantiert. Es werden zur Zeit verschiedene Modelle der Einbeziehung privater Unternehmen diskutiert, und es zeigt sich, dass meist Zwischenlösungen zwischen ausschließlich öffentlicher Bereitstellung und vollständiger Privatisierung gewählt werden. Tatsächlich ist der Privatisierungsprozess in den Entwicklungsländern noch nicht weit fortgeschritten. Das private Engagement konzentriert sich auf die städtische Wasserversorgung, während wegen der geringen Rentabilität kaum Fortschritte in ländlichen Regionen und in den am wenigsten entwickelten Ländern gemacht werden konnten. Mögliche Gefahren der Liberalisierung des Wassersektors sind zuletzt im Kontext des 1995 in Kraft getretenen Allgemeinen Abkommens über den Handel mit Dienstleistungen (GATS) thematisiert worden; auf einen Konsens über die notwendigen internationalen Rahmenbedingungen für das Engagement privater Unternehmen konnte man sich noch nicht einigen.
4. Ökologisches Wassermanagement?
Die ökologische Dimension von Wasserverknappung und Wasserverschmutzung ist auf internationaler Ebene erkannt. Gleichwohl weichen die Meinungen erheblich voneinander ab, welche Rolle ökologische Aspekte bei Managemententscheidungen spielen sollten. Dies gilt vor allem dann, wenn diese über die unmittelbare Abwehr von Gesundheitsrisiken z. B. beim Trinkwasserkonsum hinausgehen, Konflikte zwischen ökologischen und ökonomischen Zielen bestehen oder die nationale Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln gefährdet ist. In den internationalen Diskussionen wird derzeit die Umsetzung eines ökosystemaren Ansatzes erörtert, der auf eine langfristige Aufrechterhaltung von Funktionen und Leistungen der Süßwasserökosysteme abzielt. Eine hierfür notwendige holistische Herangehensweise - unter Einschluss gewässermorphologischer Aspekte sowie der Landnutzung im Einzugsgebiet der Gewässer - ist aber selbst in OECD-Ländern erst in Ansätzen sichtbar. In einigen Entwicklungsländern besteht weiterhin die Einschätzung, dass der Norden in internationalen Verhandlungen zu einer Überakzentuierung ökologischer Aspekte tendiere, die er selbst nicht umsetze und deren Realisierung die Länder des Südens überfordere. Wissenschaftler argumentieren hingegen, dass ein ökosystemar ausgerichtetes Gewässermanagement in der Regel im Norden wie im Süden auch ökonomisch vorteilhaft ist, wenn sämtliche Leistungen und Funktionen der Süßwasserökosysteme bei der Kalkulation berücksichtigt werden.
5. Maximalforderungen oder Pragmatismus an grenzüberschreitenden Flüssen?
Wie Nutzungskonflikte zwischen Ober- und Unteranliegerstaaten völkerrechtlich kodifiziert werden sollen, ist von der internationalen Staatengemeinschaft über 30 Jahre lang verhandelt worden. Die Helsinki Rules (1966) der International Law Association waren die erste Initiative für eine Konvention; doch erst im Mai 1997 hat die VN-Generalversammlung mehrheitlich - mit nur drei Gegenstimmen bei 27 Enthaltungen - die Konvention über das Recht der nicht schifffahrtlichen Nutzung internationaler Wasserläufe verabschiedet. Die Verhandlungen um einen Interessenausgleich zwischen Ober- und Unteranliegerstaaten und zwischen Nutzung und Schutz der Ressource waren oft sehr konfliktreich, und man konnte sich nur auf wenige vorwärts weisende Lösungen einigen.
Während diese Konventionen Prinzipien und Spielregeln formulieren, wie widerstreitende nationalstaatliche Interessen und Zielkonflikte zwischen Nutzung und Schutz einvernehmlich gelöst werden sollen, stellen erfolgreiche Verhandlungsprozesse und langjährige Zusammenarbeit an grenzüberschreitenden Flüsse reichhaltige Erfahrungen bereit. Sie legen die grundlegende Empfehlung nahe, dass eine zwischen allen Anrainerstaaten unumstrittene Datenbasis über die Wasserressourcen der Ausgangspunkt jeder erfolgreichen Verhandlung ist. Benefit sharing ist ein viel versprechendes Konzept, das mehr Optionen zur Lösung von Nutzungskonflikten bereithält als das Festhalten an nationalen Souveränitätsansprüchen über bestimmte Wassermengen (water sharing).
IV. Institutionelle Fortentwicklung der globalen Wasserpolitik
Die Entwicklung der globalen Wasserpolitik hat zur Herausbildung eines neuen globalen Konsenses geführt und wertvolle Denkanstöße geleistet. Allerdings zeigt die Liste der Handlungsfelder und Konfliktlinien, die noch ergänzt werden könnte (z. B. Staudämme, Ernährungssicherheit), dass der globale wasserpolitische Konsens fragil ist, wenn es um konkrete Lösungsstrategien und Umsetzungsschritte geht. Dies trifft auf die Länder des Nordens wie des Südens zu. Ist die globale Wasserpolitik damit für die Lösung der Krise gerüstet?
Es sind Bedenken angebracht: So überzeugend die inhaltliche Neuorientierung ist, sind doch entscheidende Schwächen mangelnde Reformen in den einzelnen Ländern sowie die unzureichende institutionelle Verankerung des Themas in der globalen Umwelt- und Entwicklungspolitik. Die Weltgemeinschaft hat sich nämlich erheblich schwer damit getan - jenseits der Rhetorik internationaler Vereinbarungen -, ein kohärentes, Industrie- und Entwicklungsländer verpflichtendes Regelwerk für den Umgang mit Süßwasser zu entwickeln.
Dies hat auch mit den Charakteristika der Wasserkrise zu tun, die sich durch eine bemerkenswerte Verschränkung lokaler, nationaler, staatenübergreifender und globaler Probleme und Wechselbeziehungen auszeichnet. Hier geht es nicht darum - wie z. B. bei der globalen Klima- oder Ozonpolitik -, die Reduzierung global relevanter Emissionen zu verabreden. Das Gut Wasser ist räumlich gebunden, wodurch Maßnahmen in der Regel dezentral, an einzelnen Flussgebieten ansetzen müssen. Eine internationale - nicht globale - Dimension haben Schadstoffe und Mengenprobleme an grenzüberschreitenden Flüssen und Seen. Eine eigentlich globale Relevanz hat das Thema jedoch wegen der elementaren Bedeutung der Ressource, der potenziell auch räumlich weitreichenden Folgen (Migration, Ausweitung von Konflikten, Zerstörung weltweit bedeutsamer Ökosysteme etc.) sowie des hohen Bevölkerungsanteils und der vielen Länder, die unter Wasserstress leiden.
Da es sich damit um eine mehrschichtige Problemstruktur handelt, ist es aus sozialwissenschaftlicher Perspektive plausibel, dass die Formulierung gemeinsamer Ziele, Grundsätze und Managementregeln, verbunden mit sektoralen Unterstützungsprogrammen, in der internationalen Wasserpolitik bislang im Vordergrund steht. Eine Festlegung weltweit verbindlicher Regeln zu Wassermengen und -qualität wäre nicht der richtige Weg und ist auch politisch nicht realisierbar. Zudem muss beachtet werden, dass das Wasserthema bereits relativ lange seinen Platz auf der internationalen Agenda hat und zahlreiche sektorale Programme und Maßnahmen, vor allem im Kontext der internationalen Entwicklungspolitik, durchgeführt werden. Die Fortentwicklung der globalen Wasserpolitik kann daher auch nicht vor dem Hintergrund einer institutionellen Tabula rasa gedacht werden, sondern ist im Kontext eines weit gefächertes Spektrums von internationalen Organisationen und regionalen Aktivitäten zu erörtern, zu dem zunehmend auch private Akteure und Nichtregierungsorganisationen zu zählen sind.
Mögliche Handlungsoptionen können danach differenziert werden, ob erstens Regelungen für grenzüberschreitende Gewässer entwickelt werden sollen, oder ob zweitens der allgemeine wasserpolitische Konsens (integriertes Wassermanagement) global institutionell untermauert und umgesetzt werden soll.
1. Globale Regelungen für den Umgang mit grenzüberschreitenden Gewässern liegen seit der Verabschiedung der VN-Konvention und regionaler Konventionen für internationale Wasserläufe vor. Diese Regelungen stellen einen weltweiten Mindeststandard für die Anrainerstaaten grenzüberschreitender Gewässer dar und könnte durch zusätzliche Protokolle und Verträge fortgeschrieben werden. Ob alternative Mechanismen zur Konfliktprävention etabliert werden - neben dem Internationalen Gerichtshof -, hängt von den beteiligten Anrainerstaaten ab; allerdings spielen internationale Organisationen und neutrale Drittstaaten eine wesentliche Rolle beim organisierten Erfahrungsaustausch, der Vertrauensbildung, der Konfliktlösung und der Finanzierung.
2. Die bisherigen Erfahrungen haben gezeigt, dass das Auflegen neuer globaler Aktionsprogramme allein kein Königsweg für den Aufbau nationaler Handlungskapazitäten im Wassermanagement ist. Wünschenswert wäre, ein solches Aktionsprogramm im Zusammenhang mit der Verabschiedung eines politisch - möglichst auch rechtlich - verbindlichen Übereinkommens zu entwickeln und umzusetzen. Hier könnten Erfahrungen der Biodiversitäts- und die Desertifikationskonvention einfließen, die von ihrer Problemstruktur mit der Wasserkrise vergleichbar komplexe Themenstellungen angehen. Von einem völkerrechtlich verbindlichen Übereinkommen mit bindenden Berichts- und Kontrollmechanismen, einer verbesserten Finanzierung sowie wissenschaftlichen Ausschüssen könnten wohl am ehesten Impulse in Richtung einer Effektivierung internationaler Programme und die Nutzung von Synergismen mit bestehenden globalen Institutionen ausgehen.
Die Erwartungen an die Rio+10-Konferenz im Jahr 2002 sind groß. Die europäischen Staaten können darauf dringen, dass dem Wasserthema bei den Verhandlungen eine hohe Priorität zukommt. Die International Conference on Freshwater, die die deutsche Bundesregierung in Vorbereitung der Rio+10-Konferenz ausrichtet, bietet dafür ein wichtiges Forum. Es wäre wünschenswert, wenn der Rio+10-Prozess über die bloße Wiederholung von Altbekanntem hinausginge und nicht nur erneut deklaratorisch einen Handlungsbedarf betonen würde.