I. Einleitung
Am Ende des Wahljahres 1999 kann die PDS mit ihren Leistungen zufrieden sein. Sie gewann bei der Bundestagswahl 5,1 Prozent der Zweitstimmen und ist in Fraktionsstärke im Bundestag vertreten, in Mecklenburg-Vorpommern ist sie Partnerin in der Regierung und bei den letzten ostdeutschen Landtagswahlen hat sie - auch in Berlin - teilweise erhebliche Stimmengewinne erzielt und in zwei Fällen die SPD überflügelt. Zwar erhielt sie bei der Europawahl 1999 über 100 000 Stimmen weniger als 1995, sie gewann aber mit ihrem Anteil von 5,8 Prozent sechs Mandate und gehört zu der aus 42 Mitgliedern bzw. vierzehn Parteien bestehenden Linken Fraktion im Europäischen Parlament. Dies könnte dazu verleiten, die mageren Resultate in Bremen (1998) und im Saarland (1999) geringer zu bewerten und stattdessen die in NRW und Baden-Württemberg errungenen kommunalen Mandate, die Verdoppelung des Stimmenanteils im Westteil von Berlin von 2,1 Prozent (1995) auf 4,2 Prozent (1999) sowie den Einzug in Bezirksvertretungen in westlichen Stadtbezirken als Indiz für die weiter voranschreitende Etablierung der PDS im bundesdeutschen Parteiensystem einzustufen. Wahlforscher ziehen aus der sozialstrukturell heterogenen Zusammensetzung der PDS-Wählerschaft bei der Bundestagswahl 1998 den Schluss: ,,Tendenzen zur Volkspartei sind unübersehbar."
II. Die politische Situation der PDS
Das ostdeutsche Umfeld der PDS ist immer noch ständigen Veränderungen ausgesetzt. Weniger Ausbildungs- und Arbeitsplätze als im Westen und eine hohe Arbeitslosigkeit kennzeichnen die ostdeutsche Ökonomie ebenso wie eine erfolgreiche Modernisierung der Strukturen im industriellen und im Dienstleistungssektor sowie erheblich reduzierte Umweltbelastungen. Der Transformationsprozess führte einerseits zu raschen Veränderungen in den sozialen Strukturen und Milieus, andererseits existiert neben Anpassungs-, Modernisierungs- und Mobilitätsprozessen
Bis zur Bundestagswahl 1998 geschah in der PDS viel mit wenig Erfolg. Die Partei behinderte sich selbst durch innerparteiliche Kontroversen und die mangelnde Bereitschaft, einen Diskussionsprozess zu organisieren
Mit dem Wiedereinzug in den Deutschen Bundestag 1998 und dem Eintritt der PDS in die Landesregierung in Mecklenburg-Vorpommern etablierte sich die PDS als Koalitionspartei im Parteiensystem. Diese Entwicklung machte es notwendig, dass die PDS - erneut - die Fragen aufwarf, die bislang auf der programmatischen Ebene unbefriedigend, auf der praktischen Ebene, wenn nötig, pragmatisch beantwortet worden waren: die Fragen nach ihrem gesellschaftspolitischen Konzept und ihrem Verhältnis zur Politik, vor allem aber nach der Rolle in politischen und Regierungsbündnissen. Einige Richtungen in der PDS hatten sich bereits nach 1994 Hoffnungen gemacht, dass in Ostdeutschland über die Kooperation mit der SPD die landes- wie die bundespolitische Rolle der Partei ausgebaut werden könnte, denn Ostdeutschland war theoretisch seit den Landtagswahlen 1994 mehrheitlich ,,rot". Vorerst kam es aber nur zu einer Tolerierung einer von der SPD geführten Minderheitsregierung in Sachsen-Anhalt.
1998/99 erfüllten sich nur in Mecklenburg-Vorpommern Erwartungen, diese ,,linken" Mehrheiten auszubauen und in ein größeres politisches Gewicht umsetzen zu können. Überall schmolzen links von der CDU die ,,roten" Mehrheiten. Damit zerschlug sich eine strategische Option der PDS, durch Beteiligung an ostdeutschen Landesregierungen bundespolitisch aufgewertet zu werden. Angesichts der Möglichkeit, dass die SPD als strategischer ,,Wunschpartner" ausfallen könnte, gab die PDS eine Option auch für die CDU ab
Die Angebote der PDS - weniger die an die SPD als vielmehr die an die CDU - sind parteitaktische Manöver, die erkennen lassen, dass manche in der PDS die Rolle als Oppositionspartei und Wahlerfolge, die nicht zu Regierungsämtern führen, zunehmend frustrieren. Die Strategie, die einen Ausweg aus der ,,babylonischen Gefangenschaft" des traditionellen Milieus der PDS mit seinen Randgruppen bieten soll, wird damit begründet, dass die PDS den Weg in jene gesellschaftlichen Bereiche gehen müsse, in denen Wähler beheimatet sind, die bisher nicht die PDS als Repräsentantin ihrer Interessen akzeptieren; denen will sie ihre Konzepte zur Bewältigung der unterschiedlichen, nicht nur mit dem Stichwort Globalisierung versehenen Problemlagen anbieten. Damit wird der PDS erneut der Konflikt zwischen Tradition und Moderne im eigenen Lager aufgezwungen.
III. Die Programmdiskussion und die ,,Zwölf Thesen für eine Politik des modernen Sozialismus"
Trotz des Wahlerfolges 1998 wurde in der PDS wahrgenommen, dass die Ostdeutschen sie zwar in den Bundestag gewählt hatten, die Partei im Westen aber nicht den erhofften Stimmenanteil von mindestens zwei Prozent erreichen konnte. Die Parteistrategen argumentierten, die PDS müsse sich zukunftsrelevanten Themen öffnen, um neue Wähler zu mobilisieren. Die Zielgruppe sei ein linkes, reformorientiertes Potenzial in Ost- und in Westdeutschland, das bisher nicht für die PDS optiert habe
Im Januar 1999 beschloss ein PDS-Parteitag, die Debatte über die Fortschreibung des Programms zu organisieren, um das Profil als sozialistische Partei links von der SPD zu schärfen. Die PDS hatte schon im Wahlkampf propagiert, ,,Druck von links" auf die SPD ausüben zu wollen
Schon im August 1999 veranlasste das ,,Blair-Schröder-Papier"
Weltmarkt und Sozialstaat sind die Felder, auf denen die Autoren sozialistische Politik empfehlen, basierend auf einem Konglomerat sozialistischer, sozialdemokratischer, ökologischer und liberaler Positionen in der Gesellschafts-, Wirtschafts-, Sozial- und Steuerpolitik sowie der Sicherheits- und Friedenspolitik. Fragen nach einem neuen System der Arbeit, nach einem gerechten Steuerkonzept, nach einer neuen Alterssicherung sowie nach dem ökologischen Umbau von Wirtschaft, Staat und Gesellschaft werden gestellt und Antworten gegeben. Weiterhin wird ein normativer Begriff von sozialer Gerechtigkeit suggeriert, den die Sozialdemokratie aufgegeben habe
Zu den Thesen gab es in der PDS sowohl Zustimmung
IV. Die Partei im Clinch mit der Programmkommission
Ende November 1999 stellte Lothar Bisky die Thesen der Programmkommission als ,,Beitrag zur programmatischen Debatte in der PDS"
Die Thesen sind vor dem Hintergrund des Parteiprogramms von 1993 zu lesen; später vorgelegte Papiere wie die ,,10 Thesen zum weiteren Weg der PDS" (1994), die fünf Punkte (,,Sozialismus ist Weg, Methode, Wertorientierung und Ziel", 1995) oder der ,,Kommentar zur Programmatik" (1997) sollten nicht vergessen werden. Einleitend werden die alte Sozialismusdefinition und neue Begrifflichkeiten wie: ,,Die PDS wirkt in einer Gesellschaft, die allein mit dem Begriff Kapitalismus nicht wirklichkeitsgerecht erfaßt werden kann" zitiert
Im ,,Geschichtsteil" wird mit dem Satz: ,,Die Konservierung von Elementen einer Mentalität der Konfrontation beschädigt die politische Kultur der Bundesrepublik" dazu aufgefordert, die Diskreditierung ostdeutscher Lebensleistungen zu beenden. Hier finden sich etliche Aussagen aus dem Programm zur Legitimität der DDR wieder; neu ist die Anerkennung westdeutscher Errungenschaften wie Bildung, soziale Gerechtigkeit, Mitbestimmung und soziale Marktwirtschaft. Manches, was in der SED-PDS schon im Dezember 1989 gesagt wurde, aber nicht in das Programm gelangte, fehlt immer noch - wie etwa der eigene Anteil am Stalinismus in der DDR.
Politische, ökonomische und soziale Veränderungen seit 1993 legitimieren neue Aussagen, die oft an alte anschließen und sie fortführen (z. B. Globalisierung). Bei manchen Analysen zeigt sich ein methodischer Wandel. Versuchten früher Theoretiker der PDS frei nach Bertolt Brecht, die Wirklichkeit zu belehren, zeigen sie sich nun - manchmal - von der Wirklichkeit belehrt. Deshalb solle die PDS bestrebt sein, ,,ihre Alternativen lebensnah aus der gegenwärtigen Lage heraus zu entwickeln und nicht unvermittelt abstrakt neben die Wirklichkeit zu stellen".
In manchen Themenfeldern (z. B. ,neue Arbeit') setzt die PDS auf bekannte Konzepte wie Arbeitszeitreduzierung, ökologischer Umbau, öffentlicher Beschäftigungssektor und Regionalisierung, manches Thema wird umdefiniert - aus sozialem und ökologischem Umbau der Gesellschaft wird ,,Ökologischer Umbau der Gesellschaft als soziale Aufgabe" -, andere Themen werden durch neue Aspekte ergänzt wie das soziale Sicherungssystem (,,Soziale Sicherheit") um die privaten Beiträge zur Alterssicherung. Das Steuersystem soll sich an Steuergerechtigkeit orientieren; Bezieher hoher Einkommen sind keine Lieblinge der PDS; Volksaktionäre wohl auch nicht.
Anders als im alten Programm wird bei der Verfügung über das Eigentum an Produktionsmitteln nicht für Enteignung des Kapitaleigentümers (,,Marx selbst unterlag dem Verführerischen dieses Gedankens") plädiert, sondern für gezielte Eingriffe. Die Dominanz des Profitinteresses soll ,,durch die Einordnung des unternehmerischen Gewinninteresses in soziale und ökologische Entscheidungskriterien abgelöst werden"; die Instrumente dazu werden als neue Regulationsweise beschrieben: Umkehr der Tendenz zur Privatisierung und zum Rückzug des Staates. Widerstand der ökonomischen Machteliten soll durch ,,Überführung von Wirtschaftspotenzialen in Gemeineigentum" gebrochen werden; das sei durch das Grundgesetz sanktioniert. Theoretische Stringenz bedeutet selten politische Machbarkeit - und die ist der Prüfstein für Politikfähigkeit.
Das Akteurskonzept der PDS setzt weniger auf die parlamentarischen Institutionen und Parteien als auf ,,zivilisationsgesellschaftliche Gegenmächte" wie Gewerkschaften und Bürgerinitiativen sowie auf - als Reserve - in der ostdeutschen Bevölkerung existierenden ,,Gegendruck". ,,Demokratisierung der Demokratie" soll mit dem Ziel verfolgt werden, ,,Kapitaldominanz und patriarchale Macht" - irgendwann einmal, die PDS setzt auf Zeit - zu überwinden, damit Politik ,,gerechte Gestaltung sozialer Verhältnisse" sein kann. Mit Parlamentskritik, dort würden die gesellschaftlichen Konflikte nicht artikuliert werden, wird die Forderung nach einem Ausbau plebiszitärer Elemente im politischen Prozess begründet.
Über ostdeutsche Belange sollten Ostdeutsche entscheiden, sonst sollten sie unter Beachtung der ,,Präferenzen im ostdeutschen Wertegefüge" in Ruhe gelassen werden; so sichert die PDS sich ihr Klientel. Besondere Problemlösungen sollten ein ,,Beitrag zu alternativen Reformen in der ganzen Bundesrepublik sein". Eine neue Wirtschaftsstruktur müsse das ,,Aufholen Ost" beschleunigen. Offen bleibt, wie die geforderte Regionalisierung mit der nationalen und der europäischen Ebene verknüpft wird.
Abschließend lassen sich die Autoren u. a. zu linken Perspektiven - ohne feministische Komponente gibt es sie nicht - und zur Perspektive des Wandels aus. Ihn will die PDS organisieren und nicht nur Alternativen aufzeigen, sondern auch die Vernetzung der Konfliktpotenziale organisieren; dabei seien die Gewerkschaften besonders wichtig. Die Arbeiterklasse wird zur Fiktion erklärt, gibt es doch ,,kein Proletariat, das der von der früheren Linken mit Marx erhoffte große Träger gesellschaftlichen Umbruchs sein könnte". Trotzdem bleibt Marx der PDS erhalten.
Die Thesen und die ihnen zugrunde liegenden Analysen sind ein Konglomerat alter und neuer Positionen. Neben der konstanten Verweigerung, neue Begrifflichkeiten und gesellschaftliche Veränderungen anzuerkennen, stehen ernsthafte Bemühungen, diese analytisch zu deuten und die Konsequenzen zu reflektieren; die Einschätzung des Massenbewusstseins oder der Interessen von Jugendlichen verdeutlicht das besser als manche dirigistischen Konzepte. Etliche Themen werden auch bei anderen Parteien problematisiert; dabei werden weniger radikale Lösungen als die der PDS erwogen. Damit könnte die PDS argumentieren, um besser - oder überhaupt - akzeptiert zu werden. Seit kurzem signalisiert sie anderen Parteien nicht von vornherein Unvereinbarkeit in bestimmten Fragen, will aber auch nicht auf alternative Vorschläge verzichten, nur weil diese nicht im Kontext der bisherigen politischen und ökonomischen Institutionen stehen.
Wenn die PDS Politik über die Aktivierung von Gegenmächten machen will, reduziert sie ihre Rolle im Parteiensystem auf die der Botschafterin politischer Kräfte außerhalb des Systems. Das erhöht theoretisch ihr außerparlamentarisches Drohpotenzial und mindert praktisch ihre Koalitionschancen. Die Skepsis gegenüber der Selbsterneuerung der Linken sollte Zweifel an der Wandlungsbereitschaft der Institutionen einschließen. Der Verdacht, dass die Verbindung von Moderne und Sozialismus doch nur zur Sache ,,einer kleinen Gruppe von Linksintellektuellen"
V. Regieren! Zur realpolitischen Strategie der PDS
Die Umsetzung programmatischer Konzepte in politische Handlungen erfordert parlamentarische Mehrheiten. Die PDS als (noch) nicht allgemein akzeptierte Koalitionspartei braucht daher eine Strategie, mit deren Hilfe sie in eine Position gelangt, aus der heraus sie Forderungen stellen, ernsthafte Einflussnahme herstellen oder Berücksichtigung verlangen kann. Das könnte sie durch weitere und größere Wahlerfolge erreichen, weshalb sie in neue Wählerschichten vordringen, gleichzeitig aber ihre Stammwähler halten, Wähler zum Wechsel animieren und Nichtwähler mobilisieren muss. Das zwingt sie, aus der Rolle des bisher durch externe Umstände begünstigten Anbieters auf dem Wählermarkt in die eines Anbieters zu wechseln, der als leistungsfähig und kompetent erachtet wird; daran mangelt es der PDS in manchen wichtigen Fragen noch, in anderen nicht mehr
Den Weg zu mehr Kompetenz könne, so der Landesvorsitzende der PDS Mecklenburg-Vorpommern, seine Partei nur beschreiten, wenn sie sich als künftige Regierungspartei und als ,,Zukunftspartei"
VI. Neue Politik mit ,,alten" Personen?
Holters Thesen sind, weil sie die PDS aus der Nische behaglicher Diskussionen in die Arena der konkreten Politik treiben, eine größere Provokation für manche Richtung in der Partei als die Thesen von Gysi, die in einigen Punkten weiter gehen als die der Kommission. Beide argumentieren, dass das Verharren der PDS in ihrem tradierten Selbstverständnis ihren Aufbruch in eine Zukunft außerhalb des bisherigen Milieus und ihre breitere gesellschaftliche Verankerung verhindere; sie sehen die PDS nicht nur als Oppositionspartei. Anders aber als Gysi öffnet Holter eine weitere Dimension der innerparteilichen Diskussion der PDS: die Personalfrage. Er verlangt, ein Personalkonzept zu entwickeln, das der ,,Mediendemokratie" adäquat ist, und sachkompetente Personen auszuwählen.
Das Problem der Modernisierung der Partei geht einher mit Fragen ihrer personellen Repräsentanz. Die strategische Neuorientierung soll nicht nur die programmatische wie die praktisch-politische Ebene betreffen, sondern zugleich die Auswahl von Personen, die den Wandel der PDS besser repräsentieren als manche ihrer gegenwärtigen Persönlichkeiten. Die Doppelspitze Gregor Gysi und Lothar Bisky - beide haben die SED nicht auflösen und eine PDS neu gründen wollen - sind letztlich Repräsentanten einer Transformationspolitik, die den Auszug der PDS und ihrer Anhänger aus der alten politischen und mentalen Heimat zwar vorangetrieben haben, ohne sie aber, das gilt für Gysi weniger als für Bisky, vollenden zu wollen. Bisky will integrieren und nicht die PDS in ihrer Funktion als Hüterin der verletzten Biographien und der verlorenen Illusionen opfern. Im Gegensatz zu Gysi fordert Bisky, dass die PDS sich nicht ,,am Gerangel um die Mitte beteiligen"
Personalprobleme und -streitigkeiten sind in der PDS nicht unbekannt. Auf Bundesebene haben Gregor Gysi wie André Brie dazu ihre Beiträge geleistet. Innerhalb des Bundesvorstandes gab und gibt es immer wieder Ost-West-Probleme, und zwischen dem Bundesvorstand und den Landesvorständen der PDS herrschten nicht nur 1998 Kontroversen anlässlich der Nominierung von Bundestagskandidaten auf erfolgreich erscheinenden Listenplätzen. Ähnliche Diskussionen gibt es in den Landesverbänden und zwischen Landes- und Kreisvorständen; dabei spielen persönliche Empfindlichkeiten ebenso eine Rolle wie politische Konflikte. Bei der Realisierung eines neuen Personalkonzepts wird der Blick nicht nur durch Begehrlichkeiten, sondern auch durch Bedürfnisse geprägt sein; die PDS hat keine große Personaldecke. Selbst wenn bereits in Funktionen bewährte Mitglieder in Betracht gezogen werden sollen, erhält Holters Anregung, erst nach den Sachfragen über Personen zu entscheiden, die wichtige Forderung nach Sachkompetenz. Obwohl die Verbindung von Sachkompetenz und Persönlichkeit eine wichtige Voraussetzung für die Vermittlung von Parteikompetenz sein kann, entscheiden Wähler sich nicht allein deshalb für eine Partei.
VII. Ausbruch aus dem Milieu: Die PDS als linke Volkspartei?
Mit der Erklärung, bereits Volkspartei zu sein, soll das Problem gelöst werden, wie die Position der PDS bestimmt werden kann, wenn ihre bislang dominante Existenzbasis, der innerdeutsche Ost-West-Konflikt, sie nicht länger trägt und sie im Parteienwettbewerb nicht mehr beliebig als Ostinteressen-, Protest- oder Weltanschauungspartei handeln kann. Damit müsste auch die Frage der politischen Expansion nach Westen nicht mehr gesondert thematisiert werden; die Organisationsfrage ist damit aber nicht erledigt.
Auseinandersetzungen über die Frage, ob die PDS eine gesamtdeutsche sozialistische Partei oder primär eine ostdeutsche Regionalpartei sei, die ostdeutsche Interessen als sozialistische Positionen im Bundestag vertrete, sind mittlerweile aufgegeben und durch die Parole ersetzt worden, die PDS sei ,,auf dem Weg zu einer bundesweiten sozialistischen Partei"
Wenn argumentiert wird, die PDS sei in Ostdeutschland eine Volkspartei, weil sie in allen sozialstrukturellen Gruppen Wähler und Wählerinnen finde und dabei in den jeweiligen Gruppen anteilmäßig angemessen repräsentiert sei, stimmt das mit einer wichtigen Ausnahme: Sie ist die Partei derer, die sich zu keiner Konfession bekennen
Bis zur Bundestagswahl 1998 ließ sich die PDS mit Blick auf ihre Wähler als ostdeutsche Milieupartei mit einem überwiegend festen Anhängerstamm beschreiben
Für die ,,Vakuum-These" könnten, bezogen auf die Bundestagswahl 1998 und nur tendenziell auf die ostdeutschen Landtagswahlen, die Verluste der PDS in ihren Hochburgen und die Gewinne in ländlichen Regionen, die Homogenisierung der Wählerschaft in räumlicher und sozialstruktureller Hinsicht sowie die sinkende Stammwählerschaft und damit die Verringerung des Anteils des Milieus sprechen. Für die ,,Milieu-These" könnte sprechen, dass es keine automatische Tendenz gibt, dass die PDS von der SPD gewinnt
Tatsächlich hat sich 1999 durch die Politik der SPD und der Bündnisgrünen ein Vakuum gebildet, in das die PDS eindringen und sich somit neue Wähler erschließen konnte. Ob das so bleibt, d. h. einerseits sich die PDS weiterhin ihr Milieu sichert und andererseits in neue Wählerschichten vordringt, kann erst dann abschließend beurteilt werden, wenn es ihr gelingt, sowohl ihre alten als auch die neuen Wähler zu behalten und vor allem im Westen weitere hinzugewinnen. Erst dann könnte sie sich mit größerer Berechtigung als Volkspartei bezeichnen. Was würde ihr das aber nützen?
Will die PDS in die Kategorie der Parteien eingeordnet werden, die letztlich keine Interessen mehr vertreten außer denen, die nur die Existenz der Partei betreffen, die wichtigen Funktionen demokratischer Massenpartei, nämlich ihre Anhänger zu repräsentieren und in die Gesellschaft zu integrieren, vernachlässigen, die sich der Ressourcen des Staates bedienen, die Eliten für Funktionen in Partei- und Staatsfunktionen rekrutieren und Wähler in Wahlkämpfen mobilisieren, aber tendenziell auf Mitglieder verzichten können
Gegen die Annahme der Volkspartei spricht, dass sie neben ihrem Milieu kein zweites Standbein in der Gesellschaft hat, sie als sozialistische Partei Weltanschauungspartei sein will und keine langfristige Perspektive als große Mitgliederpartei hat: Sie ist überaltert, hat erhebliche Nachwuchsprobleme, kann keine flächendeckende effiziente Organisation im gesamten Bundesgebiet nachweisen und verliert auch an Organisationsdichte im ,,eigenen" Land. Den geringen Mitgliederzahlen im Westen (September 1999: 3225 Mitglieder
Zwar wird der Rückgang der Mitgliederzahlen, der mit einer steten Überalterung der Mitgliederschaft einhergeht
Nach Abwägung aller Faktoren - einschließlich der Situation der PDS im Parteiensystem und unabhängig von ihrer linken Position - erscheint die Charakterisierung der PDS als Volkspartei anachronistisch und nur insoweit berechtigt zu sein, als dies der Selbstlegitimierung dient. Auch programmatisch könnte sie es nicht sein, denn in ihrem Politikkonzept der zivilgesellschaftlichen Gegenmächte würde sie, wenn sie sich nicht unterschwellig als deren Avantgarde versteht, als Partei nur eine mindere Rolle spielen können; Vertreter der traditionellen Volksparteien könnten sich das nicht vorstellen. Letztlich wird aber von den Wählern die Entscheidung über die Existenz der PDS getroffen, die unter neuen Bedingungen im 21. Jahrhundert im Parteienwettbewerb ihr Profil finden muss.