Einleitung
Ein Weg entsteht, indem man ihn geht.
(Chuang Tzu, 4. Jhd. v. Chr.)
Am 5. Juli 1999 fand die bundesweite Auftaktveranstaltung zu dem von Bund und Ländern getragenen neuen Programm "Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf - die soziale Stadt" in Berlin mit ungewöhnlich großem Teilnehmerandrang statt. Akteure aus vielen Politikbereichen wie auch die Tages- und Fachpresse wollten sich über nationale und internationale Hintergründe, die Zielsetzung und Ausgestaltung dieses gegen die wachsende soziale und räumliche Polarisierung in den Städten gerichteten Programms informieren, für das offensichtlich ein hoher Bedarf gesehen wird
Inzwischen haben alle 16 Bundesländer insgesamt 161 Gebiete in 123 Städten für das Programmjahr 1999 ausgewählt und die Meldung weiterer Gebiete für das Jahr 2000 signalisiert. Mit dem Programm "Soziale Stadt" soll den wachsenden Problemen in Stadtteilen, "die infolge sozialräumlicher Segregation davon bedroht sind, ins soziale Abseits zu rutschen"
Die Diskussionen zum Programm schwanken von Beginn an zwischen Lob und Tadel gleichermaßen. Positiv wurde und wird hervorgehoben, dass sich Bund und Länder der drängenden sozialen Probleme in den Städten nun intensiver annehmen und mit dem Programm ein neuer, integrativer und auf Kooperation ausgerichteter Politikansatz installiert worden sei. Auf der anderen Seite wird bemängelt, dass das Finanzvolumen nicht dem Ausmaß der Probleme entspreche. Teilweise lastet man dem Programm an, dass es zu kurz greife; es handele sich im Grunde nur um eine Aufstockung der fast ausschließlich investiv orientierten Städtebauförderung, mit der soziale und ökonomische Probleme gerade nicht zu bewältigen seien. Andere sehen darin ein bloßes Arbeitsbeschaffungsprogramm für Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter. Daneben gibt es Stimmen, die angesichts der tatsächlichen Problemschärfe dem Programm allenfalls Bedeutung als symbolische Politik zugestehen.
Trotz der kontroversen Meinungsbilder besteht aber weitgehend Einigkeit darüber, dass mit dem Programm ein richtiger Kurs gesteuert wird und dass erst die konkrete Programmdurchführung erweisen wird, inwieweit wirklich leistungsfähige Beiträge zur Problemlösung erbracht werden können.
I. Neuorientierung der Städtebau- förderung. Zur Vorgeschichte des Programms "Soziale Stadt"
In vielen Stadtteilen werden heute Folgen des wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Strukturwandels, der sich mit Stichworten wie Globalisierung, Tertiärisierung, Suburbanisierung, Regionalisierung, Entsolidarisierung und Polarisierung beschreiben lässt, besonders schmerzhaft erfahrbar. Eine besondere Hypothek der gegenwärtigen Entwicklung besteht darin, dass sich die soziale Spaltung in Abhängigkeit von Bodenwerten, Mietenniveaus, Milieus und Images zunehmend in räumlichen Polarisierungen niederschlägt. In der Stadterneuerungspraxis zeichnet sich länger schon eine Diskrepanz zwischen sozial-ökonomischen Problemen und baulich-städtebaulichen Lösungsansätzen ab
Zur Ausgestaltung dieser Gemeinschaftsinitiative legte die ARGEBAU einen Leitfaden vor
Mit dem Regierungswechsel im Herbst 1998 ist das Verfahren beschleunigt worden; entsprechend der Koalitionsvereinbarung ging es nun darum, sofort das neue Programm aufzulegen. Zentrale Ziele sollten sein: die ressortübergreifende Kombination von Förderprogrammen, die stärkere Berücksichtigung nicht-investiver Ansätze und die Erprobung neuer Verwaltungs- und Managementstrukturen, um die vorhandenen Ressourcen für eine umfassende und integrative Stadtteilentwicklung zu bündeln und den Mitteleinsatz zielgenauer, effizienter und gleichzeitig auch flexibler zu gestalten.
Rückblickend lassen sich Stationen zur Entstehungsgeschichte des Programms "Soziale Stadt" in einer Chronologie wie folgt auflisten:
· Mai 1993: nordrhein-westfälisches Landesprogramm "Stadtteile mit besonderem Erneuerungsbedarf" als integriertes Handlungskonzept zur Koordinierung ressortübergreifender Maßnahmen;
· 1994: Pilotprogramm zur Armutsbekämpfung in Hamburg, inzwischen übergeleitet in das Programm "Soziale Stadtteilentwicklung";
· November 1996: Gemeinschaftsinitiative "Soziale Stadt" durch die Ministerkonferenz der ARGEBAU beschlossen;
· Januar 1997: Anhörung zur Städtebauförderung durch den Bundestagsausschuss für Raumordnung, Bauwesen und Städtebau;
· 1997: Hessisches Landesprogramm "Einfache Stadterneuerung" und Bildung einer Arbeitsgemeinschaft von Akteursgruppen der sozialen Stadterneuerung, inzwischen "Hessische Gemeinschaftsinitiative Soziale Stadt" (HEGISS);
· März 1998: Expertenworkshop beim Difu in Berlin zur Vorbereitung des ExWoSt-Forschungsfelds "Stadtteile mit Entwicklungspriorität";
· September 1998: Ausschreibung des ExWoSt-Forschungsfelds "Stadtteile mit Entwicklungspriorität";
· November 1998: Koalitionsvereinbarung zwischen SPD und Bündnis 90/Die Grünen;
· Dezember 1998: Bremer Handlungskonzept "Wohnen in Nachbarschaften (WiN)";
· März 1999: Berliner Beschluss über die Einrichtung von "integrierten Stadtteilverfahren - Quartiersmanagement" als Pilotvorhaben in 15 Gebieten;
· Mai 1999: Landesinitiative URBAN 21 in Sachsen-Anhalt beschlossen;
· 5. Juli 1999: bundesweite Auftaktveranstaltung zum Bund-Länder-Programm "Soziale Stadt" im Schöneberger Rathaus in Berlin;
· 17. September 1999: Verwaltungsvereinbarung nach Unterzeichnung durch Bund und Länder in Kraft getreten;
· bis Dezember 1999: Meldung von 161 Gebieten für das Programmjahr 1999 und Auswahl von 16 "Modellgebieten" durch die Länder (pro Land ein Gebiet);
· 1. und 2. März 2000: bundesweite "Starterkonferenz" zum Programm "Soziale Stadt" im Haus der Kulturen der Welt in Berlin.
II. Schwächen sektoraler Politik Zur Notwendigkeit integrativer Handlungsansätze
In vielen Politikbereichen ist deutlich geworden, dass sektorales Vorgehen bei der Lösung komplexer Probleme unzureichend ist und zum Teil sogar nicht-intendierte negative Folgen in anderen Politikfeldern oder Teilbereichen des eigenen Politikfelds hervorruft. Das gilt nicht nur für die Städtebauförderung, sondern beispielsweise auch für die kommunale Wirtschaftsförderung, den Wohnungsbau sowie für die Sozial- und Jugendhilfe als einen in diesem Zusammenhang wesentlichen Politikbereich, auf den im Folgenden kurz eingegangen wird.
Vom Sozialfall zum Sozialraum
Sozial- und Jugendhilfe in der bisherigen Form können zwar absolute Armut vermeiden helfen, bieten den Menschen aber kaum Perspektiven, ihre Problemlage aktiv zu überwinden und nicht in eine "Kultur der Abhängigkeit" zu geraten. Spätestens Ende der achtziger Jahre ist - zumindest für die Jugendhilfe - erkannt und öffentlich deutlich benannt worden, dass Jugendpolitik mit einer allein auf Zielgruppen bezogenen und nach speziellen Bedürfnislagen ausgerichteten, sozialfallorientierten Politik wenig erfolgversprechend und zugleich auf Dauer nicht finanzierbar ist. So wurde 1990 im 8. Jugendbericht konstatiert
Die Überwindung des engen Ressortzuschnitts wird als Voraussetzung für effektive Ressortpolitik angesehen. Das in den neuen Bundesländern am 3. Oktober 1990, im übrigen Bundesgebiet am 1. Januar 1991 in Kraft getretene Kinder- und Jugendhilfegesetz (KJHG) enthält daher neben den weiter dominierenden Leistungsansprüchen immerhin den Auftrag an die Jugendhilfe, dazu beizutragen, "positive Lebensbedingungen für junge Menschen und ihre Familien sowie eine kinder- und familienfreundliche Umwelt zu erhalten oder zu schaffen" (§ 1 Abs. 3 Nr. 4 KJHG). Damit wird für die Jugendhilfe die Notwendigkeit betont, den Sozialraum in den Blick zu nehmen und die Kooperation mit anderen gestaltungsmächtigen Kräften zu suchen. Die Umsetzung dieses Politikverständnisses in die Praxis ist allerdings noch nicht sehr weit fortgeschritten
Vom Nebeneinander zum Miteinander
Das Ungenügen sektoraler, hoheitlicher Politik führte auch in anderen Politikbereichen zu vielfältigen Bemühungen um querschnittsorientierte und integrative Ansätze: z. B. das wiederbelebte und heute in der Regel nicht mehr auf Stadtwerbung oder Tourismusförderung reduzierte Stadtmarketing, bei dem Akteure aus Verwaltung und Wirtschaft, Politik und Bürgerschaft gemeinsam versuchen, Entwicklungsperspektiven für ihre Stadt zu erarbeiten; die Lokale-Agenda-21-Prozesse, bei denen gleichrangig ökologische, ökonomische und soziale Ziele verfolgt werden; die Arbeit der kriminalpräventiven Räte, bei denen verschiedenste öffentliche und private Stellen miteinander kooperieren, um zur Sicherheit in der Stadt beizutragen; das Gesunde-Städte-Netzwerk, bei dem es nicht um Gesundheitspolitik im traditionellen Sinn geht, sondern um eine ganzheitliche Betrachtung der lokalen Lebensumstände, die sich auf das Wohlbefinden und die Gesundheit der Menschen auswirken.
Auch beim Programm "Soziale Stadt" stehen integrative und integrierte Handlungskonzepte im Mittelpunkt: "Das Handlungskonzept (Planungs- und Umsetzungskonzept sowie Kosten- und Finanzierungsübersicht) soll zur Lösung der komplexen Probleme zielorientierte integrierte Lösungsansätze aufzeigen, alle Maßnahmen zur Erreichung der Ziele - auch die anderer Bau- und Finanzierungsträger - erfassen sowie die geschätzten Ausgaben und deren Finanzierung darstellen."
III. Kooperation und Koordination. Neue Dringlichkeit der alten Handlungserfordernisse
Integrative Politik erfordert die Kooperation vieler Akteure und Mittelgeber sowie deren Koordinierung. Im Rahmen der städtebaulichen Sanierung ist das nichts grundsätzlich Neues. So besagt etwa § 149 Abs. 1 Baugesetzbuch (BauGB), dass die Kosten- und Finanzierungsübersicht der Gemeinde mit den Kosten- und Finanzierungsvorstellungen anderer Träger öffentlicher Belange abzustimmen ist; und in § 149 Abs. 6 BauGB heißt es, dass die höhere Verwaltungsbehörde für ein "wirtschaftlich sinnvolles Zusammenwirken der Gemeinde und der anderen Träger öffentlicher Belange bei der Durchführung ihrer Maßnahmen zu sorgen und die Gemeinde bei der Beschaffung von Förderungsmitteln aus öffentlichen Haushalten zu unterstützen" hat
Verstärkter Druck zur Kooperation
Aber der ausführlichen Begründung der Notwendigkeit "einer ganzheitlichen Aufwertungsstrategie", eines "integrierten Handlungskonzepts" zur Lösung der komplexen Probleme sowie der Aufzählung der verschiedenen Politikfelder hätte es nicht bedurft, wenn es sich dabei nur um die Wiederholung des Gesetzestextes und die Bestätigung einer verbreiteten Praxis gehandelt hätte. Vielmehr wird es künftig darauf ankommen, "investive und nicht investive Maßnahmen mit dem Schwerpunkt der städtebaulichen Erneuerung ,aus einer Hand' zu kombinieren und zu integrieren"
Diese das Programm prägende und nicht nur am Rande vorgesehene Vernetzung mit Trägern nichtinvestiver Politik, insbesondere die Einbeziehung der Wohlfahrtsverbände in die Stadterneuerung, ist das Neue und Ungewohnte an dem Programm. Erstmals greift unseres Wissens ein bundesweites Förderungsprogramm über die eigenen Ressortgrenzen hinaus und fordert zur Kooperation mit bisher "fremden" Akteuren - quasi jenseits der "vertikalen Fachkumpanei" (Frido Wagener) oder der "Versäulung" von Fachpolitiken - auf. Zwar können und sollen mit dem Programm keine fachübergreifenden Kompetenzen begründet werden, doch ist es auch nicht auf den Appell zur Kooperation reduziert: Indem die Mittelgewährung von der Entwicklung integrierter Handlungskonzepte durch die Kommunen abhängig gemacht wird, hält das Programm durchaus Sanktionen bereit, wenn diese Kooperationen dauerhaft nicht zustande kommen
Vom fürsorgenden zum aktivierenden Staat
Das vehemente Plädoyer für mehr Kooperation ist an sich nicht neu; doch die vielfachen bisherigen Umsetzungsversuche haben selten wirklich funktioniert. Das wird auch von den Ländern mit längeren Erfahrungen im Bereich sozialer Stadtteilentwicklung kritisch angemerkt. Dennoch führen das Diktat knapper Kassen und die wachsende Einsicht in das Ungenügen sektoraler Politik in vielen Handlungsfeldern dazu, neue Kooperationsformen zu entwickeln und neue Kooperationspartner einzubeziehen. Nur wenn es gelingt, ähnlich einer Technikfolgenabschätzung oder einer Umweltverträglichkeitsprüfung zum einen die kontraproduktiven Folgen des eigenen Handelns auf andere Bereiche und auch auf den eigenen Bereich selbst von vornherein zu bedenken und zum anderen die Synergien gemeinschaftlichen Handelns zu nutzen, führt Kooperation zu einem den komplexen Sachverhalten adäquaten Vorgehen. Das setzt bei allen Beteiligten Lernen und die Fähigkeit zum Zuhören voraus. Nur wo die Bereitschaft besteht, etwas von der eigenen "Macht" abzugeben und zu erkennen, dass durch gelingende Kooperation dieser Verlust durch einen Zugewinn an Einfluss auf andere Politikfelder und damit an Effizienz und Effektivität bei der Verfolgung der eigenen Politikziele verbunden ist, hat das Programm eine Chance.
Im Dezember 1999 beschloss die Bundesregierung das Programm "Moderner Staat - moderne Verwaltung"
Wenn das neue Staatsverständnis Platz greifen soll, bedarf es zudem nicht nur der Kooperation innerhalb von Staat und Gemeinde, sondern auch mit Akteuren auf gesellschaftlicher Ebene, insbesondere der Wirtschaft und der Wohlfahrtsverbände. Die Kooperation mit der Wirtschaft setzt voraus, dass diese in der Mitwirkung eigene Interessen verfolgen kann. Das erfordert auf beiden Seiten die Überwindung von Denkbarrieren und Vorurteilen, doch gibt es Beispiele dafür, dass dies möglich und erfolgreich ist
IV. Der Mittelpunkt des Programms: Ressourcenbündelung und Mobilisierung der lokalen Selbstorganisationskräfte
Das Spezifische des integrativ angelegten Programms "Soziale Stadt" besteht also darin, dass an alle staatlichen und kommunalen Handlungsebenen Anforderungen hinsichtlich institutionen- und sektorenübergreifender Organisation und Kooperation gestellt sind.
Ressourcenbündelung auf allen staatlichen Ebenen
Ein erster vielversprechender Ansatz zur ressortübergreifenden Mittelbündelung auf Bundesebene ist dadurch erfolgt, dass das Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend sein Programm "Entwicklung und Chancen junger Menschen in sozialen Brennpunkten (E ß C)" wesentlich auch auf die vom Programm "Soziale Stadt" erfassten Gebiete bezieht
Auf Landesebene sind inzwischen in Bremen, Hamburg, Nordrhein-Westfalen, Sachsen und Sachsen-Anhalt Formen der Mittelkoordination durch Kabinettsbeschlüsse institutionalisiert worden. Teilweise wurden interministerielle Arbeitsgruppen eingerichtet, teilweise erfolgen bilaterale Abstimmungen, in denen von Fall zu Fall über die Vergabe von Mitteln im Rahmen integrierter Stadterneuerungsprogramme entschieden wird. Insgesamt wird eine wichtige Aufgabe der Länder darin gesehen, auf die Harmonisierung von Förderbestimmungen der verschiedenen Ressort-Programme hinzuwirken, um einen gebündelten Mitteleinsatz zu erleichtern.
Ansätze zu einer "neuen Zivilgesellschaft" auf lokaler Ebene?
Eine Vielfalt auch unkonventioneller Initiativen, die von der Bürgerschaft getragen werden - Runde Tische, Agenda-Gruppen, Stadtteilforen, Selbsthilfeorganisationen -, und damit der Bedeutungsgewinn kooperativer und diskursiver Verfahren lassen sich entgegen den Befürchtungen vom "Zerfall der Zivilgesellschaft" als Ansätze zu einer "neuen Zivilgesellschaft" interpretieren. Hier können und müssen im Rahmen des Programms "Soziale Stadt" Aktionsräume geschaffen werden. Solche bürgerschaftliche Mitwirkung und -entscheidung tritt dabei nicht an die Stelle repräsentativer Demokratie, ersetzt nicht die kommunale Selbstverwaltung mit dem Entscheidungsgremium Gemeinderat, sondern ergänzt sie. Es handelt sich um einen "zweiten Politikmodus"
Ein wichtiger Prüfstein für das Programm "Soziale Stadt" wird es sein, inwieweit in den Stadtverwaltungen und auch in den Stadtteilen adäquate Organisationsstrukturen entwickelt werden können, mit denen eine aktive Mitgestaltung der Quartiersentwicklung durch die Bewohnerschaft, Wirtschaft und andere lokale Akteure ermöglicht und befördert wird. Die "Neue Steuerung" hat in vielen Städten zur Modernisierung der Verwaltung beigetragen: Durch die bürgernähere Verlagerung von Verantwortung entstehen einerseits weit aufgefächerte Zuständigkeitsbereiche; andererseits bieten die Eigenverantwortung und Budgethoheit der dezentralen Stellen auch neue Chancen und Anreize für Kooperation. In den Stadtteilen erfordert das weniger Verregelung und mehr Kompetenzen - beispielsweise durch die Bereitstellung von Fonds zur selbstständigen Verfügung durch die Quartiersbevölkerung, was eine Kontrolle der Mittelverwendung nicht ausschließt.
Die Institutionalisierung eines Quartiersmanagements mit Schwerpunktaufgaben wie Empowerment, Koordination der Vor-Ort-Aktivitäten und Projektentwicklung kann als Mobilisierungs- und Vermittlungsinstanz wichtige Funktionen für die Stabilisierung der Wohn- und Lebensverhältnisse in den Stadtteilen erfüllen. Allerdings zeichnet sich heute schon ab, dass vielerorts das Quartiersmanagement mit einem so hohen Erwartungsdruck - manchmal auch mit Abwehr - konfrontiert ist, dass es dem kaum standhalten kann. Erst wenn im Stadtteil ein offensives Wir-Bewusstsein entwickelt werden kann, das nicht "gegen die Welt draußen gewandt wird", sondern auf langfristige Beziehungen gerichtet ist
Raumbezug des Programms: Quartier und Gesamtstadt
Vorausetzung für den Einsatz von Mitteln der Städtebauförderung - und das gilt damit auch für das Programm "Soziale Stadt" - ist die Ausweisung von Gebieten. Das steht teilweise im Widerspruch zu stadtsoziologischen Analysen, die einen rapiden Bedeutungsverlust des Raums als eines konstituierenden Elements für soziales Handeln und die alltäglichen Lebenszusammenhänge feststellen. Vor allem das Vordringen der neuen Informationstechnologien führe zu Lebens- und Handlungsvollzügen, die sich einem Raumzusammenhang entzögen. Entscheidend seien heute vielmehr zweckorientierte und weitgehend raumungebundene Netzwerke
Zwei Quartierstypen zeichnen sich länger schon als Stadtteile mit besonderem Entwicklungsbedarf ab: zum einen verdichtete - häufig gründerzeitliche -, vernachlässigte Altbauquartiere und zum anderen Neubausiedlungen der sechziger bis achtziger Jahre. Beide Arten von Quartieren fungieren zunehmend als Auffangareale für Haushalte in sozial und ökonomisch angespannter Situation, für durch Aufwertung verdrängte Haushalte, Migranten und Menschen mit provisorischem oder unklarem Aufenthaltsstatus. Das spiegelte sich bereits in der Gebietskulisse beim Bewerbungsverfahren zum ExWoSt-Forschungsfeld "Stadtteile mit Entwicklungspriorität" 1998 und findet bei den Gebieten der "Sozialen Stadt" des Programmjahrs 1999 Bestätigung. Ein erster - noch sehr sporadischer - Überblick zeigt, dass es sich beim Gros der Gebiete (mit mehr als der Hälfte) um Neubauquartiere handelt, wobei der Anteil in den neuen Bundesländern noch deutlich höher ausfällt (fast 70% der 39 ostdeutschen - einschließlich der fünf Ostberliner - Quartiere). Altbaugebiete machen sowohl in den alten als auch in den neuen Bundesländern etwa ein Viertel aller Gebiete aus; und hinsichtlich des Baualters spielen gemischte Quartiere mit rund einem Fünftel nur in den alten Ländern eine Rolle.
Die als ambivalent eingeschätzte Bedeutung von lokalen Orientierungen und die Tatsache, dass mit dem Programm "Soziale Stadt" allein die aufgeworfenen Probleme nicht zu lösen sind, verweisen auf die Notwendigkeit, dass quartiersbezogene Strategien durch gesamtstädtische ergänzt werden müssen. Das betrifft in erster Linie Fragen der sozialen und ökologischen Infrastruktur, der Wohnungsversorgungs-, Bildungs- und Beschäftigungspolitik. Erforderlich ist die Überlagerung von quartiersbezogenen und gesamtstädtischen Strategien mit zielgruppenorientierten Ansätzen
VI. Information, Beratung und Vermittlung: Aufgaben der Programmbegleitung
Die Umsetzung des Programms "Soziale Stadt" erfordert eher informelle als verregelte, eher unkonventionelle als traditionelle, eher experimentelle als routinisierte Verfahrensweisen. Auch deshalb kommt einer konzentrierten Programmbegleitung besondere Bedeutung zu. Das Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Wohnungswesen (BMVBW) und die Länder haben daher dem Difu für die Anfangsphase der Programmdurchführung (bis 2002) die Funktion einer Vermittlungs-, Beratungs- und Informationsagentur übertragen
Da heute schon ein hoher Bedarf an Erfahrungsaustausch, Wissenstransfer, Kooperation und Öffentlichkeitsarbeit zum Programm offensichtlich ist, steht der Aufbau eines bundesweiten Netzwerks als ein zentraler Baustein der Programmbegleitung im Mittelpunkt der ersten Arbeitsschritte
- Den unmittelbaren Austausch zwischen den beteiligten Akteuren im Rahmen zentraler und dezentraler Veranstaltungen: Die bundesweiten Veranstaltungen zum Auftakt im Juli 1999 und zum Programmstart Anfang März 2000 boten die Möglichkeit, sich einerseits über internationale und nationale Erfahrungen mit integrativen Konzepten zu informieren sowie andererseits neue Kontakte zu knüpfen und zusätzliche Kooperationsbeziehungen zu verabreden. Auf zwei Impulskongressen, die für Ende 2000 und Mitte 2001 vorgesehen sind, werden Ergebnisse von Best-Practice-Analysen zur Diskussion gestellt, und im Jahr 2002 soll auf einer weiteren bundesweiten Konferenz eine erste Zwischenbilanz zum Programm gezogen werden. Dezentrale Veranstaltungen werden je nach Bedarf lokal und regional sowie thematisch konzentriert in Zusammenarbeit mit anderen Programm-Akteuren durchgeführt.
- Ein kontinuierliches Berichtswesen: Hierzu wird mindestens dreimal im Jahr ein aktuelles Informationsblatt ("Infos zur Sozialen Stadt") erscheinen; wichtige Projektergebnisse, Dokumentationen und Materialien werden in der Reihe "Arbeitspapiere zum Programm ,Soziale Stadt'" veröffentlicht. Beide Publikationsreihen sind auch im Internet abrufbar.
- Das seit dem 10. Januar 2000 geschaltete, allgemein zugängliche Internet-Forum zum Programm "Soziale Stadt" (www.sozialestadt.de) mit vielfältigen Informations- und Diskussionsmöglichkeiten zu allen im Zusammenhang mit dem Programm interessierenden Fragen. Außerdem eröffnen eine Diskussionplattform und die Eintragung in eine "Mailing-List" die Möglichkeit, stets aktuell informiert zu sein und bei der Informationsvermittlung und Programmdiskussion mitzuwirken.
Die "Programmbegleitung vor Ort" bildet ein weiteres grundlegendes Element der gesamten Programmbegleitung. Sie wird in 16 von den Bundesländern ausgewählten "Modellgebieten" eingerichtet (jeweils in einem Gebiet pro Land) und umfasst vor allem zwei Aufgaben: die begleitende und dokumentierende Untersuchung der Programmumsetzung sowie die Übernahme aktivierender und unterstützender Funktionen, für die in beschränktem Umfang finanzielle Mittel ("technische Hilfen") zur Verfügung stehen.
Zur besseren Einschätzung der Leistungsfähigkeit von Strategien und der Wirksamkeit von Maßnahmen dienen Best-practice-Analysen als eine weitere wichtige Komponente der Programmbegleitung; sie werden vom Difu in Kooperation mit Empirica
VII. Bewährungsproben für die Umsetzung des Programms "Soziale Stadt"
Nationale und internationale Erfahrungen mit der Umsetzung sozialorientierter Stadtteilentwicklungskonzepte haben vor allem eines deutlich gemacht: Entsprechende Ansätze sind zu anspruchsvoll und tragen dann eher zu Enttäuschung und Resignation bei, wenn innerhalb einer zu eng begrenzten Zeitspanne Problemlösungen und Erfolge erwartet werden. Deshalb wurden beispielsweise in Großbritannien und in den Niederlanden - so Berichte im Rahmen der Auftaktveranstaltung
Aus Erfahrungen mit bereits installierten Ansätzen der sozialorientierten Stadtteilentwicklung und den Diskussionen im Vorfeld der Programmumsetzung lassen sich einige Handlungsprinzipien und -voraussetzungen ableiten, die der "Sozialen Stadt" förderlich sein können. Danach werden Erfolg oder Misserfolg der Programmdurchführung unter anderem davon abhängen, inwieweit es gelingt,
· den "besonderen" Entwicklungsbedarf in einzelnen Stadtteilen durch eine fundierte und politisch legitimierbare Gebietsauswahl in Abstimmung zwischen allen betroffenen Ressorts, Ämtern, Sparten oder Fachbereichen konsensfähig zu machen;
· querschnittsorientierte und quartiersbezogene Strategien zu entwickeln, ohne den gesamtstädtischen Bezug aus den Augen zu verlieren;
· problem- und ortsadäquate Organisations- und Managementstrukturen zu etablieren;
· die Umsetzung des Programms als offenen Prozess und gemeinsames Lernprogramm zwischen allen Akteuren zu gestalten;
· den von den Gemeinden geforderten integrativen Charakter der "stadtentwicklungspolitischen Handlungskonzepte" sicherzustellen;
· das Missverständnis abzubauen, integratives Handeln bedeute für den einzelnen Politikbereich, generalistisch zu agieren und zu versuchen, Aufgaben anderer Politikfelder zu übernehmen statt mit ihnen zu kooperieren;
· durch gesamtstädtische Monitoringsysteme frühzeitig auf problematische Entwicklungen in Stadtteilen aufmerksam zu werden und so eine Umkehr vom reaktiven zum präventiven Ansatz zu ermöglichen.