I. Einleitung
Das übergeordnete Ziel des Sozialkundeunterrichts besteht darin, zur politischen Mündigkeit und demokratischen Handlungsfähigkeit der Heranwachsenden beizutragen. Er soll Chancen eröffnen, dass die Heranwachsenden "die Unverzichtbarkeit eigener Urteilsbildung, reflektierter Entscheidungen und eigenen Handelns erkennen"
Die Aufmerksamkeit meines Beitrages, der ebenso wie die Analysen von Sibylle Reinhardt und Frank Tillmann, Heinz-Hermann Krüger und Nicolle Pfaff sowie Ralf Schmidt
Bei der Untersuchung dieses Gegenstandes lehne ich mich erstens an den Diskurs zum Konzept der Handlungsorientierung an, einem ganzheitlichen und offenen, schüleraktiven "Ansatz zur Förderung von demokratischer Handlungskompetenz"
Angemerkt werden muss, dass die Vor- und Nachteile des Konzepts der Handlungsorientierung in der fachdidaktischen Diskussion umstritten sind. Skeptische Stimmen verweisen auf einen sich dahinter verbergenden blinden Aktionismus sowie auf die Gefahr der Entpolitisierung des Unterrichts und einer zu starken Transformation der Komplexität, Abstraktheit und Interdependenz politischer Sachverhalte. Befürwortende Stimmen sehen in dem Konzept hingegen eine geeignete Methode für die Umsetzung der Ziele des politischen Unterrichts, da durch sie das demokratische System aus der Handlungs- und Teilnehmerperspektive vermittelt wird und Handlungsdispositionen sowie politische Interventionsfähigkeit vorbereitet werden können.
Einen zweiten theoretischen Anknüpfungspunkt bietet das von Hans-Georg Wehling 1977 vorgeschlagene und als Teil des Beutelsbacher Konsenses bekannt gewordene Kontroversprinzip.
Folgende Fragestellungen geben die Gliederung dieses Beitrages vor: Welchen Stellenwert haben Darbietung, Handlungsorientierung und Kontroversität im Sozialkundeunterricht (II)? Wie werden diese Methoden im Unterricht der Einzelklassen kombiniert (III)? Welchen Einfluss hat die methodische Gestaltung des Sozialkundeunterrichts auf die Wirksamkeit der politischen Bildung (IV)?
II. Zum Stellenwert von Darbietung, Handlungsorientierung und Kontroversität im Sozialkunde- unterricht
Dass der Sozialkundeunterricht in der Regel stofforientiert, eng geführt und wenig handlungsorientiert ist, die Schüler also "in der Rolle des passiven, rezeptiven Lernens"
Doch wie ist ein Mehr an diesen Möglichkeiten methodisch umzusetzen? Welche Unterrichtsformen können dazu beitragen, dass Schüler "selbst aktiv werden und durch Handeln und während des Handelns lernen"
Die Effektivität realen Handelns - eine aktive Form des politischen Lernens, in der "das schulische Lernen aufgelöst und durch aktive Politik ersetzt"
Unterrichtsformen, die reales Handeln ermöglichen - ich denke dabei an einen partizipativen und vor allem die außerschulische Lebenswelt der Schüler aufgreifenden Sozialkundeunterricht, - kommen jedoch viel zu selten zustande. Lediglich knapp ein Drittel der in unserer Studie befragten Schüler fühlt sich und eigene Vorstellungen bei Entscheidungen über die Gestaltung des Unterrichts
Eine zweite Möglichkeit zur Förderung des politischen Lernens der Schüler ist im simulativen Handeln zu sehen. Kritisch angemerkt wird, dass es bei der Simulation von Politik im Sozialkundeunterricht fast immer notwendig ist, politische Komplexität zu reduzieren, was mitunter zur Verfälschung der Realität führen kann. Positiv reflektiert wird jedoch eine immens hohe Arbeits- und Leistungsbereitschaft der Schüler.
Die Ergebnisse unserer Befragung zeigen, dass simulatives Handeln in Form kontroverser Diskussionen
Weniger zufriedenstellend fallen die Befragungsergebnisse zur Durchführung von Untersuchungen, Gruppenarbeit und Rollenspielen aus.
Beim produktiven Gestalten, einer weiteren Möglichkeit der Förderung des politischen Lernens, stellen die Schüler mit Schaubildern, Flugblättern, Plakaten, Reportagen, Hörspielen, Videos u. ä. "etwas her, das in einem Zusammenhang mit Politik steht" und "beweisen . . . ihr Politikverständnis."
III. Methodenspektrum in den Einzelklassen: Klassen mit modernem und mit traditionellem Sozialkundeunterricht
Wie werden die verschiedenen Methoden im Unterricht kombiniert? Insgesamt bestätigt unsere Befragung die Vermutung von Siegfried Schiele, es bestehe gegenwärtig noch eine zu große "Eintönigkeit des politischen Unterrichts", er werde aber zunehmend seltener rein traditionell, d. h. darbietend, gestaltet.
Sehr starke Zusammenhänge zwischen Partizipation, Diskussion und Meinungsäußerung weisen auf eine Struktur des Sozialkundeunterrichts in den Einzelklassen hin, die sich mit dem Stichwort "Praktizieren von Demokratie" beschreiben lässt. Damit zusätzlich verbunden werden kooperative Lernformen. Die Bedeutung dieser Methodenkohäsion hat Siegfried Schiele auf den Punkt gebracht: "Würde im politischen Unterricht vorwiegend individuell gelernt, könnten Probleme nicht gelöst werden und soziales Lernen bliebe auf der Strecke."
Diese Befunde zeigen, dass der Sozialkundeunterricht der einzelnen Klassen nicht durch eine Methode dominiert wird. Und so gibt es in unserer Studie Klassen, in denen der Sozialkundeunterricht methodisch vielfältig (moderne Klassen) oder aber weniger ganzheitlich offen und schüleraktiv, d. h. dominant darbietend, lehrerzentriert (traditionelle Klassen) gestaltet wird.
IV. Die methodische Orientierung des Sozialkundeunterrichts und seine Wirksamkeit
Das Ziel des Sozialkundeunterrichts besteht darin, zur politischen Mündigkeit und demokratischen Handlungsfähigkeit der Heranwachsenden beizutragen. Indikatoren dafür sind Informiertheit, politisches Interesse, soziales Vertrauen, Partizipationsbereitschaft, Aufgeschlossenheit gegenüber dem Sozialkundeunterricht und demokratische Einstellungen.
1. Politisches Interesse und Verständnis in modernen und traditionellen Klassen
Das politische Interesse, Grundlage für die politische Informiertheit,
So geben in modernen Klassen rund zwei Drittel der Schüler gegenüber 43 Prozent in traditionellen Klassen an, politisch interessiert zu sein. Dem Sozialkundeunterricht scheint darüber hinaus sogar das Potenzial immanent zu sein, Schüler zur Kommunikation über Politik bis hinein in den Freizeitbereich zu animieren. Denn in modernen Klassen ist der Anteil an Schülern, die angeben, in ihrer Freizeit über Politik zu kommunizieren, mit 36 Prozent größer als in der Vergleichsgruppe (27 Prozent). Mehrfaktorielle Varianzanalysen zeigen jedoch, dass es sich bei den Ergebnissen um Schulformunterschiede und nicht um Wirkungen des Unterrichts handelt.
Dieses Ergebnis ist plausibel, denn in der Gruppe von Klassen mit modernem Sozialkundeunterricht sind Gymnasialklassen überrepräsentiert. Und wie aus der einschlägigen Literatur bekannt ist, interessieren sich Heranwachsende mit höherer Schulbildung stärker für Politik.
Das Verständnis haben wir ausschnitthaft anhand dreier Fragen erfasst.
2. Soziales Vertrauen in modernen und traditionellen Klassen
Das soziale Vertrauen wurde mit Merkmalen wie Offenheit für fremde Menschen, Offenheit für fremde Ideen sowie individuelle Bedeutsamkeit von Kompromissbereitschaft, Gleichberechtigung und Gerechtigkeit operationalisiert. Verschiedene Tests zeigen, dass die methodische Gestaltung des Sozialkundeunterrichts keinen erzieherischen Einfluss auf den schülerseitigen Grad an Offenheit und Toleranz hat; moderne und traditionelle Klassen unterscheiden sich hier nicht signifikant voneinander. Hier stößt der handlungsorientierte und kontroverse Unterricht offensichtlich an seine Grenzen. Er vermag es nicht, als Einzelfaktor direkt bis hinein in das soziale Vertrauen der Schüler zu wirken.
3. Partizipationsbereitschaft in modernen und traditionellen Klassen
Ob es im politischen Unterricht gelingt, den Schülern zu verdeutlichen, dass ihre eigene politische Beteiligung sinnvoll und Erfolg versprechend ist, ist eine weitere Prämisse der Wirksamkeit politischer Bildung. Mit zunehmendem Glauben an den eigenen Einfluss geht eine steigende Partizipationsbereitschaft einher.
Es zeigen sich hier sowohl Förderungschancen als auch offensichtliche Grenzen der Auswirkungen der methodischen Gestaltung des Sozialkundeunterrichts - der Art und Weise also, Darbietung, Handlungsorientierung und Kontroversität je nach fachlichen Inhalten zu kombinieren - auf die Partizipationsbereitschaft. Sowohl die Wahlbereitschaft als auch die in Betracht gezogene Möglichkeit, an unkonventionellen, zum Teil auch illegalen politischen Aktionen teilzunehmen, sind in den beiden Gruppen von Klassen nicht signifikant unterschiedlich ausgeprägt. Jeweils etwas mehr als die Hälfte der Schüler bekundet die Bereitschaft, sich an Wahlen beteiligen zu wollen, und für rund ein Viertel der Schüler beider Gruppen von Klassen kommt eine Beteiligung an unkonventionellen politischen Aktionen in Frage. Sichtbare Unterschiede bestehen jedoch in anderen Bereichen politischer Partizipation. So ist in den Klassen mit ganzheitlichem und offenem, schüleraktiven Sozialkundeunterricht die Bereitschaft, sich politisch motiviert an die Öffentlichkeit zu wenden und insbesondere sich politisch zu organisieren bzw. an öffentlichen, legalen Aktionen teilzunehmen, deutlich stärker ausgeprägt als in der Kontrastgruppe. Von den Schülern in modernen Klassen schließen es z. B. 43 Prozent nicht aus, sich mit Briefen zu politischen Themen an die Medien zu wenden (vers. 30 Prozent in traditionellen Klassen). Rund 28 Prozent von ihnen können es sich vorstellen, ein politisches Amt zu übernehmen (vers. 18 Prozent). Und fast zwei Drittel würden sich an einer genehmigten Demonstration beteiligen (vers. 46 Prozent).
In diesen Bereichen vermag also ein Sozialkundeunterricht, der das Ziel verfolgt, Handlungsdispositionen und politische Interventionsfähigkeit vorzubereiten, die Schüler tatsächlich in gewissem Maße zum politischen Engagement zu ermuntern.
4. Aufgeschlossenheit gegenüber dem Sozialkundeunterricht in modernen und traditionellen Klassen
Eine essenzielle Bedingung für das Wirksamwerden des Sozialkundeunterrichts ist die Aufgeschlossenheit der Schüler gegenüber dem Fach. Von dieser Einstellung kann "nicht unmittelbar auf den Erfolg geschlossen werden, . . . aber es sind Hinweise zu erwarten, in welchem Maß und unter welchen Bedingungen er die Schüler überhaupt anzusprechen vermag"
Die Ergebnisse zeigen, dass die methodische Ausrichtung des Unterrichts tatsächlich einen nicht unerheblichen Einfluss auf die Aufgeschlossenheit der Schüler gegenüber dem Fach Sozialkunde hat. Ein moderner Sozialkundeunterricht spiegelt sich insbesondere in einer entsprechend starken Zufriedenheit mit dem Fach wider (67 Prozent zufriedene Schüler vers. 38 Prozent in Klassen mit traditionellem Sozialkundeunterricht) und bietet somit gute Chancen für das Wirksamwerden der politischen Bildung. Zusätzlich fördert er die Beliebtheit dieses Faches. So liegt in modernen Klassen der Anteil der Schüler, die Sozialkunde zu ihren Lieblingsfächern zählen, über dem in traditionellen Klassen (31 Prozent).
5. Demokratische Einstellungen in modernen und traditionellen Klassen
Der wichtigste Test für die Relevanz der definierten "modernen Klassen" für die politische Bildung ist in den Wirkungen auf die demokratischen Einstellungen der Schüler zu sehen, denn die Förderung dieser Einsichten wird als die zentrale Absicht des Sozialkundeunterrichts definiert. Abschließend wurde deshalb untersucht, ob in modernen und traditionellen Klassen das Verständnis der demokratischen Ordnung in unterschiedlichem Maß angelegt und vorbereitet wird. In diese Analyse gingen ohne Anspruch auf vollständige Erfassung aller Schülereinstellungen zur Demokratie folgende Dimensionen der Bewertungen grundlegender Normen politischen Handelns ein: Befürwortung staatlicher Repressionsmaßnahmen (Einführung der Todesstrafe, hartes Durchgreifen der Polizei), Befürwortung grundlegender Bürgerrechte (Demonstrationsrecht, Meinungsfreiheit, Recht auf organisierte Opposition), Befürwortung der Legitimität von Interessenkonflikten und Befürwortung der gewaltfreien Regelung sozialer Konflikte.
Die Analyse führt zu dem Hinweis, positive Einstellungen zu grundlegenden Bürgerrechten könnten durch einen modern gestalteten Sozialkundeunterricht gefördert werden. Ein entsprechender Test mit der Kontrollvariablen Schulform zeigt jedoch, dass es sich bei dieser stärkeren Befürwortung in den modernen Klassen nicht um Wirkungen der Unterrichtsmethode, sondern vielmehr des an der besuchten Schulform gemessenen formalen Bildungsniveaus der Schüler handelt. Dieser Befund gliedert sich in die weiteren Ergebnisse der Analyse ein, wonach auch die untersuchten Schülereinstellungen zu staatlichen Repressionsmaßnahmen, zur Befürwortung der gewaltfreien Regelung sozialer Konflikte und der Legitimität von Interessenkonflikten nicht direkt mit der methodischen Gestaltung des Unterrichts zusammenhängen.
V. Fazit
Die Ergebnisse unserer Untersuchung untermauern die Beobachtungen von Peter Massing, wonach im Schulalltag "noch immer rezeptive Wissensvermittlung, Stoffhuberei, verbalabstrakte Belehrung, Lehrerzentrierung und Lehrerlenkung"
Dass die Art und Weise, wie die Unterrichtsinhalte vermittelt werden, Einfluss auf die Wirksamkeit des Sozialkundeunterrichts hat, ist ein weiteres zentrales Untersuchungsergebnis. Zwar sind die Grenzen der Wirksamkeit der Methodenwahl offensichtlich. So stehen das geäußerte politische Interesse, die Förderung des sozialen Vertrauens und die Förderung der Befürwortung grundlegender Bürgerrechte, der gewaltfreien Regelung von Konflikten, der Legitimität von Interessenkonflikten sowie der Ablehnung staatlicher Repressionsmaßnahmen in keiner nachweisbaren Relation zur methodischen Ausrichtung des Unterrichts. Jedoch bietet ein methodisch vielfältig und durchdacht gestalteter Sozialkundeunterricht auch eine Reihe von Chancen: Er fördert die Aufgeschlossenheit der Schüler für den Unterricht und trägt zu einem stärkeren politischen Verständnis (gemessen über drei Verständnisfragen) der Schüler bei. Zusätzlich fördert er die Entwicklung einer politischen Handlungsorientierung.
Aus diesen Ergebnissen leitet sich ab, dass generelle Dispositionen der Schüler nicht direkt und unmittelbar über unterrichtlich-methodische Maßnahmen erreicht werden, eher domänenspezifische Verständnisse und Bereitschaften jedoch gefördert werden können. Die ausgewogene Kombination von Darbietung, Handlungsorientierung und Kontroversität je nach Ziel und Inhalt des Sozialkundeunterrichts stellt somit einen der strategisch wichtigen Schritte für die Wirksamkeit der politischen Bildung dar.