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Lösungsansätze für die Verschuldungsprobleme der ärmsten Entwicklungsländer | Entwicklungspolitik | bpb.de

Entwicklungspolitik Editorial Von der Mitwirkung zur Selbstbestimmung Internationale Handelspolitik und weltwirtschaftliche Integration der Entwicklungsländer Lösungsansätze für die Verschuldungsprobleme der ärmsten Entwicklungsländer Armutsbekämpfung durch Entwicklungshilfe In der internationalen Entwicklungspolitik stecken erhebliche Finanzreserven

Lösungsansätze für die Verschuldungsprobleme der ärmsten Entwicklungsländer Hintergrund, Bausteine und Perspektiven der HIPC-Initiative

Thomas Kampffmeyer

/ 23 Minuten zu lesen

Die Verschuldung der ärmsten Entwicklungsländer ist ein altbekanntes Problem. Wie konnte es soweit kommen, dass hier den steigenden Zinsverpflichtungen kein ausreichendes Wachstum der volkswirtschaftlichen Leistungsfähigkeit gegenüberstand?

I. Das Scheitern aller bisherigen Lösungsansätze

Die Verschuldungsproblematik der ärmsten Entwicklungsländer war bereits Ende der fünfziger Jahre Anlass zur Sorge . Eine beträchtliche Anzahl von Ländern war an die weltbankintern geltende Verschuldungsobergrenze gestoßen, die damals noch bei einer Schuldendienstquote (Schuldendienst in v. H. der Exporterlöse) von sechs bis sieben Prozent gesehen wurde . Die Gefahr, dass die als entwicklungsnotwendig erachtete ergänzende externe Finanzierung in Überschuldung münden könnte, hatte 1960 zur Gründung der "International Development Association" (IDA), des "weichen Fensters" der Weltbank geführt. Denn ein wesentlicher Parameter zur Erhöhung der Schuldendienstfähigkeit dieser Ländergruppe war, wie Weltbank-Ökonomen in mehreren Studien gezeigt hatten, die Darlehensvergabe zu konzessionären Bedingungen. In den sechziger Jahren mussten dann trotz zunehmend konzessionärer Darlehensvergabe mit Ghana (1966 und 1968) und Indien (1968) erstmals zwei arme Entwicklungsländer den Weg zum Pariser Club antreten, der sich 1956 als Umschuldungsgremium der bilateralen öffentlichen Gläubiger konstituiert hatte und seitdem mit wachsender Regelmäßigkeit die Verbindlichkeiten von Entwicklungsländern in Zahlungsnöten restrukturierte. Die Empfehlungen des Pearson-Berichts von 1969 zu Tilgungserleichterungen und zur Begrenzung von Exportkrediten machen deutlich, dass die Autoren, die Mitglieder der Kommission für Internationale Entwicklung, schon damals die armen Länder der Dritten Welt in einer Verschuldungsfalle sahen.

Die Gebergemeinschaft hatte schon früh damit begonnen, der geringen Schuldendienstfähigkeit der ärmsten Entwicklungsländer Rechnung zu tragen. Zunächst hatten die bi- und multilateralen Geber ihre Entwicklungshilfedarlehen zu immer günstigeren Konditionen gegeben. Zu diesem Zweck hatte die Weltbank 1960 die IDA eingerichtet . Die Afrikanische, die Asiatische und die Interamerikanische Entwicklungsbank folgten später ihrem Beispiel. Auch die bilateralen Geber erhöhten sukzessive das Zuschuss-Element der ausgereichten Entwicklungshilfemittel. So hatte die Bundesrepublik den am wenigsten entwickelten Ländern bereits seit 1972 Entwicklungshilfedarlehen ausschließlich zu IDA-Konditionen gewährt und seit 1978 Mittel der Finanziellen Zusammenarbeit überhaupt nur noch in Form von Zuschüssen vergeben. Außerdem begannen die bilateralen Geber auf der Grundlage der Entschließung 165 (S-IX) des Rates der Welthandelskonferenz (UNCTAD) vom 11. März 1978 damit, den ärmsten Ländern ihre Hilfeschulden zu erlassen. Die Bundesrepublik etwa hatte noch im gleichen Jahr ihr erstes Regierungsabkommen über einen Schuldenerlass mit Nepal abgeschlossen. Bis 1982, als sich im Anschluss an das Moratorium Mexikos die Probleme der Entwicklungsländerverschuldung zur systemischen Krise auswuchsen, folgten Abkommen mit 18 weiteren Niedrigeinkommensländern.

Für die Gruppe der armen Länder brachten die achtziger Jahre eine weitere Verschärfung ihrer Schwierigkeiten. Der Vertrauensverlust, der aus der globalen Zahlungskrise resultierte, als klar wurde, dass es sich im Kern nicht um ein Liquiditäts-, sondern um ein Insolvenzproblem handelte, wirkte sich außerordentlich negativ auf sie aus. Auf dem sich herausbildenden Sekundärmarkt für kommerzielle Entwicklungsländerschulden wurden ihre Verbindlichkeiten nur noch mit einem Bruchteil ihres Nominalwertes gehandelt, was ihnen für viele Jahre den Zugang zu Bankkrediten versperrte. Zwar war mit dem Handel von niedrig bewerteten Schuldtiteln auch die Herausbildung eines eigenen und zum Teil sehr innovativen Arsenals an Instrumenten zur Streichung vor allem kommerzieller Forderungen verbunden. Von den diversen Formen sekundärmarktbezogener Schuldenreduktionen konnten die ärmsten Länder jedoch nur in begrenztem Maße Gebrauch machen. Auf öffentliches Interesse in den Geberländern stießen vor allem Umwandlungen von Schulden in Naturschutzleistungen (debt-for-nature swaps) und Umwandlungen von Schulden in Projekte der Kinderhilfe (UNICEF debt-for-child-development swaps); sie leisteten aber in quantitativer Hinsicht nur einen marginalen Beitrag. Eine gewisse Bedeutung erlangten dank der finanziellen Unterstützung durch die Weltbank dagegen die Rückkäufe kommerzieller Schulden.

Gleichzeitig nahm aufgrund fallender Rohstoffpreise für wichtige Exportgüter und sinkender Wachstumsraten auch ihre volkswirtschaftliche Leistungs- und Schuldendienstfähigkeit ab. Die Umschuldungen im Pariser Club häuften sich, und die Geberländer nahmen die Gruppe der hochverschuldeten armen Länder inzwischen zunehmend als besondere Problemkategorie wahr. Aber erst Ende der achtziger Jahre begannen sie, die Konditionen für die Regelung der Schulden dieser Ländergruppe Schritt für Schritt zu verbessern. Wichtigster Motor dieser Entwicklung waren die Gipfeltreffen der G 7 und die dabei vereinbarten Empfehlungen . 1987 waren den ärmsten Ländern nach einem entsprechenden Beschluss des Gipfels von Venedig verlängerte Rückzahlungsfristen von bis zu 20 Jahren und niedrigere Zinssätze eingeräumt worden. 1988 folgten die sogenannten Toronto-Konditionen, die einen Schuldenerlass von bis zu 33 Prozent vorsahen . Mit den London- oder Trinidad-Konditionen von 1991 wurde neben weiteren Erleichterungen bei den Laufzeiten und Freijahren umgeschuldeter Forderungen das Erlasselement für die ärmsten Länder auf 50 Prozent angehoben. Gemäß den Neapel-Konditionen von 1994 konnten Schuldenerlasse von bis zu 67 Prozent gewährt werden. Die Lyon-Konditionen von 1996 schließlich ermöglichten Erleichterungen von bis zu 80 Prozent.

Als Sonderproblem erwies sich der als Folge der bilateralen Erleichterungen und Zuschussfinanzierungen zunehmende Anteil der Verschuldung bei den multilateralen Finanzinstitutionen, auf die 1996 schon 37 Prozent aller HIPC-Schulden entfielen. Sie stellten eine große Belastung dar. Bereits Ende 1993, Anfang 1994 hatten allein in Afrika elf hoch verschuldete Länder mit geringem Einkommen Zahlungsrückstände gegenüber Weltbank, IWF und Afrikanischer Entwicklungsbank auflaufen lassen . Dies war Ausdruck einer außergewöhnlichen finanziellen Zwangslage, da klar war, dass die Nicht-Bedienung von multilateralen Schulden wegen des bevorzugten Gläubigerstatus der internationalen Finanzierungssinstitutionen gravierende Konsequenzen für bilaterale Erlasse und den Zugang zu neuen Entwicklungshilfemitteln hatte.

Weltbank und IWF sahen sich angesichts des wachsenden Gewichts multilateraler Schulden mit zunehmenden Schwierigkeiten konfrontiert, die lange Zeit akzeptierte Rollen- und Lastenverteilung bei der Beseitigung des Schuldenüberhangs der ärmsten Länder zu rechtfertigen. Danach war es Aufgabe der internationalen Finanzinstitutionen, die Geber-Koordinierung zu organisieren und eine Katalysatorrolle wahrzunehmen, solide Reformpolitiken zu gewährleisten und neue Mittel zu weichen Konditionen für die Sicherung der wachstumsnotwendigen Investitionen und Importe bereitzustellen. Die bilateralen Geber sollten die noch bestehenden Hilfe- und Handelsschulden soweit wie möglich erlassen bzw. durch günstige Kredite oder besser noch Zuschüsse refinanzieren und darüber hinaus weitere Entwicklungshilfe leisten.

Um der selbst unter Gebervertretern zunehmend geäußerten Forderung nach einer Reduzierung auch multilateraler Schulden den Wind aus den Segeln zu nehmen und damit die Aufrechterhaltung des bevorzugten Gläubigerstatus zu sichern, baute die Weltbank ihr Instrumentarium zur Schuldenerleichterung aus. 1989 schuf sie mit der Schuldenreduzierungsfazilität der Internationalen Entwicklungsorganisation (IDA Debt Reduction Facility) die Möglichkeit, kommerzielle Schulden zum jeweiligen (Sekundär-)Marktwert mit IDA-Mitteln zurückzukaufen, und im selben Jahr ermöglichte sie es Ländern, die bei ihr noch Schulden zu marktüblichen Konditionen hatten, die darauf zu zahlenden Zinsen aus günstigen Mitteln der sogenannten "Fünften Dimension der IDA" zu finanzieren.

Spätestens 1995 setzte sich jedoch die Einsicht durch, dass alle bisherigen Lösungsansätze nicht ausreichen würden, um den ärmsten Ländern das Erreichen einer tragfähigen Schuldenbelastung zu ermöglichen. Die Verschuldungsindikatoren hatten sich insgesamt kaum verbessert. Die Gesamtschulden jener 41 Länder mit niedrigem bzw. mittlerem Einkommen, die später in der neuen Kategorie der hoch verschuldeten armen Länder (HIPC-Länder) zusammengefasst wurden, beliefen sich 1996 auf 245,1 Mrd. US-Dollar, ihre Zahlungsrückstände auf 70,3 Mrd. US-Dollar . Zwar betrug ihr Anteil an der Gesamtverschuldung aller Entwicklungs- und Transformationsländer nur elf Prozent; für die Menschen in diesen Ländern war die Schuldenlast jedoch zu einem entscheidenden Entwicklungshemmnis geworden.

II. Die HIPC-Initiative

Vor diesem Hintergrund hatte die G 7 1995 auf dem Halifax-Gipfel eine umfassende Lösung unter Einbeziehung auch der multilateralen Schulden gefordert. Auf der Jahrestagung von IWF und Weltbank im September 1996 erhielten IWF und Weltbank ein offizielles Mandat, Lösungsansätze für die Probleme derjenigen hoch verschuldeten armen Länder (HIPC) weiterzuentwickeln und umzusetzen, bei denen trotz solider Wirtschaftspolitiken nicht davon auszugehen war, dass das traditionelle Instrumentarium zur Schuldenerleichterung zu einer tragfähigen Schuldenbelastung führen würde.

Vom Konzept her stellte die damit auf den Weg gebrachte HIPC-Initiative in mehrfacher Hinsicht ein Novum in der Geschichte politisch konzertierter Entschuldungsansätze dar. Zum ersten Mal wurden die Forderungen aller Gläubiger, d. h. auch die der multilateralen Finanzierungsinstitutionen, in ein Sanierungskonzept einbezogen, das trotz Beibehaltung des "case-by-case"-Prinzips klare Regeln für eine ausgewogene Lastenverteilung vorsah. Zum ersten Mal bestimmte ein transparentes und einheitliches, wenn auch flexibel anwendbares Regelwerk, in welcher Weise und in welchen Schritten konsequente Anpassungs- und Reformprozesse einen Anspruch auf Schuldenerleichterungen begründeten, während bis dahin Entlastungen immer das Ergebnis individueller Verhandlungsprozesse gewesen waren. Zum ersten Mal schließlich wurden einheitliche und überprüfbare Kriterien für eine tragfähige Verschuldung festgelegt, aus denen sich für jedes zugangsberechtigte Land der insgesamt erforderliche Entlastungsumfang ergab.

Der Durchbruch zur Einbeziehung aller, d. h. auch der multilateralen Schulden, war möglich geworden, weil die Bretton-Woods-Institutionen und die entscheidenden Anteilseigner ihre starre Position in der Frage des so genannten bevorzugten Gläubigerstatus aufgegeben hatten. Danach - so die Argumentation in der Vergangenheit - hätte ein Erlass multilateraler Schulden das Prinzip der vorrangigen Bedienung von Verbindlichkeiten dieser Gläubigergruppe in Frage gestellt, damit ihre Kreditwürdigkeit im Sinne des "AAA-Ratings" gefährdet und so die Kosten für Entwicklungshilfeleistungen an sämtliche Mitgliedsländer erhöht. Der Kompromiss bestand in einer Art Umweglösung, bei der multilaterale Schulden nicht vom Gläubiger direkt erlassen, sondern aus einem Treuhandfonds abgelöst werden, in den multi- und bilaterale Geber die erforderlichen Beträge einzahlen sollen. Damit war formal der "bevorzugte Gläubigerstatus" unangetastet geblieben.

Die HIPC-Initiative wurde als Sequenz von zwei Phasen konzipiert. In der ersten Dreijahresphase muss das HIPC-Land im Pariser Club alle Möglichkeiten zu Schuldenerleichterungen im Rahmen der Neapel-Konditionen ausschöpfen und sich außerdem darum bemühen, dass andere bilaterale Geber (z. B. OPEC-Länder) und kommerzielle Gläubiger vergleichbare Entlastungen gewähren. Darüber hinaus muss es glaubwürdige Anpassungs- und Reformanstrengungen nachweisen. Auf der Basis einer von ihm und den Bretton-Woods-Institutionen gemeinsam erarbeiteten Schuldentragfähigkeitsanalyse wird dann am so genannten Entscheidungspunkt (decision point) darüber befunden, ob es nach einer zweiten Konsolidierungsphase von noch einmal drei Jahren voraussichtlich eine tragfähige Verschuldungsposition erreichen oder die zusätzlichen Sonderentlastungen der HIPC-Initiative benötigen wird. Am sogenannten Abschlusspunkt (completion point), also nach Ablauf von sechs Jahren, ergreifen alle Gläubiger gemeinsam geeignete Maßnahmen, um die Schulden der dann noch nicht ausreichend entlasteten Länder auf das angestrebte Tragfähigkeitsniveau abzusenken. Erst zu diesem Zeitpunkt kommt es zu einer Reduzierung auch der multilateralen Schulden, die aus dem eigens dafür eingerichteten "HIPC-Treuhandfonds" abgelöst werden.

Sofern HIPC-Länder schon in unmittelbar vorangegangenen Anpassungsprogrammen ihren Reformwillen unter Beweis gestellt haben, können die entsprechenden Zeiträume auf die erste Dreijahresperiode angerechnet werden, und auch die zweite Phase kann für Länder mit hoher Anpassungsleistung verkürzt werden. Davon profitierten u. a. Bolivien und Uganda, die ihren Abschlusspunkt im April bzw. September 1998 erreichten.

Als Maßstab für tragfähige Verschuldung, die durch die HIPC-Initiative erreicht werden soll, wurde das Verhältnis des Barwertes der Verschuldung zu den Exporterlösen sowie die Relation von Schuldendienst zu Exporterlösen gewählt. Für das erstgenannte Kriterium wurde ein Korridor von 200 bis 250 Prozent, für das zweite ein Korridor von 20 bis 25 Prozent festgelegt. Weil dadurch überschuldete Länder mit einer starken außenwirtschaftlichen Verflechtung, d. h. mit einer hohen Exportquote, benachteiligt wurden, setzte Frankreich als Anwalt vor allem der Elfenbeinküste durch, dass als zusätzlicher Maßstab ein sogenanntes Fiskalkriterium Anwendung fand. Danach gilt eine Außenverschuldung bei Ländern, deren Exportquote, mindestens 40 Prozent beträgt und die ihre Bemühungen um ein hohes Steueraufkommen durch ein Verhältnis von Staatseinnahmen zu Bruttoinlandsprodukt von mindestens 20 Prozent unter Beweis gestellt haben, nur dann als tragfähig, wenn die Relation des Barwertes der Schulden zu den Staatseinnahmen 280 Prozent nicht überschreitet.

Innerhalb der oben genannten Korridore werden die länderspezifischen Zielwerte für tragfähige Verschuldung nach Maßgabe der individuellen Außenhandelsrisiken ("vulnerability") auf der Basis des Konzentrationsgrades der Ausfuhren und der Volatilität der Exporterlöse sowie nach Maßgabe der haushaltsmäßigen Belastung durch Schuldendienstzahlungen festgelegt. Als Grundlage dafür dient die bereits erwähnte Schuldentragfähigkeitsanalyse.

Zugangsberechtigt zur HIPC-Initiative waren im Prinzip 41 Länder (davon 33 aus Afrika, vier aus Lateinamerika und vier aus Asien und dem Nahen Osten), von denen 1993 32 ein jährliches Pro-Kopf-Einkommen von weniger als 695 US-Dollar hatten und damit in die Kategorie der sogenannten "IDA-only-countries" fielen, also jener Länder, die aufgrund ihres Entwicklungsrückstandes von der Weltbank nur stark vergünstigte Darlehen erhielten. Zusätzlich aufgenommen wurden neun weitere Länder, die im Pariser Club bereits in den Genuss konzessionärer Umschuldungen gekommen oder dazu berechtigt waren.

Der Initiative beitreten konnten alle HIPC-Länder, sofern sie vor Oktober 1998 Strukturanpassungsprogramme mit IWF und Weltbank vereinbart und umzusetzen begonnen hatten. Dieses "sunset date" wurde später bis Ende 2000 verlängert. Mit der zeitlichen Begrenzung sollte deutlich gemacht werden, daß die HIPC-Initiative ein befristetes und zudem einmaliges Angebot darstellt. Da die Initiatoren eine endgültige und nachhaltige Sanierung beabsichtigen, wollten sie der Befürchtung auf der Gläubiger- und der Hoffnung auf der Schuldnerseite entgegentreten, hier werde eine Dauereinrichtung geschaffen.

Die geschätzten Gesamtkosten der HIPC-Initiative beliefen sich zunächst auf rd. 6,7 Mrd. US-Dollar. Die Schätzungen mussten aber aufgrund der zwischenzeitlichen Anpassung von HIPC-Regelungen und deren Anwendung sowie aufgrund von Veränderungen der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen revidiert und auf 8,2 und zuletzt 12,5 Mrd. US-Dollar angehoben werden.

III. Die Kritik an der HIPC-Initiative

Schon relativ früh wurde Kritik an der HIPC-Initiative laut. Wie kein anderes entwicklungspolitisches Thema je zuvor entfaltete die Forderung nach einem umfassenderen Schuldenerlass für die ärmsten Entwicklungsländer eine globale Dynamik und Breitenwirkung, weil es in nie gekanntem Maße gelang, nationale und internationale Nichtregierungsorganisationen und insbesondere die Kirchen in professionell agierenden Netzwerken zu organisieren. In Deutschland konnte sich die Kampagne Erlassjahr 2000 als zentrales Sprachrohr etablieren und zusammen mit den NRO-Initiativen anderer Länder anlässlich des Kölner Schuldengipfels im Juni 1999 eine Lichterkette von mehreren 10 000 Menschen mobilisieren. Einen nicht unwesentlichen Teil ihrer Schubkraft bezogen und beziehen die Erlassjahrkampagnen aus der Berufung auf das biblische Modell des Erlassjahres . Sieht man einmal von jenen Kommentatoren der Initiative ab, die der Auffassung sind, es gebe überhaupt kein Verschuldungsproblem der ärmsten Länder , so lassen sich die Kritikpunkte zu vier Kernaussagen zusammenfassen: Die Entlastung reiche nicht aus, sie erfolge zu langsam und zu spät, die Kriterien für Schuldentragfähigkeit seien unangemessen und darüber hinaus unzulänglich und schließlich sei die begleitende Konditionalität in Gestalt von Strukturanpassungs

programmen kontraproduktiv und trage nicht wirksam zur Armutsreduzierung bei.

Von vielen Seiten wurde der HIPC-Initiative vorgeworfen, die vorgesehenen Erleichterungen reichten nicht aus, um eine substantielle Verbesserung der Verschuldungssituation und damit der Entwicklungs- und Wachstumschancen zu erreichen. Begründet wurde dies unter anderem mit dem Hinweis darauf, dass in vielen Fällen noch nicht einmal derjenige Teil des Schuldendienstes wegfiele, den die Länder ohnehin schon seit geraumer Zeit nicht mehr leisten könnten. Vor allem die Vertreter von Nichtregierungsorganisationen rechneten vor, dass selbst der tatsächlich geleistete Schuldendienst noch immer die Sozialausgaben vieler HIPC-Länder übersteige . Außerdem vertraten viele Kritiker die Auffassung, der Kreis der begünstigten Länder sei, gemessen an den großen Schwierigkeiten einer weit höheren Zahl armer Problemschuldner, zu eng gezogen.

Der Grund für die geringe Entlastungswirkung und die Begrenzung des Zugangs zu den Vergünstigungen der HIPC-Initiative auf eine relativ kleine Zahl von Ländern waren die hohen, überaus optimistischen Schwellenwerte für tragfähige Verschuldung. In der Tat konnte es wenig überzeugen, dass das angestrebte, individuell ermittelte Tragfähigkeitsziel fast aller HIPC-Länder, für die derartige Werte festgelegt wurden, sehr eng an jener Schwelle von 220 Prozent (Barwert der Schulden in v. H. der Exporterlöse) oder sogar - wie im Falle Boliviens - noch darüber lagen, von denen an ein Land nach der weltbankeigenen Kategorisierung als hoch verschuldet gilt . Das Kernproblem lag darin, dass entgegen der offiziellen Rhetorik die Entlastung keinen entwicklungspolitisch begründeten Maßstäben folgte, sondern sich aus dem zunächst eher bescheidenen Finanzierungsvolumen ergab, das die Gläubiger für diese Zwecke zur Verfügung gestellt hatten.

Auch das Fristengerüst der HIPC-Initiative wurde von Anfang an bemängelt. Sechs Jahre bis zur Erreichung einer tragfähigen Verschuldung, so die Begründung, würde die Anreizwirkung stark verringern, weil der von der Bevölkerung kaum mehr erkennbare Zusammenhang zwischen den Opfern, die als Folge der Strukturanpassung erbracht werden mussten, und der letztendlichen Entlastung die innenpolitische Durchsetzbarkeit stark herabmindere. Hingewiesen wurde auch darauf, dass die enge Verknüpfung mit erfolgreichen Reformprogrammen ein großes Risiko weiterer Verzögerungen berge, weil aller Erfahrung nach ein hoher Prozentsatz der mit IWF und Weltbank vereinbarten Abkommen scheitere .

Besonders fragwürdig erschienen vielen Beobachtern die Tragfähigkeitskriterien sowie die Art ihrer Operationalisierung. So wurde grundsätzlich in Zweifel gezogen, ob das an den Ausfuhrerlösen ansetzende Hauptkriterium angesichts der Abhängigkeit der meisten HIPC-Länder von einigen wenigen Exportrohstoffen und deren Volatilität für diese Ländergruppe überhaupt geeignet sei. Sowohl für das Exporterlöskriterium wie für das ergänzende Fiskalkriterium galten die festgesetzten Schwellenwerte den meisten Kritikern als unangemessen hoch und zudem als weder theoretisch noch empirisch fundiert. Als äußerst problematisch wurde auch die Praxis der länderspezifischen Schuldentragfähigkeitsanalysen beurteilt. Sie basierten fast durchweg auf überaus optimistischen Szenarien bezüglich der Entwicklung zentraler Makrogrößen wie BIP, Exporte, Investitionen und Ersparnisbildung, die im Ergebnis die unter Idealbedingungen erreichbare äußerste Grenze möglicher Wachstumskorridore in tatsächlich zu erwartende Makrogrößen uminterpretierten .

Daneben wurde das den Kriterien zugrundeliegende Verständnis von Tragfähigkeit als eine der Hauptursachen der sich bislang unverändert weiter drehenden Krisenspirale hervorgehoben: Solange tragfähige Verschuldung im Sinne maximaler Schuldendienstfähigkeit definiert werde und damit die äußerste Grenze des volkswirtschaftlichen Leistungsvermögens beschreibe, führten externe Schocks und Fehler auf der Gläubiger- wie auf der Schuldnerseite, die ja der Normalfall und nicht die Ausnahme seien, regelmäßig dazu, dass ein als tragfähig erachtetes Schuldenniveau zu einem Überschuldungsproblem werde. Statt jedoch bei der Festlegung von Verschuldungsobergrenzen ausreichende Risikopuffer einzubauen, hätten die Gläubiger im Laufe der letzten vier Jahrzehnte die als kritisch erachteten Schwellenwerte immer weiter angehoben . Zudem setze die Bestimmung realistischer einzelfall- und situationsbezogener Obergrenzen voraus - so die Kritik weiter -, dass, anders als dies bei der HIPC-Initiative geschehe, sämtliche wesentlichen Dimensionen des Transfer- und Aufbringungsrisikos erfasst würden und auf ausreichende Exporterlöse und Devisenreserven ebenso geachtet werde wie auf ausreichende inländische Ersparnisse und Staatseinnahmen. Die Festlegung von Tragfähigkeitsgrenzen müsse vom Kernproblem ausgehen, der Sicherung des schutzwürdigen Minimums an Importen, Investitionen und öffentlichen Ausgaben zur Gewährleistung der staatlichen Kernfunktionen. Nur wenn in jedem Einzelfall sämtliche Tragfähigkeitsbedingungen erfüllt seien, müsse nicht mit dem Auftreten von Schuldendienstproblemen gerechnet werden.

Kontrovers war schließlich die Verknüpfung von Schuldenerleichterungen mit dem Nachweis erfolgreicher, mit IWF und Weltbank abgestimmter Strukturanpassungspolitiken. Während die eine Seite in dieser Form der Konditionierung eine wesentliche Voraussetzung dafür sah, dass die durch Entlastungsmaßnahmen entstehenden zusätzlichen finanziellen Spielräume effizient genutzt werden und nicht der Bereicherung korrupter Eliten, der Finanzierung kriegerischer Auseinandersetzungen, der Durchführung von Prestigevorhaben oder einfach nur der Verwirklichung schlechter Projekte dienen, hielt die andere Seite die Konditionalität der Bretton-Woods-Institutionen eher für einen Teil des Problems als einen Teil der Lösung. In diesem Zusammenhang wurde immer wieder auf die hohe Zahl abgebrochener Strukturanpassungsprogramme in der Vergangenheit hingewiesen, die wegen einer Vielzahl ökonomischer Fehleinschätzungen , chronischer Unterfinanzierung (underfunding) und eines Mangels an Identifizierung (ownership) mit den Reformpolitiken, an Transparenz und an Partizipation gescheitert seien.

Um den Erfolg der HIPC-Initiative nicht zu gefährden, müsse - von der Notwendigkeit einer umfassenden inhaltlichen Neukonzipierung der Programme einmal abgesehen - die Entschuldung zu Beginn und nicht nach Abschluss der Strukturanpassungsprozesse erfolgen. Der vielleicht entscheidendste Kritikpunkt, der vor allem zur Erhöhung des moralischen Drucks in der Öffentlichkeit beitrug, gründete auf der Feststellung, die Strukturanpassungsprogramme seien nicht geeignet sicherzustellen, dass die Schuldenerleichterungen den Armen zugute kämen.

IV. Die Ergebnisse von Köln und Washington

Unter dem Eindruck der hohen Öffentlichkeitswirksamkeit des Themas und des Bestrebens des Gastgeberlandes Deutschland, durch die Übernahme einer Vorreiterrolle den Erfolg zu sichern, legten alle G-7-Länder mit Ausnahme Italiens im Vorfeld eigene Vorschläge für den Kölner Schuldengipfel am 18. Juni 1999 vor. Sie verständigten sich darauf, die HIPC-Initiative nach der einprägsamen Formel "breiter, tiefer, schneller" weiterzuentwickeln. Mehr Länder aus der Gruppe der HIPC-Staaten als bisher sollten weiter gehende Schuldenerleichterungen zu einem früheren Zeitpunkt erhalten .

Die wichtigste Maßnahme war die Herabsetzung der Tragfähigkeitsgrenzen von bisher 200-250 Prozent auf nunmehr 150 Prozent (Schulden in v. H. der Exporte) bzw. von 280 auf 250 Prozent (Schulden in v. H. der Staatseinnahmen) . Dies hatte zur Folge, dass der Kreis der für Entlastungsmaßnahmen in Frage kommenden HIPC-Länder sich von bisher 29 auf 36 erweiterte, weil z. B. Schuldner wie Benin und Ghana vom Status des ohne Zusatzmaßnahmen sanierbaren Falles wieder in die Kategorie der Länder mit einem Anspruch auf Anwendung des erweiterten HIPC-Instrumentariums zurückkehrten. Um aufseiten der bilateralen Geber die Voraussetzungen für zusätzliche Erleichterungen zu schaffen, wurde beschlossen, für Handelsschulden künftig einen Erlass von bis zu 90 Prozent, im Einzelfall auch bis 100 Prozent vorzusehen und die noch offenen Entwicklungshilfeschulden in voller Höhe zu streichen.

Darüber hinaus wurde das relativ starre Fristengerüst flexibilisiert, um die Schuldnerländer früher als bisher möglich zu entlasten. So wird die Dauer der zweiten Phase und damit das Erreichen des Abschlusspunktes künftig an die Erfüllung vorab festgelegter ökonomischer und sozialer Zielvorgaben geknüpft sein, unabhängig davon, ob dies schon nach einer Woche oder erst nach zwei Jahren gelingt (floating completion point). Die multilateralen Finanzierungsinstitutionen sollen künftig schon vor Erreichen des Abschlusspunktes Interimshilfen gewähren und die Schuldenstandsreduzierung nach Erreichen des Abschlusspunktes so ausgestalten, dass sich die Schuldendienstzahlungen schon in den den ersten Jahren stark verringern (front loading).

Durch diese Maßnahmen wurde das voraussichtliche Gesamtvolumen an Schuldendiensterlassen auf 60-70 Mrd. US-Dollar angehoben. Die Schätzungen gingen davon aus, dass 40-50 Mrd. US-Dollar auf Handelsforderungen sowie multilaterale Schulden entfallen und ca. 20 Mrd. auf die Streichung zusätzlicher Entwicklungshilfeschulden. Wenn man die 30 Mrd. US-Dollar an traditionellen Schuldenerleichterungsmaßnahmen hinzurechnet, die wegen mangelnder Reformen noch nicht in Anspruch genommen werden konnten, so steht nach Köln ein Entlastungspotential von insgesamt rd. 100 Mrd. US-Dollar zur Verfügung, dessen volle Nutzung den Schuldenstand der 36 zugangsberechtigten Länder um mehr als die Hälfte verringern würde .

Auf der Jahrestagung von IWF und Weltbank im September 1999 wurden die Beschlüsse des Kölner Gipfels in allen wichtigen Punkten bestätigt. In zwei wesentlichen Bereichen brachte die Jahrestagung zusätzliche Fortschritte. So wurde die in Köln eher vage empfohlene Armutsfokussierung der HIPC-Initiative in umfassender Weise operationalisiert. Außerdem fiel mit dem Rückgriff auf die Goldreserven des IWF zur Kofinanzierung von Schuldenerlassen ein lange Zeit unumstößliches Tabu.

Einen hohen Symbolwert auf der politischen Bühne hatte die Umbenennung der alten Erweiterten Strukturanpassungsfazilität (ESAF) des IWF, die vor allem den Kritikern aus den Reihen der internationalen Erlassjahrkampagne als Inbegriff neoliberaler Konditionalität auf dem Rücken der sozial Schwachen gegolten hatte, in "Armutsreduzierungs- und Wachstumsfazilität" (Poverty Reduction and Growth Facility). Wichtiger aber: Sie wird mit einer Reihe von konkreten Umsetzungschritten verbunden sein, die an der Ernsthaftigkeit der neuen Fokussierung keinen Zweifel lassen. Die mit den HIPC-Ländern bei Strukturanpassungsabkommen bisher vereinbarten politischen Rahmenabkommen (Policy Framework Papers), die den zu einer Entlastung berechtigenden Reformkurs definieren, werden durch Strategiepapiere zur Armutsreduzierung (Poverty Reduction Strategy Papers) ersetzt, die unter der Federführung der betreffenden Regierung erarbeitet werden und nicht nur spezifische Maßnahmen zugunsten der armen Bevölkerung enthalten, sondern von vornherein auch die Sozialverträglichkeit der traditionellen wirtschaftlichen Anpassungs- und Wachstumspolitiken im Auge haben sollen. Um in den Ländern die Identifizierung mit den armutsorientierten Anpassungspolitiken zu verbessern, werden diese zur Herstellung von Transparenz der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. Außerdem soll an ihrer Formulierung die Zivilgesellschaft mitwirken. Am wichtigsten sind wohl die Neuerungen auf der eher technischen Ebene: Erfolgreiche Reformpolitik soll künftig an überprüfbare indikatorgestützte Ziele der Armutsreduzierung gekoppelt werden.

Um die zum einst offiziellen Goldpreis von 35 Sonderziehungsrechten je Feinunze heute noch bilanzierten Goldreserven des IWF zur Finanzierung von Schuldenerleichterungen heranziehen zu können, ohne durch Goldverkäufe den Marktwert von ohnehin nur noch rd. 280 US-Dollar pro Feinunze weiter zu drücken, griffen Finanzexperten und Politiker zu einem "Buchungstrick": Im Laufe der kommenden Jahre werden bis zu 14 Mio. Feinunzen Gold Schritt für Schritt an solche Länder zum jeweiligen Marktwert "verkauft", die dem IWF Kredite zurückzuzahlen haben (off-market transactions). Der Schuldendienst wird mit diesem Gold geleistet, das dann zum Marktwert bilanziert werden darf. Der daraus resultierende Buchgewinn wird angelegt, die Zinseinnahmen stehen für Schuldenerleichterungen zur Verfügung.

V. Abschließende Bewertung und Perspektiven

Die Kölner und Washingtoner Beschlüsse gehen erheblich über das hinaus, was ursprünglich möglich erschien; sie haben die HIPC-Initiative in der begünstigten Ländergruppe zu einem breiten, wirksamen Instrument der Entwicklungspolitik gemacht. Insbesondere die Konsequenz, mit der Schuldenerleichterungen nun als Hebel zur Armutsreduzierung genutzt werden, war so nicht zu erwarten. Eine ganz andere Frage wird sein, inwieweit die HIPC-Länder die zusätzliche Interventionstiefe der bisher schon sehr weitreichenden Konditionalität und eine entscheidungsrelevante Mitsprache der Zivilgesellschaft akzeptieren werden. Außerdem hat die umfassende Einbindung des IWF in die Armutsbekämpfung die Kontroverse darüber weiter verschärft, ob dies wirklich Aufgabe einer Weltwährungsbehörde sein kann und sollte.

Und so begrüßenswert die substantielle Absenkung der Zielwerte für tragfähige Verschuldung mit ihren positiven Auswirkungen auf Tiefe und Breite der Schuldenentlastung ist, so besteht auf der anderen Seite gleichwohl das Problem fort, dass die neuen pauschalen Obergrenzen genauso willkürlich und beliebig sind, wie sie es vorher waren. Sie erlauben es auch jetzt nicht, den erforderlichen Entschuldungsumfang gemäß dem schutzwürdigen Minimum des jeweiligen Landes an notwendigen Importen, Investitionen und öffentlichen Ausgaben zur Wahrnehmung der staatlichen Kernfunktionen zu bestimmen. Und sie rücken ein bereits angesprochenes Risiko wieder in den Vordergrund. HIPC-Länder mit einer Schulden-Export-Relation von demnächst "nur" noch 150 Prozent weisen ja einen wieder deutlich gestiegenen Neuverschuldungsspielraum auf, wenn man den geltenden Weltbankmaßstab zugrunde legt, nach dem ein Land erst ab einer Quote von 220 Prozent als "severely indebted" gilt. Falls nicht künftig niedrigere Schwellenwerte wie etwa die 150-Prozent-Marke als für beide Seiten verbindliche Verschuldungsobergrenzen etabliert werden und Gläubiger wie Schuldner zu einer neuen Kultur der Kreditvergabedisziplin finden, läuft auch die HIPC-Initiative Gefahr, schon bald nur als ein weiterer Fehlschlag bei der Durchbrechung der Krisenspirale gesehen zu werden .

Auch die Finanzierung der erweiterten HIPC-Initiative ist noch keineswegs gesichert . Zudem besteht im Pariser Club kein Automatismus im Hinblick auf die Anwendung der generellen Beschlüsse zum Schuldenerlass. Schließlich zeichnet sich z.Z. die Gefahr ab, dass die 2001 anstehende IDA-Auffüllung in Konkurrenz zu einer Streichung von Weltbankforderungen stehen könnte.

Aber selbst wenn die Finanzierung in vollem Umfang gelingt, wird die tatsächliche Entlastung der HIPC-Länder weit geringer ausfallen als auf dem Papier. Denn in vielen Fällen wird sie nur geringfügig über demjenigen Teil des Schuldendienstes liegen, den die Länder in den letzten Jahren ohnehin nicht mehr geleistet haben, mithin in beträchtlichem Umfang vor allem aufgelaufene Schuldenrückstände "erlassen". Wenn aber die effektiven zusätzlichen Einfuhr-, Investitions- und Haushaltsspielräume eher bescheiden bleiben, wird sich bald die Frage stellen, wie lange die Anpassungsopfer in den Ländern innenpolitisch durchsetzbar sein werden.

Dies gilt umso mehr, als allem Anschein nach eine der ganz entscheidenden Erfolgsvoraussetzungen der HIPC-Initiative wegzufallen droht: die der Zusätzlichkeit der Schuldenerleichterungen. In den meisten HIPC-Ländern hängt die Wahrnehmung der staatlichen Kernaufgaben von unveränderten Entwicklungshilfeleistungen ab. Die Umwidmung von Mitteln aus dem Europäischen Entwicklungsfonds bis zu einer Höhe von einer Mrd. Euro für Zwecke des Schuldenerlasses zeigt, wie gering in den Geberländern die Bereitschaft ist, Schuldenerleichterungen zusätzlich zur bisherigen Entwicklungshilfe zu gewähren. Und die Haushaltsansätze für die Entwicklungszusammenarbeit werden nicht nur in Deutschland auch in den nächsten Jahren weiter sinken. Da es politisch kaum durchsetzbar sein dürfte, diese Einsparungen ausschließlich zulasten von Nicht-HIPC-Ländern vorzunehmen, dürften die ohnehin geringen erlassbedingten Gewinne an zusätzlichen Ausgabenspielräumen noch durch rückläufige Hilfeleistungen weiter eingeengt, wenn nicht sogar überkompensiert werden. Wenn also nicht bald entschlossen gegengesteuert wird, droht der internationalen wie auch der deutschen Entwicklungszusammenarbeit mit ihrem hohen Armutsbekämpfungsanspruch ein schwerwiegender Glaubwürdigkeitsverlust.

Fussnoten

Fußnoten

  1. Vgl. Dragoslav Avramovic/Ravi Gulhati, Debt-Servicing Problems of Low-Income Countries, 1955-58, Baltimore 1960.

  2. Vgl. James H. Weaver, The International Development Association. A new Approach to Foreign Aid, New York-Washington-London 1965, S. 50-53.

  3. Vgl. Lester B. Pearson u. a., Der Pearson-Bericht, Wien - München - Zürich 1969. Dort heißt es auf S. 203: "Alle Tilgungserleichterungen sollten so durchgeführt werden, dass die Notwendigkeit wiederholter Umschuldungen vermieden und wieder eine realistische Basis für ein gesundes Finanzkonzept des betreffenden Schuldnerlandes geschaffen wird." Und auf S. 192: "Ein derartiger Plafond (für Exportkredite, d. Verf.) ist unbedingt notwendig. Wenn diese sehr kostspieligen Kredite nämlich ohne jede Einschränkung überhand nehmen, kann die durch einen Schuldaufschub zustande gekommene Entspannung der Lage sehr schnell zunichte gemacht werden."

  4. Die geringe Schuldendienstfähigkeit dieser Ländergruppe liegt - generell gesprochen - daran, dass sie ihre Produktionsfaktoren nicht effizient genug einzusetzen vermochte, um eine rentable Verzinsung der Auslandskredite sicherzustellen. Dies hängt mit einer Vielzahl endogener und exogener Faktoren zusammen: dem Versagen der politisch Verantwortlichen ("bad governance") im weitesten Sinne, der Fehlallokation von Kreditmitteln bis hin zur rein konsumptiven Verwendung, unzureichenden und schlecht konzipierten Strukturanpassungspolitiken als Folge von Fehlern der Empfängerländer wie auch aufseiten von IWF und Weltbank, Fehlern bei der Schuldenstrukturpolitik, wenig verantwortungsbewussten Kreditvergabepolitiken kommerzieller wie öffentlicher Gläubiger und mit externen Schocks (z. B. fallende "terms of trade", Naturkatastrophen etc.).

  5. "Although some countries could still borrow safely, apparently there was a growing number that had passed their limit. It was this latter group of countries that particularly pressed for the establishment of some institution like the International Development Association." J. H. Weaver (Anm. 3), S. 53.

  6. In Teil A, Ziff. 4 spricht sich die genannte Resolution des "Trade and Development Board" im Hinblick auf arme und insbesondere am wenigsten entwickelte Länder dafür aus, rückwirkend die Konditionen von in der Vergangenheit gewährten Darlehen an die inzwischen üblichen Bedingungen anzupassen oder gleichwertige Maßnahmen zu ergreifen, um den Nettoressourcentransfer in diese Länder zu erhöhen.

  7. Die Schuldtitel dieser Ländergruppe notierten meist unter 15 Prozent des Nominalwertes.

  8. Vgl. Walter Eberlei, Schuldenkrise der ärmsten Länder gelöst? - Die Ergebnisse des Kölner G-7-Gipfels, Duisburg 1999, S. 12.

  9. Die verbesserten Konditionen wurden meist nach dem jeweiligen Tagungsort der G 7 benannt.

  10. Neben der Festlegung der maximalen Erlassquote wurden bei allen Konditionenanpassungen auch Freijahre, Umschuldungsfristen und -laufzeiten angepasst, und zwar jeweils getrennt nach Handels- und Hilfeschulden.

  11. Vgl. The World Bank, Toward Resolving the Debt Problem of Severely Indebted Low Income Countries, Background Paper for the International Seminar on "External Finance for Low-Income Developing Countries: The Debt Dimension", Washington, D. C. 1994, S. 39.

  12. Vgl. The World Bank, Global Development Finance 1999. Die Zahlen beziehen sich auf die ursprüngliche Liste der HIPC-Länder, die noch Nigeria, aber noch nicht Malawi enthielt.

  13. Für eine ausführliche Beschreibung der HIPC-Initiative vgl. u. a.: Anthony R. Boote/Kamau Thugge, Debt Relief for Low-Income Countries - The HIPC-Initiative, IMF Pamphlet Series, No. 51, Washington, D. C. 1999.

  14. Während dieser zweiten Phase gewähren die bilateralen Gläubiger des Pariser Clubs - und analog andere bilaterale Geber sowie die kommerziellen Gläubiger - im Rahmen von Umschuldungen erhöhte Nachlässe von bis zu 80 Prozent, multi- und bilaterale Geber stellen zusätzliche "Interims-Hilfen" in Form von Zuschüssen oder konzessionären Darlehen zur Verfügung, und das betreffende Land zeigt seinen unveränderten Reformwillen.

  15. Vgl. Erlassjahr 2000, Aktionshandbuch, Siegburg 1998, S. 27-29.

  16. Diese Sichtweise stützt sich auf das Argument, der Schuldendienst stelle wegen des unverändert positiven Nettoressourcentransfers in die HIPC-Länder kein Problem dar. Sie verkennt dabei, dass nach dieser Logik die Schuldentragfähigkeit nicht mehr von der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Schuldnerländer, sondern von der Refinanzierungsbereitschaft der Geberländer abhängig wäre. Außerdem widerspricht sie dem Grundsatz, dass Hilfsmittel für Entwicklung und Armutsbekämpfung zur Verfügung gestellt werden und nicht für Tilgungs- und Zinszahlungen.

  17. Vgl. hierzu Barbara Unmüßig, Die HIPC-Initiative - Kein Durchbruch für die hochverschuldeten armen Länder, in: Walter Eberlei u. a., Schuldenreport 1999. Auswege aus der Schuldenkrise der Entwicklungsländer, Bonn 1999, S. 37-52, hier S. 37 f.

  18. Vgl. The World Bank, Global Development Finance 1999. Analysis and Summary Tables, Washington, D. C. 1999, S. 99 f.

  19. ". . . as long as three-quarters of ESAF programmes derail, the HIPC-ESAF link becomes even more questionable." European Network on Debt and Development, EURODAD, 1999 HIPC Initiative Review Consultative Process: Phase One, S. 7; im Internet: www.oneworld.org./eurodad/hipc-rev.htm.

  20. Vgl. Thomas Kampffmeyer/Hans-Helmut Taake, Die Verschuldung der Entwicklungsländer - Durchbrechung der Krisenspirale mittels realistischer Obergrenzen für tragfähige Schuldendienstbelastung, Analysen und Stellungnahmen des Deutschen Instituts für Entwicklungspolitik, (1999) 2, Berlin 1999, S. 3.

  21. Vgl. ebd., S. 2.

  22. Eine gute Übersicht über die den Strukturanpassungsprogrammen der achtziger Jahre angelasteten Schwächen enthält Gerald K. Helleiner, The IMF, the World Bank and Africa's Adjustment and External Debt Problems: An Unofficial View, in: World Development, 20 (1992) 6, S. 779-792, hier S. 785. Eine aktuelle Auseinandersetzung mit Strukturanpassungspolitiken im Kontext ökonomischer Krisen findet sich z. B. bei: Joseph Stiglitz, Responding to Economic Crisis: Policy Alternatives for Equitable Recovery and Development, www.worldbank.org./html/extdr/extme/jssp092998.htm.

  23. Vgl. G. K. Helleiner, ebd., S. 786.

  24. Vgl. W. Eberlei (Anm. 9), S. 26-28.

  25. Die Darstellung der Kölner Ergebnisse basiert auf dem "Bericht der G7-Finanzminister zur Kölner Schuldeninitiative an den Wirtschaftsgipfel in Köln" vom 18. bis 20. Juni 1999: www.g-8.de/06/00113/index.html; sowie: Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, Schuldenerlasse für die ärmsten Länder. G7-Beschluss vom 18. Juni 1999, BMZ spezial, Nr. 005/Juni 1999.

  26. Herabgesetzt wurden auch die Schwellenwerte für die Anwendbarkeit des Fiskalkriteriums: Die mindestens zu erreichende Exportquote sollte von 40 % auf 20 %, die Steuereinnahmenquote, bezogen auf das BIP, von 20 auf 15 % abgesenkt werden.

  27. Vgl. Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (Anm. 26), S. 5.

  28. Vgl. Thomas Kampffmeyer, Nach dem Kölner Schuldengipfel, in: epd-Entwicklungspolitik, (1999) 12, S. 16 f.

  29. Vgl. u. a. Peter Bosse-Brekenfeld, Entschuldung: Der Internationale Währungsfonds auf neuem Kurs?, in: epd-Entwicklungspolitik, (1999) 19-20, S. 4 f.

Dr. rer. pol., geb. 1947; wissenschaftlicher Mitarbeiter am Deutschen Institut für Entwicklungspolitik, Berlin.

Veröffentlichungen u. a.: Auslandsverschuldung und interne Anpassungsprozesse: Das Beispiel Türkei, in: U.E. Simonis (Hrsg.), Externe Verschuldung - interne Anpassung. Entwicklungsländer in der Finanzkrise, Berlin 1984; (zus. mit H.-H. Taake) Die Verschuldung der Entwicklungsländer, Berlin, (1999).