Populismus in Echtzeit
Analyse des TV-Duells und des TV-Fünfkampfs im Vorfeld der Bundestagswahl 2017
Thorsten Faas Jürgen Maier Michaela Maier Simon Richter
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Am Beispiel des TV-Duells und des TV-Fünfkampfs aus dem Bundestagswahlkampf 2017 wird in diesem Beitrag untersucht, wie hoch der Anteil populistischer Aussagen in den beiden Diskussionsrunden war und wie das Publikum darauf reagierte.
Populistische Parteien sind auf dem Vormarsch. Der Erfolg der Alternative für Deutschland (AfD), die bei der Bundestagswahl 2013 mit 4,7 Prozent der Stimmen noch knapp den Einzug in den Deutschen Bundestag verpasste, zeugt davon: 12,6 Prozent der Zweitstimmen machten die AfD bei der Bundestagswahl 2017 zur drittstärksten Kraft im Parlament, in dem sie zukünftig mit über 90 Abgeordneten vertreten sein wird.
Im Wahlkampf 2017 wurde aber nicht nur mit Blick auf die AfD häufig der Vorwurf erhoben, die Partei sei oder agiere populistisch. Auch an die Adresse anderer Parteien und Politiker wurden mitunter Vorwürfe laut, eine bestimmte Behauptung oder Forderung sei "populistisch". Der genaue Inhalt des Vorwurfs bleibt dabei häufig unklar, was unmittelbar zwei Fragen aufwirft, die wir im Rahmen dieses Beitrags näher betrachten wollen. Wie kann man "Populismus" im Wahlkampf messen? Und wie weit verbreitet waren populistische Aussagen im Wahlkampf 2017 tatsächlich? Damit verbunden ergibt sich dann häufig eine dritte Frage: Wie gut kommen populistische Aussagen eigentlich in der Bevölkerung an?
Um diesen formulierten Fragestellungen auf den Grund gehen zu können, wollen wir einen sehr bestimmten Ausschnitt aus dem Bundestagswahlkampf 2017 herausgreifen: das TV-Duell zwischen Angela Merkel (CDU) und Martin Schulz (SPD) vom 3. September sowie den TV-Fünfkampf vom 4. September, an dem Vertreterinnen und Vertreter der anderen Parteien teilnahmen, nämlich Katrin Göring-Eckart für Bündnis 90/Die Grünen, Sahra Wagenknecht für Die Linke, Christian Lindner für die FDP, Alice Weidel für die AfD und Joachim Herrmann für die CSU.
Ereignisse wie dieses Duell und dieser Fünfkampf eignen sich besonders für eine detaillierte Betrachtung von Wahlkämpfen, da sie sich – im Gegensatz zum sonstigen, in der Regel sehr unübersichtlichen Geschehen im Wahlkampf – sehr gut abgrenzen und damit analysieren lassen. Zudem lassen sich an ihrem Beispiel sowohl die Angebotsseite, also das Auftreten der Kandidierenden, als auch die Nachfrageseite, also die Reaktionen der Zuschauerinnen und Zuschauer, in den Blick nehmen. Genau das wollen wir im Rahmen dieses Beitrags tun, wobei wir auf eine einzigartige Kombination von Daten zurückgreifen können, die wir zunächst kurz vorstellen möchten.
Datengrundlage
Um der Frage nachzugehen, welchen Stellenwert populistische Aussagen im TV-Duell und im Fünfkampf hatten und welche Wirkung diese auf die Rezipienten ausübten, verknüpfen wir Daten aus drei verschiedenen Quellen: eine Inhaltsanalyse der Debatten, Umfragedaten rund um die Debatten und sogenannte Real-time-response-Daten, die wir während der Debatten erhoben haben. All diese Daten wurden im Rahmen des Moduls "TV-Duell" der German Longitudinal Election Study erhoben.
Angebotsseite
Für die Analyse der Angebotsseite ist vor allem die Inhaltsanalyse von zentraler Bedeutung. Sie erlaubt uns zu prüfen, inwieweit die Kandidierenden in Duell und Fünfkampf in ihren Auftritten auf "Populismus" setzten. Konkreter formuliert: Wie verbreitet waren populistische Aussagen im TV-Duell und im Fünfkampf?
Dazu haben wir im Zuge der Inhaltsanalyse den verbalen Inhalt des TV-Duells und des Fünfkampfs transkribiert und in einzelne Aussagen, sogenannte "Codiereinheiten", zerlegt, die die Analyseeinheit für die nachfolgenden Auswertungen der Angebotsseite bilden. Dabei gilt: Eine neue Codiereinheit beginnt immer dann, wenn der Sprecher wechselt, der Inhalt sich ändert, ein neues Bezugsobjekt in den Fokus genommen wird oder ein Sprecher seine Strategie ändert. In der Folge können Codiereinheiten unterschiedlich lang sein, etwa nur wenige Worte oder aber mehrere Sätze umfassen.
Empirisch haben wir für das TV-Duell 647 Codiereinheiten identifiziert; für den Fünfkampf waren es 466 Codiereinheiten. Für jede Codiereinheit wurde der Sprecher festgelegt und entschieden, inwieweit sie als populistisch zu werten ist oder nicht. Dies setzt ein Messinstrument für Populismus voraus. Wir haben uns dabei an der Definition und Operationalisierung der Politikwissenschaftler Jan Jagers und Stefaan Walgrave orientiert, für die eine populistische Rhetorik durch drei Elemente gekennzeichnet ist, nämlich erstens den Bezug zum Volk oder den "einfachen" Leuten, zweitens die Kritik am Establishment und drittens die Exklusion anderer, fremder Gruppen.
Darauf aufbauend wurde für jede der 647 Codiereinheiten im TV-Duell und jede der 466 Codiereinheiten im Fünfkampf festgehalten, ob sie a) explizit auf das deutsche Volk oder die "einfachen Leute" bezogen ist, b) Eliten kritisiert werden, wie "das System", politische, ökonomische oder kulturelle Eliten und ihre Handlungen und Entscheidungen oder c) explizit andere gesellschaftliche Gruppen oder Nationen ausgegrenzt werden. Auf Basis dieser drei Dimensionen lassen sich dann wiederum verschiedene Typen des Populismus definieren:
ein "dünner" Populismus, der sich auf die Bezugnahme auf das Volk oder die einfachen Bürger beschränkt;
ein antielitistischer Populismus, der neben der Bezugnahme auf das Volk oder die "einfachen" Bürger auch die Kritik an Eliten umfasst;
ein exklusionistischer Populismus, der sich über die Bezugnahme auf das Volk oder die einfachen Bürger hinaus auch durch die Ausgrenzung anderer Gruppen oder Nationen auszeichnet;
ein "dicker" Populismus, der alle drei Dimensionen umfasst.
Nachfrageseite
Um im zweiten Schritt die Nachfrage nach Populismus und, damit verbunden, Zuschauerreaktionen auf populistische Aussagen messbar zu machen, die von der politischen Angebotsseite kommen, genügt die Inhaltsanalyse alleine nicht. An dieser Stelle kommen die Befragungs- und Real-time-response-Daten ins Spiel. Beide Datentypen stammen aus einer Studie, die wir am Abend des Duells an den Standorten Landau und Mainz durchgeführt haben. Insgesamt haben 195 Personen das TV-Duell am 3. September live in Räumlichkeiten an den beiden Universitäten verfolgt; 68 von ihnen haben – dann nur noch an der Universität Mainz – auch den Fünfkampf am darauffolgenden Tag gesehen.
Die Rekrutierung der Untersuchungsteilnehmer erfolgte im Vorfeld der beiden Ereignisse auf Basis vorab definierter Quoten, die die Merkmale Alter, Bildung, Geschlecht und Parteiidentifikation umfassten. Mit Flyern, Postern, redaktionellen Beiträgen in Print- und Rundfunkmedien sowie teils gesponserten Einträgen in sozialen Medien (vor allem auf Facebook) wurde für die Untersuchung geworben.
In einem Fragebogen, den wir den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Studie direkt vor dem TV-Duell vorgelegt haben, haben wir auch "populistische Einstellungen" erhoben. Diese können entlang von drei Dimensionen gemessen werden und spiegeln damit die drei Dimensionen der Inhaltsanalyse wider, die wir bereits skizziert haben, nämlich erstens die Forderung nach Souveränität des Volkes, zweitens negative Einstellungen gegenüber dem Establishment beziehungsweise Eliten sowie drittens der Glaube an die Homogenität und den guten Charakter des (eigenen) Volkes. Wir haben diese Dimensionen mithilfe von jeweils drei Items erfasst. Aus den individuellen Mittelwerten auf den drei Dimensionen wurde für jeden Probanden ein Gesamtmittelwert gebildet, der den Grad seiner populistischen Einstellungen vor dem TV-Duell messen soll.
Für die Real-time-response-Messung, mit deren Hilfe unsere Testzuschauer während der Debatten ihre Eindrücke sekundengenau und in Echtzeit dokumentieren sollten, wurden die Teilnehmer der Untersuchung gebeten, die Kandidaten während der Sendung zu bewerten. Dazu nutzte ein Teil der Probanden ein Sendegerät mit einem Drehregler. Die Probanden in Landau wurden dabei instruiert, den Regler immer dann von der Mittelposition (identifiziert mit dem numerischen Wert 4) nach links zu drehen, wenn sie gerade einen guten Eindruck von Martin Schulz oder einen schlechten Eindruck von Angela Merkel hatten; umgekehrt sollten sie den Regler nach rechts (bis auf maximal 7 drehen), wenn sie einen guten Eindruck von Merkel beziehungsweise einen schlechten Eindruck von Schulz hatten. Probanden, die in Mainz mit Drehreglern ihre Eindrücke dokumentierten, sollten den Regler nach links drehen, wenn ihnen – unabhängig von der Person – das momentan Wahrgenommene nicht gefiel, und nach rechts, wenn ihnen gut gefiel, was sie gerade wahrnahmen. Insgesamt umfasst die Skala den Wertebereich von 1 für einen sehr schlechten Eindruck bis 7 für einen sehr guten Eindruck. Diese abweichenden Instruktionen zwischen Mainz und Landau waren notwendig, da ein Teil der Mainzer Probanden einen Tag nach dem TV-Duell auch den Fünfkampf mit dem Drehregler-System bewerten sollte und hier eine 1:1-Verknüpfung der Drehrichtungen mit fünf Kandidaten nicht möglich war.
Ein weiterer Teil der Probanden konnte durch ein Druckknopf-System ihre Echtzeitreaktionen protokollieren. Dabei standen den Probanden je ein Knopf – markiert auf herkömmlichen Computertastaturen – für positive sowie für negative Eindrücke zur Verfügung. Alle Probanden wurden vor dem Schauen des TV-Duells instruiert, alle positiven oder negativen Eindrücke zu protokollieren. Was einen positiven oder negativen Eindruck ausmacht, wurde den Probanden bewusst nicht vorgegeben, da die subjektiven Eindrücke der Probanden im Vordergrund standen.
Die aufgezeichneten Daten ergeben ein sekundengenaues Bild der Reaktionen der Probanden auf die TV-Debatten. Diese Form der Messung von Echtzeitreaktionen wurde bereits im Rahmen mehrerer TV-Duell-Studien erfolgreich eingesetzt, sie produziert – trotz der skizzierten Unterschiede im Detail – auch über verschiedene Instruktionen und Messverfahren hinweg valide und reliable Ergebnisse zu Zuschauerreaktionen auf Medieninhalte.
Im Folgenden werden wir diese drei Datenquellen bündeln und so Angebots- und Nachfrageseite des Populismus miteinander in Verbindung bringen und gemeinsam analysieren: Die Messergebnisse wurden sekundengenau erfasst, sodass die Reaktionen der Untersuchungsteilnehmer in Kombination mit der Inhaltsanalyse Aufschluss darüber geben, welche Aussagen der Kandidaten welche Wirkung hatten. Aus den Befragungsdaten wissen wir zudem, welche Zuschauer selbst eher zu Populismus neigen als andere. Auf Basis dieser Daten können wir uns nun der Analyse, zunächst der Angebotsseite, zuwenden.
Populismus im TV-Duell und im Fünfkampf
Wie häufig haben die Kandidaten in Duell und Fünfkampf bei ihrer Argumentation populistische Rhetorik eingesetzt? Wie skizziert, eignen sich die von uns inhaltsanalytisch erfassten Merkmale der Kandidatenaussagen dazu, verschiedene Facetten von populistischer Rhetorik nachzuzeichnen. Wir unterscheiden dabei zwischen einem "dünnen", einem antielitistischen, einem exklusionistischen sowie einem "dicken" Populismus.
Insgesamt wiesen fünf Prozent aller Kandidatenaussagen im TV-Duell populistische Elemente auf (Abbildung 1). Am häufigsten finden sich darin Aussagen, die wir als "dünnen" Populismus klassifizieren – in denen also "nur" ein Bezug zu Volk oder einfachen Bürgerinnen und Bürgern hergestellt wird (4,2 Prozent). Dabei schwingt in der Bezeichnung als "dünn" ein gewisser Zweifel mit, ob es sinnvoll ist, das alleine schon als Populismus zu zählen. Die Politikwissenschaftlerin Franzisca Schmidt argumentiert denn auch, dass "es für einen politischen Akteur fast unmöglich ist, die Bürger zu erreichen, ohne seine Nähe zu den Bürgern hervorzuheben". Folglich könne man die "dünne" Variante des Populismus auch als eine "normale Kommunikationstechnik", weniger als substanziellen Populismus deuten.
Vor diesem Hintergrund sind die weiteren Typen populistischer Rhetorik von großem Interesse, in denen nämlich die Volks- oder Bürgernähe mit weiteren Stilelementen populistischer Rhetorik kombiniert wird. Solche Äußerungen sind allerdings nur in sehr geringen Dosen im TV-Duell zu beobachten: Volks- oder Bürgernähe in Kombination mit Elitenkritik (antielitistischer Populismus) kommt im TV-Duell in 0,6 Prozent aller Aussagen vor, die Verknüpfung von Volk beziehungsweise Bürgern mit der Ausgrenzung anderer Gruppen oder Nationen (exklusionistischer Populismus) ist überhaupt nicht zu erkennen; die Verbindung von allen drei Elementen ("dicker" Populismus) erfolgt in 0,2 Prozent aller Aussagen. Dass dabei Martin Schulz etwas häufiger von populistischen Strategien Gebrauch macht als Angela Merkel, fällt vor dem Hintergrund der skizzierten Häufigkeiten und der auftretenden marginalen Unterschiede praktisch nicht ins Gewicht.
Nun könnte man vermuten, dass das Kanzlerduell zwischen Merkel und Schulz weniger "anfällig" für populistische Rhetorik war, immerhin trafen hier die beiden Kontrahenten im Rennen um das Amt des Bundeskanzlers aufeinander, denen populistische Argumentationsfiguren möglicherweise nicht gut zu Gesicht stehen. Noch dazu kamen beide aus einer gemeinsamen Großen Koalition, was populistischen Strategien ebenfalls Grenzen setzen mag. Umso spannender ist der Blick auf den TV-Fünfkampf, auf den diese beiden einschränkenden Faktoren gerade nicht zutreffen und in dem noch dazu mit Alice Weidel als Spitzenkandidatin der AfD eine Vertreterin einer rechtspopulistischen Partei vertreten war.
Umso bemerkenswerter ist vor diesem Hintergrund der Befund, dass für den Fünfkampf sehr ähnliche Werte zu beobachten sind (Abbildung 2). Der Anteil aller populistischen Aussagen liegt bei sechs Prozent. Auch hier ist "dünner" Populismus mit einem Anteil von 4,5 Prozent die am häufigsten zu beobachtende Variante, gefolgt von antielitistischem Populismus mit 1,5 Prozent. Exklusionistischer und "dicker" Populismus waren im Fünfkampf nicht zu beobachten.
Ein differenzierender Blick auf die einzelnen Kandidaten zeigt, dass populistische Rhetorik am häufigsten von Cem Özdemir (9,2 Prozent) und Sahra Wagenknecht (8,3 Prozent) eingesetzt wurde, gefolgt von Christian Lindner (6,5 Prozent) und Joachim Herrmann (4,2 Prozent). Alice Weidel als Spitzenkandidatin der AfD liegt mit 2,1 Prozent auf dem letzten Platz. Diese Reihenfolge zeigt sich auch, wenn man den "dünnen" Populismus außen vor lässt und nur den antielitistischen Populismus betrachtet, dann allerdings auf deutlich geringerem Niveau.
Insgesamt zeigt die Reihung, dass Vertreter linker Parteien offenkundig häufiger auf populistische Figuren – gerade in der "dünnen" Variante – zurückgreifen, was im Lichte ihrer historischen Entstehung nicht überraschend ist. Dass Alice Weidel von der AfD allerdings auf dem letzten Platz landet, wirft Fragen auf, die weitere Forschungen thematisieren werden müssen: Agieren Parteien wie die AfD und ihr Spitzenpersonal in solchen öffentlichen, reichweitenstarken Runden strategisch und verzichten – entgegen ihrer sonstigen Auftritte – auf populistische Rhetorik? Ist die hier verwendete Ebene der Aussagen zu kleinteilig, um das Bild valide nachzuzeichnen? Oder stimmt möglicherweise die öffentliche Zuordnung von Attributen der Kategorie "rechtspopulistisch" nur bedingt?
Wirkung populistischer Aussagen
Selbst wenn populistische Aussagen sparsam eingesetzt werden, können sie eine Wirkung entfalten. Deshalb untersuchen wir im nächsten Schritt, wie die Zuschauer der TV-Debatten auf die Inhalte reagiert haben: Wie werden die populistischen Aussagen bewertet, die während des Duells gemacht wurden? Welche Rolle spielen dabei populistische Neigungen aufseiten der Empfänger? Wir vermuten dabei, dass Probanden, die populistische Einstellungen haben – also der Auffassung sind, dass das Volk anstelle von Politikern zentrale politische Entscheidungen treffen sollte, die politischen Eliten negativ bewerten und der Auffassung sind, dass es einen homogenen Volkswillen gibt – in stärkerem Maße für populistische Rhetorik empfänglich sind als Personen, die solche Einstellungen nur in abgeschwächter Form oder überhaupt nicht aufweisen. Um dieser Hypothese nachzugehen, verwenden wir die oben skizzierten, vor der Debatte erhobenen Items zur Messung populistischer Einstellungen.
In Abbildung 3 sind die Ergebnisse der Landauer Versuchsgruppe dargestellt, die während des TV-Duells ihre Regler immer dann nach links drehten, wenn sie gerade einen guten Eindruck von Martin Schulz beziehungsweise einen schlechten Eindruck von Angela Merkel hatten, und nach rechts drehten, wenn sie einen guten Eindruck von Angela Merkel beziehungsweise einen schlechten Eindruck von Martin Schulz hatten. Diese Art der Instruktion eröffnet uns einen ersten Zugriff auf die Real-time-response-Daten, etwa um besonders markante Stellen des Duells unmittelbar identifizieren zu können.
In Abbildung 3 sind vier Stellen des Duells markiert, an denen sich starke positive Ausschläge für Martin Schulz (Markierungen 1 und 2) und Angela Merkel (Markierungen 3 und 4) zeigen. Was sagten Schulz und Merkel zu diesen Zeitpunkten? An Stelle 1 sagte Martin Schulz: "Wer unter Bezug auf das Grundgesetz und die Religionsfreiheit im Grundgesetz andere Grundrechte, die im Grundgesetz definiert sind, einschränken will, zum Beispiel die Gleichberechtigung von Mann und Frau, der hat in Deutschland nichts verloren." An Stelle 2 sagte Schulz: "Wenn Bundesbürgerinnen und Bundesbürger, die unschuldig in Haft gehalten werden, nicht mehr sicher sein können, dass der deutsche Staat sie in der Türkei schützt, weil dort ein autokratischer Herrscher willkürlich Leute verhaftet, dann ist der Punkt erreicht, wo die Bundesrepublik Deutschland sagen sollte: Wir brechen die Beitrittsverhandlungen ab."
Für Angela Merkel sind folgende beiden Stellen besonders markant: "Ich glaube nicht, dass man ohne den amerikanischen Präsidenten diesen Konflikt lösen kann. Aber ich glaube, dass man in aller Klarheit sagen muss: Für uns kommt nur eine friedliche diplomatische Lösung in Betracht. Dazu habe ich heute mit dem französischen Staatspräsidenten telefoniert (…), ich werde morgen auch mit Donald Tusk reden (…), ich werde mit dem russischen Präsidenten sprechen, mit dem chinesischen Präsidenten, natürlich mit Japan und Südkorea. Aber auch mit dem amerikanischen Präsidenten. Denn hier hängt sehr viel davon ab, dass wir wirklich zu einer friedlichen Lösung kommen." Sowie: "Sich an diesen Terror zu gewöhnen, würde bedeuten, unsere Art zu leben aufzugeben. Und deshalb ein klares Nein. Alles was in unserer Macht steht, sich diesem Terror entgegen zu stellen. Und ansonsten sehr bewusst für unsere Art zu leben werben."
Alle vier Aussagen stammen im weitesten Sinne aus dem Feld der internationalen Zusammenarbeit und des Zusammenlebens verschiedener Kulturen und sind nicht durch ein auffallend hohes Maß an Präzision und Detailliertheit geprägt. Im hiesigen Kontext entscheidend ist die Frage: Sind sie populistisch? Tatsächlich erweist sich die zweite Aussage von Martin Schulz als populistisch, nimmt er doch hier Bezug auf "Bundesbürgerinnen und Bundesbürger", die "der deutsche Staat" in der Türkei vor dem dortigen "autokratischen Herrscher" nicht mehr schütze. Die anderen drei zitierten Aussagen dagegen zeichnen sich nicht durch populistische Rhetorik aus. In Summe heißt das als Zwischenfazit mit Blick auf das Duell, gerade auch vor dem Hintergrund der sehr spärlich eingesetzten populistischen Argumente, dass populistischen Aussagen durchaus Überzeugungspotenzial innewohnt: Immerhin eine von vier besonders positiv bewerteten Aussagen trägt entsprechende Züge. Deterministisch funktioniert dies allerdings keineswegs.
Das bestätigt die Analyse des Fünfkampfs. Die am besten bewertete Aussage stammte von Cem Özdemir, als dieser sagte: "Warum reden wir nicht darüber, dass wir in dieses Land noch Waffen liefern? Ich würde das einstellen. Ich würde sagen, in Deutschland hat Geld aus Saudi-Arabien, aus den Golfstaaten, nichts verloren, in keiner Moschee, übrigens auch nicht irgendwo anders in der Europäischen Union. Ich würde sagen, die muslimischen Organisationen in Deutschland müssen zu inländischen Organisationen werden, von in Deutschland lebenden Muslimen, verbunden mit einem ernsthaften Integrationsangebot. Also wir reden da sehr viel an der Oberfläche und packen nicht die eigentlichen Probleme an."
An zweiter Stelle folgt Christian Lindner mit folgender Aussage: "Und mein zweiter Aspekt ist: Wir müssen natürlich die Polizei personell stärken. Uns fehlen 15000 Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte in Deutschland. Die Sicherheitslage in Deutschland hat sich in den letzten zehn Jahren verändert. Also müssen wir die Stärke der Polizei anpassen. Angesichts des Fachkräftemangels, den wir haben, werden wir neu denken müssen. Nach meiner Auffassung werden wir diesen Personalaufwuchs nur schaffen, wenn das Abitur nicht die alleinige Einstellungsvoraussetzung ist. Auch aus einem guten Realschüler kann auch ein guter Polizist werden, und das wäre auch ein Stück Respekt gegenüber dem mittleren Schulabschluss."
Sahra Wagenknechts Aussage, die die meisten positiven Reaktionen hervorrief, lautete: "Und bei der AfD muss ich sagen: Wer nur über Abschottung redet, wer einfach nur glaubt, man macht alles dicht und dann ist das Problem gelöst, also das ist ein zutiefst inhumaner Ansatz, weil so löst man eben keine Probleme."
Auch Joachim Herrmanns am besten bewertete Aussage stammt aus dem Kontext der Debatte zur Polizei und zur inneren Sicherheit: "Die Polizeibeamten haben heute eine unheimlich starke Belastung, die leisten immer noch einen großartigen Dienst. Und ich denke, es ist wichtig, dass wir deutlich machen: ‚Dieser Staat steht hinter den Polizeibeamten‘, wir wollen, dass sie ordentlich ihren Dienst verrichten."
Die am besten bewertete längere Aussage von Alice Weidel ist die folgende: "Genau wie Sie in Ihrer Partei, liebe Frau Wagenknecht, ein Einzelfall sind, so reden wir auch in unserer Partei von 28000 Parteimitgliedern von Einzelfällen. Da ziehen wir im Bundesvorstand sehr klare Linien durch Parteiordnungsverfahren, davon kann man ja auch immer wunderbar in der Zeitung nachlesen." Allerdings muss festgehalten werden, dass diese Aussage im Vergleich zu den Aussagen der anderen Parteivertreter deutlich schlechter bewertet wird.
Zeichnen sich diese fünf Aussagen durch Populismus aus? Das Bild ähnelt dem Ergebnis beim TV-Duell: Eine der fünf Aussagen, nämlich jene von Joachim Herrmann, haben wir als populistisch markiert, die anderen vier dagegen nicht.
Mit Blick auf die Bewertung populistischer Aussagen fällt auf, dass populistische Aussagen sowohl beim TV-Duell als auch beim TV-Fünfkampf im Mittel etwas besser bewertet werden als nichtpopulistische Aussagen – und zwar unabhängig davon, ob die Befragten mit Drehreglern oder Druckknöpfen ausgestattet waren; die Bewertungsunterschiede erweisen sich dabei auch als statistisch signifikant. Dieser Befund gilt dabei unabhängig von individuellen Umständen. Wenn wir die Bewertung populistischer Aussagen von Merkel und Schulz durch unsere Probanden danach unterteilen, ob die Probanden selbst zu Populismus neigen oder nicht, finden wir praktisch keine Unterschiede in den Bewertungen der von den Kandidaten getroffenen Aussagen.
Fazit
Den derzeit vieldiskutierten Populismus und seine Folgen zu messen, stellt eine beachtliche Herausforderung dar, derer wir uns am Beispiel von TV-Duell und Fünfkampf im Bundestagswahlkampf 2017 gestellt haben. Weder das Duell noch der Fünfkampf waren durch ein hohes Maß an populistischen Aussagen geprägt – vor allem war es nicht die Kandidatin der AfD, die auf diese rhetorische Strategie zurückgegriffen hat.
Angesichts der festgestellten Wirkung populistischer Aussagen wäre das mitunter jedoch keine schlechte Strategie gewesen, denn unsere Untersuchung hat gezeigt, dass populistische Aussagen auch in den Sekunden, in denen sie getroffen werden, durchaus besser bewertet werden als andere Aussagen. Und dies gilt nicht nur für Zuschauerinnen und Zuschauer, die selbst zu Populismus neigen, sondern für alle Befragten. Die Beantwortung der Frage, wie mit Populismus umzugehen ist, drängt also umso mehr. Um sie zu beantworten, bleibt viel zu tun – für die Wissenschaften und weit darüber hinaus.
ist Professor für Politische Soziologie der Bundesrepublik Deutschland am Otto-Suhr-Institut für Politikwissenschaft an der Freien Universität Berlin. E-Mail Link: thorsten.faas@gmail.com
ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Politikwissenschaft im Bereich "Empirische Politikforschung" an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. E-Mail Link: simon.richter@politik.uni-mainz.de